Abschlussbericht der Kommission zur Reform des ...

Abschlussbericht der Kommission zur Reform des ... Abschlussbericht der Kommission zur Reform des ...

12.07.2015 Aufrufe

- 86 -punkt vertraglich vereinbarten Versicherungsleistungen entspräche. Es handelt sich insoweitalso in Wirklichkeit nicht um Aufwendungen zur Abwendung eines ansonsten eintretendenVersicherungsfalles, sondern um die vorzeitige Herbeiführung, d.h. Vorverlegung des Versicherungsfalles.Das aber ist nicht Sinn der Vorerstreckungstheorie.Die in der Sachversicherung durch die Rechtsprechung entwickelte Vorerstreckungstheorie,die in den Entwurf übernommen wird, ist daher auf die Rechtsschutzversicherung nicht anzuwenden.Dies geschieht gesetzestechnisch dadurch, dass die Vorerstreckungsregelungauf die Sachversicherung beschränkt wird.1.3.1.2.4 Kündigung nach VersicherungsfallDie dispositive Vorschrift des § 96 VVG soll über die Feuerversicherung hinaus auf weitereZweige der Sachversicherung angewendet werden (vgl. Ziff. 1.2.4.3). Für die Rechtsschutzversicherungist diese Vorschrift wegen ihres indifferenten Versicherungsfallbegriffes (s.o.Ziff. 1.3.1.2.2) nicht sachgerecht. Dies zeigen insbesondere Beispiele aus dem Beratungs-Rechtsschutz, soweit die Veränderung der Rechtslage den Versicherungsfall darstellt:───Tod eines Erblassers des Versicherungsnehmers,Geburt eines Kindes des Versicherungsnehmers,Trennung des Versicherungsnehmers von seinem Ehegatten.In diesen Fällen würde die Anwendung des § 96 VVG dazu führen, dass der Versicherungsnehmeraußerordentlich kündigen kann, obwohl gar nicht feststeht, ob diese Ereignisseüberhaupt zur Inanspruchnahme des Rechtsschutzversicherers, d.h. zu einer Rechtsberatungoder einem Rechtsstreit führen. Der Versicherungsnehmer könnte sich allein durchMitteilung eines der oben genannten Sachverhalte, weil diese den Versicherungsfall darstellen,von der Rechtsschutzversicherung lösen („Ich teile mit, dass ich mich von meinem Ehegattengetrennt habe, und kündige die Rechtsschutzversicherung“). Damit würde insbesonderedie jetzige AVB-Regelung sinnlos, nach der eine vorzeitige Kündigung möglich ist,wenn der Versicherer seine Leistungspflicht für mindestens zwei innerhalb von 12 Monateneingetretene Rechtsschutzfälle bejaht hat (§ 13 Abs. 2 ARB 2000); der BGH hatte diese Regelungunter der Voraussetzung gebilligt, dass Versicherer und Versicherungsnehmer dasgleiche Kündigungsrecht erhalten (BGH v. 27.03.1991 – IV ZR 130/90, r+s 1991, 200). DieseARB-Regelung ist auch künftig sinnvoll.

- 87 -Die Rechtsschutzversicherung muss daher von der Anwendung des § 96 VVG ausgenommenwerden. Dass es sich um eine dispositive Vorschrift handelt, genügt nicht; denn imRahmen der AGB-Überprüfung könnte eine davon abweichende AVB-Regelung als unangemessenbeurteilt werden. Die Nichtanwendung erfolgt gesetzestechnisch in der Form,dass die Geltung der dem § 96 VVG entsprechenden Vorschrift auf die Sachversicherungbeschränkt wird.1.3.1.2.5 Freie AnwaltswahlDie Sondervorschriften für die Rechtsschutzversicherung sind aufgrund der unter Ziff.1.3.1.2.1 zitierten Richtlinie 87/344/EWG in das VVG eingefügt worden. Wegen des bindendenCharakters dieser Richtlinie ergibt sich insofern grundsätzlich kein Änderungsbedarf.Eine Ausnahme betrifft § 158m VVG:§ 158m Abs. 1 VVG begründet für die Rechtsschutzversicherung das Recht des Versicherungsnehmersauf freie Anwaltswahl. Die Vorschrift setzt Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie87/344/EWG um. Da insoweit auch kein Mitgliedstaatenwahlrecht eingeräumt ist, steht dieVorschrift nicht zur Disposition des nationalen Gesetzgebers.Auf der anderen Seite ist – auch international – eine Tendenz zu Massenprozessen zu beobachten,wenn ein (in der Regel einen haftpflichtrechtlichen Schadensersatzanspruch auslösendes)Ereignis eintritt, das viele gleichartig Geschädigte und einen (vermeintlichen)Schädiger aufweist. Als Beispiele sind Arzneimittelschäden, Flugzeugabstürze, Bombenattentate,Umweltverseuchungen etc. zu nennen. In diesen Fällen kommt es immer häufigernach amerikanischem Vorbild zu „class actions“.Rechtspolitisch ist es sinnvoll, gleichartige Prozesse einer Vielzahl von Klägern gegen denselbenBeklagten zusammenzufassen. Dies erhöht die Prozessökonomie, vermeidet widerstreitendeUrteile und entspricht insoweit auch der ZPO-Reform (Zivilprozessreformgesetz v.27.07.2001, BGBl. I S. 1887; OLG-Vertretungsänderungsgesetz v. 23.07.2002, BGBl. I S.2850). Dieses rechtspolitische Ziel wird jedoch praktisch vereitelt, wenn Rechtsschutzversichertewegen § 158m Abs. 1 VVG getrennte Mandate mit der Folge getrennter Prozesseerteilen. Deshalb soll dem vorgenannten rechtspolitischen Anliegen im Rahmen des Entwurfsunter Berücksichtigung der Richtlinienvorgabe Rechnung getragen werden.

