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Zeitschrift "Militärgeschichte"

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D i e A u t o r e nInhaltDr. Matthias Rogg,geboren 1963 in Wittmund,Wissenschaftlicher Mitarbeiteram MilitärgeschichtlichenForschungsamt, Potsdam;Lehrbeauftragter an derUniversität Potsdam fürNeuere/Neueste GeschichteDr. Eberhard Birk,geboren 1967 in Heilbronn,Dozent für Militärgeschichte ander Offizierschule der Luftwaffe inFürstenfeldbruckPreußen –Ein Rückblick auf Anfang und Ende eines MythosDie Schlacht bei Höchstädtam 13. August 1704Die Wannsee-Konferenzam 20. Januar 1942Portrait eines SchreibtischtätersAdolf EichmannServiceDas historische Stichwort: Kuba-KriseMedien online/digitalAusstellungenLesetippGeschichte kompakt4121822242426272830Dr. Dietmar Schulze,geboren 1966 in Leipzig,HistorikerEike Stegen,geboren 1973 in Bremerhaven,Studium der Neueren und Neuesten Geschichte,freier Mitarbeiter in der Gedenkstätte»Haus der Wannsee-Konferenz«Militärgeschichte im BildKanonenbootpolitikFeldpostkarte eines Matrosen der Kaiserlichen Marine aus Shanghai an seine Mutter in Altenburg vom 18. Oktober1900. Er hatte als Besatzungsmitglied von S.M.S. »Iltis« am Gefecht um die Taku-Forts an der chinesischen Küstenahe Peking am Morgen des 17. Juni 1900 teilgenommen, bei dem sieben Mann der Besatzung fielen und 11 verwundetwurden. Auf der Bildpostkarte seines Schiffes hatder Matrose die Treffer und auch seine eigene Positionwährend des Gefechts (Pfeil) gekennzeichnet.Handschriftlicher Text: »Liebe Mutter! Da es mir immeran Zeit zum Briefschreiben fehlt, so will ich Dirwenigstens auf meiner Iltiskarte meine herzlichstenGlückwünsche zum Geburtstag senden. Gruß Hugo.Die schwarzen Punkte sind die Treffer, die wir imGefecht bei Taku erhalten haben, wo der Pfeil ist, warmein Geschütz beim Gefecht«.Sammlung Eberspächer, Oldenburg31


PreußenPreußen –Ein Rückblick auf Anfang undDie meisten Menschen tun sich heute schwer mit der Bewertung Preußens - und das ist gut so. Wer es sich nicht schwer machtmit der Geschichte dieses Staates, an dessen 300. Geburtstag im vergangenen Jahr allenthalben erinnert wurde, der nimmt es wohlzu leicht mit differenzierter historischer Bewertung. Ganz gleich wie man zu Preußen steht, mit welchem Bildungs- und Erfahrungshintergrundman sich dem Thema nähert – Preußen fasziniert und Preußen polarisiert.Der preußische JanuskopfDie Kritiker sehen in Preußenden Hort eines unseligen Militarismusund Motor einernationalistischen Übersteigerung, dieDeutschland und die Welt im 20. Jahrhundertin zwei furchtbare Kriege gestürzthaben. Tatsächlich haben dieNationalsozialisten eine ahistorischeKette von Friedrich dem Großen überBismarck zu Hitler aufzubauen versucht;eine heimtückische Argumentation,die historische Bezüge und Abhängigkeiteninstrumentalisiert undverdreht. Unstrittig ist die besondereBedeutung nicht allein des Militärs,sondern des Militärischen an sich inder Geschichte Preußens. Der Vorwurfdes Militarismus, also der Überformungaller gesellschaftlichen, wirtschaftlichenund politischen Bereichedurch den »Letztwert« Militär, wurdePreußen immer wieder gemacht. Unzweifelhaftspielte das Militär für denpolitischen Aufstieg und das innereGefüge Preußens eine zentrale Rolle.Man wird sich schwer tun, Vergleichbaresin der europäischen Geschichteder Neuzeit zu finden. Die soziale Militarisierungder Gesellschaft im 18.und die politische Militarisierung im19. Jahrhundert lassen sich genausowenig leugnen wie das gesellschaftlicheLeitbild vom »Militär als Schuleder Nation«.Das nüchterne, von pflichtbewussten,aber unkritischen Staatsdienern verwaltetePreußen, in dem der KriegsgottMars und nicht die Kunst und Wissenschaftbeschirmenden Musen regierten,ist das eine, gern gezeichnete Bild. Dasandere, farbenfrohere, betont die pragmatischeToleranz. Ein zeitgenössischesSprichwort bringt es auf den Punkt:»Niemand wird Preuße denn aus Not,ist er es so dankt er Gott.« Im Gegensatzzu den meisten europäischen NachbarnFriedrich der Große,Bismarck,Hitler.NS-Propagandapostkartevon 1933gab es in Preußen kaum Glaubensverfolgungenund keine Zwangsbekehrungen– im Gegenteil: Allenthalbenkann man Zeugnissen religiöser und ingewisser Hinsicht sogar ethnischer Toleranznachspüren. Berühmt sind dieRandglossen, mit denen Friedrich derGroße schriftliche Eingaben zu kommentierenpflegte. So wehrte er imJahre 1740 einen Vorstoß der evangelischenGemeinde in Glogau gegen diekatholische Nachbarkirche mit der Bemerkungab: »Die Religionen müssenalle tolerieret werden, und muß derFiskal [= das Finanzamt] nur dasAuge darauf haben, daß keine der anderenAbbruch tue, denn hier muß einjeder nach seiner Fasson selig werden.«Diese Toleranz hatte ohne Zweifeleinen praktischen Hintergrund, denndas bevölkerungsarme Preußen war imbesonderen Maße auf Zuwanderungangewiesen. Ganz gleich ob gebildetefranzösische Hugenotten, handwerklichbegabte Holländer, Bauernfamilienaus dem Salzburger Land, Weber ausBöhmen oder jüdische Kaufleute – werdem Staatsaufbau nützte, wurde mitoffenen Armen aufgenommen ... undkonnte in Brandenburg-Preußen glücklichwerden. Frühformen rechtsstaatlicherStrukturen lassen sich in Preußenviel stärker und eher nachweisenals bei den europäischen Nachbarn. Sogalt das »Allgemeine preußische Landrecht«von 1794 nicht nur als das Fortschrittlichsteseiner Zeit; Teile diesesLandrechts galten sogar mehr als 150Jahre später im Bürgerlichen Gesetzbuchder Bundesrepublik Deutschland.4Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


Ende eines MythosBorussia, Gemälde von Adolph Menzel,1868. Sie war das Sinnbild Preußensakg-imagesJanuskopf:Janus war der altrömischeGott der öffentlichenTore undjeden Anfangs. Inder Kunst wurde ermit zwei Gesichterndargestellt. Sein Doppelantlitzsteht bis heute für Gegensätzlichkeitenund Widersprüche in einerSache – die sprichwörtlichen »zweiSeiten der selben Medaille«.Schließlich kann man auf die sinnbildlichgewordenen »preußischen Reformen«,die besondere Förderung derWissenschaften sowie das kulturelleEngagement der Hohenzollern verweisen.Potsdams einzigartige SchlösserundGartenlandschaft steht bis heutestellvertretend für dieses »preußischeArkadien«.Preußens Farben sind Schwarz undWeiß – vielleicht kein Zufall, denndie Wahrheit dessen, was Preußen inseinem Innersten ausmacht, lässt sichweniger in abgestuften Grautönen sondernbesser in scharfen Gegensätzenfestmachen. Wie die Farbfelder der Hohenzollernfahne,so müssen wir auchHohenzollernfahnebei der Bewertung Preußens das Nebeneinandervon Licht und Schattenakzeptieren. Die französische SchriftstellerinGermaine Baronne de Staëlumschrieb diesen Zwiespalt in ihrem1810 erschienenen Hauptwerk »ÜberDeutschland« mit den griffigen Worten:»Preußen zeigt ein Doppelgesicht wieder Januskopf: ein militärisches undein philosophisches.« Preußen, so stelltedie DDR-Historikerin Ingrid Mittenzweiin einem auch im Westen viel beachtetenAufsatz Ende der 70er Jahrefest, hat »zwei Gesichter [...] und es giltzu zeigen, daß es nicht nur Reaktionund Militarismus gab«. Noch provozierenderkönnte man sagen, Preußen,das ist die »Summe seiner Widersprüche«.In dieser Mehrwertigkeit liegtder Reiz, aber auch die Schwierigkeitim Umgang mit der preußischen Geschichte.Militarismus:Seit dem 19. Jahrhundert verwendetesSchlagwort für Denkweisen, die militärischePrinzipien zur Grundlage staatlichenund gesellschaftlichen Handelnsmachen. Das Ausgreifen militärischerOrdnungsformen in den zivilen Bereich,die Verherrlichung des Kriegesund nicht zuletzt die Sonderstellungvon Soldaten im öffentlichen und privatenLeben sind bestimmende Elementedes Militarismus.Preußens Aufstieg zur GroßmachtDie Entstehungsgeschichte Preußensist Kolonialgeschichte.Der Name Preußen leitet sichvon einem kleinen Ostseevolk zwischenWeichsel und Memel, den »Pruzzen«ab. Mit ihrer Unterwerfung im13. Jahrhundert und der zwangsweisenChristianisierung durch den DeutschenOrden verschwand der Stammder Pruzzen rasch von der weltgeschichtlichenBühne. Nur sein Nameblieb bestehen und wurde allmählichvon den deutschen und slawischen Kolonisten,schließlich auch vom Ordensstaatselbst angenommen. Die für dasspätere Preußen so charakteristischeBevölkerungs- und Gesellschaftsstrukturnahm hier ihren Anfang und bliebPreußische Reformen:Versuch, nach der vernichtenden Niederlagegegen Napoleon 1806 denzerrütteten preußischen Staat durchtiefgreifende politische, soziale, wirtschaftlicheund militärische Reformenvon innen zu erneuern. Nach demWiener Kongress (1815) und dem Zurückgewinnender Großmachtstellungwurde das Reformwerk in Preußen allerdingsnicht weiter fortgeführt.Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 5


Kurfürst Friedrich III, seit 1701 Friedrich I. König in Preußen(1688–1713). Gemälde von Antoine Pesne, um 1712Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG), Neues Palais, Foto: Jörg P. AndersFriedrich Wilhelm I. (1688–1740), König in Preußen, der »Soldatenkönig«(1713–1740). Gemälde von Antoine Pesne, 1729bpk, Original: SPSG Berlin-Brandenburg, Schloss Charlottenburgnigsberg selbst die Krone aufs Hauptsetzte, durfte er deshalb und mit Rücksichtauf den polnischen Nachbarn,dem ja Westpolen gehörte, nur denTitel »König in Preußen« führen –ein kleiner Schönheitsfehler, der 1772unter seinem Enkel, Friedrich II., verschwindensollte. Der frisch gekürteKönig »zahlte« dem Habsburger KaiserLeopold I. für die Rangerhöhung miteinem Kontingent von 8 000 Soldaten –dringend benötigtes Menschenmaterialfür die Schlachten im Spanischen Erbfolgekrieg.Bedenkt man, dass Preußenum 1700 nur 1,7 Millionen Einwohnerzählte, kann man die Auswirkungendieses Handels erahnen. Die Wirkungsmächtigkeitder Königsberger Krönungvom 18. Januar 1701 darf bei alldem nicht unterschätzt werden. Preußenmeinte ja eigentlich um 1700 nurden kleineren, territorial randständigenTeil. Gleichwohl setzte sich sehrschnell der eine Namen für die Summealler Teile durch. Der Königstitel spielteals einigendes Element dabei eineentscheidende Rolle – eine wesentlicheKlammer für die regional, historischund damit kulturell extrem heterogene»Streusandbüchse«.Die Leistungen der Nachfolger KönigFriedrichs I. sind beinahe Allgemeingutgeworden. Sowohl den SohnFriedrich Wilhelm I. als auch den EnkelFriedrich II. hat die Nachwelt mit ziel-setzenden Beinamen bedacht. Der ersteregilt als Konsolidierer der zerrüttetenStaatsfinanzen, als Vater der»Riesengrenadiere« und Schöpfer derpreußischen Armee. Ein Mann, der Soldatenliebte wie ein Kind sein Spielzeugund vielleicht deshalb weitgehenddarauf verzichtete, sein Militär als kriegerischesMachtinstrument einzusetzen.Nicht zu Unrecht wird er bis heuteder »Soldatenkönig« genannt. Das istdie eine Seite der eigenwilligen PersönlichkeitFriedrich Wilhelms I. Dieandere zeigt einen Monarchen, der dieinneren Strukturen Brandenburg-Preußensradikal veränderte. Als »sparsamerWirt« und »Plusmacher« durchforsteteer unbarmherzig den Staats-Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 7


