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Nachhaltiges Bauen

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<strong>Nachhaltiges</strong> <strong>Bauen</strong><br />

Gebäudesimulation: Innovative Systeme<br />

Kunstlicht in der Produktion<br />

Arbeitsplatz: Motivation und Produktivität<br />

Publikationsorgan der Arbeitsgemeinschaft Industriebau (AGI) 53. Jahrgang<br />

5 / 2007


ARCHITEKTUR UND PSYCHE: GESTALTUNGSANFORDERUNGEN FüR<br />

BESSERE BüROS<br />

Genormte Wunderwesen<br />

Wir leben in einer Zeit der markanten<br />

architektonischen Kunstwerke. Die Fülle<br />

von Materialien, die Weite der Formen<br />

und die moderne Technik schaffen dafür<br />

beste Bedingungen. Trotz der engen<br />

baurechtlichen Bestimmungen bleibt viel<br />

Platz für phantasiereiche Gestaltung.<br />

Dieses ungetrübte Bild wird von manchen<br />

kritischen Stimmen kontrastiert.<br />

Sie fordern von den Architekten, neben<br />

der Funktionalität, Zeitgeist-Ästhetik<br />

und Kostenminimierung noch eine weitere<br />

Komponente zu berücksichtigen.<br />

Verlangt wird nach Bauten, die auch<br />

Wohlfühlqualität bieten und psychisch<br />

aufbauen. Anders ausgedrückt: Es<br />

kommt nicht nur auf Zahlen und Fakten<br />

an, sondern auch auf die so genannten<br />

Soft Factors.<br />

Trotzdem geht es dabei um Effizienz. Nicht<br />

umsonst lautet ein Ergebnis der Office 21-<br />

Studie „Soft Success Factors“ des Stuttgarter<br />

Fraunhofer-Institutes Arbeitswirtschaft<br />

und Organisation (IAO): „Je mehr Wohlfühl-<br />

Qualität im Büro entsteht, desto mehr trägt<br />

dies auch insgesamt zu einer positiven Unterstützung<br />

der Office Performance bei“.<br />

Denn wer sich wohl fühlt, verfügt über<br />

mehr geistige Kapazität und arbeitet daher<br />

besser. Die Gründe dafür werden deutlich,<br />

wenn wir einige psychische Merkmale des<br />

Menschen auf den Punkt bringen. Die Aussage<br />

der Tiefenpsychologie, nach dem der<br />

unbewusste ältere Teil der menschlichen<br />

Psyche dem jüngeren Bewusstsein an Willenslenkung<br />

haushoch überlegen sei, wird<br />

durch Erkenntnisse der modernen Hirnforschung<br />

bestätigt.<br />

Der erste Eindruck<br />

MANAGEMENT<br />

Wie sehr wird der Mensch vom umgebenden Raum und der Gestaltung beeinflusst?<br />

Überwiegend unbewusst wirken diese Faktoren und deren Wechselwirkungen auf<br />

seine Arbeitsqualität ein.<br />

TEXT: MARGIT LIPCZINSKY, HELMUT BOERNER<br />

Konferenzraum aus Glas: Unbewusste Unsicherheit verringert die geistige Kapazität<br />

