ODA KROHG

ODA KROHG ODA KROHG

18.08.2012 Aufrufe

Oda KrOhg Malerin und Muse im Kreis um Edvard Munch Herausgegeben von Verena Borgmann und Frank Laukötter Wienand Mit freundlicher unterstützung des Freundes- und Förderkreises Kunstsammlungen Böttcherstraße e. v. 6 7 8 22 40 53 99 124 127 128 Inhalt Vorwort und Dank Geleitwort Anne Wichstrøm Oda Krohg Eine biografische und kunstgeschichtliche Skizze Øystein Sjåstad das Bild von Oda Krohg als »eine wahre Boheme-Prinzessin« Verena Borgmann Oda Krohg und Edvard Munch – Seelenlandschaften Katalog Oda Krohg Katalog Edvard Munch Biografie Oda Krohg Abbildungsverzeichnis Bildnachweis / Impressum

Oda KrOhg<br />

Malerin und Muse im Kreis um<br />

Edvard Munch<br />

Herausgegeben von<br />

Verena Borgmann und Frank Laukötter<br />

Wienand<br />

Mit freundlicher unterstützung des Freundes- und Förderkreises<br />

Kunstsammlungen Böttcherstraße e. v.<br />

6<br />

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99<br />

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128<br />

Inhalt<br />

Vorwort und Dank<br />

Geleitwort<br />

Anne Wichstrøm<br />

Oda Krohg<br />

Eine biografische und kunstgeschichtliche Skizze<br />

Øystein Sjåstad<br />

das Bild von Oda Krohg als »eine wahre Boheme-Prinzessin«<br />

Verena Borgmann<br />

Oda Krohg und Edvard Munch – Seelenlandschaften<br />

Katalog Oda Krohg<br />

Katalog Edvard Munch<br />

Biografie Oda Krohg<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Bildnachweis / Impressum


