12.07.2015 Aufrufe

Download - Wasser-Prawda

Download - Wasser-Prawda

Download - Wasser-Prawda

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Nr. 12/2013BEST BLUES 2013: DIE UMFRAGE• Blues und Arbeitslosigkeit• Charlie Paon, Taifun Haiyan und der Klimawandel• Zehn Fragen an: Half Deaf Clatch• Donny Hathaway - Jesper Munch - Liveberichte aus Wol-fenbüel und Volksdorf• Album des Monats: BabaJack - Running ManDie Weihnachtsausgabe für Lesefreundemit exklusiven Vorabdrucken aus UweSaeger - Faust Junior, Paulina Schulz -Das Eiland und aus Jürgen Buchmannserweiterter Neuausgabe der „Memoireneines Münsterländer Mastschweins“


Editorial2© wasser-prawda


EditorialEditorialNormalerweise beginne ich an dieser Stelle mit musikalischenThemen, die auf irgendeine Weise ihren Weg inunser monatliches pdf-Magazin gefunden haben oderfinden sollten. Doch in diesem Monat muss einfach die Literaturam Anfang stehen. Es ist kurz vor Weihnachten. Und wenn esdraußen kalt ist, dann gibt es kaum etwas schöneres, als sich mitneuen Büchern in eine Ecke zu verziehen und zu schmöckern.Und ein großer Teil dieser Ausgabe lädt genau dazu ein. Gleichdrei exklusive Vorabdrucke sind im „Sprachraum“, unserer Rubrikfür Literatur, zu finden. Und die nehmen soviel Platz ein, dasswir uns den Rest des Feuilletons in diesem Monat fast komplettgespart haben. Den Anfang macht ein Roman, der in den Literaturspaltender großen Tageszeitungen schon vor fast zehn Jahrenerstmals ins Gespräch kam: „Faust Junior“, der neue Roman vonUwe Saeger wird im März 2014 bei der Leipziger Buchmesse öffentlichvorgestellt. Wir werden ab sofort einige Kapitel aus dieserfaszinierenden literarischen Persiflage hier abdrucken. Auch „DasEiland“, die neue Erzählung der aus Polen stammenden Schriftstellerinund Übersetzerin Paulina Schulz wird im März 2014 erscheinen.Diese faszinierende und beklemmende Geschichte einesSommers im Leben des Fotografen John zieht einen mit sanfterGewalt in einen Strudel der Gefühle hinein und weckt Erinnerungenan das Chaos, das man selbst in ganz anderer Form inseiner Jugendzeit im Ansturm der ersten Liebe erlebte. Eines derersten Bücher, die wie in unserem pdf-Magazin mit einem Vorabdruckvorstellten, waren die „Memoiren eines MünsterländerMastschweins“ von Jürgen Buchmann. Im Frühjahr kommt eineüberarbeitete und erweiterte Neuausgabe dieses literarischenVergnügens heraus. Grund genug, auch hier mal wieder ein paarAuszüge aus dieser großartigen Schweinerei abzudrucken.Als wir erstmals eine Umfrage nach den beliebtesten Bluesalbenunserer Leser starteten, war uns nicht bewusst, was für eineBedeutung diese Aktion für Musiker und Fans nicht nur inDeutschland haben würde. Seit Anfang Dezember läuft jetzt dienächste Auflage von „Best Blues“: Aus den zahllosen Alben, diewir hier in den Monaten seit Dezember 2012 rezensiert haben,haben die Autoren des Magazins Vorschläge gemacht, aus denendie Liste der Nominierungen in den Kategorien Blues (elektrisch),Blues (akustisch), Bluesrock, Livealbum, bestes Debüt und Blues(national) erstellt wurde. Und da die Zahl der Autoren unseresMagazins gerade in den letzten zwölf Monaten stark gewachsenist, wurde schon bei den persönlichen Listen der Redakteure derunterschiedliche Blick auf die Welt des Blues innerhalb der Redaktiondeutlich. Und wie groß das Interesse bei Musikern undFans auch in diesem Jahr ist, macht schon die folgende Zahl deutlich:An den ersten beiden Tagen stimmten schon mehr als 550Leser ab. Beim Redaktionsschluss waren es dann schon mehr als700.Einer der Newcomer in Deutschland war 2013 sicherlich JesperMunk. Mit seinem Debüt „For In My Way It Lies“ schaffte er es,die Medien in ganz Deutschland zu interessieren. Nach Monatendes Organisierens schaffte es Mario Bollinger, den Sänger vor seinemKonzert mit Eric Burdon im Münchner Zirkus Krone zumGespräch zu treffen.Blues im BahnhofAcht Blueskonzerte mit internationalenStars werden proJahr im Bahnhof Mannheimveranstaltet. Der Eintritt zuden von der Deutschen Bahnorganisierten Veranstaltungenist kostenlos.Folgende Konzerte sind für2014 geplant:• 28.02.: Mz. Dee & MaurizioPugno Organ Triofeat. The• Sublimes• 28.03. Harriet Lewis &Gregor Hilden Band• 11.04. Paul Lamb & TheKing Snakes• 16.05. Zydeco Annie &theSwamp Cats• 20.06. Norbert Schneider& Winestreet Session• 05.09. El Ville Blues Band• 10.10. Black Cat Bone• 07.11. Abi Wallenstein,Dave Goodman, OliverSpanuth, Steve Baker© wasser-prawda3


EditorialBluegrass Companion 72Tony Joe White - Hoodoo 73Zoe Schwarz Blue Commotion - The Blues Don‘t Scare Me 73Weihnachtsplatten 63Paul Carrack with The SWR Big Band - Swinging Christmas 63Various - Santa‘s Funk & Soul Christmas Party Vol. 2 63SprachraumUwe Saeger - Faust Junior 74Paulina Schulz - Das Eiland 96Jürgen Buchmann - Memoiren eines Münsterländer Mastschweins 100FeuilletonWolfgang Koeppens unbeschriebene Ansichtskarten. Viele Reisen – Eine Ausstellung. 102Robert Kraft - Die Vestalinnen 104In letzter Minute: Blues Brothers kommennach DeutschlandWeltweit gibt es nur zwei Shows, die offziell unter dem Namen der Blues Brothers auf Tour gehendürfen. Eine dieser Bands wird 2014 in Deutschland gastieren und plant außerdem Auftritte inÖsterreich, Holland und der Türkei. Die bestätigten Termine kann man auf www.bluesbrothers.wix.com/approved finden.Die Rolle des Jake Blues spielt in dieser Band der Schauspieler und Sänger Brad Hanshaw. Der hatmit The Road Kings außerdem noch seine eigene Band am Start, die demnächst auch mit neuemAlbum auf Tour kommen will. Wir hoffen, uns mit Brad so bald wie möglich zum Interview im„Crossroad Cafe“ auf radio 98eins zu verabreden.Dan „Jake Blues“ Akroyd und Judith Belushi, Witwe von John „Joliet Jake Blues“ Belushi müssenjede Show, die sich als „Blues Brothers“ bezeichnen will, zertifizieren. Damit soll die musikalischeQualität ebenso gesichert werden wie der respektvolle Umgang mit der legendären Band und demKultfilm.© wasser-prawda5


MusikDie große Mississippi-Flut 1927. Im Bild die Kleinstadt Allulah.High Water Everywhere –Charlie Patton, Taifun Haiyanund der KlimawandelVon Gary BurnettIm Frühling 1927 überflutete der Mississippi nach Wochenendlosen Regens Damm nach Damm, setzte tausende Farmenund hunderte Städte unter Wassser, tötete rund 1000 Menschenund hinterließ rund eine Million Obdachloser.Das Delta war hauptsächlich von armen schwarzen Share-Croppersbevölkert, die das Land für weiße Farmer bewirtschafteten.Diese herrschten in der Region wie Feudalherren. Es war ein Systemder Ausbeutung, in dem die weißen Landbesitzer Reichtümeranhäuften und die schwarzen Arbeiter oft nicht einmal genugzu Essen hatten.Eine der von der Flut hart getroffenen Städte war Greenville.Dort wurden Hilfsgüter für die durch die Überschwemmungobdachlos gewordenen Menschen nach Rassenunterscheidungverteilt. Im Ergebnis erhielten die Amerikaner afrikanischer Abstammungoft nichts. Und um dieser Ungerechtigkeit noch eineBeleidigung hinzuzufügen, wurden schwarze Männer zusammengetriebenund gezwungen, die Dämme wieder aufzubauen.Die bittere Erfahrung der schwarzen Menschen aus der ihnenwährend der Katastrophe widerfahrenen Behandlung durch Weißeführte zu einer großen Abwanderung von Sharecroppers in dieStädte des Nordens.Über die Flut von 1927 wurden rund 30 Lieder von Bluesmusikernaufgenommen. Barbecue Bob aus Atlanta beschreibt im6© wasser-prawda


MusikVielerorts wurden die selbst von der Flut am härtesten getroff enen schwarzen Anwohner Mississippisgezwungen, die zerstörten Deiche entlang des Flusses zu reparieren. Bei der Verteilung von Hilfsgüterngingen sie hingegen oft leer aus. Diese Behandlung führte zu einer massiven Abwanderung der farbigenBevölkerung in die Städte des Nordens.„Mississippi Heavy Water Blues“ etwa, wie er seine Frau verlor, dievon den Fluten weggerissen wurde. Der Texaner Blind LemonJefferson nahm ebenso einen Flut-Song auf Platte auf, den er oftim Delta gespielt hatte, wie Lonnie Johnson, der damals in St.Louis wohnte. Das wohl berühmteste Lied über die Flut hattewahrscheinlich Bessie Smith im Repertoir, obwohl der „Back WaterBlues“ schon aufgenommen war, bevor die Flut im Februar1927 begann. Doch die Platte kam genau dann heraus, als dieKatastrophe anfing und wurde dadurch zu einem großen Hit.Der für heutige Bluesfans geläufigste Blues über die Flut ist„High Water Everywhere“ von Charley Patton. Aufgenommenwurde er erst einige Jahre nach der Überschwemmung, doch daPatton aus dem Delta stammte, ist es wahrscheinlich, dass er ihnschon eher komponiert hatte. Das Lied erzählt bildhaft von denErgebnissen der Flut und Charlie erzählt darin, dass er in dasbenachbarte Hügelland gehen wolle, doch man habe ihn „eingesperrt“(„they got me barred“). Wahrscheinlich ist das ein Hinweisauf die Zwangsarbeit farbiger Männer bei der Reparatur derDämme.Hier sind es, wie es bei Natur- oder anderen Katastrophen immerder Fall ist, die Armen, die am meisten leiden müssen. DerWeltentwicklungsbericht der Weltbank für das Jahr 2014 stelltfest, dass es die Armen sind, die am anfälligsten sind für Dürren,Epidemien, Tsunamis, Gewaltverbrechen oder Finanzkrisen.Naturkatastrophen treiben Arme oder Menschen, die nahe derArmutsschwelle leben, immer tiefer in die Armut hinein. Sie zerstörendie Ernten, Einrichtungen des Gesundheitswesens, die In-© wasser-prawda7


MusikEine Spur der Verwüstung zieht sich am 14. November durch Tacloban auf der Insel Leyte. Diese Inselwurde vom Taifun Haiyan am schlimmsten getroff en. (Eogha Rice-Trócaire/Caritas/Wikipedia)frastruktur und Schulen und führen zu allem Unglück oft nochzur Ausbreitung ansonsten vermeidbarer Krankheiten.Wir alle wissen von dem verheerenden Taifun, der die Philippinenam 10. November getroffen hat. Momentan weiß man von5000 Menschen, die dabei ihr Leben verloren haben. Doch nochimmer werden viele vermisst und so wird befürchtet, dass dieZahl der Toten bis auf 10000 steigen könne. Hinzu kommt, dassdurch den Sturm mindestens vier Millionen Menschen aus ihrenHäusern vertrieben wurden. Die meisten davon sind Menschen,die schon vorher am Rande des Abgrunds lebten und sich nuneinem unvorstellbaren Kampf gegenüber sehen, ihr Leben neuaufzubauen. Wenn Ihr nicht bereits einen Beitrag geleistet habt,diesen Menschen etwas zu helfen, rufe ich Euch dringend dazuauf, an eine der Hilfsorganisationen, die vor Ort aktiv sind, eineSpende zu schicken, etwa an das Rote Kreuz, Oxfam oder WorldVision.Stunden bevor der Taifun Haiyan die Philippinen erreichte, warNaderev Sano, der Leiter der nationalen Klimakommission, vonManila abgeflogen, um an der Klimakonferenz der Vereinten Nationenin Warschau teilzunehmen. Als der junge Wissenschaftlerund Diplomat am Tag nach dem Sturm das Wort an die Delegiertenvon 190 Ländern richtete, waren ihm die Zerstörung unddas Leid bewusst, das seine Heimat getroffen hatte. Sein eigenerBruder half dabei, Menschen aus den Trümmern zu befreien. Sanohielt eine außerordentliche, leidenschaftliche Rede, in der erklar den Zusammenhang zwischen dem Super-Taifun Haiynanund dem von Menschen hervorgerufenen Klimawandel hinwies.8© wasser-prawda


MusikEr wollte die Welt zum Aufwachen bringen, sich der Realität dessenzu stellen, was von Lateinamerika über Südost-Asien bis hinin die Vereinigten Staaten passiert. Scharf kritisierte er die reichenLänder und diejenigen, die noch immer einen Klimawandel verleugneten,forderte er auf, in sein Land zu kommen um mit eigenenAugen zu sehen, was vorgeht. Als er sich setzte, begann er zuweinen. Für seine Rede erhielt er stehende Ovationen.Sano hat jetzt eine Neudefinition des Begriffs des „Katastrophe“gefordert. „Wir müssen aufhören, Geschehnisse wie dieses eineNaturkatastrophe zu nennen,“ teilte er den Vereinten Nationenmit. „Es ist nicht natürlich, wenn die Wissenschaft uns bereitsheute sagt, dass die globale Erwärmung zu immer stärkeren Stürmenführt. Es ist nicht natürlich, wenn die Menschheit das Klimaschon deutlich verändert hat.“Unter die Klimaforschern wird es immer mehr zum Konsens,dass die Häufigkeit von Super-Stürmen bereits zugenommen hat.Haiyan war bereits der dritte dieser Superstürme, der die Philippinenin einem Jahr getroffen hat. Er folgte auf sieben starkeTaifunstürme allein im Monat Oktober. Grobe Statistiken derphilippinischen Regierung legen in der Tat nahe, dass die Taifunein der Region tatsächlich an Stärke zugenommen haben. Insgesamtseien die Beweise dafür überwältigend, dass der Klimawandelam meisten die Entwicklungsländer beträfe, sagt Oxfam, diein den anfälligsten Ländern arbeitet. „Wenn die Temperaturenansteigen, werden viele der gefährdetsten Menschen der Welt sichmit höheren Risiken auseinandersetzen müssen: mit intensiverenoder länger andauernden Dürren, extremen Regenfällen und Hitzewellen“,heißt es in einem gemeinsamen Report des in Londonansässigen Think Tanks, The Overseas Development Institute,des Met Office und Risk Management Solutions.Diejenigen von uns, die in entwickelten Ländern leben, habennormalerweise den Wohlstand und eine Infrastruktur zur Verfügung,die den schlimmsten Auswirkungen von Naturkatastro-Vor den Trümmern der East Central Elementary School in Guiuan am 17. November 2013.© wasser-prawda9


Musikphen wiederstehen kann. Für die Menschen in ärmeren Ländernist das nicht der Fall. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass dieFrage des Klimawandels in einer aufrichtigeren Weise von denwohlhabenden Nationen behandelt wird. Das selbstsüchtige, nurauf kurzfristige Ergebnisse zielende Verneinen des Klimawandels,das ewige Bremsen bei Veränderungen muss aufhören. Wir allemüssen einen langen, harten Blick auf die schrecklichen Bilderder leidenden Menschen werfen, die uns von den Philippinen erreichen.Und wir müssen unsere Regierungen dazu drängen, ihreAnstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel zu verstärken.Ein Soldat der philippinischen Armee bewacht die Trümmer der Ortschaft Guiuan(15. November 2014)10© wasser-prawda


Auf TourAlbert CastigliaUnterwegs mit dem Blues Caravanvon RUF RecordsB.B. & The Blues Shacks19.12. Jazzclub, Hannover21.12. Trellers Chicken Shack,Woltershausen24.12. Mühle, Hildesheim29.12. Borkumer Bluesnight10. Blues Caravan 2014Mit Laurence Jones, ChristinaSkjolberg, Albert Castiglia23 01. Lindenwerra, Gemeindesaal24.01. Rheine, Hypothalamus25.01. Berlin, Quasimodo26.01. Nürnberg, Hirsch28.01. Bensheim, Rex29.01. Karlsruhe, Jubez30.01. Stuttgart, Merlin31.01. Offenburg, Reithalle01.02. Koblenz, Café Hahn02.02. Dortmund, Piano04.02. München, Garage Deluxe05.02. Aschaffenburg, Colos-Saal06.02. Hamburg, The RockCafé07.02. Worpswede, Musichall08.02. Hannover, Blues Garage09.02. Bonn, HarmonieBlues Company21.12. Divarena, DelmenhorstMusik25./26.12. Blue Note, OsnabrückCaptain’s Diary31.01. Oberhausen, Druckluft07.02. Krefeld, Werkhaus12.04. Würzburg, DencklerKino13.04. Augsburg, Neruda Kulturcafé14.04. Jena, Café Jäger17.04. Solingen, Cow ClubWohnzimmer25.04. Mülheim/Ruhr, MoccaNovawww.captains-diary.deClara Luzia»We Are Fish Tour« 201406.01. Leipzig, Nato07.01. Berlin, Privatclub08.01. Hamburg, Haus 7309.01. Frankfurt, Das Bett10.01. Jena, Volksbad11.01. Pfarrkirchen, Bogaloo24.01. Bayreuth, Glashaus25.01. Mürz, Kunsthauswww.claraluzia.comCologne Blues Club17.12. Mehlsack, Emmendingen18.12. Chabah, Kandern17.02. Waldhaus, Weil a.Rhein08.03. Grend, EssenDieter Kropp & Band13.12. Kulturrampe, Krefeld14.12. VHS-Forum, Olpe15.12. Weihnachtsmarkt, DetmoldHamburg Blues Band14.12. Lehenbachhalle, Winterbach20.12. HsD Gewerkschaftshaus,Erfurt21.12. Music Hall, Worpswede03.01. Café Hahn, Koblenz04.01. Gasthof zum Bräu, Garching05.01. Jazzhaus, Freiburg10.01. Quasimodo, Berlin11.01. Zur Linde, Affalter16.01. Harmonie, Bonn17.01. Rex, Bensheim18.01. Speicher, SchwerinJesper Munk10.01. Wetterhorn, HaslibergCH23.03. Dresden, Puschkin,25.03.Hamburg, Rock CaféSt.Paulimoe.26.03. Hamburg, Fabrik28.03. Berlin, Quasimodo29.03. Plauen, Malzhaus30.03. München, Backstage04.04. Winterbach, Lehenbachhalle05.04. Lorsch, Kulturhaus Rex06.04. Bonn, Harmoniewww.moe.orgMorblus12.12. Altdorf, Jimmy‘s Café13.12. Haiming, Gwölbekeller14.12. A-Linz, AuerhahnPaul Carrack & SWR BigBand»Swinging Christmas 2013«11.12. Mainz, Phönixhalle12.12. Friedrichshafen, Zeppelinhalle14.12. Rastatt, Forum15.12. Stuttgart, LiederhallePokey LaFarge12.01. De Oosterpoort, GroningenPostyr Project25.01. Berlin, Kulturbrauerei @A-CA 14 Festival24.04. Celle, CD Kaserne25.04. Hameln, Sumpfblume26.04. Köln, Bürgerhaus KalkRichard Bargel & DeadSlow Stampede25.01.Köln, Altes Pfandhaus29.01.Fürth, Kofferfabrik30.01.Stuttgart, Laboratorium01.02.Brühl, Galerie amSchloss13.02. Pulheim, Kultur- undMedienzentrum14.02.Wuppertal, Bürgerbahnhof© wasser-prawda11


27.02.Hamburg, Cotton Club28.02.Lübeck, Rider’s Café01.03.Husum, Speicher12.03.Kassel, Theaterstübchen13.03.Gifhorn, Kulturbahnhof14.03.Berlin, Chesters LiveMusic Inn27.03.Karlsruhe, Jubez28.03.Weil am Rhein, AltesRathaus03.04.Bonn, Pantheon04.04.Dortmund, Piano06.04.Leverkusen, Scala25.04.Freiburg, Wodan Halle26.04.Meidelstetten, Adler27.04. Rödermark, Theater &Nedelmann (solo)www.richardbargel.deThe Toy HeartsBluegrass & Western Swing16.01.Freiburg Wodan Halle17.01. Ravensburg Zehntscheuer19.01. München RattlesnakeSaloon21.01. Ingolstadt Neue Welt24.01. Marbach Schlosskeller25.01. Nürnberg Loni ÜblerHaus28.01. Berlin tba30.01. Hildesheim Bischofsmühle31.01. Stuhr Ratssaal01.02. Neustadt Wespennest02.02. Kassel KreuzkircheTommy Schneller Band13.12. Bielefeld, Jazz-Club19.12. Windeck, kabelmetal23.12. Vechta, GulfhausWenzel14.12. Rudolstadt, Saalgärten20.12. Leipzig, SchaubühneLindenfels21.12. Hoyerswerda, Kufa(neues Programm)www.wenzel-im-netz.deWOLF MAAHN & BAND»Weihnachtskonzerte 2013«13.12.2013 Erfurt, HsD14.12.2013 Leipzig, Anker20.12.2013 Bochum, ZecheMusikClubsBarnaby‘s Blues-Bar(Braunschweig)21.12. Rocking Horse26.12. Red House27./28.12. Booze Band25.01. Second ServiceBischofsmühleHildesheim13./14.12. The Blues Guy &The Guinnes Horns24.12. B.B. & The Blues ShacksBluesgarage Isernhagen13.12. Roger Chapman & TheShortlist14.12. The Shanes15.12. Eric Bibb & NorthCountry Far20.12. Panik Power BandBriefkasten Cloppenburg11.01. 3 Acoustics (Timo GrossWineyard-Sessions Part III)18.01. Jess Martens BandBunte Katze Wetzlar14.12. Tough Enough25.12. WestcoastCafe Hahn Koblenz11.12. Martin Tingvall02.01. Erika Stucky03.01. Hamburg Blues Band24.01. Axel & Thorsten Zwingenberger27.01. Adam Baldych & YaronHermanChabah79400 Kandern18.12. Cologne Blues Club05.01. Dr. Vielgut08.01. Robert Fossen & PeterStruijk Band15.01. No Stress Brothers22.01. Quickchange BluesBand29.01. Dallas Hodge & AndyEgert Blues BandCotton Club Hamburg16.12. Paul Botter & JanMohr23.12. Boogie Rocket01.01. Jessy Martens & Jan FischerBlues Support10.01. Boogie House16.01. Crooked Road Band27.01. Guy Weber10.02. Henry Heggen, JaspaPrepula, Andreas Bock, Nielsvon der Leyen, Jan Mohr27.02. Richard Bargel & DeadSlow Stampede11.03. Hans TheesinkDowntown BluesclubHamburg22.12. Molly Hatchett27.12. Sämsära/Squirel‘s Green10.01. Starclub Nacht11.01. Criss Cross Big Band17.01. B.B. & The Blues Shacks22.01. Thirsty Mamas29.01. Bernard AllisonExtra Blues BarBielefeld21.12. The Uschi ObermaierExperience28.12. Art Zen and Friends17.01. Reverend Shine SnakeOil Company23.1. Plymouth Fury/PerfectIdiotHerzog Ernst(Celle)06.03. 3rd Degree LeBurn28/29.04. Tim Mitchell &BandKaiserkeller Detmold13.12. Big Steve‘s Blues Attack26.12. Danny & the Wonderbras29./30.12. RoxquartettKrähenhöhleBad Dürkheim21.12. Timo Gross & Band28.12. Steve Scondo12© wasser-prawda


Hirsch Nürnberg15.12. Molly Hatchet16.12. Doro30.12. Django 300002.01. Uli Jon Roth05.01. Barock07.01. Protest The Hero09.01. Nuremberg Ska Revolt17.01. The Busters21.01. Royal Republic & TheNosebreakers23.01. Götz Widmann24.01. Münchner Freiheit29.01. Che Sudaka30.01. Wishbone AshKulturspeicher(Bergstraße, Ueckermünde)25. Januar 2014, 20 Uhr, PeteGavin22. Februar, 20 Uhr, JanHengsmith03.05. Thilo MartinhoLaboratorium(Stuttgart)14.12. Hawelka19.12. Bastiao20.12. Black Cat Bone21.12. Hiss30.12. Dannemann & Friends23.-25.01. Grachmusikoff07.02. The Blues Band27.03. Blues CompanyLate Night Blues(Loev Hotel Binz/Rügen)20.12. Boogie Special: Pertiet -Maass - MuschalleMeisenfrei(Bremen Hankenstr.)12.12. Kai Strauss Band feat.Jeffrey Amankwa19.12. Local Radio‘s RockingSafari: R. Dark Band20.12. Hannes Bauer21.12. Abi Wallenstein &Blues Culture22.12. Best of Local Heroes27.12. Soul Gang feat. TommieHarris03.01. Vegabonds08.01. Colbinger09.01. Jelly Baker16.01. Sonic Pilots/SolaraMusik17.01. The Dukes18.01. B.B. & The BluesShacks21.01. Victory22.1. The Nimmo Brothers23.1. The Ages28.01. The Statesboro RevueMusic Hall Worpswede14.12. ERIC BIBB & NorthCountry Far21.12. Hamburg Blues Band &Friends29.01. Andy McKeeMusiktheater Piano(Dortmund)14.12. Molly Hatchet29.12. Pee Wee Bluesgang09.01. Nektar12.01. Klaus „Major“ HeuserBand19.01. Jess Martens & Band24.01. VdelliMusiktheater Rex(Bensheim)13.12. Heavytones19.12. Extrabreit10.1. Cargo City16.01. Cryssis17.01. Hamburg Blues Band23.01. Vdelli28.01. Blues Caravan 201430.01. Lydie AuvrayO‘Man River(Friedensstraße, Heringsdorf)13. Dezember Romek Puchowski& Micha Maass20. Dezember BluesRausch28. Dezember Eric Lenz29. Dezember The Blue Tales30. Dezember Die KomplizenRäucherei Kiel07.02. Jessy Martens & Band21.02. Clem Clempson BandSavoy Bordesholm20.12. Mobago29.12. Lake04.01. Georg Schroeter &Marc Breitfelder18.01. Marius Tilly Band/Michaelvan Merwyk & Bluesoul24.01. Christiana MartinSchwarzer Adler(47495 Rheinberg)14.12. Jessy Martens & Band26.01. Bernard Allison &Band15.02. Ben Poole & Band23.02. Mitch Ryder & Band02.03. Kralle & Friends08.03. Jessy Martens & Band04.04. Band of FriendsYorkschlösschen(Yorkstr. 15, Berlin)14.12. Lionel Haas Club Band18.12. Felix Zoellner & TheDynacasters20.12. Kat Baloun‘s Hot TubBlues Quartet21.12. Helena & The Twilighters22.12. The Cockie Club Trio24.12. Ernie Schmiedel25.12. Jan Hirte‘s Blue Ribbon27.12.Lenard Streicher Band28.12.Bruno de Sanctis &Jakkle!29.12.Ernies Blues‘n BoogieBrunch30.12.Whatever Rita Wants31.12.Sugar Pie & The Candymen01.01.Sugar Pie sings NoLa03.01.Dr. Will & The Wizzards04.01.The Love Gloves05.01.The Roaring Strings08.01.Love Your Sister10.01.Marcos Coll BluesJarana11.01.Lenard Streicher Band12.01.The Rock‘n‘Roll Trio15.01.Henry Heggen‘s BoogieBash17.01.Fat Men Running18.01.Lenard Streicher Band19.01.Anja & Ben SwingBrunch22.01.Bernd Rinser24.01.Elise Eissmann Quintett25.01.Swing Kong26.01. The Vergil Segal Trio29.01. Piano Power Station31.01.Das SpreeTonOrchester01.02.Black Kat & Kittens© wasser-prawda13