Preußenhaushalt nach überflüssigen Ausgaben,er verbesserte die Verwaltungsstrukturen,baute das Medizinal- und Schulwesensystematisch aus und beschnittvor allem die adligen Rechts- undSteuerprivilegien. Dem völlig unaristokratischenFriedrich Wilhelm I. ginges letztlich um eine »Domestizierung«des Adels, der mit Aufstiegschancenim Offizierkorps und inder staatlichen Verwaltung entschädigtwurde. 1740, im Jahrdes Thronwechsels, war Preußendeutlich ärmer an Kunstund Kultur, aber ungleich reicheran Staatseinkünften undmodern ausgebildeten Soldaten.Sein Sohn Friedrich II.(1740–1786), den man bis heute»den Großen« nennt, nutzte dasvom Vater aufgebaute militärischeund wirtschaftliche Potentialkaltblütig aus und machte Preußen indrei blutigen Kriegen (1740–42, 1744,1756–1763) und mit der beginnendenAnnexion von Teilen Polens (1772) zuretablierten Großmacht. Jenseits der moralischenBewertung dieser aggressivenExpansionspolitik, über die mantrefflich streiten könnte, ist die Erfolgsbilanzwirklich beeindruckend. Friedrichdem Großen gelang es nicht nur,Preußen um mehr als ein Drittel zuvergrößern und den ostelbischen Kernbestandzusammenzufügen, vielmehrbehauptete er sich gegen eine übermächtigeKoalition von drei europäischenGroßmächten, nämlich Österreich,Frankreich und Rußland. DieseLeistung ging eigentlich weit über dieKräfte des ärmlichen, kleinen und bevölkerungsarmenLandes hinaus. Feststeht jedoch: Ein Staat, der über 7 Jahregegen drei europäische Großmächteunbesiegt Krieg führte, war am Endeselbst als Großmacht anerkannt. Dieses»Wunder des Hauses Brandenburg«ist sicher auf eine Reihe glücklicherUmstände zurückzuführen. Es ist aberauch der Nährboden, auf dem Mythengedeihen: Der Mythos vom militärischüberragenden, unbesiegbaren Preußen,mit dem es die Vorsehung gut meinte,und nicht zuletzt derjenige vom»Großen König«. Im Glanz seiner militärischenund politischen Erfolge undgeblendet von seinem strahlenden Intellektverblassen die Leistungen allerVorgänger und Nachfolger auf demFriedrich II., der »Große« (1740–1786)Johannes Eckstein, Büste Friedrichsdes Großen, Potsdam 1786;Wachs und Gips. Vitrine:Holz und Glas, 300 x 86 x 86 cm.BraunschweigischesLandesmuseum für Geschichte undVolkstum.Das Bildnis wurde nach der Totenmaskedes Königs geschaffen undzum Vorbild für zahlreiche spätereDarstellungen Friedrichs II.Büste und Vitrine kamen 1787als Geschenk Herzog Ferdinandsvon Braunschweig an das damaligeHerzogliche Museum, heute HerzogAnton Ulrich-Museum, von dort1904 an das damaligeVaterländische Museum, heuteLandesmuseum.Quelle: Gottfried Korff (Hg.)Preussen – Versuch einer Bilanz. Ausstellungsführer,Berlin 1981Hohenzollernthron. Besonders gilt dasfür seinen Großvater, über den FriedrichII. spottete: »Groß im Kleinen,Klein im Großen«.Das »lange Sterben« –die SucheIm Vergleich zu den meisteneuropäischen Mächten leuchteteder preußische Stern nur relativkurz am politischen Ereignishimmel.Gerade deshalb lohnt essich, einmal genauer auf Anfangund Ende dieses ungewöhnlichenStaates zu schauen.Während die historischenFakten, die zum AufstiegPreußens führten, relativunstrittig sind, tun wir unsmit dem Niedergang, dereigentlich ein »langes Sterben«war (Sebastian Haffner)bedeutend schwerer. Das Jahr1871 wird als »Todesdatum« gernegenannt, als Preußen mit derReichsgründung zu einem Gliedstaatdes Deutschen Reiches wurde unddamit seine autonome Außenpolitikaufgeben musste. Am Abend des 17.Januar 1871, dem Vorabend der Kaiserproklamationim Spiegelsaal von Versailles,soll der preußische KönigWilhelm I. Bismarck unter Tränenanvertraut haben: »Morgen ist derunglücklichste Tag meines Lebens. Datragen wir das preußische Königtumzu Grabe.« Andere markieren das Ende1894, als mit Chlodwig von Hohenlohe-Schillingsfürst der erste NichtpreußeReichskanzler wurde und in Personaluniondas Amt des preußischen Ministerpräsidentenübernahm. Dabei handeltees sich um eine ausgesprochenpikante und nicht unumstrittene personalpolitischeEntscheidung des Kaisers,denn Hohenlohe-Schillingsfürstentstammte einer bedeutenden bayerischenAdelsfamilie. Mehr noch drängtsich das Kriegsende 1918 als faktischesTodesdatum auf. Damals verzichteteWilhelm II. – und mit ihmdas Haus Hohenzollern – nicht nurauf die Kaiserkrone, sondern entsagteauch allen Ansprüchen auf den preußischenKönigsthron. Militärgeschichtlichkönnte man alternativ das Jahr1920 nennen, als die letzten preußischenEinheiten und Verbände indie Reichswehr überführt wurden. Diepreußische Armee existierte danach defacto nur noch in den Traditionszimmernder Regimenter oder spukte in8Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


pknach dem Ende Preußensden Köpfen treu gebliebener Monarchisten.Auch 1932 bildet einen markantenEndpunkt. Im krisengeschütteltenStaatsgefüge der Weimarer Republikbildete Preußen bis dahin eine Art Musterlandmit einer stabilen Regierungund einer reformorientierten Gesetzgebung.Am 20. Juli löste ReichskanzlerFranz von Papen in einem Staatsstreichdas letzte demokratisch legitimierteParlament in Preußen auf, enthobden sozialdemokratischen MinisterpräsidentenOtto Braun seines Postensund schickte alle Minister nach Hause.Zu allem Überfluss installierte sichvon Papen selbst als »Reichskommissarfür Preußen« und setzte so jeder verfassungsmäßigenOrdnung ein jähesEnde. Mit dem sogenannten Preußenschlaghörte das Land auf, ein Rechtskörperzu sein. Nur ein Jahr nachder nationalsozialistischen Machtübernahme,1934, verfügte Hitler mit der»Verreichlichung der Länder« die faktischeBeendigung aller föderalen Strukturen.In der gleichgeschalteten »Volksgemeinschaft«des Nationalsozialismushatte der Staat Preußen nichts mehrzu suchen. Für manche Kultur- undKunsthistoriker hingegen starb Preußenin der Nacht vom 14. auf den 15.April 1945, als durch einen Großangriffbritischer Bomber weite Teile derPotsdamer Altstadt in eine Trümmerwüsteverwandelt wurden. Militärischwar das Bombardement völlig unsinnig,richtete es sich doch in erster Linieauf die Bauzeugnisse der untergegangenenpreußischen Monarchie, sinnbildlichauf die Garnisonkirche unddas Stadtschloss, in denen man Symboledes preußischen Militarismus zuerkennen glaubte. Vielleicht war eseher Programm als Zufall, dass derBombenangriff am 14. April erfolgte –dem 200. Jahrestag der Grundsteinlegungvon Schloss Sanssouci. Den endgültigenSchlussakkord bildet schließlichein in der europäischen Geschichteoben: Der sogenannte Tag von Potsdamam 21. März 1933unten: Territoriale AufteilungDeutschlands nach dem ZweitenWeltkrieg – Karte von 1945Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 9


Garnisonkirche:In kaum einem zweiten Bauwerk verschmelzendie Widersprüche preußischerGeschichte so stark wie inder Potsdamer Garnisonkirche. AufBefehl des »Soldatenkönigs« erbaut(1731–1735), diente der mächtige Baunicht nur der Hof- und Garnisonsgemeindeals Gotteshaus, sonderner geriet zur symbolträchtigen Ruhmeshalleder preußischen Militärmonarchie.Sie beherbergte bis zumEnde des Zweiten Weltkriegs nebenden Sarkophagen Friedrich-WilhelmsI. und Friedrichs II. auch eineVielzahl von Feldzeichen und Fahnen.Das nachwirkendste Ereignis im 20.Jahrhundert war zweifellos der theatralischinszenierte Schulterschlusszwischen den Nationalsozialisten undVertretern des »alten Preußen« am21. März 1933, dem »Tag von Potsdam«.Kurz vor Kriegsende wurdedie Garnisonkirche bei einem britischenBombenangriff schwer beschädigt,die Grundmauern bliebenjedoch weitgehend erhalten. Im Zugeder Stadterweiterung Potsdams undnicht zuletzt vor dem Hintergrundder historischen Bürde entschiedensich die Verantwortlichen in der DDR1968 zur Sprengung der Ruine. Seitdemerinnern nur eine Bodenplatteund das 1991 in Potsdam wieder aufgestellteweltberühmte Glockenspielan eines der markantesten Wahrzeichender Stadt. Heute bemühen sichein Verein, die Stadt Potsdam und dieevangelische Kirche um den Wiederaufbaudes Garnisonkirchturms undum seine Nutzung als internationalesVersöhnungszentrum.man sich in der DDR ab den 70erJahren darauf, die eigenen historischenWurzeln freizulegen. Staatlicherseitsstand allerdings nicht der kritische Diskurs,sondern das Legitimationsbedürfnisim Vordergrund: Die DDR suchtenach ihren historischen Vorläufern,den »fortschrittlichen gesellschaftlichenund politischen Kräften« auf deutschemBoden – und bei Preußen wurdeman fündig. Die regionale Überlagerungdes Kerngebiets der Mark Brandenburgmit großen Teilen der DDRwar dabei natürlich kein Zufall. DieKitschpostkarte mit Portraits der Hohenzollern, 1992Benennung höchster militärischer Ordenund Auszeichnungen nach Persönlichkeitenaus den Befreiungskriegen(Scharnhorst- und Blücherorden) oderdie Rückkehr des Reiterdenkmals vonFriedrich dem Großen an seinen ursprünglichenOrt »Unter den Linden«in Berlin stehen sinnbildlich für diesenProzess. In der Bundesrepublik habendie 80er Jahre zu einer erfreulichen,kritischen und in weiten Teilen fairenDiskussion über Preußen geführt. DieAusstellung »Preußen – Versuch einerBilanz« (1981), der 200. Todestag Friedrichsdes Großen (1986) und die Überführungseiner Gebeine von Hechingennach Sanssouci (1991) dokumentiereneindrucksvoll das gestiegene Interessean Preußen. Die lebhafte Diskussionüber den Aufbau der Stadtschlösser inBerlin und Potsdam und nicht zuletztdie zahlreichen Aktivitäten und Ausstellungenim zurückliegenden Preußenjahr2001 haben zu einem wahren»Preußen-Boom« geführt. Das breiteInteresse birgt allerdings die Gefahr derfolklorehaften Idealisierung. Hier reichtder Bogen vom Aufzug rot berockter»Langer Kerls« über Kitschpostkartenmit den Konterfeis der Hohenzollernherrscherbis zur Verklärung der KöniginLuise als »Preußen-Marilyn«.Vor kurzem konnte man im Feuilletonder »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«unter dem Titel »Porzellanpreußen«lesen: »Der Stechschritt hat sich zumSpaziergang gelockert. Schon ist andie Stelle des Januskopfes [...] ein geschmackvollesArrangement aus Vorder-und Hintergrund getreten [...].«Gleichwohl, viele tun sich immer nochschwer mit Preußen – und das ist gut so.• Matthias RoggScharnhorst- undBlücherorden der NVADer Scharnhorstordenwar der höchste militärischeOrden, den die NVA imFrieden verlieh. Der dreistufigeBlücherorden war fürherausragende Leistungenim Krieg vorgesehen.Seine Existenz wurde derÖffentlichkeit erst im Zugeder Auflösung der NVAbekannt.MHM DresdenMilitärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/200211


Schlacht bei HöchstädtDie Schlacht beiDie Schlacht bei Höchstädt am 13. August 1704. Rechts auf dem Schimmel der Herzog von Marlborough. Kopie vonDismar Daegen nach einem Gemälde von Jan van HuchtenburghIn einer Sommernacht im Juli desJahres 1704 fand in Versailles, amHof des französischen KönigsLudwig XIV., ein rauschendes Feststatt. Den Höhepunkt bildete der Vorbeizugeines Siegeszuges des KriegsgottesMars, gefolgt von einer allegorischenDarstellung der Staaten Europas,die ihre symbolische Abbildungin ihren Flüssen – Themse, Schelde,Maas, Neckar und Donau – fanden, diealle dem Monarchen unterwürfig ihreReferenz erwiesen. Zum Abschlussder Festlichkeiten dokumentierte einFeuerwerk die neuartige Dimensionder Kriegskunst sowie die daraus folgendeÜberlegenheit des französischenKriegswesens. Ludwig XIV. feierte sichund sein Königtum. Dazu schien dasvierte Jahr des Spanischen Erbfolgekrieges(1701–1713/14) alle Berechtigungzu bieten: Nun schien es nurnoch eine Frage der Zeit, bis der letztegroße kontinentale Gegner des ›Sonnenkönigs‹– das habsburgische Österreich– seine Waffen strecken müsste.Die politisch-militärstrategische LageÖsterreichs war in der Tat fatal: Diefranzösischen Truppen des GeneralsVilleroi standen in den spanischenNiederlanden und banden die englisch-niederländischeArmee unter demKommando Marlboroughs. Im NordenItaliens bedrohte die Armee des französischenMarschalls Vendôme das habsburgischeTerritorium. Vom Oberrheinaus sollte Marschall Tallard seine Truppennach dem verbündeten Bayernführen, dessen Kurfürst Max Emanuelseine Truppen mit jenen der französischenArmeé d’Allemagne unter GeneralMarsin bereits vereinigt hatte; hinzukam ein Aufstand in Ungarn und Siebenbürgen.Ein konzentrisch angelegterMarsch aller französischen Verbändewäre der militärische Todesstoßfür die politische Existenz Österreichsgewesen.Der sich abzeichnende vollständigeErfolg wurde jedoch innerhalb wenigerWochen zu einem Debakel. Derfranzösische Feldzug von 1704 unddie Schlacht von Höchstädt – sie istim englischsprachigen Raum als »TheBattle of Blenheim« (nach Blindheim,dem Ort der französischen Kapitulation)bekannt – veränderten das politischeGesicht Europas von Grund auf.Die hegemonialen Bestrebungen LudwigsXIV., Europa zu beherrschen,scheiterten endgültig, erst einhundertJahre später unternahm Napoleon einenzweiten französischen Anlauf. DieDynastie der Habsburger ging gefestigtaus diesem Krieg hervor, die konkurrierendenAmbitionen der bayerischenHerrscher (Wittelsbacher) auf den Kaisertitelscheiterten, Bayern blieb fürdie nächsten einhundert Jahre Kurfürstentum.Spanien konnte sich alseigenständiger Akteur auf der europäischenBühne behaupten, und die imFrieden von Utrecht 1713 festgeschriebene›balance of power‹ ließ erkennen,dass der eigentliche Sieger des jahrelangenRingens Großbritannien war.Die beinahe zeitgleiche Einnahme desFelsens von Gibraltar (4. August 1704)und der Sieg bei Höchstädt verdichtensich in der Rückschau gleichsam zummythischen Grundstein für den AufstiegGroßbritanniens zum Weltreich:Höchstädt als Wiege britischer Weltmacht?Dies zumindest deuten nichtzuletzt die Eintragungen englischer Besucherim Heimatmuseum von Höchstädtan.Worum es in dieser in Spanien, Oberitalien,den »spanischen Niederlanden«und Süddeutschland ausgetragenenAuseinandersetzung (dem »SpanischenErbfolgekrieg«) ging, war nichts Geringeresals das – auch überseeische –Erbe des iberischen Königreichs, nachdemder letzte spanische HabsburgerKarl II. am 1. November 1700 kinderlosverstorben war. Die »spanische Frage«beschäftigte die europäischen Kabinettejahrelang, was aufgrund des zuerwartenden Machtzuwachses – Spa-12Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


