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2. schul - Stiftsschule Einsiedeln

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Im Unterschied zur 6c, meiner Klasse also, kenne ich die 6a und die 6b ja eigentlich nicht,<br />

und doch weiss ich vieles, aus zweiter Hand. Manche Namen hörte man verdächtig oft<br />

im Lehrerzimmer, man weiss schon bald, wer die Minimalisten sind, die Talentierten und<br />

Zivilisierten, die Querulanten und Schlitzohren, man hört, wer mit wem seit wann zusammen<br />

oder eben nicht mehr zusammen ist, die Rekordhalter bei den Absenzen kennt<br />

man, ohne sie zu kennen. Lehrer reden viel, nicht nur im Unterricht. Und im Laufe der Zeit<br />

bildet sich abstraktes Wissen über diese Klassen, das sich verfestigt und hartnäckig hält,<br />

zu Recht oder auch zu Unrecht.<br />

Man weiss etwas aus eigener Erfahrung, oder man weiss etwas aus zweiter Hand.<br />

Empirisches oder abstraktes Wissen also. Ist das eine besser als das andere? Oder<br />

wert voller? Oder wichtiger? Darüber möchte ich heute und an dieser Stelle einige<br />

Überlegungen anstellen.<br />

Seit ich ein kleiner Bub gewesen bin, weiss ich, dass die Welt rund ist, eine Kugel ist. Ein<br />

klassischer Fall von abstraktem Wissen, denn ich habe das nicht erfahren, sondern nur<br />

gelernt und ein halbes Jahrhundert nachgeplappert.<br />

Es gab allerdings einen, der mir dieses abstrakte Wissen anschaulich machen wollte:<br />

mein Grossvater, der Zeit seines Lebens am Bodensee gewohnt hat, dozierte felsenfest,<br />

dass man bei klarer Fernsicht mit dem Boot auf den See hinausfahren könne und von da<br />

aus die Kirche von Konstanz in rund 30km Entfernung sehen könne – oder eben nicht<br />

die Kirche, sondern nur die Turmspitze. Wieso nur die Turmspitze? Erdkrümmung, hiess<br />

die Antwort, die Welt ist eine Kugel. Ich insistierte auf eine Beweisführung, man fuhr<br />

schliesslich auf den See. Aber der Föhn, der für die gute Fernsicht zuständig war, machte<br />

schlapp, dunkle Wolken und Sturm zogen auf, worauf die Beweisführung ins Stocken geriet,<br />

schliesslich scheiterte und später nie mehr nachgeholt wurde, wie das eben so geht.<br />

Natürlich spielt das keine Rolle mehr, ich glaube trotzdem, dass die Erde rund ist, und wir<br />

wissen auch, dass wir das Allermeiste, das wir wissen, nicht aus eigener Erfahrung wissen<br />

können. Die Geschichte der Wissensvermittlung ist die Geschichte einer Verlagerung:<br />

weg von der Unmittelbarkeit der Erfahrung hin zur Vermittlung durch Wissensträger aller<br />

Art. Oder sie ist die Geschichte einer Distanzierung: Zwischen uns und die Welt tritt die<br />

Lehrperson, das Buch, das Internet, in dem wir nachsehen können, wie die Welt beschaffen<br />

ist. Selbstverständlich ist dies im Kern die Grundlage jeden Fortschritts, des Vorankommens<br />

des Menschen schlechthin. Zu riesig ist das vorhandene Wissen, als dass alle,<br />

die Wissen erwerben wollen, hingehen könnten zu den Dingen, um diese in Erfahrung<br />

bringen zu können – und zu aufwändig, wie das Beispiel Bodensee und Kirchturm zeigt.<br />

5. SCHULNACHRICHTEN 135

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