MusikBernd KreikmannsBlues Alben 2013• Blues (elektrisch): KalDavid, Crossroads of myLife• Blues (akustisch): DaveRiley & Bob Corritore,Hush Your Fass!• Bluesrock: Rhino Bucket,Sunise on Sunset Boulevard• Live-Album: Gov‘t Mule,Shout• Debüt: Andy T / Nick NixonBand, Drink DrankDrunk• Blues (national): TheHamburg Bluesband, Friendsfor a LifetimeDes Nörglers teilsbluesfreie Topliste• Anders Osborne - Peace• Andy Poxon - Tomorrow• Big Daddy Wilson - I‘mYour Man• Calum Ingram - MakingIt Possible• Frank Bey And AnthonyPaule Band - Soul ForYour Blues• HISS - Das Gesetz derPrärie• Holland K Smith - Cobalt• Howell Devine - Jumps,Boogies & Wobbles• Mátyás Pribojszki Band -Treat• Mojo Juju - Mojo Juju• Murali Coryell - Live• Nina Van Horn - SevenDeadly Sins• Norbert Schneider - Schaumer mal• Pokey LaFarge - PokeyLaFarge• Trampled Under Foot -Badlands• The Dynamite Daze -Tango With The Devil• The Leadbelly Project -Play The Jailhouse BluesBest Blues 2013Die NominierungenHunderte Alben haben wir in den letzten Monatengehört und rezensiert. Und wie schon in den letztenJahren wollen wir die Leser fragen, welcheihnen am wichtigsten waren. Aus all den rezensiertenAlben (und auch einigen, bei denen dieRezensionen noch nicht fertig geworden sind),haben wir wieder in den sechs Kategorien Blues(elektrisch), Blues (akustisch), Bluesrock, Live-Album, Debüt und Blues (national) eine Auswahlgetroffen, die wir zur Abstimmung stellen. Hinzukommt erstmals eine neue Kategorie: „CriticsChoise“ ist für Musik bestimmt, die uanabhängigvom Stil bei uns einen besondern Eindruck hinterlassenhat. Die Vorschläge für die Nominierungenstammen von den Autoren, die regelmäßigbei uns über musikalische Themen schreiben.Die Umfrage läuft noch bis zum 1. Januar 2014. Pro Kategoriekönnen bis zu zehn Stimmen vergeben werden. Die Höchstzahlvon Stimmen/Album beträgt fünf. Die Sieger werden so bald wiemöglich auf unserer Homepage bekannt gegeben. Außerdem werdendie Siegeralben jeder Kategorie am 14. Januar 2014 ab 21 Uhrim „Crossroad Cafe“ auf radio 98eins vorgestellt.Bestes Debüt 20131. Allen Vega - Rough Cut2. Andy T - Nick Nixon Band - Drink Drank Drunk3. Calum Ingram - Making It Possible14© wasser-prawda


Musik4. Cassie Taylor - Out Of My Mind5. Forty4 - 44 Minutes6. GT‘s Boos Band - Steak House7. Jo Harman - Dirt On My Tongue8. Lisa Cee - My Turn9. Loretta and the Bad Kings - Loretta and The Bad Kings10. Rabbit Foot - Swamp BoogieLive-Album 20131. Gov‘t Mule - Shout2. Lucky Peterson - Live At The 55 Arts Club Berl5in3. Mark „Bird“ Stafford - Live At The Delta4. Murali Coryell - Live5. Roland van Campehout - Dah bluez iz-a-comming6. Roomful of Blues - 45 Live7. Royal Southern Brotherhood - Songs from the Road (Live InGermany)8. Ry Cooder & Corridos Famosos - Live At The Great AmericanMusic Hall9. Various - Crossroads Guitar Festival 201310. Various - Remembering Little WalterBlues (akussch)1. BabaJack - Running Man2. Big Daddy Wilson - I‘m Your Man3. Bottleneck John - All Around Man4. Dave Riley & Bob Corritore - Hush Your Fuss!5. Eric Bibb - Jericho Road6. Fran McGillivray Band - Some Luck7. Guy Davis - Juba Dance8. Half Deaf Clatch - A Road Less Travelled9. HowellDevine - Jumps, Boogies & Wobbles10. Kyle & Moore - The Whale & The Wa‘ah11. Marshall Lawrence - House Call12. Paul Lamb & Chad Strentz - Goin‘ Down This Road13. The Claudettes - Infernal Piano Plot … HATCHED!14. Thomas Ford - Breaking Everything But Even15. Wooden Horse - This Kind of TroubleBlues (elektrisch)1. Ana Popovic - Can You Stand The Heat?2. Andy Poxon - Tomorrow3. Brian Houston - Mercy (Jesos Don‘t Forget My Name)4. Buddy Guy - Rhythm & Blues5. Cash Box Kings - Black Toppin‘6. Chicago Blues All-Stars - Red, Hot & Blue7. David Migden & The Dirty Words - Killing It8. Frank Bey And Anthony Paule Band - Soul For Your Blues9. Holland K Smith - Cobalt10. Ian Siegal & The Mississippi Mudbloods - Candy Store Kid11. John Primer & Bob Corritore - Knockin‘ Around These Blues12. Johnny Rawls - Remembering O.V.13. Mátyás Pribojszki Band - Treat14. Morblus - Green Side15. Mud Morganfield - Blues With A MoodDie Alben des Monats1. Ian Siegal & The MississippiMudbloods -Candy Store Kid2. Bob Brozman - Fire Inthe Mind3. Nina van Horn - SevenDeadly Sins4. Big Daddy Wilson - I‘mYour Man5. John Primer & BobCorritore - Knockin‘Around These Blues6. Mike Zito & The Wheel- Gone to Texas7. Dana Fuchs - Bliss Avenue8. Buddy Guy - Rhythm &Blues9. Charles Walker & TheDynamites - Love IsOnly Everything10. Anders Osborne -Peace11. Calum Ingram - MakingIt Possible12. BabaJack - RunningMan© wasser-prawda15


Matthias SchneidersBlues Alben 2013• Ana Popovic - Can YouStand The Heat• Ben Harper & CharlieMusselwhite - Get Up!• Big Daddy Wilson - I‘mYour Man• Chicago Blues All-Stars -Red Hot & Blue• Cyril Neville - Magic Honey• Dana Fuchs - Bliss Avenue• Eric Clapton - CrossroadsGuitar Festival 2013• Fritz Rau & Biber Hermann- Ein Plädoyer für denBlues• Gaspo Harmônica - DozeCompassos De Blues• Gov‘t Mule - Shout!• Henrik Freischlader - NightTrain To Budapest• Howard Glazer - Stepchildof the Blues• Hugh Laurie - Didn‘t ItRain• Joe Bonamassa - An AcousticEvening at the ViennaOpera House• John Primer & Bob Corritore- Knockin Around TheseBlues• Keb‘ Mo‘ - Peace - Back ByPopular Demand• Mike Zito & The Wheel -Gone To Texas• Roomful of Blues - 45 live• Royal Southern Brotherhood- Songs from the Road• Samantha Fish - BlackWind Howlin• Seasick Steve - HubcapMusic• Sugaray Rayford - Dangerous• The Hamburg Blues Band- Friend For A LIVEtimeVol. 1• Timo Gross - Landmarks• Tony Joe White - Hoodoo• Trampled Under Foot -Badlands• Will Wilde - Raw BluesMusik16. Nina Van Horn - Seven Deadly Sins17. Smokin Joe Kubek & Bnois King - Road Dog‘s Life18. Tom Principato - Robert Johnson Told Me So19. Will Wilde - Raw Blues20. Zoe Schwarz Blue Commotion - The Blues Don‘t Scare MeBluesrock1. Anders Osborne - Peace2. Bare Bones Boogie Band - Tattered & Torn3. Cyrill Neville - Magic Honey4. Dana Fuchs - Bliss Avenue5. James Boraski & Momentary Evolution - Comin Home6. JJ Grey & Mofro - This River7. King King - Standing In the Shadows8. Layla Zoe - The Lily9. Lightnin Malcolm - Rough Out There10. Mike Zito & The Wheel - Gone To Texas11. Monkey Junk - All Frequenzies12. Moreland & Arbuckle - 7 Cities13. Rhino Bucket - Sunrise on Sunset Boulevard14. Samantha Fish - Black Wind Howlin15. Sean Chambers - The Rock House Sessions16. Soulstack - Five Finger Discount17. Southern Hospitality - Easy Livin‘18. Tedeschi Trucks Band - Made Up Mind19. The Tribes with Zach Prather - Ju Ju Man20. Trampled Under Foot - BadlandsBlues (naonal)1. 3 Dayz Whizkey - Black Water2. Beige Fish - Down Home Shuffle3. Bluesin‘ The Groove feat. Adam Hall - Mess Around4. Boogielicious - Boogie ALIVE5. Cologne Blues Club - Hanging By A Thread6. GProject Blues Band - Blue Shadow7. Hamburg Blues Band - Friends for a LIVEtime Vol. 18. Henrik Freischlader - Night Train To Budapest9. Jesper Munk - For In My Way It Lies10. Marshall X - Broke Busted & Blue11. The Dynamite Daze - Tango With The Devil12. The Leadbelly Project - Play The Jailhouse Blues13. Thomas Scheytt - Blues Colours14. Timo Gross - LandmarksCrics Choice1. Black Sabbath - 132. Bob Brozman - Fire In Mind3. Charles Walker & The Dynamites - Love Is Only Everything4. HISS - Das Gesetz der Prärie5. Mojo Juju - Mojo Juju6. Norbert Schneider - Schau mer mal7. Pokey LaFarge - Pokey LaFarge8. Samba Touré - Albala9. Various - Delmark: 60 Years of Blues10. Vinz - The Birth of Leon Newars16© wasser-prawda


MusikEine Gesprächsreihe von Dave WatkinsZehn Fragen an Half Deaf ClatchNoch arbeitet der Songwriter und Gitarrist HalfDeaf Clatch bei der Feuerwehr. Doch seit dreiJahren tourt er schon mit seinen Songs durch dieBluesclubs in Großbritannien. Anfang Dezembererscheint mit „A Road Less Travelled“ sein neuesAlbum (Rezension in dieser Ausgabe). HöchsteZeit, dass Dave Watkins ihm seine Fragen stellt.1: Was war Dein frühester Musikgeschmack und wie hast Dudie Welt des Blues entdeckt?Als ich in den 70er und 80er Jahren aufwuchs, hörte ich ClassicRock - Bands wie Led Zeppelin, Deep Purple und Black Sabbath.Das erste Mal entdeckte ich den Blues, als ich anfing, nach denQuellen der Musik zu schauen, die ich anhörte. Damals entdeckteich Son House, und seine Musik brachte in mir etwas zum Klingen... Seither wusste ich, dass ich dazu bestimmt bin, den Blueszu spielen.2: Wer waren die Künstler, die dich dazu brachten, dass Dudiese Musik spielen wolltest. Und wann stelltest Du fest, dassDu dazu das Talent hast?Anfangs hörte ich meist die Stücke von Son House, aber ich wurdeauch von Charley Patton und Bukka White beeinflust. Inspirationennahm ich auch von zeitgenössischen Bluesmen entgegen,haupsächlich von Catfish Keith, Dave Arcari und Charlie Parr.© wasser-prawda17


MusikIch glaube, man kann sagen, dass ich mich selbst noch immernicht für besonders talentiert halte, aber die öffentliche Meinungsieht das anders! ... Nach meinen ersten Gigs fühlte ich solch eineLeidenschaft für den Blues, dass ich einfach wusste, dass das fürmich der richtige Weg ist.3: Deine ersten Aufnahmen - hörst Du sie immer noch an?Wie beurteilst Du sie heute? Und gibt es welche, die Du nichtmehr anhören würdest?Ich erwische mich immer bei der Haltung, dass ich mir frühereAufnahmen nicht mehr anhöre, wenn ich erstmal ein neuesProjekt in Angriff genommen habe. Das ist keine bewusste Entscheindungsondern passiert einfach. Ich versuche immer, vorwärtszu gehen und meine Musik relevant zu halten.4: Welche anderen Jobs hast Du gemacht, um Deine Musikkarrierezu unterstützen?In den letzten 14 Jahren habe ich bei der Feuerwehr gearbeitet,und das hat offensichtlich meine Gitarrenmanie finanziert. Aberim nächsten Jahr will ich mich komplett auf das verlassen, was ichmit meiner Musik verdiene. Denn ich habe mich dazu entschieden,im August 2014 Profi zu werden.5: Wie schwer ist es, von seiner Musik zu leben? Und gibt esirgend etwas, dass diese Ziel für alle Musiker einfacher erreichbarmachen würde?Das hängt von Deinem Lebensstil ab und wie ernsthaft Du amErfolg arbeitest. Ich persönlich denke, dass das Leben zu kurzist, um Deinen Träumen nicht nachzujagen. Ich will mein Bestesversuchen und sehen, wohin mich das führt. Klar ist das eineReise ins Unbekannte - aber vielleicht folgen eines Tages anderemeinem Beispiel und versuchen es einfach anstatt dass sie sich immernur fragen: „Was wäre wenn?“ Nichts im Leben ist einfach.Du musst einfach Deinen eigenen Weg finden und auf das Bestehoffen.6: Auf welchen Deiner eigenen Songs bist Du besonders stolz?Erzählst Du uns die Geschichte hinter dem Lied?Mein Lied „I‘m No Superman“ ist einer, auf den ich besondersstolz bin. Denn er wurde von Jimmy Carlyle von BBC Radio Shetland2013 als Bester Originalsong für die British Blues Awardsnominiert und schaffte es landesweit unter die 15 Finalisten. DasLied wurde eines Tages im Jahr 2012 in meiner Wohnung geborenund wurde ursprünglich auf dem Banjo gespielt. Im Grundesteht das Lied für ein Gefühl, das viele Menschen nachfühlenkönnen, es geht darum, dass Du das Beste gibst, aber niemals istdas gut genug. Außerdem wollte ich mal das Wort „Kryptonite“in ein Lied einbauen!7: Wenn Du Dich zum Schreiben hinsetzt, was kommt zuerst- derText, die Melodie oder die Idee für ein ganzes Lied?Das ist unterschiedlich, manchmal kommt aus einem Gesprächoder einem Ereignis die Inspiration für einen Songtitel, dochmeist ist es die Musik, die zuerst kommt. Vielleicht, weil ich mehrGitarre spiele, als mit Menschen Konversation zu pflegen.18© wasser-prawda


Musik8. Erzähl uns was über das Lieblingsinstrument in DeinerSammlung. Gibt es irgend ein anderes Instrument, dass dugerne hättest oder spielen lernen möchtest?Der Liebling unter all meinen 30 Gitarren ist meine TangelwoodResonator mit Stahlkörper. Das war meiner erste „richtige“ Bluesgitarre.Sie kommt aber nicht zu meinen Auftritten mit. Sie bleibtzu Hause, wo sie sicher ist.Ich glaube, ich würde gerne mal probieren, die Mundharmonikazu spielen - wenn ich denn jemals ne Minute dafür übrig habensollte.9. Wo möchtest Du Deine Karriere gerne hinführen sehen inder Zukunft? Was sind Deine wichtigsten Ziele?Ich lege es nicht wirklich darauf an, im allgemeinen Wortsinn„berühmt“ zu werden. Aber würde gern in der Blues Industrieeiner werden, an dessen Namen man sich erinnert und dessenMusik die Menschen so gerne hören, wie ich Spaß daran habe,sie zu schreiben und bei Konzerten zu spielen. Vielleicht wird irgendwannja mal ein aufstrebender Blueskünstler so zu mir aufschauen,wie ich zu anderen aufgeschaut habe, die vor mir kamen.10: Was machst Du außer Musik am liebsten?Ich genieße die Zeit, die ich mit meiner Familie und mit Freundenverbringen kann, auch wenn ich das nicht mal annäherndso oft mache, wie ich sollte. Weil meine Partnerin auch meineManagerin ist, die auch noch in der Gegend Musiknächte organisiert,drehen sich unsere Leben vollständig in ein oder andererWeise um Musik.ZusatzfragenEs scheint momentan eine gute Periode für den Blues zu sein miteiner Menge neuer Künstler, die auftauchen - Stimmst Du zu, dassdie Zukunft vielversprechend ist?Dem stimme ich ziemlich komplett zu. In den letzten Jahren wurdedas Profil des Blues durch verschiedene Künstler massiv erweitert.Das verspricht für mich und andere, die den Blues am Lebenerhalten wollen, eine gute Zukunft.Wenn Du Dein eigenes persönliches Bluesfestival zusammenstellenkönntest: Welche fünf Künstler (lebende oder tote) würden auf demPlakat stehen?Das ist eine einfache Frage! Son House, Bukka White, CatfishKeith, Charlie Parr und R.L. Burnside (mit seiner komplettenBand, um die Leute zum Tanzen zu bringen!) Und es gäbe einenkleinen Gastauftritt von Rosetta Tharpe für meine Frau.Ist die Baseball-Kappe für Dich inzwischen eine unverzichtbareKopfbedeckung? Und sieht es eigentlich cooler richtig oder verkehrtherum aus?Hahaha! Ja, sie ist unverzichtbar - sie ist ebenso sehr ein Markenzeichenfür mich wie mein Stompboard aus einem Fleischerblock.Ohne würde ich niemals auftreten. Um ehrlich zu sein:Die Positionierung hängt von der Position des Mikrophons ab,weil der Schirm der Kappe manchmal während des Gigs gegendas Mikrophon stößt. Also: Richtig oder verkehrt herum? Das istegal, cool ist cool!© wasser-prawda19


MusikZu den Liedern• „Jobless“ wurde 2012 veröffentlichtauf: Allen Vega- Rough Cut (erhältlichüber itunes)• „Factory Closing Blues“findet sich auf: MarshallLawrence - House Call(cdbaby 2013). Den Chorsingen in dem Song TheHolmes Brothers.• Den „Jobcenter Blues“ vonBlack Kat & Kittens gibtes bislang noch nicht ineiner offiziellen Produktion.Aber sicherlich kannman ihn bei Konzertendes Trios (Lorraine Love -voc; Simon Dahl - g, voc;Adam Sikora - mharm,voc) hören.Jobcenter Blues: Blues undArbeitslosigkeit„Ich kenne das Gefühl pleite zu sein. Ich hoffe, uns beidengeht es 2014 besser.“ Das schrieb ein befreundeter Musikerauf meine Bemerkung, ich könne es mir im Moment nichtleisten, sein neues CD Projekt finanziell zu unterstützen.Das Gefühl, ständig pleite zu sein oder kurz vor dem Bankrottzu stehen, begleitet Bluessänger schon seit Beginn dieserMusik. Nur die wenigsten Künstler können wirklich vonihrer Musik leben. Von idealistischen Journalisten, die ausLiebe zu dieser Musik viel Zeit investieren, ganz zu schweigen.Von Raimund Nitzsche.Der Song, der meine Lage zur Zeit am besten umschreibt,kommt von dem in Berlin ansässigen Trio Black Kat &Kittens. In ihrem „Jobcenter Blues“ umschreiben sie genaudas Gefühl, was mich selbst immer wieder überkommt, wennder Kontostand den Gang zum Amt mal wieder unausweichlichmacht. Das Gefühl, sich vor den Angestellten demütigen zu müssen,die Lage schonungslos offenzulegen. Und nicht zu wissen, obdenn die Anträge so schnell bearbeitet werden, dass man nichthoffnungslos in die Verschuldung gerät. Klar, die normalen Sachbearbeiterin diesen Ämtern, mit denen ich es bislang zu tun hatte,waren alle irgendwie engagiert und zuvorkommend. Woher im-20© wasser-prawda


MusikArbeitsloser Trapper mit seiner Tocher (1935).mer wieder die verzögernden Nachforderungen oder Nachfragenkamen, war mir nie ganz klar. Doch genau das: vom Wohlwollenanderer abhängig zu sein, ist zutiefst erniedrigend. Es ist schlechtfür‘s Selbstbewusstsein.Marshall Lawrence hat mit seinem „Factory Closing Blues“ einähnliches Gefühl geschildert: Die Fabrik schließt. Und damit istfür den Betroffenen der unbefangene Blick in die Zukunft verbaut:Das Essen wird knapp, irgendwann kommt der Hunger.Und wenn dann selbst der Pfarrer nicht von seinen Phrasen lassenkann, bleibt manchem nur der Selbstmord als radikaler Ausweg.Wie dieses Gefühl des schleichenden Sterbens im Call undResponse zwischen Vorsänger und Chor musikalisch geschildertwird, das ist einserseits natürlich ganz nah dran am uralten Bluesoder besser noch: der Zeit vor dem Blues. Aber gleichzeitig wirdhier das Schicksal des Einzelnen auch als Schicksal der ganzenGemeinde, die von der Krise betroffen ist, geschildert. Die Fabrikschließt - und es stirbt nicht nur die Hoffnung des einzelnenArbeitslosen, letztlich sterben ganze Ortschaften. Was zurückbleibtsind Totenstädte. Oder besser: Orte, wo Menschen jeglicheHoffnungen verloren haben. Doch - und sowohl als Bluesman alsauch als Psychologe ist das Lawrence bewusst: Der Blues in seinerursprünglichen Form führt nicht in die Depression, sondern ausihr heraus. Der Bluessänger teilt mit den Hörern die gemeinsame© wasser-prawda21


MusikFactory Closing BluesLord these factory closing blues are slowly killing me right nowWell I woke up this morning, Lord those factory gates were closedWoke up this morning, the factory gates were closedWell I woke up this morning, Lord those factory gates were closedWoke up this morning, the factory gates were closedWell the boss man told me, “Son, you better get on back home”Well I looked in my cupboard, there was no food in my houseLooked in my cupboard, there was no food in my houseWell I looked in my fridgerator, there was no food in my houseLooked in my cupboard there was no food in my houseI felt as hungry as a little old church mouseLord these factory closing blues are slowly killing me right nowLord these factory closing blues are slowly killing me right nowWell I visit my Preacher, I asked him what I’m gonna do?Went to my Preacher for him to tell me what to doWell I visit my Preacher, I asked him what I’m gonna do?Went to my Preacher for him to tell me what to doHe said get on your knees boy and ask the Lord to forgive youI’m gonna jump in the river, I’m gonna leave this vale of tearsJump in the river, gonna leave this vale of tearsI’m gonna jump in the river, I’m gonna leave this vale of tearsJump in the river, gonna leave this vale of tearsI’m gonna sit right down next to Jesus, He’s gonna sort out all myfearsLord these factory closing blues are slowly killing me right nowLord these factory closing blues are slowly killing me right now© Marshall LawrenceErfahrung. Und dies gibt ihm und den Hörern Kraft, um dieharten Zeiten zu überstehen.Nicht immer ist es die Krise, die den Menschen seine Arbeit verlierenlässt. Manchmal sind es solch absurde Zufälle, wie der, vondem Allen Vega in dem 2012 entstandenen „Jobless“ erzählt. Dochdie Folgen sind letztlich die gleichen: Mit der Arbeit verschwindetnicht nur das Geld. Beziehungen zerbrechen, letztlich droht dervöllige Absturz in Obdachlosigkeit und Alkohol.Für viele Bluesmusiker oder Musiker allgemein ist es heute fastunmöglich, von ihrer Kunst zu leben: Immer weniger Clubs existieren.Und oft bieten die noch bestehenden keine Gage mehr ansondern verschieben das wirtschaftliche Risiko der Konzerte aufdie Künstler, die gegen den Eintritt oder gar „den Hut“ spielen,also um das Geld, das die Besucher freiwillig zu zahlen bereitsind. Damit ist eine langfristige Lebensplanung kaum noch möglich.Und somit droht die Musik zum Hobby oder zum Zweitjobzu werden. In Dave Watkins‘ Interviewserie „Zehn Fragen an“konnte man schon von den verschiedensten Tätigkeiten lesen, dieKünstler ausübten, um ihre Karriere als Musiker zu unterstützen.Der Weg zum Jobcenter ist dann hierzulande die Lösung, die ei-22© wasser-prawda


MusikJoblessGot a number from the bathroom wallThought it over and gave her a callShe was a little bit larger then lifeHow was I to know she‘s my bosses wifeChorus:Now I‘m jobless (shout chorus) unemployedI‘m jobless (shout chorus) ain‘t got no jobCause I‘m jobless and lookin‘ for work right nowI just spent my last 25 cents and my car has been repossessedMy women left me for another man now I‘m on the streets justdoin‘ what I can(Repeat Chorus)Shared a bottle with a bum on the streetWoke up with no shoes on my feetMy legs were aching and my belly was thinMan I wish I woulda‘ never drank that gin(Repeat chorus and last verse)nen wenigstens vor dem kompletten Absturz in Hunger und Obdachlosigkeitschützen kann. Und hier treffen Musiker und freieJournalisten, die über sie schreiben ebenso zwangsläufig aufeinanderwie bei Festivals oder Konzerten. Der „Jobcenter Blues“ hat siebeide erwischt.Schon in der Wirtschaftskrise der 30er Jahre wurde die vergeblicheSuche nach Arbeit im Blues immer wieder thematisiert.It‘s hard time here hard time everywhere.I went down to the factorywhere I worked for years,And the bossman told methat I ain‘t comin‘ here no more.Der Bluessänger J.D. Short schnappte diese Geschichte 1933 ineiner Schlange von Arbeitslosen in St. Louis auf. Im Süden breitetesich die neue Armut zwar langsamer, aber mit den gleichen katastrophalenFolgen aus: Die eine Zeitlang künstlich hochgehaltenenBaumwollpreise purzelten steil nach unten. Da ist die Situation, wiesie Barbecue Bob in Atlanta schildert, ähnlich wie die von Short:You heard about a job,Now you is on your way,Twenty men‘s after the same old job,all in the same old day.Hard Times, hard times,we sure got hard times now...Lard and bacongone to a dollar a pound,Cotton had started to sellin‘but it keeps going down and down.© Allen Vega 2012© wasser-prawda23


MusikIn Birmingham (Alabama} begann die Plattenkarriere des PianistenWalter Roland mit der Aufnahme des „Red Cross Blues“:Es geht um das Gefühl der Erniedrigung, sich um milde Gabenbemühen zu müssen. Aber unterschwellig soll das Stück auch dieAngst beschrieben haben, dass Hilfsstationen des Roten Kreuzesnur verdeckte Rekrutierungsbüros der Armee seien. Und für vielegalt damals: Hungern ist besser als Wehrdienst.Me and my girl talked last nightand we done talked for hours,She wanted me to go to that Red Cross storeand get a sack of that Red Cross fl ourI told her no!Woman, I sure don‘t wanna go ...Obwohl die Bluesmusiker ihren Beruf häufig deshalb wählten,damit sie nicht auf der Farm oder in der Fabrik arbeiten mußten,wurden auch sie von der Wirtschaftskrise heimgesucht: Sie nahmihnen ihr zahlendes Publikum. Einige flüchteten sich in bitteren- im wahrsten Sinne des Wortes „schwarzen“ Humor, wie z.B. deraus St. Louis stammende Sänger und Gitarrist Charley Jordan inseinem „Starvation Blues“ aus dem Jahre 1931 :Well I used to eat cake, Baby,but now I have to eat combread,And I would rather be sleepin‘ in some graveyard deadNow I almost had a square meal the other day,But the garbage man come and he moved the can away.Sänger wie Jordan und Roland waren noch gut dran: Sie hattenüberhaupt die Möglichkeit, ihre Gedanken einer breiteren Öffentlichkeitvorzustellen. Die Plattenindustrie lag darnieder. Künstler,die vor der Krise von ihren neuen Platten zehntausende verkaufthatten, mussten sich mit Auflagen im dreistelligen Bereich zufriedengeben. Und neuen Künstlern gaben die Labels es recht keineChance. 1931 hatten sie die „Field-Recording Programme“ in denSüdstaaten aufgegeben, und 1933 waren sogar die Studios in NewYork und Chicago selten ausgelastet.Mit dem „New Deal“ änderte sich die Lage langsam, auch fürdie Musiker. Gerade Arbeitsbeschaffungsprogramme wie dieder Public Works Administration (PWA) oder der Organisationzur Beschaffung von Arbeitsplätzen WPA gaben vor allem denSchwarzen endlich wieder die Möglichkeit, mit Arbeit ihren Lebensunterhaltbestreiten zu können. Das schlug sich auch in einigenBluestexten nieder. So sang Jimmie Gordon:Lord, Mr. PresidentListen to what I‘m going to sayyou can take away all the alphabet,But please leave the PWAUnd auch Big Bill Broonzy sang der WPA im „WPA Rag“ einLoblied. Doch nicht alle waren so euphorisch. Denn im Rahmender öffentlichen Arbeiten in den Städten, wurden zahlreiche heruntergekommene Wohngebiete abgerissen. Und betroffen waren24© wasser-prawda


