Enttäuschung in der Therapie
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Kapitel 9<br />
<strong>Enttäuschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Therapie</strong><br />
Yiannis Arzoumanides<br />
(Übersetzt von Gertrud Schöner)<br />
Situation 7. Diese Gruppe trifft sich seit mehr als zwei Jahren<br />
und die frühe Idealisierung <strong>der</strong> Gruppe und ihres Leiters wurde<br />
durch verschiedene Arten und Ausmaße an <strong>Enttäuschung</strong> ersetzt.<br />
Heute läßt sich die Gruppe e<strong>in</strong>mütig über die Nutzlosigkeit<br />
von Psychotherapie aus. Der Therapeut antwortet nicht und<br />
die Gruppenmitglie<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>holen das Thema immer lauter,<br />
bis e<strong>in</strong>er nach dem an<strong>der</strong>en <strong>in</strong>s Schweigen verfällt. Das Schweigen<br />
dauert 14 M<strong>in</strong>uten, und es bleiben noch drei M<strong>in</strong>uten Zeit<br />
bis zum Ende <strong>der</strong> Sitzung.<br />
Aufgaben und Probleme des Therapeuten<br />
Die oben geschil<strong>der</strong>te Vignette stammt aus e<strong>in</strong>er Gruppe, die<br />
e<strong>in</strong>e Phase <strong>der</strong> <strong>Enttäuschung</strong> durchläuft. Die Reaktion <strong>der</strong><br />
Gruppe auf das Nicht-Antworten, welches das Schweigen för<strong>der</strong>t,<br />
erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>ige Konsequenzen. Dies ist e<strong>in</strong>e wichtige Phase im<br />
Gruppenverlauf. Es sche<strong>in</strong>t, daß die Gruppe e<strong>in</strong>e Übergangsphase<br />
durchlebt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich ihre Mitglie<strong>der</strong> o<strong>der</strong> die Gruppe als<br />
Ganzes von Abhängigkeit zu Unabhängigkeit (W<strong>in</strong>nicott 1982;<br />
Kle<strong>in</strong> 1984) bewegt und so e<strong>in</strong>e Zeitspanne <strong>der</strong> Ambivalenz<br />
(Kle<strong>in</strong> 1984) durchmacht. Die Gruppenmitglie<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d sich nicht<br />
sicher, ob Gruppentherapie ihnen gut tut; ob <strong>der</strong> Gruppentherapeut<br />
kompetent o<strong>der</strong>, um W<strong>in</strong>nicotts Ausdrucksweise zu gebrauchen,<br />
h<strong>in</strong>reichend gute Elternfunktion hat, ob die übrigen<br />
Gruppenmitglie<strong>der</strong> sie mögen o<strong>der</strong> nicht. Eventuell kommt <strong>der</strong><br />
Punkt, wo <strong>der</strong> „Zauber“ <strong>der</strong> Psychotherapie nicht mehr da ist.<br />
Dann stellen sie die Wirksamkeit von Gruppentherapie als solche
120 Kapitel 9<br />
<strong>in</strong> Frage und später könnten sie mit dem Dilemma konfrontiert<br />
werden, die <strong>Therapie</strong> fortzusetzen o<strong>der</strong> aufzuhören.<br />
Man kann sagen, daß die Gruppe als Ganzes und ihre Mitglie<strong>der</strong><br />
sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Phase bef<strong>in</strong>den, die Melanie Kle<strong>in</strong> die Berührung<br />
mit dem bösen Objekt genannt hat, gegen das sie durch Angriffe<br />
ihren Ärger und ihre Frustration ausdrückt. E<strong>in</strong> Großteil des<br />
Hasses auf Teile des Selbst wendet sich jetzt gegen die Mutter,<br />
speziell die „Brust <strong>der</strong> Mutter“ (Kle<strong>in</strong> 1984). Die Mutter wird<br />
hier repräsentiert durch die Gruppe, die Psychotherapie o<strong>der</strong> ihren<br />
Leiter, und deshalb s<strong>in</strong>d Gruppe, Psychotherapie und Leiter<br />
nutzlos. Das „Tim<strong>in</strong>g“ e<strong>in</strong>er Intervention ist von größter Wichtigkeit.<br />
Es sollte sorgfältig überlegt werden, ob man früh <strong>in</strong>terveniert<br />
o<strong>der</strong> sich das Schweigen entwickeln läßt und die Sitzung<br />
ohne Intervention beendet. Greift <strong>der</strong> Therapeut früh e<strong>in</strong>, ist es<br />
e<strong>in</strong> mögliches Ziel, die Kommunikation <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gruppe<br />
zu erleichtern und es auf diese Weise den Gruppenmitglie<strong>der</strong>n<br />
zu ermöglichen, ihre <strong>Enttäuschung</strong> an <strong>der</strong> Gruppentherapie und<br />
darüber h<strong>in</strong>aus die symbolische Bedeutung dieser <strong>Enttäuschung</strong><br />
zu erforschen. Hier vermittelt <strong>der</strong> Leiter die <strong>in</strong>direkte Botschaft,<br />
daß sie sich auf ihn und se<strong>in</strong>e Unterstützung und Lösungen<br />
