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Köpenicker Seniorenzeitung – Ausgabe 5/2004 »Von Träumen und anderen Wirklichkeiten« – Einblicke in das Leben kubanischer Frauen heute – Teil 3 Von Madeleine Porr In dritten und letzten Teil der Artikelreihe setze ich die Auszüge aus den Interviews mit Kubanerinnen zu ihren ersten Erfahrungen mit familiärem Zusammenleben fort; bis auf die Erinnerungen von »Mercedes« handelt es sich wieder um Material, das nicht im Buch verarbeitet wurde. Wie im Buch sind alle Namen geändert. Mercedes, Mercedes, 40 40 Jahre Jahre Ich bin mitten in der so genannten Raketenkrise geboren und weil meine Eltern zu 100% in der Revolution engagiert waren und ihr als Offiziere der Staatssicherheit dienten, waren sie in höchster Alarmbereitschaft. Deshalb brachte mich Mama einen Monat nach meiner Geburt zu ihrer Mutter, damit diese sich um mich kümmerte. Anderthalb Jahre später kam mein Bruder auf die Welt, und nun war meine Oma Ersatzmutter für uns beide, denn Mama musste auch weiterhin immer arbeiten. Doch Oma war schon bei meiner Geburt schwer nervenkrank gewesen, obwohl damals gerade erst Ende Dreißig, und die Betreuung zweier kleiner Kinder wurde zu einer so starken Belastung für sie, dass man uns Geschwister in einen Ganztagskinderhort steckte, als ich vier Jahre alt war und mein Bruder zweieinhalb. Deshalb war es für mich auch ganz natürlich, von meinen Eltern, aber auch von der übrigen Familie getrennt zu sein, als ich mit fünf in die erste Klasse eines Internats eingeschult wurde. Da traf ich sogar noch jüngere Kinder, deren Eltern nach dem Triumph der Revolution Kuba und ihre Kinder verlassen hatten und in die USA gegangen waren. Diese Mädchen und Jungen wurden »Kinder des Vaterlands« genannt und blieben auch an den Wochenenden im Internat, weil sie kein anderes Zuhause hatten. Die Lehrerinnen und Lehrer machten statt dessen Ausflüge mit ihnen. Für mich jedenfalls war dann auch der Wechsel auf ein Internat der Sekundarstufe ganz normal, und ich könnte mir vorstellen, für diese anderen Kinder auch. Andere, die nun in der siebten Klasse neu dazu kamen, haben dagegen sehr viel geweint und mir später erzählt, dass ich ihnen damals aufgefallen war, weil ich niemals geweint hätte. Obwohl wir als Familie praktisch immer getrennt waren, glaube ich, dass es meinen Eltern doch gelungen ist, meinem Bruder und mir die höchsten menschlichen, spirituellen Werte zu vermitteln. Sie waren voller Träume, Utopien und Vertrauen in ein besseres Leben und voller Bereitschaft, für eine bessere Welt zu kämpfen. Ich bin mit diesen Träumen von mehr Gerechtigkeit und Gleichheit für alle Menschen groß geworden, aber auch mit in dieser Richtung teilweise verwirklichten Träumen. Heute, wo ich erwachsen und selbst Mutter bin, sehe ich allerdings meine Kindheit mit anderen Augen und merke, dass mir die »Schule der Familie« als Erfahrung bei der Erziehung meiner Tochter fehlt. Ich verstehe auch erst heute, dass die militärische Disziplin im Internat meinen Charakter stark beeinflusst hat und für eine gewisse Starrheit meiner Persönlichkeit mit verantwortlich ist, die es mir sehr schwer macht, mich wechselnden Situationen anzupassen. Ich bin in mancher Beziehung sehr