Musikhiervon vor allem die Schwarzen. Und auch wenn man einen Jobbei der WPA bekam, hieß das nicht, dass der Lohn immer rechtzeitiggezahlt wurde. So klagt Peetie Wheatstraw:I‘m working on the project,Trying to make both ends meetBut the payday is so longUntil the grocery man won‘t let me eatAuch wenn immer wieder die Bedeutung der Bluessänger alsKommentatoren des Zeitgeschehens betont wird: Derartige politischeLieder sind unter den vielen Aufnahmen schon damals dieAusnahmen gewesen. Politische Lieder, Blues oder nicht, werdennur in den seltensten Fällen zu Hits. Und daher werden sie auchnur selten veröffentlicht. Und noch seltener werden sie dann auchim normalen Radio gespielt.JOB CENTER BLUESMy rents always lateI can‘t find no workTemptations in my wayBut I just gotta prayOh lord won‘t you save me (Save me)From my fateOh lord won‘t you save meFrom my fateI got the jobcenter bluesDon‘t wanna walk in my shoesTrying to convince myselfEverythings okEnd of the month blues creeping inStanding in my wayOh lord won‘t you save me (Save me)From my fateOh lord won‘t you save meFrom my fateOnly that devil knowsExactly where I‘m atI‘m sinking deeperInto the spiders horrible trapOh lord won‘t you save me (Save me)From my fateOh lord won‘t you save meFrom my fateI got the jobcenter bluesDon‘t wanna walk in my shoesLorraine Lowe and Adam Sikora © 2013 all rights reserved.© wasser-prawda25


MusikDarren Weale’s 2. Brief aus dem VereinigtenKönigreichWelcome to the Letter from theUnited KingdomIn ihrem Song „The Story of Bo Diddley“ verweist EricBurdon, Sänger der Animals auf einen Gig in dem NewcastlerClub A Go-Go, den sie gemeinsam mit den RollingStones und The Merseybeats spielten. Der legendäre amerikanischeGitarrist Bo Diddley kam herein. Eric fragte Bo,wie The Animals seiner Meinung nach Bo‘s Musik spielten.Nach einer langen Pause sagte Bo: Das ist ganz sicher dergrößte Haufen Mist, den ich in meinem ganzen Leben gehörthabe.Dieser Brief aus dem Vereinigten Königreich könnte der größteHaufen Mist sein, den Ihr in Eurem Leben je gelesen habt. Denn(wie eigentlich alle Kritiken) vertritt er eine Meinung, etwas, umeine Debatte zu provozieren. Ich hab seit langer Zeit über Musik-Genres und über den Schaden, den sie der Musik antun, nachgedacht.Letztens schnappte ich die Facebook-Mitteilung von jemandemin einer Band auf, in der stand: „Schubladendenken istder Fluch meines Lebens. Ich hab soeben ein „Nein“ von einemVeranstaltungsort bekommen, weil wir nicht genug „Delta-Blues“sind ...“In meinem ersten Brief aus dem UK erwahnte ich einen Bandmanager,der mir sagte: „Wenn wir das Wort Blues auf das Konzertplakatsetzen, verlieren wir die Hälfte der Zuhörer.“ Ich habauch mit vielen Menschen auf allen Ebenenen der Musikszenegesprochen und hörte Bemerkungen über „die weiße Blues-Polizei“,die eine sehr beschränkte Vorstellung davon hat, was derBlues ihrer Meinung nach ist und die Innovation ebenso ablehntwie auch Bands, die nicht nach traditionellen Bluesbands klingen.Ich hab auch gehört, wie Blueskünstler davon sprachen, Musik zumachen, die nach dem Mainstream schielt, so dass diese Liedermehr Pop oder heavier sind, als sie eigentlich sein sollten in demVersuch, aus den Roots-Charts den Weg in die Pophitparaden zuschaffen.Echt mal: Genres sind ein größerer Haufen Mist als alles, wasdie Animals Bo Diddley vorgespielt haben. Da mag es sowas gebenwie Soulmusik, vielleicht mag es auch was geben wie Bluesmusikoder Rockmusik. Und wahrscheinlich gibt es auch Leute,die Subgenres erkennen wie Blues-Rock und so weiter. Ich persönlichwürde das alles in den Müll werfen. Der Grund weshalbirgendeine Musik anziehend wirkt, liegt daran, dass sie die Seelenoder die Körper der Musiker und der Zuhörer verbindet. Sieunterhält, um das Leben erfreulicher zu machen oder sie spiegeltStimmungen wider, selbst den Kummer, macht sie tiefer und direktererfahrbar. Oder sie lässt die Menschen die drängenden Problemefür eine Zeit vergessen. Sie kann Hoffnung anbieten oderTrost. Sie kann die Meilen beim Rennen nur so herausschleudernoder die Langeweile einer langen Fahrt erleichtern. Und Musikkann das Leben überhaupt verändern.26© wasser-prawda


MusikThe Billy Walton Band an Bord des Trawlers von Radio Caroline.Wie auch immer: Musik kann davon nur wenig erreichen, wenndie Musiker nicht wirklich das spielen, was sich in ihren Herzenabspielt oder wenn die Hörer ihre Sinne verschließen zu ganzenBereichen der Musik, die ihnen so auf immer unentdeckt bleiben.Und beide Desaster haben wir zur Zeit. Es ist, wenn ich nachmir bekannten Musikern gehe, die Musikindustrie, die oftmalsjede Musik, sobald sie auftaucht, mit einem Label versieht: Rock,Bluegrass, Thrash, Hip-Hop usw. Aber das, was eigentlich alsWegweiser gedacht war, was den Leuten helfen sollte, die Kundevon der Musik, die sie liebten, weiter zu verbreiten und mehr vonihr zu entdecken, hat sich mittlerweile zu einer Reihe schwererFesseln entwickelt. Die Schilder mit den Genres zieren die Regalein den Plattenläden und finden sich selbst bei den Suchfunktionenauf Webseiten. Klar, so ist es einfach eine Menge Bands zufinden, die der Erwartung nach Blues, Country oder Rock spielen.Musik funktioniert aber nicht wirklich auf diese Weise. Musikhat Innovatoren. Die Genres entwickelten sich weil Leute wieBo Diddley - bekannt als „The Originator“ - kamen und sagten:„Ich will nicht wie alle anderen klingen, ich möchte wie ich selbstklingen.“ Bo war damit erfolgreich. Andere Musiker spielen verschiedeneGenres zu verschiedenen Zeiten oder selbst auf dembegrenzten Raum eines einzelnen Albums. Oder sie spielen vollerVergnügen eine Musik, die eine Mischung aus mehreren Genresist. Sie kämpfen mit den Etiketten, die die Genres verteilen.Vielleicht haben sie es schwer, Auftrittsmöglichkeiten zu findenLinksAlistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/b00f6hbpRadio Caroline - www.radiocaroline.co.ukBilly Walton - www.billywaltonband.comConfessing the Blues radio -www.confessingtheblues.infoDelbert McClinton - www.delbert.com© wasser-prawda27


MusikDie Ross Revenge - Heute liegt Radio Caroline vor Anker. Bis 1990 sendete es von See aus. (Foto:Fleur Nootboom/radiocaroline.co.uk)oder in Radiosendungen gespielt zu werden, weil die Ketten derGenres ihnen einfach nicht passen.Da war es ein erfrischendes Ereignis, als ich am 26. November2013 The Billy Walton Band aus New Jersey in den VereinigtenStaaten (deren Tour auch durch Deutschland ging) auf ein Schiffnamens Ross Revenge begleitete, das auf der Tilbury Werft inEngland vor Anker liegt. Erfrischend war das aus zwei Gründen.Zunächst weigert sich Billy‘s Musik, in Genres gepackt zu werden.Da ist Blues drin, es gibt Soul, Jazz, da ist (und das ist dergrößte Teil) Rock. Was daraus auf ihrem besten Album „Crank ItUp“ entsteht ist ein echter Mix. Und was sie live spielen ist sogarnoch ein größerer Mix. Selbst ihre eigenen Songs werden nichtbei jedem Auftritt gleich gespielt. Da kann es sein, dass da plötzlichein ganz anderes Gitarrenriff im Lied auftaucht, die Posaunespielt etwas, was für den Rest der Band neu ist, oder die Musikerziehen los und spielen die Titelmusik der Muppets (ja, wirklich!)oder „Careless Whisper“ von Wham. Der zweite Grund ist, dassRadio Caroline, das erste Schiff, dass mit Sendeantenne von Seeaus nach Großbritannien sendete, 2014 50 Jahre alt wird. Es wareines der ersten Piratenradios und wurde von den Behörden inGroßbritannien und den Niederlanden auch wie Piraten behandelt.Sie beschlossen Gesetze, um den Sender zu behindern undsie kamen an Bord und beschlagnahmten wichtiges Equipment.28© wasser-prawda


MusikRadio Caroline begann nach Manager Ronan O‘Rahilli damit,die britischen Musiker zu spielen, die die Sender der BBC nichtspielen wollten (wo die Sendezeit von den Plattenfirmen fest gebuchtwurde) und die auch nicht bei Radio Luxemburg liefen. Soeroberte sich Radio Caroline die Wellen (Luft und See) und die„Ross Revenge“ - ein ehemaliger Trawler mit einer langen eigenenGeschichte - ist das neueste Schiff von Radio Caroline undhält stolz die Flagge für die Independent Music hoch. Am 26.November also - 48 Jahre nachdem mit Jimmy Smith der letzteAmerikaner an Deck eines Schiffs von Radio Caroline gespielt hat- waren es Billy Walton und seine Band, die Geschichte schrieben.Eine Band, die sich den Genres verweigert spielt bei einer Radiostation,die sich den Autoritäten widersetzt und trotz Schiff bruchund gegen alle Chancen doch überlebt. Das war eine perfekteKombination. Radio Caroline sendet noch immer weltweit überdas Internet und kann über www.radiocaroline.co.uk gefundenwerden. Ein Video von Billy Walton an Bord von Radio Carolinesollte im neuen Jahr bei You Tube zu finden sein.Was machen wir also mit den Genres? Vergesst sie, versucht esund bringt damit eine Zeit der glücklichen Verwirrung zum Anbruch.Nehmt diese nervigen Etiketten der Genres, die in Plattenlädenoder online für Trennungen sorgen weg! Wenn Ihr anderenHinweise geben müsst, dann verwendet einfach neue Etikettenmit Inschriften wie „Ein wenig wie Muddy Waters“ oder „So ähnlichwie Jimi Hendrix“ oder „Ein wenig wie Eminem“. Fügt einpaar kurze Hinweise bei, die die Menschen verstehen können, dieeine Menge mehr oder weniger damit verbundener Namen teilen.Und eine Abteilung sollte (hoffentlich) mit „Eigentlich wie niemandanderes“ gekennzeichnet werden. Als ich in dieser Wochemit dem amerikanischen DJ Cleve Baker von der weltweit vonverschiedenen Stationen ausgestrahlten Sendung „Confessin theBlues“ sprach, sagte er: „Delbert McClinton ist ein Genre ganzfür sich allein.“ Delbert muss einer sein, bei dem sich das Zuhörenlohnt. Obwohl natürlich Genres der größte Mist sind, den ich jein meinem Leben gehört habe.Be prosperous and enjoy your livemusic and all that is German!© wasser-prawda29


MusikJubiläumsausgabe des Tönder-FestivalsgesichertInternational war 2013 für Folkmusik aus Dänemarkein äußerst gutes Jahr. Doch für das traditionsreicheFestival in Tnder sah es lange nichtgut aus. Trotz weltweit positiver Presseberichteund zufriedener Veranstalter konnte das Festivalseine Rechnungen nicht mehr begleichen.Ein Defi zit von 1,6 Millionen Kronen war in denKassen aufgelaufen (215.000 Euro). Jetzt hatdie Kommune den Veranstaltern einen Zuschussund eine Bürgschaft zugesagt. Allerdings sinddie an harte Aufl agen gebunden. Von RaimundNitzsche.Erwartet hatte man nach zwei Jahren im Minus einen Überschuss.Mit der Öffnung des Festivals hin zu Musikern undBands aus der jüngeren Folk-Rock-Szene hatte man vor allemauch jüngere Zuschauer in die dänische Kleinstadt locken wollen.Doch trotz gestiegenen Zuschauerzahlen, einem Programm zwischentradtionellem Folk und jungem Folkrock und zufriedenenHändlern auf dem Festivalgelände fehlten dem Tønder Festivalam Ende 1,6 Millionen Kronen. Mitte Oktober wurde daraufhinFestivaldirektor Allan Buus entlassen.Während in der dänischen und weltweiten Presse euphorischüber das Wiederaufleben der Folkmusik geschrieben wurde, warnicht klar, ob das Flaggschiff der dänischen und europäischenSzene sein 40jähriges Jubiläum überhaupt würde begehen können.Von einem fast surrealen Kampf ist da die Rede. Einerseitslauten Schlagzeilen von Musikzeitschriften, die angesagte dänischeMetalband Volbeat nimmt den Folkmusiker Rod Sinclair alsBanjo-Spieler mit auf Europatour. Und die Band Folkeklubben30© wasser-prawda


Musikwird in der Presse als Newcomer des Jahres gefeiert. Und andererseitswurde öffentlich diskutiert, ob das Festival überhaupt nocheine Zukunft haben könne. Schon 2011 hatte man begonnen, sichauf ein jüngeres Publikum hin zu orientieren in der Programmgestaltung.2013 waren erste positive finanzielle Entwicklungenerwartet worden. „Evydently there are much larger expenses tiedto turning the old tub around than anyone has expected“, so derVorsitzende der Tønder Festival Foundation Stig Bang Mortensen.Die Kommune hat sich jetzt bereit erklärt, dem Festival nichtnur einen Zuschuss von einer Million Kronen zu geben, sondernauch eine Bürgschaft über weitere 1,6 Millionen Kronen zu übernehmen.Doch damit verknüpft sind Forderungen nach Einsparungenim Budget. Und dem Festival wird eine Finanzaufsichtan die Seite gestellt, die die Finanzentwicklung im Auge behaltensoll.Insgesamt sollten über zwei Jahre hinweg eine Million Kroneneingespart werden. „Das Entscheidende ist, dass wir einerseitsunsere Kreditoren bezahlen können, und dass wir anderseits denhohen Standard und das Musikangebot im Verhältnis zum Publikumund zu den ehrenamtlichen Helfer behalten können.“, fasstMortensen die Bedingungen zusammen.Einrichten müssen sich die Besucher auf jeden Fall auf höhereEintrittspreise. In der dänischen Presse wird eine Preiserhöhungvon 200 Kronen für das Festivalticket geschrieben. Damit sollendie Einnahmen um 1,5 Milllionen erhöht werden. Anfang Dezembersoll jetzt der zunächst gestoppte Kartenverkauf für das Festivalanlaufen. Auch das Buchen der Künstler für die Jubliäumsausgabedes Festivals sowie die organisatorischen und praktischenPlanungen würden jetzt beginnen.In den letzten Wochen hatten sich nicht nur Künstler und Lokalpolitikerzu Gunsten des Festivals zu Wort gemeldet. Die Debattezog in ganz Dänemark Kreise. Denn das Festival gehörtzu den wenigen Veranstaltungen im Lande, die weltweit wahrgenommenwürden, so Regionalpolitiker Karsten Uno Petersen. DieBerichterstattung in der Presse sei eine Werbung, auf die man niemalsverzichten dürfe. Petersen hatte darum eine Kooperation desFestivals nicht nur mit der Kommune sondern auch mit weiterenOrten der Region und der Regionalregierung von Süddänemarkins Gespräch gebracht. Auch solle eine Zusammenarbeit mit derMusikhochschule Esbjerg aufgebaut werden. Gerade wegen desTønder Festivals war der landesweit einzigartige StudiengangFolkmusik von Odense nach Esbjerg verlagert worden. Ein Ausfür das Festival würde den Bestand der Hochschule insgesamtgefährden, so Petersen.Für die Kleinstadt auf der Insel Jütland wäre der Wegfall dertraditionellen Veranstaltung eine Katastrophe. Befürchtet würdenEinbußen bei den Einnahmen der lokalen Geschäfte ebenso wiebei der Stimmung allgemein im Ort. Mehr als 2000 Frewilligehelfen in jedem Jahr bei der Organisation und Durchführung desFestivals.Im Juni und September 1974 hatten Studenten der PädagogischenHochschule Tönder erstmals kleine Festivals in der Stadtveranstaltet. Daraus ging 1975 die heutige Veranstaltung hervor,inzwischen die größte ihrer Art in Europa. Organisiert wird esvon einem Trägerverein und der erwähnten Festival Foundation.© wasser-prawda31


Musik9. Concert for Chris JonesGipfeltreffen der Songwriterin WolfenbüttelZweites November-Wochenende und es ist wiederZeit für ein Gipfeltreffen der internationalenSinger/Songwriter-Szene in der Kommisse inWolfenbüttel. Das Concert for Chris Jones erlebtseine neunte Wiederkehr und auch dieses Jahrfi nden sich Fans und Freunde dieses unvergessenenKünstlers ein, um in seinem Geist Musikund Lebensfreude zu erschaffen. Von LüderKriete. Fotos: Uwe Kind.Bevor sich die Damen und Herren Künstler auf der Bühneeine Stell-dich-ein geben müssen erst einmal die Bedingungengeschaffen werden für ein erfolgreiches Gelingen. Nun,Erfahrung haben die Leute vom Verein reichlich, Opferbereitschaftsowieso und den notwendigen Spass und Enthusiasmus allemal.Allen voran die beiden Brüder Norbert und Horst Krupps,die in unnachahmlicher Weise die Fäden in den Händen halten32© wasser-prawda


MusikJulian Dawsonund planen, organisieren, delegieren und für alles und jeden einoffenes Ohr haben.So begann die Planung für dieses Jahr schon während des letztenConcerts und kumulierte dann seit Mittwoch in dem Einrichtender Kommisse. Doch da war schon ein gewaltiger Wegzurück gelegt. Die Künstler waren gebucht, seit Wochen ist inWolfenbüttel für das Wochenende kein Hotelbett mehr zu finden;der Finanzplan steht - auch dank der wiederholten Zuverlässigkeitnamhafter großer Sponsoren wie der Stiftung BraunschweigerKulturbesitz, der Sparda-Bank-Stiftung oder auch der Curt MastJägermeister Stiftung. Dazu kommen zahlreiche private Sponsorenmit der einen oder andern Unterstützung.Bis zu 20 (!) Personen sind seit Mittwoch mit dem Aufbau undEinrichten der Kommisse in Wolfenbüttel beschäftigt: Bühne installieren,Stühle stellen, Bar aufbauen, Licht einrichten, Soundsystem checken, den Backstage-Bereich für die Künstler anheimelndmachen. Alles läuft wie am Schnürchen, bis, ja bis sichdie Dimmer der LEDs in den Boxen mit einem ungemütlichenBrummen melden: Wolfenbüttel, wir haben ein Problem! Es beginnteine mühevolle Suche nach der Ursache. Ein Stromkreislaufist überlastet, doch welcher ist es? In akribischer Suche wirdaber auch dieses Problem behoben.So ganz nebenbei treffen auch die ersten Musiker ein. Die Atmosphärebeginnt sich aufzuladen. Erste Getränke erfrischen durstigeKehlen; die ersten Würstchen bestehen den Test. Es kann alsolosgehen mit dem 9. Concert für Chris Jones am 8./9.11.2013.Diesmal sind Künstler aus USA, Serbien, England, Schottland,Irland, Neuseeland, Österreich und Deutschland am Start. Auchdas Publikum kommt von nah und fern. Wer war dieser Mann,der weiterhin für so viele Menschen Inspiration und Motivation,Vorbild und Meister ist?© wasser-prawda33


MusikChris Jones (11.11.1958 - 13.09.2005) war einer der begabtestenMusiker und vielseitigsten Gitarristen seiner Zeit. ImAlter von 12 Jahren schrieb er die „Sonata in D“, wofür erin den USA als „Jungkomponist des Jahres“ ausgezeichnet wurde.- Wie viele andere kam auch er mit der Army nach Deutschland,wurde in Wiesbaden stationert und lernte hier viele Musiker kennen.Der Entschluss reifte, nach der Armeezeit in Deutschlandzu bleiben und voll und ganz in die hiesige Musik-Szene der Zeiteinzutauchen. Ein erstes, sehr erfolgreiches, Duo mit Dale Kingwurde gegründet. Im Laufe der Jahre folgten Kooperationen mitMusikern wie Steve Baker, Kieran Halpin, Geraldine MacGowan,Reinhard May oder Sarah K. und dem Filmemacher SönkeWortmann.Wie aber kam es zu der Verbindung mit dem Bluenote e. V. inWolfenbüttel? Chris Jones war schon bei den Bluenotes aufgetretenund man kannte einander. Im Gründungsjahr des Vereins,2001, war er zum ersten Mal bei ihnen. Im Jahre 2005 aber, nochzu Lebzeiten von Chris, wurde vom Verein das erste Konzert dieserReihe ins Leben gerufen, um für Chris, der in einem Krankenhausin Northeim lag, die notwendigen Kosten aufzubringen.Wie viele (amerikanische) Künstler war Herr Jones nicht krankenversichert.Leider starb er bereits während der Vorbereitungdes Konzertes an Krebs. Doch seither entwickelt sich diese Reiheimmer intensiver zu einer Begegnung unter Gleichgesinnten. Sokommt an jedem zweiten Wochenende im November eine stetigwachsende „Familie“ in Wolfenbüttel zusammen - gedenkt undfeiert, erinnert und blickt voraus.Freitag, 08.11.13Mit Jon Jones & Michaela geht los. Wunderschöner Auftakt,voll Gefühl, Sinn und kraftvoller Stimme. ErstklassigeErgänzung der Akkord-Gitarre. Götz Bornemannfällt aus, dafür springt Tom Rippahn ein. Dieses Schwergewichtspielt seine sonnendurchtränkte Regenwettermusik. DieSeele baumelt an der Trockenleine und der Wind ist voller Süßeund trunken vor Bewegung. Lieder in deutscher Sprache zumTräumen und Nachdenken. Dazu eine verzerrte elektrische Gitarre,manchmal die Harp und eben einfach ‚ne dicke PortionTom Rippahn! Im dritten Song wird‘s englisch und auch darinüberzeugt der Mann. Und dann kommt eine Hammer-Versionvon „Who‘ll stop The Rain“. Der Abend kommt hervorragend indie Spur. Auch der „Purple Rain“ hilft dabei.Slavko & Filip Hilvert betreten die Bühne und die haben die‚Twobags‘ voll gepackt mit kraftvollem, bodenständigem Blues.Vater & Sohn, Harp & akustische Gitarre, eine kleine verbaleEinführung und schon sind wir „Down in Mississippi“ und dieLuft bleibt stehen. Slavko hat eine Fertigkeit die Harp zu spielen,das dir kalt und heiß wird. Mann-oh-Mann, wo treibst du dichrum, dass wir so wenig von dir hören. Glücklich all die, die eineCD von dir besitzen und sich zu helfen wissen! Die Stimmeklingt nach Hitze und Durst und ist doch unvergleichlich kraftvollgeblieben in all den Jahren. Aber diese Harp, sie ist zärtlich,verfüherisch, erfahren, magisch von Schwärze und Silber. . . einfachtief beindruckend. Und der Sohnemann legt dem Papa einenpräzisen, glassklaren Beat zu Füssen, auf dem dieser nach Lust34© wasser-prawda


Musikund Laune wandern kann. So geht‘s von Mississippi nach Alabahma,immer der Bluesnase nach. Die Besucher folgen auf Schrittund Tritt. Leitet uns heute ein very special spirit? - Baby, pleasedon‘t go, yeah man, you got it!Roland Scull schliesst sich an. Ein Mann, Stimme und akustischeGitarre sind eine Einheit. Lange, ruhige Wellen rollen uns indie Ohren. Klassiker werden neu vorgestellt und präsentieren sichfrisch, erwecken Reiselust - Zeit zum relaxen. Man spürt, dass derBerliner Kerl erst am Nachmittag von einem 4-wöchigem Engagementaus Ägypten zurück ist. Let‘s Try To Set The Night OnFire! Das Publikum steht voll hinter ihm.Darin D‘Onofrio eröffnet nach der ersten Pause den zweitenSet. Mit schnellem Rhythmus folgt er dem langjährigen FreundChris Jones. Darin hat eine feine Stimme, die in gewisser Weisean große Sänger der West-Coast erinnert, aber er ist ein waschechterEast-Coaster und im Vergleich mit anderen seiner Zunftauch ein ‚homeland bound‘. Rockig spielt er heute auf, um gleichdanach auch seine lyrische Seite zu zeigen. Dazu gehört auch NeilYoungs ‚Old Man‘ mit deutlich durchgedrückem Gaspedal - sehrinteressant!Jon Jones kommt jetzt solo und zeigt gleich seine Stimmgewalt.Doch damit nicht genug, beim folgenden Lied darf ChrisSohn Daniel den Gesangspart übernehmen. Ein beeindruckendstarkes Duett ‚Mad World‘ begeistert das Publikum. Es folgt einSong von Lacy Younger, die hier im vergangenen Jahr kräftig abgeräumthat und heute eigentlich anderswo in Deutschland seinsollte. Diesmal gibt Daniel seine Stimme dazu, erneut hochkarätig,erneut begeisterter Applaus! Es bleibt langsam und gefühlvoll,aber mit vollem Tiefgang und einem gelungenen humoristischemEnde. Und weiter geht die Familien-Feier. Jons Nichte Emily ausIrland und der Neffe Christopher jr. bringen auch ihre Stimmenein für „Halleluja“ - die Herzen fangen Feuer, thunder and glorybeim Kommisse-Publikum!!!Doch nun kommt einer, der das toppen kann: Julian Dawson- nur seine Stimme, keine Verstärkung, keine Tricks - 100%Mensch, 100% professionel, 100% to iluminate the dark undimmer mit einem gewissen Schalk im Gepäck, was für ein wunderbarerbritischer Entertainer! Aber selbstverständlich hat er diebeiden Gitarren nicht nur getragen, damit die Hände nicht leersind, nein, er lässt sie erklingen, sanft, leise und gemeinsam mitden wunderbaren Stimmen des gesamten Publikums. Das danktes ihm mit fetten Applaus. Dieser große Mann zeigt sich so einfühlsam,kein Wunder, dass auch Wolfgang Niedecken so gernemit ihm arbeitet. Und Mister Dawson wäre nicht Mister Dawson,hätte er nicht auch eine Überraschung dabei, ein ganz neuerSong und den begleitet er auf dem Banjo, wow. Jon Jones wirdvon Julian auf die Bühne gebeten und gemeinsam gibt es einenersten Vorboten der mitternächtlichen Session. Und ein weiteresMal wird es ganz ruhig und intensiv. Der Abschluss spiegelt denAnfang: Ein unglaublich starker Auftritt, Julian Dawson!Den dritten Set beginnt Robert Carl Blank. Das Mikro wirdan die Seite gerückt, die Gitarre Natur und ab geht‘s unter dieHaut. Meine Güte, dieser Mann wird auch stetig besser; und gutwar der schon immer. Diese akustische Gitarre mit dem kleinenKorpus wird unter ihm eine ganz große. Auch wenn sie ihm bei„Words“ mit ihren Saiten beredt zu Seite steht. Der Fuss unterstütz© wasser-prawda35