verlassen können. Gewährt er die Entwicklung des Schweigens,<br />
dann ist das denkbare Ziel, <strong>der</strong> Gruppe zu ermöglichen, die Spannung<br />
zu durchleben und ihnen die Entscheidung für den nächsten<br />
Schritt selbst zu überlassen, ihnen also Verantwortung und Freiheit<br />
zu geben.<br />
Natürlich ist die Entscheidung, den e<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Kurs<br />
zu wählen, vom <strong>in</strong>dividuellen Therapeuten und se<strong>in</strong>er Ausbildung,<br />
<strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> Gruppe und dem jeweiligen Entwicklungsstand<br />
<strong>der</strong> Gruppe abhängig. Die Faktoren, die beachtet werden<br />
sollten:<br />
1. Hat sich die Gruppe lange genug getroffen, so daß sie als etabliert<br />
und kohäsiv angesehen werden kann?<br />
2. Die <strong>Enttäuschung</strong> könnte nicht mehr bedeuten, als e<strong>in</strong> notwendiges<br />
Stadium sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppenentwicklung als auch<br />
<strong>der</strong> ihrer e<strong>in</strong>zelnen Mitglie<strong>der</strong>, im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Ausdrucks negativer<br />
Übertragung.<br />
3. Es ist ebenso möglich, daß die Gruppe e<strong>in</strong> normales Stadium<br />
ihrer Entwicklung durchläuft, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Patienten feststellen,<br />
daß sie auch Macht haben. In diesem Stadium realisieren die
<strong>Enttäuschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Therapie</strong> 121<br />
Gruppenmitglie<strong>der</strong>, daß Hilfe letztendlich von <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen<br />
Anstrengung <strong>der</strong> Gruppe und jedem e<strong>in</strong>zelnen kommt.<br />
Bezüglich des letzten Punktes kann man sagen, daß die Gruppenentwicklung<br />
vergleichbar mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des verläuft, das feststellt,<br />
daß es auch Macht hat und fähig ist, mit se<strong>in</strong>en Handlungen<br />
se<strong>in</strong>e Umwelt zu bee<strong>in</strong>flussen und selbst D<strong>in</strong>ge zu tun.<br />
Vom Stadium <strong>der</strong> kompletten Abhängigkeit o<strong>der</strong> wie Bal<strong>in</strong>t<br />
(1968) es nennt, des totalen Zugehörigkeitsgefühls, entwickelt<br />
sich die Gruppe und jedes ihrer Mitglie<strong>der</strong> wie e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zur<br />
Unabhängigkeit und kommt <strong>in</strong> diesem Prozeß, bewußt o<strong>der</strong> unbewußt<br />
mit primitiven Stadien <strong>der</strong> Entwicklung <strong>in</strong> Berührung.<br />
Wie die för<strong>der</strong>nde Mutter ist <strong>der</strong> Gruppenleiter nicht mehr da.<br />
Abhängig von <strong>der</strong> Ich-Leistung <strong>der</strong> Gruppe und ihrer Mitglie<strong>der</strong><br />
weckt diese Realisierung e<strong>in</strong>e Anzahl konflikthafter Gefühle wie<br />
Depression, Wut und Aufregung unterschiedlicher Ausprägung.<br />
Diese spezielle Gruppe ist erstmalig mit <strong>der</strong> „Nutzlosigkeit<br />
von Psychotherapie“ beschäftigt, was anzeigt, daß sie nicht darauf<br />
vorbereitet ist, die Verantwortung für ihren Zustand und<br />
Entwicklungsstand zu übernehmen. Das ist die Phase, <strong>in</strong> <strong>der</strong> das<br />
K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> die Gruppe den „Vater töten“ muß, um frei von ihm<br />
und fähig zu se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Beziehung <strong>in</strong> erwachsener Weise neu zu<br />
etablieren. Die Gruppe hat versucht, den Therapeuten mite<strong>in</strong>zubeziehen,<br />
aber von ihm kam ke<strong>in</strong>e Hilfe. Nach wie<strong>der</strong>holten<br />
Versuchen – deutlichen Zeichen ihrer Abhängigkeit – verfallen<br />
die Gruppenmitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Schweigen, wodurch sie sich vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
isolieren und ihre negative Übertragung auf den Therapeuten<br />
ausdrücken (Yalom 1985). Dieser Ausdruck negativer<br />
Übertragung, („die Gruppe ist nicht gut für mich, ich sollte mich<br />
an<strong>der</strong>weitig umschauen“) verhält sich analog zu <strong>der</strong> Phase des<br />
K<strong>in</strong>des, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es e<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> beide Elternteile verleugnet. Im Hier<br />
