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Die eingefleischtesten Zürcher sind gar keine.<br />
Oder warum der Stapi auch Luzerner sein darf.<br />
Sie ist wie eine Geliebte: Unnahbar, kühl<br />
und teuer. Aber Du kommst einfach<br />
nicht von ihr los – zu schön ist sie! Toni,<br />
der seit Jahren hier täglich am Hirschen -<br />
platz höckelt und seine Stange (in der<br />
Schweiz die Bezeichnung für 3dl Bier<br />
im schmalen Glas mit Fuß) schlürft, ist<br />
irgendwann in den Siebzigern nach<br />
<strong>Zürich</strong> gekommen.<br />
Weshalb es ihn gerade hierhin verschlagen<br />
hat, kann er selber nicht so genau<br />
sagen – wovon er existiert, ebenso<br />
wenig. Lebenskünstler halt, wie so viele<br />
hier, die nicht gut betucht durch die<br />
Bahnhofstrasse zum nächsten Meeting<br />
rennen. <strong>Zürich</strong> hat für jeden ein<br />
Eckchen frei und manch einer findet<br />
es in einer kleinen Mansarde mitten in<br />
der Altstadt. Man lebt mit-, neben- und<br />
untereinander. Man muss nicht von<br />
hier sein. Man darf anders denken.<br />
Man kann ja drüber reden. Schließlich<br />
haben die Zürcher so etwas wie die<br />
Demokratie erfunden.<br />
Fragt man einen Basler, sagt er: Das<br />
Schönste an <strong>Zürich</strong> ist der Schnellzug<br />
nach Hause. Fragt man einen Aargauer,<br />
betitelt er die Zürcher als „arroganti<br />
Cheibä“. Fragt man einen Zürcher, ist<br />
ihm das ganz einfach egal. Worunter<br />
die Limmatstädter nämlich ausdrücklich<br />
nicht leiden, ist ein zurückhaltendes<br />
Selbstvertrauen. Nicht umsonst schlugen<br />
<strong>Zürich</strong>s Frauen, als düstere Krieger<br />
verkleidet, schon Herzog Albrecht I von<br />
Habsburg in die Flucht.<br />
Aber alle kommen sie nicht um dieses<br />
<strong>Zürich</strong> herum, die sie ihre Nase über die<br />
großmäuligen Großstädter rümpfen.<br />
Aus jeder Himmelsrichtung sind sie<br />
zugewandert. Und allmorgendlich<br />
spucken die Züge Hunderttausende<br />
Pendler der halben Schweiz und der<br />
umliegenden Agglomeration in die<br />
Bahnhofstrasse, die Banken, die Ver -<br />
sicherungen und die Uni aus. Dazu<br />
gesellen sich Touristen und Ge -<br />
schäftsreisende aus aller Welt, einige<br />
Illegale und solche, die man vergaß<br />
zu zählen. 30% der Bevölkerung sind<br />
Ausländer.<br />
Zürcherinnen und Zürcher sind aber<br />
nicht einfach arrogant. Der zwinglianische<br />
Reformations-Geist schwebt noch<br />
immer über der Stadt und deshalb ist<br />
es oft einfach Zurückhaltung. Man hat<br />
hier früh gelernt, mit „aller Gattig“<br />
(den unterschiedlichsten) Menschen<br />
zu hausieren, drum lässt man den<br />
Anderen schlicht in Ruhe leben.<br />
Promis wie Tina Turner und Udo Jürgens<br />
leben hier und vertrauen auf die brave<br />
schweizerische Zurückhaltung. Gerhard<br />
Schröder werkelt in seinem eigenen<br />
Büro im Ringier-Verlag, genießt die<br />
Anonymität. Keine Paparazzis, keine<br />
aufsässigen Fans. Man würde ihn vielleicht<br />
nicht mal erkennen. Die Zürcher<br />
haben’s einfach nicht nötig, weil jeder<br />
hier sein eigener kleiner Star ist.<br />
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