Liebe Leserinnen und Leser der Köpenicker ... - Trafo Verlag
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<strong>Köpenicker</strong> Seniorenzeitung – Ausgabe 1/2004<br />
Zwei ungleiche Schwestern<br />
Kathlen <strong>und</strong> Christin kenne ich schon sehr lange,<br />
fast so lange wie mich selbst, deshalb kann<br />
ich auch über sie schreiben.<br />
Kathlen ist die Erstgeborene. Voller Neugier <strong>und</strong><br />
Erstaunen betrachteten die Eltern jede neue<br />
Entwicklungsstufe, das erste Lächeln, den ersten<br />
lallenden Laut, die ersten tapsenden Schritte.<br />
Je<strong>der</strong> kleine Erfolg wurde von den Eltern als etwas<br />
Beson<strong>der</strong>es wahrgenommen. An<strong>der</strong>s war es<br />
dann bei Christin. Ihre Entwicklung zu betrachten<br />
war ja nichts Neues mehr, keine Überraschung.<br />
Sie wurde von den Eltern nicht weniger<br />
geliebt aber weniger bestaunt.<br />
Kathlen gewöhnte sich daran, etwas Beson<strong>der</strong>es<br />
zu sein. Es war schwer für sie zu begreifen,<br />
daß auch an<strong>der</strong>e erfolgreich sind <strong>und</strong> ihre Leistungen<br />
anerkannt werden. Sonst fröhlich, aufgeschlossen<br />
<strong>und</strong> strebsam, auch Hilfsbereit,<br />
konnte sie sich plötzlich in einen starren gefühllosen<br />
Eisblock verwandeln. Je<strong>der</strong> vermeintliche<br />
Mißerfolg bereitete ihr fast körperliche Schmerzen<br />
<strong>und</strong> sie fand nur einen Ausweg. Sie mußte<br />
an<strong>der</strong>en seelische Schmerzen zufügen.<br />
Ziel ihre Zornausbrüche <strong>und</strong> unbegründeten<br />
Beschimpfungen war anfangs nur Christin. Die<br />
Kleine konnte sich nicht wehren <strong>und</strong> verstand<br />
ihre Schwester nicht. Bei <strong>der</strong> Mutter fand Chri-<br />
Keine gute<br />
Nachricht<br />
Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht hat die Beschwerde<br />
einer in den neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />
lebenden Frau abgewiesen, die 1970 geschieden<br />
worden war <strong>und</strong> – wie in den alten B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />
– eine Witwenrente einklagen<br />
wollte. Nach DDR-Recht stand ihr diese Rente<br />
nicht zu. Im Urteil des Verfassungsgerichts<br />
wird festgestellt, daß laut Einigungsvertrag<br />
dieses Recht auch nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />
maßgeblich blieb. Nach dem 1. Juli<br />
1977 wurde mit <strong>der</strong> damals eingeführten<br />
verschuldensunabhängigen Scheidung dieser<br />
Anspruch auch in den alten B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />
abgeschafft.<br />
hjk<br />
stin auch kein Verständnis, die meinte nur:<br />
„Kin<strong>der</strong> streiten sich eben.“ Erst dann, wenn<br />
Christin weinend davon lief, fühlte sich Kathlen<br />
stark <strong>und</strong> siegreich. Schnell wurde sie wie<strong>der</strong><br />
die liebevolle <strong>und</strong> beschützende große Schwester.<br />
Einmal lief Christin so weit, bis sie an den breiten<br />
Fluß kam. Sie schaute in das glitzernde<br />
Wasser <strong>und</strong> spürte, wie die Wellen fre<strong>und</strong>lich<br />
glucksend ihren Kummer wegtrugen. Christin<br />
erinnerte sich auch später oft an dieses Erlebnis,<br />
wenn Kummer <strong>und</strong> traurige Stimmung sie<br />
zu überwältigen drohten fand sie Gleichmut <strong>und</strong><br />
Ruhe an den Ufern eines Flusses. Am Strand<br />
konnte sie jeden Arbeitsstreß vergessen. Auch ziehende<br />
Wolken halfen ihr, manchen Kummer<br />