Abb. 1 Oda Krohg, Fotografie, um 1888 – 1890<br />

anne Wichstrøm<br />

Oda Krohg<br />

Eine biografische und kunstgeschichtliche Skizze<br />

Die feministische Forschung der letzten Jahrzehnte<br />

holte viele Künstlerinnen, die im Laufe der Jahrhunderte<br />

unbekannt geblieben waren, aus dem Dunkel<br />

der Geschichte und nahm eine Neubewertung ihres<br />

Schaffens vor. Oda Krohg gehört nicht zu ihnen. Im<br />

Gegenteil: Ihr Name rief zu jeder Zeit das Bild einer<br />

Femme fatale hervor, einer Frau, die Mann und Kinder<br />

verließ, einer Boheme-Prinzessin und Muse von Dichtern<br />

und Künstlern. Dass sie selbst Künstlerin war,<br />

wurde schnell vergessen. Klatsch und Gerede ließen<br />

die eigenständige bildende Künstlerin Oda Krohg<br />

nicht zur Geltung kommen. Erst als ihre Werke in den<br />

1980er Jahren wieder der Öffentlichkeit vorgestellt<br />

wurden, erkannte man, dass diese einen selbstverständlichen<br />

Platz in der für die nordische Kunst so<br />

fruchtbaren Periode um 1900 einnehmen, einer Periode,<br />

in der Realismus und Symbolismus ein enges<br />

Verhältnis miteinander eingingen.<br />

Ottilia Pauline Christine, im Alltag Oda genannt,<br />

wurde am 11. Juni 1860 in Kristiania (Oslo) geboren. | 1<br />

Ihre Eltern waren der Regierungsadvokat Christian<br />

Lasson und seine halb russische Frau Alexandra. Oda<br />

war das dritte Kind in einer zehnköpfigen Geschwisterschar,<br />

acht Mädchen und zwei Jungen. Die Lassons<br />

gehörten der höchsten Gesellschaftsschicht an.<br />

Sie waren eine bessergestellte, aber nicht sehr wohlhabende<br />

Beamtenfamilie. Sie wohnten gleich hinter<br />

dem königlichen Schloss in einem alten Haus mit<br />

großem Garten, in dem im Frühling der Flieder so<br />

herrlich blühte, wie die jungen Männer berichteten,<br />

die die Töchter umschwärmten. Die Familie besaß<br />

auch ein Sommerhaus in Hvitsten am Kristianiafjord<br />

(Oslofjord). Christian Lasson kam aus einer musikund<br />

kunstinteressierten Familie und beteiligte sich in<br />

einer Zeit, in der sich das Land nach der Befreiung<br />

von Dänemark 1814 noch im kulturellen Wiederaufbau<br />

be fand, aktiv am Kulturleben der Stadt. Zu Hause<br />

wurde viel gesungen und gespielt. Mehrere Kinder<br />

der Familie hinterließen ihre künstlerischen Spuren.<br />

Per, nur ein Jahr älter als Oda und der Stolz der Familie,<br />

war ein vielversprechender Pianist und Komponist.<br />

Seine Romanzen und kleineren Kompositionen<br />

werden heute noch viel gespielt.<br />

Die Lassonschen Kinder wurden nach den für eine<br />

Beamtenfamilie üblichen Normen erzogen. Auch wenn<br />

wir vielleicht annehmen, man wäre so liberal gewesen,<br />

die Mädchen zu ermuntern, mehr aus ihren Fähigkeiten<br />

zu machen als nur gute Hausfrauen und Mütter zu<br />

sein, war es nicht so. Wohl typisch dafür war die Antwort<br />

des Vaters, als Oda die Malerschule besuchen<br />

wollte: »Ja, du kannst anfangen – aber wenn du Talent<br />

hast, dann darfst du nicht weitermachen.« | 2 Mit Kunst<br />

beschäftigten die Mädchen sich, um ihr Sehen, ihre<br />

ästhetischen Fähigkeiten zu entwickeln, was ihrem<br />

späteren Zuhause zugute kommen sollte. Nichtsdestotrotz<br />

taten sich mehrere der Schwestern auf dem<br />

Gebiet der Ästhetik hervor. Alexandra, die mit dem<br />

Maler Frits Thaulow verheiratet war, arbeitete eine<br />

Zeit lang an Bucheinbänden im Jugendstil. Caroline<br />

(genannt Bokken) trotzte dem häuslichen Widerstand,<br />

bildete sich zur Sängerin aus und fand später als Kabarettkünstlerin<br />

ihren besonderen Stil.<br />

8 9


Oda Krohg<br />

Abb. 11 Oda Krohg: Italienischer Junge III, 1904<br />

zu planen, dass sie wieder zusammenziehen würden.<br />

Im selben Jahr malte Oda Krohg ein Porträt von Gunnar<br />

Heiberg (Abb. 10). Vielleicht malte sie sich als<br />

Abschluss ihres Verhältnisses frei? Heiberg sitzt<br />

selbstsicher da, die kompakte Gestalt schräg nach<br />

hinten gelehnt, die eine Hand zur Hälfte in der Westentasche.<br />

Es ist das Bild eines starken und sympathischen<br />

Mannes, mit einem schiefen Blick auf das<br />

Leben. Oda Krohg malte Heiberg ohne jede Spur einer<br />

Karikatur, obwohl sein Aussehen in vielen Künstlern<br />

den Karikaturisten weckte. Der endgültige Bruch zwischen<br />

Oda Krohg und Gunnar Heiberg erfolgte 1901.<br />

Zusammen in Paris und Kristiania<br />

Fast zehn Jahre lang, bis 1909, lebten Oda, Christian<br />

und Per Krohg in verschiedenen kleinen Atelierwoh-<br />

nungen auf dem Montparnasse, alle in der Nähe zu<br />

den Cafés auf dem Boulevard. Der Montparnasse<br />

war noch ein unmondänes Randgebiet von Paris, wo<br />

man billig wohnen konnte. Im Sommer hielten sie<br />

sich lange in Norwegen auf. Von 1902 bis 1909 unterrichtete<br />

Christian Krohg an der privaten Académie<br />

Colarossi. Nach mehreren Jahren Stillstand begann<br />