unflexibel und unnachgiebig und kann mir vorstellen, dass das in hohem Maße mit meiner Kindheit zusammenhängt. Teresa, eresa, 30 30 Jahre Jahre Ich bin in Pinar del Río im Westen Kubas geboren und aufgewachsen. Bis zu meinem 5. Lebensjahr habe ich mit meiner Mutter, meinem Vater, einer Schwester und einer Urgroßmutter zusammengelebt, es war zuerst alles sehr harmonisch, auch wenn wir allzusehr Rücksicht auf die Uromi nehmen mussten, die uns alle herumkommandierte. Aber dann steigerten sich die Auseinandersetzungen meiner Eltern, ihre unterschiedliche Art wurde immer deutlicher. Sie sind nur aus dem einfachen Grund zusammen geblieben, weil sie nun mal irgendwann geheiratet hatten; aber sie empfinden kaum Zärtlichkeit für einander, eigentlich gar keine, Respekt ja, aber es gibt eine große Distanz zwischen ihnen als Paar. So mit fünf Jahren zog ich zu meiner Oma, der Mutter meiner Mutter, und da entwickelten meine Eltern eine Art »Schuldkomplex«: Sie fühlten sich schuldig, dass sie mich vernachlässigt hätten, und kümmerten sich übermäßig um mich, haben mich immer respektiert und be- 15 wundert dafür, dass ich so eine gute Schülerin und so ein ernstes Mädchen war, so talentiert und intelligent usw. Auch wenn meine Mutter mich nur an den Wochenenden sah, hat sie sich doch noch um das kleinste Detail in meinem Leben gekümmert. Mein Vater hat alles meiner Mutter überlassen und sich nicht sonderlich angestrengt, zärtlich zu mir zu sein; er sah mich auch nur selten und hat mir hin und wieder vorgeworfen, bei meiner Oma zu wohnen (eine Entscheidung, die getroffen wurde, lange bevor ich irgend etwas entscheiden konnte). Mit den anderen Mitgliedern der Familie haben sich meine Eltern sehr gut verstanden. Was mir an meinen Eltern während meiner Kindheit am meisten gefiel war, dass sie immer für uns drei Kinder gekämpft haben, dass sie sich darum gekümmert haben, dass wir uns intellektuell weiter entwickeln, wobei sie den Gefühlen eine große Bedeutung beigemessen haben und unserem schulischen Weiterkommen; dass sie sehr intelligent waren und uns Angewohnheiten wie die Lektüre von Büchern vermittelt haben usw. Was mir am meisten missfallen hat war, dass sie ihre Zwistigkeiten, ihre Ehekonflikte auf meine Geschwister und mich übertrugen; dass sie nicht ehrlich mit sich waren und nicht mutig genug, sich zu trennen oder zu gewissen Regelungen miteinander zu kommen, die es ihnen erlaubten, mehr Liebe zwischen sich fließen zu lassen anstatt nur ihre Verantwortung und »Verpflichtung« als Ehemann bzw. Ehefrau. Carlota, Carlota, Carlota, 32 32 32 Jahre Jahre Jahre Ich bin in Havanna geboren, sozusagen privilegiert in einer geräumigen Wohnung im Stadtteil Vedado, denn meine Eltern waren erst kurz vor meiner Geburt mit ihren sechs anderen Kindern dorthin gezogen. Ich bin immer ein rebellisches Kind und nie mit dem einverstanden gewesen, was ich in den Augen meiner Eltern sein und machen sollte. Das war das große Thema in den Auseinandersetzungen zwischen meinem Vater und mir. Mein Vater ist Fischer und hat eine sehr eng begrenzte Vorstellung davon, wie sich eine Frau benehmen sollte. Ich habe ihn kontinuierlich provoziert und Stück für Stück alle seine für Frauen reservierten engen Verhaltensmauern