Höchstädtbpk/Liepe1704am 13. Augustnien umfasste noch die spanischenNiederlande, Neapel, Sizilien, Mailandsowie die gewaltigen Besitzungen inAmerika und Asien – kaum überrascht.In einer Hand würde dieses Erbe dieeuropäische Vormachtstellung Österreichsoder Frankreichs sichern. DerFranzose Ludwig XIV. und der HabsburgerKaiser Leopold I. waren mitSchwestern von Karl II. verheiratet undbeanspruchten das spanische Erbe taktischerVerschleierung wegen nicht fürsich selbst, sondern für die ihren politischenAmbitionen zugänglichen Verwandten:Ludwig XIV. für seinen EnkelPhilipp von Anjou, den späteren KönigPhilipp V. von Spanien; Leopold I. fürseinen zweiten Sohn Karl, den späterenKaiser Karl VI. französischer Diplomatiezugänglich, war es der letzte WilleKarls II., sein Reich Philipp von Anjouzu übereignen, mit der Auflage, Spaniennicht mit Frankreich zu vereinen.Dagegen verstieß jedoch Ludwig XIV.kurz nach dem Tode Karls II. und gabdamit seine universalen Ambitionenzu erkennen. Sofort bildete sich unterder Führung Englands eine Koalitionmit den Niederlanden, dem habsburgischenÖsterreich und dem Reich –für die Gestellung von Truppen fürden heraufziehenden Krieg erhielt derMarkgraf von Brandenburg das Recht,sich »König in Preußen« titulieren zudürfen –, die Spanien, Frankreich,Bayern und dem Erzbistum Kölngegenüberstand. Die Blockbildung warnun abgeschlossen; das Schwert würdedie Entscheidung bringen müssen.Prinz Eugen von SavoyenHeeresgeschichtliches Museum, Wien»Die Annalen der britischen Armeekennen keine heldenhaftere Episode alsMarlboroughs Marsch von der Nordseezur Donau.« So urteilte der späterebritische Premierminister WinstonChurchill über die Leistung seines Vorfahren.Um jedoch zur Donau zu gelangen,waren politische und militärstrategischeEntscheidungen notwendig.Österreich, dem wichtigsten Verbündetendes Inselreichs, drohte die Zerschlagung,die kontinentale HegemonieFrankreichs dämmerte am Horizontherauf! Die Wende des Kriegesmusste in dieser militärischen Konstellationnun in Süddeutschland erzwungenwerden. Diese Beurteilung derLage Marlboroughs deckte sich vollkommenmit jener des Prinzen Eugen,der als Präsident des HofkriegsratsÖsterreichs außen- und militärpolitischeGeschicke leitete. Die strategischeInitiative war nur durch einenschnellen Marsch zur Donau zurückzugewinnen.Hierfür musste Marlboroughdiplomatisch und militärstrategischgeschickt vorgehen: Er suggeriertesowohl den verbündeten Holländern,von denen er seine Truppenabzog, wie auch seinen Gegnern, denfranzösischen Truppenführern, durchdie Konzeption seines Marsches offensiveOptionen seiner Truppen am Rheinund an der Mosel. Diese strategischeAblenkung verfolgte das Ziel, seinedurch dänische, hannoversche und hessischeSoldaten aufgewachsene holländisch-englischeArmee mit den Kräftendes Reiches unter der Führungdes Markgrafen Ludwig Wilhelm vonBaden (»Türkenlouis« genannt) unddes Prinzen Eugen zu vereinigen, umMilitärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 13


Schlacht bei HöchstädtHabsburg, Österreich, KaiserDie Habsburger oder auch »das HausHabsburg« stellten seit dem späten Mittelalterdurchgängig den Kaiser des»Heiligen Römischen Reiches DeutscherNation«, was aber im Laufe der Zeit mehrund mehr nur noch ein Amt ohne Einflusswar. Die eigentlichen Machthaberim Reich waren die vielen Fürsten, ammächtigsten zum Zeitpunkt der Schlachtvon Höchstädt wohl der Kurfürst vonBayern, der sogar gegen den Kaiser Kriegführte. Dagegen konnte der Kaiser sichmilitärisch im Reich nur auf kleinereKontingente einzelner ihm ergebenerFürsten stützen, die sogenannte Reichsarmee,die nur im Kriegsfall aufgestelltwurde. Die Hausmacht der Habsburgerwar dafür umso größer: Neben ihrenösterreichischen Kernlanden hatten siezahlreiche Besitzungen an sich gebrachtund ein gewaltiges Reich geschaffen. Sieverfügten neben der Reichsarmee auchüber eine eigene, weit größere Armee.Seit dem 16. Jahrhundert wurde auchSpanien mit seinen zahlreichen Besitzungen(die »spanischen Niederlande« = dasheutige Belgien und Besitzungen in Italiensowie in Süd- und Mittelamerika)von einer Linie des Hauses Habsburgregiert.in Bayern, dem Stützpfeiler französischerAußenpolitik, die Entscheidungzu suchen. Das Einfallstor nach Bayernwar Donauwörth. In den Abendstundendes 2. Juli 1704 erzwangen dieTruppen Marlboroughs und des MarkgrafenLudwig in einer verlustreichenSchlacht die Erstürmung des Schellenbergesoberhalb Donauwörths durcheinen Angriff aus der Bewegung – jedeweitere Stunde des Wartens, so ihreÜberlegung, würde 1000 Mann kosten.Der Weg nach Höchstädt – verstandenals Ziel militärischen Schlagens – warfrei.(militär-)politischer: Die Verschonungder persönlichen Besitztümer des Kurfürstensollte die Bevölkerung gegenden eigenen Monarchen aufbringenund den Kurfürsten, wollte er nichtdie Seiten wechseln, zur Schlacht zwingen,ehe französische Verstärkung vomOberrhein herankam.Kurfürst Max Emanuel jedoch wartete,bis er am 4. August seine Truppen mitjenen Tallards vor Augsburg vereinigenkonnte. Von nun an drängte erden französischen Marschall zu offensivenOperationen, die dieser jedochablehnte, da er das für diesen Feldzugübergeordnete strategische Prinzip desAbwartens, das Aufrechterhalten derstrategischen Bedrohung Wiens an derDonaulinie, besser begriff als der zurEntscheidung drängende Kurfürst.Trotz der Nähe der Alliierten, trotz derKenntnis von deren Überraschungsangriffauf den Schellenberg waltetejedoch eine gewisse Sorglosigkeit – werwürde eine derartig große Streitmachtangreifen? – im bei Höchstädt bezogenenLager der französisch-bayerischenArmee: Fouragiertrupps zogenam Morgen des 13. August 1704 durchdie Dörfer, es gab keinerlei Vorbereitungenfür eine eventuelle bewaffneteAuseinandersetzung. Sollte es jedochzur Schlacht kommen, war die Aufstellungder französisch-bayerischen Armeezur Schlacht wenn nicht brillant,so doch den Regeln der Kriegskunstim komplexen System der Lineartaktikfolgend, in hohem Maße befriedigend.Ludwig XIV.,König von Frankreich(*1638, †1715)Unter Ludwig XIV. stieg Frankreichzur europäischen Hegemonialmacht auf.Zum Zeitpunkt der Schlacht von Höchstädtwar der »Sonnenkönig« auf demGipfel seines Erfolgs: In zahlreichen Kriegenhatte er Länder an sich gebrachtund seine Macht immer weiter gesteigert.Nach 1704 wendete sich sein Glück:auch wenn er am Ende des SpanischenErbfolgekrieges seinen Enkel Philipp vonAnjou als spanischen König durchsetzenkonnte, misslang ihm doch die VereinigungFrankreichs und Spaniens in einerHand. Auf dem Kontinent gab es nachwie vor mit Österreich eine ähnlich starkeMacht, die Ludwigs Alleinherrschaft verhinderte.Die gewaltigen Schulden, zudenen seine Kriege geführt hatten, bildeteneine schwere Belastung für das Land.In einem leichten Bogen hinter demdamals versumpften Nebelbach zwischenLutzingen im Nordwesten undBlindheim im Südosten erstreckte sichdie Aufstellung, verstärkt durch diebefestigten Ortschaften Lutzingen(links), Oberglauheim (Zentrum) undBlindheim (rechts) als Pfeiler der Verteidigungmit an den bewaldetenHöhenzügen bei Lutzingen und einerDonauschleife bei Blindheim angelehntenFlügeln auf einer Länge von sechsbis sieben Kilometern: Die Lagerauf-Deutsches MilitärarchivIm Anschluss an die Erstürmung desSchellenberges, womit er Donauwörthals Operationsbasis gewonnen hatte,ließ Marlborough das KurfürstentumBayern (mit Ausnahme der kurfürstlichenBesitztümer!) systematisch verwüsten.Dies war ein Rückfall in dieZeiten des Dreißigjährigen Krieges. DerZweck dieser Vorgehensweise war einÜberfall aus dem Hinterhalt auf eine Transportkolonne. Wirkteppich, Neues Schloß Schleißheim14Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


Eugen Franz, Prinz von Savoyen-CarignanPrinz Eugen von Savoyen-Carignan,1663–1736, floh 1683 aus Frankreich, wosein Eintrittsgesuch ins Heer abgelehntworden war und trat in die kaiserlicheArmee ein. Er wurde im Zuge der Türkenkriegezum berühmten Feldherr. NebenHöchstädt hat vor allem die Eroberungdes von den Türken besetzten Belgrad imJahre 1718 zu seinem Ruhm beigetragen.John Churchill, Herzog von MarlboroughJohn Churchill Herzog von Marlborough,1650–1722, britischer Heerführer undPolitiker, erreichte während des SpanischenErbfolgekrieges als Oberbefehlshaberder britisch-niederländischen Armeeden Höhepunkt seiner Macht und seinesEinflusses. Nachdem sich 1710 im englischenParlament die Kriegsgegner durchgesetzthatten, wurde er 1711 entlassen.stellung wurde später der Not gehorchendzur Schlachtaufstellung – eineUmgruppierung der Kräfte im Angesichtdes überraschenden Angriffsbeginnswar unmöglich. Es gab jedochkeinen einheitlichen Oberbefehl zurKoordination der Gesamtschlacht –Marsin und der Kurfürst würden ihreSchlacht am linken Flügel führen,Tallard seine Schlacht am rechtenFlügel. Die lang ausgestreckte Front derKavallerie Tallards zwischen Oberglauheimund Blindheim besaß nur eineschwache Reserve. Die Schwäche dieserAufstellung war dem Prinzen Eugenund Marlborough dadurch bekannt,dass sie am Vortag der Schlacht vomKirchturm des benachbarten Tapfheimaus die Dislozierung der gegnerischenFormationen beobachten konnten. IhrEntschluss konnte nur lauten: Unterfrontaler Bindung der Truppen desbayerischen Kurfürsten und Marsinsam rechten Flügel der eigenen Aufstellungdurch Prinz Eugen sowie jenerTallards durch den eigenen linkenFlügel vor der Ortschaft Blindheimsollten die Voraussetzungen für denDurchbruch starker Kavallerieverbändeim Zentrum – mit der Optionzur Einkesselung beider feindlicherFlügel in den befestigten OrtschaftenLutzingen und Blindheim – geschaffenwerden. Währenddessen traf dieGegenseite Vorbereitungen für einenRuhetag. Dass den mehr als 100 000Soldaten beider Seiten aus zahlreichenLändern des Kontinents eine europäischeVölkerschlacht bevorstand, ahntennur wenige.Umso größer war die Überraschung,als am Morgen des 13. August dieneun Kolonnen Marlboroughs undEugens aus dem Nebel heraus vorTallards Armee auftauchten: MarlboroughsTruppen, die den linken Flügelder alliierten Formation bildeten, standenangriffsbereit vor Tallard undBlindheim. Dieses Überraschungsmomentging jedoch dadurch verloren,dass die Truppen des Prinzen Eugenfür die Einnahme der Ausgangsstellungam rechten Flügel gegenüberden ganzen Vormittag benötigten. Erstgegen 12 Uhr war die Aufstellung derAlliierten beendet: Beinahe zwei Dritteldes Heeres bildeten unter dem Oberbefehlvon Marlborough den linkenFlügel, dessen Infanterie und Kavallerievier bis teilweise sechs Treffen starkgestaffelt stand, wohingegen Eugen beigenauso breiter Front deutlich geringereTruppenkontingente zur Verfügunghatte. Seine Front war also wenigertief gestaffelt und daher auch zahlenmäßigschwächer.Soldaten um 1700. Ausschnitt aus einemGemälde von H. KnötelLineartaktikZur Zeit der Schlacht von Höchstädtmarschierte die Infanterie wegen dergeringen Zielgenauigkeit und Feuergeschwindigkeitihrer Waffen in langenLinien auf, um möglichst viel Feueran den Feind zu bringen. Diese Linienwaren mehrere »Treffen« stark, es standenalso mehrere Linien hintereinander,die – liegend, kniend, stehend – abwechselndfeuern konnten. Erst wenn mansehr dicht an den Feind herangerücktwar, kam es zu Kämpfen in aufgelösterOrdnung, beispielsweise in Ortschaften.Während das Schlachtgeschehen zwischenden französisch-bayerischenTruppen und denen Eugens in derSchwebe blieb, wurde der Erfolg letztlichim alliierten Schwerpunkt durchdie Truppen Marlboroughs erzielt. Denersten Stoß führte die Brigade Cutts,der die Feuereröffnung aber erst mitdem Erreichen der befestigten OrtschaftBlindheim erlaubt wurde. Diedaraus resultierenden Verluste warenimmens, dennoch folgte Angriff aufAngriff. Der örtliche französische Kommandeur,Marquis de Clérambault,war von den vorgetragenen Angriffenso beeindruckt, dass er ohne WissenTallards die vorgesehene Reservebereits zu diesem frühen Zeitpunkt indas Kampfgeschehen um Blindheimeinband – ein schwerer Führungsfehlermit fatalen Folgen. Es war dieReserve, die später beim KavalleriedurchbruchMarlboroughs fehlte undin der bedrängten Ortschaft ihre Feuerkraftnicht zur Wirkung kommenlassen konnte. Der Kampf um Blindheimentwickelte sich zu einer Schlachtin der Schlacht. Am Ende des Tagesstand, nachdem vor der Kapitulationdie Fahnen der traditionsreichen Regimenterverbrannt worden waren, dieGefangenschaft der dort eingeschlossenenfranzösischen Truppen.Gegen 15 Uhr trat auf dem gesamtenSchlachtfeld eine Art Gefechtspause ein– zu groß war die Erschöpfung der Soldatenan diesem heißen Sommertag.Marlborough nutzte die Zeit zur Vorbereitungeiner der größten Kavallerieattackendes Jahrhunderts. Zwischen16.30 und 17 Uhr traten achtzig bisneunzig Schwadronen, dahinter dieInfanteriebataillone, zur Entscheidungan. Der massierte Durchbruch durchdie feindlichen Linien in den Rückender französischen Truppen gelang,Tallards Zentrum war zerschlagen,die französische Kavallerie ritt dieeigene Infanterie nieder. Die linksMilitärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 15