und Jetzt <strong>der</strong> Gruppensituation können solche Gefühle erneut<br />
erfahren und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beziehung zum Therapeuten durchgearbeitet<br />
werden. Mit an<strong>der</strong>en Worten, die Gruppe bef<strong>in</strong>det sich im<br />
unbewußten Konflikt zwischen Autorität und notwendiger Unabhängigkeit.<br />
Dies wird durch Verleugnung alles Guten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Gruppentherapie, des Therapeuten und <strong>in</strong>direkt e<strong>in</strong>es jeden ausgedrückt,<br />
<strong>der</strong> Autorität besaß o<strong>der</strong> immer noch besitzt.<br />
<strong>Enttäuschung</strong> kann als positive o<strong>der</strong> negative Facette angesehen<br />
werden, abhängig von <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Ich-Stärke. Wenn
122 Kapitel 9<br />
z. B. e<strong>in</strong>e Person brüchig ist, mit ger<strong>in</strong>gem Selbstwertgefühl und<br />
schwachem Ich, kann dies als Hilflosigkeit erfahren werden, die<br />
zu Panik und Verzweiflung führen kann. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />
kann sie als gehobene Stimmung erlebt werden, verbunden mit<br />
dem Gefühl, „ich b<strong>in</strong> frei und fähig, me<strong>in</strong>e eigenen Entscheidungen<br />
zu treffen“. Eventuell kann diese Haltung Selbstverwirklichung<br />
ermöglichen, mit <strong>der</strong> Fähigkeit zu sagen: „Das ist, was ich<br />
<strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben tun will“, und es dann auch zu tun.<br />
Ausgewählte Interventionen<br />
Die Interventionen können <strong>in</strong> Gruppen e<strong>in</strong>geteilt werden nach:<br />
1. ihrem Zeitpunkt,<br />
2. ihrem Inhalt.<br />
Die erste Gruppe von Therapeuten war darauf vorbereitet, bis<br />
zum Ende zu schweigen, überhaupt nichts zu kommentieren, nur<br />
auf das Ende <strong>der</strong> Sitzung h<strong>in</strong>zuweisen. Ihre Antworten zu dem<br />
Fragenkatalog umfassen:<br />
M Ich würde ke<strong>in</strong>en Kommentar abgeben. (1)<br />
Notiz Die Gruppe ersche<strong>in</strong>t kohäsiv; nach e<strong>in</strong>er Phase <strong>der</strong> Idealisierung<br />
wird e<strong>in</strong>e Gruppe üblicherweise realistischer.<br />
Hier wahrsche<strong>in</strong>lich Ausdruck von Depression und Aggression<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> nächsten Gruppensitzung.<br />
M Lasse das Schweigen bis zum Ende andauern. (2)<br />
Notiz Würde <strong>in</strong> <strong>der</strong> nächsten Sitzung darauf zurückkommen,<br />
wenn es die Gruppe nicht tut. Ich wäre über e<strong>in</strong> 14m<strong>in</strong>ütiges<br />
Schweigen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zwei Jahre alten Gruppe nicht so<br />
beunruhigt, außer es wäre e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s labiler Patient <strong>in</strong><br />
ihr.<br />
M Ich würde schweigen und die Projektionsfläche aufrecht<br />
erhalten. (3)<br />
Notiz Wichtig, sich nicht <strong>in</strong> versorgende Rettung zw<strong>in</strong>gen zu<br />
lassen. Weil die Gruppe gut etabliert ist, sollten die<br />
Befürchtungen vor dem Schweigen ausgehalten werden.<br />
Me<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung wäre an<strong>der</strong>s, wenn e<strong>in</strong>ige Mitglie<strong>der</strong> im<br />
Moment nicht beson<strong>der</strong>s stabil wären.<br />
M Nichts. (4)
<strong>Enttäuschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Therapie</strong> 123<br />
Notiz Nach zwei Jahren kann e<strong>in</strong>e Gruppe längeres Schweigen<br />
und Raum benötigen und auch tolerieren. Wenn <strong>der</strong> Leiter<br />
etwas <strong>in</strong> den letzten M<strong>in</strong>uten sagt, könnte er dies untergraben.<br />
M Wenn die Gruppe bis jetzt ziemlich kohäsiv ist, würde ich<br />
es beim Schweigen belassen und nichts sagen. (5)<br />
Notiz Ich würde diese <strong>Enttäuschung</strong> als e<strong>in</strong>e wichtige Gruppenphase<br />
und als Ereignis ansehen, das die Gruppe durcharbeiten<br />
muß.<br />
M Ich würde absolut nichts sagen. (6)<br />
Notiz Ich würde sie nicht aus ihrer Verzweiflung, ihr Ideal verloren<br />
zu haben, retten wollen. Wenn man ihnen erlaubt,<br />
ohne Rettung am Boden zerstört zu se<strong>in</strong>, werden sie sich<br />
wie<strong>der</strong> hochrappeln. Me<strong>in</strong> Schweigen unterstreicht me<strong>in</strong>e<br />