Oda Krohg wieder frischen Mutes mit der Malerei,<br />

wobei sie neue Motive und Ausdrucksformen suchte,<br />

doch gibt es auch zu den Sommernachts- und Familienbildern<br />

zurückführende Linien.<br />

Nachtschwärmer (Kat. Nr. 15) ist ein Doppelporträt<br />

von ihrer kleinen Schwester Bokken und deren<br />

dänischem Freund und Begleiter Sten Drewsen.<br />

Bokken war inzwischen weit über Norwegens Grenzen<br />

hinaus als Kabarettkünstlerin besonderen Stils<br />

bekannt. Jedwedes Interesse zielt auf die beiden<br />

Personen und die pointierten Kontraste zwischen<br />

ihnen. Ihre Köpfe sind einander leicht zugeneigt. Er<br />

hat einen etwas zugeknöpften Ausdruck und einen<br />

intensiven, brennenden Blick. Bokken erzählte, dass<br />

er kupferrotes Haar, Augen wie blankgeputzte braune<br />

Knöpfe und einen dünnen Strich als Mund hatte, der<br />

sich über ein Gesicht, das bleich und konkav wie<br />

der Mond bei Neumond war, hinzog. | 11 Sie hat ein<br />

aufrichtiges und weit offenes Lächeln. Ihr weißer<br />

Hut und sein kreideweißer Hemdausschnitt, ihr rotgelbes<br />

Kleid und sein rotes Haar leuchten intensiv in<br />

der dunklen Nacht.<br />

In diesen Jahren arbeiten Oda und Christian<br />

Krohg eng zusammen, oft mit demselben Modell. Die<br />

Académie Colarossi arbeitete mit Italienern aus der<br />

Nachbarschaft als Modelle. Oda Krohgs Italienischer<br />

Junge III (Abb. 11, vgl. auch Kat. Nr. 16) mit großem<br />

Hut und rötlichem Haar sieht mit seinem zusammengekniffenen<br />

Mund und den großen, lebendigen<br />

Augen sehr schelmisch aus. Während ihres Besuches<br />

bei Alexandra und Frits Thaulow 1897 in Dieppe saß<br />

deren sechsjährige Tochter Ingrid Modell für sie. Die<br />

Bilder Mädchen mit braunem Huhn (Kat. Nr. 12) und<br />

Mädchen mit Katze (Kat. Nr. 13) – Oda Krohg malte<br />

beide in mehreren Versionen – führen die Gedanken<br />

zurück zu ihren Bildern von spielenden Kindern um<br />

1890. | 12<br />

Trotz allem ist die Porträtmalerei in dieser Phase<br />

vorherrschend: Porträts von Künstlern und Kulturpersönlichkeiten<br />

aus dem eigenen Umgangskreis in<br />

Paris und Kristiania. Die Porträts waren selten auf<br />

Bestellung gemalt, aber wohl doch mit einem kleinen<br />

Seitenblick auf einen möglichen Verdienst. Die<br />

Familie brauchte immer Geld und Oda Krohg mag<br />

dahingehend spekuliert haben, fertige Porträts von<br />

bekannten Personen an Museen oder öffentliche<br />

Einrichtungen zu verkaufen. Dies geschah selten<br />

sofort, doch gingen im Laufe der Zeit fast alle Künstlerporträts<br />

in öffentliches Eigentum über. Oda Krohgs<br />

Porträts sind von starker Intensität, alle Aufmerksamkeit<br />

konzentriert sich auf die Psyche des Modells,<br />

die durch eine ausdrucksstarke Körpersprache und<br />

ein ebensolches Mienenspiel geschildert wird, durch<br />

dunkle Farben und ein oft dramatisches Spiel von<br />

Licht und Schatten. | 13<br />

Das Porträt von Aasta Hansteen (Kat. Nr. 14) ist<br />

das stärkste in dieser Porträtserie. Hansteen war<br />

eine der ersten Malerinnen Norwegens, später eine<br />

kompromisslose Frauenrechtlerin und eine Pionierin<br />

des norwegischen Kulturlebens. Es war auch allgemein<br />

bekannt, dass sie die Vorlage für die Titelfigur<br />

in Gunnar Heibergs Drama Tante Ulrike war, welches<br />

1901 Premiere hatte. Oda Krohg verlieh der alten<br />

Kämpferin einen intensiven, energischen Ausdruck.<br />

Die rechte Hand liegt geballt auf der Hüfte, das Kinn<br />

ist so hoch, dass wir die gespannten Halsmuskeln<br />

erkennen können. Von rechts fällt ein starkes Licht<br />

auf Gesicht und Hände und hebt die Spuren des<br />

Alters hervor.<br />

Auf einer Ausstellung 1906 in Kristiania zeigte<br />

Oda Krohg ihre Künstlerporträts, wobei sie sich als<br />

Abb. 12 Oda Krohg: Ich selbst, um 1906<br />

Porträtmalerin der Künstler vorstellte – mit dabei war<br />

ihr eigenes Porträt, das den stolzen Titel Ich selbst<br />

(Abb. 12) trug. Mit einem Blick voller Reserviertheit<br />

und Vorbehalt sieht sie uns direkt an – und ein wenig<br />

auf uns herab. Von unten fällt ein grünliches Licht mit<br />

brutaler Kraft auf Hals und Gesicht. Eine eng anliegende<br />

dunkle Jacke mit leuchtend roten und grünen<br />

Verzierungen und ein fantasievoller, weicher Filzhut<br />

auf den dicken, rötlichen Locken zeugen von einer<br />

modebewussten Frau. Die verwundbare, reservierte<br />

Frau auf dem Selbstporträt von vor 1892 ist zu einer<br />

bewussten Frau geworden, die den Betrachter eine<br />

Armlänge auf Abstand hält.<br />

18 19


das Bild von Oda Krohg als »eine wahre Boheme-Prinzessin«<br />

Abb. 21 Edouard Manet: Zigeunerin mit Zigarette, 1862<br />

tituierte als auch die Bohemienne opponieren gegen<br />

die bürgerliche Gesellschaft. In Charles Baudelaires<br />

Darstellung der modernen Stadt in Le peintre de la vie<br />

moderne (1863) sind sie »gefallene Frauen«. | 32<br />