wegzutragen, doch die Wellen des Wassers waren<br />
stärker.<br />
Heute sind Kathlen <strong>und</strong> Christin Rentner. Ihre<br />
Kin<strong>der</strong> sind erwachsen <strong>und</strong> das Berufsleben liegt<br />
lange zurück. Kathlen hatte größere Erfolge, sie<br />
wurde Leiterin eines Betriebes, während Christin<br />
als tüchtige Sekretärin Anerkennung erwarb.<br />
Kathlen war zweimal verheiratet <strong>und</strong> danach<br />
zerstörte sie auch jede weitere voll <strong>Liebe</strong><br />
begonnene Verbindung. Ihre drei Kin<strong>der</strong>, von<br />
verschiedenen Vätern, haben eigene Familien<br />
Anekdotisches<br />
Da ein Mann viel Rühmens von seiner Weisheit<br />
machte, ließ ihn <strong>der</strong> König des Landes zu sich<br />
rufen. Der Mann erschien, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Herrscher<br />
sagte zu ihm: „Du bist für deine Weisheit weithin<br />
berühmt. Doch ohne ein Amt innezuhaben,<br />
ist Weisheit nicht viel nutze. Daher will ich dich<br />
zum Richter ernennen.“<br />
Der Mann aber entgegnete bescheiden: „Ich bin<br />
zu diesem Amt nicht geeignet.“<br />
Der König for<strong>der</strong>te eine Erklärung. Der Mann<br />
gab sie ihm, indem er sagte: „Habe ich die Wahrheit<br />
gesagt, so bin ich in <strong>der</strong> Tat ungeeignet;<br />
habe ich jedoch gelogen, so bin ich ebenso ungeeignet,<br />
denn ein Lügner kann nicht Richter<br />
sein.“<br />
„Vor dem Amt des Richters“, sagte <strong>der</strong> König,<br />
„hat dich deine Erklärung bewahrt, denn sie ist<br />
schlüssig. Da sie es aber nur ist, indem sie den<br />
9<br />
<strong>und</strong> nur selten Zeit für ihre Mutter. Auch Christin<br />
pflegt nur noch den notwendigsten Kontakt<br />
mit ihrer Schwester, denn sie kann niemals ahnen,<br />
in welcher Stimmung Kathlen sich gerade<br />
befindet <strong>und</strong> sie will unbegründete Beschimpfungen<br />
nicht mehr ertragen, die immer häufiger<br />
in solche Klagen ausarten wie: „Ich habe<br />
viel mehr in meinem Leben geleistet als Du,<br />
Christin, auch habe ich meine Kin<strong>der</strong> allein erziehen<br />
müssen <strong>und</strong> jetzt ernte ich nur Undank.“<br />
Christin hat ebenfalls drei erwachsene Kin<strong>der</strong>.<br />
Ihre Ehe dauert schon fast 50 Jahre. Sie war<br />
nicht immer glücklich. Es gab manchen Streit,<br />
doch für Christin war es wichtig, den Zusammenhalt<br />
<strong>der</strong> Familie zu wahren <strong>und</strong> sie fand<br />
auch stets die Kraft dazu. Sie wohnt wie<strong>der</strong> in<br />
<strong>der</strong> Nähe eines großen Flusses, dem sie schon<br />
manchen Kummer anvertraute <strong>und</strong> <strong>der</strong> ihr heute<br />
noch Ruhe <strong>und</strong> Zufriedenheit gibt.<br />
Die gefährliche Bescheidenheit<br />
U. Schirmer<br />
Fall einschließt, daß du mich belogen hast, hat<br />
sie dich um deinen Kopf gebracht. Und falls du<br />
doch wahr gesprochen hast <strong>und</strong> also unschuldig<br />
gerichtet wirst, so ist es auch kein Schade,<br />
in jedem Falle verlierst du ja nur einen ungeeigneten<br />
Kopf.“<br />
Da war <strong>der</strong> Mann, <strong>der</strong> doch nur den Fährnissen<br />
des Richteramtes entgehen wollte, mit seiner<br />
Weisheit am Ende.<br />
Also: Der Feigheit liebstes Kleid ist die Bescheidenheit<br />
Und: Feigheit hilft nicht immer; manchmal<br />
macht sie’s schlimmer<br />
Gerhard Branstner<br />
(aus: Gerhard Branstner: Wie Fritz den Teufel<br />
erschlug. Kleine Anekdotenbibliothek.<br />
trafo verlag 2003, ISBN 3-89626-442-7)