16 Köpenicker Seniorenzeitung – Ausgabe 5/2004 zerschlagen. Meine Mutter verhielt sich innerhalb unserer Familie stets passiv, sie erlaubte mir zwar bestimmte Dinge, ohne sich lange zu streiten, aber das war mehr aus einer Art heimlicher Solidarisierung mit der Tochter heraus. Auch meine Schwestern hielten sich weitestgehend an Vaters Ge- und Verbote und dazu gehörte auch, Punkt zwölf Uhr nachts wieder zu Hause zu sein, wenn sie ausgegangen waren. Aber ich gehorchte dem nicht und eines Tages – ich war 14 oder 15 – knallte es. In der Nacht kam ich erst gegen eins zurück, meine Freundinnen und Freunde hatten mich noch nach Hause begleitet, alles war ganz harmlos gewesen und das sah man uns auch an. Doch mein Vater stellte mich vor versammelter Mannschaft noch an der Tür zur Rede und schrie mich an, was mir denn eingefallen sei, so spät zu kommen. Tja, und dann fügte er noch hinzu, dass eine Frau, die erst nach halb eins nachts nach Hause käme, eine Nutte sei. Da explodierte ich auch, obwohl ich wusste, dass ich dafür eine gesalzene Strafe bekommen würde; als er mir androhte, mich zu schlagen, schrie ich zurück, dass wenn er das täte, ich ihn wegen Misshandlung anzeigen würde. Von dem Tag an begann er langsam, mich und meine Art, die Dinge zu sehen, zu respektieren. Ich habe allerdings lange gebraucht, um die von meinen Eltern übermittelten Ehe-Verhaltensmuster in meinen Beziehungen zu Männern abzulegen. Meine Mutter hat immer auch außer Haus gearbeitet, erst als Putzkraft, dann lange Zeit als Fahrstuhlführerin, vielleicht hat ihr das geholfen, ihrem Leben ein wenig Sauerstoff zu geben. Sie repräsentierte stets den weichen Part in der Familie und hat mich gelehrt, in jeder Person den Menschen zu sehen, unabhängig davon, was dieser Mensch in seinem Leben macht. Vielleicht tat sie das – wenn auch damals unbewusst –, damit ich begriffe, dass auch mein Vater bestimmten starren Schemata unterworfen sei, und damit ich ihn besser verstünde. Erst heute, mit 67 Jahren, sagt sie endlich: »Wenn er streiten will, gut, dann soll er doch – dann gehe ich eben.« Ich freue mich, dass sie das jetzt so sagt, denn auch wenn ich immer geglaubt hatte, dass es schön sei, den Familienverband zu erhalten, denke ich heute doch, dass das nicht für den Preis der eigenen Herabwürdigung geschehen darf. So geht es vielmehr darum, sich einfach zu lieben, denn schließlich leben wir ja alle mehr oder weniger unter demselben Dach. *** Steig in das Luftschiff der Träume! Die versprochenen blühenden Landschaften sind da. Eine Stunde von Berlin entfernt, entsteht in der größten frei tragenden Halle der Welt ein tropischer Regenwald mit Tropenmeer. Aus der Cargo-Lifter-Halle wird der Tropical-Islands- Dome, ein tropisches Paradies. Eröffnung Ende 2004. Palmen und die Blüten von fleischfressenden Pflanzen können ab April 2004 bei Führungen über die Baustelle in der Halle (im Dome) bewundert werden. Die Brandenburger Pleiten, Pech und Pannen- Olympiade – bestehend aus den Leuchttürmen Lausitzring, Cargo-Lifter und Chipfabrik – ermöglicht diese sensationelle Leistung. Brandenburg hat große Erfolge mit dem Import von drittklassigen Experten aufzuweisen. In Zeitungsartikeln war zu lesen und aus den vielen Untersuchungsausschüssen zu Pleiten war zu erfahren, daß z. B. die