In Edouard Manets Zigeunerin mit Zigarette<br />

(Abb. 21) sehen wir einen weiteren, außerhalb der<br />

Gesellschaft stehenden alternativen Frauentyp: eine<br />

rauchende ›Zigeunerin‹ in bunten Kleidern. Vielleicht<br />

hatte Christian Krohg, der ein großer Bewunderer von<br />

Manet war, dieses Bild in Paris oder in einer Zeitschrift<br />

gesehen. Wir erkennen etwas von derselben lockeren<br />

Pinselführung und dem Einsatz teilweise unmodellierter<br />

Flächen in Krohgs Bild wieder. Die Körperhaltung der<br />

beiden Personen erinnern aneinander, und sie haben<br />

beide einen Ring am Finger und auffallenden Ohr-<br />

schmuck – obwohl Oda Krohgs Ohrring etwas zurück-<br />

haltender ist. Es ist, als hätte Christian Krohg – wenn<br />

man Auberts Analyse folgen will – Oda Krohg im Zigeunerkostüm<br />

gemalt. Das einzige was fehlt, ist eine Zigarette<br />

im Mundwinkel. Die Zigarette war ein wichtiges<br />

Kennzeichen der Boheme. Zigaretten rauchende Frauen<br />

wurden als radikal und antibürgerlich aufgefasst. | 33 Wie<br />

aus unzähligen Gemälden, Fotografien und Memoiren<br />

hervorgeht, rauchte auch Oda Krohg viel. In Christian<br />

Krohgs beiden Atelierbildern sehen wir, dass Zigaretten<br />

zur selbstverständlichen häuslichen Ausstattung<br />

gehörten. Auch die niedriger stehenden Prostituierten<br />

konnten mit einer Zigarette in der Hand und dem Mund<br />

entweichendem Rauch beobachtet werden. Es ist deshalb<br />

kein Zufall, dass Manet die Zigeunerin mit einer<br />

Zigarette darstellte und dass Zigaretten bei Oda Krohg<br />

und anderen radikalen Frauen Mode wurden. Hier<br />

sehen wir die Verbindung zwischen den verschiedenen<br />

alternativen sozialen Gruppen, die zur Entstehung der<br />

Idee des Bohemianismus beigetragen hatten.<br />

Die Gestalt der Oda Krogh wurde möglicherweise<br />

auch von Edvard Munch, der vom Oda-Bild seines<br />

alten Mentors von 1888 sehr eingenommen war, aufgegriffen<br />

und weiterinterpretiert. Wie wir gesehen<br />

haben, setzte er sie in seiner Grafik von den Bohemiens<br />

ein, wo Oda Krohg eine Femme fatale ist – eine<br />

Frau, die alle Männer, die sie trifft, verführt und<br />

hypnotisiert (Kat. Nr. 26). Auch ist es nicht unwahrscheinlich,<br />

dass Munch beim Malen der gleichzeitig<br />

entstandenen Bilder Madonna (Abb. 22) und Asche | 34<br />

das Bild von Oda Krohg in Gedanken hatte. Insbesondere<br />

die rote, glorienähnliche Form, die die Madonna<br />

umgibt, erinnert an den Hut, den Oda auf dem Porträt<br />

von Christian Krohg trägt.<br />

Doch finden diese Darstellungen keinen Widerklang<br />

in Oda Krohgs Selbstporträts. In ihren Selbstinszenierungen<br />

treffen wir weder auf die Boheme-<br />

Prinzessin noch auf die selbstständige Künstlerin. Nur<br />

zwei Jahre, nachdem ihr Mann sie porträtiert hatte,<br />

Abb. 22 Edvard Munch: Madonna, 1894–1895<br />

malte sie ihr etwas düsteres Selbstporträt (Kat. Nr. 10).<br />

Die beiden Bilder könnten verschiedener nicht sein.<br />

Das Selbstporträt ist introvertiert und vermittelt den<br />

Eindruck einer psychologischen Studie. Es sagt nichts<br />

darüber aus, dass es sich hierbei um das Selbstporträt<br />

einer Künstlerin handelt. Wie Eva Pohl bemerkt, stellen<br />

Frauen sich selten als professionelle Maler dar. | 35<br />

Wichstrøm schreibt über das Bild: »Indem sie [Oda<br />

Krohg] das Bild mit einer Art Schleier versah, als sähe<br />

sie sich selbst in einem alten Spiegel, schuf sie zwischen<br />

uns und sich einen Abstand. Im Ausdruck liegt<br />

etwas Scheues und Verwundbares, was mit dem Bild,<br />

das andere von ihr vermitteln, ganz und gar nicht übereinstimmt:<br />

Hier ist sie weder Jægers Boheme-Prinzessin<br />

noch Christian Krohgs Alltagsmensch.« | 36<br />

Abb. 23 Oda Krohg: Frauenakt mir chinesischer Laterne, 1890er Jahre (?)<br />

Auch in zwei ihrer bekanntesten Bilder Am Kristianiafjord<br />

(Japanische Laterne, Kat. Nr. 1) und Crescendo<br />

(Kat. Nr. 6) sehen wir eine absorbierte Frauengestalt,<br />

von der man annehmen kann, dass sie Oda Krohg<br />

selbst ist. Sie ist dem Betrachter abgewandt und wir<br />

können ihr Gesicht nicht sehen. Auch hier treffen wir<br />

nicht die Boheme-Prinzessin. Interessant ist es auch<br />

zu sehen, dass auch ihr Mann sie mehrere Male als<br />

diese nach innen gekehrte, fast anonyme Oda-Gestalt<br />

malte. Die Gestalt auf dem Bild Am Kristianiafjord<br />

(Kat. Nr. 1) ist nahezu eine spiegelverkehrte Darstellung<br />

der Gestalt der Oda in Christian Krohgs Eine<br />

Ecke meines Ateliers (Abb. 24). | 37 Die Oda-Gestalt<br />

in Gunnar Heiberg liest »König Midas« (Abb. 18) ist<br />

dagegen wieder eine andere als die in Am Kristiania-<br />

36 37


Oda Krohg und Edvard Munch – Seelenlandschaften<br />

Abb. 30 Edvard Munch: Sommernacht. Inger am Strand, 1889 Abb. 31 Oda Krohg: Nana, 1908 (?) Abb. 32 Oda Krohg: Porträt von<br />