„Nutzlosigkeit“, aber es bedeutet auch, daß ich mich nicht<br />
zu verteidigen brauche.<br />
Diese Therapeuten wurden angehalten, ke<strong>in</strong>e detaillierten Kommentare<br />
abzugeben. Ihre Entscheidung basiert auf ihren Gefühlen,<br />
daß (a) die Gruppe nach zwei Jahren kohäsiv und gut etabliert<br />
ist, (b) ke<strong>in</strong> Gruppenmitglied labil o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Gefahr ist und<br />
(c) die Gruppe sich von e<strong>in</strong>er Phase <strong>der</strong> Idealisierung zu e<strong>in</strong>er<br />
realistischeren Phase h<strong>in</strong>bewegt. Betont wurde die Tatsache, daß<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gut etablierten Gruppe Schweigen ausgehalten werden<br />
sollte.<br />
Die zweite Gruppe von Therapeuten sagt nichts bis kurz vor<br />
Gruppenende, dann geben sie e<strong>in</strong>e kurze Intervention. Zum Beispiel:<br />
M „Sag’ nicht bis zum Ende und dann – ganz ruhig – ,es ist<br />
Zeit‘.“ (7)<br />
Notiz Die Gruppe besteht schon lange, ich vermute, daß sie Wi<strong>der</strong>standskraft<br />
hat und bis zur nächsten Woche zappeln<br />
kann. Me<strong>in</strong>e Bemerkung zeigt, daß ich noch lebe.<br />
M An diesem Punkt würde ich ruhig sitzen bleiben und <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> letzten M<strong>in</strong>ute sagen „ich sehe Sie alle nächste Woche<br />
wie<strong>der</strong>“. (8)<br />
Notiz Ich wäre unglücklich mit <strong>der</strong> Gruppe – aber was passiert<br />
ist, ist passiert. Wenn ich bis jetzt ke<strong>in</strong>e nützliche Interven-
124 Kapitel 9<br />
tion machen konnte, müsste ich mich auf die Struktur <strong>der</strong><br />
Gruppe verlassen, den analytischen Prozeß fortzusetzen.<br />
F Vor dem Aufbruch würde ich das Schweigen <strong>der</strong> Gruppe<br />
mit e<strong>in</strong>er Bemerkung brechen, wie „es ist e<strong>in</strong> trauriges<br />
Gefühl, wenn hochfliegende Hoffnungen zusammenbrechen,<br />
und ich frage mich, ob die Gruppe nächste Woche<br />
überhaupt wie<strong>der</strong> hier se<strong>in</strong> wird“. (9)<br />
Notiz Benenne die Angst. Die Wut anzusprechen wäre schwierig,<br />
bevor jemand e<strong>in</strong>e ärgerliche Antwort gibt, durch<br />
die dieses Gefühl greifbar und akzeptabel wird. Ihr Problem<br />
sche<strong>in</strong>t zu se<strong>in</strong>, woh<strong>in</strong> sie mit ihrer Scham sollen;<br />
sie bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Trauerzustand über den Verlust<br />
<strong>der</strong> idealisierten Gruppe (und des idealisierten Therapeuten).<br />
M Vielleicht ist es hilfreich mitzuteilen, was mir durch den<br />
Kopf geht. Ich fühle mich sehr unwohl und etwas <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Gruppenstimmung blockiert D<strong>in</strong>ge, vielleicht können wir<br />
nächste Woche damit beg<strong>in</strong>nen, es anzusprechen. (10)<br />
Notiz Ich hätte es nicht so weit kommen lassen, ich fühle mich<br />
jedoch durch die <strong>Enttäuschung</strong> und Fe<strong>in</strong>dseligkeit <strong>der</strong><br />
Gruppe gelähmt. Wenn sie es jedoch ansprechen können,<br />
ist diese Blockade beseitigt und die Abhängigkeit von<br />
mir wie<strong>der</strong> gelöst. Heute ist es zu spät, aber ich muß etwas<br />
sagen, um e<strong>in</strong>en Impuls zu geben und Optimismus<br />
herüberzubr<strong>in</strong>gen, bevor wir gehen.<br />
Diese Therapeuten, darauf vorbereitet, e<strong>in</strong> langes Schweigen zu<br />
tolerieren, möchten die Gruppe mit e<strong>in</strong>em Zeichen des kont<strong>in</strong>uierlichen<br />
Verbundense<strong>in</strong>s entlassen. In e<strong>in</strong>igen Fällen, abhängig<br />
vom Wissen über die Gefühle, die die Gruppe gerade durchlebt,<br />
deuten e<strong>in</strong>ige an, was dah<strong>in</strong>ter liegen könnte und nehmen vorweg,<br />
daß die Gruppe aus dieser Sackgasse herausf<strong>in</strong>den wird.<br />
E<strong>in</strong>e dritte Gruppe von Therapeuten würde detaillierte Interventionen<br />
machen. E<strong>in</strong>ige von ihnen erklärten, daß sie es vorgezogen<br />
hätten, viel früher zu <strong>in</strong>tervenieren. Nachdem sie ihre Besorgnis<br />
darüber, daß sie das Schweigen so lange andauern ließen,<br />
angesprochen hatten, gaben sie e<strong>in</strong>e „wenn ich hätte“-Antwort<br />
auf diese Situation. Zum Beispiel:
<strong>Enttäuschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Therapie</strong> 125<br />
F Ich glaube nicht, daß ich e<strong>in</strong> so langes Schweigen zugelassen<br />
hätte, wenn nur drei M<strong>in</strong>uten Zeit bis zum Schluß<br />
bleiben. Wenn ich es jedoch zugelassen hätte: „Sie fühlen<br />
sich heute offensichtlich enttäuscht von mir, daß ich die<br />
Sache nicht besser für Sie gemacht habe. Ihr Ärger über<br />
mich, denke ich, hat die Tatsache ausgeblendet, daß Sie<br />
sich vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> isoliert haben, was Sie glauben machte,<br />
Hilfe könnte nur aus e<strong>in</strong>er Quelle kommen, und zwar von<br />
mir. Sie haben vergessen, daß Sie die Gruppe s<strong>in</strong>d“. (11)<br />
F „Es sche<strong>in</strong>t, daß die Gruppenmitglie<strong>der</strong> ganz schön enttäuscht<br />
von <strong>der</strong> Gruppe s<strong>in</strong>d“ – (? und vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong>schließlich<br />
von mir). Ich würde das Schweigen <strong>in</strong> dieser<br />
Situation nicht 14 M<strong>in</strong>uten dauern lassen. Wozu? (12)<br />
Notiz 1. Versuche, <strong>in</strong> die Gruppe h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zukommen. 2. Versuche,<br />
den Hebel an <strong>der</strong> Unzufriedenheit anzusetzen – Was<br />
ist los? Was wünschen Sie? S<strong>in</strong>d Sie unzufrieden mit mir,<br />
o<strong>der</strong> geht etwas zwischen den Gruppenmitglie<strong>der</strong>n vor,<br />
was bisher noch nicht herausgekommen ist?<br />
F Hier <strong>in</strong> Neuseeland gibt es ke<strong>in</strong> 14m<strong>in</strong>ütiges Schweigen.<br />
Es ist e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong> Teil unserer Kultur. Ich hatte niemals<br />
e<strong>in</strong>e Gruppe, die solch e<strong>in</strong>e Art Beängstigung ausgehalten<br />
hat. Nach drei o<strong>der</strong> vier M<strong>in</strong>uten hätte ich versucht, sie mit<br />
<strong>der</strong> wenig spezifischen Frage zu kriegen, was das Schweigen<br />
denn mit dem zu tun haben könnte, was gerade besprochen<br />
wurde. Und ich würde verschiedene Mitglie<strong>der</strong><br />
direkt anschauen, ihre Antwort herausfor<strong>der</strong>nd. Wenn<br />
das Schweigen weiter besteht, würde ich ihr Bedürfnis<br />
nach me<strong>in</strong>er Kontrolle ansprechen und ihnen etwas geben,<br />
e<strong>in</strong>e Antwort, e<strong>in</strong>e Lösung.<br />
Notiz (Vielleicht s<strong>in</strong>d sie nach zwei Jahren fähig, wie<strong>der</strong>zukommen<br />
und nächste Woche weiterzumachen). Ich fühle,<br />
daß es notwendig wäre, ihnen etwas Positives anzubieten<br />
– wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> die Richtung, daß sie über die als<br />
allmächtig gesehene Therapeut<strong>in</strong> h<strong>in</strong>auswachsen können,<br />
daß sie es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe f<strong>in</strong>den können, wenn sie diese<br />
als Gruppe nutzen können.<br />
Die detaillierten Interventionen können nach ihrem Inhalt klassifiziert<br />
werden. E<strong>in</strong>ige Therapeuten fokussieren die gegen sie
126 Kapitel 9<br />
gerichtete Aggression, die sie als <strong>der</strong> <strong>Enttäuschung</strong> an <strong>der</strong> <strong>Therapie</strong><br />
zugrundeliegend ansehen. Sie wählen verschiedene Arten,<br />
die Aggression anzusprechen. E<strong>in</strong>ige machen e<strong>in</strong>e direkte Intervention,<br />
daß das Schweigen Aggression gegen den Therapeuten<br />
se<strong>in</strong> könnte. E<strong>in</strong>ige Therapeuten deuten, daß die Gruppe Ärger<br />
erlebe, wodurch sie ihn offen legen und die Kommunikation erleichtern.<br />
An<strong>der</strong>e lassen die Gruppe sich entsprechend ihrem<br />
Entwicklungsstand mit diesem Gefühl ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen. Zum<br />
Beispiel:<br />
F Ich hoffe, ich wäre fähig, e<strong>in</strong> gefühlsmäßiges „Temperaturablesen“<br />
des Schweigens zu machen – und ich hoffe,<br />
ich wäre fähig, es als Ärger, als Nie<strong>der</strong>geschlagenheit, als<br />
Nachdenklichkeit o<strong>der</strong> was auch immer zu identifizieren<br />
– wahrsche<strong>in</strong>lich Ärger und Depression. Dann würde ich<br />
vor dem Ende <strong>der</strong> Sitzung bemerken: „Es sche<strong>in</strong>t zuviel<br />
Ärger, <strong>Enttäuschung</strong> und Nie<strong>der</strong>geschlagenheit zu geben,<br />