MusikMatthew James WhiteGesang und ihr Spiel, die rechte Schlaghand klopft und streicheltihren Körper und einmal mehr ist ein begeistertes Publikum aufder anderen Seite und doch so nah, großartig, Gevatter Blank!Und dann darf die Dobro, diese umgebaute Felge, ebenfalls ran.Und mit der macht‘s Robert Carl gleichfalls toll: virtuoses MelodieSpiel, garniert mit Flageolots, Beat mit dem Fuss, einfachstimmig. Bisweilen klingt‘s nach hawaiian hillbilly und indischerPolka, nach world wide whistleblow und Kopf Kino Soundtrack.Auch Robert Carl Blank überrascht mit einem brandneuem Song,einem Walzer - gewagt, gewagt und gewonnen. Und wieder istdie Zeit verflogen wie im Flug, und irgendwie scheint auch dieSchwerkraft verschwunden zu sein.It‘s M.E. sind dran. Sie sind einige von den wenigen, die seitdem ersten Mal dabei sind. Und sie bringen einen ganz andrenSchwung auf die Bühne: Gesang und Boogie-Woogie-Piano, rollin‘and tumblin‘ vom Feinsten. Martina hat eine wunderbar kräftigeFarbe in der Stimme, die vorzüglich zu dieser Musik passt.Da wackeln die Köpfe und wippen die Beine im Publikum, daskommt an zu dieser Stunde. Und auch die „Mississippi Witch“wird mit offenen Armen vom Publikum aufgenommen. Ebensodas balladeske „Watchin‘ The Rain“, dem eher ein Debussy alsPate diente denn ein Scott Joplin; einmal mehr sehr überzeugend,Ecki am Piano.Und einmal mehr hat das Publikum Lust mitKlatschen dabei zu sein, ab gemacht, liebe Gemeinde. Auf geht‘szur Erbauung! Ein weiterer Set der rasend schnell vorüber zieht.Paul Joses & Stefan Kießling betreten noch vor Mitternachtdie Bühne. Der kleine, unglaublich lebendige Schotte und der36© wasser-prawda


MusikChristoph Schellhornkühle Norddeutsche sind ein eingespieltes Team. Sie haben sichnoch einen Bouzouki-Spieler an ihre Seite geholt, Peter Kerling.Auf dem Programm stehen Lieder ihrer aktuellen CD, alles eigenesMaterial. Paul singt mit einem warmen schottischen Akzent,die beiden Saitenmänner lassen vom Beginn an keinen Zweifelan ihrem Können. Paul versprüht in den deutschen Ansagen zwischenden Songs einen ganz eigenen Charme, den das Publikumgerne annimmt. Ihre Lieder erzählen von den ganz alltäglichenEreignissen in Zweisamkeiten und natürlich auch vom schottischenWhisky. Aber die drei geben sich auch den Raum fürinstrumentale Solostücke. Es steckt viel schottische Folklore inihren Vorträgen, das macht Spass beim Zuhören, mal ganz abgesehenvon der Bühnenpräsenz des Herrn Joses.Sonja, Wullie & Jürgen bilden den Abschluss des offiziellenTeils des Abends. Ein weiteres Mal ganz persöhnliche Freundevon Chris Jones, die uns mit Klassikern die späte Stunde verschönen.Rein optisch erinnert der spielende Wullie am stärksten allerheute aufgetretener Künstler an Chris. Die Art, wie er die Gitarrehält und bewegt erinnert oft sehr an den Meister. Ihr Set gehtnahtlos über in die mehrstündige Session. Aber genug geschriebenfür heute. Diese Session bleibt einfach für‘s live Dabei-seinund genießen.3. Teil - Samstag, 09.11.2013Auch heute wieder Jon Jones & Friends zum Auftakt. Auchheute ist Michaela wieder an seiner Seite, auch heute wiedernimmt ihre Stimme das Publikum sofort gefangen. Ge-© wasser-prawda37


Musikstern war es der Auftakt für einen super Abend. Und das dürfenwir auch für heute erwarten; also ab dafür, ihr alle hier!Billy Costello aus Irland bzw. Braunschweig darf den ersten regulärenSet bestreiten. Mit einem ‚hey everybody‘ geht‘s akustischlos. Markante Stimme, gezupfte Gitarre, transparente Melodie, dieprall gefüllte Kommisse kommt zur Ruhe und beginnt die gemeinsameReise in diese Novembernacht. Billys Zug hat für alle Plätzein der ersten Reihe, gediegenes Plüsch und all inclusive Service.Wohlfühl-Garantie vom ersten Ton an. Und dann kommt er, dieserSong von Lowell George, den Chris Jones auf so viele Arten„outstandingly brilliant“ vorgetragen hat: ‚Willin‘. Billy Costelloschlägt hier eine fantastische Brücke ins Land der Träume.Der Wilde Pilger & Jürgen Hoffmann folgen. Der Song für „Sabine“eröffnet mit einer tadellosen Geschichte dazu, die für allgemeineHeiterkeit bei den Besuchern sorgt. Locker flockig lassen siealle hier an der Sache teilhaben; da mag manch einer ebenso anseine verflossene gedacht haben. . . Die beiden Gitarristen ergänzensich vorzüglich und bringen einen Swing mit der begeistert.Das Publikum weiß das zu schätzen. Florian, der Wilde Pilger, istsofort in den Herzen des Publikums, und führt mit tollem Humorseine technischen Helfer vor. Aber die eigentliche Technik habener und Jürgen in den Händen und damit führen sie erstklassigeMusik vor. Aber wenn dann doch die Elektronik dazu kommt,dann wird‘s richtig heiß: Loop-machine und ihre Freunde erschaffenparadisische Klangwelten ohne die Bodenhaftung zu verlieren- Extraklasse!Mit Mathew James White, dem gebührtigem Neuseeländer,kommt der entfernteste Gast des Festivals. Aber da er nun schon geraumeZeit in Berlin lebt, begrüßt er uns in charmantem Deutsch.Er ermutigt das Publikum sofort mitzumachen und die Leute lassensich diese „Chances“ auch nicht nehmen. Mathew ist wiedervoller Lebenskraft und so klingt auch seine Musik - einfach schön.Mathew hat eine ganz besondere Art des Akkordspiels, dicht unddoch nicht erdrückend, voluminös und gleichzeitig leicht. Und dasalles klappt auch ganz und gar unplugged. Mathews Musik hateine unglaubliche ätherische Kraft, die unmittelbar die Sympathiedes Publikums findet. Mit „Don‘t Leave The Trash At Home“beendet er den ersten Set. Ein dankbares Publikum schöpft frischeLuft.Und nun an der „richtigen Stelle“ Tom Rippahn. Auch heutegeht‘s wieder auf deutsch los, aber die E-Gitarre ist weniger verzerrt,was dem Ganzen gleich eine andere Textur gibt. Und das Ganzescheint auch einen Tick lauter als gestern, aber wir haben heuteauch noch mehr Besucher um uns als gestern. Welch eine Freude!Tom wird auch wieder englisch, heute aber auf einer aus dem Bluesgeborenen Rock-Variante irgendwo zwischen Desert-Boogie undSwamp-Americana. Hach, wir mögen das, Herr Rippahn! Undwieder zurück im Deutsch-Land gibt‘s einen Gang auf der wild sideder Schlüpfrigkeiten. Die Lamellen der Harmonika schwingendazu. Nach einem kleinen Drums Solo glitscht er über die Stahlsaitenseiner Gitarre und lässt uns ein weiteres mal Teil haben anden Grautönen des Regenbogens. Zum Abschluss einen Hands onThe Wheels Klassiker „Cold Flame“; verzerrt, rauh aber mit klarerStimme und dem ganzen Tom Rippahn.Christoph Schellhorn ist dran. Wir begeben uns gemeinsam auf„The Road“ und lassen uns von diesem Musiker aus Österreichbedingungslos mitnehmen. Christoph greift mit allen Fingern in38© wasser-prawda


Musikdie Saiten und zeigt sofort, was Virtuosität zu bieten hat, ob miteiner kleinen Hilfe von seinen Freunden oder ganz alleine - Kunstkommt immer noch von Können, auch und besonders in der Musik!Und schon beginnen die Finger zu fliegen, leicht, treffsicher,ultra krass. Mit typisch österreichischem Charme unterhält er dasPublikum zwischen den Songs, das dankt es ihm mit Humor undApplaus. Und Christoph retourniert mit seinem musikalischenDanke an Chris Jones . Was wohl wäre, wenn diese beiden dieMöglichkeit erhalten hätten noch ein paar Tage länger zusammenzuarbeiten?„Wannabe“ liefert postwendend überzeugendeFantasien dazu. Den Abschluss macht der „Walkin‘ Blues“, einmalmehr Virtuosität vom Feinsten. Christoph Schellhorn hat seineneuropäischen Spitzenplatz auch mit diesem Gig eindeutig unterBeweis gestellt, das begeisterte Wolfenbütteler Publikum hat esihm mit viel, viel Beifall bestätigt!Es betritt Kieran Halpin die Bühne, einer, der fraglos zu denganz besonderen Künstlern im Leben des Chris Jones gezählt hat.Dieser Kieran Halpin schlägt eine Rhythmus-Gitarre, die einzigartigist in Europa, wenn nicht sogar weltweit. Eine solche Präzision,Dynamik und Ausdruckskraft ist einfach atemberaubend!Dazu diese Reibeisenstimme des Mister Halpin, einfach nur dieQuadratur des Kreises. Aber das er‘s auch anders kann, wird bei„Paris Song“ mehr als deutlich. Dieser Love-Song ist so einfühlsamwie ein Liebeslied sein sollte. Und in all seinen Songs sindimmer die Wurzeln seiner irischen Heimat zu spüren und nichtselten möchte man ein Licht dazu schwenken. Zum Schluss einDuo mit dem Freund Christoph Schellhorn und „Glory Days“in memoriam einer zweimonatigen Europa-Tour mit Chris Jonesin den neunzigern. Einmal mehr Spielfreude und Dynamik und‚memories as a man‘s best friend‘ - Hammer und Gänsehaut!!!DieKommisse ist begeistert!© wasser-prawda39


MusikWie bei jedem guten Festival gibt es auch hier und heute einekleine Programmänderung: Sonja, Wullie & Jürgen lassen dasPublikum nochmals an ihrer guten Laune und den musikalischenFähigkeiten teilhaben. Das machen wir doch gerne! Besonders,wenn dieser Set Eigenkompositionen vorstellt. Denn da zeigt sicheindrucksvoll, das die drei in dieser Sparte ebenso überzeugendsind, wie mit der Interpretationen der Klassiker. Und auch egal obDeutsch oder Englisch, sie können beides einfach gut. Und ganzbesonders gut kommt ihr Song über facebook an, auch deshalb,weil er in einem unverschämt guten Sinti-Swing gespielt wird.Jon Jones ist ebenfalls ein weiteres Mal zu hören. Mild‘n‘mellowund mit deutlich mehr Gewicht auf der Gitarre heute. Auch NeffeDaniel tritt ein weiteres Mal dazu, und überzeugt ein weiteres Mal.Toll zu erleben, welche Sicherheit der gestrige Auftritt gegeben hat.Und auch heute nochmals auf der Bühne Darin D‘Onofrio. Undder zeigt sofort ein weiteres Gesicht, deutlich stärkere Anleihenbeim Freund Chris Jones in dieser Kombination von Melodie undRhythmus, die Chris Jones so meisterhaft beherrscht hat.Und nun, schon nach Mitternacht, ganz frisches Blut mit Brixelenzund als Gast Jürgen Hoffmann. Brixelenz, das sind StefanBrixel, Gitarre, e-Bass, Harp, Gesang und Uwe Lenz, e-Bass, Gitarre,Gesang. Besonders der elektrische Bass geht um diese Zeitangenehm gut ins Ohr. Und einmal mehr zeigt sich die Vielseitigkeitdes Jürgen Hoffmann, der sich auch in diesem Stil sicher bewegt.Diesen „Hobby-“Musiker aus Franken sollten wir zweifellosaugenblicklich auf unsere Watchlist setzten. Diese drei bieten ein„Jesus Just Left Chicago“, dass schwerfällig wie selten unterwegsist. Aber für‘n Kerl wie ihn dürfte das auch kein einfaches (Pf)Laster gewesen sein. Sie lassen den Chris Jones Klassiker „Thankyou R. J. Reynolds“ folgen, der durch den ‚toasted bass‘ ein ganzneues Flavour bekommt. Und noch‘n Jones: „Long After You‘reGone“ - schwer und mutig, mit viel Last auf den Schultern. - Undauf geht‘s in die heutige Session, aber auch die bleibt unserem Live-Genuss vorbehalten. Kommt einfach zum 10. Concert For ChrisJones am zweiten November-Wochendende 2014 in die Kommissenach Wolfenbüttel. Noch gibt‘s Karten und Betten - wir sehen uns!40© wasser-prawda


MusikDonny Hathaway(1945 - 1979)Er galt als einer der begabtesten Soul-Sängerund Songschreiber der 70er Jahre. Nicht nur seineDuette mit Roberta Flack schrieben Musikgeschichte.Doch Donny Hathaway war immerauch ein Getriebener, der irgendwann mit seinenDepressionen nicht mehr leben konnte. Die Anthologie„Never My Love“ lädt ein, bekannte undunbekannte Momente einer Musiklegende neuzu entdecken.Das ist Musik, die in keiner Sekunde verheimlichen will, dass sieaus der Kirche kommt: Wenn Donny Hathaway „I Thank YouBaby“ singt, dann ist das sowohl Liebeserklärung als auch ein Gebet.Und selbst das von afrikanischen Rhythmen unterlegte Lamento„The Ghetto“ ist mehr Klagepsalm als kämpferischer Funka la James Brown. In dem 1945 geborenen Musiker ist eine neueGeneration des Soul zu hören, ein Musiker, der in seine Songs© wasser-prawda41


MusikNever My Love: The AnthologyNachdem 2010 von Warner im Rahmen der „Original Album Series“schon die wesentlichen Soloalben von Donny Hathaway wiederauf den Markt gebracht worden waren, konnte sich die jetztveröffentlichte 4-CD-Box ganz darauf konzentrieren, die MusikHathaways umfassend und nicht nur auf die Hits konzentriertvorzustellen. So findet man auf der mit „Favorites“ betitelten CD1 zwar viele der bekannten Songs. Doch werden diese wie etwa bei„The Gettho“ in den Single-Fassungen oder wie bei „Thank YouMaster (For My Soul“ im promo edit dargeboten, die sich vonden Fassungen auf Hathaways Soloalben unterscheiden. Ganz aufbislang unveröffentlichtes Material setzt die zweite CD der Box.Und da finden sich neben harten Soulnummern aus den späten60er Jahren wie „Never My Love“ (was ursprünglich für The Assoziationein Megahit war) auch faszinierendes ein 20minütigesKonzert, dass der klassisch ausgebildete Musiker komponiert hat.Andere Stücke auf dieser CD sind eher dem Vollständigkeitswahnder Sammler geschuldet, die unveröffentlichtes Materialsuchen aus der Zeit, in der Hathaway fast komplett von der Bildflächeverschwunden war. Diese Demoaufnahmen machen klar,dass Hathaway zwar nicht unproduktiv war in jenen verlorenenJahren. Doch er war meilenweit von seiner Hochform entfernt.Wie großartig er gerade auf der Bühne war, macht die dritteScheibe deutlich. Sein 1972 veröffentlichtes Album „Live“ wirdnicht zu Unrecht als eines der besten Konzertalben des Soulüberhaupt angesehen. Eine ganze Reihe von Konzerten in Hollywoodund dem „Bitter End“ in New York war damals dafürmitgeschnitten worden. Aus nicht verwandten Live-Aufnahmender New Yorker Auftritte wurden die zehn Songs auf „Live AtThe Bitter End 1971“ ausgesucht. Man erlebt hier einen Sängerzwischen Kanzel und Crooner, der das Publikum von Anfang anin der Hand hat und es ebenso in die Darbietung mit einbeziehtwie seine fantastische Band.CD 4 schließlich widmet sich ganz der Zusammenarbeit mitRoberta Flack. Neben dem kompletten Album „Roberta Flack& Donny Hathaway“ sind auf der Scheibe auch „Back TogetherAgain“ und „You Are My Heaven“ vom 1980 veröffentlichten„Roberta Flack Featuring Donnie Hathaway“ und der Singlehit„The Closer I Get To You“ des Traumpaares des Soul der 70erenthalten.Zusammen mit dem informativen und äußerst liebevollenBooklet ist „Never My Love“ eine Box, die Fans und Neueinsteigergleichzeitig ansprechen kann. Bis auf die erwähntenschwächeren Nummern auf CD 3 ist das eine absolut großartigeZusammenstellung, die die Balance zwischen Bekanntem undUnveröffentlichtem hält. Donny Hathaway mag heute anders alsMarvin Gaye oder Stevie Wonder weniger im Bewusstsein derMusikhörer sein. Doch ist er wesentlich einflussreicher gewesenauf die Entwicklung gerade der black music, als man sich das alsweißer Musikkonsument ohne Hiphop-Interessen vorstellen mag:Zahllose Samples und Bearbeitungen seiner Musik wurden bisin die letzten Jahre hinein veröffentlicht, wie schon ein flüchtigerBlick auf Webseiten wie whosampled.com verrät.Raimund Nitzsche42© wasser-prawda


Musikebenso den Gospel wie das Erbe der Beatles, sinfonische Elementeund Funk integriert. Und noch heute gibt es Menschen, die ihnfür den größten Soulsänger aller Zeiten halten.Geboren wurde Donny Hathaway am 1. Oktober 1945 in Chicago.Doch er wuchs in St. Louis auf, wo ihn seine Großmutterschon mit drei Jahren in den Kirchenchor mitnahm. Der früheMusikunterricht am Klavier zahlte sich aus - Hathaway bekamein Vollstipendium für das Musikstudium an der Howard Univerity,mit dem er 1964 begann. Während des Studiums verdienteer sich als Pianist in einer Bar-Jazz-Band Geld. Und als er mit demStudium fertig war, boten ihm Plattenfirmen schon Jobs an.Zunächst wirkte er mehr im Hintergrund als Produzent, Arrangeur,Sessionpianist aber auch als Songschreiber. Hier arbeitete ermit Aretha Franklin oder den Staple Singers ebenso zusammenwie mit Jerry Butler. Und er trat den Mayfield Singers bei, demBackgroundchor, der bei den Studioterminen von Curtis MayfieldsImpressions zum Einsatz kam. Mayfield gab Hathawayschon bald den Job als Hausproduzent bei seinem Label Curtom.Und 1969 veröffentlichte er auch seine erste Single. Im Duett mitJune Conquest sang er „I Thank You Baby“.Damit bekann aber auch seine Zeit als Solokünstler. Bei Atcokam als erste Single seine Klage über „The Ghetto“ heraus, das bisheute immer wieder als Samplingmaterial für zahllose Hiphopperherhalten muss. Mit dem Erfolg dieses Protestsongs ganz andererArt war der Weg zum Album für ihn vorgezeichnet. Anfang 1970erschien „Everything is Everything“. Und ein Jahr später danndas selbstbetitelte zweite Album. Und er nahm mit seiner früherenKlassenkameradin Roberta Flack gemeinsam „You‘ve Got AFriend“ auf, was nicht nur in die Top 10 der R&B Charts gelangtesondern auch zur Produktion eines ganzen Duo-Albums derbeiden führte, die damit zum Traumpaar des Souls in den 70ernwurden. Mit „Where Is The Love“ kamen die beiden sogar bis aufPlatz 5 in den „normalen“ Pop-Charts. Das Duett bekam einenGrammy und das Album wurde vergoldet.Hathaway versuchte sich - wie schon Mayfield oder Isaac Hayesauch als Soundtrack-Komponist für Film und Fernsehen. Dochtrotz der wachsenden Erfolges geriet seine Karriere ins Stocken.Grund waren schwere Depressionen, wegen denen er zeitweise ineine Klinik eingewiesen werden musste. Seine Stimmungsschwankungenzerstörten zeitweise auch die Partnerschaft mit Flack.Nachdem 1973 das Album „Extensions of A Man“ auf den Marktgekommen war, zog sich der Musiker für einige Jahre aus demRampenlicht zurück. Er trat jahrelang nur noch in kleinen Clubsauf. Und Studioaufnahmen kamen selten über das Demostatiumhinaus. Erst 1977 konnte er das Verhältnis zu Flack kitten. Währender zeitweise das Krankenhaus verlassen hatte, nahmen sie„The Closer I Get To You“ auf, das für ihr Album „Blue Lights InThe Basement“ bestimmt war. Damit erreichten die beiden 1978zum zweiten Mal den ersten Platz der Charts. Und wieder gelangdas Crossover in die Pophitparaden, wo immerhin Platz 2 gewonnenwurde. Klar, dass man den Erfolg fortsetzen wollte.Die Sessions für ein zweites Duett-Album hatten schon begonnen,als am 13. Januar 1979 Hathaway tot auf dem Gehweg unterhalbseines Hotelfensters gefunden wurde. Er hatte sich aus dem 15.Stock gestürzt. Auch wenn es zeitweise Verschwörungstheoriengab, die die Meinung vertraten, der Musiker sei ermordet worden,© wasser-prawda43


Musikgeht man heute einhellig von Selbstmord aus. Immer stärker hattesich Hathaway in einen Verfolgungswahn hineingesteigert. Irgendwannkonnte er den Kampf mit seinen Dämonen nicht mehrweiter führen.1980 erschien „Roberta Flack Featuring Donny Hathaway“, aufdem sich die beiden fertiggestellten Duette „Back Together Again“und „You Are My Heaven“ finden. Beide wurden postum zu Hits.Und Hathaway wurde zur Legende, seine unveröffentlichtenAufnahmen wurden über die Jahre hinweg auf diversen BoxsetsStück für Stück den Fans präsentiert. Ob eine Vollständigkeithier inzwischen erreicht ist, das bleibt unklar. Ob sie überhauptwünschenswert erscheint, muss man doch in Frage stellen, wennman sich einige Aufnahmen auf der dritten CD der Box „NeverMy Love“ anhört. Der Perfektionist, der Stimmungen bis in diekleinsten Nuancen variieren konnte im Studio und auf der Bühnehätte solch unfertiges Rohmaterial niemals auch nur in dieNähe einer Plattenpresse gelangen lassen. Aber dieses Schicksalteilt Hathaway ja leider mit zahllosen Kollegen von Hendrix bisWinehouse.44© wasser-prawda


MusikJesperMunk - Derwilde Jungemit demRetrostil© wasser-prawda45


MusikSeit Monaten macht ein Name die Runde: JesperMunk! Der 20jährige Musiker aus München hatmit seiner 2013 erschienen CD „For in my way itlies“ vor allem auf Grund seine Retrostils für Aufmerksamkeitgesorgt, die man nicht hinter einemso jungen Musiker vermutet hätte. Jesper Munkstartete praktisch vom Abitur weg durch und warvorher nur in ganz kleinen Bühnen und auf derStraße unterwegs. Das Album ist bemerkenswert,weil Jesper Munk sehr viele Facetten imBereich Blues, Jazz und Soul zeigt. Sein Aufrittbei TV noir hat seine Popularität sicherlich nochmehr gesteigert, so dass die <strong>Wasser</strong>-<strong>Prawda</strong>schon vor Monaten um ein Interview mit JesperMunk angefragt hat. Jesper Munk ist derzeit alssupporting act von Eric Burdon unterwegs und sobot es sich an, anlässlich des Münchener KonzertsJesper Munk in seiner Heimatstadt zu treffen.Interview und Konzertbericht: Mario Bollinger.Fotos: Christophe Rascle.Eröff nungsfrage: Wo kommst Du her und wo geht es hin?JESPER MUNK: Dieses Jahr waren wir viel auf Tour, letztens inÖsterreich und jetzt eben die Tour mit Eric Burdon, was das Bestewar, was uns für den Abschluß des Jahres passieren konnten.Nächstes Jahr geht etwas ruhiger an, ich werde ein bisschen mehrZeit haben, um zum Spaß zu Musizieren und neue Lieder zuschreiben. Wahrscheinlich fliege ich auch nach LA, um mich miteinem Produzenten zu treffen. Ich möchte herausfinden, ob wirfür das 2. Album zusammen kommen, um zu entscheiden, ob wirganz traditionell bleiben oder unseren Sound etwas aufzupeppen.Deine CD ist ein Erstlingswerk. Wie kam es dazu?Das erfolgte ziemlich schnell nach dem Abitur. Ich hatte denWunsch, eine CD zu machen und mit der Hilfe meines Vaters,der schon einige Platten mit seiner eigenen Band produziert hatte,waren die Aufnahmen schnell gemacht. Wir hatten lediglich 3Mikrophone verwendet und ich habe sie dann abgemischt undproduziert habe ich sie dann mit meinem Vater zusammen.Wer steht da hinter Dir?Hinter mir steht meine Managerin Sophie Raml, die auch dieBand Blumentopf managt. Blumentopf ist eine Hiphop Band ausMünchen.. Dann gibt es noch meinen Vater, der mir an beratenderStelle zur Seite steht und natürlich meine Jungs – Die Besten!Das 2. Album kommt über Warner heraus.Die Songs auf der CD sind in mono: Ist das ein künstlerischer Kunstgriffoder eine technische Limitierung bei der Aufnahme?Beides – ich hätte erst mal nicht gewusst, wie ich es auf Stereobringen hätte können, aber ich habe mich mit meinen Dad zusammenentschieden, dass Mono für dieses Album das Perfekte46© wasser-prawda


Musikwar. Es war alles schon sehr direkt und pur aufgenommen, so dasswir gesagt haben, dass es bei einer Stereoverbreiterung nicht mehrso echt ist und so haben wir es klassisch mono gelassen.Viele Musiker wie z. B. „Sir“ Oliver Mally nehmen bewusst in Monoauf: Hier wird bewusst transportiert, dass an diesen Monoaufnahmennichts mehr gedreht und manipuliert wird.Ich finde das Pure und vom Sound her Ehrliche sehr wichtig.So erlaubt ein MESA BOOGIE Verstärker im Gegensatz zu einemMarshall Verstärker keine Fehler. Wenn etwas danebengeht,kracht es sofort. Der Sound ist direkt und ehrlich und das ist fürmich wichtigDie CD Ist hauptsächlich eine Vokal-CD ohne eine große Band oderinstrumentale Solisten. Reicht das für eine so exponierte Musik wieDeine?Ich mag die Gitarre schon. Dort habe ich sehr viel Mühe reingestecktund bei den Konzerten drückt mir die Gitarre die Dingezwischen den Zeilen aus. Wir sind normalerweise immer im Triounterwegs, d.h. ich singe und spiele Gitarre. Der Clemens, denDu eben kennengelernt hast, spielt Schlagzeug und mein Vaterspielt Bass. Dieses Rocktrio hat sich für uns ziemlich bewährt,man ist nah beieinander, es fällt nichts auseinander und es ist aufdas Notwendige reduziert.Kannst Du die eine größere Band vorstellen?Momentan nicht, aber für die Zukunft kann man sich da wasüberlegen. Ich hätte auch gerne eine Hammondorgel dabei, aberdas spekuliere ich nur.© wasser-prawda47


MusikWie kam es zu dem aus der Reihe tanzenden Song “I love You“?Der wurde vorher schon mal vom Produzenten Stephan Mattneraufgenommen, damit hatten wir nichts am Hut. Dann hat derProduzent mir die Aufnahme geschickt, mit der Bitte, sie mal auszuprobieren.Ich habe den Eddie Holman Song schon gehört, ichhabe dann eine Stunde daran rumprobiert und zurückgeschickt.Stephan hat mir die Nummer dann angeboten. „I love you“, fettaufgenommen, passte dann nach der krachenden und mono aufgenommenNummer „John’s a man“, in die CD. Das war derGag, den wir uns hier erlaubt haben. Die „I love you“ Nummerwar eine Lieblingstrack vom Produzenten.. Ich habe mir die neueNummer dann laufend angehört, genau so wie ich eine neue Jackedann dauernd tragen würde.Deine Songs handeln von Beziehungen oder schwierigen Beziehungen?Über was kann ein 20-jähriger Mensch noch schreiben?Eigentlich alles, was man erlebt. Es gibt nichts Spezielles daran,einfach nur das aufschreiben, was man erlebt, denkt und träumt.Ich habe auch viele Songs über meine guten oder schlechten Träumegeschrieben. Ich will mich da aber nicht festlegen und ichmöchte mich da nicht versteifen. Beziehungen waren für mich bisdahin die ergiebigsten Songs. Sie haben in die vorherigen 2 Jahreund auf die Platte gepasst und das wollte ich wiedergegeben.Erzählst Du uns was über Dein Equipment, wenn Du auf die Bühnegehst?Ich spiele 2 Gitarren: Eine Les Paul Bonnamassa von einemFreund, der sie mir geliehen hat und eine zusammengewürfelteStrat von wiederum einem anderen sehr guten Freund. Auf derBühne gehört nur mir, was zwischen Gitarre und Amp ist. Alles48© wasser-prawda