Schlacht bei HöchstädtQuelle: England under Queen Anne Blenheim by George Macanlay Trevelyan, O.M., London, New York, Toronto 1931und rechts einschwenkenden ReiterverbändeMarlboroughs bedrohtendie Gesamtaufstellung des Gegners.Marsin und der bayerische Kurfürstmussten ihre Truppen zurücknehmen,Blindheim wurde von der nachrückendenInfanterie Marlboroughs eingekesselt.Der verwundete Tallard wurde voneinem hessischen Offizier gefangengenommenund Marlborough zugeführt.Eine weiträumige, groß angelegteVerfolgung seitens der Alliierten unterblieb:Der Zusammenhang derSchlachtordnung war aufgelöst, manmusste die eigenen Truppen konsolidieren,und starke feindliche Kräfte inBlindheim führten den Kampf nochfort. Die am späten Abend erfolgteKapitulation der französischen Truppenin Blindheim bescherte den Alliiertenfast 14 000 Gefangene. Unter diesenUmständen – Bewachung, Verpflegung– war an eine Verfolgung nicht zudenken, zumal die Verluste der Alliierten(ca. 12 000) denen der französisch-bayerischenArmee (ca. 14 000)kaum nachstanden. Eine Franziskanerinder nahen Donaustadt Günzburg,durch welche die zurückweichendenTruppen am Abend der Schlacht zogen,beschrieb das äußere Erscheinungsbildder geschlagenen Armee in der Klosterchronik:»Es ist erbärmlich anzusehengewesen, wie die Trümmer derbayerisch-französischen Armee durchGünzburg flüchteten, denn viele Vornehmesind dahergelaufen nur in denHosen ohne Rock und ohne Schuhe,viele sind geritten ohne Hand oderArm oder Fuß [...] es war ein erbärmlichesJammergeschrei.«Das Schlachtfeld blieb mit 26 000 Totenund Verwundeten bedeckt. Mit ca.25 Prozent Verlusten war Höchstädteine der blutigsten Schlachten des 18.Jahrhunderts. Staunend und ungläubignahm Europa die Geschehnissezur Kenntnis: Der Nimbus der Unbesiegbarkeitder französischen Waffenwar zerstört. Höchstädt wurde zumGrab der militärischen Reputation derfranzösischen Armee. Die HoffnungenFrankreichs, europäische Hegemoniemachtzu werden, waren erschüttert,der Aufstieg Großbritanniens begründet,Österreich blieb erhalten, Bayernschied aus dem Konzert der großenMächte aus. Die Leidtragenden warenneben den Verwundeten und den Angehörigender Gefallenen die Bewohnerdes Umlandes, die durch Truppenbewegungen,Kontributionen, Brandschatzungenund weitere Übergriffeihrer Lebensgrundlagen beraubt wurden.Eine Eingabe des HöchstädterGerichtsvogtes Sebastian Bürger anden bayerischen Kurfürsten aus demJahre 1719, in der er eine Entschädigungfür die Beerdigung von 15 000Gefallenen forderte, die er mit seinenHelfern innerhalb von 27 Tagen nachder Schlacht bestattet hatte, verdeutlichtdie Gleichgültigkeit, mit der dielokalen Obrigkeiten diesen Schicksalengegenüberstanden.Nachleben einer SchlachtDer Feldzug von 1704 und insbesonderedie entscheidende Schlachtvon Höchstädt wurden in der britischen(Militär-)Geschichtsschreibungzu einem Mythos. Churchill gar konntesich zeitlebens nicht davon befreien:geboren in Blenheim-Palace, der Marlboroughfür seine Verdienste von derbritischen Regierung erbaut wordenwar, angesichts einer diesen Palast umgebendenParkanlage, deren Bewuchsden Schlachtlinien der Schlacht beiHöchstädt nachempfunden wurde, einer›Tradition‹, die am Jahrestag derSchlacht vorsah, dass ein Bote desHerzogs von Marlborough symbolischdem Monarchen bei der Schlachterbeutete französische Fahnen überbrachte,und einer Kapelle mit demGrab des Herzogs, in dem ein Relief dieGefangennahme des Marschall TallardSchwadronEinheit der Kavallerie, entspricht derKompanie bei der Infanterie und der Batteriebei der Artillerie.16Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


Bw-Kartenblatt L7328, Höchstädt an der Donau, Maßstab 1 : 50 000darstellte, kaum verwunderlich. FürChurchill war der 13. August, wie erin seiner Geschichte des Zweiten Weltkriegesbekannte, der Tag von Höchstädt;und als der britische FeldmarschallMontgomery am 13. August 1942in Ägypten das Kommando über die8. Armee übernahm, wies er späterin dessen Gästebuch ausdrücklich daraufhin. So überrascht es auch nicht,wenn er sich bereits seit 1909 mehrmalspersönlich Eindrücke vom Schlachtfeldin der Donaulandschaft verschaffte, diedann im Zweiten Weltkrieg von britischenBristol-Blenheim-Bombern überflogenwurde, und dass der Bürgermeistervon Höchstädt im Jahre 1949 voneiner britischen Stadt die Bitte übersandtbekam, er möge ihr zum Zweckeder Fertigung eines Marschallstabesfür Churchill ein Stück Nussholz vomSchlachtfeld zukommen lassen.Aber auch die Leistungen des PrinzenEugen fanden ihre Anerkennung. Insbesonderezeitgenössische Soldatenliedergeben darüber beredten Ausdruck.So war es also den Zeitgenossenbewusst, dass das großartige Einvernehmender beiden alliierten Heerführerden Grundstein des Erfolgesbildete. Dies dokumentiert eine holländischeDenkmünze, deren Vorderseitedie Brustbilder Marlboroughs undEugens von Lorbeer umrankt darstellt,die Rückseite das Schlachtfeld vonHöchstädt abbildet, überschrieben mit»Herorum concordia victrix!« – DerHelden Eintracht war die Siegerin.• Eberhard BirkPraktische Gestaltungstipps für einemilitärhistorische ExkursionMilitärgeschichte, gruppiert und zentriertum eine Schlacht, eine bedeutende nochdazu, kann bei einem Vortrag eines engagiertenLehrers im Unterrichtsraum Interessewecken. Noch ungleich interessanterist aber das Erlaufen des Schlachtfeldes,das Einnehmen von Beobachtungsperspektivender damals Handelnden – des militärischenFührers, wie auch des militärischGeführten – möglichst am Jahrestag derSchlacht bei vergleichbaren Erfahrungsmöglichkeiten.Höchstädt eignet sich für einemilitärhistorische Exkursion wie kaum eineandere Schlacht, denn das Schlachtfeld istFeld geblieben – die kleinen Ortschaftenhaben fast noch immer die gleichen Ausdehnungenwie vor beinahe 300 Jahren. Alleindie Wasserläufe – Nebelbach und Donau –wurden reguliert.Wie bei jeder militärhistorischen Exkursionsollten im Verband zunächst Vorbereitungenim eigenen Unterrichtsraum durchgeführtwerden; zwei Doppelstunden mit folgendenThemen sollten genügen: Europa um 1700. Politische Hintergründestruktureller Friedlosigkeit Spanischer Erbfolgekrieg Stehende Heere/Die Lineartaktik Feldzug und Schlacht bei HöchstädtErst darauf aufbauend sollte die Exkursionzum Schlachtfeld erfolgen. Nach der Wahleines Beobachtungspunktes (wahlweise mehrerePunkte für den Verlauf der Schlacht)im Gelände können auch Arbeitsgruppengebildet werden, die Ausbildungsinhalte wieGeländeorientierung, Beurteilung der Lageaus Sicht der Verteidiger und Angreifer, VergleichVerlauf der Schlacht/Grundsätze derTruppenführung u.a. mehr vertiefen.Als Abrundung des Programms bietet sichein Besuch im Heimatmuseum in Höchstädtan. Dort wurde zwischen 1982 und 1986in rund 15000 Arbeitsstunden ein Zinnfiguren-Dioramamit fast 8000 historisch getreubemalten Figuren erstellt, das die entscheidendePhase der Schlacht – den KavalleriedurchbruchMarlboroughs zwischen Blindheimund Oberglauheim – nachbildet. Füreine Führung durch das Museum empfiehltsich eine frühzeitige Kontaktaufnahme mitdem Heimatpfleger. Ein Ausflugslokal beiLutzingen bietet einen Überblick über dasSchlachtfeld.Eberhard BirkExkursionstipp:Heimatmuseum HöchstädtMarktplatz 789420 Höchstädt a.d.DonauTel.: (09074) 4956 / Fax: (09074) 4455www.hoechstaedt.de/museumLiteratur:Winston S. Churchill, Marlborough. DerWeg zum Feldherrn 1650-1705, Zürich1990 (= Manesse Bibliothek derWeltgeschichte)Walter Hummelberger, Die Schlacht beiHöchstädt am 13. August 1704, in:Österreichische Militärzeitschrift (ÖMZ)2/1964, S. 374-379Helmut Schnitter und Thomas Schmidt,Absolutismus und Heer, Berlin (Ost) 1987.Ernst Trost, Prinz Eugen, Wien undMünchen 1985Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 17


DIE WANNSEE – KOWannsee-KonferenzHaus der Wannsee-Konferenz, Ansicht der Villa Minoux um 1930GHWK, BerlinAm 20. Januar 1942 hatte ReinhardHeydrich zwei wichtigeTermine. Als Chef des Reichssicherheitshauptamtes(RSHA) lud eram Vormittag zu einer Konferenz ineine Villa am Berliner Wannsee. AmAbend begleitete Heydrich in seinerFunktion als stellvertretender Reichsprotektorfür Böhmen und Mähren dieEinführung der neuen Protektoratsregierungauf der Prager Burg. Überseine Anwesenheit in Prag informiertedie NSDAP-Zeitung »Völkischer Beobachter«ihre Leser am nächsten Tagin einem zweispaltigen Artikel – dieBesprechung in der Villa Minoux, dieals Wannsee-Konferenz in die Geschichteeingehen sollte, fand hingegenkeine Erwähnung.Oft vermitteln Publizistik und Geschichtsschreibungden Eindruck, aufder Wannsee-Konferenz sei unter Federführungvon Reinhard Heydrichder endgültige Beschluss zur Ausrottungder europäischen Juden gefasstworden. Das ist jedoch eine unzulässige,die Tatsachen verfälschende Vereinfachung.Die Wannsee-Konferenzdiente der Organisation eines Völkermordeseuropäischer Dimension. Siewar aber keinesfalls der Auftakt derEndlösung. Massaker an der jüdischenBevölkerung Deutschlands, Polens, derbesetzten Gebiete Südosteuropas undder Sowjetunion waren längst grausameRealität.Die ursprünglichen Planungen hattenvorgesehen, bereits im Dezember 1941am Wannsee zu tagen. Wohl wegen desjapanischen Überfalls auf Pearl Harborund der folgenden deutschen Kriegserklärungan die Vereinigten Staatenwurde das Treffen um einige Wochenverschoben. Aus dem erhaltenen Textder Einladung geht hervor, dass Heydrichdie Teilnehmer über einen BefehlHermann Görings vom 31. Juli 1941informieren wollte. Göring hatte denChef des Reichssicherheitshauptamteszum »Beauftragten für die Vorbereitungder Endlösung der europäischenJudenfrage« ernannt und ihm den Auftragerteilt, einen Plan für die angestrebte»Endlösung« zu erarbeiten. Inder Besprechung sollten alle notwendigen»organisatorischen, sachlichen undmateriellen Belange« geklärt werden,um Europa während des Krieges undim Rücken der Front »judenfrei« zumachen.Heydrich hatte mehrere Gründe, dieSpitzen von Ministerial- und Parteibürokratiezusammenzurufen. Zum einenwollte er diese Männer in seine Aufgabeeinbinden, denn trotz seiner Machtfüllewar er auf ihre Mitarbeit angewiesen.Zum anderen war er bestrebt,die Federführung des RSHA bei derVerwirklichung seiner Vernichtungsplänefest zuschreiben, um nach dem»Endsieg« über die Sowjetunion undder »Endlösung der Judenfrage« denRuhm einzustreichen. Daneben gab esweitere Gründe für die Zusammenkunft.Heydrich verfolgte schon seiteiniger Zeit einen Deportations- undAusrottungsplan. Nachdem die Mordaktionenin großem Stil angelaufen18Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


NFERENZullstein bildSS-ObergruppenführerReinhardHeydrich,Chef derSicherheitspolizeiund desSicherheitsdienstesder SS (SD) und desRSHAwaren, kam es jedoch zu Problemenvor Ort. Die Leiter der mit den Exekutionenbeauftragten Einsatzgruppenberichteten nach den ersten Massakernvon psychischer Anspannung ihrerMänner. Es zeigte sich, dass ein Massenmorddieses Ausmaßes durch Erschießungsaktionennicht zu bewerkstelligenwar. Außerdem war das Gemetzelauf Dauer nicht vor der einheimischenBevölkerung zu verbergen.Hinzu kamen Abstimmungsprobleme.Unklar war, ob bestimmte Personengruppenunter den Juden von derTötung ausgenommen werden sollten.Im besetzten Baltikum und in Weißrusslandherrschte Uneinigkeit in derFrage, ob auch arbeitsfähige Judengetötet werden sollten. Der »Generalkommissarfür Weißruthenien« beschwertesich, dass unter den Deportiertenaus dem »Altreich« Teilnehmerdes Ersten Weltkrieges und Angehörigevon aktiven Wehrmachtssoldatenwären. Außerdem gab es zwischen derdeutschen Zivilverwaltung der besetztenGebiete und den EinsatzgruppenStreit über das Eigentum der Mordopfer.Vor Problemen standen HeydrichsMänner aber nicht nur im Osten, sondernauch in der Heimat. Nicht wenigeBetriebe, Arbeitsämter und Rüstungsinspektionenversuchten, Juden vonden Deportationslisten streichen zulassen, um die ohnehin angespannteArbeitskräftesituation nicht noch weiterzu verschärfen.Es ist schwierig, den Ablauf der Tagungim Januar 1942 zu rekonstruieren. Dashinterlassene Protokoll ist eine mehrmalsüberarbeitete Fassung stenografischerNotizen. Es wurde von SS-ObersturmbannführerAdolf Eichmann verfasst.Fest steht: Die Konferenz fand inruhiger und entspannter Atmosphärein einem repräsentativen Ambientestatt. Sie endete nach etwa 11⁄2 Stundenzwanglos mit Cognac und einemspäten Frühstück. Ebenso ist der Teilnehmerkreisbekannt, 15 Männer undeine Frau. Die Männer waren Beamteim Range von Staatssekretären, Parteifunktionäreund SS-Offiziere. EineSekretärin stenographierte das Gesprochene.Es mag verwundern, dass keine Vertretervon Wehrmacht und DeutscherReichsbahn in die Planungen eingebundenwurden. Ihre Anwesenheit warjedoch gar nicht mehr zwingend nötig,weil die Zusammenarbeit bereits reibungslosvonstatten ging. Seit Oktober1941 rollten Züge mit deportiertenJuden Richtung Osten und Einheitender Wehrmacht waren längst schon anMassenerschießungen in Serbien undder Sowjetunion beteiligt.Dem Protokoll zufolge referierte Heydrichdie meiste Zeit. Er begann seineAusführungen mit dem ausdrücklichenHinweis auf seine Autorisierungdurch Göring: »Die Federführung beider Bearbeitung der Endlösung derJudenfrage«, so Heydrich, »liege ohneRücksicht auf geographische Grenzenzentral beim Reichsführer-SS und Chefder Deutschen Polizei«. Für die »unmittelbarbeteiligten Zentralinstanzen«gelte es, sich »im Hinblick auf dieParallelisierung der Linienführung«abzustimmen und »Klarheit in grundsätzlichenFragen« zu schaffen. Danngab Heydrich einen kurzen Rückblickauf die bisherigen Formen der Verfolgungund Diskriminierung der Juden.Er begann mit dem »Gesetz zurWiederherstellung des Berufsbeamtentums«vom 7. April 1933, das aufStaatssekretärDr. Alfred Meyer,Reichsministerium für diebesetzten OstgebieteStaatssekretärErich Neuman, Beauftragterfür den VierjahresplanStaatssekretärDr. Josef Bühler, Regierungdes GeneralgouvernementsMinisterialdirektorDr. Gerhard Klopfer,ParteikanzleiSS-GruppenführerOtto Hofmann, Rasse- undSiedlungshauptamtDr. Eberhard Schöngarth,Befehlshaber derSicherheitspolizei imGeneralgouvernementStaatssekretärDr. Wilhelm Stuckart,Reichsministerium desInnerenStaatssekretärDr. Roland Freisler,ReichsjustizministeriumUnterstaatssekretärMartin Luther,Auswärtiges AmtMinisterialdirektorWilhelm Kritzinger,ReichskanzleiSS-GruppenführerHeinrich Müller,RSHA (Gestapo)Dr. Rudolph Lange,Kommandeur derSicherheitspolizei inLettlandFotos: BundesarchivMilitärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 19


