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14 Köpenicker <strong>Seniorenzeitung</strong> – Ausgabe 5/2004<br />

Trabi-Märchen<br />

Wenn Ossis und Wessis ins Plaudern kommen<br />

und dann muß, dann darf das Thema Wartezeit<br />

auf einen Trabant nicht fehlen. Jeden Abend<br />

saßen wir an unserem Acht-Personen-Tisch<br />

während der Kreuzfahrt und erzählten unsere<br />

Geschichten. Ein Paar aus Leipzig, er Lokführer,<br />

sie Krankenschwester, warteten mit der Trabant-Nummer<br />

auf. In den ersten Tagen bei unseren<br />

abendlichen Gesprächen waren die Anmeldefristen<br />

für einen Trabant noch 12 Jahre<br />

lang. Im Verlauf der Kreuzfahrt stiegen sie für<br />

eine stink normale Limousine auf 14 Jahre. Für<br />

die Mercedesfahrer an unserem Tisch eine sehr<br />

gute Bestätigung für die Unfähigkeit der DDR,<br />

Autos bauen zu können. Für einen besonderen<br />

Mercedes gibt es auch Wartezeiten, die werden<br />

aber nur in Monaten gezählt. –<br />

Mit den Autobestellungen in der DDR wird Mitleid<br />

erzeugt, da wird man bedauert, da fallen<br />

Krokodilstränen. Die Autolegende soll daher ein<br />

wenig aufgehellt werden. Ich beziehe mich auf<br />

Berlin, die Hauptstadt der DDR. Wartezeiten für<br />

einen Trabant waren nie länger als 10 Jahre.<br />

Bei dem IFA-Vertrieb in der Rummelsburger<br />

Straße konnte sich jeder Berliner Bürger, wenn<br />

er 18 Jahre alt war, anmelden. Man erhielt eine<br />

Karte (Größe einer Postkarte) auf welcher der<br />

Anmeldetag und die Automarke vermerkt waren.<br />

An einem Informationsbrett in diesem Gebäude<br />

waren die verschiedenen aktuellen Autoauslieferungen<br />

aufgeführt. Man konnte also<br />

entnehmen, welche Anmeldetage z. B. für einen<br />

Trabant-Kombi oder eine Trabant-Limousine<br />

jetzt ausgeliefert werden.<br />

Viele gelernte DDR-Bürger, die nie eine Stunde<br />

am Parteilehrjahr oder an den Schulen der sozialistischen<br />

Arbeit teilgenommen haben, wußten,<br />

daß mit dem 18. Lebensjahr erst mal die<br />

Autoanmeldung fällig war. Die war an keine<br />

Bedingung geknüpft, nur an den Wohnort, die<br />

Wohnadresse, den Hauptwohnsitz. Nur eine Bestellung<br />

durfte jeder Bürger aufgeben. Wurde<br />

eine Bestellung durch eine Auslieferung realisiert,<br />

dann konnte eine neue Anmeldung aufgegeben<br />

werden. Eine intakte Familie besteht<br />

bekanntlich aus Vater und Mutter. Der Vater<br />

hatte eine Anmeldung, die Mutter hatte eine<br />

Anmeldung. Waren die Wartezeiten für einen<br />

Trabant 9 Jahre, so verkürzte sich die Wartezeit<br />

bei kluger Staffelung der Anmeldung der zwei<br />

Personen bereits um die Hälfte, auf 4,5 Jahre.<br />

Wenn aber in der Großfamilie noch eine Oma<br />

lebte, so konnte mit dieser Anmeldung die Zwi-<br />

schenzeit auf 3 Jahre reduziert werden. Ob die<br />

Oma einen Führerschein hatte oder nicht, daß<br />

interessierte kein Schwein, wie man so sagt.<br />

Die gewieftesten Anmelder haben es zu DDR-<br />

Zeiten immer geschafft, nach einigen Jahren<br />

ihren alten Trabant für den Neupreis zu verkaufen<br />

und mit dem Geld gleich wieder den neuen<br />

Trabant zu bezahlen. Bei den Schaudergeschichten<br />

über die DDR wird diese Anmeldepraxis<br />

immer höflich ausgelassen. Eine Autoanmeldung<br />

für einen Trabant wurde für 3.500 bis<br />

4.000 Mark gehandelt. So manche clevere Oma<br />

hat ihre Anmeldung versilbert oder ihren Enkeln<br />

mit der Anmeldung ein schönes Geschenk<br />

gemacht. Grau, teurer Freund, ist alle Theorie;<br />

ich habe für eine ältere Dame die Anmeldung<br />

versilbert!<br />