um zu sprechen. Das Gefühl, daß ich Sie fallengelassen<br />
habe, ist sehr <strong>in</strong>tensiv – es ist, wie e<strong>in</strong> unzuverlässiges Elternteil<br />
zu haben, schlimmer noch, wegen des früheren<br />
Vertrauens und des Gefühls <strong>der</strong> Hoffnung. Ich denke, e<strong>in</strong>ige<br />
von Ihnen s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>- und hergerissen zwischen dem<br />
Wunsch zu we<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> mir <strong>in</strong> die Fresse zu hauen/mich<br />
heftig zu schlagen/zu zerstören (abhängig vom Stand <strong>der</strong><br />
Gruppe, Sprache, Kultur).“ Ich würde dann auf Antwort<br />
warten. Wenn ke<strong>in</strong>e verbale Antwort kommt, würde ich<br />
das Schweigen bis zum Ende <strong>der</strong> Sitzung andauern lassen.<br />
Ich würde auf nicht verbale Antworten achten, sie<br />
aber nicht kommentieren. (13)<br />
M „Die Gruppe sche<strong>in</strong>t ärgerlich zu se<strong>in</strong>. Sie sche<strong>in</strong>en zu<br />
wissen, wie Sie dorth<strong>in</strong> gekommen s<strong>in</strong>d, wo Sie jetzt s<strong>in</strong>d,<br />
und nun s<strong>in</strong>d Sie mit <strong>der</strong> Verantwortung konfrontiert, etwas<br />
zu verän<strong>der</strong>n!“ (14)<br />
Notiz Die Schattenseite <strong>der</strong> Idealisierung ist Ärger, wenn nicht<br />
sogar Gewalt. Das Schweigen fühlt sich wie unterdrückte<br />
Aggression an. Me<strong>in</strong> Kommentar zielt darauf, den unterdrückten<br />
Ärger (diesen nutzlosen Bastard) hervorzuholen.<br />
Dann kann die Gruppe ihrer Energie, ihrer Furcht,<br />
ihrer Frustration ... freien Lauf lassen.
<strong>Enttäuschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Therapie</strong> 127<br />
M Ich könnte mit e<strong>in</strong>em Zw<strong>in</strong>kern sagen: „Also, wie soll es<br />
nun weitergehen?“ (15)<br />
Notiz Ich will signalisieren, daß das, was sie gerade durchmachen,<br />
angebracht ist, und daß es e<strong>in</strong>en Weg vorwärts gibt<br />
und daß ich erwarte, daß sie ihn f<strong>in</strong>den werden. Ich würde<br />
erwarten, daß me<strong>in</strong>e Bemerkung e<strong>in</strong>en offeneren Ausdruck<br />
des Ärgers ermöglicht, wenn nicht <strong>in</strong> den letzten<br />
drei M<strong>in</strong>uten, dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> nächsten Sitzung.<br />
M „Wir werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen M<strong>in</strong>uten Schluß machen müssen.<br />
Was ist denn während des Schweigens passiert?“ Wenn<br />
ke<strong>in</strong>e Antwort: „Ich denke, daß sich die Gruppe im Moment<br />
sehr e<strong>in</strong>ig ist, mich als nutzlos abzuschreiben. Ich<br />
frage mich, wie Sie sich dabei fühlen?“ (16)<br />
Notiz Lieber, als wenn ich es gelassen hätte und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e verborgene<br />
Schlacht verwickelt worden wäre, würde ich sie<br />
e<strong>in</strong>laden, die Bedeutung sowohl des Schweigens als auch<br />
<strong>der</strong> Gefühle und <strong>der</strong> Phantasien zu erforschen, welche<br />
das Schweigen ausdrückt o<strong>der</strong> hervorruft. Durch Anerkennung<br />
des Ärgers auf mich würde ich ihnen demonstrieren,<br />
daß ich ke<strong>in</strong>e Angst davor habe.<br />
F (Ich würde das Schweigen nicht bis 14 M<strong>in</strong>uten vor Gruppenende<br />
andauern lassen.) „Ich b<strong>in</strong> betroffen über das,<br />
was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe geschieht. E<strong>in</strong> großer Teil wichtiger<br />
Gefühle wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit ausgedrückt und<br />
jetzt herrscht e<strong>in</strong> starker E<strong>in</strong>druck von <strong>Enttäuschung</strong>,<br />
Verletzung und Wut. Ich b<strong>in</strong> ernsthaft <strong>in</strong> Sorge, daß wir<br />
aufgrund <strong>der</strong> Stärke <strong>der</strong> Gefühle nicht fähig se<strong>in</strong> werden,<br />
weiter zu arbeiten. Heute bleibt ke<strong>in</strong>e Zeit mehr, aber wir<br />
müssen nächste Woche darauf zurückkommen.“ (17)<br />
Notiz Das Abschalten sche<strong>in</strong>t mir e<strong>in</strong> Weg zu se<strong>in</strong>, mit diesen unerträglichen,<br />
unlösbaren Gefühlen umzugehen. Der Therapeut<br />
sollte se<strong>in</strong> fortgesetztes Beteiligtse<strong>in</strong> und Engagement<br />
demonstrieren. Nächste Woche sollte ich darauf<br />