Wannsee-KonferenzDer Konferenzraum, Ansicht aus dem Jahr 1922.GHWK, BerlinGrund eines »Arierparagraphen« dieEntfernung jüdischer Beamter, Angestellterund Arbeiter aus dem Staatsdienstermöglichte. Er sprach überdie »Nürnberger Gesetze«, das »Blutschutzgesetz«und das »Reichsbürgergesetz«,aus dem Jahr 1935, die die jüdischeBevölkerung quasi legal politischund gesellschaftlich isolierten. Under erwähnte die »Kristallnacht« vom9./10. November 1938, ein Pogrom,bei dem im gesamten Deutschen Reichungefähr 100 Juden ermordet und mehrereTausend in Konzentrationslagerverschleppt worden waren. Ziel allerRepressionen sei gewesen, auf »legaleWeise den deutschen Lebensraum vonJuden zu säubern«, das heißt, die jüdischeBevölkerung zu zwingen, unterZurücklassung ihres Vermögens auszuwandern.Der Ausbruch des ZweitenWeltkrieges bot nun die Möglichkeit zueiner noch radikaleren, mithin unvorstellbarenMaßnahme – der systematischgeplanten und industriell durchgeführtenErmordung von MillionenMenschen.Anschließend kam der Chef des RSHAauf die Dimension der angestrebtenEndlösung zu sprechen. Ungefähr elfMillionen Juden aus allen europäischenStaaten sollten deportiert werden– auch aus Ländern außerhalb desdeutschen Machtbereiches. Im Protokollwird das diesen Menschen zugedachteSchicksal mit folgenden Wortenumschrieben:»Unter entsprechenderLeitung sollen im Zugeder Endlösung die Judenin geeigneter Weise imOsten zum Arbeitseinsatzkommen. In großenArbeitskolonnen, unterTrennung der Geschlechter,werden die arbeitsfähigenJuden straßenbauendin diese Gebietegeführt, wobei zweifellosein Großteil durch natürlicheVerminderung ausfallenwird. Der allfälligendlich verbleibendeRestbestand wird, da essich bei diesem zweifellosum den widerstandsfähigstenTeil handelt,entsprechend behandeltwerden müssen, dadieser, eine natürlicheAuslese darstellend, beiFreilassung als Keimzelleeines neuen jüdischenAufbaues anzusprechenist.«Heydrich entwarf in seinen Ausführungenein gigantisches UmsiedlungsundAusrottungsprogramm mit demZiel der völligen Vernichtung. In derfolgenden Diskussion konnte er zufriedenregistrieren, dass kein Anwesenderprinzipielle Einwände hatte. UnterstaatssekretärMartin Luther vomAuswärtigen Amt riet lediglich, die»Behandlung dieses Problems« in dennordeuropäischen Staaten noch zurückzustellen,erwartete aber wegen der»geringen Judenzahlen [...] keine wesentlicheEinschränkung«.Als wichtigste Voraussetzung für die»Evakuierung« erörterte Heydrich alsnächsten Tagesordnungspunkt dieAuswahlkriterien, die den Deportationenzugrunde liegen sollten. Maßgebendsei die Definition des betroffenenPersonenkreises durch die NürnbergerRassengesetze, allerdings seifür die »restlose Bereinigung des Problems«die »Lösung der MischehenundMischlingsfragen« unumgänglich.Deshalb führte er präzise aus, wiemit »Mischlingen 1. und 2. Grades«(das heißt mit Menschen teilweisejüdischer Herkunft), mit in »Mischehen«lebenden Juden und den Kindernvon »Mischlingen« und aus »Bastardehen«verfahren werden sollte. Andieser Stelle warf SS-GruppenführerOtto Hofmann vom Rasse- und Siedlungshauptamtder SS ein, dass möglichstviele dieser Menschen, sofernsie nicht ermordet werden könnten,zwangsweise sterilisiert werden sollten,um die Geburt »rassisch« unerwünschterKinder zu verhindern. DieseMeinung vertrat auch Wilhelm Stuckartvom Innenministerium. Stuckartwar maßgeblich am Entwurf der NürnbergerGesetze beteiligt gewesen undforderte nun eine Art staatlich verordneterZwangsscheidungen zur Vereinfachungdes »Mischehenproblems«.Mit »Ariern« verheiratete Juden warennämlich bisher von den Deportationenausgenommen. Einen Beschluss fasstendie Konferenzteilnehmer zu diesenPunkten jedoch nicht.Nürnberger Gesetze:Bezeichnung für die am 15. September1935 vom NS-Regime inNürnberg beschlossenen »Rassengesetze«.Diese dienten der Diskriminierungder jüdischen Deutschendurch formale Legalisierungdes rassistischen NS-Unrechts. Im»Reichsbürgergesetz« wurde für»Arier« der Status des »Reichsbürgers«geschaffen, an den alle politischenRechte geknüpft waren.Juden wurden zu Staatsangehörigenmit minderem Rechtsstatusherabgewürdigt.Noch schwerwiegender war dasVerbot von Eheschließungen zwischenMenschen, die aufgrund des»Blutschutzgesetzes« von den Nationalsozialistenzu Juden bzw.Nichtjuden (oder »Angehörigenartverwandten Blutes«, wie esin der nationalsozialistischen Sprachehieß) erklärt worden waren.Solche außerehelichen Beziehungengalten künftig als »Rassenschande«.agZum Schluss der Sitzung befasste sichHeydrich noch mit einer Bitte des Vertretersder Zivilverwaltung im Generalgouvernement,Josef Bühler. Bühlererklärte, dass er es begrüßen würde,»wenn mit der Endlösung [...] im Generalgouvernementbegonnen würde«.Zur Begründung seines Wunsches griffer auf medizinisches Vokabular zurück,in dem er die Juden als »Seuchenträ-20Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


Konferenzprotokolllinks:BegleitschreibenHeydrichs bei derVersendung desKonferenzprotokolls am26. Februar 1942.Handschriftlicher Vermerkauf dem Dokument:Pg. [Parteigenosse]Rademacher, bitteschriftlich mitzuteilen,daß Sie Sachbearbeitersind und teilnehmenwerden [Luther]rechts:Auf Seite 6 des Protokollswurden die zur Ermordungbestimmten Menschennach Ländern undRegionen aufgelistetger« bezeichnete. Die Bekämpfung der»Seuche« überließ Bühler bereitwilligdem Chef der Sicherheitspolizei unddes SD.Das Protokoll berichtet, ohne Genaueresauszuführen, dass abschließenddie »verschiedenen Arten der Lösungsmöglichkeiten«zur Sprache kamen.Anzunehmen ist, dass über die entwickelteund bereits angewendeteneue Massenmordmethode, die Tötungdurch Motorabgase, gesprochen wurde.Hierzu wurden in der Ukraine undin Weißrussland bereits sogenannteGaswagen eingesetzt. Im besetztenPolen stand die Fertigstellung des VernichtungslagersBełżec bevor. AdolfEichmann sagte in den Verhören 1960in Israel, dass während der Konferenzin einer drastischen Sprache und vollkommenungezwungen von Töten undVernichten gesprochen worden sei. ImTagungsprotokoll hingegen ist die mörderischeAbsicht des nationalsozialistischenRegimes sprachlich dürftiggetarnt. Zwar vermieden die TeilnehmerWörter wie »erschießen«, »vergasen«und »ermorden«, aber sie wusstengenau, dass »aussiedeln« und »behandeln«im NS-Deutsch genau dieseBedeutung hatten. Die Anwesendendiskutierten kaum über die vorgetragenenZiele, sondern waren sich bisauf Kleinigkeiten einig. Nicht einmalleiser Zweifel wurde geäußert. Noch 20Jahre später erinnerte sich Eichmannvor seinen Richtern an eine »freudigeZustimmung« unter den Teilnehmern,die sich in ihrer Initiative und ihrenVorschlägen gegenseitig zu übertrumpfensuchten.Eichmann bestätigte in Jerusalemsowohl in der Untersuchungshaft alsauch in der Hauptverhandlung, dasser das Protokoll auf Grundlage stenografischerNotizen ausformuliert habe.Mehrmals überarbeitet entstanden 30Ausfertigungen des Protokolls. Bisheute wurde jedoch nur ein einzigesExemplar, das 16. für UnterstaatssekretärLuther vom Auswärtigen Amt, aufgefunden.Amerikanische Dokumentenfahnderentdeckten es im Zuge vonRecherchen für die Kriegsverbrecherprozesse.Es wurde der Anklagevertretungübergeben und im Prozessgegen leitende Beamte des AuswärtigenAmtes, im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozeß,dem Gericht vorgelegt.Das Exemplar, das in der Wannsee-Villa gezeigt wird, ist eine Kopie. Die16. Ausfertigung befindet sich heuteGHWK, Berlinim Politischen Archiv des AuswärtigenAmtes.Die Zahl der jüdischen Opfer lässt sichheute nicht mehr mit Sicherheit feststellen.Aus erhaltenen Berichten überTötungsaktionen, aus Transportlistenund verschiedenen anderen Dokumentengeht hervor, dass mindestens fünfMillionen Juden ermordet wurden bzw.in Folge der Lebensverhältnisse in Konzentrationslagerngestorben sind.• Dietmar SchulzeLiteratur:Peter Klein, Die Wannsee-Konferenz vom20. Januar 1942, Berlin 1996Jochen von Lang, Das Eichmann-Protokoll.Tonbandaufzeichnungen der israelischenVerhöre, München 2001Peter Longerich, Die Wannsee-Konferenzvom 20. Januar 1942. Planung undBeginn des Genozids an den europäischenJuden, Berlin 1998Yaakov Lozowick, Hitlers Bürokraten.Eichmann, seine willigen Vollstreckerund die Banalität des Bösen,München 2000Johannes Tuchel, Am Großen Wannsee56–58. Von der Villa Minoux zum Hausder Wannsee-Konferenz, Berlin 1992Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 21


Adolf EichmannPortrait eines SchreibtischtätersAdolf EichmannAdolf Eichmann wurde am 19.März 1906 in Solingen geboren.Er hatte vier jüngereGeschwister und wuchs in gutbürgerlichenVerhältnissen auf. 1914 führte derBeruf des Vaters die Familie ins österreichischeLinz. Adolf Eichmann beendetedort die Realschule, brach aberdas Gymnasium ebenso wie eine Ausbildungzum Maschinenbauingenieurohne Abschluss ab. Über Beziehungender Familie kam er als Arbeiter, Verkäuferund Vertreter in verschiedenenUnternehmen unter, wurde jedoch 1932arbeitslos. Im April desselben Jahrestrat er zugleich der NSDAP und der SSbei. Als ein Jahr später beide Organisationenin Österreich verboten wurden,ging Eichmann zurück nach Deutschland.Sein Engagement für den Nationalsozialismuswurde nun zum Beruf.Nach einer militärischen Ausbildungdurch die SS trat er dem SS-Sicherheitsdienstbei.Der Sicherheitsdienst (SD) war 1931vom Reichsführer der SS, HeinrichHimmler, als Nachrichten- und Geheimdienstder SS gegründet wordenund unterstand, zusammen mit derpolitischen Polizei, der Gestapo, ab1934 Reinhard Heydrich. Im SD fandenehrgeizige Männer zueinander, die sichintensiv mit politischen und ideologischenZielen der SS auseinander setzten.Adolf Eichmann trug seinen Teildazu bei: In der »Abteilung Juden«des SD erarbeitete er ab Anfang 1935wichtige Positionen der antijüdischenPolitik der SS. Die Auswanderung derJuden aus Deutschland stand dabei imVordergrund. Eifrig bildete Eichmannsich fort. Er lernte hebräische Schrift,beschäftigte sich mit dem Zionismusund bereiste Palästina und Ägypten.Nach dem Anschluss Österreichs imMärz 1938 organisierte Eichmann inWien die Zwangsauswanderung der Juden,indem er eine Zentralstelle schuf.In dieser Zentralstelle waren verschiedeneBehörden, die man bei einer Auswanderungbisher getrennt besuchenmusste, Tür an Tür zusammengefasst:Passangelegenheiten und weitgehenderEinzug des Vermögens wurdenso in kürzester Zeit erledigt, Zielortebestimmt und Ausbürgerungen vorgenommen.In den anderthalb Jahren biszum Beginn des Zweiten Weltkriegesverließen auf diese Weise 150 000 jüdischeÖsterreicher ihre Heimat. Nachder Besetzung Prags wurde Eichmannauch dort mit entsprechenden Aufgabenbetraut, im Oktober 1939 unterstandihm die in Berlin gegründeteReichszentrale für Jüdische Auswanderung.Nach der Annexion der westlichen TeilePolens leitete Eichmann im »Umsiedlungsreferat«der Gestapo die Vertreibungvon jüdischen und nicht-jüdischenPolen. Zusammen mit Gestapo-Chef Heinrich Müller erarbeitete erPläne für ein »Judenreservat« in Zentral-Polen,die aber nicht umgesetztwurden, ebenso wenig wie seine Beiträgezu dem Plan, die Juden Europasnach Madagaskar zu verschleppen. DieGewaltphantasie einer massenhaftenMenschenverschleppung wurde dennochRealität: Bald rollten die Deportationszügeaus allen von Deutschlandbeherrschten und beeinflusstenLändern Europas in die Gettos undVernichtungslager Ostmitteleuropas,zentral organisiert von Adolf Eichmann,nun Leiter des Gestapo-Referates»Judenangelegenheiten und Räumung«.Man bestimmte Abfahrts-,Zielorte und die Zahl der Deportierten;über Strecken, Zeiten undTransportraum verhandelte Eichmannmit der Reichsbahn. Als Protokollantder Wannsee-Konferenz hielt er am20.1.1942 als Aufgabe seines Referatesfest: »Im Zuge der praktischen Durchführungder Endlösung wird Europavom Westen nach Osten durchkämmt.«In Polen besprach er mit den SS-Führernvor Ort Planung und Bau derVernichtungslager; später besuchte ersie und ließ sich das Morden vorführen,aber direkt am Mord beteiligte ersich nicht. Als gegen Ende des KriegesAdolf Eichmann, RSHA, zuständig für»Judenangelegenheiten« und»Räumungsangelegenheiten«Bundesarchiv/BDC, Berlindie Rote Armee schon an der GrenzeUngarns stand, reiste der diensteifrigeEichmann im März 1944 mit eigenemStab nach Budapest, um vor Ort dieDeportation von über 437 000 ungarischenJuden zu organisieren.Eichmann war zwar in Budapest öffentlichin Erscheinung getreten, seinetodbringende organisatorische Tätigkeitvollzog sich jedoch eher im Hintergrund.Auch seine vergleichsweiseniedrige Dienststellung als Gestapo-Referatsleiter und der eher bescheideneRang als SS-Obersturmbannführer(Oberstleutnant) trugen dazu bei,dass Eichmann kaum bei den Alliiertenbekannt war. Er konnte 1946 auseinem amerikanischen Internierungslagerfliehen und gelangte unter falschemNamen nach Südamerika. Erließ sogar seine Familie nach Argentiniennachkommen, mit der er bis zumMai 1960 in einem Vorort von BuenosAires lebte. Der israelische Geheimdienstspürte ihn dort auf und entführteihn nach Jerusalem. Als im Februar1961 Generalstaatsanwalt GideonHausner die Anklageschrift einreichte22Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