Der Autor schildert nun ausführlich seine vier<br />

Tage dauernde und letztlich erfolgreichen Bemühungen,<br />

den Trabi zum doppelten Neupreis<br />

zu verkaufen.<br />

Die Rentnerin war natürlich sehr erfreut über<br />

die 4000,– Mark und wünschte sich jetzt dafür<br />

einen Farbfernseher. Von dem Rest des Geldes<br />

konnte sie sich noch eine Gasheizung in ihrer<br />

Wohnstube einbauen lassen. Das war die andere<br />

Seite der langen Wartezeiten.<br />

Beim Verlassen eines Autohauses hat jetzt ein<br />

Neuwagen schon an Wert verloren. Nach acht<br />

Jahren ist das Auto praktisch wertlos. Wo sollte<br />

nun das Geld für einen Neuwagen herkommen.<br />

Die alten DDR-Verhältnisse, die Mangelwirtschaft,<br />

war nicht das Gelbe vom Ei, die übertriebene<br />

Ausrichtung auf das Auto, mit diesem<br />

Überangebot, ist auch nicht das Gelbe vom Ei.<br />

Warum wurden diese Zeilen geschrieben? Vielleicht<br />

werden sie von Lesern gelesen, die bei aller<br />

Jammerei von Bekannten und Verwandten<br />

einige Argumente vorbringen können, welche<br />

die unmöglichen Wartezeiten für Autos ein wenig<br />

relativieren. Klischees und Legenden sind<br />

hartnäckig, müssen im Wahrheitsgehalt nicht<br />

immer vollkommen die Realität wiedergeben.<br />

Klaus Paulsen<br />

Die Langfassung dieser Geschichte und andere<br />

kann im Buch „Im Schatten von Tschernobyl<br />

– Geschichten aus der End- und Neuzeit“ nachgelesen<br />

werden. ISBN 3-936736-49-2, Paperback,<br />

226 Seiten, einige Fotos, 13,5 x 21,5 cm,<br />

17,50 EUR<br />

In eigener Sache<br />

Zu Ihrem<br />

Vergnügen<br />

Wir, die ehrenamtlichen Redakteure der Köpenicker<br />

<strong>Seniorenzeitung</strong>, arbeiten zur Zeit an<br />

einem Programm, das Ihnen, liebe Leser, über<br />

eine möglichst bereichernde Lektüre unserer<br />

Zeitung hinaus Vergnügen bereiten soll. Einmal<br />

im Monat wollen wir Ihnen die Möglichkeit anbieten,<br />

mit Schriftstellern, vor allem aus der<br />

Region, ins Gespräch zu kommen und Lesungen<br />

aus den neuesten Arbeiten zu hören. Denkbar<br />

sind auch Treffen mit anderen Künstlern<br />

sowie mit Sozialexperten, an die Sie Ihre Fragen<br />

richten können.<br />

Nicht zuletzt werden sich die Mitglieder der Redaktion<br />

gern mit Ihnen über Themen unterhalten,<br />

die Ihnen besonders am Herzen liegen.<br />

Schreiben Sie uns Ihre Meinung. Was erwarten<br />

Sie, wenn es heißt: „Die Köpenicker <strong>Seniorenzeitung</strong><br />

lädt ein“.<br />

Die erste Einladung ergeht zum 15. Oktober 2004.<br />

An diesem Tage um 18 Uhr liest unser Redaktionsmitglied<br />

Klaus Paulsen (siehe nebenstehende<br />

Trabi-Geschichte) aus seinen Büchern.<br />

Die Veranstaltung findet in der Buchhandlung<br />

Büchereck Baumschulenweg GbR, Baumschulenstraße<br />

11, Eingang Behringstraße, statt.<br />

Ihre Redaktion<br />

Immer sind die<br />

Männer schuld<br />

von Stefan Heym, ist ein humorvolles Buch über<br />

die Liebe im Alter und die Alltäglichkeiten eines<br />

langen Ehelebens. Es ist Stefan Heyms letzter<br />

Erzählband mit einer hintergründigen, wunderbaren<br />

Liebeserklärung an seine Frau.<br />

Es liegt seit Mai 2004 als Taschenbuchausgabe<br />

in der Thalia-Buchhandlung auf dem Tisch. Das<br />

Buch ist also in zweifacher Hinsicht eine leichte<br />

Lektüre, die fröhlich macht und doch zutiefst<br />

beeindruckt. Für Ihren Urlaub sehr zu empfehlen.<br />

Lesen Sie es, auch Sie können sich darin<br />

wiederfinden und vielleicht ihr Miteinander neu<br />

betrachten.<br />

220 Seiten, 8,– EUR, ISBN 3-442-73219-0.<br />

Helga Altmann

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