- 87 -Die Rechtsschutzversicherung muss daher von <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> § 96 VVG ausgenommenwerden. Dass es sich um eine dispositive Vorschrift handelt, genügt nicht; denn imRahmen <strong>der</strong> AGB-Überprüfung könnte eine davon abweichende AVB-Regelung als unangemessenbeurteilt werden. Die Nichtanwendung erfolgt gesetzestechnisch in <strong>der</strong> Form,dass die Geltung <strong>der</strong> dem § 96 VVG entsprechenden Vorschrift auf die Sachversicherungbeschränkt wird.1.3.1.2.5 Freie AnwaltswahlDie Son<strong>der</strong>vorschriften für die Rechtsschutzversicherung sind aufgrund <strong>der</strong> unter Ziff.1.3.1.2.1 zitierten Richtlinie 87/344/EWG in das VVG eingefügt worden. Wegen <strong>des</strong> bindendenCharakters dieser Richtlinie ergibt sich insofern grundsätzlich kein Än<strong>der</strong>ungsbedarf.Eine Ausnahme betrifft § 158m VVG:§ 158m Abs. 1 VVG begründet für die Rechtsschutzversicherung das Recht <strong>des</strong> Versicherungsnehmersauf freie Anwaltswahl. Die Vorschrift setzt Artikel 4 Abs. 1 <strong>der</strong> Richtlinie87/344/EWG um. Da insoweit auch kein Mitgliedstaatenwahlrecht eingeräumt ist, steht dieVorschrift nicht <strong>zur</strong> Disposition <strong>des</strong> nationalen Gesetzgebers.Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist – auch international – eine Tendenz zu Massenprozessen zu beobachten,wenn ein (in <strong>der</strong> Regel einen haftpflichtrechtlichen Schadensersatzanspruch auslösen<strong>des</strong>)Ereignis eintritt, das viele gleichartig Geschädigte und einen (vermeintlichen)Schädiger aufweist. Als Beispiele sind Arzneimittelschäden, Flugzeugabstürze, Bombenattentate,Umweltverseuchungen etc. zu nennen. In diesen Fällen kommt es immer häufigernach amerikanischem Vorbild zu „class actions“.Rechtspolitisch ist es sinnvoll, gleichartige Prozesse einer Vielzahl von Klägern gegen denselbenBeklagten zusammenzufassen. Dies erhöht die Prozessökonomie, vermeidet wi<strong>der</strong>streitendeUrteile und entspricht insoweit auch <strong>der</strong> ZPO-<strong>Reform</strong> (Zivilprozessreformgesetz v.27.07.2001, BGBl. I S. 1887; OLG-Vertretungsän<strong>der</strong>ungsgesetz v. 23.07.2002, BGBl. I S.2850). Dieses rechtspolitische Ziel wird jedoch praktisch vereitelt, wenn Rechtsschutzversichertewegen § 158m Abs. 1 VVG getrennte Mandate mit <strong>der</strong> Folge getrennter Prozesseerteilen. Deshalb soll dem vorgenannten rechtspolitischen Anliegen im Rahmen <strong>des</strong> Entwurfsunter Berücksichtigung <strong>der</strong> Richtlinienvorgabe Rechnung getragen werden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!