Ivar Arosenius, 1905<br />

Einen kontroversen Pol zu diesem romantischen<br />

Nationalismus bildeten die radikalen Bohemiens,<br />

zu denen Christian und Oda Krohg genauso wie<br />

Edvard Munch gehörten. Sie empfanden das starke<br />

Nationalbewusstsein als konservativ. Was die Maler<br />

beider Pole jedoch verband, war das Bestreben, das<br />

Atmosphärische der Landschaft auszudrücken. Die<br />

Inszenierung von Licht spielt in der europäischen<br />

Landschaftsmalerei zwar bereits im beginnenden<br />

17. Jahrhundert eine wichtige Rolle, doch erst in der<br />

Romantik ist es das erklärte Ziel der Künstler, mit<br />

ihren Landschaftsbildern unbewusste Emotionen hervorzurufen.<br />

Gilt diese Zeit als schwärmerisch verklärt,<br />

tat sich Mitte der 1890er Jahre eine neue künstlerische<br />

Ebene auf: Unter Einbezug des sich zeitgleich<br />

entwickelnden Symbolismus schufen die nordischen<br />

Künstler subjektive Stimmungslandschaften von<br />

außergewöhnlicher, psychologisierender Kraft. Die<br />

poetischen Bilder des Peder Severin Krøyer stehen<br />

beispielhaft für diese Phase in der skandinavischen<br />

Kunst. | 14<br />

Oda Krohg hatte dafür den Grundstein gelegt.<br />

Ihre atmosphärischen Bilder spiegeln immer auch<br />

eigene Stimmungen und Gefühle wider. So schwingt<br />

in dem Pastell Am Kristianiafjord (Japanische Laterne,<br />

Kat. Nr. 1 und Abb. 25) die Sehnsucht einer lauen<br />

Sommernacht mit und der Lampion in dem Bild<br />

Chinesische Laterne (An der Wiese, Kat. Nr. 5) mag<br />

symbolisch für eine entflammte Liebe, vielleicht auch<br />

für ein neues Leben stehen – im Juni 1889 hatte ihr<br />

Sohn Per das Licht der Welt erblickt, als dessen Taufpate<br />

Edvard Munch fungierte. In dem Ansinnen, das<br />

subjektive Empfinden in die Kunst mit einfließen zu<br />

lassen, besteht eine enge Verbindung zu Munch – für<br />

beide Künstler dienten die Bilder als Ausdruck ihres<br />

individuellen Erlebens, ihrer Gefühle, ihres Seelenlebens.<br />

Wir können davon ausgehen, dass beide die<br />

Bilder des jeweils anderen kannten und sich somit<br />

gegenseitig inspirierten. Die Verbindung hatte sich<br />

durch den gemeinsamen Lehrer Christian Krohg<br />

ergeben, im Kreise der Boheme verfestigt und mündete<br />

schließlich in einer künstlerischen Freundschaft,<br />

die ihren Höhepunkt im Jahre 1891 fand: Im Sommer<br />

trafen sich Oda Krohg und Edvard Munch in Åsgårdstrand,<br />

um dort gemeinsam zu malen. Hier wurde<br />

Munch von der Liebschaft seines Freundes Jappe<br />

Nilssen mit Oda Krohg zu mehreren Darstellungen<br />

Abb. 33 Edvard Munch: Selbstbildnis<br />

mit brennender Zigarette, 1895<br />

der Melancholie (Abb. 28) inspiriert, in denen er Nilssen<br />

am Strand sitzend zeigt, einsam und verzweifelt<br />

über die Trennung von Oda Krohg. Eine Variante des<br />

Gemäldes wurde noch im selben Jahr bei der Herbstausstellung<br />

gezeigt und von Christian Krohg als erstes<br />

symbolistisches Werk der norwegischen Malerei<br />

gefeiert. Zudem dient Munch die Krohg-Nilssen-<br />

Affäre als Anregung für seine späteren Eifersucht-<br />

Bilder. | 15 Was sich in der ersten, eher skizzenhaften<br />

Fassung des Bildes nur erahnen lässt, wird in den<br />

späteren Versionen etwas deutlicher: Im Hintergrund<br />

führt ein Steg ins Wasser, auf dem zwei Figuren<br />

angedeutet sind – ein Mann im schwarzen Anzug und<br />

eine Frau im weißen Kleid. Es ist naheliegend anzunehmen,<br />

dass es sich dabei um Oda und Christian<br />

Krogh handelt. | 16<br />

Doch bereits vor dem Sommer ihres gemeinsamen<br />

Wirkens in Åsgårdstrand lassen sich Ähnlichkeiten<br />

in der Motivik von Oda Krohg und Edvard Munch<br />

erkennen. Im Jahr 1889 machten sie beide eine junge<br />

Frau am Klavier zum Thema eines Bildes. Oda Krohg<br />

malte Crescendo (Kat. Nr. 6) und Munch Mädchen am<br />

Piano (Abb. 29). | 17 In der Komposition ähneln sich die<br />

Bilder, doch sie unterscheiden sich im Stil. Munch<br />

Abb. 34 Edvard Munch: Dagny<br />

Juel-Przybyszewska, 1893<br />

Abb. 35 Edvard Munch:<br />

Karl Jensen-Hjell, 1885<br />

wählt eine impressionistische Malweise und schafft<br />

dadurch eine sehr bewegte Bildoberfläche mit aufgelösten<br />

Formen, während Oda Krohgs Gemälde homogener<br />

scheint. Mit den tiefen Blautönen und dem<br />

Mond, der hier indirekt durch das auf dem Klavier<br />

stehende Landschaftsbild in die Szenerie integriert<br />

wird, überträgt die Künstlerin die atmosphärische<br />

Stimmung der abendlichen Landschaft in den Innenraum.<br />

Als Oda Krohg im Sommer desselben Jahres<br />

Chinesische Laterne (An der Wiese) malte, malte<br />

Munch Sommernacht. Inger am Strand (Abb. 30). Mit<br />

diesem Gemälde knüpft er an Oda Krohgs Sommernachtsbild<br />

Am Kristianiafjord (Japanische Laterne) an.<br />

Die Ähnlichkeiten liegen auf der Hand: Das zentrale<br />

Motiv ist eine junge Frau im weißen Kleid, die an<br />

einem mondbeschienenen See sitzt. Es herrscht eine<br />

melancholische Stimmung. Beide Künstler arbeiten<br />

mit vereinfachten Formen, was sich vor allem in den<br />

Kleidern niederschlägt, bei Oda Krohg außerdem<br />