Bezogen auf Architektur bedeutet das:<br />

Menschen „sehen“ und erleben eine bestimmte<br />

Umgebung, ein Bauwerk oder einen<br />

Raum auf zweierlei Art. Mit dem so<br />

genannten „ersten Eindruck“ nimmt das<br />

Unbewusste blitzschnell wahr, ob Umgebung<br />

oder Raum sozusagen als „Freund“<br />

oder „Feind“ auftreten. Bei dieser Bewertung<br />

spielen visuelle Reize und Atmosphäre<br />

eine herausragende Rolle. Erst im<br />

zweiten Moment reflektiert das Tagesbewusstsein<br />

„materielle“ Aspekte wie Gebäudezweck,<br />

Kosten oder Funktionalität.<br />

Es mag uns nicht gefallen, aber unsere<br />

Psyche ist „altmodisch“: Tief in uns stecken<br />

noch viele Prägungen des frühzeitlichen<br />

Buschmannes, für dessen Überleben<br />

5/07 industrieBAU 49


MANAGEMENT<br />

der erste Eindruck von seiner Umgebung,<br />

das noch vor dem Denken einsetzende intuitive<br />

Einschätzen lebensentscheidend<br />

war. „Kampf oder Flucht?“ Diese Frage<br />

stellt das menschliche Unbewusste auch<br />

heute noch jedes Mal, wenn wir eine Umgebung<br />

betreten oder jemand anderem<br />

begegnen. Mit unseren frühesten Vorfahren<br />

teilen wir auch grundlegende psychische<br />

Inhalte wie beispielsweise das Urbedürfnis<br />

nach Sicherheit. Genau wie sie<br />

fühlen wir uns unbewusst sicherer, wenn<br />

wir einen geschützten Rücken sowie einen<br />

unverstellten Blick nach vorn haben und<br />

über ein eigenes Territorium verfügen.<br />

Unbewusster Stress<br />

In der Praxis kommt es immer wieder<br />

vor, dass angesichts mancher bizarrer und<br />

aggressiver Gestaltungsfaktoren der unbewusste<br />

erste, in Sekundenbruchteilen entstandene<br />

Eindruck von einer Umgebung<br />

negativ ist und warnt: „Vorsicht, Gefahr!“,<br />

während das Tagesbewusstsein unmittelbar<br />

anschließend beruhigt: „Modernes<br />

Gebäude von einem Stararchitekten,<br />

die Innengestaltung stammt von einem<br />

bekannten Designer! Der Bau ist funktional<br />

und sicher, und hier wird gearbeitet.“<br />

Wenn solche einander widersprechenden<br />

Botschaften auftreten, bleibt unbewusst in<br />

der Psyche eine latente Unsicherheit und<br />

Unruhe bestehen – das heißt unbemerkter<br />

Stress.<br />

Diese Belastung verstärkt noch die vielen<br />

anderen psychischen Stressfaktoren<br />

unserer Zeit, die chronische Reizüberflutung,<br />

die ausfransenden Grenzen zwischen<br />

Beruf und Privatleben, die steigende<br />

Komplexität des täglichen Lebens. Ein treffendes<br />

Zitat sagt: „Eine normale Wochentagsausgabe<br />

der New York Times enthält<br />

Sitzposition ohne Schutz nach hinten: keine<br />

gute Voraussetzung für ungestörtes Arbeiten<br />

mehr Informationen, als ein Durchschnittsbürger<br />

des 17ten Jahrhunderts während<br />

seines gesamten Lebens erfuhr.“ (R. S.<br />

Wurman, „Information Anxiety“, Bantam<br />

Dell 1989). Untersuchungen zeigen, dass<br />

mindestens ein Viertel der Bürobeschäftigten<br />

in der EU unter arbeitsbedingtem<br />

Stress leidet und dass die Zahl der dadurch<br />

verursachten psychischen Beeinträchtigungen<br />

laufend ansteigt. Dies bedeutet, dass<br />

die bisherigen ergonomischen Bemühungen<br />

von Architekten, Planern und Einrichtern<br />

um ein Arbeitsumfeld, das psychische<br />

Belastungen auffängt oder zumindest<br />

nicht weiter erhöht, nicht ausreichen.<br />

Dazu tragen zwei Grundfehler bei. Erstens<br />

zielen funktionale Architektenplanung<br />

und Ergonomie im Grunde auf eine<br />

Art „Modell-Menschen“ – ein genormtes<br />

Wunderwesen, das psychisch und physisch<br />

permanent auf der Höhe ist. In der Praxis<br />

haben wir es dagegen mit chronisch gestressten<br />

Alltagspersonen zu tun. Zweitens<br />

werden die psychischen Grundbedürfnisse<br />

des Menschen – wie das Bedürfnis nach<br />

Sicherheit – bei der Büroplanung bis jetzt<br />

mehrheitlich keineswegs ausreichend beachtet.<br />

Durchsichtiger Fußboden: für das Unbewusste<br />

eine subliminale Bedrohung<br />

