29.11.2012 Aufrufe

Deutscher Bundestag Unterrichtung

Deutscher Bundestag Unterrichtung

Deutscher Bundestag Unterrichtung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Drucksache 16/10140 – 220 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />

Analogie zu erweitern. Die Rechtsbeschwerde von Soda-<br />

Club bezüglich der aufschiebenden Wirkung hatte Erfolg.<br />

Der Bundesgerichtshof hält die analoge Heranziehung<br />

des § 64 Abs. 1 Nr. 1 GWB für geboten, da vielfach<br />

schwierige Rechts- und Tatfragen und teilweise weitreichende<br />

Wirkungen bei Missbrauchsverfahren nach Artikel<br />

82 EGV ebenso wie bei Verfahren nach § 19 GWB<br />

vorliegen. Zudem würde die Vorschrift, Verfahren nach<br />

den §§ 19 bis 21 GWB hätten aufschiebende Wirkung,<br />

zumindest immer dann ins Leere laufen, wenn wegen einer<br />

Beeinträchtigung zwischenstaatlichen Handels eine<br />

Abstellungsverfügung des Kartellamtes auch auf Grundlage<br />

des Artikel 82 EGV ergehen muss. Eine unterschiedliche<br />

Regelung des Suspensiveffekts von Beschwerden je<br />

nachdem, ob sich die angefochtene Verfügung auf das autonome<br />

deutsche Recht oder auf das europäische Recht<br />

stütze, sei jedoch auch gemeinschaftsrechtlich nicht angezeigt.<br />

Die Anwendung von Artikel 81 und Artikel 82<br />

EGV sei auch dann gewährleistet, wenn die Bestimmungen<br />

über das Kartellverwaltungs- und über das gerichtliche<br />

Verfahren den Bestimmungen des europäischen<br />

Rechts nicht vollständig nachgebildet seien. Eine Klage<br />

gegen eine Verfügung der Europäischen Kommission<br />

nach Artikel 82 EGV hat keine aufschiebende Wirkung.<br />

Der wirksamen Durchsetzung der Wettbewerbsregeln des<br />

Vertrags könne jedoch auch dadurch genügt werden, dass<br />

die Kartellbehörde nach § 65 Abs. 1 GWB die sofortige<br />

Vollziehung anordnet. Hier ist fraglich, ob der Bundesgerichtshof<br />

dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht<br />

nach Artikel 234 EGV die Frage hätte vorlegen müssen,<br />

ob die Verordnung 1/2003 an dieser Stelle nicht nach Sinn<br />

und Zweck eine Gleichbehandlung durch nationale Gesetze<br />

gebietet. Mit der letzten Änderung des Gesetzes gegen<br />

Wettbewerbsbeschränkungen zum 22. Dezember<br />

2007 wurde die Rechtslage vereinfacht, da nun zukünftig<br />

die aufschiebende Wirkung gegen Verfügungen, die sich<br />

gegen einen Missbrauch nach §§ 19 bis 21 und § 29<br />

GWB richten, vollständig entfällt. Solche Verfügungen<br />

sind künftig von Gesetzes wegen sofort vollziehbar.<br />

1.3 Unbillige Behinderung abhängiger<br />

Unternehmen im Vertikalverhältnis<br />

465. Im Mai 2006 hat das Bundeskartellamt eine Missbrauchsverfügung<br />

gegen die Praktiker Baumärkte GmbH<br />

erlassen. 5 Das Verfahren betrifft das Verhalten von Praktiker<br />

gegenüber seinen Franchisenehmern. Es handelt sich<br />

dabei um das erste behördliche Missbrauchsverfahren, in<br />

dem das Vertikalverhältnis von Franchisegeber und -nehmer<br />

kartellrechtlich untersucht wird. Bisherige Urteile zu<br />

diesem Verhältnis gehen immer auf zivilrechtliche Prozesse<br />

zurück.<br />

466. Die Praktiker AG ist in Deutschland mit ihren<br />

Baumärkten nach Verkaufsfläche der zweitgrößte Anbieter<br />

in der Baumarktbranche. Der Vertrieb von Baumarktsortimenten<br />

erfolgt über zwei Schienen (duales Vertriebssystem).<br />

Zum einen betreibt die Praktiker AG in<br />

5 BKartA, Beschluss vom 8. Mai 2006, B9 – 149/04, WuW/E DE-V<br />

1235.<br />

Deutschland rd. 290 eigene Filialen als Regiebetriebe, die<br />

überwiegend unter dem Namen „Praktiker“, teilweise<br />

auch von einer Tochtergesellschaft und unter dem Namen<br />