in der stilisierten Seelandschaft, bei Edvard Munch<br />

in den plakativen Steinen. Anstelle von Oda Krohgs<br />

Papierlaterne fungiert bei Munch der Mond als Lichtquelle.<br />

Den Einsatz des Mondscheins als Stimmungsträger<br />

wird er in seinen späteren Bildern perfektio-<br />

46 47


1<br />

am Kristianiafjord<br />

(Japanische Laterne)<br />

Ved Kristianiafjorden (Japansk lykt)<br />

1886<br />

Pastell<br />

61 × 40 cm<br />

Privatbesitz<br />

Am Kristianiafjord (Japanische<br />

Laterne) ist ein Meilenstein im<br />

Werk von Oda Krohg. Mit diesem<br />

Bild stellte sie sich 1886 im<br />

Herbstsalon in Kristiania erstmals<br />

der Öffentlichkeit vor und leistete<br />

damit einen wesentlichen Beitrag<br />

zur Entwicklung der Stimmungsmalerei<br />

in Norwegen, die sich erst<br />

in den 1890er Jahren zu voller<br />

Blüte entfalten sollte.<br />

Die atmosphärische Stimmung<br />

wird erzeugt durch das Zusammenspiel<br />

des warmen, goldenen<br />

Lichts der Papierlaterne und der<br />

Abenddämmerung während der<br />

sogenannten blauen Stunde, wenn<br />

der Himmel eine tiefblaue, aber<br />

doch leuchtende Farbigkeit besitzt.<br />

Oda Krohg wählte nicht Ölfarbe<br />

sondern Pastellkreide, um die<br />

Poetik des Moments einzufangen;<br />

eine Technik, die den Künstlern<br />

ein besonders weiches, fließendes<br />

Arbeiten ermöglicht. So scheinen<br />

die Gegenstände miteinander zu<br />

verschmelzen und die Farbe legt<br />

sich wie ein Schleier über die Szenerie.<br />

Die im Vordergrund sitzende<br />

Figur schmiegt sich förmlich an<br />

die rechte Türseite. Der Türrahmen<br />

ist zugleich Bilderrahmen und lädt<br />

den Betrachter ein, dem Blick der<br />

jungen Frau zu folgen, die gedan-<br />

kenverloren auf eine Seelandschaft<br />

schaut. Sie wirkt wie die personifizierte<br />

Melancholie. Bei der Dargestellten<br />

handelt es sich entweder<br />

um Oda Krohg selbst oder um<br />

eine ihrer Schwestern. Schauplatz<br />

ist das am Oslofjord gelegene<br />

Hvitsten, wo die Familie Lasson<br />

ein Sommerhaus besaß. | 1 In einer<br />

anderen, etwas größeren und ein<br />

wenig helleren Version des Bildes<br />

(Abb. 25) zeichnet sich das weiße<br />

Haus am linken Bildrand etwas<br />

deutlicher ab. Dort ist außerdem<br />

der geöffnete Türflügel sichtbar,<br />

in dessen Glasscheiben sich die<br />

Laterne widerspiegelt. | 2<br />

Der Lampion ist nur eines der<br />

Merkmale, die deutlich den Einfluss<br />

japanischer Kunst auf Oda Krohgs<br />

Werk erkennen lassen. Auch die<br />

sparsame Palette, die dekorative<br />

Vereinfachung und die schlanken<br />

Bäume, die den Bildraum gliedern,<br />

lassen darauf schließen. Das sind<br />

Stilmittel, die wir von anderen<br />

impressionistischen Künstlern<br />

kennen und auch der Einsatz asiatischer<br />

Accessoires wie Fächer oder<br />

Sonnenschirme ist nicht neu. In<br />

Norwegen war Oda Krohg jedoch<br />

die erste, die den Japonismus mit<br />

einer Sommernachtsstimmung<br />

verbindet. So schuf sie ein zwar<br />

romantisches, aber doch ungekünsteltes<br />

Bild, das symbolisch für<br />

ihr eigenes Gefühlsleben steht.<br />

vB<br />

1 Vgl. Anne Wichstrøm: Oda Krohg. Maleri,<br />

Ausst. Kat. Lillehammer Kunstmuseum,<br />

Lillehammer 2005, S. 4.<br />

2 In Privatbesitz existiert noch eine dritte<br />

Version des Pastells, die in Ausgestaltung<br />

und Größe fast genau der Version aus dem<br />

Nasjonalmuseet entspricht.<br />

54 55


58 59


13<br />

Ingrid mit Katze<br />

Ingrid med katt<br />

um 1897<br />

Öl auf Leinwand<br />

64 × 50 cm<br />

Privatbesitz<br />

1897 besuchten Oda und Christian<br />

Krohg zusammen mit ihrem<br />

Sohn Per die Familie Thaulow in<br />

Dieppe in der Normandie. | 1 Frits<br />

Thaulow, wie die Krohgs auch ein<br />

Maler, war mit Odas Schwester<br />

Alexandra verheiratet. | 2 Ingrid, die<br />

Tochter der Thaulows, diente ihrer<br />

Tante Oda Krohg als Modell für<br />

das Gemälde Ingrid mit Katze. | 3<br />

Ein dunkles Augenpaar, den<br />

Kopf leicht nach vorn geneigt,<br />

sodass die blonden Locken das<br />

Gesicht umspielen, ein lächelnder<br />

Mund – Ingrid weiß zu gefallen;<br />

und Oda Krohg weiß die Anmut,<br />

Abb. 41 Oda Krohg: Ein kleines Mädchen mit<br />

Katze, 1907<br />

die Lebendigkeit und den Zauber<br />

der Sechsjährigen zu malen. Das<br />

Kind hält eine Katze, die mehr mit<br />

dem Mädchen zu spielen scheint<br />

als dieses mit dem Tier. Mit<br />

bewegten Pinselstrichen hält die<br />

Künstlerin diese Szene fest. Nass<br />

in Nass gemalt, schimmert das Rot<br />

des Kleides durch das Weiß der<br />

Pfoten. Wie im Fell des Tieres Hell<br />

und Dunkel kontrastieren, stehen<br />

sich dieses Rot und der überwiegend<br />

grünliche, ab und an auch<br />

bläuliche Hintergrund gegenüber.<br />

Kinderbilder kommen im Werk<br />

Oda Krohgs häufig vor. Acht der<br />

22 Bilder dieses Katalogs sind Kinderbilder<br />

(Kat. Nrn. 2, 3, 8, 9, 12,<br />

13, 16 und 17). Ein frühes Beispiel<br />

eines Kinderbildnisses ist verschollen.<br />

Das Mein Junge betitelte<br />

Gemälde war zusammen mit Am<br />

Kristianiafjord (Japanische Laterne,<br />