MusikAndere gehört nicht mir. Die Strat, die ich über alles liebe, hat11er Saiten. Ich habe mich da von 10er auf 11er umgewöhnt, weiles fetter klingt, als absehbar war, das es viele Gigs gibt und ichmich entwickeln wollte. Aber jetzt habe ich mir einen Finger gebrochen.Als ich eine Woche in New York war, habe ich mir eineKay Galaxy P3 gekauft. Das war abgefahren und ich muss siewieder einstellen lassen, da Saitenhöhe und auch der Hals nicht inOrdnung sind. Als Amp habe ich einen MESA BOOGIE Mark3, aber der ist nicht von mir. Ich bekomme Instrumente von vielennetten Musikerfreunden von mir oder von meinem Dad. Ichwar in der Schulzeit viel beim Lindberg und hab mir die Gitarrenangeschaut, während meine Freunde in Mathe in der Schule saßen.Ich wollte immer Geld sparen aber ich habe es nie geschaff t,soviel Geld zurückzulegen. Ich habe das Geld immer vorher füretwas anderes rausgehauen.Wer sind Deine Bandmitglieder?Am Schlagzeug ist Clemens Graf Finck von Finckenstein. AmBass spielt mein Vater Rainer Germann und, seit dem ich mirden Finger gebrochen habe, an der Ersatzgitarre Louis von Stebutvon unsere ersten Band, in der ich Bass spielte. Louis ist ein sehrguter Freund und stieg 3 Tage vor der Tour ein und spielt seiteineinhalb Monaten mit und musste sich in 3 Tagen 20 Songsdraufschaufeln.Kannst Du Dir auch Soloauftritte vorstellen?Ich habe eigentlich damit auf der Straße für das Taschengeldangefangen. Danach habe ich eineinhalb Jahre jeden Mittwochin Glockenbachwerkstatt zum open stage von „Fish’n’Blues“ gespielt.Das war so das Ritual. Jetzt hake ich bei Anfragen nach,© wasser-prawda49


Musikob sie z.B. das Trio hören wollen oder ob es ruhiger sein soll. Dasmacht das sehr angenehm.Möchtest Du ein Singer/Songwriter sein oder der Solist in einem Triosein oder denkst Du an eine größere Band mit mehreren Solisten?Ich mag das Trio einfach gern, weil das „sauintim“ auf der Bühneist.Auf Deiner CD findet man viele Stile: Jazz, Garagenblues, lupenreinenSoul und Blues. Entspricht diese Vielfalt, man könnte auch sagen- Zerrissenheit - Deinen Stil und Können oder möchtest Du Dich irgendwannmal an nur einem Stil orientieren?Das wird sich bei mir nicht ändern. Bei mir ist das eine positiveZerrissenheit, weil es mich zu verschiedenen Menschen bringt undich verschieden Ansprechpartner habe, obwohl die Musik sich imKern immer wieder trifft. Es ist schön, wenn man auswählen kannund man sich nicht festlegen muss.Wo sind Deine Wurzeln bez. Deiner Erziehung und Deiner Interessen?Musikalische Einfl üsse? Hast Du Vorbilder und Idole?Ich bin mit meinen beiden Eltern in München aufgewachsen. Ichbin ganz normal in die Schule gegangen, bis ich mit 16 Jahrenangefangen habe, Bass zu spielen. Ab dann war alles scheiße undich hatte so meine Probleme, weil mir meine Musik wichtiger war.Ich habe es aber dann mit der Portion Glück dann trotzdem hingekommen.Es hat mich aber zwei Jahre gekostet. Meine Idole sindTom Waits und JJ Cale, weil beide eine Eigenheit verbindet. Eskomm mir vor, als wenn diese beiden Künstler nie von ihrem Wegabgekommen sind und das will ich mir als Vorbild nehmen. Malabgesehen davon, dass Beide so einzigartig sind, weil sie für micheinen eigenen Stil haben, den man nicht nachmachen kann.Ich habe gelesen, dass Du auch als Straßenmusiker unterwegs warst.Was kann man davon für seine spätere Karriere lernen?Es ist halt total abartig, weil es was völlig anderes ist. Ich habe eigentlichmit den Blues Sessions angefangen und dann kam die Ideemit der Straße. Der Unterschied ist gravierend: Du stehst auf derBühne und Menschen sind da, um Dir zuzuhören und das Andereist, dass Du auf der Straße stehst und Du stehst wahrscheinlichsogar jemanden im Weg. Du musst Dir das Ohr erst mal erspielenund lernst dabei, dass Du Dich nicht beirren lässt. Es kommen immer5, 8 oder 10 Menschen vorbei, die Dich blöd anschauen undvon Dir genervt sind. Du lernst halt viele Menschen kennen unddas ist echt angenehm.Kannst Du bereits heute von Deiner Musik leben?JESPER MUNK lächelt: Ja, jetzt im Moment, ähm und jetztschauen wir mal. Es läuft gerade wirklich gut und es sind sehr vieleGigs, aber es ist natürlich ein unsicherer Job. Mein Plan B wäre derBeruf des Gitarrenbauers.Wie viele CDs hast Du schon verkauft?Ich habe die genauen Zahlen nicht im Kopf, aber ich bin mit denbisherigen Verkaufszahlen vollkommen zufrieden und ich bin froh,dass ich heute hier spielen darf.Was macht einen Jesper Munk Song aus?50© wasser-prawda


MusikIch bin eigentlich nie wirklich mit einem Song zufrieden. Solangeder Song ehrlich ist, kann eigentlich kaum was schief gehen. Mankann auch einen infantilen Song schreiben, solange er ehrlichund nicht gestellt ist.Ist der Song „I love you“ auch ehrlich für Dich?„I love you“ wurde von Eddie und Sheila Halman geschriebenund daher nehme ich den Song als ehrlich. Wir haben eine Mailvon Eddie bekommen, wo er uns viel Erfolg gewünscht hat.Es ist ja sehr ungewöhnlich, dass ein junger Mensch mit einer jazz-und blueslastigen CD für Furore sorgt. Kannst Du Dir den Hypeum Deine Person erklären?Nö, ich weiß nicht wie das funktioniert hat. Ich wollte eigentlichnur Musik machen, auf die ich Bock habe. Ich sehe das natürlich,weil wir viel Presse im Münchener Umkreis hatten und aufder Solotour Berlin ausverkauft war. Das ist natürlich schon einErfolg, der für eine erste Tour nicht unbedingt klar war. Vorherhatte ich nur auf den open stage sessions und auf der Straße gespielt.Als Bassist war ich noch bei Lila’s Riot mit ca. 150 Leutenim Publikum. Anfang hatten wir 10-12 Konzerte gespielt. DasGrößte war mal die lange Nacht der Musik im Gasteig, wo alle700 Gäste am Schluss der Veranstaltung im Foyer an uns vorbeimussten, als wir zum Spielen angefangen haben.Kritiker vergleichen Deine CD „For In My Way It Lies“ mit denCommitments bis hin zu Verweisen auf Jack White oder Jake Bugg.Welche Vergleiche findest Du schmeichelhaft und welche Vergleichenerven Dich?Mich nerven überhaupt keine Vergleiche. Ich finde es schmeichelhaft,mit Jack White verglichen zu werden, aber es ist halt völligunrealistisch, weil das eine ganz andere Liga ist.Welche Pläne hast Du für 2014?Im Januar und Februar will ich schreiben und noch mal nach LAfliegen. 2014 wird noch viel heftiger wegen der Festivals und ichwill spielen, spielen, spielen. Wir hatten 2013 ca. 50 Konzerte. Essind Anfragen da, aber ich konzentriere mich jetzt auf die EricBurdon Sache und auf Weihnachten, um mich auszuruhen.Wie kam es zu diesem Supporting Act für Eric Burdon? Ist das lukrativoder nur für die Ehre und für das Renommee?Erst wurde uns ein Gig angeboten. Als wir versucht haben, dasreinzukommen, kam dann die ganze Tour. Das ging über dieKonzertagentur Neuland von Warner und wir machen jetzt 10Konzerte. Die Band ist wahnsinnig nett Eric Burdon ist wahnsinnigwitzig. Er stellt sich einfach rein und es umgibt ihn einewahnsinnige Aura. Für den Supporting Act bekommt man keineKohle. Wir können da ein größeres Publikum angehen. Wir bestreitendie Tourkosten mit Merchandising und ansonsten müssenwir in unsere eigene Tasche langen.Machst Du das öfters?Meine erste Tour war solo als Support mit Saint Lu und dannhatten wir noch eine kleine Österreich Tour mit Bosse. Saint Lu© wasser-prawda51


Musikmacht leicht angebluesten Soulund Bosse ist eine Deutschrockbandund jetzt eben mit EricBurdon.Was muss erfüllt sein, damit Duauftrittst? 50 500 oder 5000Konzertbesucher?Da musst Du mein Managementanrufen, aber für 50 Besucherkann ich nicht mehrspielen. Das habe ich zu oftgemacht. Du musst Musikermitbringen, Amps und Automieten und tanken, Du probstdafür. Weißt Du, mittlerweileist es so, dass Menschen esso sehen, dass wenn Du nichtsbezahlst, es keinen Wert hat. Irgendwomuss man seine Wertigkeit einfach darstellen. Wir versuchennatürlich davon zu leben. Für 6 Stunden Aufwand und 50Eurogeht das nicht mehr.Das KonzertMittlerweile hat der Soundcheck von Eric Burdon begonnenund ein weiteres Interview mit ihm erschien dann aussichtlos.Ziel war ja, Jesper Munk kennen zu lernen und überihn zu schreiben. Wir konnten Eric Burdon und die Animalsbeim Soundcheck beobachten und zuhören. Eric Burdon erschienals ruhiger und disziplinierter Musiker.Inzwischen trafen auch der Drummer Clemens, Gitarrist Lous undbassender Vater Rainer Germann ein. Ich fragte Louis ob ihn derCircus Krone Bau nervös macht. Louis meinte, dass es Respekteinflößt, vor allem weil man dem Publikum von der ersten bis zurletzten Reihe in die Augen schauen kann.Das Konzert von Eric Burdon and the Animals und Jesper Munkals supporting act war komplett ausverkauft und das Publikumdurchwegs aus den Jahrgängen 1950 bis 1960. Daher war die Bestuhlungsicherlich ganz angebracht.Naturgemäß stieg Jesper Munk als Erstes in den Ring. Sein Begleittrioeröffnete mit dem Song „Blood or Red Wine“, bevor Jesperdazukam. Der Livesound zusammen mit dem Gitarristen Louisvon Stebut erschien mir wesentlich kraftvoller als auf der CD undder warme Applaus des Münchener Publikums belohnte die Banddafür. Danach spielte Jesper Munk “7th street” aus seiner CD“For my way it lies“. “7th street“ handelt von der unerfüllten Befriedigungin einer Beziehung. Es folgten die wunderbaren Songswie der Blues „Blue Shadow“ und als Abschluss kam ein fetziggespielter Boogie, der nicht Bestandteil des Albums ist. Nach 30Minuten war der opening act mit Jesper Munk gespielt und derApplaus zeigte die Zufriedenheit des Publikums mit Jespers Musik.Derweil bereitete Jespers Managementmitarbeiterin Agnes Stammlden Merchandisingstand vor.52© wasser-prawda


MusikBevor Eric Burdon and the Animals auf die Bühne gingen, gabes noch eine amüsanten Hinweis auf das Buch „Manege frei fürRock’n’Roll“ als Retroperspektive über die Rockkonzerte im CircusKrone Bau. Der Autor zitierte dabei Artikel aus den Tageszeitungenzu einem Animalskonzert in den 60ern. Denn dort,wo normalerweise exotische Tiere, Akrobaten und Clowns dasMünchener Publikum zum Staunen bringen, wurde auch einStück Münchner Rockgeschichte geschrieben. Und ein Teil dieserRockgeschichte heißt Eric Burdon and the Animals. Der Einstiegder Musiklegende war der Song „When I was young“ undEric Burdon zeigt sich gut gelaunt. Sein typischer, leicht rauerGesang klingt wie aus den 60er Jahren. Die Animals sind auf 7Musiker gewachsen und Eric Burden ließ es sich auch nicht nehmen,den Song „Water“ aus seiner 2013 erschienen CD „Til yourriver runs dry“ auf Deutsch anzusagen. Als dritten Song zog EricBurdon „Don’t let me be misunderstood“ aus dem Hut und hatteein schlagartig mitsingendes Münchner Publikum vor sich. Mitdiesem Song war auch das Ende für die Pressearbeit eingeläutet,da Herr Burdon nur die ersten 3 Songs für die Pressebeobachtungzuließ.Wen der Auftritt von Jesper Munk interessiert, finden auf www.youtube.com fast alles Songs aus dem Circus Krone Bau von ihmdokumentiert. Auch wenn der Auftritt kraftvoller als die CD war,ist diese trotzdem zu empfehlen, da hier die etwas ruhigere Seiteaufgezeigt wird. Egal ob als Supporting Act oder als Solotour:Jesper Munk ist es wert, sich ein Ticket zu kaufen. Auch wennder Diamant noch Schliff braucht, aber unter der Oberfläche desRohdiamanten schlummert ein interessanter Musiker.© wasser-prawda53


MusikFünf Jahre Blues aus Hamburg,Deutschland und demRest der WeltEs begann als Idee von ein paar Fans von einemeigenen Festival. Inzwischen ist das jedesJahr Anfang November im Hamburger StadtteilVolksdorf stattfi ndende Festival unter Fans etabliert.Als „kleinstes Bluesfestival der Welt“ kannman sich nicht die großen Stars einkaufen. Aberdie Organisatoren schauen zielsicher nach Musikernaus der Region, aus Deutschland und auchvon jenseits der Grenzen, um ein spannendesProgramm anzubieten, was man so anderswonicht fi nden könnte. Zum fünfjährigen Bestehenkamen die Elbdelta Allstars aus Hamburg mit ihremdeutschen Bluesrock, das britisch-polnischdeutscheTrio Black Kat & Kittens mit ihrer Mixturaus Klassikern des Vorkriegsblues und eigenenSongs. Und dank Sponsorenhilfe konnte manauch einen international bekannten Musiker wieLightning Guy mit seinen Mighty Gators aus Belgienengagieren. Eine Fotoreportage von DirkSchellmann.54© wasser-prawda


Musik© wasser-prawda55


MusikBlack Kat & Kittens aus Berlin spielen Klassiker des Vorkriegsblues ebenso wie sie ihre heutigen Erlebnissemit dem Blues in Songs zwischen klassischem Blues, Folk und Amerikana packen. Die britischeSängerin/Songwriterin Lorraine Lowe kommt eigentlich vom Jazz her. Adam Sikora ist einer der bestenBluesharpspieler nicht nur seiner polnischen Heimat. Und komplettiert wird das Trio vom deutschenGitarristen/Sänger Simon Dahl.56© wasser-prawda


MusikLightning Guy gehört zu den wichtigsten Bluesmusikern in seiner belgischen Heimat. Doch spätestensseit er 2012 bei der European Blues Challenge Platz 4 erreichte, tourt er auch in ganz Europa ob alsOne Man Band oder mit seinen Mighty Gators. Eines der Vorbilder, dem er auch in Konzerten immerwieder Referenz erweist, war Hound Dog Taylor.© wasser-prawda57


Platte Des MonatsBabaJack - Running ManAngefangen haben sie als Duo: Sängerin/Percussionistin BeckyTate und Gitarrist/Bluesharpspieler Trevor Steger habenfür ihr aktuelles Album „Running Man“ BabaJack um gleichdrei Mitspieler an Schlagzeug, Cello und Bass erweitert.Doch musikalisch bleibt die Band ihrer Fusion aus uraltemBlues, Funk, afrikanischen Rhythmen und Americana treu.Ein Kollege schlug vor, man solle beim Hören von „Running Man“jegliche Störung von außen verhindern: Telefon ausschalten, Türklingelabstellen, einfach nur zuhören. Und ich gebe gerne zu, dassdieses Album jegliche Aufmerksamkeit verdient hat. Denn nichtnur ist Becky Tate eine der umwerfendstens Bluessängerinnen, diees derzeit in Großbritannien gibt. Nein, die Songs auf RunningMan haben eine derartig hypnotische Kraft, dass man über jeglicheAblenkung spontan in Wut verfallen könnte.Schon der Titelsong zu Beginn des Albums macht klar, dass Baba-Jack musikalisch zur Zeit absolut einzigartig dastehen nicht nur imVereinigten Königreich. Hier entwickelt sich zwischen dem Schlagzeugmit seinem klaren Rhythmus und dem hektischen Bass, eineSpannung, eine Bedrohlichkeit, die nur noch vom Gesang und derHarp getoppt wird: Das Rennen ist aussichtlos. Auch der nächsteTitel „Coming Home“ hat so gar nichts von heimliger Atmosphäre.Diese Heimkehr „on the wing of a prayer“ hat etwas davon, im letztenMoment einer Gefahr entkommen zu sein. Die Liebe, die dieSängerin zur Heimkehr getrieben hat, zerbricht Stück für Stück.Doch in der Mitte des Liedes löst sich die Spannung plötzlich undmacht Platz für einen wilden Tanz, der von fast schamanistischerEnergie getrieben wird. Die Geschichte wird nochmals erzählt underhält plötzlich einen ganz anderen Charakter. Bei „Breathe“ sind58© wasser-prawda


Platte Des Monatses die sparsam gezupfte Gitarre und ein gestrichenes Cello, die dieZerbrechlichkeit des Gesangs unterstützen und betonen.Klar sind bei BabaJack überall die Blueswurzeln zu hören und zuspüren. Doch niemals wird der Blues hier als Klischee präsentiertsondern als lebendige Quelle für absolut klischeefreie Geschichten,die es wert sind erzählt zu werden. Und wenn dafür ebenFunkrhythmen und an frühen Rap gemahnende Singweisen nötigsind (Rock and Roll Star), dann fügen die sich ebenso organischin den Bandsound ein wie Jazz oder auch Country-Feelingund Anklänge an den aktuellen Revival-Folkrock. Selbst die einzigeCoverversion des Albums, „Death Letter“ hat hier eine Intensitätund Spannung, wie sie selten zu hören ist. Hier wird nur inden entscheidendsten Momenten der konstanten Versuchung zuemotionalen Ausbrüchen nachgegeben.Was „Running Man“ zu einem der faszinierendsten bluesverwandtenAlben des Jahres 2013 macht, sind aber vor allem dieeigenen Songs dieser Band. Hier ist wirklich etwas davon zu erleben,wie der Blues mit vollem Respekt vor der Geschichte undseiner ursprünglichen Funktion in der Gegenwart des 21. Jahrhundertsangekommen ist.Raimund Nitzsche© wasser-prawda59


Platten8 Ball Aitken - Southern HemisphereSwamprock, Blues, Country: Auch ohne den langen Bart bleibt8 Ball Aitken seiner Musik treu und hat für sein neues Album„Southern Hemisphere“ Lieder geschrieben, die nicht nur Fansvon John Fogerty oder CCR begeistern können.Die Perspektive hat sich verschoben: Statt mit dem australischenOutback geht „Southern Hemisphäre“ mit einer Geschichte ausden amerikanischen Südstaaten los. Aber auch wenn 8 Ball Aitkenmittlerweile einen großen Teil des Jahres zwischen Nashvilleund Kalifornien verbringt, ist auch bei „Goin To Jail“ sofort seineigener Stil erkennbar, der spätestens seit „Rebell With A Cause“erkennbar war. Von einem reinen Bluesmusiker hat sich Aitkenzu einem Countryrocker mit starken Blueswurzeln entwickeltund begeistert damit inzwischen nicht nur die Fans in Australien.Die Geschichten sind alltägliche aus dem Leben eines fahrendenMusikers: Von der Hillbilly Disco bis hin zu Nächten unter dennächtlichen Sternen in den weiten Ebenen, von den Anstrengungeneiner One Man Band bis hin zum leeren Tank irgendwo onthe road.Die Musik rockt gewaltig - schön, dass hier wieder ein richtigesBandalbum entstanden ist -, wenn es drauf ankommt, sie wirdhemmungslos romantisch, sie ist Americana im besten Wortsinne.Wenn auch immer aus dem Blick eines Sängers aus dem NordenAustraliens, der irgendwann mit seiner Gitarre von den Bananenplantagenaufbrach, um mit seiner Musik die Welt zu erobern.Raimund NitzscheBlair Crimmins and the Hookers - Sing-a-longsMusiker wie Pokey LaFarge oder C.W. Stoneking, die den Blues,Jazz und Ragtime der 20er bis 40er Jahre als Vehikel für ihreSongs des 21. Jahrhunderts nutzen, bekommen immer wiederneue Konkurrenz. Blair Crimmins aus Atlanta etwa hat mit seinenHookers auf „Sing-a-longs“ eine mitreißende Revue zwischenZirkushow, Blues-Cabaret und Dixieland-Bierzelt inszeniert.Es beginnt als Bluesklage: „Roll Over Bessie“ ist genau der jazzigeBlues, den sie selbst geschätzt hat. Doch Blair Crimmins lässtdas ganze plötzlich in eine Rock & Roll - Nummer kippen undzerstört jeglichen Anflug von traurigen Gedanken. Und die habenbeim Hören von „Sing-a-longs“ auch weiterhin keine Chance.Wild, überdreht und abgefahren werden Tanznummern zelebriert,die man sich auch gut auf einer Bühne mit den Briten derOriginal Rabbit Foot Spasm Band vorstellen kann. Jazz, Blues,Dixieland (ohne den Mief der Generation Bierzelt), klassischeRagtimerhythmen - doch immer wieder wird das heimelige Retrofeelinggebrochen. Da ist der „Krog Street Strut“ eher ein ziemlichwilder Walzer mit Klezmer-Klarinetten und einem Schlagzeug,dass vor Sekunden wohl noch auf einer Beerdigungsparadeaktiv war. Und wenn man sich darauf eingerichtet hat, dann wirdder Walzer doch noch zum Strut.Wenn man den Plattentitel ernst nimmt, dann steht man vor einergewaltigen Herausforderung. Denn das ist ein Album, dasniemals den einfachsten und sofort nachsingbaren Spuren folgt.Hier ist der Stilbruch Teil einer der mitreißendsten traditionellenJazzscheiben der letzten Jahre.Nathan Nörgel60© wasser-prawda


PlattenBoogielicious - Boogie ALIVEFür ihre Konzerte im Sommer 2013 hatte sich das deutsch-niederländischeTrio Boogielicious noch um den Bassisten Jens Kühnverstärkt. Das das für den Sound der Truppe mit dem PianistenEeco Rijken Rapp, Schlagzeuger David Herzel und BluesharpspielerBertram Becher ein echter Zugewinn war, davon kannman sich auf dem Konzertmitschnitt überzeugen, der jetzt unterdem Titel „Boogie ALIVE“ veröffentlicht wurde.Wahrscheinlich sollten Boogie-Platten grundsätzlich live eingespieltwerden. Nur so kommt die ganze Spontaneität zum Vorschein,die die echten Meister dieser Spielweise auszeichnet. „BoogieALIVE“ macht das sofort klar. Denn hier wechseln vier großartigeInstrumentalisten munter zwischen Boogie Woogie, Blues,Soul, Swing und Jazz hin und her und verbreiten von Anfang angute Laune. Und es werden nicht nur Klassiker wie „BarrelhouseBoogie“, „Boogie Woogie Jump“ oder Roll em Pete“ gespielt, diezum Standardrepertoire gehören. Nein auch eigene Nummern wie„Dadlow“ (David Herzel), „Friends“ oder Rapps eigener „BoogieWoogie Man“ passen hervorragend in das Konzert. Und dannkommen noch die Nummern, an die sich Musiker sonst eher seltenherantrauen: Wer als Munharmonikaspieler Stücke von JeanJaques Milteau nachspielt, braucht gehörigen Mut und muss wieBertram Becher seine Lektionen gelernt haben.Ob dieses Live-Album nun wirklich, wie es auf dem Cover angekündigtwird, den Boogie ins 21. Jahrhundert bringt, darübersollte sich jeder selbst seine Meinung bilden. Auf jeden Fall istdas ein mehr als empfehlenswertes Album für alle Freunde einesgepflegten Boogie-Pianos ebenso meisterlich gespielter Bluesharp.(Herzel Records)Raimund NitzscheBrad Wilson - Hand On The WheelBluesrock für lange Fahrten im Cabrio oder beim nächsten Bikertreffen:Der Kalifornier Brad Wilson liefert auf seinem neuen Album„Hand On The Wheel“ genau die dafür passende Musik.Fans der Filme von John Carpenter dürfte der Name dieses Gitarristenund Songwriters schon begegnet sein, lieferte er dochsowohl für „Vampires“ als auch für „Ghosts of Mars“ Songs. Mirallerdings war (obwohl ich beide Filme irgendwann mal gesehenhabe) Brad Wilson bislang unbekannt und so hatte ich keine Zeit,mir ein passendes Vorurteil zurechtzulegen.Also: Was wird geboten? Riffgetriebener Bluesrock, der bei allerDeftigkeit dem angenehmen Gesang von Wilson genügendPlatz lässt zur Entfaltung. Man merkt den Songs die gehörigeLive-Routine an. Denn die Songs kommen fast sofort auf denPunkt und machen kaum Umwege oder schweifen vom patentiertenSound ab. Das ist alles ziemlich gut und vor allem aufden Punkt rockend komponiert und gespielt. Ich würde mir paarmehr Songs mit deftigem Boogie a la Hooker oder ZZ Top (wie in„The Ballad of John Lee“) wünschen. Bei den langsameren Stükkenwie „Cruisin The Coast“ fehlen mir paar Kanten. So eineBallade wie „Last Call“ allerdings bohrt sich sofort angenehm indie Gehörgänge. Und auch der leicht funkige Rocker „Hot Stuff “ist nicht von schlechten Eltern. Andere Balladen sind für meinenGeschmack oft ein wenig zu dicht dran an der Schnulze. Undeinigen Rockern merkt man zu viel Routine an. Insgesamt aber:© wasser-prawda61


PlattenFür Fans des schnörkellosen Bluesrock oder die Leute, die die passendeUntermalung für lange Autofahrten suchen ist „Hand on theWheel“ die richtige Empfehlung. (Mausoleum/H‘ART)Nathan NörgelCliff Richard - The Fabulous Rock n Roll SongbookFür sein 100. Album hat sich Cliff Richard auf seine Jugendtageals Rocker zurückbesonnen. Mit Studiomusikern in Nashville liveeingespielt interpretiert er Klassiker zwischen Elvis, Chuck Berry,Buddy Holly und den Everly Brothers.Hundert Alben? Cliff Richard ist ein Phänomen, einer der wenigenKünstler, die seit Jahrzehnten immer wieder Hitparadenerfolgevorzeigen können. Da kann man sich ein wenig Nostalgie sichergönnen. Denn Richard ist auf dem Album eher Schmusebär stattwirklicher Rocker: Zwar ist beim Opener „Rip It Up“ noch etwasFeuer zu spüren - wenn auch deutlich weniger als bei LittleRichards eruptiven Original. Doch danach geht es mehr in dienoch weiter gebremste Oldieschow. Selbst „Johnny B. Goode“ lässtjegliches Rocken vermissen und hat überhaupt nichts mehr von jugendlichemRebellentum. Wenn die Autoren dieser großen Songsdank Sir Cliff Richard mal wieder in die Charts kommen sollten,sei ihnen das von Herzen gegönnt. Der Sänger aber sollte vielleichtaus seinem Schaukelstuhl aufstehen, bevor er wieder Rock & Rollsingt.Nathan NörgelEric Clapton - Crossroads Guitar Fesval 2013Auch wenn seine Studioalben in den letzten Jahren immer ruhigerund entspannter geworden sind: Live mit guten Kollegen ander Seite ist er noch immer eine mitreißender Gitarrist. Und seineregelmäßigen Crossroads Festivals haben sich zum Gipfeltreffender Gitarristen zwischen Blues und Rock entwickelt. Vom Konzert2013 ist erstmals nicht nur eine DVD sondern auch eine Doppel-CD veröffentlicht.Willkommen zu einer Rundreise durch die gitarristischen Vorliebenvon Eric Clapton: Nach zwei eigenen Nummern, wobei besondersdas mit Vince Gill schon rockige „Lay Down Sally“ sofort dieAufmerksamkeit fesselt, ist innerhalb von zwei CDs alles zu hören,was derzeit Rang und Namen hat: Buddy Guy stellt seinen jugendlichenProtegé Quinn Sullivan ins Rampenlicht und rockt sich begleitetvon Robert Randolph durch „Damn Right I‘ve Got TheBlues“. Sonny Landreth und Derek Trucks liefern sich in „CongoSquare“ ein Slide-Duett vom allerfeinsten. Und natürlich sind auchall die anderen Musiker aus dem Umfeld der Allman Brothers gewaltigam Bluesrocken. Gary Clark Jr. hat live die Möglichkeit,sein teilweise banales Album vergessen zu lassen, Los Lobos setzenin dem Zusammenhang schon fast exotisch zu nennende klanglicheAkzente.Als Live-Album ist das wirklich gut zusammengestellt und mehrals nur unterhaltsam: Hier spürt man bei allen Besetzungen dieunbändige Spielfreude, den Spaß an guten Songs und das Vergnügen,auf und vor der Bühne von Gleichgesinnten umgeben zu sein.Raimund Nitzsche62© wasser-prawda