Verträge für die Chip-Fabrik von totalen Amateuren ausgearbeitet wurden. In der Pleiten, Pech und Pannen-Olympiade gibt es weitere Höchstleistungen. Konnte in Berlin der Einsatz des Insolvenzverwalters für den Herlitz-Konzern den Konzern retten, so haben die Brandenburger mit dem Insolvenzverwalter Prof. Dr. Mönning für Cargo-Lifter einen tüchtigen Plattmacher á la Treuhand gefunden. Die Einlagen von 70.000 Cargo-Lifter Aktionären mit einem Wert von 300 Millionen EUR werden ignoriert. Die Rettung von Cargo-Lifter war nie zu spüren, vorhandene Werte wurden vernichtet, die hervorragende Halle verscherbelt. Die Entwicklung geht jetzt vom Großluftschiff zurück auf das Niveau tropischer Dörfer. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den drei Großprojekten, bei Cargo-Lifter wurden zu 85 % Privatgelder eingezahlt. Gregor Gysi sprach einmal als Wirtschaftssenator von Berlin vom VEB Cargo-Lifter. Geprellten Cargo-Lifter-Aktionäre reichte es, sie setzen sich zur Wehr, sie vereinen sich. Die Initiative „Zukunft in Brand e.V.“, der Verein zur Verteidigung der Eigentumsrechte der Cargo-Lifter Aktionäre wurde 2003 gegründet. Innerhalb eines Jahres wurden über 500 Mitglieder aufgenommen. Am 8. Mai 2004 fand die Mitgliederversammlung 2004 mit 72 stimmberechtigten Mitgliedern statt. Man kann über Luftschiffe spotten und Witze machen. Physikalisch gibt es aber trotzdem Gase, die leichter als Luft sind. Dieses Prinzip zu nutzen wurde von der Initiative „Zukunft in Brand e.V.“ nicht aufgegeben. Ein Teilnehmer der Versammlung bezeichnete in seiner Diskussionsrede sich und die Mitglieder der Initiative natürlich als Spinner, Träumer, Visionäre. Unsere Aktien sind im Keller, aber alle Angereisten, aus allen Ländern der Bundesrepublik, haben die Vision an die Zukunft großer Luftschiffe nicht verloren. Nach dem bekannten Motto ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, wurde der Rückschlag von Cargo-Lifter kritisch und schonungslos aufgearbeitet. Unter Verwendung der neuesten Erkenntnisse der Antriebstechnik, der Materialkunde und der Dynamik, wurden Konzepte für Großluftschiffe vorgestellt. Ein Höhepunkt der Versammlung war natürlich die Anwesenheit und der Vortrag von Dr. Carl von Gablenz (ehemaliger Chef von Cargo-Lifter). Ich möchte den Faden noch weiter spinnen. In einigen Jahren, wenn die Attraktivität von Tropical Islands verflogen ist, werden in Brand endlich die Großluftschiffe gebaut und die Halle erhält ihren wirklichen Zweck zurück. Im ehemaligen Land der Dichter und Denker sollten vielleicht doch noch kühne Ideen gefördert und realisiert werden können. Es geht darum dieser Region eine Perspektive mit hochwertigen Arbeitsplätzen zu geben, der Jugend, unseren Enkeln, statt einer Mobilitätsprämie hier wieder eine Zukunft zu geben, die nicht mit dem Schulabschluß endet. Freizeitparks nützen erst dann etwas, wenn die Menschen das Geld dafür wieder in der Tasche haben. Zeppeline gab es schon vor vielen Jahren, der Stand der Technik hat sich enorm weiterentwickelt. Aus fliegenden Kisten wurden Flugzeuge. Es gibt reale Chancen zur Wiederauferstehung von Großluftschiffen, Konstruktionspläne wurden vorgestellt und diskutiert. Der Neustart hat begonnen. Die Initiative „Zukunft in Brand“ habe ich begeistert erlebt. Klaus Paulsen