Kat. Nr. 1) 1886 auf der Herbstausstellung<br />

zu sehen. Es wird berich-<br />

Abb. 42 Oda Krohg: Ein Mädchen mit Katze,<br />

1908<br />

tet, dass es ein amüsantes Porträt<br />

des Sohnes der Künstlerin war,<br />

der, sich scheinbar ertappt fühlend,<br />

ein Spielzeug hinter seinem<br />

Rücken versteckt hält, während<br />

andere Spielzeuge wie objets trouvés<br />

auf dem Bilderrahmen platziert<br />

waren. | 4 Ein spätes Beispiel<br />

eines Kinderbildnisses ist das der<br />

Enkelin Turi von um 1928. | 5 Durch<br />

ihre jahrzehntelange Beschäftigung<br />

mit dem Bild des Kindes –<br />

von Ingrid mit Katze gibt es allein<br />

drei Variationen – trug Oda Krohg<br />

ihren Teil dazu bei, dass, den programmatischen<br />

Titel des Buches<br />

von Ellen Key von 1900 aufgreifend,<br />

das 20. Jahrhundert Das<br />

Jahrhundert des Kindes wurde.<br />

FL<br />

1 Vgl. den Aufsatz von Anne Wichstrøm in<br />

diesem Katalog, S. 18f.<br />

2 Per Krohg porträtierte seine Mutter Oda<br />

Krohg und seine Tante Alexandra Thaulow auf<br />

dem Gemälde Grand Café in den 1890er Jahren,<br />

Abb. 16 in diesem Katalog. Sie sitzen in der vorderen<br />

Reihe, unterhalb des Zwischenraums zwischen<br />

den mittleren Fenstern. Christian Krohg<br />

ist etwas weiter links zu sehen, seine linke Hand<br />

fährt durch seinen weißen Bart, seine rechte<br />

ruht auf einem roten Stuhl.<br />

3 1895 malte Jacques-Emile Blanche: Die<br />

Familie Thaulow. Öl auf Leinwand, 180 × 200cm.<br />

Das Bild befindet sich im Musée d’Orsay. Es<br />

zeigt Frits Thaulow umgeben von Ingrid und Harald,<br />

den Kindern aus zweiter Ehe mit Alexandra<br />

Lasson, und Else, dem Kind aus erster Ehe mit<br />

Ingeborg Gad, der Schwester von Mette-Sophie<br />

Gad, der Gattin von Gauguin.<br />

4 Vgl. Anne Wichstrøm: Oda Krohg. A Turnof-the-Century<br />

Nordic Artist, in: Women’s Art<br />

Journal, Bd. 12, H. 2, Herbst 1991 / Winter 1992,<br />

S. 3–8, hier S. 8, Anm. 12 und vgl. den Aufsatz<br />

von Anne Wichstrøm in diesem Katalog, S. 12.<br />

5 Oda Krohg: Turi, um 1928. Öl auf Leinwand,<br />

46,5 × 36,5 cm. Privatbesitz, Norwegen, in: Anne<br />

Wichstrøm: Oda Krohg. Et kunstnerliv, Oslo 1988,<br />

Abb. 97, S. 111.<br />

78 79


21<br />

Porträt von Johanne dybwad<br />

Portrett av Johanne Dybwad<br />

1912<br />

153,5 × 93,5 cm<br />

Öl auf Leinwand<br />

Nationaltheatret, Oslo<br />

Nach Oda Krohgs endgültiger<br />

Rückkehr aus Paris im Jahr 1911<br />

blieb sie in ihrer Heimatstadt Kristiania<br />

eine gefragte Porträtmalerin.<br />

| 1 Einen Höhepunkt aus dieser<br />

Zeit stellt das Porträt der Schauspielerin<br />

Johanne Dybwad dar. In<br />

den 1880er Jahren, also zur Blütezeit<br />

der Kristiania-Boheme, waren<br />

Oda und Christian Krohg eng mit<br />

der Schauspielerin Johanne Dybwad<br />

und ihrem Mann, dem Anwalt<br />

und Theaterautor Vilhelm Dybwad,<br />

befreundet. | 2 Aus dieser Zeit<br />

stammt ein Porträt der Schauspielerin<br />

aus Christian Krohgs Hand,<br />

jedoch besitzt Oda Krohgs Bild,<br />

Abb. 46 Christian Krohg: Porträt Johanne<br />

Dybwad, 1887–1890<br />

allein schon der Maße wegen,<br />

einen repräsentativeren Charakter.<br />

Ein Grund dafür liegt sicherlich<br />

im Anlass des Porträts: In Auftrag<br />

gegeben von der Geschäftsführung<br />

des Nationaltheaters, ist es<br />

eine Hommage an die Schauspielerin,<br />

die 1912 ihr 25-jähriges Bühnenjubiläum<br />

feierte. | 3<br />

Johanne Dybwad (1867–1950) galt<br />

in ihrer Zeit als eine der bedeutendsten<br />

Schauspielerinnen Skandinaviens.<br />

Ihr ausdrucksstarkes,<br />

aber natürliches Spiel harmonisierte<br />

vollkommen mit den naturalistischen<br />

Theaterstücken von<br />

Bjørnstjerne Bjørnson und Henrik<br />

Ibsen. Nach dem ungeheueren<br />

Erfolg ihrer Darstellung der Nora<br />

in Ibsens Ein Puppenheim spielte<br />

sie alle großen Frauenrollen des<br />

Dramatikers. Der norwegische<br />

Literaturhistoriker Francis Bull<br />

schwärmte noch siebzehn Jahre<br />

nach ihrem Tod in einem Radiointerview<br />

von ihrer Schauspielkunst:<br />

»Wenn ich an Johanne Dybwad<br />

denke, denke ich an ihr Gesicht,<br />

ihren Körper, ihre Stimme – und<br />

an ihre totale Beherrschung darüber.«<br />

| 4 Selbst Gunnar Heiberg war<br />

verblüfft, als sie als junge Frau in<br />

seinem Theaterstück Tante Ulrike<br />

eine alte Frau absolut glaubhaft<br />

verkörperte – ohne dabei auf die<br />

Hilfen der Maskenbildner zurückzugreifen.<br />

| 5<br />

Die Ausdruckskraft von<br />

Johanne Dybwad lässt sich in Oda<br />

Krohgs charismatischem Porträt<br />

gut erahnen. Die Schauspielerin<br />

schaut uns selbstbewusst,<br />

mit aufrechter Haltung aus dem<br />

Bild heraus an. Ihr entspannt<br />

herunterhängender linker Arm<br />

zeugt von einer Gelassenheit.<br />

Ein leichtes Lächeln, das schon<br />

fast verschmitzt wirkt, umspielt<br />

ihren Mund. Ungemein weich und<br />

lebendig wirken ihre Gesichtszüge,<br />

die Oda Krohg in warmen<br />

Farbtönen festgehalten hat. Die<br />

strahlende Wirkung der Schauspielerin<br />

wird durch das Kleid<br />

unterstrichen, dessen Weiß durch<br />