und der Prozess unter Vorsitz desRichters Moshe Landau begann, wardie internationale Aufmerksamkeit aufJerusalem gerichtet. Die Bilder vonEichmann im kugelsicheren Glaskastenbei der Verhandlung gingen um dieWelt.Verbrechen gegen das jüdische Volk,Verbrechen gegen die Menschlichkeit,Kriegsverbrechen und Mitgliedschaftin einer verbrecherischen Organisationwerden ihm, gegliedert in 15 Anklagepunkte,vorgeworfen. Eichmanns deutscherVerteidiger Robert Servatius, derbereits bei den Nürnberger Prozessenals Verteidiger von NS-Größen aufgetretenwar, bestritt zunächst überhauptZuständigkeit und Legitimation desGerichtes. Tatsächlich war viel überdie Zulässigkeit der Verbringung Eichmannsaus Argentinien nach Jerusalemdiskutiert worden, sowie über dieFrage, ob nicht vor einem internationalenoder einem deutschen Gerichtgegen Eichmann verhandelt werdensollte. Doch diese Diskussionspunkteverblassten bald vor dem Hintergrundder ungeheuerlichen Verbrechen, dieim Zuge des Prozesses berichtet wurden.Zum ersten Mal diskutierte einebreite Öffentlichkeit die Planung undDurchführung des Mordes an den europäischenJuden in der Gesamtheit underfuhr viele grausame Details aus demGetto- und Lagerleben. Das Gericht hörteüber 100 Zeugen, viele davon Holocaust-Überlebende,die zum ersten MalAuskunft über ihr Schicksal gaben.Der Eichmann-Prozess wurde für vieleLänder zu einem Stein des Anstoßes,sich an eine juristische und moralischeAufarbeitung des Geschehenen zumachen. Zwar hatte es in Deutschlandauch in den fünfziger Jahren Kriegsverbrecherprozessegegeben, doch dieZahl dieser Prozesse stand in einemgrotesken Missverhältnis zur Zahl derTäter. Das hatte im wesentlichen damitzu tun, dass die deutsche Gesellschaftsich ihrer Schuld nicht stellen wollteund den Blick auf die große Beteiligungvon Öffentlichkeit, Verwaltung,Polizei oder Militär scheute. Danebentrat durch die neue Blockkonfrontationeine politische Situation ein, dieIntegration und Ruhe, die ein Schlussstrich-Ziehenals opportun erscheinenließ.Eichmann bekannte sich im Sinne derAnklage als nicht schuldig. Er leugneteweder die Echtheit der vorgelegtenSchriftstücke, die seine Unterschrifttrugen, noch das Mordgeschehen ansich. Mehrfach betonte er, dass es sichdabei um ein Verbrechen gehandelthabe – aber dies sei nicht ihm anzulasten,er sei nur ein Befehlsempfängergewesen und habe die Vorgaben vonHeydrich oder Müller eben ausgeführt.Über eigene Kompetenzen habe ergar nicht verfügt. Das Gericht urteilteanders: Eichmann hatte alles in seinerMacht stehende unternommen, um dieVernichtung der europäischen Judenvoranzutreiben. Dabei hatte er nichtnur Befehle konsequent und weitgehendausgeführt, sondern war sogarselbständig aktiv geworden. Besondersdie Deportation der ungarischen Judenzeigte dies.Eichmann wurde am 15. Dezember1961 zum Tode verurteilt. Eine Berufungwurde nicht zugelassen. Auchdas Gnadengesuch wies der Staatspräsidentenab. In der Nacht vom 31. Maizum 1. Juni 1962 wurde Adolf Eichmannerhängt. Es war das einzige Mal,dass im Staat Israel ein Todesurteilvollstreckt wurde.Prozess gegenEichmann inJerusalem 1961/62,FilmaufnahmenDie Person Adolf Eichmanns sorgtebeim Prozess – und bis heute – für kontroverseBeurteilungen. Da stand einakkurater, eher unscheinbarer Mannim Anklagestand, der immer sehr präziseAntworten geben wollte, dem dieSätze dann zu lang gerieten, sodass ersich verhaspelte. Da stand kein bulligerRadaubruder, wie man es für einenfanatischen Antisemiten erwartet hätte,der sich der restlosen Vernichtung derJuden verschrieben hatte. Statt dessen:ein grauer Verwaltungsbeamter. Inwieweitwar dieses Auftreten vor allemTeil seiner Verteidigungsstrategie? Esspricht einiges dafür, dass Adolf Eichmannohne die Zeit des Nationalsozialismusein völlig unauffälligesLeben als Verkäufer oder Vertreter verbrachthätte. Die Philosophin HannahArendt nannte ihre Prozessbeobachtungeneinen »Bericht von der Banalitätdes Bösen«, wobei sie nicht das Mordenbanal fand, sondern einen Täter wieEichmann:»Das Beunruhigende ander Person Eichmanns wardoch gerade, dass er warwie viele und dass diesevielen weder perversnoch sadistisch, sondernschrecklich und erschreckendnormal waren und sind.«• Eike StegenMilitärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 23


ServiceDas historische StichwortEin Aufklärungsflugzeug der US-Marine fliegt vor der Küste Costa Ricas über das US-KriegsschiffUSS-Barry (vorne) und den sowjetische Frachter Anosow, von dem vermutet wird, dass er sowjetischeRaketen tranportiert 6Die Kuba-Krise»Dreizehn Tage. Wie die Welt beinahe unterging«, so betitelte ein amerikani-»Dreizehn Tage. Wie die Welt beinahe unterging«, so betitelte ein amerikanischerAutor sein Buch über die Kuba-Krise. Tatsächlich darf die Kuba-Krise(oder Raketenkrise) als der Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischenden Vereinigten Staaten und der Sowjetunion im »Kalten Krieg« angesehenwerden. Im Oktober 1962 hielt die Welt für dreizehn Tage den Atem an. Was wargeschehen?Der HintergrundSchon gegen Ende des ZweitenWeltkrieges taten sich zwischenden Alliierten der Anti-Hitler-Koalition Spannungen auf. NachKriegsende eskalierten die Gegensätzezwischen der Sowjetunion und denUSA, den beiden neuen »Supermächten«,die sich seit den 50er Jahren an derSpitze ihres jeweiligen Militärbündnisses(NATO bzw. Warschauer Pakt)im »Kalten Krieg« gegenüberstanden.Die Vereinigten Staaten waren die Vormachtdes Westens und die Sowjetunionführte die sozialistische, östlicheWelt. Seit Beginn der 50er Jahrekam es zwischen den beiden Supermächtenzu einem Rüstungswettlauf.Die Sowjets versuchten, den US-amerikanischenVorsprung auf dem Gebietder Nuklearwaffen und ihrer Träger,mit denen vom eigenen Staatsgebietaus das Territorium der jeweils anderenSupermacht getroffen werden konnte,einzuholen. Dabei zeigten sie mit demStart des ersten künstlichen Erdsatelliten(des berühmten »Sputnik«) imJahre 1957, dass sie ebenfalls über dasPotential weitreichender Waffensystemeverfügten. Die Anzahl der sowjetischenInterkontinentalraketen bliebjedoch zunächst gering, wenn auch diePropaganda ihre Zahlen maßlos in dieHöhe trieb. Die USA reagierten aufdpaden »Sputnik-Schock« mit einer massivenAufstockung ihres Nuklearwaffenpotentials.Folglich suchte die Sowjetunionnach einer Möglichkeit, die amerikanischeStärke wettzumachen undzu überbieten. Diese Chance bot sichschließlich 1962 auf der KaribikinselKuba vor der Südküste der USA, denndurch die dortige Stationierung vonnuklearen Mittelstreckenwaffen, d.h.von Atomraketen mittlerer Reichweite,konnte die Sowjetunion die Lage derInsel für ihre strategischen Interessennutzen.Der Führer der kubanischen Revolution FidelCastro findet im sowjetischen Partei- und StaatschefNikita Chruschtschow einen VerbündetenAuf der Karibikinsel Kuba hatte Anfang1959 eine Gruppe von Aufständischenunter Führung von Fidel Castro denDiktator Fulgencio Batista gestürzt,der bis dahin mit Hilfe eines vonden USA finanzierten Militärapparatesdie Insel regiert hatte. Zunächstbegrüßte die amerikanische Regierungden Umsturz, da sie sich eine DemokratisierungKubas erhoffte (obwohlsie vorher das Batista-Regime unterstützthatte). Dies änderte sich jedochschnell, als Castro amerikanischesEigentum ohne Entschädigung verstaatlichenließ. Auf die folgenden US-Sanktionen reagierte Castro mit einerHinwendung zur UdSSR. Die USAversuchten nun ihrerseits, die kubanischeRegierung durch geheimdienstlicheOperationen zu stürzen – ambekanntesten ist die gescheiterte Invasionvon Exilkubanern in der Schweinebuchtim April 1961. Nun wünschtesich Castro von der Sowjetunion militärischeUnterstützung zum Schutzvor einer amerikanischen Invasion, dieSowjets verfolgten ihrerseits globalstrategischeInteressen.Die KriseDie eigentliche Krise begann am 15.Oktober 1962, als US-Aufklärungsflugzeugeim Aufbau befindliche Raketenstellungenauf Kuba fotografierten. Eshandelte sich um Mittelstreckenraketenvom sowjetischen Typ SS-4 und SS-5.Für die Sowjetunion hatten die Mittelstreckenraketenauf der Karibikinselfaktisch die Funktion von Inter-Reichweite sowjetischer Mittelstreckenraketenvom Typ SS-4 und SS-524Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


John F. Kennedy,Präsident der Vereinigten Staaten von Amerikakontinentalraketen, denn sie bedrohtendirekt amerikanisches Gebiet. Außerdembesaßen sie den Vorteil, dassihre Stationierung weitaus billiger warals die Produktion und Aufstellungweiterer Interkontinentalraketen, vomaußenpolitischen Prestigegewinn ganzabgesehen. Und schließlich war beieinem eventuellen Angriff von Kubaaus die Vorwarnzeit für die amerikanischeAbwehr deutlich geringer. Deramerikanische Präsident John F. Kennedyhandelte schnell und initiierteeinen Ausschuss zur Krisenbewältigung,das sogenannte Ex-Comm (»Executive-Commitee«),mit dem Ziel deszentralen Krisenmanagements. Im Ex-Comm wurden systematisch alle möglichenGegenmaßnahmen erwogen, inklusiveeines Einsatzes von Atomwaffen!Am 22. Oktober 1962 gab die amerikanischeRegierung die Entdeckungder sowjetischen Raketen auf Kubaöffentlich bekannt. Als Reaktion blockiertendie USA die Insel und fordertenden sofortigen Abzug der Trägersysteme.Damit hatte Kennedy eineverhaltene Antwort auf die sowjetischeProvokation gewählt, bedenkt man,dass die Vereinigten Staaten die Karibikstrategisch als ihren »Hinterhof«betrachteten. Obwohl sich sowohl sowjetischeKriegsschiffe als auch Transporterauf dem Weg nach Kuba befanden,wagte keines der von der Blockadebetroffenen Schiffe einen Durchbruchsversuch.Es kam allerdings teilweisezu höchst brenzligen Situationen. DieSowjets waren nicht bereit, ihre Raketenohne Gegenleistung abzuziehen,die US-Streitkräfte befanden sich inhöchster Alarmbereitschaft. Am 26.Oktober teilte der sowjetische StaatsundParteichef Nikita Chruschtschowden Vereinigten Staaten mit, dass erim Gegenzug zu einem Verzicht derUSA auf eine Invasion Kubas bereitwäre, die Raketen abzuziehen. EinenTag später verschärfte sich die Krisenochmals, als über Kuba ein amerikanischesU-2-Spionageflugzeug abgeschossenwurde. Die Sowjets machtennun in einer zweiten Forderung zusätzlichden Abzug amerikanischer Mittelstreckenraketenaus Europa zur Bedingung.Das Ex-Comm ignorierte aberdiese zweite Botschaft und bedeuteteden sowjetischen Gesandten, dass manmit dem ersten Angebot einverstandensei. Die Sowjets akzeptierten diesenamerikanischen Vorschlag unter demVorbehalt weiterer Verhandlungen undzogen ihre nach Kuba entsandtenSchiffe mit den Raketen zurück. Damitwar die kritische Situation entschärft.Das FazitDie Sowjetunion beendete somit dieKrise, indem sie dem amerikanischenDruck nachgab. Letztlich zeigte sich,dass die UdSSR keineswegs gewilltwar, wegen der Raketenfrage einenAtomkrieg zu entfachen. Chruschtschowhatte mit der Stationierungdie USA überrumpeln und so vollendeteTatsachen schaffen wollen. PräsidentKennedy war jedoch nicht bereit,eine solche Aktion zu tolerieren. Erwählte aber mit Hilfe des Ex-Commeine Lösung, die beiden Seiten dieMöglichkeit gab, ihr Gesicht vor derWeltöffentlichkeit zu wahren (die US-Mittelstreckenraketen aus dem NATO-Staat Türkei wurden von der Öffentlichkeitunbemerkt absprachegemäßabgezogen). Somit konnte eine Eskalationder Lage verhindert werden.Das NachspielDie Kuba-Krise stellte einen Wendepunktim Handeln der Supermächtedar. Durch die Kriegsgefahr entwickeltesich eine neue Qualität in den Beziehungen.Die Einrichtung des »HeißenDrahtes«, einer direkten Verbindungzwischen Weißem Haus und Kreml, istein Beispiel für die beginnende Entspannung.Wenngleich in den Ländernder Dritten Welt auch künftig »Stellvertreterkriege«tobten und in Europa derAuf dem sowjetischen Frachter Anosov werden am 10. November 1962 durch Planen verdeckteRaketenteile zurück in die UdSSR transportiertKalte Krieg bis in die achtziger Jahredauerte, gab es doch nach der Kuba-Krise keine direkte militärische Konfrontationzwischen den beiden Weltmächtenmehr.Der FilmDen Film zur Krise gibt es mittlerweileauch. Der Politthriller »ThirteenDays« aus dem Jahr 2000 beschreibtdie Ereignisse aus der Sicht von Kennedyspolitischem Berater O´Donnell(Kevin Costner) und zeigt, wie PräsidentKennedy (Bruce Granwood) mitder Situation umging. Der Film gehtnicht nur auf die äußeren Aspekteder Krise ein, sondern beschreibt auchspannend die internen Konflikte im Ex-Comm.Markus WackerbeckdpaMilitärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 25


