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KASIMIRMALEWITSCH

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KASIMIR MALEWITSCH, SUPREMATISTISCHE<br />

KOMPOSITION, 1915<br />

Andréi Nakov<br />

In memoriam Wilhelm Hack<br />

Blick in die Letzte futuristische Ausstellung<br />

0,10 (1915, Petrograd) mit Werken von<br />

Kasimir Malewitsch. Das Schwarze Quadrat<br />

auf weißem Grund hängt in der Raumecke<br />

direkt unter der Decke und nimmt dort den<br />

traditionellen Platz einer Ikone ein. Die<br />

Suprematistische Komposition (heute im<br />

Museum Ludwig) befindet sich zwei Reihen<br />

unter dem Schwarzen Quadrat auf der<br />

linken Wand.<br />

34<br />

Ich dagegen habe in der Null der Formen eine neue Gestalt gefunden<br />

und bin über die Null hinaus zum Schöpferischen gelangt, d. h.<br />

zum Suprematismus, zum neuen Realismus in der Malerei – zum<br />

gegenstandslosen Schaffen.<br />

Der Suprematismus ist der Beginn einer neuen Kultur.<br />

K. Malewitsch (aus: „Vom Kubismus und Futurismus zum Suprematismus.<br />

Der neue Realismus in der Malerei“, 1916)<br />

Im Dezember 1915 wurde die Komposition S-60 1 bei der ersten öffentlichen<br />

Präsentation des Suprematismus in der Ausstellung 0,10 von<br />

Malewitsch 2 unterhalb des ursprünglichen Vierecks – das später als<br />

Schwarzes Quadrat bezeichnet wurde – gehängt. Dort besetzte das Bild<br />

die Innenreihe einer Hängung auf vier unterschiedlichen Höhen und ist<br />

Teil einer Werkgruppe, der ihr Schöpfer im Ausstellungskatalog zu 0,10<br />

(Nr. 48 bis 59) den Oberbegriff „Malerische Massen in Bewegung“ 3<br />

gab (vgl. Foto S. 34). Die Platzierung inmitten von Arbeiten, die noch<br />

narrative Titel trugen – Selbstbildnis in zwei Dimensionen, Dame oder<br />

Malerischer Realismus eines Jungen mit Ranzen (S-139) –, wie auch die<br />

unmittelbare Nachbarschaft zur Komposition S-82, die direkt über S-60<br />

hing und eng mit dem Bühnenbild für das Stück Sieg über die Sonne<br />

verbunden war, sprechen ohne jeden Zweifel für eine Zugehörigkeit von<br />

S-60 zur allerersten Gruppe gegenstandsloser Werke, die – wie wir heute<br />

wissen – ab Frühsommer 1915 entstand. Diese frühen gegenstandslosen<br />

Kompositionen gingen unmittelbar aus Malewitschs Erfahrungen<br />

mit dem Kubofuturismus und insbesondere mit dem Alogismus hervor<br />

und bereiteten den Weg für den Suprematismus, der als Begriff und<br />

ästhetisches Programm erst nach der Realisierung dieser ersten Serie<br />

abstrakter Gemälde voll ins Bewusstsein treten sollte.<br />

Die Komposition S-60 besteht aus sechs großen und sieben weiteren<br />

gegenstandslosen Flächenelementen, alle in der Farbe Schwarz, sowie<br />

einem bernsteingelben Kreis im unteren linken Teil. Letzterer ist mit<br />

seiner energetischen Bedeutung entscheidend für die bildnerische Gestaltung<br />

der Komposition, denn er bestimmt maßgeblich die Bewegungsrichtung<br />

der Formen des Ensembles; ausgehend von dem gelben Punkt<br />

unten links, führt sie in einer Aufwärtsbewegung nach rechts oben. Ein<br />

solcher energetischer Punkt, eine Art Zentrifugalpol für die Dynamik der<br />

gegenstandslosen Flächen, erscheint in mehreren Arbeiten – Gemälden<br />

wie auch Zeichnungen – einer frühen, schon abstrakten Werkfolge, bestehend<br />

aus S-18, S-28(Abb. 43), S-40, S-42 (Abb. 42), S-216 und<br />

S-219. 4 Besonders auffällig ist dessen Funktion bei zwei im Hinblick auf<br />

die Kompositionslogik mit S-60 vergleichbaren Bildern: bei S-14, das<br />

Malewitsch in der Ausstellung 0,10 unter dem Titel Malerischer Realismus<br />

eines Fußballspielers zeigte, und bei S-33 (Abb. 40), das einen gelben<br />

Punkt (oder kleinen Kreis) aufweist, der bei S-14 grün ist. In einer strikt<br />

formalen Sichtweise lassen sich beide Kompositionen als Weiterentwicklungen<br />

von S-60 auffassen. Unter den Zeichnungen aus der frühen, noch<br />

protosuprematistischen Phase können mehrere Kompositionen (S-18,<br />

S-28 oder S-38 und S-43 5 ) als Übergangswerke vom alogischen Stadium<br />

38 Kasimir Malewitsch, Suprematistische Komposition, 1915, Museum Ludwig,<br />

Köln/Sammlung Ludwig<br />

hin zum Suprematismus gelten, und aus diesem Grund sind sie auch umso<br />

wertvoller für das Verständnis von Malewitschs formaler Entwicklung<br />

zum damaligen Zeitpunkt.<br />

Kennt man die Logik in der formalen Entwicklung des Künstlers auf seinem<br />

Weg zur Gegenstandslosigkeit, so sucht man zu Recht in jeder der<br />

frühen gegenstandslosen Kompositionen nach kubofuturistischen oder<br />

alogischen Wurzeln, denn formal leiten sich die Arbeiten dieser präsuprematistischen<br />

Gruppe meist aus der vorangehenden Schaffensperiode<br />

her. Dies gilt etwa für das Selbstbildnis in zwei Dimensionen (S-21, 1915<br />

Stedelijk Museum, Amsterdam) und vor allem für die Komposition S-82,<br />

wie die Zeichnung S-80 (heute im Literaturmuseum, Moskau) belegt,<br />

eine didaktische Fassung mit deutlichen Bezügen zur futuristischen<br />

Oper Sieg über die Sonne. Wenn man nun die „figurative Archäologie“<br />

der gegenstandslosen Elemente untersucht, aus denen sich S-60 zusammensetzt,<br />

so fällt ganz oben ein vertikales, lang gestrecktes Viereck<br />

auf, eine Form mit perfekten rechten Winkeln, die sich durch ihre Position<br />

und Ausbildung als regelmäßiges Rechteck von den anderen gegenstandslosen<br />

Flächen im Bild abhebt. Dieses Element findet sich in derselben<br />

Anordnung und mit derselben deklamatorisch-regelmäßigen<br />

Skansion in den Zeichnungen F-405 und F-406 6 (Abb. 41) wieder, die<br />

ebenfalls zu den Bühnendekorationen für die Inszenierung der futuristischen<br />

Oper von 1913 gehören.<br />

35

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