achten ob dies <strong>in</strong> Zusammenhang mit <strong>Enttäuschung</strong> immer<br />
so ist. Wenn nötig, auf direktem Weg ...<br />
F „Es hört sich so an, als sei die Gruppe verärgert. Ich wun<strong>der</strong>e<br />
mich, warum Sie denken, Sie können nicht darüber<br />
sprechen.“ Ich nehme an, wenn ich härter wäre, hätte
128 Kapitel 9<br />
ich das Schweigen andauern lassen, mit <strong>der</strong> Intention,<br />
diese Erfahrung <strong>in</strong> <strong>der</strong> nächsten Sitzung zu nutzen, aber<br />
ich würde wahrsche<strong>in</strong>lich den oben stehenden Kommentar<br />
abgeben mit dem Ziel, die Gruppenmitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Hoffnung „zu halten“, die Angst zu überw<strong>in</strong>den. (18)<br />
An<strong>der</strong>e Therapeuten fokussieren zuerst die Depression, die<br />
die Gruppe durchlebt. E<strong>in</strong>ige s<strong>in</strong>d bereit, diese Depression anzuerkennen<br />
und <strong>der</strong> Gruppe herauszuhelfen, während an<strong>der</strong>e<br />
spüren, daß die Gruppe stark genug ist, selbst mit dieser depressiven<br />
Position umzugehen, was Reifung erleichtert. Die Antworten<br />
dieser Therapeuten be<strong>in</strong>halten:<br />
M (a) Wenn die Gruppe kohäsiv und ke<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong><br />
durch me<strong>in</strong> Nicht-Intervenieren gefährdet ist, würde ich<br />
wohl nichts sagen. (b) An<strong>der</strong>nfalls würde ich ihre Depression<br />
ansprechen mit „Wir sche<strong>in</strong>en sehr sehr nie<strong>der</strong>geschlagen“<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sachlichen Ton. (19)<br />
Notiz Wenn e<strong>in</strong>e Gruppe und ihre Mitglie<strong>der</strong> stark genug s<strong>in</strong>d,<br />
dann sche<strong>in</strong>t es e<strong>in</strong> Gew<strong>in</strong>n zu se<strong>in</strong>, wenn sie mit dieser<br />
depressiven Position ohne Hilfe des Therapeuten<br />
kämpfen ...<br />
M „Es sche<strong>in</strong>t hier Nie<strong>der</strong>geschlagenheit zu herrschen: Sie<br />
s<strong>in</strong>d enttäuscht von <strong>der</strong> Gruppenpsychotherapie und vielleicht<br />
fürchten Sie, das war’s.“ (20)<br />
Notiz Persönlich f<strong>in</strong>de ich es schwierig, e<strong>in</strong>e Gruppensitzung<br />
mit solch e<strong>in</strong>em Gefühl <strong>der</strong> Zurückweisung zu beenden.<br />
Nach me<strong>in</strong>er Erfahrung ist die Gruppenantwort auf den<br />
oben genannten Kommentar e<strong>in</strong>e „manische“, obwohl es<br />
zu spät wäre, Nutzen daraus zu ziehen.<br />
Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Therapeuten streichen heraus, daß Verantwortung<br />
das ist, was die Gruppenmitglie<strong>der</strong> erforschen sollen, und<br />
speziell, daß sie Verantwortung für ihre Entscheidungen und<br />
Handlungen <strong>in</strong> dieser beson<strong>der</strong>en Sitzung und <strong>der</strong> Phase, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
sie sich gerade bef<strong>in</strong>den, übernehmen sollen. Wie<strong>der</strong> ziehen es<br />
e<strong>in</strong>ige vor, e<strong>in</strong>e Interpretation zu geben, während an<strong>der</strong>e me<strong>in</strong>en,<br />
das sei nicht <strong>der</strong> richtige Zeitpunkt dafür. Zum Beispiel:<br />
F „Sie s<strong>in</strong>d entschlossen, mir zu zeigen, daß ich hier nutzlos<br />
b<strong>in</strong>. Es sche<strong>in</strong>t den Wunsch zu geben zu verleugnen, daß
<strong>Enttäuschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Therapie</strong> 129<br />
irgend etwas hilfreich se<strong>in</strong> könnte. Es ist viel bequemer,<br />
sich h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Vorstellung zu verstecken, daß sowieso<br />
nichts gut ist, als die Verantwortung dafür zu übernehmen,<br />
das zu bearbeiten, was auch immer Sie blockiert. Bis<br />
nächste Woche also.“ (21)<br />
Notiz E<strong>in</strong> vorsichtiger Appell an die eigene Verantwortlichkeit<br />
sche<strong>in</strong>t mir angezeigt. Ich b<strong>in</strong> nicht sicher, ob ich bis zu<br />
den letzten drei M<strong>in</strong>uten damit warten würde.<br />
F „Es sche<strong>in</strong>t, daß die Art und Weise, wie die Gruppe<br />
heute geendet hat, den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Verän<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> ihrem<br />
