44 Allan A. Lundnen sie, wie die Fortsetzung zeigt, den Begriff des Geldes im Sinne von Währung"nicht. Die moralische Unverdorbenheit und Integrität der einfachenGermanen geht wiederum daraus hervor, daß sie nie nach Gold und Silbergesucht haben sollen (vgl. Germ. 5,2). Diese Angabe trifft kaum zu'8. In demNachstehenden sucht Tacitus seine Behauptung von den unverdorbenenGermanen noch dadurch zu untermauern, daß man bei ihnen erleben könne,daß ihre principes und legati mit silbernen Gefäßen in der gleichen Weise umgehenwie mit Gefäßen aus Ton. Das soll die Einfachheit der Germanen aufzeigen;denn tönerne Gefäße sind ein Symbol der Simplicitas bei den Römern19.Die Stelle liest sich also ganz deutlich als eine Taciteische Darstellungder Lebensweise der Germanen. Die in der prähistorischen Archäologie unterder Bezeichnung „Fürstengräber des Lübsow-Typs" bekannten Gräberlassen eine ganz andere Deutung des Verhaltens der Germanen zu Edelmetallenzu: Durch ihre reichen Grabbeigaben setzen sie sich von anderen Gräbernab20. Dies dessen ungeachtet, ob dabei die Kultur der Toten nur teilweiseoder nur bedingt der Kultur der Lebenden entspricht21. Die Aussage desTacitus basiert demnach auf einem stereotypisierten Image des Barbaren imallgemeinen und muß übrigens im besonderen mit der Affektenlehre derStoiker verknüpft werden. Dies wird vor allem durch die Bemerkung nullaaffectatione animi für uns begreiflich22. In der Fortsetzung proximi ob usumcommerciorum aurum et argentum in pretio habent formasque quasdam nostraepecuniae agnoscunt atque eligunt lassen sich die spezifisch römische Prägungund Färbung der Stelle schwieriger isolieren. Das ist darauf zurückzuführen,daß Tacitus mit dem Diffusionismus als Erklärungsmodell der Verbreitungder Kultur und deren Güter rechnet. Hier deckt sich seine Sicht tatsächlichmit der der Prähistoriker, obwohl sie auf einen römischen ethnozentrischen17 Zum Begriff und zur Verwendung des Geldes siehe C. Haselgrove, Iron Age Coinage inSouth-East England. The Archaeological Context 1, BAR 174, 1987, 17 ff.18 Vgl. Die Germanen — Ein Handbuch, Hrsg. v. B. Krüger, Berlin 41983, 489.19Die Periphrase quae hurno finguntur steht für fictilia (sc. vasa). Siehe ferner A.A. Lund (wieAnm. 7), 56 ff. 0. Klindt-Jensen, Foreign Influences in Denmark's early Iron Age, ActaArchaeologica 20, 1949, 1-229, bes. 27 ff.20 Vgl. M. Gebühr, Zur Definition älterkaiserzeitlicher Fürstengräber vom Lübsow-Typ, PrähistorischeZeitschrift 49, 1974, 82-128; H. Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen inMitteleuropa = Abh. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen, Phil.-hist. Kl. 3. Folge, Nr. 128, Göttingen1982, 209 ff., mit weiterführender Literatur, der S. 218 den Stand der Forschung sozusammenfaßt: „Je länger sich die Forschung mit den sogenannten „Fürstengräbern" vomTyp Lübsow beschäftigt, desto unklarer wird die Abgrenzung gegenüber weniger reichenBrandgräbern, so daß der berechtigte Eindruck entsteht, daß es keine derartige Abgrenzunggegeben hat, sondern wenige reiche und viele ärmer ausgestattete Gräber eine Art Bevölkerungspyramidebilden".21 Vgl. H.J. Eggers (wie Anm. 6), 258 ff.22 Vgl. M.L. Colish, The Stoic Tradition from Antiquity to the Early Middle Ages I, Leiden1985, 48 f.
Wie benutzten die Germanen römische Münzen? 45Maßstab zurückzuführen ist. Ob man also wirklich, wie es Tacitus tut, zwischeneiner unterschiedlichen Verwendung der römischen Münzen in dengrenznahen Gebieten und weiter im Binnenlande unterscheiden kann, isteine komplizierte Frage, zu der wir weiter unten zurückkommen. Auf jedenFall ist für die Taciteische Darstellung symptomatisch, daß die Germanen,je weiter im Binnenlande sie leben, um so primitiver geschildert werden, wiees schon der Satz interiores simplicius et antiquius permutatione mercium utunturandeutet: Die Germanen betreiben nämlich demnach immer nochTauschhandel, die ursprüngliche Form des Handels nach antiker Auffassung.Das tempus praesens — oder ,praesens ethnographicum` — besagt, daß die Germanenso geblieben sind, wie sie ursprünglich waren. Sie haben also die Entwicklungnicht mitgemacht. Dies geht aus dem Zeitadverbium antiquius unddem Begriff permutatio (,Tauschhandel`) hervor. Tacitus ist, mit anderenWorten, wie andere antiken Ethnographen der Auffassung, daß die kulturelleEntwicklung der Barbaren direkten kulturellen Kontakt mit der griechisch-römischenKulturwelt voraussetze. Den Barbaren fehlt demnach dienatürliche Begabung, selbständige Erfindungen zu machen23.Nach den Bemerkungen, die seine Verallgemeinerung einschränken, kehrtTacitus zu den Germanen insgesamt zurück. Dabei stellt er fest, sie anerkennenund nehmen nur die guten, alten Münzen der respublica Romana entgegen,nämlich die serrati und bigati24. Diese Bemerkung enthält, wie schonlängst nachgewiesen wurde25, Termini technici der römischen Nummularii,nämlich die Begriffe probare und forma26. Die Deutung der Stelle ist allerdingsnicht so einfach, wie man zunächst zu denken bereit wäre: Unter denBegriffen bigati und serrati versteckten sich vielleicht auch Münzen andererForm und anderen Aussehens, als die Namen vermuten lassen27. Außerdemverknüpft man in der Forschung gern die Frage nach der Herkunft und demAlter mit der Taciteischen Angabe über die Münzen, wobei man für gewöhnlichdavon ausgeht, daß Plinius der Ältere die Quelle des Tacitus für23Vgl. Caesar Gall. 1,1 und P. Thollard, Barbarie et civilisation chez Strabon, Paris 1987, 19 ff.24Die serrati wurden seit 209/208 v.Chr. bis 64 v.Chr. und die bigati seit 179/170 v.Chr. bis45 v.Chr. geschlagen, vgl. M.H. Crawford, The Roman Republican Coinage, Cambridge1974, Nr. 79/1 und Nr. 156/1.25Vgl. Ed. Norden, Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania, Darmstadt 41959,281.26Vgl. V. Zedelius, Zwei Funde römischer Denare aus dem freien Germanien: Middelsosterloogund Fickmühlen (Bederksa), Studien zur Sachsenforschung 2, 1980, 489-514.27Tacitus hat vielleicht unter den Begriff bigati auch Triga- und Quadriga-Typen subsumiert,vgl. H. Chantraine, Die Deutung der römischen Fundmünzen in Deutschland für die früheWirtschaftsgeschichte. In: Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichenZeit in Mittel- und Nordeuropa, Teil I, Hrsg. v. K. Düwel/H. Jankuhn/H.Siems/D. Timpe, Göttingen 1985, 377 ( = Abh. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen, Phil.-hist.KI., 3. Folge, Nr. 143).
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