ServiceMedien online/digitalUnsere Themen @im Internet6 www. ghwk.deViele Angebote zur historischennBildung sind mittlerweile auchim Internet zu finden. Diemeisten Museen und Ausstellungenwerden mit allen Texten, Exponatenund Bildern vorgestellt, häufig istsogar ein virtueller Besuch der Veranstaltungenmöglich. Und um die entsprechendeAusstellung zu entdecken,Öffnungszeiten, Verkehrsverbindungenoder Preise zu erfahren, kann manebenfalls das Netz nutzen. chHier erhält der Betrachter u.a.einen Einblick in das Originalprotokollder Wannsee-Konferenzline3 www.preussen-chronik.de6 www.preussenmuseum.deAber auch für »kleinere« Angeboterund um die Geschichte können Sieim www. fündig werden:Fernsehdokumentationen, Radiosendungenoder kleine Sonderausstellungen zur Militärgeschichtekönnen Sie ganz gezielt suchen.ch4 www.ZDF.de26Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


AusstellungenService• B e r l i nHaus der Wannsee-KonferenzGedenk- und BildungsstätteAm Grossen Wannsee 56–5814109 BerlinTelefon: (0 30) 80 50 01 0Telefax: (0 30) 80 50 01 27www.ghwk.dee-mail: info@ghwk.de10.00 bis 18.00 UhrTäglichVerkehrsanbindungen:Fernzüge, Regionalexpressoder S-Bahn: S1 und S7 bisS-Bahnhof »Wannsee«, dannBus 114 bis Haltestelle »Hausder Wannsee-Konferenz«Mascha, Nina undKatjuscha. Frauen in derRoten Armee 1941–1945Deutsch-RussischesMuseum Berlin-KarlshorstZwieseler Str. 410318 BerlinTelefon: (0 30) 50 15 08 10www.museum-karlshorst.deDienstag bis Sonntag10.00 bis 18.00 Uhr15. November 2002 bis23. Februar 2003Verkehrsanbindungen:S-Bahn: S 3 bis S-Bahnhof»Karlshorst«; U-Bahnlinie 5:Station »Tierpark«; Bus 396• IngolstadtDie FestungsstadtIngolstadt im15.–19. JahrhundertReduit TillyBayerisches ArmeemuseumParadeplatz 485049 IngolstadtTelefon: (08 41) 93 77 0Telefax: (08 41) 93 77 200 ðe-mail: sekretariat@bayerisches-armeemuseum.deDienstag bis Sonntag8.45 bis 16.30 UhrBis 31. Dezember 2002Verkehrsanbindungen:Ab Hauptbahnhof bisBushaltestelle»Roßmühlstraße/Paradeplatz«Preußen und Bayern.Zeugnisse preußischerMilitärgeschichte ausdem BayerischenArmeemuseumBayerisches ArmeemuseumParadeplatz 485049 IngolstadtTelefon: (08 41) 93 77 0Telefax: (08 41) 93 77 200www.bayerischesarmeemuseum.deDienstag bis Sonntag8.00 bis 16.00 Uhrbis 6. Januar 2003Verkehrsanbindungen:Ab Hauptbahnhof bisBushaltestelle»Roßmühlstraße/Paradeplatz«• KasselErinnern & Gedenken.Kunst aufKriegsgräberstättenVolksbund DeutscheKriegsgräberfürsorge e.V.BundesgeschäftsstelleWerner-Hilpert-Straße 234112 KasselTelefon: (05 61) 70 09 0Telefax: (05 61) 70 09 270www.volksbund.deMontag bis Samstag10.00 bis 16.00 Uhrbis 29. November 2002• LaboeMarine-Ehrenmal undU-Boot-MuseumVor 75 Jahren (1927) wurdedas Marine-Ehrenmal in Laboeerrichtet. Es ist gleichzeitigGedenkstätte für die auf SeeUmgekommenen aller Nationenund Mahnmal für eine friedlicheSeefahrt. Ausstellung zurGeschichte der Marine unddem begehbaren U-Boot U 995.Strandstraße 9224235 LaboeTelefon: (0 43 43) 4 27 00Telefax: (0 43 43) 42 70 70www.museen.schleswig-holstein.de9.30 bis 16.00 Uhr16. Oktober 2002bis 15. April 2003• M ü n c h e nVerbrechen der Wehrmacht.Dimensionen des Vernichtungskrieges1941–1944(Wehrmachtausstellung)Münchner StadtmuseumSt.-Jakobs-Platz 180331 MünchenTelefon: (0 89) 23 32 23 70Telefax: (0 89) 23 32 50 33www.stadtmuseum-online.dewww.verbrechender-wehrmacht.deDienstag bis Sonntag10.00 bis 18.00 UhrMontag geschlossen8. Oktober bis24. November 2002Verkehrsanbindungen:U-Bahnhöfe »Marienplatz«und »Sendlinger Tor«• N ü r n b e r gFaszination und GewaltDokumentationszentrum ðReichsparteitagsgeländeTelefon: (0911) 2 31 54 20www.museen.nuernberg.deMontag bis Freitag9.00 bis 18.00 UhrSamstag und Sonntag10.00 bis 18.00 UhrVerkehrsanbindungen:Straßenbahnlinien 4 und 9und S-Bahnlinie 2• R a s t a t tVon der Steinschloßflintezum Repetiergewehr.Württembergische Waffenkonstruktionenim19. Jahrhundert.WehrgeschichtlichesMuseum, Schloss Rastatt(Barockresidenz)Herrenstraße76437 RastattTelefon: (0 72 22) 3 42 44,Telefax: (0 72 22) 3 07 12www.wgm-rastatt.deDienstag bis Sonntag9.30 bis 17.00 Uhrbis 8. Dezember 2002• S u h lKalaschnikow. Mythosund Fluch einer Waffe.Waffenmuseum Suhl.Spezialmuseum zurGeschichte derHandfeuerwaffenFriedrich-König-Straße 1998527 SuhlTelefon: (0 36 81) 72 06 98Telefax: (0 36 81) 72 13 08www.waffenmuseumsuhl.deinfo@waffenmuseumsuhl.debis 28. Februar 2003Dienstag bis Samstag9.00 bis 16.00 Uhr,Sonn- und Feiertags10.00 bis 16.00 UhrVerkehrsanbindungen:Sie finden das Waffenmuseumdirekt im Stadtzentrum, gegenüberdes Herrenteiches, zwischendem Congress Centrum Suhlund dem Lauterbogencenter.Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 27


ServiceLesetippDeutsche KriegsgefangeneRüdiger Overmans,Soldaten hinterStacheldraht.DeutscheKriegsgefangene desZweiten Weltkrieges,München 2002.ISBN 3-548-36328-8;336 S.,10,95 €Mehr als elf Millionen deutscheSoldaten gerieten während desZweiten Weltkrieges in Gefangenschaft,etwa zehn Millionen kehrtenspäter in die Heimat zurück. Die erstenvon ihnen wurden schon zu Kriegsbeginnim Jahr 1939 gefangen genommen,und die letzten kehrten erst 1956,elf Jahre nach Kriegsende, nach Hausezurück. Nicht selten erwarteten sie dortprivate Enttäuschungen, verschlosseneTüren und Probleme, beruflich wiederAnschluss zu finden. Bis zu ihrerHeimkehr mussten sie Zwangsarbeitleisten und lebten zum Teil unter erbarmungswürdigenUmständen, erlittenoft schlimmste Entbehrungen undKrankheiten. Und obwohl sie der Front,also dem eigentlichen Kriegsgeschehenhäufig unbeschadet entkommenwaren, fanden viele von ihnen noch inder Gefangenschaft den Tod.Der Band entstand auf Grundlage dergleichnamigen ARD-Fernsehreihe underzählt exemplarisch von fünf deutschenkriegsgefangenen Soldaten desZweiten Weltkrieges. Sie berichten vonihren uns heute abenteuerlich anmutendenSchicksalen; vom Krieg infernen Länden weitab von zu Hause,von Afrika und Russland, von derGefangennahme und dem Weg in dieGefangenschaft – zu Fuß nach Sibirienoder mit dem Passagierschiff »QueenElizabeth« nach Amerika. Sie schildernihr unterschiedliches Los in sowjetischem,britischem, amerikanischemund französischem Gewahrsam undgeben Einblick in die Folgen der Gefangenschaftfür ihr weiteres Leben. AmEnde des Bandes finden sich Kartenund Tabellen, die eine Übersicht bietenüber die Anzahl und Verteilung derGefangenen weltweit. Zusammen mitden spannenden, mitunter unvorstellbarenZeitzeugenberichten gibt dasBuch Auskunft über das Problem derGefangenschaft, wenngleich es auchkeine Gesamtdarstellung der Geschichteder deutschen Kriegsgefangenenist.chDer HolocaustWolfgang Benz,Der Holocaust ,4. Aufl., München 1999.ISBN 3-406-39822-7;126 S.,7,50 €Der Begriff »Holocaust« (oder auch»Shoa«) steht für die Verfolgung,Gettoisierung und schließlich Ermordungder europäischen Juden währendder NS-Herrschaft in Deutschland undEuropa. Dieses in der Menschheitsgeschichteeinmalige Verbrechen ist wohldas furchtbarste Ereignis des zurückliegenden20. Jahrhunderts. Mehr alsfünf Millionen Menschen wurden zuOpfern des nationalsozialistischen Rassenwahnsund der »Endlösung derJudenfrage«. Der Berliner ProfessorWolfgang Benz beschreibt in diesemkleinen Taschenbuch die Geschichtedes Völkermordes von der Ausgrenzungund Entrechtung bis zum industrialisiertenMassenmord der jüdischenBevölkerung in den Vernichtungslagern.Er nennt Zahlenangaben überdie Opfer, die Namen der maßgeblichenTäter und Belege für deren Taten.Ein eigenes Kapitel ist dem Mord anden »Zigeunern«, den Sinti und Romagewidmet, der lange vergessen schien.Man schätzt, dass etwa 200 000 biszu einer halben Million Menschender nationalsozialistischen »Zigeunerpolitik«zum Opfer fielen. Das Buchgibt einen knappen, aber kompetentenÜberblick über die erschreckende Geschichtedes Holocaust. Es sei jedemempfohlen, der sich für Zeitgeschichteund insbesondere den Zweiten Weltkrieginteressiert, denn der Krieg undder nationalsozialistische Völkermordsind nicht voneinander zu trennen,vielmehr war der Holocaust integralerBestandteil dieses Krieges.chDie Wannsee-KonferenzVor sechzig Jahren, am 20. Januar1942, versammelten sich fünfzehnführende Vertreter der obersten ReichsundParteibehörden des NS-Regimesin einer Villa am Berliner Wannsee. IhrGastgeber war Reinhard Heydrich, derChef der Sicherheitspolizei und desSicherheitsdienstes (SD). Zweck derZusammenkunft der Männer war die»Besprechung über die Endlösung derJudenfrage«. Die Ergebnisse ihrer Beratungenhielt Adolf Eichmann in einemals »Geheime Reichssache« deklariertenProtokoll fest. Dieses DokumentMark Roseman,Die Wannsee-Konferenz.Wie die NS-Bürokratieden Holocaustorganisierte,Berlin 2002.ISBN 3-549-07150-7;221 S.,19,00 €ist der wohl deutlichste und detailliertesteschriftliche Beweis für diePläne des NS-Regimes zur Ermordungder europäischen Juden. Dennoch lässtdie sogenannte Wannseekonferenz bisheute Fragen offen: Weshalb war dasTreffen Anfang des Jahres 1942 überhauptnoch notwendig? Schließlichwaren zu diesem Zeitpunkt bereits HunderttausendeMenschen durch Massenerschießungenermordet wordenund erste Vergasungen hatten auchbereits stattgefunden. Sollte durch dieKonferenzteilnehmer die konkrete Organisationkünftiger weiterer Massenmordegeplant werden oder ging esvielmehr darum, die nachgeordnetenApparate in die Planungen einzuweihen,sie somit zu Mittätern zu machen?28Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