PlattenWeihnachtsplattenVon Nathan Nörgel.Paul Carrack with The SWR Big Band - SwingingChristmasMan kann Weihnachtsalben durchaus auch als Live-Alben veröffentlichen.Schon 2005 hatten der britische Sänger Paul Carrack(Ace, Mike & The Mechanics) und die SWR Big Band „A SoulfulChristmas“ veröffentlicht und sind seither in den Weihnachtsmonatenimmer mal wieder gemeinsam mit dem Weihnachtsprogrammauf Tour. Mitschnitte, die 2011 und 2012 dabei entstandensind, bilden den Kern von „Swinging Christmas“.Paul Carrack scheint zu ahnen, dass man mich mit dem „normalen“Repertoire an Weihnachtsliedern nicht spontan begeisternkann. Und so geht das Konzert mit der SWR Big Band zwar miteinem instrumentalen Medley bekannter Weihnachtsmelodienlos. Doch danach folgen erst mal zwei Stücke, die man immerwieder gut hören kann: Bei „Moondance“ und „Fly Me To TheMoon“ kann sich der Sänger als Crooner ganz in der Traditionvon Sinatra versuchen. Und die exzellent aufspielende Band liefertdazu die nötigen Sounds. Natürlich kommen auch noch „JingleBells“, „Winter Wonderland“ oder „A Child Is Born“ . Sonst wärees ja kein Weihnachtsalbum. Hinzu kommen aber auch noch„Imagine“ und paar von Carracks Solohits. Zum Glück ist derSchmalzfaktor relativ gering. Nur wenn dann der Breitwandsoundnoch mit Kinderchor aufgepeppt wird, ist das für michein wenig zu viel des Guten. Aber auf „Last Christmas“ wird verzichtet.Dafür findet sich im „Studioteil“ des Albums nicht nurein neuer Weihnachtssong aus Carracks Feder sondern auch nocheine schöne Interpretation von Donny Hathaway‘s „Thist Christmas“.Und so ist „Swinging Christmas“ eine Empfehlung wert füralle, die ein eher besinnliches Album hören wollen, und denenLeute wie Bublé zu hohl sind.Various - Santa‘s Funk & Soul Christmas Party Vol. 2Eine gute Nachricht für alle Funkfans und die, die Weihnachtenlieber tanzend verbringen wollen. Tramp Records veröffentlichpünktlich zum Advent seinen zweiten Sampler mit weihnachtlicherFunk- und Soulmusik.Bislang ist das die für mich angenehmste Weihnachtsscheibe2013: Es gibt zwar bekannte Songs („Jingle Bells“ sogar in zweiverschiedenen Fassungen: mal als Cha Cha, mal mit Pfarrer undJugendchor), doch die kommen ganz Tramp-gemäß kitschfrei undgroovend daher. Klar gibt es auch die besinnlicheren Momente.Denn Weihnachten ohne die Liebste ist einfach öde („Christmasis a drag without you Baby“) und dann können schon mal dieTränen fließen („Lonely Christmas Tears“). Aber meist zielen dieLieder direkt in die für die Steuerung der Tanzbeine zuständigenNervenenden. Und bei Songs wie „Santafly“ oder der tollen Versionvon „Ghee Witz, it‘s Christmas“ sollte man weit genug vomBaum entfernt sein, um ihn nicht umzuwerfen. Selbst CharlesBrowns „Merry Christmas Baby“ ist eigentlich Tanzmusik, durfteich erfahren. Ein großartiger Sampler! Vielleicht sollte ich meinenseit Jahren andauernden Tanzstreik beenden.© wasser-prawda63


PlattenFrank Bey And Anthony Paule Band - Soul For YourBluesDieser Albumtitel ist wirklich mal äußerst passend gewählt: FrankBey ist ein Sänger, der einen mit Soulpredigten ebenso gefangennimmt wie mit Bluessongs. Und das gemeinsam mit der siebenköpfigenBand von Paule Anthony live im Studio eingespielte„Blues For Your Soul“ ist schlicht und einfach ein großartigesAlbum für Fans beider Richtungen.Wer bitte ist Frank Bey? Und warum ist dieser Sänger eigentlichbislang noch ein völliger Geheimtipp? Diese Frage kommt einemunwillkürlich in den Kopf, wenn man „Blues For Your Soul“ einlegt.Denn hier haben wir definitiv eines der besten Soul/Soulbluesalbendes Jahres 2013 vorliegen. Und man mag kaum glauben,dass erst im Februar eine breitere Öffentlichkeit auf diesenSänger aufmerksam wurde.Dabei ist der in Philadelphia wohnende Bey ist bereits 67 Jahre altund hat die übliche Karriere eines klassischen Soulsängers begonnen:Als Kind sang er Gospel, als Jugendlicher eröffnete er Showsfür seinen Freund Otis Redding - und dann verschwand er völligvom Radar, bis er zwischen 1996 und 2007 CDs unter eigenemNamen herausbrachte. Die konnten ihn aber auch nicht wirklichüber seine Heimatstadt hinaus bekannt machen. Dann allerdingswurde im Februar 2013 das erste Album von ihm mit der Bandvon Anthony Paule veröffentlicht, der Mitschnitt eines Auftrittsim „Biscuits & Blues“ von San Francisco. Und das wurde besondersbei Radio-DJs als absolut heiße Neuentdeckung weiterempfohlen.Und damit war der Weg frei für das erste Studioalbumdieser Kombination. Und das hat Songs, bei denen Bey manchmalgar wie eine Reinkarnation von Redding klingt. Die Banddazu klingt wenn nötig nach Memphis. Doch sie kann durchausauch deftigere Bluesfundamente legen oder einen Jam a la NewOrleans abziehen.Klar, dass dieser gewaltige Sänger im Zentrum steht. Doch beizwei Stücken (dem funkigen „Smokehouse“ und dem Instrumental„I Left My Heart In San Francisco“) verlässt Bey das Mikrophonund lässt Anthony Paule mit Gitarre und Gesang dasSpotlight. Und so ergibt sich ein in sich stimmiges wundervollesSoulalbum, das lediglich vier Coverversionen dafür aber siebenneue Songs (unter anderem von Christine Vitale) enthält.Raimund NitzscheHalf Deaf Clatch - A Road Less TravelledSeit drei Jahren ist der britische Songwriter und Gitarrist mit derBasecap und dem Schlachtklotz als Stampboard schon in der britischenBluesszene unterwegs. Sein neues Album „A Road LessTravelled“ erzählt im kargen Stil des Vorkriegsblues von den Erfahrungendieser Zeit.Die eh schon harten Zeiten werden immer härter. Es geht auchnicht immer nur um das Geld, es ist einfach nur so, dass dessenFehlen bis hinein in Beziehungen und Freundschaften seine Auswirkungenhat.Und das nicht nur für Bluesmen und andere Anhänger der brotlosenKünste. Aber gerade sie werden daher gebraucht, um dieErlebnisse zusammenzufassen und damit erträglicher auch für dieHörer zu machen.64© wasser-prawda


PlattenAusgerüstet mit einer Sammlung historischer Gitarren, einemBanjo und Liedern über die Suche nach Heimat, den nicht so oftbegangenen Straßen im Leben oder darüber, dass man manchmaleinfach nur noch Rot sieht, hat sich Half Deaf Clatch in seinHeimstudio zurückgezogen. Und im Ergebnis ist ein Album herausgekommen,das vor allem Freunde des akustischen Blues begeisterndürfte: Hier sind Lieder, die absolut ehrlich und zielgenausind. Und Gitarren und Stampboard entwickeln einen Sog, wieer heute in den Hügelregionen im Norden Mississippis vermutetwird. Man kann Half Deaf Clatch mit diesem Album wohl amehesten mit Musikern vom Schlage eines Reverend Peyton oderauch von Marshall Lawrence vergleichen. Aber das ist nur eineganz grobe Orientierungshilfe.Raimund NitzscheHenrik Freischlader - Night Train To BudapestWenn man Nachts mit dem Zug unterwegs ist durch die Lande,dann hat man definitiv Ruhe zum Nachdenken. Und so findensich auf „Night Train To Budapest“ nicht nur gradaus rockendeSongs sondern auch besinnliche Momente. Henrik Freischladerhat sein neuestes Werk mal wieder fast im Alleingang aufgenommenund produziert. Nur den Platz an der Orgel überließ er einemBandkollegen.Henrik Freischlader hat ein Problem: Überall wird er hauptsächlichin seiner auf jeden Fall großartigen Rolle als Bluesgitarristwahrgenommen. Dabei ist der Musiker wesentlich vielfältiger.Das merkt man, wenn man die Songs hört, die er für Musikerinnenwie Layla Zoe oder Tommy Schneller schreibt: Vom Rocküber Blues bis hin zum Soul reicht da die Bandbreite. Und seineeigenen Alben waren in den letzten Jahren ja auch eher dem heftigenGitarrenrock verpflichtet als einer traditionellen Bluesspielweise.Auch „Night Train To Budapest“ ist mehr ein Rockalbum als eineBluesscheibe. Klar, man hört das Erbe von Musikern wie PeterGreen, Jeff Healey oder Gary Moore in seinem Spiel. Doch ähnlichwie bei Anders Osborne wird auf diesem Album die Musikdem Song untergeordnet und nicht in ein enges Schema gepresst.So gibt es harten Gitarrenrock ebenso wie besinnliche Balladen,Riffattacken und Solos von seiner Gitarre, die einfach nur Spaßmachen.Thematisch kreisen die Gedanken Freischladers nicht nur um Beziehungenund die Frage, wie diese durch Verhaltensweisen aufsSpiel gesetzt werden können. Auch Fragen nach Geld, Status oderder Bereitschaft spielen eine Rolle. Im von funkigen Riffs getriebenenOpener „Point of View“ etwa geht es um die Frage, wiestark man an seinem Geld hängt und sich davon abhalten lässt,anderen zu helfen.„Night Train To Budapest“ hat mich in seiner Vielfältigkeit - undvor allem in seinen ruhigeren Momenten - aufs schönste überrascht.Das ist ein Album, das Rockfans ebenso empfohlen werdenkann wie Freunden guten Songwritings. Im Frühjahr 2014wird Freischlader - dann natürlich wieder mit ganzer Band - dasAlbum auf Tournee ausführlich vorstellen. (Cable Car Records)Raimund Nitzsche© wasser-prawda65


PlattenHilda Lamas - Love Me AloneVon der Sängerin einer Coverband zur Bluessängerin? Für HildaLamas aus dem Süden Texas waren nicht nur der Kirchenchor,Gospel und Motown Zwischenstationen auf ihrem Weg sonderneben auch die Musik der 80er Jahre, in denen sie aufwuchs. Nachdem 2009 veröffentlichten Debüt „Latina Soul“ ist „Love MeAlone“ das zweite Album der Sängerin.Ja, man kann auch im Jahre 2013 noch Bluesalben machen, diein Richtung Mainstream schielen. Ob man damit erfolgreich ist?Das hängt von der angebotenen Musik ebenso ab wie vom Fehlender Scheuklappen bei den Entscheidern in Radiosendern. „LoveMe Alone“ hätte auf jeden Fall Lieder, die den Ablauf eines ganzgewöhnlichen Radiosenders nicht stören sondern im Gegenteilbereichern würden.Auf „Latina Soul“ hatte Hilda Lamas noch Cover aus Blues,Rhythm & Blues und Soul aufgenommen und diese teils in Englischteils aber auch auf Spanisch gesungen. Ihr neues Album, fürdass sie sich die Lieder von befreundeten Songwritern neu hatschreiben lassen, verzichtet leider auf die spanische Sprache. Allerdingskommen die Latinwurzeln zumindest in Songs wie „NoMeaning“ zum Tragen.Insgesamt macht „Love Me Alone“ auf mich einen zwiespältigenEindruck. Da sind knallige und deutliche Songs („Take It Like AWoman“), es gibt schöne Bluesnummern („Bluesman In A ThreePiece Suite“). Doch dann finden sich Songs, die für mich zu sehrin Richtung des zeitgenössischen RnB tendieren und dementsprechendaller Ecken und Kanten beraubt sind. Hier verschenkt dieSängerin die Chance, sich als eigenständige Blues- und Soulqueenzu präsentieren und will zum Popsternchen werden.Für mich ein eindeutiger Schwachpunkt ist der andauernde Einsatzsynthetischer Keyboardklänge. An vielen Stellen würde ichmir für diese Lieder eine richtig fette Hornsection wünschen. Leiderkostet sowas natürlich Geld, was man als Bluessängerin nichtso leicht verdienen kann in diesen Zeiten.Nathan NörgelJake Bugg - Shangri LaVon der britischen Kleinstadt rein in die Glamour-Welt des Showbusiness:Innerhalb eines Jahres hat sich für den grad mal 19jährigenSongwriter ne Menge verändert. Und das kann man auch aufseinem zweiten Album „Shangri La“ hören, dass Rick Rubin mitJack Bugg in Malibu aufgenommen hat.Was für Vergleiche: Rock‘n‘Roll-Bieber nennt „Der Spiegel“-Rezensentden jungen Sänger. Und andere ziehen wegen des nöligenGesangs die Linie zu Liam Gallagher oder auch zu Dylan. Undman ist sich nicht einig, ob der für sein Debüt mit Auszeichnungenwie dem Brit Award oder dem Mercury Prize überhäufteSänger nun Heilsbringer oder Hanswurst ist.Dabei ist „Shangri La“ vor allem erst mal eines: Ein Album einesSängers. der nicht nur die Musik der 60er Jahre sondern auch aktuellereRockvarianten in Lieder zwischen Westcoast-Rock, Folkund Country gepackt hat. Und der dabei die Ereignisse des letztenJahres Revue passieren lässt. Dabei ist er mal wütend, mal melancholisch.Mal kommt der Punk durch in Stücken wie „Kingpin“oder dem wütenden „What Doesn‘t Kill You“. Oder Bugg machtden genervtem Rockabilly mit Medienabscheu in „There‘s A Beast66© wasser-prawda


PlattenAnd We All Feed It“. In „Me and You“ oder „Storm Passes Away“kommt eher die nachdenkliche Seite durch. Und die Musik erinnertdann am ehesten noch mal an Dylan.Aber seien wir ehrlich: Hier ist ein Songwriter zu hören, der seineeigentliche Stimme noch finden wird. Ein Heranwachsender, dersolch heftige Tragödien wie dem Zerbrechen der Beziehung miteinem Supermodel verkraften muss. Das ist noch nicht der Stofffür den nächsten Dylan. Aber „Shangri La“ ist darüber hinausauch einfach ein oft zupackendes und mitreißendes Album zwischenFolkrock-Revival und Country. (Island)Nathan NörgelJanet Ryan - Mama SoulRockig, groovend und voller Soul zelebriert Janet Ryan den Blues.Auf ihren neuen Album „Mama Soul“ kann man hören, dass sievon Koko Taylor ebensoviel gelernt hat wie von Etta James.Es geht gleich gut los: „He Burnt That Bridge“ knallt los undnimmt einen sofort gefangen in einer Musik, die fast atemlos davonstürmtmit Boogiepiano, deftiger Slide-Gitarre und fettemGebläse. Und dazu dann diese Sängerin: Warum lerne ich dieeigentlich erst jetzt kennen? Denn Janet Ryan ist an der Ostküsteder Vereinigten Staaten schon lange keine Unbekannte mehr.Man hört ihr an, dass sie ihr Handwerk in den kleinen Juke Jointsin Chicago gelernt hat, nicht in irgendwelchen schicken Nachtclubsoder Hotelbars: Sie geht heftig zur Sache, erzählt ihre Geschichtenohne Schnörkel und mit jeder Menge Humor.„Mama Soul“ ist - wenn man dem Internet Glauben schenkendarf - ein Spitzname, den ein Freund der Sängerin gegeben hat.Aber auch sonst ist das genau der passende Titel für dieses Album.Denn das ist genau die Mixtur aus Soul und Bluespower, mit derman mich sofort begeistern kann. Schön, dass der größte Teil derdreizehn Songs aus Ryans Feder und der ihrer jeweiligen Bandkollegenstammt. (Wenn ich richtig schaue, dann waren zwei verschiedeneBands beteiligt, eine aus Texas, eine von der Ostküste.)Und eine besondere Erwähnung verdient auch die Coverversiondes Albums: „Woman Be Wise“ von Sippie Wallace ist ein Lied,das damals wie heute genau auf den Punkt kommt.„Mama Soul“ ist eine dicke Empfehlung wert! Frauenpower imBlues mit guten Songs!Raimund NitzscheJohnny Rawls - Remembering O.V.In den 70er Jahren war Johnny Rawls Gitarrist und Bandchef desSoulsängers O.V. Wright. Mit seinem neuen Album setzt er demMentor und Freund ein Denkmal - und hat gleichzeitig eines derschönsten Southern-Soulalben des Jahres 2013 geschaffen.O.V. Wright war als Soulsänger nicht so erfolgreich wie etwa SolomonBurke oder Wilson Pickett, die gleichzeitig mit ihm aufder Szene auftauchten. Doch sein einzigartiger Gesangsstil, derLeidenschaft und Schmerz ebenso verbinden konnte wie denSound der Kirche mit dem der Spelunke, ist noch heute absolutumwerfend und wurde kaum je wieder getroffen. Doch über denStatus einer regionalen Legende kam er nie hinaus. 1980 starb erim Alter von 41 Jahren. Und schon lange hatten Leute versucht,Johnny Rawls zu einem Tribut-Album zu überreden.© wasser-prawda67


PlattenUnd wie „Remembering O.V.“ gemacht wurde, ist genau die Art,sowas zu tun: Man nehme eine Band, die die Energie und Leidenschaftdes Souls rüberbringen kann. Catfood Records hat dafürdie passenden Leute unter Vertrag (inklusive Horn Sectionund Background Chor). Hinzu kommt eine Songauswahl, diezwischen Liebesschmerz und Party, zwischen Besinnlichkeit undHumor alles beinhaltet. Und dazu dann noch ein Sänger, demman diese Musik in jeder Sekunde auch glauben kann. JohnnyRawls ist so einer. Und er hat für drei Songs mit Otis Clay nocheinen zweiten Sänger geholt, der das auf ganz andere Weise ebenfallsverkörpert.Das ist ein ganz altmodisches Soul-Album. Und genau das machtes zu so einer Kostbarkeit.Nathan NörgelMark Harrison - Crooked SmileSeine Vorbilder kommen aus dem Delta ebenso wie von der amerikanischenOstküste. Doch die Geschichten, die Mark Harrisonauf seinem zweiten Album „Crooked Smile“ erzählt, sind Geschichtenaus dem Großbritannien des 21. Jahrhunderts.Darren Weale hat in seinem neuesten Brief aus dem VereinigtenKönigreich eine für meine Begriffe absolut nötige Aussagegetroffen: Genrebezeichnungen sind ein Haufen Mist! Wichtigist, dass Musiker aus vollem Herzen spielen und die Hörer ihreScheuklappen ablegen. Nur dann kann man wirklich von Kunstsprechen. Nur dann berührt Musik und plätschert nicht an unsvorbei. Wenn man „Crooked Smile“ unter Genre-Bezeichnungenfassen würde, könnte man sagen: Traditioneller Blues trifft aufebenso traditionellen Folk, Piedmont-Ragtime zu Songs, die anden jungen Dylan im Folk-Revival gemahnen. Retro also. Aberdamit ist mal wieder gar nichts gesagt über die Schönheit dieserLieder, über die Geschichten, die Harrison erzählt.Und die sind es, die „Crooked Smile“ zu einer echten Empfehlungmachen. Ob es um die Auseinandersetzung zwischen Alt undJung und ihren Vorstellungen vom Leben geht oder die Gefahrendes Alkohols, ob die Erfahrungen gelingenden Lebens oder dieewige Rastlosigkeit: Harrison erzählt eindringlich und gleichzeitigso relaxt, dass man sich treiben lassen kann in diesen wunderschönenMelodien und Erzählungen.Nathan NörgelMark Pocket Goldberg - Off The WireBeatnik-Blues nennt ein Kritiker die Musik des kanadischenSongwriters Mark Pocket Goldberg. Sein aktuelles Album „OffThe Wire“ könnte man genausogut als gelungene Kreuzung zwischenfrühem Tom Waits und Akustikblues betrachten.Goldberg stand schon in den Bands von Mick Fleetwood, WillieDixon oder Screamin Jay Hawkins auf der Bühne. Und selbstJoe Bonamassa hat den Bassisten für einige Projekte angeheuert.Doch seine eigene Musik auf „Off The Wire“ ist meilenweit entferntvon großspurigem Bluesrock oder Theatralik. Hier erzählteiner seine Geschichten am Thresen einer Kneipe oder eines vergessenenCafés. Und wie bei Kneipengesprächen üblich geht eshier um alles: um gebrochene und geheilte Herzen ebenso wie umdie große Politik, um philosophische Weisheiten und Stories von68© wasser-prawda


Plattenunterwegs. Und die Band liefert dazu eine exzellente Begleitungzwischen Blues, Americana und Cabaret.„Off The Wire“: Intensiv und überraschend, voller Herz und mitGeschichten die ohne Klischees auskommen. Wieder einen Musikerentdeckt, den man auf der Liste behalten muss!Raimund NitzscheMarkus Rill - Late Night DriveEigentlich hatte Markus Rill ein einfaches Soloalbum machenwollen. Es gab Songs, die nicht zur Bandbesetzung passten, dieman im Februar 2013 auf „My Rocket Ship“ hören konnte, die erallein mit seiner Gitarre einspielen wollte. Herausgekommen ist -dank einiger Freunde ein Album voller akustischer Songs für diespäten Abendstunden irgendwo auf Deutschlands Straßen. Odereinfach für den Abend allein am Kamin.Spät nachts unterwegs am Sonntag - es waren die melancholischstenZugfahrten, die man sich vorstellen kann damals währenddes Studiums. Beim Einsteigen überall Abschiedsschmerz amBahnsteig. Und kurze Zeit später bei denen, die zurück in dieKasernen mussten, wütende Besäufnisse. Nur schwer kam manins Schlafen. Zerschlagen und steif stand man dann montags gegensieben Uhr auf dem Bahnhof. - Daran wurde ich sofort erinnert,als Markus Rills neues Album mit dem „Late Night SundayDrive“ losging. Die Stimmung bei nächtlichen Autofahrten sindähnlich, nur viel einsamer.Ähnlich melancholisch geht dieses meist akustische Songwriteralbumweiter: Rill singt über die modernen Märchen in dieserWelt, zerbrochene Puppen und das Gefühl zwischen Wachenund Schlafen, wo sich die Grenzen zwischen Traum und Realitätimmer wieder überlappen. Der Name ist Programm beidiesem Album - und wer sich auf dieses Album einlässt, hat einenwundervollen akustischen Begleiter für die Nacht allein gefunden.Kaufen kann man das Album direkt beim Künstler oder als<strong>Download</strong> auf seiner bandcamp-Seite.Nathan NörgelPaul Carrack - Rain Or ShineBei Soloalben von Paul Carrack kann man nicht ganz sicher sein,was für Musik der Sänger gerade auf dem Schirm hat. „ComeRain Or Shine“ ist ein großorchestrales Soulalbum des Croonersgeworden.Es werde Bombast! Fast gleichzeitig sind zwei Alben des SängersPaul Carrack auf den Markt gekommen. Und bei beiden frönt derSänger dem Hang zu ganz großer Begleitung. Mit Bigband-Soundund meist swingenden Rhythmen liefert er ein Weihnachtsalbumab (Rezension s. unter Weichnachtsalben). Und auch für „Rainor Shine“ hat er alles von Streichern über eine fette Hammondorgelbis hin zur Hornsection aufgeboten. Herausgekommen ist einAlbum, das irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein scheint: Dasist hier kein heftiger und funkiger Retro-Soul sondern eigentlichein klassisches Entertainer-Album so etwa aus den 70er Jahrendes letzten Jahrhunderts. Ob Carrack nun Klassiker wie „HardTimes“ von Ray Charles und „If Loving You Is Wrong“ (LutherIngram) interpretiert oder eigene Stücke anstimmt: Das ist Unterhaltungsmusikfür die Familienshow am Samstagabend mit jederMenge Soul.© wasser-prawda69


PlattenCarrack scheint hier hörbar in seinem Element zu sein und erliegtniemals der Versuchung, etwa als billige Kopie von Musikern wieFrank Sinatra, Dean Martin oder anderen zu erscheinen. Alle Liederwerden von seiner eigenen und ziemlich unverwechselbarenStimme getragen. Und wer Breitwand-Soul mag, der sollte unbedingtzugreifen. Für Funkfans ist die Scheibe eher eine herbeEnttäuschung.Nathan NörgelRick Franklin & Tom Mindte - Dancing With MyBabyMan nehme einen Mandolinespieler, der sonst eher für Bluegrassbekannt ist (Tom Mindte) und einen Bluesgitarristen von der Ostküste(Rick Franklin). Wenn diese sich dann einen Stapel Songszwischen Gospel, Blues und Bluegrass vornehmen bekommt maneine äußerst unterhaltsame Lehrstunde nicht nur in Sachen Piedmontblues.Es gibt Lieder, die kann man nicht kaputt spielen. Sie haben so vielKraft in sich, dass sie noch jede Misshandlung überstehen. Undwenn sich die richtigen Musiker ihrer annehmen, dann beginnensie zu strahlen und sprechen über Zeiten und Sprachgrenzen hinweg.„I‘ll Fly Away“ ist so ein Lied, das nicht nur die Sehnsuchtder Sklaven nach der Freiheit oder der Traurigen auf ein fröhlichesLeben nach dem Tod ausdrücken kann sondern einem auchim alltäglichen Leben Flügel verleihen kann. Auf „Dancing WithMy Baby“ sind noch mehr derartige Perlen der Musikgeschichtezu hören: Ob nun das unverwüstliche „You Are My Sunshine“oder „In The Jailhouse Now“, ob „Goodnight Irene“ oder „TheRiver of Jordan“: Bei Franklin & Mindte verschmelzen Blues undBluegrass zu der Einheit, die die Stile ursprünglich mal hatten.Und herauskommt ein Album, das man getrost als musikalischeArznei gegen Depressionen oder sonstige Anfälle von Blues verschreibenkann. (cdbaby)Raimund NitzscheRoyal Southern Brotherhood - Songs from the Road(Live In Germany)Da hat uns Tom Ruf ja gerade noch rechtzeitig einen Weihnachtswunscherfüllt. Zufall oder nicht, die neue Live-CD derRoyal Southern Brotherhood (RSB) kommt exakt zum richtigenZeitpunkt.Eigentlich hätte ich sie mir schon letztes Jahr gewünscht. Aufgezeichnetwurde das Konzert in der Harmonie Bonn am 24. Oktober2012 – und lief schon einige Male im WDR Rockpalast.Inzwischen hat die Band eine weitere Deutschland Tour absolviert;ich hatte das außerordentliche Vergnügen, die letzte Showder Tour am 23.11.2013 in der Blues Garage Isernhagen mitzuerleben.Der Club ausverkauft, die Stimmung toll, der Jubel groß –ein Abend den sowohl die Band als auch die Fans gefeiert haben.RSB das sind Cyril Neville (Gesang, Percussion), Devon Allman(Gesang, Gitarre), Mike Zito (Gesang, Gitarre), Yonrico Scott(Schlagzeug) und Charlie Wooton (Bass). Wer sich ein wenig imBlues- und Rockgenre auskennt, für den läuten bei dieser Besetzungsämtliche Glocken. Cyril Neville, die lebendige (und wie!)70© wasser-prawda