Köpenicker <strong>Seniorenzeitung</strong> – Ausgabe 5/2004<br />

»Von Träumen und anderen Wirklichkeiten« –<br />

Einblicke in das Leben kubanischer Frauen heute – Teil 3<br />

Von Madeleine Porr<br />

In dritten und letzten Teil der Artikelreihe setze<br />

ich die Auszüge aus den Interviews mit Kubanerinnen<br />

zu ihren ersten Erfahrungen mit<br />

familiärem Zusammenleben fort; bis auf die<br />

Erinnerungen von »Mercedes« handelt es sich<br />

wieder um Material, das nicht im Buch verarbeitet<br />

wurde. Wie im Buch sind alle Namen<br />

geändert.<br />

Mercedes, Mercedes, 40 40 Jahre<br />

Jahre<br />

Ich bin mitten in der so genannten Raketenkrise<br />

geboren und weil meine Eltern zu 100% in der<br />

Revolution engagiert waren und ihr als Offiziere<br />

der Staatssicherheit dienten, waren sie in höchster<br />

Alarmbereitschaft. Deshalb brachte mich<br />

Mama einen Monat nach meiner Geburt zu ihrer<br />

Mutter, damit diese sich um mich kümmerte.<br />

Anderthalb Jahre später kam mein Bruder auf<br />

die Welt, und nun war meine Oma Ersatzmutter<br />

für uns beide, denn Mama musste auch weiterhin<br />

immer arbeiten. Doch Oma war schon<br />

bei meiner Geburt schwer nervenkrank gewesen,<br />

obwohl damals gerade erst Ende Dreißig,<br />

und die Betreuung zweier kleiner Kinder wurde<br />

zu einer so starken Belastung für sie, dass man<br />

uns Geschwister in einen Ganztagskinderhort<br />

steckte, als ich vier Jahre alt war und mein Bruder<br />

zweieinhalb.<br />

Deshalb war es für mich auch ganz natürlich,<br />

von meinen Eltern, aber auch von der übrigen<br />

Familie getrennt zu sein, als ich mit fünf in die<br />

erste Klasse eines Internats eingeschult wurde.<br />

Da traf ich sogar noch jüngere Kinder, deren<br />

Eltern nach dem Triumph der Revolution Kuba<br />

und ihre Kinder verlassen hatten und in die USA<br />

gegangen waren. Diese Mädchen und Jungen<br />

wurden »Kinder des Vaterlands« genannt und<br />

blieben auch an den Wochenenden im Internat,<br />

weil sie kein anderes Zuhause hatten. Die<br />

Lehrerinnen und Lehrer machten statt dessen<br />

Ausflüge mit ihnen.<br />

Für mich jedenfalls war dann auch der Wechsel<br />

auf ein Internat der Sekundarstufe ganz normal,<br />

und ich könnte mir vorstellen, für diese<br />

anderen Kinder auch. Andere, die nun in der<br />

siebten Klasse neu dazu kamen, haben dagegen<br />

sehr viel geweint und mir später erzählt,<br />

dass ich ihnen damals aufgefallen war, weil ich<br />

niemals geweint hätte.<br />

Obwohl wir als Familie praktisch immer getrennt<br />

waren, glaube ich, dass es meinen Eltern<br />

doch gelungen ist, meinem Bruder und mir die<br />

höchsten menschlichen, spirituellen Werte zu<br />

vermitteln. Sie waren voller Träume, Utopien<br />

und Vertrauen in ein besseres Leben und voller<br />

Bereitschaft, für eine bessere Welt zu kämpfen.<br />

Ich bin mit diesen Träumen von mehr Gerechtigkeit<br />

und Gleichheit für alle Menschen groß<br />

geworden, aber auch mit in dieser Richtung teilweise<br />

verwirklichten Träumen.<br />

Heute, wo ich erwachsen und selbst Mutter bin,<br />

sehe ich allerdings meine Kindheit mit anderen<br />

Augen und merke, dass mir die »Schule der<br />

Familie« als Erfahrung bei der Erziehung meiner<br />

Tochter fehlt. Ich verstehe auch erst heute,<br />

dass die militärische Disziplin im Internat meinen<br />

Charakter stark beeinflusst hat und für eine<br />

gewisse Starrheit meiner Persönlichkeit mit verantwortlich<br />

ist, die es mir sehr schwer macht,<br />

mich wechselnden Situationen anzupassen. Ich<br />

bin in mancher Beziehung sehr unflexibel und<br />

unnachgiebig und kann mir vorstellen, dass das<br />