„TopBau-Center“ geführt werden. Zum anderen fungiert<br />

die Praktiker Baumärkte GmbH, eine weitere Tochtergesellschaft<br />

der Praktiker AG, als Franchisegeberin gegenüber<br />

rd. 20 unabhängigen Franchiseunternehmen, die die<br />

Bezeichnung „extra Bau & Hobby-Markt“ führen. Das<br />

beanstandete Verhalten betrifft die Praxis der Praktiker<br />

Baumärkte GmbH in ihrer Funktion als Franchisegeberin.<br />

Praktiker ist Normadressat der in § 20 Abs. 1 GWB geregelten<br />

Verbote. Zwar ist das Unternehmen auf dem relevanten<br />

Großhandelsmarkt für Bau- und Heimwerkerbedarf<br />

nicht marktbeherrschend, es ist aber ein marktstarkes<br />

Unternehmen im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 GWB gegenüber<br />

seinen Franchisenehmern. Dies ergibt sich bereits<br />

aus der bestehenden Bezugspflicht der Franchisenehmer.<br />

467. Einige Franchisenehmer von Praktiker hatten die<br />

Verpflichtung, 100 Prozent ihrer Waren vom Franchisegeber<br />

zu beziehen. Gleichzeitig weigerte sich Praktiker,<br />

die von ihm erzielten Einkaufsvorteile an seine Franchisenehmer<br />

weiterzugeben. Vielmehr forderte Praktiker<br />

Bezugspreise für die gelieferten Waren, die nicht nur gelegentlich<br />

über den Preisen liegen, zu denen Praktiker-<br />

Regiebaumärkte diese Waren an Endkunden abgeben.<br />

Das Bundeskartellamt erläutert dies am Beispiel dreier<br />

Produkte – Mauer- und Putzmörtel, Zementmörtel und<br />

Betonestrich –,deren Endverkaufspreis in Praktiker-Baumärkten<br />

unter dem Einkaufspreis der Franchisenehmer<br />

lag. Das Bundeskartellamt stellt daher fest, dass dieses<br />

Vorgehen als erhebliche Behinderung zu werten ist, da die<br />

Betätigungsmöglichkeiten der Franchisenehmer auf diese<br />

Weise erheblich eingeschränkt würden.<br />

468. An dieser Stelle unterscheidet das Bundeskartellamt<br />

zwischen zwei wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen.<br />

An erster Stelle stellt die Nichtweitergabe erzielter<br />

Einkaufsvorteile nach Ansicht des Amtes eine<br />

unbillige Behinderung dar, wenn die Franchisenehmer<br />

gleichzeitig aufgrund einer 100-prozentigen Bezugspflicht<br />

an den Franchisegeber gebunden sind. Die Nichtweitergabe<br />

von Einkaufsvorteilen ist isoliert von der Alleinbezugsvereinbarung<br />

noch nicht als unbillige Behinderung<br />

zu werten. 6 Für missbräuchlich erachtet das Bundeskar-<br />

6 Die Bezugspflicht fällt nach der Gruppenfreistellungsverordnung für<br />

vertikale Vereinbarungen (Vertikal-GVO) unter die Freistellung nach<br />

Artikel 81 Abs. 3 EGV. Demnach sind die in vertikalen Vereinbarungen<br />

enthaltenen Verpflichtungen nur dann nicht freigestellt, wenn sie<br />

sowohl über 80 Prozent der Einkäufe des Abnehmers betreffen als<br />

auch für eine Dauer von mehr als fünf Jahren vereinbart werden. Vgl.<br />

§ 2 Abs. 2 GWB und Artikel 1 lit. b, Artikel 5 lit. a der Verordnung<br />

(EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über<br />

die Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 des Vertrags auf Gruppen von<br />

vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen,<br />

ABl. EG Nr. L 336 vom 29. Dezember 1999, S. 21. Die<br />

Nichtweitergabe von Einkaufsvorteilen stellt isoliert ebenfalls keine<br />

unbillige Behinderung dar. Eine Weiterleitung dieser Rabatte ist nach<br />

der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Fall Sixt nicht verpflichtend.<br />

Vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 1999, WuW/E BGH<br />

264 = NJW 1999, 2671, 2675, „Preisbindung durch Franchisegeber<br />

(Sixt)“.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!