PlattenNew Orleans Legende, der seit Jahrzehnten mit den Neville Brothersszenebestimmend ist; Devon Allman, dem auf Grund seinerHerkunft und seines Aufwachsens unter Ausnahmemusikernwohl nichts anderes übrig blieb als selbst ein solcher zu werden;Mike Zito der Gitarrenvirtuose und Slidemaster aus Texas; YonricoScott, langjähriges Mitglied der Derek Trucks und AllmanBrothers Band und Charlie Wooton ein herausragender Bassistüber den wenig zu erfahren ist.Mit anderen Worten: Der Southernrock der Allman Brotherstrifft auf Funky New Orleans und straighten, knackigen TexasSound. Die Musiker geben alles, sie bilden eine perfekte Einheit,lassen einander den jeweils gewünschten Raum zur Entfaltungund unterstützen sich prächtig. Hier stehen keine Diven auf derBühne die sich gegen ihre Bandkollegen beweisen und durchsetzenmüssen, hier stehen gestandene Musiker, die sich ihrer Qualitätenbewußt sind und wissen, daß sie gemeinsam noch stärkerwerden. Das nenne ich dann eine Supergroup. Gemeinhin bin ichnach vielen Jahren mit sogenannten Supergroups sehr vorsichtigim Gebrauch des Begriffs geworden, bei RSB stehe ich dazu.Auf der CD sind übrigens auch Songs zu hören. Die meisten kennenwir von der der Studio CD „Royal Southern Brotherhood“.Der Opener „Fired Up“, „Moonlight over the Mississippi“, „NewHorizons“ sind (werdende) Klassiker und bringen Bewegung indes Zuhörers Körper. Die Zugabe „Gimme Shelter“ zieht auchnoch einmal alle Register und die restlichen Songs sind nichtminder gut. Die beiliegende Konzert DVD hat Rock Palast BildundSoundqualität – mireißend.Also mein Weihnachtstip für die Blueser und Rock Fans: dieseCD gehört anstelle der goldenen Glasspitze ganz oben auf denBaum (dann aber ganz schnell in den CD- oder DVD-Spieler).Übrigens auch wenn die Burschen sind, das sind primaTypen mit denen man nach dem Konzert ganz unverkrampftklönen kann! (Ruf/in-akustik)Bernd KreikmannSandy Carroll - Unnaturally BlondeJa, Humor gehört unbedingt in die Musik Herr Zappa! Und seies ein versteckter Humor wie in den Liedern auf Sandy Carrolsneuem Album „Unnaturally Blonde“.Wenn wo ein Album als Album für Frauen bezeichnet wird, werdeich sofort misstrauisch. Für kämpferische Schwanz-Ab-Frauen-sind-sowieso-die-besseren-Menschen-Liederhab ich absolutnichts übrig. Und auch nicht für tiefe und eingängige Selbstbespiegelungen,wie sie sensible Frauen und Männer, die sich alsSinger/Songwriter verkaufen, gerne auf ihre Alben packen. Spaßmuss sein. Spaß von der Sorte, die sich selbst nicht zu ernst nimmt,Spaß von der Sorte, der die einzige Alternative zum Heulen oderKotzen beim Blick auf die Welt ist: Willkommen bei Sandy Carrol.Die Songwriterin verkauft sich zwar auf ihrer Seite bei cdbabyals „Singer-Songwriter for Women and Men Who LoveThem“. Aber schon der Titelsong ihres Albums passt nicht in dieSchublade sondern zieht gar amüsant vom Leder. Auch bei „I GotYou“ oder „Superman Blues“ macht der Humor neben gehörigenPortionen Bluesrock den Reiz der Lieder aus. Letzteres ist etwaeine Abrechnung mit der Selbstüberschätzung des Partners ohnewirklich den abgehobenen Typen zu verletzen. Musikalisch ist bei© wasser-prawda71


PlattenCarrol zwischen akustischem Folkbluespop bis zu kratzbürstigemBluesrock ne Menge zu finden. Nur eines nicht: Songwritertumvon der Stange. Und das ist auch gut so!Nathan NörgelThe Henry Girls - December MoonIrish Folk trifft Country: The Henry Girls (die Schwestern Karen,Lorna und Joleen McLaughlin) verbinden beides zu einer betörendenMixtur, die vor allem durch den Satzgesang der Schwesternsofort im Ohr bleibt.Kann man Musik anhören, ob hier Familienmitglieder gemeinsamim Studio waren? Die Henry Girls, die sich nach ihrem Großvaterbenannt haben, machen schon seit zehn Jahren gemeinsam Musik.Und zumindest das hört man sofort: Mit traumhafen Harmonienerwecken sie auf „December Moon“ die Vorstellung imKopf, man wohne hier einem Konzert im eigenen Wohnzimmerbei. Oder aber einer Session von Katzenjammer, die beschlossenhaben, dem Rock abzuschwören. Denn ähnlich wie die Norwegerinnensind die Schwestern auf zahllosen Instrumenten firm undspielen Harfe, Banjo, Fiddle, Bodhran, Viola, Akkoredon, Gitarreund Mandoline. Hinzu kommen auf dem Album auch noch einigeGäste, die auf den genannten Instrumenten aushelfen, oderaber Bass, Schlagzeug oder solch exotische Teile wie die afrikanischeKora.Die Lieder (bis auf das von Elvis Costello verfasste und völligohne Punkattitüde dargebotene Watching the Detectives“) stammenvon der Band oder deren Umfeld. Und die vermischen völligeinleuchtend die Folkmusik Irlands mit Bluegrass, mit Country,mit Pop - und sogar mit Swing. Und dann hören sie sich zeitweisegar wie die Andrews Sisters auf Ferienreise an.„December Moon“, in Europa schon zum Frühjahrsanfang veröffentlicht,ist so richtig das Album für den Winteranfang: Besinnlich,fröhlich, mitreißend und absolut kitschfrei. Man könntees sogar als die Alternative zu sämtlichen Weihnachtsalben verschenken.Raimund NitzscheThe High Bar Gang - Lost & Undone. A Gospel BluegrassCompanionAuf ihrem Debütalbum widmet sich die kanadische High BarGang ganz den traditionellen Gospelsongs, wie sie eigentlich vonden Stanley Brothers oder Bill Monroe bekannt gemacht wurden.Für heutige Hörer allerdings ist diese Musik untrennbar mit demwundervollen Soundtrack von „O Brother Where Art Thou“ verbunden,der das heutige Interesse am traditionellen Bluegrass erstwieder ins Bewusstsein gehoben hat.Es sind die wie schwerelos dahinschwebenden Vokalharmonien,für die die High Bar Gang in ihrer Heimat bekannt gewordensind. Shari Ulrich, Angela Harris, Wendy Bird und Barney Bentallhaben den Sound der Zeit vor der Erfindung des Begriffs Popmusikscheinbar komplett verinnerlicht. Ihre Interpretationen vonKlassikern wie „Over In The Gloryland“, „I Saw The Light“ oder„Sinners You Better Get Ready“ sind in ihrer Leichtigkeit faszinierendund in ihrer Innbrunst ansteckend. Dazu trägt natürlichauch eine äußerst spielfreudige Band (Rob Becker - b; Colin Nair-72© wasser-prawda


Plattenne - g und Eric Reed - bj, mandolin, dobro) bei. Aufgenommenwurde dieser Bluegrass-Gottesdienst live und in Mono im Wohnzimmervon Barney Bentall. Und das dürfte die beste Art sein,um diese Band wirklich in all ihrer Schönheit einzufangen.Raimund NitzscheTony Joe White - HoodooStellt euch vor, ihr sitzt in einem Schaukelstuhl auf einer typischenSüdstaatenveranda, habt den Sonnenuntergang vor Augen,Mückenschwärme tanzen ums Licht, und „Hoodoo“ kommt mitgedämpfter Lautstärke aus den Boxen. Ein Glas von eurem Lieblingsgetränk(nehmt einen Bourbon, wer will kann auch ein GlasMilch nehmen) und wer mag, raucht sich noch eine. Das sinddie idealen Bedingungen für das neue Tony Joe White Album.Der rechte Fuß fängt an zu wippen, und hört bis zum letzten Tonnicht mehr auf! Schlagender Takt, man könnte auch sagen Beat,dazu eine prägnant eingesetzte Gitarre, spärliche Harptöne undTonys Stimme, all das gibt den Songs von Tony Joe White dasgewisse Etwas, alles mit einer schwermütigen Leichtigkeit. Washören wir nun auf dieser CD? Blues? - Die Fachwelt spricht vonSwamprock. Was ist das denn nun wieder? Wikepedia sagt es istSüdstaatenmusik, die die Elemente Blues, Rock Folk, Countryund Cajun-Musik miteinander verknüpft. Cajun-Musik ist traditionelleMusik der Einwanderer in Louisiana. Nachdem wir dasgeklärt heben, können wir die Musik nun geniessen. Das solltejeder tun. Übrigens, die Scheibe kann man stundenlang im Wiederholmoduslaufen lassen, ohne das es langweilig wird.Matthias SchneiderZoe Schwarz Blue Commoon - The Blues Don‘tScare MeDie Bluesszene in Großbritannien ist momentan wirklich nichtarm an großartigen Sängerinnen. Neben Jo Harman, Becky Tate(Babajack), Dani Wilde oder Helen Turner (Bare Bones BoogieBand) hat sich Zoe Schwarz mit ihrer Band Blue Commotion inder letzten Zeit zu Recht gehörige Aufmerksamkeit erspielt. So istauch das zweite Album der Gruppe „The Blues Don‘t Scare Me“ein rundum empfehlenswertes Album.Man kann es eigentlich nicht oft genug wiederholen: Ohne guteSongs gibt es kein gutes Album, egal wie gut man singen oderspielen kann. Das ist eine Regel, die Zoe Schwarz und GitarristRob Koral, die für einen großen Teil des Songwritings auf „TheBlues Don‘t Scare Me“ verantwortlich sind, verinnerlicht habendürften. Denn Lieder wie der Titelsong, das wundervoll rotzige„Liberated Woman“ oder der langsam eine immer größere Spannungaufbauende Opener „I Believe In You“ sind einfach großartigeLieder.Die Musik dazu ist immer bluesig. Ab und zu kommt ein wenigJazzfeeling hinzu. Den Musikern hört man die jahrzehntelangePraxis in den verschiedensten Kombinationen an. Herausragendneben der Gitarre Korals vor allem die scharf dazwischen funkendeHarp von Si Genaro oder die von Paul Whittaker gespielteHammond. Und natürlich diese faszinierend wandlungsfähigeStimme von Zoe Schwarz. Großartiges Album!Nathan Nörgel© wasser-prawda73


SprachraumUwe SaegerFaust JuniorRomanUwe SaegerUwe Saeger wurde 1948 inUeckermünde geboren, studiertePädagogik in Greifswaldund arbeitete sechs Jahrelang als Lehrer für Körpererziehungund Geographie.Seit 1976 ist er freiberuflicherSchriftsteller.Seitdem wurden von ihmzahlreiche Erzählungen, Romane,Drehbücher, Hörspielesowie Beiträge in Anthologienund Zeitschriften veröffentlicht.Für sein Schaffen wurdeer mehrfach ausgezeichnet –u.a. mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis(1987) sowie demAdolf-Grimme-Preis für seinDrehbuch „Landschaft mitDornen“ (1993).Faust Junior. Romanfreiraum-verlag 2014VÖ: 10.03.2014Hardcover, ca. 550 SeitenPreis: 24,95 EUR (D)ISBN: 978-3-943672-35-0Uwe Saeger - Faust JuniorIDer Weg ist das Ziel.So was denkt nur einer und bringt’s unter die Leute, der nie unterwegswar. Am Ziel legst du die Füße hoch und lässt mehr alsalle fünfe gerade sein. Und wenn du’s noch bringst, lässt du auchdie Puppen tanzen und pfeifst auf Gott, die Kanzlerin und dieschöne Nachbarin. Du bist angekommen und wer das von sichsagen kann, ist fürs Erste am Limit. Aber bist du unterwegs, brennendir die Sohlen, irgendwas ist stets am Jucken und du musst,egal ob mit oder ohne was auf’m Kopp, immer und überall aufder Hut sein, denn wer unterwegs ist, ist Beute und Freibeuter ineinem, steht mit einem Bein im Grab und mit dem andern imHimmel. Es wird also Tag und Nacht gewandert wie auf MessersSchneide, heimatlos ohne Hinterland und immer nur’s Strohfeuerkrauser Hoffnungen unterm Arsch. Auf ein Bett im Kornfeldzum Beispiel und dass die ewige Schlange samt Apfel sich zu ei-74© wasser-prawda


Sprachraumnem legt und’s Erkennen dich überfällt wie der Sturm, der Eschenfällt.So ging’s eine Zeit und so ging ich. Mutters Segen hatte ich nicht.Und um mich zu verfluchen, reichte es nicht, denn es war dochErleichterung genug, dass sie mich aus’m Haus bekam und derZoff mit mir endlich ein Ende hatte, weil ich nichts und nie wasrichtig auf die Reihe bekam und dazu jedem ihrer sich unauffälligerneuernden Beschäler mit meiner Duselei nach dem Sinn des Lebens,und ob der in meiner Mutter zu finden sei, auf den Zünderpoppte.Wie’s ihre Geschichte verlangte, machte sie es nie mit einem,der nicht wenigstens für einen König gehalten werden konnte,gleich in oder auf welchem Mantel er daherkam. Für den erklärtesie mich dann als ihr kleines Missgeschick, ein Satansbratenals Kuckucksei sozusagen, das ihr passierte, als sie’s längst nichtmehr für möglich gehalten hatte, dass ihrer hymnisch wie phallischausstrapazierten Büchse, das ist so krud wie treffend gesagt,noch was einzupflanzen wäre. Aber jener Typ, ein Bild von einemMann – dieses Bild zu beschreiben, unterfand sie sich nie, wiesie’s auch versuchte, es fielen ihr die Worte –, der’s ihr mit einerwahrhaft teuflischen Rute in einer unheimlichen Nacht besorgthatte, sodass sie mich austragen musste und kein Krötensaft odersatanischer Fluch mich abtrieb, so, als hätte eine höhere Macht ihreHand über mich gehalten, der blieb ihr als Stachel im Fleisch.Dieses Kind ist mein Kreuz, sagte meine Mutter oft, wenn ichwieder einmal als missratener Sohn anstellig geworden war undGott allein wusste, warum. Überhaupt war Gott auf alles ihreAusrede. Dabei zweifle ich, dass sie nur irgendwas wusste vonihm. Gott war ihr Sündenbock und Mülleimer. Und der ultimativeHöhepunkt unserer Mutter-Sohn-Beziehung war es, wenn siesagte, einmal nur, Justus, mein Sohn, möchte ich dich gottgefälligerleben, einmal nur erleben, dass du das Leben anpackst undwas machst aus dir! Und ich antwortete ihr dann, es sei dir gewünscht,Helena, Mutter, aber dazu bedarf’s einen andern Sohn,ich bin aufs Verlorensein in der Welt. Dann konnt’s geschehenund es geschah, dass wir uns aneinander lehnten, Kopf an Kopfund Herz an Herz, und schwiegen, weil uns ein gleiches Wehfüllte und die Gewissheit, dass sie wie ich eines andern bedurften,um auf uns selbst zu kommen, dass unser letzter Grund nicht inuns selbst zu finden war.Zumeist lag dann einige Nächte später eine andere Hoheit bei ihrund ihre Katzen und ich hatten uns wieder einmal an ein neuesAfter Shave, andere mannestypische Schnarchlaute und weitereKörpergeräusche zu gewöhnen.Aber beim letzten Mal war’s anders. Der Kerl polterte noch vordem Frühstück in voller Rüstung in der Wohnung herum. DieKatzen beförderte er mit Fußtritten auf den Balkon, dabei rief ermeiner Mutter zu, dass er den Kaffee mit Milch und viel Zuckerwolle und er auch den Junior an den Tisch holen täte. Da stander schon in der Tür zu meinem Zimmer und schnüffelte wie einerschnüffelt, der’s Gras wachsen hört oder riecht und kommandierte:„Raus aus der Molle!“ Er riss das Fenster auf. „Wasch dich!“,rief er, „und das war dein letzter Joint in diesen Räumen, solangeich hier das Sagen habe!“ Er machte eine gymnastische Übungvor dem Fenster, so komisch, dass ich gelacht hätte, wenn mirnicht so elend gewesen wäre. „Wenn du kotzt“, schnauzte er michZu den IllustrationenDie Malerin und GrafikerinMargret Hofheinz-Döring(1910-1984) hat sich Zeit ihresLebens immer wieder mit derFigur des Faust beschäftigt,Insbesondere zu GoethersTragödie entstanden im Laufeder Jahre zahlreiche Gemälde,Aquarelle und Linolschnitte.Zauberpferde (Öl, 1972)Trödelhexe (Öl, 1964)Faust und Schüler (Mischtechnik,1960)Mephisto und Hexe (Aquarellund Tusche, 1960)Gretchen im Kerker (Linolschnitt,1964)© wasser-prawda75


Sprachrauman, „servier ich’s dir zum Frühstück.“ Er stieß die leere Ginflascheunter mein Bett. „In zehn Minuten bei Tisch“, dröhnte er. „Unddas sei auch gesagt: Unpünktlichkeiten machen mich krank undich hasse es, krank zu sein. Haben wir uns verstanden?“ Ich musstehusten. „Haben wir uns verstanden?“, wiederholte er. Und ichsah, dass seine ohnehin imposante Statur sich aufblähte, als wollesie ganz in den Türrahmen passen.„Sehr wohl, Hoheit“, stotterte ich. „Ihr habt laut genug gesprochenund scharf genug gebellt!“„Auch Spott macht mich krank“, sagte er. „Also, deine Spiele sindausgespielt.“Und so war’s.Ich saß pünktlich und in absoluter Rekordzeit am Tisch. MeineMutter füllte der Hoheit Milch und viel Zucker in den Kaffee.Er halbierte das gekochte Ei mit einem Messerkick. Mich schauderte.Er sah’s und grinste. „Musste dich dran gewöhnen“, sagteer. Er grinste das gleiche Grinsen zu meiner Mutter. „Oder dugewöhnst dich nicht und …“ Er machte eine Geste, die wohl„Hinaus“ bedeuten sollte. Meine Mutter blickte auf den Tisch.Auch jetzt noch hatte sie Schönheit, einen Glanz, der nicht zubeschreiben war. „Das ist Eberhardt“, sagte meine Mutter. „Undes ist was Ernstes mit ihm.“Es war bitterer Ernst. Am nächsten Tag verließ ich das, was EberhardtRäume genannt hatte. Ich packte etwas Wäsche zusammen,steckte die restlichen Joints ein, hängte mir die Gitarre über undsagte Adieu. Eberhardt stand in Boxershorts und Sportsocken inder Küche und winkte nur kurz, ließ sich nicht ablenken von seinenTrockenübungen, die Waffe aus dem Hüfthalfter zu ziehen,sie in Anschlag zu bringen und einen imaginären, doch gezieltenSchuss anzubringen, denn Eberhardt war Polizist und wollteauf den äußersten aller möglichen Fälle bestmöglichst vorbereitetsein. Ich verkniff mir ein „Peng“, denn es wäre Spott gewesen unddas machte Eberhardt krank. Und kranke Polizisten gab’s schongenug.Meine Mutter kam zur Tür, wagte sich aber nicht ganz hinaus zumir. „Wo willst du denn hin?“, fragte sie. Ich hatte sie am drittenTag mit einem neuen König schon entspannter und schöner,überhaupt glücklicher gesehen. Ihre Hand mit der Zigarette zitterteund sie hielt den Kopf so, als könne jeden Augenblick einvon Eberhardt geworfener Latschen sie treffen. „Das kann dochnoch werden mit euch“, sagte sie. „Er ist doch jünger als ich undhat noch nie mit Kindern zusammengelebt. Ich hab Angst umdich.“Ich berührte mit meiner Stirn die Stirn meiner Mutter. „Ich binnicht dumm“, sagte ich. „Ich hab das Abitur, zwei abgebrocheneStudien und zwei tolle chaotische Beziehungen hinter mir, alsoich weiß, was Liebe ist und auch sonst was vom Leben.“„Aber du weißt doch gar nicht, was du willst!“ Meine Mutter Helenaschnippte die Asche von der Zigarette auf den Boden, blickteschnell hinter sich. Von Eberhardt war nur Keuchen und Schnaufenzu hören, wahrscheinlich liegestützte er sich auf Dienstniveau.„Nach wem bist du nur geraten?“, fragte meine Mutter. „Ich habemich nie treiben lassen im Leben, nie, auch wenn es so ausgesehenhaben mag.“ Meine Mutter trat nun zu mir hinaus auf den Flur,zog die Tür hinter sich zu. „Sogar, als ich entführt worden bin,habe ich es im Griff gehabt, was lief und wie.“76© wasser-prawda


Sprachraum© wasser-prawda77


Sprachraum„Ja, Mama“, sagte ich, „es ist ja auch nicht schwer, einen Kerl beider vorderen Leine zu nehmen und hossa springt der Bulle.“„Justus“, zischte meine Mutter. „Wenn das Eberhardt hört, dassdu ihn Bulle nennst. Er hält’s für einen Beruf, was er tut.“„Erkannt zu werden, macht selten glücklich“, sagte ich unddrückte meine Lippen auf die Stirn meiner Mutter. Sie schmecktenach mindestens nach sieben der tausend Dosen, die sie für ihreKörperpflege überall in der Wohnung deponiert hatte. „Hab noch’ne gute Zeit, Mama.“„Du solltest nicht versuchen, deinen Vater zu finden.“ MeineMutter blickte mir in die Augen. „Er ist heute bestimmt ein sehralter Mann, falls er überhaupt noch am Leben ist, und er wird dirnicht das bedeuten können, was du dir von ihm versprichst.“„Ich habe mir fünfundzwanzig Jahre lang nichts von meinem Vaterversprochen“, sagte ich. „Mein Vater ist ’ne Dimension ohneKoordinaten, ein leeres Bild, ein Versprechen ohne Worte, eineDrohung, die statt Furcht nur Lachen macht, ein Lachen, das wieStacheldraht durch die Kehle geht, das …“Meine Mutter fasste mich so fest und heiß am Arm, als hätte sieden Mann in mir zu rühren. „Ich weiß, dass dir ein richtiger Vaterimmer gefehlt hat. Und wenn’s meine Schuld ist, dann trage ichsie. Aber es kann keiner aus der Bahn, wenn’s ihm denn einmalper Verschriftlichung vorgegeben ist. Auch du wirst es noch erfahren.“Von drinnen rief Eberhardt: „Helene! Wo bleibst du, Helenchen?“„Ich heiße Helena“, grollte meine Mutter. „Und wenn er’s nichtbald begreift …“„Adieu, Mutter“, sagte ich. Hier war’s nun wirklich nicht mehrzum Aushalten, wenn’s mit den Namen schon verquerging, wiekönnt’s dann mit den Herzen überein sein? Und mein Herz war’s,das ich spürte so plötzlich und heiß und wild wie noch nie, so,als würde es mir voraus springen, wenn ich ihm nicht gleich denWeg freigab. „Sei stark, Helena“, sagte ich, „und sei’s nur Helenaswegen.“Meine Mutter starrte mich an. „Das“, stotterte sie und zog ander ausgeglühten Zigarette, „das träumte ich in der Nacht, als ichwusste, dass ich mit dir schwanger war, ich träumte, dass deinVater mir sagte, sei stark! Aber dein Vater, so wie ich ihn kannte,Justus, hatte eine brennende, lodernde Seele, aber sein Fleisch warkalt. Er liebte wie eine Maschine. Er hatte mich und damit war’sdann genug für ihn. Vielleicht wollte er auch nur wissen, wie’s istmit mir, mit Helena, der Frau, um deren Schönheit beinahe dieWelt untergegangen wäre. Vielleicht glaubte er, in mir sein Glückzu finden und weiß bis heute nicht, dass man’s zuallererst in sichselbst begründen muss? Justus!“ Meine Mutter nahm mein Gesichtzwischen ihre beiden Hände, schüttelte mich. „Dein Vater,Justus, wird dich nicht lieben, weil er’s nicht kann, weil wer sobrennt innen wie er, der muss seine Liebe darauf richten, nicht zuverbrennen.“„Helene!“, rief Eberhardt nun lauter. „Ich muss in drei Stundenzum Dienst und ich hab noch was vor mit dir, Helene.“Meine Mutter wischte ihre feuchte Nase über meine Wangen.„Viel Glück, mein Sohn“, schluchzte sie. „Und vergiss nicht, wasich dir gesagt habe.“Meine Mutter huschte zurück in die Räume. Ich habe sie fürlange Zeit nicht wiedergesehen, habe nie von ihr gehört, dass sie78© wasser-prawda


Sprachraumnoch eine Gegenwart gehabt hätte, nachdem ich sie verlassen hatte.Und der Geschmack von ihrer Haut verschwand mit dem drittenTequila von meiner Zunge.Da saß ich in einer Bar. In einer andern Stadt. Es ging auf dieNacht zu. Wenige Gäste. Ich schob Frust. Die Süße hinterm Tresengab schon mal den einen oder andern Blick zurück, doch daswar mehr fürs Geschäft als für ’ne Anbändelei, das roch ich. Aberdie Scheiben, die sie abspielte, waren richtig gut, bluesiger Sound;ich konnte mich wegdenken, hin unter die Sonne irgendwo, mitgenug Kies in den Taschen und Puppen dazu. War schon fast soecht, dass ich am Abdrehen war. Doch dann fragte sie: „Nimmstdu noch einen oder zahlst du?“Ich nahm natürlich noch einen. Aber es war schon so, dass dasSalz dazu gehörig süß schmeckte.„Du erinnerst mich an wen“, sagte die Süße. Sie mixte zweiDrinks für ein Paar, das sich nach heftiger Diskussion, wohin siesich setzen sollten, an den Tisch vor den Durchgang zu den Toilettengesetzt hatte und das sich nun verbissen anschwieg.„Hast du einen Namen?“, fragte ich die Süße.„Hab ich“, sagte sie. „Aber ein freies Bett habe ich nicht, damitdas klar ist.“„Ich kann mich ganz klein machen, wenn’s sein muss.“ Ich versuchte,zutraulich und verführerisch rüberzukommen, aber dasmisslang, denn sie sagte: „Für so klein, wie ich dich brauche,musst du noch mächtig wachsen.“Sie brachte die Drinks an den Tisch des schweigenden Paares. DerMann zählte sofort und centgenau Münzen auf die Tischplatte.Die Süße sagte: „Danke und weiterhin einen unterhaltsamenAbend.“„Gehört das zum Repertoire oder bist du von Natur aus so freundlich?“fragte ich, als sie wieder hinterm Tresen war.„Wie?“, fragte sie. „Was?“„Dass du so witzig bist.“Sie lachte. „Bei mir werden alle Rechnungen beglichen“, sagte sie.„Und bei dir macht’s jetzt einen glatten blauen Schein.“„Hab ich“, sagte ich und hatte keinen Schimmer, wo ich den habenkönnte.Die Süße steckte sich eine Gauloises an, schloss die Augen beimersten Zug. „Greta“, sagte sie, als sie den Rauch ausblies. „Ich heißeGreta.“„Justus“, sagte ich. „Ich heiße Justus.“„Du erinnerst mich an einen“, sagte Greta. „Ich komm nochdrauf, an wen, aber der war größer, kräftiger, von dem ging wasaus, der war kein Allerweltskerl.“„Es gibt keine zwei, die in dieselben Schuhe passen.“ Ich tat mireinen Teelöffel voll Salz in den letzten Tequila. „Und an wen ichdich erinnere, weißt du ganz bestimmt, wenn ich weg bin.“„Ganz bestimmt“, sagte Greta und ein bitterer Zug, so unerwartetwie uralt, prägte für einen tiefen Atemzug ihr Gesicht. „Erst wennein Kerl weg ist, weiß man, was für einen Haufen Müll man sichmit ihm angehangen hat.“„Und der, an den ich dich erinnere, war der auch Müll?“ Ichkippte den bittersüßen Tequila in mich rein. „Oder war der solchMüll, dass auch die Erinnerung an ihn nur Müll sein kann?“„Was gehen dich meine Erinnerungen an?“ Greta griff mein leeresGlas vom Tresen. „Der Mann, von dem ich spreche, war mein© wasser-prawda79