Das Buch beschreibt die Vorgeschichte,den Ablauf und die Folgen einer Konferenz,die eine Verabredung zu demwohl gigantischsten Verbrechen derMenschheitsgeschichte war. Dabei wirdklar, welche Aufgabe und Bedeutungsie im Rahmen des nationalsozialistischenVölkermords hatte.chBegegnungen mit »FaulenSäcken« und »PotentiellenMördern«Klaus Bergner,Begegnungen mit »Faulen Säcken« und»Potentiellen Mördern« – Rückschau einesEngagierten auf Schule und Militär,Berlin 2002.ISBN 3-89626-365-X; 376 S., 19,80 €Mehr als 50 Wehrübungen mitinsgesamt über 1000 Tagen leisteteder Autor ab, der sich nach demAbitur 1959 vorzeitig zur Ableistungdes Wehrdienstes meldete und 1960als Fahnenjunker der Reserve entlassenwurde. Seine kritische Rückschaubietet ein buntes Bild vom Innenlebender Bundeswehr, die mit ihrer inzwischenfast fünfzig Jahre währendenExistenz längst Teil der deutschen Militärgeschichtegeworden ist.Mit viel Liebe zum Detail, einembeeindruckenden Erinnerungsvermögenund nicht selten auch einembeißend-zynischem Unterton werdenErlebnisse und Eindrücke aus der Weltdes Militärischen und der Schule, derAutor war stellvertretender Schulleiter,beschrieben. Viele Leser mögendabei wohl Parallelen zu den Erfahrungenihrer eigenen Dienstzeit entdecken,manchmal aber auch widersprechenwollen. Bergners Begegnungenmit noch weltkriegsgedienten Bundeswehroffizieren,seine Rückblicke aufdie nur allzu vertrauten Mühen des Soldatenalltagsund die Beobachtungeneiner Armee, die sich im Zeichen vonWiedervereinigung und neuen Aufgabenin einem tiefgreifenden Wandlungsprozessbefindet, lassen den Leserschmunzeln, regen ihn aber auch zumNachdenken an. Bergner beschreibtmenschliche Begegnungen, erinnertsich an positive Erlebnisse, macht aberauch kein Hehl aus menschlichen Enttäuschungen.Das Persönliche macht den Reiz desBuches aus. Das Spektrum der vomAutor beobachteten gegenseitigen Vorurteilezwischen den »Systemen« Schuleund Militär führt uns vor Augen,wie mühsam die gesellschaftliche Integrationvon Streitkräften sein kann.akDas Deutsche Reich und derErste WeltkriegMilitärhistoriker benutzen denBegriff »totaler Krieg«, um diedramatisch gewachsene Reichweiteund Intensität von Kriegen in den letztenbeiden Jahrhunderten zu beschreiben.Seit der Französischen Revolutionsind die Kriege ausgedehnter, längerund kostspieliger geworden; die wachsendenBedürfnisse moderner Armeenstellen immer höhere Anforderungenan die Heimatfront. Und so gewanndie vorher eigentlich unbeteiligte Zivilbevölkerungfür die Kriegführung eineebenso zentrale Rolle wie die Soldatenund wurde zur Zielscheibe systematischerfeindlicher Angriffe – z.B. in Handelskriegengegen die zivile Schifffahrtoder im strategischen Luftkrieg gegenWohn- und Industriesiedlungen.Doch schon bevor NS-PropagandaministerJoseph Goebbels in seiner berüchtigtenSportpalastrede am 18.2.1943den »totalen Krieg« verkündete, warder Begriff längst geboren und einesolche Kriegführung Realität gewesen.Französische Politiker sprachenwährend des Ersten Weltkrieges erstmalsvon einem »guerre integrale«,d.h. neben dem Militär wurden auchdie Wirtschaft, die Gesellschaft undder Staat in die Kriegführung einbezogenund somit dem militärischen Zieluntergeordnet.Roger Chickering, Das Deutsche Reich und derErste Weltkrieg, München 2002.ISBN 3-406-47592-2; 292 S., 14,90 €Das Deutsche Reich sah sich im ErstenWeltkrieg einer Koalition gegenüber,die über mehr Soldaten sowie Menschenreservenverfügte und auch mehrMunition, Geschütze und Lebensmittelproduzierte, das heißt auf allen kriegswichtigenGebieten die MöglichkeitenDeutschlands übertraf. Um die völligillusorischen Kriegsziele der Militärswie auch der Politiker trotzdem erreichenzu können, wurden umfangreicheAnstrengungen unternommen undsukzessive der »totale Krieg« organisiert.Der bekannte Historiker Roger Chickeringbietet einen Überblick überdie Geschichte Deutschlands währenddes Ersten Weltkrieges in den Jahren1914–1918. Er beschreibt Kriegsverlauf,Politik und Wirtschaft sowie das Alltagslebenin Deutschland. Und derLeser erfährt viel über die weitreichendenund einschneidenden Folgen desKrieges für die Deutschen. ChickeringsBuch zeichnet sich durch eine guteGliederung, einige sinnvoll in den Textintegrierte Karten und Tabellen sowiedurch einen ebenso leicht verständlichenwie spannenden Stil aus. Trotz deshandlichen Formates ist das Taschenbucheine umfassende und exzellenteDarstellung des Ersten Weltkrieges ausdeutscher Sicht.chMilitärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 29


ServiceGeschichte kompakt1862Heeresreform löst in Preußen Verfassungskrise ausDie Berufung Otto von Bismarcks zumpreußischen Ministerpräsidenten am23. September 1862 stellte die entscheidendeWende im Konflikt zwischendem preußischen König Wilhelm I.(dem späteren Deutschen Kaiser) unddem preußischen Abgeordnetenhausdar. Bismarck, der auf Betreiben desKriegsministers Albrecht von Roonberufen worden war, setzte die sogenannteRoon’sche Heeresreform gegendas Parlament durch.Diese wandelte die durch die Reformenvon Scharnhorst und GneisenauOtto von Bismarck, Albrecht Graf von 1807/10 geformte Armee vom Volks-Roon und Helmuth Graf von Moltke zum Königsheer. Insbesondere solltenullstein bild (undatierte Aufnahme)die Wehrpflichtigen im neu eingeführtendritten Dienstjahr nun zu königstreuen Untertanen erzogen werden,weswegen die militärische Notwendigkeit der Dienstzeitverlängerungvon der liberalen Mehrheit des Parlaments bestritten wurde. Daher verweigertendie Abgeordneten die Zustimmung zum Haushalt, was Bismarckdadurch überwand, daß er ohne deren Beschluss regierte. Erargumentierte, die Regierung des Königs nutze nur eine rechtliche Lücke.Beendet wurde die Verfassungskrise erst durch die militärischen Erfolgegegen Dänemark (1864) und Österreich (1866), als die Abgeordnetennachträglich das Handeln der Regierung billigten.ag/ch1962© SpiegelVerteidigungsminister stürzt über die »Spiegel-Affäre«Die »Spiegel-Affäre« vom Oktober/November1962 war einer der am meistenbeachteten innenpolitischen Skandaleseit Bestehen der Bundesrepublik undlöste eine schwerwiegende Regierungskriseaus, in deren Verlauf VerteidigungsministerFranz Josef Strauß am 30.November 1962 zurücktreten musste.Ausgelöst wurde der Skandal durchden Artikel »Bedingt abwehrbereit« imSpiegel am 10. Oktober 1962, der überdie NATO-Herbstübung »Fallex 62«berichtete. Wegen des Vorwurfs desGeheimnisverrats wurden die Redaktionsräumedes Nachrichtenmagazinsvon der Polizei durchsucht und mehrereRedakteure festgenommen. ImZuge der Ermittlungen mussten dannaber sämtliche Beschuldigungen wie Landesverrat und Bestechung fallengelassenund die verhafteten Journalisten freigelassen werden. VerteidigungsministerStrauß, der sich anmaßend in die Arbeit der Justizeingemischt und auf eine Verfolgung der Journalisten gedrängt hatte,musste von seinem Amt zurücktreten. Bedeutung hat diese Affäre daherweniger auf militärischem als auf innenpolitischem Gebiet erlangt. Sie istSinnbild für den schwierigen und umstrittenen Aufbau der Bundeswehrund die Emanzipation der Presse als vierte Gewalt in den 50er und 60erJahren.ag/chHeft 4/2002Militärgeschichte<strong>Zeitschrift</strong> für historische BildungÜ VorschauVor sechzig Jahren, im September 1942,begann die Deutsche Wehrmacht unter Führungdes Generalobersten Friedrich Paulusden Angriff auf die russische Stadt Stalingrad.Doch war dies erst der Auftakt zueiner Tragödie, die den Deutschen wie kaumein anderes Ereignis des Zweiten Weltkriegesin Erinnerung geblieben ist. AndreasKunz beschreibt in der nächsten Ausgabedie Schlacht von Stalingrad.Anlässlich des Jahrestagessendet der Deutschlandfunkeine Serie, dievom 18. bis zum 30. November2002 immer morgensum 8.20 Uhr ausgestrahltwird. In diesemZusammenhang werdennoch Feldpostbriefe undErinnerungen von Soldatenoder deren Angehörigengesucht. Der ehemalige BundesaußenministerHans-Dietrich Genscher bittet alleLeser, die noch über solche Zeugnisse derSchlacht um Stalingrad verfügen, um Mithilfe:»Stalingrad, der frühere Name der Stadt ander Wolga, ist zu einem Synonym gewordenfür den verbrecherischen Hitler-Krieg, fürunendliches Leid für deutsche und sowjetischeSoldaten und ihre Familien, für dieMenschen, die in Stalingrad lebten, Kinder,Frauen und Männer. Von den rund 250 000 inStalingrad eingeschlossenen Soldaten, überlebtennur etwa 6000. Der bevorstehende60. Jahrestag der Schlacht um Stalingradgibt Anlass, an die Tragödie zu erinnern.Der Deutschlandfunk will jene noch einmalzu Wort kommen lassen, die in Stalingradkämpften, hungerten, fielen, die auf demMarsch in die Gefangenschaft erfroren; dievon einer verantwortungslosen Führungsinnlos geopfert wurden. Ich bitte alle diejenigenunter Ihnen, die noch Feldpostbriefeaus Stalingrad haben, diese dem Deutschlandfunkzugänglich zu machen. Die eindrucksvollstenBriefe werden ausgewähltund zu einer Sendereihe zusammengestellt.Die Briefe senden Sie bitte an folgendeAdresse:Deutschlandfunk, Programmdirektion,Feldpostbriefe, Raderberggürtel 40,50968 Köln.«BPA30Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002


Militärgeschichte im Bild3 Kanonenboot S.M.S. Panther und GroßerKreuzer S.M.S. Vineta vor Venezuela 1903,Gemälde von Alexander KircherKanonenbootpolitik»Kanonenbootpolitik« (angloamerikanischesOriginal: gunboat diplomacy)bezeichnet eine verbreitete Methodepolitischer Pression, die europäischeMächte und die USA gegenüber Staatenund vor allem nichtstaatlichenGebilden wie z.B. Stammesgesellschaftenin Lateinamerika, Afrika, Asienund der Südsee mit maritimen Mittelnseit ca. 1850 anwandten. WichtigstesMerkmal der Kanonenbootpolitik istes, dass sich das militärische Einschreiten– im Gegensatz zu einem Krieg – inder Regel unterhalb der Grenze einerKriegserklärung bewegt, d.h. durch dieAusübung oder Androhung begrenztermaritimer Gewalt.Der Begriff Kanonenbootpolitik leitetsich vom (Dampf-)Kanonenboot ab, dasum 1850 entstand. Erst das kleine, flachgehende,dampfgetriebene und modernbewaffnete Kanonenboot konnteunabhängig von Wind und Wetter inden Küstengewässern und auf denStrömen Afrikas (Nil, Niger, Kongo),Lateinamerikas (La Plata, Paraná, RioUruguay) und Chinas (Jangtsekiang,Perlfluß) operieren.Kanonenbootpolitik diente diversenpolitischen Zwecken: der Etablierungdirekter Kolonialherrschaft, der Erzwingungvon Handelsverträgen undÖffnung von Märkten (bekanntestesBeispiel ist Japan 1853 durch die U.S.Navy), der Durchsetzung solcher Verträge,Eintreibung daraus resultierenderSchulden, dem Schutz eigenerStaatsbürger in Übersee oder Strafexpeditionen,z.B. gegenüber aufständischenStämmen. Ein anderer Aspektwar die Bekämpfung von Aufständischen,die gegen »befreundete« Regierungenopponierten.Infolge der Niederlage im Ersten Weltkriegund des Verlustes der Kolonienkonnte Deutschland nur bis 1914 Kanonenbootpolitikbetreiben. Beispiele sindder Nicaraguakonflikt 1878, der »Pfannenkriegvon Amoy« in China 1882,die Etablierung der Kolonialherrschaftin Kamerun im Dezember 1885 durchdie Beschießung Dualas,der »Boxeraufstand« inChina 1900, die Versenkungdes haitianischenRebellenkreuzers»Crête à Pierrot« durchS.M.S. »Panther« 1902und die Venezuelablockade1902/03. Hinzukamen Dutzende vonPolizei- und Strafaktionenin den deutschen Kolonialgebietenin WestundOstafrika und derSüdsee sowie von 1901bis 1914 eine Patrouilleauf dem Jangtsekiangdurch die eigens konstruiertenFlusskanonenboote»Otter« und »Vaterland«. Derbekannte »Panthersprung nach Agadir«während der 2. Marokkokriseim Jahre 1911 dagegen richtete sichnicht gegen Marokko selbst, sonderngegen Frankreich und damit gegen einekonkurrierende Großmacht. Die Niederschlagungdes sogenannten Boxeraufstands1900 in China wurde zurgrößten westlichen Intervention (einschließlichRusslands und Japans) überhauptin der nichteuropäischen Welt;allein das Deutsche Reich stellte einLinienschiffsgeschwader (Linienschiff= Vorläufer des Schlachtschiffs) undDutzende Kreuzer, Kanonen- und Torpedoboote.Damit wurde allerdings inder zweiten Phase des Konfliktes dieGrenze zwischen Kanonenbootpolitikund kriegerischer Intervention überschritten.Durch die technologisch bedingte Ablösungdes Kanonenboots durch modernereSeekriegsmittel ab dem Ende desErsten Weltkrieges änderte sich grundsätzlichnichts an den Prämissen derKanonenbootpolitik. Allerdings ist derkoloniale Aspekt zunehmend in denHintergrund getreten, was sich auchin den seit den 60er Jahren gebräuchlichenalternativen Bezeichnungen ausdrückt:»Koerzive Diplomatie« (CoerciveDiplomacy), »Humanitäre Intervention«(Humanitarian Intervention)oder »OOTW« (Operations Other Than5 Kanonenboot II. Klasse S.M.S. Otter wurde als Piratenjägerfür chinesische Gewässer konzipiertZeichnung, um 1878 von H. PennerWar). Wirklich neu ist lediglich dieimmer weiter gehende Einbeziehungvon Luftstreitkräften und Spezialkommandosin solche Operationen unddie Tatsache, dass auch ein ehemaligesOpfer der Kanonenbootpolitik wie z.B.China inzwischen in der Lage ist, sieselbst anzuwenden, wie der Konfliktum die Spratly-Inseln im SüdchinesischenMeer gezeigt hat.Eng mit der Kanonenbootpolitik verwandtist der »Kleine Krieg« (smallwar), ein Begriff, der um 1900 anlässlichdes Burenkriegs geprägt wurde undnach dem Ende des »Kalten Kriegs«um 1990 erneut aktuell wurde.Gerhard WiechmannMilitärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/2002 31


P U B L I K A T I O N E Ndes MilitärgeschichtlichenForschungsamtesReiheMilitärgeschichteder DDRBand 1 Band 2Band 3 Band 4 Band 5Band 1: Torsten Diedrich, Rüdiger Wenzke, Die getarnte Armee. Geschichte der Kasernierten Volkspolizei derDDR 1952 bis 1956.Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin: Ch. Links Verlag 2001, 34,80 €, ISBN: 3-86153-242-5Band 2: Stephan Fingerle, Waffen in Arbeiterhand? Die Rekrutierung des Offizierkorps der Nationalen Volksarmee undihrer Vorläufer.Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin: Ch. Links Verlag 2001, 20,50 €, ISBN: 3-86153-243-3Band 3: Armee ohne Zukunft. Das Ende der NVA und die deutsche Einheit. Zeitzeugenberichte und Dokumente.Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Hans Ehlert unter Mitarbeit vonHans-Joachim Beth, Berlin: Ch. Links Verlag 2002, 24,90 €, ISBN: 3-86153-265-4Band 4: Armin Wagner, Walter Ulbricht und die geheime Sicherheitspolitik der SED. Der Nationale Verteidigungsratder DDR und seine Vorgeschichte (1953–1971).Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin: Ch. Links Verlag 2002, 34,80 €, ISBN: 3-86153-280-8Band 5: Frank Hagemann, Parteiherrschaft in der Nationalen Volksarmee. Zur Rolle der SED bei der innerenEntwicklung der DDR-Streitkräfte (1956–1971).Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin: Ch. Links Verlag 2002, 24,90 €, ISBN: 3-86153-279-4

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