abgestufte Blautöne noch leuchtender<br />

wirkt. Ebenso intensiviert<br />

der in Blau-, Grün- und Rosatönen<br />

changierende Hintergrund die<br />

Leuchtkraft der Figur. Gleichwohl<br />

sind die Hell-Dunkel-Kontraste<br />

weitaus weniger betont als in Oda<br />

Krohgs Porträts der Pariser Zeit.<br />

In seiner harmonischen Farbkomposition<br />

und Zartheit der Konturen<br />

erinnert das Bild an Oda Krohgs<br />

impressionistische Phase der<br />

1880er Jahre.<br />

SE<br />

1 Vgl. den Aufsatz von Anne Wichstrøm<br />

in diesem Katalog, S. 19.<br />

2 Vgl. Anne Wichstrøm: Oda Krohg.<br />

Et Kunstnerliv, Oslo 1988, S. 103.<br />

3 Carla Rae Waal: Johanne Dybwad.<br />

Norwegian Actress, Oslo 1967, S. 96.<br />

4 Francis Bull: Foreword, in: Waal 1967,<br />

wie Anm. 3, S. v–vi, hier: S. v., Übersetzung<br />

aus dem Englischen SE.<br />

5 Vgl. Waal 1967, wie Anm. 3, S. 60.<br />

94 95


Oda Krohg – Biografie<br />

1860 Am 11. Juni als Ottilia Pauline Christine Las-<br />

son geboren in Åsgårdstrand. Zweite Tochter (sieben<br />

Schwestern, zwei Brüder) des Regierungsadvokaten<br />

Christian Otto Carl Lasson (1830 – 1893) und seiner<br />

Ehefrau Alexandra von Munthe af Morgenstierne<br />

(1842 – 1881). Ihre Großmutter mütterlicherseits,<br />

Anastasia Sergiewna Soltikoff, ist eine russische Prinzessin.<br />

Sie wächst in einem konservativ-liberalen Elternhaus<br />

auf. Zwei ihrer Schwestern heiraten bekannte<br />

Maler: Alexandra (1862 – 1955) vermählt sich 1886 mit<br />

Frits Thaulow und Sofie Elisabeth (1873–1917) 1903<br />

mit Holger Drachmann. Caroline, genannt Bokken<br />

(1871 – 1970), wird eine berühmte Varietésängerin. Zu<br />

ihrem Bruder Per (1859 – 1883) hat Oda ein sehr inniges<br />

Verhältnis. Er ist ein vielversprechender Komponist,<br />

stirbt aber bereits im Alter von 24 Jahren.<br />

1881 Am 15. Juni Heirat mit dem Unternehmer<br />

Jørgen Engelhart (1852 – 1921). Mit ihm hat sie in den<br />

nächsten zwei Jahren zwei Kinder – ein Mädchen,<br />

Sascha (1882 – ?), und einen Jungen, Fredrik, genannt<br />

Ba (1883 – ?).<br />

1883 Trennung von Jørgen Engelhart. Diese Entscheidung<br />

löst einen Skandal aus, denn es ist zu<br />

der damaligen Zeit absolut unüblich, dass eine Frau<br />

solch einen Schritt unternimmt. Ermutigt durch die<br />

Kontakte zur Kristiania-Boheme entscheidet sie sich,<br />

Künstlerin zu werden.<br />

Sie wird Schülerin von Christian Krohg (1852 – 1925),<br />

der eine private Malschule betreibt. Die beiden verlieben<br />

sich. Christian Krohg ist bereits ein etablierter<br />

Maler und einer der besten Lehrer. Auch Edvard<br />

Munch zählt zu seinen Schülern.<br />

1885 Noch vor der Scheidung von Jørgen Engelhart<br />

am 22. September wird Oda von Christian Krohg<br />

schwanger. Um einen weiteren Skandal zu vermeiden,<br />

reist das Paar nach Belgien, wo die Tochter<br />

Nana (1885 – 1974) am 18. August geboren wird. Sie<br />

lassen das Kind bei Pflegeeltern zurück. Oda Krohgs<br />

Aufenthalt in Brüssel wird als Studienreise getarnt.<br />

Abb. 58 Die Geschwister Lasson, 1881 Abb. 59 Oda Krohg, um 1888 – 1890 Abb. 60 Oda Krohg und Jappe Nilssen beim Fotografen in Tønsberg, 1891<br />

1886 Ausstellungsdebut im Norwegischen<br />

Herbstsalon mit zwei Bildern: Mein Junge und Am<br />

Kristianiafjord (Japanische Laterne). Mit letzterem,<br />

stimmungsvollem Bild nimmt sie die Sommernachtsbilder<br />

von Edvard Munch vorweg, die er drei Jahre<br />

später zu malen beginnt, und legt den Grundstein für<br />

die atmosphärische Malerei und den Symbolismus in<br />

Norwegen.<br />

1888 Ganz im Sinne der Boheme führt Oda Krohg<br />

im Sommer eine Beziehung mit Hans Jæger, die von<br />

Christian Krohg beobachtet wird. Obwohl das Experiment<br />

nur wenige Wochen dauert, leidet Odas Ansehen<br />

erheblich darunter und auch die Freundschaft<br />

zwischen Jaeger und den Krohgs zerbricht daran.<br />

Eine detaillierte Beschreibung dieser Dreiecksbeziehung<br />

findet sich in Hans Jægers Roman Kranke<br />

Liebe. Das Buch erscheint 1893 und wird sofort nach<br />

Veröffentlichung aufgrund seiner unmoralischen Passagen<br />

konfisziert.<br />

Nachdem die Scheidung von Jørgen Engelhart<br />

bewilligt ist, heiratet sie am 4. Oktober Christian<br />

Krohg.<br />

1889 Am 18. Juni Geburt des Sohnes Per (1889 –<br />

1965). Edvard Munch fungiert als Taufpate.<br />

1890 Die Tochter Nana wird in die Familie zurück<br />

geholt. Beide Kinder des Ehepaars werden ebenfalls<br />

Künstler – Nana wird bekannt für ihre Grafiken, Per<br />

wird einer der führenden Maler Norwegens zwischen<br />

den Weltkriegen.<br />

Die beiden älteren Kinder, die Oda Krohg mit<br />

Jørgen Engelhart hat, leben bei den Krohgs, bis sie<br />

1898 mit dem Vater nach Brasilien emigrieren. Die<br />

Sommerferien verbringen sie in Norwegen bei den<br />

Krohgs und Oda besucht sie 1926 in Brasilien.<br />

1891 Liebesaffäre mit Jappe Nilssen, welche der<br />

Schriftsteller in seinem Roman Nemesis (1896) dokumentiert.<br />

Edvard Munch malt seinen nach der Trennung<br />

verzweifelten Freund in mehreren Varianten des<br />

Bildes Melancholie.<br />

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