Psychoergonomische Büros<br />

Welche Richtlinien ergeben sich daraus<br />

für Büros? Psychoergonomische Bürogestaltung<br />

sollte unter anderem folgendes<br />

bieten: Schutz vor unbewusst angenommenen,<br />

„assoziativen“ oder symbolischen<br />

Gefahren, intelligente Ordnungssysteme,<br />

Beleuchtung ohne Blendung, Naturelemente,<br />

eine gewisse Balance zwischen hell<br />

und dunkel, schwer und leicht, hart und<br />

weich sowie atmosphärische Frische. Assoziative<br />

Gefahren bestehen beispielsweise<br />

dann, wenn Arbeitnehmer mit dem Rücken<br />

zu einem Raum oder Verkehrsweg<br />

sitzen, ohne sich durch einen zumindest<br />

minimalen Rückenschutz instinktiv von<br />

hinten geschützt zu fühlen.<br />

Andere assoziative Gefahren können<br />

unbewusst durch auffällige spitze Wandkanten<br />

auftreten, oder durch Sitzpositionen,<br />

von denen die Tür nicht eingesehen<br />

werden kann, oder durch Konferenzräume<br />

mit Glaswänden, in denen die Menschen<br />

„ausgeliefert“ und „angreifbar“ sind,<br />

oder durch Verkehrswege und Treppen<br />

aus Glas oder Gitterstahl. Unbewusste<br />

symbolische Gefahren sind bereits Dekora-<br />

Oben: Aus den Grundängsten lassen sich individuelle Konsequenzen<br />

für die Arbeitsplatzgestaltung ziehen<br />

Links: Die Spitze Hauskante wird vom Unbewussten als assoziative Gefahr<br />

interpretiert<br />

50 industrieBAU 5/07<br />

Grafiken: Lipczinsky & Boerner Konstanz


tionen mit herabziehender visueller Botschaft<br />

oder entstellten, verunstalteten<br />

Formen. Planer und Gestalter sind gefordert,<br />

solche und viele andere subliminal<br />

empfundene Bedrohungen zumindest im<br />

Büro auszuschalten.<br />

Kreatives Chaos?<br />

Außerdem muss auf intelligente Weise<br />

das Problem der Ordnung gelöst werden.<br />

Alles, was trotz vielfältiger Ordnungssysteme<br />

auf dem Fußboden lagert,<br />

wird unbewusst als weniger wertvoll angesehen.<br />

Aber manche Menschen neigen<br />

auch aus psychologischen Motiven<br />

zur Unordnung. Ihr „kreatives Chaos“<br />

hat viel weniger mit Kreativität zu tun als<br />

damit, dass sie einen Teil ihres Selbstwertgefühles<br />

daraus beziehen, mit Unordnung<br />

unbewusst Macht ausüben<br />

können („Nur ich kenne mich hier<br />

aus!“). Die Praxisfrage ist: Wie kann<br />

Ordnung „organisiert“ werden und derartige<br />

notwendige psychische Mechanismen<br />

trotzdem zulassen?<br />

Zum Stichwort Ordnung gehört auch,<br />

Kabel konsequent in Kabelkanälen und<br />

insbesondere hinter offen zugänglichen<br />

Rückseiten von Rechnern zu verbergen.<br />

Sichtbare Kabel entsprechen im übertragenen<br />

Sinn bloß liegenden Nerven. Sie<br />

heizen die Atmosphäre unnötig auf.<br />

„Yang“-Faktoren<br />

Auch bei der Arbeitsplatzbeleuchtung<br />

sollten über die bekannten Richtlinien hinaus<br />

psychoergonomische Gesichtspunkte<br />

berücksichtigt werden. Direktes Licht<br />

ist ein „Yang“-Faktor. Dem Beispiel der<br />

Natur folgend sollte es am Arbeitsplatz<br />

und in Verkehrswegen durch ein bestimmtes<br />

Maß an indirektem Licht ergänzt<br />

werden, um eine als angenehm<br />

empfundene Atmosphäre zu erzielen.<br />

Keinesfalls sollten Menschen in der Arbeitsumgebung<br />

geblendet werden. Wer<br />

sich angestrahlt fühlt, ist unbewusst viel<br />

stärker damit beschäftigt, auf eventuell<br />

auftauchende Gefahren gefasst zu sein.<br />

Das kostet wiederum geistige Kapazität.<br />

Schon in Eingangsbereichen und Aufzügen<br />

sollte deshalb eher indirekte Beleuchtung<br />

installiert werden. Ansammlungen<br />

von Downlights ohne<br />

Blendschutz und gegebenenfalls Dimm-<br />

Vorrichtung sind unvernünftig und wirken<br />

oft aggressivitätsfördernd.<br />

Yang-Faktoren sind auch harte, glänzende<br />

Materialien sowie Technik. Die Frische der<br />

Atmosphäre in einer Arbeitsumgebung<br />

hängt unter anderem davon ab, inwieweit<br />

eine Prise weicher Materialien (Stoffe,<br />