Leben kennzeichnet – als ob Übere<strong>in</strong>stimmung unter<br />
Ihnen bestehen würde, wi<strong>der</strong>strebend die Notwendigkeit<br />
persönlicher Verantwortung zu akzeptieren angesichts<br />
von <strong>Enttäuschung</strong> und Traurigkeit. daß e<strong>in</strong>es Tages<br />
die Gruppe und letztendlich das Leben selbst e<strong>in</strong> Ende<br />
haben“. (22)<br />
F „Es sche<strong>in</strong>t, daß diese Gruppe das Ende e<strong>in</strong>er Phase erreicht<br />
hat und bereit ist für die nächste, das heißt, Illusionen<br />
zu begraben und die Realität zu akzeptieren. Das<br />
gibt Ihnen natürlich mehr Verantwortlichkeit.“ (23)<br />
Notiz Es ist wichtig, <strong>Enttäuschung</strong> eher als e<strong>in</strong> Zeichen für<br />
Wachstum und Entwicklung zu sehen, denn als Versagen<br />
<strong>der</strong> Gruppe.<br />
Für e<strong>in</strong>ige dieser Therapeuten war die Situation, mit <strong>der</strong> die<br />
Gruppe konfrontiert war und für die sie ermutigt wurde, Verantwortung<br />
zu übernehmen, nichts weniger als e<strong>in</strong>e Reflexion<br />
über das existentielle Paradoxon des Lebens an sich. Sie wählten<br />
anekdotenhafte Interventionen als die geeignetsten Mittel, um<br />
die Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Gruppe auf diese existentiellen Zusammenhänge<br />
zu ziehen:<br />
M „E<strong>in</strong>e Mutter hatte Zwill<strong>in</strong>gssöhne, e<strong>in</strong>er war e<strong>in</strong> Optimist,<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e e<strong>in</strong> Pessimist. Dem ersten gab sie e<strong>in</strong>e<br />
Tonne Mist, dem zweiten e<strong>in</strong>e goldene Uhr. Als er das<br />
Geschenk sah, rief <strong>der</strong> Optimist: ,Bei all dem Mist muß<br />
es irgendwo e<strong>in</strong> Pferd geben!‘. Der zweite Sohn sagte, als<br />
er die Uhr sah: ,Die ist bestimmt gestohlen!‘.“ (24)
130 Kapitel 9<br />
Notiz E<strong>in</strong>e Gruppe <strong>in</strong> solch e<strong>in</strong>er Situation ist mit dem existentiellen<br />
Paradoxon des Lebens an sich konfrontiert. Ich<br />
würde niemals versuchen, dieses Paradoxon zu lösen, we<strong>der</strong><br />
für mich noch für sie – ich ermögliche lediglich, ihm<br />
klar <strong>in</strong>s Gesicht zu sehen.<br />
M „Es gibt e<strong>in</strong>en alten amerikanischen Psychotherapeuten,<br />
<strong>der</strong> sagt, <strong>der</strong> beste Weg, Psychotherapie zu vermeiden,<br />
s<strong>in</strong>d regelmäßige Sitzungen mit e<strong>in</strong>em Psychotherapeuten“.<br />
(25)<br />
Notiz Ich benutze me<strong>in</strong>e eigenen freien Assoziationen. Ich sage<br />
etwas, auf das sich schwierig direkt antworten läßt, aber<br />
for<strong>der</strong>e sie auf, darüber (wie<strong>der</strong>) nachzudenken, was sie<br />
auf an<strong>der</strong>e Weise sagen. Me<strong>in</strong> Kommentar enthält die Implikation,<br />
es geht nicht darum, was du erhältst, son<strong>der</strong>n<br />
was du damit anfängst. Das ist e<strong>in</strong>e existentielle Rahmenbed<strong>in</strong>gung.<br />
Wir haben gesehen, daß es e<strong>in</strong> weites Spektrum an Antworten<br />
auf diese Situation gibt. E<strong>in</strong>ige Therapeuten waren entschlossen,<br />
das Schweigen <strong>der</strong> Gruppe nicht zu kommentieren, son<strong>der</strong>n<br />
die Gruppe damit umgehen zu lassen, so gut sie konnte, um auf<br />
diese Weise <strong>der</strong> Gruppe die Möglichkeit zu verschaffen, sich mit<br />
<strong>der</strong> depressiven Position ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zusetzen, ihr Gefühl für<br />
Verantwortung zu entwickeln und sie zu mehr Realitätsbezug zu<br />
bewegen. An<strong>der</strong>e votierten für das entgegengesetzte Ende des<br />
Spektrums und drückten ihre Betroffenheit darüber aus, ob es<br />
angebracht ist, Schweigen so lange andauern zu lassen. Die meisten<br />
von ihnen würden lieber viel früher <strong>in</strong>tervenieren, sie fanden<br />
e<strong>in</strong> 14m<strong>in</strong>ütiges Schweigen unproduktiv.<br />
Wie unsere Auswahl an Interventionen gezeigt hat, s<strong>in</strong>d<br />
Schweigen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe und <strong>der</strong> Zeitpunkt für des Therapeuten<br />
Antwort Themen von entscheiden<strong>der</strong> Wichtigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe,<br />
die spezielle Aufmerksamkeit erfor<strong>der</strong>n.