in hohem Maße mit meiner Kindheit zusammenhängt.<br />

Teresa, eresa, 30 30 Jahre<br />

Jahre<br />

Ich bin in Pinar del Río im Westen Kubas geboren<br />

und aufgewachsen. Bis zu meinem 5. Lebensjahr<br />

habe ich mit meiner Mutter, meinem<br />

Vater, einer Schwester und einer Urgroßmutter<br />

zusammengelebt, es war zuerst alles sehr harmonisch,<br />

auch wenn wir allzusehr Rücksicht<br />

auf die Uromi nehmen mussten, die uns alle<br />

herumkommandierte. Aber dann steigerten sich<br />

die Auseinandersetzungen meiner Eltern, ihre<br />

unterschiedliche Art wurde immer deutlicher. Sie<br />

sind nur aus dem einfachen Grund zusammen<br />

geblieben, weil sie nun mal irgendwann geheiratet<br />

hatten; aber sie empfinden kaum Zärtlichkeit<br />

für einander, eigentlich gar keine, Respekt<br />

ja, aber es gibt eine große Distanz zwischen ihnen<br />

als Paar.<br />

So mit fünf Jahren zog ich zu meiner Oma, der<br />

Mutter meiner Mutter, und da entwickelten meine<br />

Eltern eine Art »Schuldkomplex«: Sie fühlten<br />

sich schuldig, dass sie mich vernachlässigt<br />

hätten, und kümmerten sich übermäßig um<br />

mich, haben mich immer respektiert und be-<br />

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wundert dafür, dass ich so eine gute Schülerin<br />

und so ein ernstes Mädchen war, so talentiert<br />

und intelligent usw. Auch wenn meine Mutter<br />

mich nur an den Wochenenden sah, hat sie sich<br />

doch noch um das kleinste Detail in meinem<br />

Leben gekümmert. Mein Vater hat alles meiner<br />

Mutter überlassen und sich nicht sonderlich angestrengt,<br />

zärtlich zu mir zu sein; er sah mich<br />

auch nur selten und hat mir hin und wieder<br />

vorgeworfen, bei meiner Oma zu wohnen (eine<br />

Entscheidung, die getroffen wurde, lange bevor<br />

ich irgend etwas entscheiden konnte).<br />

Mit den anderen Mitgliedern der Familie haben<br />

sich meine Eltern sehr gut verstanden. Was mir<br />

an meinen Eltern während meiner Kindheit am<br />

meisten gefiel war, dass sie immer für uns drei<br />

Kinder gekämpft haben, dass sie sich darum<br />

gekümmert haben, dass wir uns intellektuell<br />

weiter entwickeln, wobei sie den Gefühlen eine<br />

große Bedeutung beigemessen haben und unserem<br />

schulischen Weiterkommen; dass sie sehr<br />

intelligent waren und uns Angewohnheiten wie<br />

die Lektüre von Büchern vermittelt haben usw.<br />

Was mir am meisten missfallen hat war, dass sie<br />

ihre Zwistigkeiten, ihre Ehekonflikte auf meine<br />

Geschwister und mich übertrugen; dass sie nicht<br />

ehrlich mit sich waren und nicht mutig genug,<br />

sich zu trennen oder zu gewissen Regelungen<br />

miteinander zu kommen, die es ihnen erlaubten,<br />

mehr Liebe zwischen sich fließen zu lassen<br />

anstatt nur ihre Verantwortung und »Verpflichtung«<br />

als Ehemann bzw. Ehefrau.<br />

Carlota, Carlota, Carlota, 32 32 32 Jahre Jahre<br />

Jahre<br />

Ich bin in Havanna geboren, sozusagen privilegiert<br />

in einer geräumigen Wohnung im Stadtteil<br />

Vedado, denn meine Eltern waren erst kurz<br />

vor meiner Geburt mit ihren sechs anderen Kindern<br />

dorthin gezogen. Ich bin immer ein rebellisches<br />

Kind und nie mit dem einverstanden<br />

gewesen, was ich in den Augen meiner Eltern<br />

sein und machen sollte. Das war das große Thema<br />

in den Auseinandersetzungen zwischen<br />

meinem Vater und mir.<br />

Mein Vater ist Fischer und hat eine sehr eng begrenzte<br />

Vorstellung davon, wie sich eine Frau<br />

benehmen sollte. Ich habe ihn kontinuierlich<br />

provoziert und Stück für Stück alle seine für<br />

Frauen reservierten engen Verhaltensmauern

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