Teppichbelag oder Pflanzen) zumindest als<br />

Akzent für eine gewisse Balance sorgt.<br />

Schließlich sollten psychoergonomische<br />

Überlegungen auch bei der Wahl des<br />

Büroraumkonzeptes berücksichtigt werden.<br />

Es hat sich mittlerweile gezeigt, dass<br />

die einseitige prinzipielle Festlegung auf<br />

ein Großraum-, Kombi- oder Zellenbüro<br />

ebenso wenig Sinn macht wie eine vorschnelle<br />

Entscheidung für viel versprechende<br />

neuartige Konzepte wie non-territoriale<br />

Arbeitsplätze.<br />

Die vier Grundängste ...<br />

Der Tiefenpsychologe Fritz Riemann hat<br />

bereits in den sechziger Jahren des vergangenen<br />

Jahrhunderts eine heute noch<br />

aktuelle Theorie über die vier so genannten<br />

Grundängste des Menschen vorgelegt,<br />

nämlich Angst vor Isolation und Ungeborgenheit,<br />

Angst vor der Masse und Identitätsverlust,<br />

Angst vor dem Wandel und<br />

der Vergänglichkeit sowie Angst vor Starre<br />

und Endgültigkeit. Diese Ängste kommen<br />

in unterschiedlicher Intensität in jedem<br />

von uns vor. Sie entstehen durch die<br />

grundlegende Sehnsucht, der der Mensch<br />

unterliegt, nämlich Zugehörigkeit gegenüber<br />

Unabhängigkeit und Stabilität gegenüber<br />

Wandel.<br />

Wer nun einen ausgeprägten Zugehörigkeitsimpuls<br />

und entsprechend eine etwas<br />

stärkere Grundangst vor Isolation hat,<br />

der fühlt sich prinzipiell, aber völlig unbewusst,<br />

in einem Gruppen- oder Kombibüro<br />

besser aufgehoben als in einem<br />

Einzelbüro. Umgekehrt gilt: Wer eine ausgeprägten<br />

Neigung zur Unabhängigkeit<br />

hat und entsprechend eine unbewusste<br />

stärkere Angst vor der Masse, fühlt sich<br />

grundsätzlich in einem Einzelbüro wohler<br />

als zusammen mit anderen.<br />

... und passende<br />

Bürokonzepte<br />

Die Klagen über Großraumbüros hängen<br />

also nicht nur mit Lärmbelästigung<br />

und störender Ablenkung zusammen, sondern<br />

auch mit der instinktiven Angst mancher<br />

Menschen vor der Masse. Sinnvoll ist<br />

unter diesem Gesichtspunkt also die mög-<br />

MANAGEMENT<br />

lichst vielfältige Bürogestaltung vor allem<br />

auch mit ausreichenden Rückzugsmöglichkeiten.<br />

Solche Ruhe- und Regenerationsbereiche<br />

finden mittlerweile vermehrt Einzug<br />

in die Büros. Negativ ist dabei aber,<br />

dass viele Planer anscheinend nicht darauf<br />

verzichten können, auch diese Bereiche<br />

technisch aufzurüsten, anstatt sie möglichst<br />

einfach und natürlich einzurichten.<br />

Mut zu Farbe, geschwungenen Formen<br />

und Frische, zu unauffällig erzielter Sicherheit<br />

anstelle Aufsehen erregender Technik;<br />

Ruhe- und Regenerationsbereich: elektrosmogfreie<br />

Zone für Kurzerholung und Gedankensammlung<br />

der Ausgleich einseitig harter Materialien<br />

durch Naturelemente; die Einplanung konsequent<br />

elektrosmogfreier Ruhezonen –<br />

derartige Gestaltungsrichtlinien sind im<br />

zukunftssicheren Büro unverzichtbar.<br />

Aber: Werden sich Architekten (und ihre<br />

Bauherren!) mehr als bisher auf Gebäude<br />

einlassen, die nicht nur Denkmäler technischer<br />

Fertigkeiten und ihrer selbst, sondern<br />

auch wohltuend und beseelt sind?<br />

Und können Büroplaner für Alltags-Personen<br />

eine Atmosphäre der Sicherheit und<br />

Ruhe mit kreativer Anregung kombinieren?<br />

Erst dann werden Atmosphäre und<br />

Ambiente selbstverständliche Bestandteile<br />

einer wertigen Unternehmenskultur.<br />

Buchtipp<br />

Büro, Mensch und Feng Shui – Raumpsychologie für<br />

innovative Arbeitsplätze, Margrit Lipczinsky/Helmut<br />

Boerner, Callwey Verlag, 192 Seiten, 44,95 Euro,<br />

ISBN 3-7667-1422-8,<br />

Margrit Lipczinsky und Helmut Boerner sind als Berater<br />

in den Bereichen Bewusstes Führen, Archetyp-fokussiertes<br />

Marketing und Raumpsychologie tätig.<br />

www.lipczinsky-boerner.de<br />

5/07 industrieBAU 51<br />

Fotos: Lipczinsky & Boerner Konstanz

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