SprachraumSchicksal. Du!“ Sie musterte mich. „Du wirst wahrscheinlich niedas Format haben, irgendjemandes Schicksal zu sein. Du bist ’neharmlose Type, ein herzlich guter Mann, wie die Schwiegermüttersagen, aber du hältst nicht viel davon.“„’ne Schwiegermutter ist’s Letzte, auf das ich Bock hab!“ Der letzteSchluck wollte wieder hoch, es war ein Tequila mit Widerhaken,so zerrte es in der Kehle. „Aber das hat meine Mutter übermeinen Vater auch gesagt, dass er ihr Schicksal war, das heißt, erhat sie gebumst – ich tippte auf mich – und sitzengelassen.“Greta starrte mich an, bohrte einen Finger in die Perforation derSpülplatte. „Ja, so was gibt’s“, sagte sie. „Aber dich hat deine Mutterdurchgebracht!“„Weil“, sagte ich und schluckte den Tequila wieder runter, „ichwar ein folgsames, kluges und bescheidenes Kind.„Und damit“, sagte Greta und brachte sich mit einem tarantellaähnlichenSchwung aus ihrer Nachdenklichkeit, „erinnerst duan niemanden mehr“, ein grimmiger Blick streifte mich, „nichtsist an dir, das mir das Blut bewegt, wodurch, womit auch immer.“Was für Theater, ging’s mir durch den Kopf, die sieht nur aus wieecht, die hat einen Riss in der Schüssel und ein Trauma im Slip.„Hey“, sagte ich und schnipste ihr zu. „Greta, du durchschaustmich, ha?“„Kein Theater“, sagte Greta. „Bitte! Davon hab ich hier all dieTage genug.“Aber damit fing das Theater erst an.Die Eingangstür wurde aufgestoßen und es traten drei Männerein, die wie eine Kompanie salutierten. Einer klatschte mir seinePranke auf die Schulter, der zweite klopfte mit meinem leerenGlas auf den Tresen und bedeutete, dass es zu füllen sei, und derdritte ging zu Greta, schloss sie in seine Arme und rief: „Will keinersaufen, keiner lachen?“Die drei Kerle lachten.Greta verdrehte die Augen. „Ich weiß“, beschwichtigte sie derKerl, „das gehört hier nicht her, aber wir sind doch alle Menschenund hier dürfen wir es auch sein.“„Und wo bist du’s nicht?“, fragte ich.„Was will der Bursche?“, ranzte der Dritte, den sie Direktor nannten,und kniff Greta unters Kinn. „Was hat er hier zu suchen? Wasgehen ihn unsere Unternehmungen an?“Die Pranke auf meiner Schulter verschwand und stattdessen krabbeltemich der Kerl mit den Fingern beider Hände an meinenSeiten, sodass ich mit einem Jauchzer auffuhr und mit dem Kopfso heftig an den Strang der Tresenglocke stieß, dass diese gellendanschlug.„Was soll das?“, fuhr ich den Kerl an und der Tequila wollte wiederhoch.„Ich bin eine lustige Person“, lachte der und tat noch einen Griffin meine Seiten und einen Kratzfuß mir zu Füßen.„Übrigens“, der Direktor deutete auf die noch nachtönende Glokkeüber mir, „das macht eine Runde fürs Lokal.“ Er lachte. „Fürjeden das, was er mag! Hoi!“ Er beugte sich mir zu. „Ich weiß, wieman den Geist des Volkes versöhnt. Auf meine Rechnung!“, riefer und griff zum Strang und läutete die Glocke abermals. „DiesWunder wirkt auf die verschiedensten Leute.“Der Direktor und die lustige Person klatschten ihre rechten Händeineinander. „Nun schenk ein“, sagte die lustige Person zu Gre-80© wasser-prawda


Sprachraum© wasser-prawda81


Sprachraumta. „Um zehn streicht der Meister den Zapfen, das weißt du doch,wir haben nur noch eine gute Stunde.“Greta ließ das Bier in die Gläser laufen.Der dritte Kerl, der sich schüchtern abseits gehalten hatte, sagte:„Für mich bitte wie immer, Fräulein Greta!“„Ja, ja“, sagte Greta. „Warme Milch mit Honig und eine halberohe Zwiebel.“„Die Dichter sind auch nicht mehr das, was sie mal waren“, tönteder Direktor. „Wenn Dichter Milch trinken, gibt’s saure Poesie.“„Und einen Reim wie Schleim und trautes Heim“, setzte die lustigePerson hinzu und zerrte den dritten neben sich, damit ich ihngenauer betrachten konnte. „Er treibt die dichterischen Geschäfte,wie man ein Liebesabenteuer treibt.“Der Dichter blickte scheu zu Greta. „Ach“, sagte er leise, „wiewenig das dem echten Künstler ziemte.“„Immer das gleiche Getue“, stöhnte Greta und verteilte die gefülltenGläser, „jedes Mal dieselben Worte.“ Sie blickte die drei abund bewegte eine Hand kreisend vor ihrer Stirn. „Wie die’s immerwieder schaffen, Ausgang zu bekommen?“„Greta“, sagte der Direktor mit warnendem Unterton, „du weißt,wir sehen alles.“„Greta“, sagte die lustige Person ebenso warnend, „du weißt, wirwissen vieles.“Und auch der Dichter ließ sich vernehmen, entschieden schärfernoch, drohend fast. „Greta“, sagte er, „du weißt, wir vergessennichts, und was wir wissen und was ich zum Wort mache, ist mitnichts mehr aus der Welt zu schaffen, egal, was es ist, ob Heldentatoder Verbrechen, ob Teufelspakt oder Glücksbeschwörung,was Wort ist, ist und bleibt.“„Na denn“, sagte der Direktor und hob sein Glas in die Runde.„Auf unser aller Wohl.“Sie tranken. Ich nippte am Tequila. Greta beobachtete mich miteiner Nachdenklichkeit, die ihrer Miene einen bösartigen Zugverlieh.Der Dichter kaute auf seiner halben Zwiebel herum. „Aber“, murmelteer, „einmal sag ich’s.“„Was?“, fragte der Direktor. „Was fällt euch an? Entzückung oderSchmerzen?“„Geh hin und such dir einen andern Knecht“, sagte der Dichter.Er schluckte die zerkaute Zwiebel und goss die Milch hinterher.„Das sag ich einmal“, sagte er. „Denn in mir, im Dichter, offenbartsich der Menschen Kraft.“„Feine Gäste hast du“, sagte ich laut zu Greta. „Richtige Prominenz,einen Direktor, einen Dichter und eine lustige Person, wohat man das schon auf einem Haufen und hautnah?“„Reize sie nicht“, flüsterte Greta, „ich kann keinen Ärger mit ihnengebrauchen.“„Ach ja“, sagte die lustige Person, „man ist entzückt, nun kommtder Schmerz heran, und eh man sich versieht, ist’s ein Roman.“ Erstellte sein leeres Glas auf den Tresen, bedeutete Greta, es nachzufüllen.„Und noch sind wir bereit, zu weinen und zu lachen!“„Ich nicht“, sagte ich. „Ich weine nicht.“Der Direktor stellte sein geleertes Glas neben das andere. „Es gilt,immer dazu bereit zu sein“, sagte er. „Zum Weinen ebenso wiezum Lachen.“82© wasser-prawda


Sprachraum„Na, dann seid bereit“, sagte ich. „Aber ich weiß nichts von Tränenund will’s auch nicht wissen.“Und das stimmte und erst jetzt fiel mir auf, dass ich in meinemLeben kein einziges Mal geweint hatte, denn ich hatte nichts besessen,dessen Verlust mich zum Weinen hätte bringen können,ich hatte nie so tief gefühlt, dass Tränen mich von einem innernDruck hätten befreien müssen, es gab keinen Schmerz in meinemLeben, der mir das <strong>Wasser</strong> in die Augen getrieben hätte; die wenigenKratzer in der Haut, die zwei schnell verwelkenden Verliebtheitenund dass mir einmal das Fahrrad gestohlen worden war,waren nicht Salz genug gewesen, mich zum Weinen zu bringen.Einmal allerdings war’s nahe daran! Da kam ich von der Schulenach Hause und meine Mutter Helena saß in der Küche mit’nem leeren Gesicht, das heißt, es war nichts mehr darin von ihrerSchönheit, und sie sagte, setz dich, Justus, deine Mutter hat dirwas zu sagen. Ich kannte ihren gegenwärtigen Liebhaber nicht,dennoch konnt’s sein, dass sie wieder mal verlassen worden war.Ihre selbstanklägerischen Zeremonien waren dann immer ähnlichgewesen. Sie saß da und schwor, dass es nun aber zum letztenMal gewesen war, dass ein Kerl ihr was bedeutet hätte im Leben.Nur diesmal bezog sie mich mit ein in ihren privaten Kladderadatsch!Naja, sie wird eben auch älter, dachte ich, da werdendie Kreise zur Krisenbewältigung weiter gezogen, musste ich ebenherhalten für ihr chaotisches Gefühlsleben. „Justus, mein Sohn“,hatte meine Mutter Helena gesagt, „ich werde sterben.“„Ich auch“, hatte ich geantwortet, „ich werde auch sterben.“„Was hast du?“ fragte sie erschrocken. „Du warst nie krank!“„Jeder stirbt einmal“, sagte ich.Da krachte ihre rechte Hand links an meinen Kopf und ihre linkeHand rechts an meinen Kopf. Mir wurde tatsächlich schwarz vorAugen. Mein Kopf quoll auf, als würden alle Lieder der Welt ausihn heraus sich drängen oder auch in ihn hinein; das war eineMusik zum Schreien und eine Situation zum Brüllen und ein Tagzum Heulen. Aber ich tat’s nicht.„Ich habe Krebs“, sagte meine Mutter. „Ich muss unters Messer,hab Knoten in beiden Brüsten, wahrscheinlich schon Metastasenbis in den Bauch, ich habe zu wenig auf mich geachtet, habealles zu selbstverständlich genommen, meine Schönheit, meineGesundheit, mein außerordentliches Leben, so, als wäre ich unsterblich.“Sie griff nach meinen Händen. „Entschuldige, Justus,ich weiß nicht, was ich von dir erwartet habe.“Wir schwiegen uns an. Meiner Mutter liefen Tränen bis untersKinn. Und in mir höhnte etwas Fremdes, Großes gegen sie undalles, was sie bedeutete, wie Freude war’s beinahe und ich wusstenicht, worüber.„Aber du gleichst zu sehr deinem Vater“, sagte Helena, „da ist keinMitgefühl zu erwarten, du wirst nicht um mich weinen, das weißich.“Ich konnte nicht um meine Mutter weinen, weil’s nichts um sie zuweinen gab. Ihr Befund war vertauscht worden, in ihrer Brust warnur ein fingerkuppengroßes Adenom, das ambulant mit einemstreichholzlangen Schnitt entfernt wurde, so berichtete sie ihrenFreunden.„Dann lache“, sagte die lustige Person und ließ ihre Pranke wiederauf meine Schulter fallen. „Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahr-© wasser-prawda83


Sprachraumheit, so wird der beste Trank gebraut, der alle Welt erquickt undauferbaut.“Die Gläser waren schon wieder gefüllt. Die drei prosteten ersteinander, dann mir zu. Der Tequila schmeckte nicht mehr, warfad. Greta blinzelte in meine Richtung. Der Direktor und die lustigePerson tranken ihr Bier auf ex. Der Dichter nippte an seinerMilch, er wirkte weinerlich auf einmal, gebrochen und verbraucht.„Ich hatte nichts und doch genug“, sagte er.Der Direktor herrschte ihn an: „Dann lass es gut sein undschweig!“Aber dafür wandte sich der Dichter nun direkt an den Direktor,flehte: „Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug gibtungebändigt jene Triebe, das tiefe, schmerzensvolle Glück, desHasses Kraft, die Macht der Liebe, gib meine Jugend mir zurück.“„Der Jugend, guter Freund, bedarfst du ebenfalls.“ Die lustigePerson rüttelte an meiner Schulter, atmete tief, als machte eineunverhoffte Gemütsregung ihm zu schaffen. „Aber wir, Freunde,bedürfen ihrer nicht mehr, die Jugend ist nicht mehr unser Spiel.“„Aber meine Jugend“, jammerte der Dichter, „ich will meine Jugendzurück.“„Aber doch nicht von mir“, fuhr der Direktor ihn neuerlich an.„Geh zum Chef, heul dich bei dem aus, der uns das eingebrockthat. Und weißt du, was er dir sagen wird, falls er dich überhauptanhört? Und wo ist meine Jugend, wird er sagen, wo ist meineKraft, meine Liebe, wo ist mein Glück?“„Ach ja!“ Die Art der lustigen Person war wenig lustig. „Was, alteHerren, ist unsere Pflicht? Das Alter macht nicht kindisch, wieman spricht, es findet uns nur noch als Kinder.“„Was ist nur los mit uns?“, fragte der Direktor. „Jedes Mal, wennwir uns aufmachen, die Tretklapsmühle für ein paar Stunden wenigstensauszublenden, endet es in Jammerei. Seit wann ist dasso?“„Seit Greta hinterm Tresen steht“, antwortete der Dichter sofort.„Ja, wir hätten sie gleich anzeigen sollen“, zischelte die lustige Person.„Nun ist’s so gut wie verjährt.“„Was aufgeschrieben ist, verjährt nie“, sagte der Dichter. „Und esist doch aufgeschrieben?“, wandte er sich an den Direktor.Gretas Lider flatterten und es schien, als ob ihre Haare sich kräuseltenund aufrichteten. Sie wurde in innere Not gebracht und sahmich an, als könnte ich ihre Rettung sein.„Was wissen die von dir?“, fragte ich und blickte dabei zu ihnen.Und wie ich sie so anblickte, verloren sie ihre Unterscheidungen,ihre Gesichter wurden bleich, grau und glatt, ihre Körper bekamendie gleichen Konturen, wurden austauschbar, und sie wirkteninsgesamt so wie der Dichter vor Minuten.„Sie wissen, was sie wissen“, sagte Greta.„Wenn du mal auf’m Strich warst oder wenn es ein paar Nacktfotosvon dir gibt oder du Aktien fremder Leute durch den Schornsteingejagt hast“, sagte ich, „darüber musst du dir heutzutage keinenKopf machen.“„Du wirst’s noch erfahren“, sagte Greta, „irgendwann flöten siees dir.“Der Direktor schlug die Hände ineinander und sagte: „Der Wortesind genug gewechselt, lasst uns endlich Taten sehn!“84© wasser-prawda


Sprachraum© wasser-prawda85


Sprachraum„Das könnt ihr nicht machen“, stotterte Greta. „Ich mach hier meinenJob, tu keinem was und schreib euch jede Zeche an. Und wasgewesen ist! Ich büße und bereue Tag um Tag.“„Na dann“, sagte die lustige Person, „trinke ich noch ein Pils.“„Greta, wir tun’s nicht,“ sagte der Direktor, „keiner von uns wird’sje tun, aber mit der Möglichkeit spielen, ja, aber mehr ist uns dazunicht ins Buch geschrieben.“„Ihr tut es, wenn’s euch mal anders juckt.“ Greta schenkte der lustigenPerson Bier nach. „Wenn ihr’s nicht mehr aushaltet so miteuch, wie’s vorgeschrieben ist.“ Greta zitterte, der Bierschaum flossauf den Tresen. „Und dann fängt alles von vorne an und endettatsächlich in der Hölle.“„Was ist hier los?“, fragte ich.„So kommandiert die Poesie“, sagte die lustige Person, nahm seinBier vom Tresen und trank es.„Das sagst du nicht!“, begehrte der Dichter auf. „Es ist aus mit uns,wenn wir uns in den Worten vertun, die uns notiert sind.“„Er ist eine lustige Person“, sagte der Direktor, „da macht’s nix, ober sich mal in deinem oder in meinem Text vertut, denn wir wandelnalle“, er warf Greta einen scharfen Blick zu, „alle wandeln wirmit bedächtiger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle.“„Das ist so wahr, wie’s wahr ist“, sagte Greta.„Was ist hier los?“, fragte ich nun den Direktor. „Was ist’s für Gefasel,mit dem ihr dem Mädchen Angst macht? Was sind’s für Worte,die ihr sprecht und die so klingen, wie alte Steine wirken in einemneuen Haus? Was ist’s mit euch, dass ihr bei allem wirkt, als wäretihr irre?“„Wie der Bursch tönt!“, säuselte die lustige Person.„Und wie er sich spreizt“, sagte der Dichter.„Und wie ich ihn gleich in Räson und Mores delegiere“, sagte derDirektor und stieß mir einen Finger an die Brust. „Was nimmt ersich raus, uns zu persiflieren, der übermütige Bube! Hat er’s schonzu was gebracht, zu Werk und Lohn in dieser Zeit? Hat er sichschon einen Namen gemacht, mit dem er uns posieren kann undder was gilt, das mehr ist als dies Niemand hier vor mir?“Die lustige Person lachte. Der Dichter tat’s etwas verhaltener.„Keinen Streit!“, barmte Greta. „Wenn die Polizei hier zu schnüffelnanfängt, macht sie mir den Laden dicht. Und ich hab’ nichtsweiter, womit ich mir was verdienen kann.“Das schoss durch mich wie heißes Eis. Was ging ihnen mein Namean? Was war das für ein Direktor, dass er mir daherkam wie einSchulmeister? Was war das für ein Dichter, was war’s für eine lustigePerson, dass sie lachten über mich? Was hatten die denn mehrvorzuweisen als ich, als aufgepeppte Sprücheklopferei, deren loseEnden sie einander um die Ohren schlugen?Ich sah Greta an und – und es hielt mich nicht zurück, dass sie füreinen winzigen Augenblick wie ein Ebenbild meiner Mutter wirkte,obwohl doch keinerlei Ähnlichkeit zwischen ihnen war – gingauf den Direktor los und schlug mit meiner rechten Faust unterdessen Nase, sodass ich seine kalten, sonderbar rauen Zähne anmeinen Knöcheln spürte und sah, wie sich die Haut faltete zwischenseinen Augen und er wie hilfesuchend zur lustigen Personschielte, deren bierdunstiger Atem mich von hinten umspülte. Undbevor ich’s sagte, dachte ich noch, dass vom Dichter, von dem ichnicht wusste, wie er in der Szene nun verkehrte, doch wohl größereGefahr ausgehen mochte, als von jeder anderen Person. Aber dastat nichts mehr dazu und ich sagte: „Das ist mein Name! Faust!86© wasser-prawda


SprachraumUnd wenn du noch mehr davon probieren willst, mach nur deinMaul auf und quatsch mich noch einmal an als einen Bub!“„Du heißt Faust“, staunte der Direktor und es klang, als würden’sauch der Dichter, die lustige Person und Greta tun.„Was willst du hier?“, fragte der Dichter.Und die lustige Person fragte: „Ist das ’n Zufall, dass du hier bist?“Greta schlug beide Hände vors Gesicht. „Er erinnert mich an jemanden,das hab ich gleich gesagt, und nun weiß ich auch, anwen.“ Sie stolperte in der Abstellraum hinter dem Tresen und verschlossdie Tür hinter sich.„Kannst du beweisen, dass du so heißt?“ Der Direktor beschnuppertemeine Faust, die ich noch immer unter seiner Nase geparkthielt. „Du wirst doch irgendein Dokument bei dir haben?“Die lustige Person legte abermals eine ihrer Pranken auf meineSchulter, fragte: „Du wirst doch nicht ohne Papiere in der Weltrum laufen?“„Noch besser wäre es, du hättest was vorzuweisen, wo auch deinVater und deine Mutter notiert sind“, sagte der Dichter. „Eine Geburtsurkundeoder eine Bürgschaft.“„Was geht euch meine Legitimität an?“ Ich stellte mich schnell so,dass ich die drei vor mir hatte, auch deshalb, um einem Biss desDirektors in meine Faust zuvorzukommen. „Was gehen euch meineEltern an? Ich bin anwesend und erwachsen. Das sollte reichen.Oder?“„An sich ja.“ Der Direktor bedeutete den beiden anderen mit einemBlick, sich vor mich zu stellen. „Aber die Situation ist nun malso, dass sie eine besondere ist.“Warum ich’s dann sagte, weiß ich nicht, aber ich sagte es: „MeineMutter war alleinerziehend, ich hab viermal die Schule gewechselt,weil ihr Lebenswandel die Ortswechsel nötig machte, es ist vielZeit dafür draufgegangen, dass uns der Unterhalt gelang, denn wirmussten uns durchbringen auch ohne Vater.“„Aber dein Familienname ist Faust?“, fragte der Dichter und rückteohne Aufforderung einen weiteren Schritt an mich heran. „Aberdeine Mutter war nie eine Frau Faust?“Auch die lustige Person kam einen Schritt näher, stemmte ihrePranken in die Hüfte. „Wie’s aussieht, hast du ein Problem, ohnePersonaldokument kommst du nicht in der billigsten Absteige unter.“„Aber wir hätten da was für dich“, sagte der Direktor und schlossmit einem Schritt die halbkreisförmige Phalanx vor mir. „Aber saguns noch eins! Du heißt Faust, weil dein Vater so hieß?“„Ich kenne meinen Vater nicht“, sagte ich und trat unbedacht einenSchritt zur Seite. Das ließ die drei noch enger zusammenrücken.„Und er interessiert mich auch gar nicht.“„Aber vielleicht interessiert sich dein Vater für dich?“ Der Direktormusterte mich von Kopf bis Fuß. „Söhne sind für Väter Hoffnungund Gefahr zugleich!“Ich mochte es nie, wenn man mir auf den Leib rückt. Und ichstreckte meine Arme vor und sagte: „Ich wehre mich und ihr solltetmich nicht unterschätzen.“Doch packten sie mich da schon. Direktor, Dichter und lustigePerson agierten in einer bestens funktionierenden Choreografie.Ihre sechs Hände hielten mich wie in einem einzigen Griff, meineArme wurden auf den Rücken gezwungen und an den Handgelenkenzusammengehalten, mein Kopf wurde auf die Brust heruntergepresst, sodass ich nur meine Zehenspitzen zu sehen vermochte,© wasser-prawda87


Sprachraumund es wurde mir so in die Kniekehlen getreten, dass mir nichtanderes blieb, als mich so zu bewegen, wie sie es wollten.Bullen, dachte ich, das sind Bullen, Zivilfahnder und die beidenJoints in meiner Tasche einem glücklichen Ausgang sicher nichtzuträglich. Es ging zur Tür hinaus, meine Füße berührten kaumden Boden, kurz die Straße entlang und dann weiter zwischenBaumstämmen und durch Gesträuch. Es roch nach frischem Harz,nach Moder Verwesung. Die drei sprachen nicht und lockerten ihrenGriff kein einziges Mal. Ich war bald außer Atem, die Schultergelenkeschmerzten, die Hände wurden taub und kalt und mir,da mein Kopf stets niedergedrückt wurde, schwindelig. Ich wolltemich fallen lassen, doch wurde damit der Schmerz von den Schulternin den ganzen Körper getrieben, sodass ich mich nur willigerin das Treiben fügte.Und dann, als ich von Schritt zu Schritt glaubte, zusammenzubrechenund auf der Stelle zu verenden, stoppten die drei. Auch ihrAtem ging schneller. Doch hielten sie mich unverändert in ihremGriff.„Wir geben dir drei Sekunden“, sagte einer oder die drei mit gleicherStimme. „Dann schaust du dir an, was du siehst, und weitergeht’s.“„Wer seid ihr?“, fragte ich. „Bullen? Ich habe nichts verbrochen.Seid ihr Ganoven? Bei mir ist nichts zu holen.“Das Trio lachte herzlich. „Wir sind, wer wir zu sein haben und werwir sein müssen, wie’s sich gebietet und uns geboten ist in Wortund Schrift.“ Die drei flöteten, als gäben sie einen Akt auf einerBühne.Dann wurde mein Kopf hochgerissen. Ich blickte auf eine Mauer.Sie war überwiegend aus Beton, hin und wieder ragten Steine undEisenteile hervor. Ihr Ausmaß zu erfassen, blieb mir keine Zeit.Denn die drei sagten unisono. „Eins.“Direkt vor mir war eine weißmarmorne Tafel in die Mauer eingelassen,auf der in schwarzer Schrift „Dr. Joh. H. Fausts Anstalt fürIRRESEIN und andere Verwirrtheiten in Geist & Seele“ geschriebenwar.„Zwei“, sagte das Trio. Ich wollte der Kopf höher heben, denn dassdie Mauer, so wie es mir schien, bis in den Himmel reichte, konntenicht möglich sein. Doch da sagten sie schon: „Drei.“ Sie drücktenmeinen Kopf auf die Brust zurück und das noch härter als zuvor,sodass meine Nackenwirbel knackten und ich eine lähmende Hitzein mir verspürte. „Jetzt wird’s noch mal hart“, sagten sie, „aber duwirst es überleben.“Und dann – und so war’s, obwohl’s so doch nicht gewesen seinkann – hoben sie mich an, nahmen Anlauf, liefen auf die Mauerzu und in sie hinein. Da war kaum Widerstand, es war mehr wieein Gleiten zwischen Tüchern, doch in der Mauer wurde echt hart,wie in einem Sturm war’s, der Kiesel und Nägel entgegen peitscht.Und nur dadurch, dass die drei mich auch da noch in ihrem Griffbehielten, wurde ich nicht zertrümmert und der eine Atemzug, denes dauerte, nicht mein letzter.Der Raum, in den wir gelangten, war matt erleuchtet und rochnach alten Büchern, die nach Jahrhunderten wieder aufgeschlagenwerden. Neben Lachen, Schreien und einer tiefen, fast beschwörendeStimme dominierte Stille.Und ich war nicht mehr im Griff der drei. Ich stand zwischen ihnen,als gehörte ich dazu, als wäre ich ihresgleichen und wir wärenin einer harmlosen Verabschiedung aus einer Plauderei.88© wasser-prawda


Sprachraum© wasser-prawda89


Sprachraum„Meine Sachen“, sagte ich und bewegte meine schmerzendenSchultern. „Ich brauche meine Tasche, meine Gitarre.“„Greta ist ein gutes Kind“, sagten sie, „sie gibt Acht auf fremdeSachen.“Der Direktor deutete nach vorne. Da sah ich die Rezeption, einhalbrundes, bis zur Decke mit dickem Glas gesichertes Kastell.Darin saß an einem ebenso halbrunden Tisch eine Person, die ineinen fleischfarbenen Overall gekleidet war und mit einem Fingerdie dunkel gerahmte Brille näher an die Augen schob und dann,als hätte sie uns nur dadurch wahrgenommen, uns dann mit einemWink weiter ins Gebäude hinein wies.„Es ist Wagner“, sagte der Direktor erleichtert, „der verpfeift unsnicht.“„Wie immer Wagner“, sagte die lustige Person, „und er verpfeiftuns nicht, weil, wenn er pfeift, tut er’s seit Jahren schon aus demletzten Loch. Wagner will nur noch überleben, und das heißt, erfunktioniert auf niedrigstem Niveau.“„Ich trau ihm nicht“, sagte der Dichter. „Auch wenn er minimalfunktioniert, läuft ohne ihn hier nichts. Und das weiß er.“Der Direktor beorderte uns, dem Wink Wagners folgend, weiter.Ich drehte mich um. Und Wagners Blick und mein Blick trafeneinander. Er hatte die Brille abgenommen und sich halb erhoben,um uns nachblicken zu können. Und ich kam nicht aus diesemBlick, wie in einem Rätsel war’s, das man wendet und wendet, dasman bedenkt und bedenkt, dessen Lösung man sich nahe weißund sie doch nicht erkennt. Und dem Wagner, das wusste ich, ohnedass ich wusste, woher ich’s wusste, erging’s ebenso.Wir hätten bis ins Ewige in diesem Blick verweilen können, wennnicht die lustige Person gegen mich gelaufen wäre, nur dadurchstürzte er nicht zu Boden. Der Dichter ließ einen geängstigtenSchrei hören und der Direktor einen brachialen Fluch. Denn eingroßer schwarzer Pudel wuselte zwischen uns herum, knurrte maldiesen, mal jenen an und zeigte sein Gebiss.„Teufel noch mal!“, eiferte die lustige Person, „die Töle spukt auchnoch durch die Nacht!“Der Dichter drückte sich an den Rücken des Direktors, zitterte.„Der Hund ist längst entsorgt, hat man uns versichert“, zischte er.Wer hat uns nur so belogen?“„Ich“, sagte der Direktor. „Aber ich wusste es nicht anders, derChef persönlich hatte angeordnet, dass Hunde innerhalb der Mauernnicht mehr erlaubt seien.“„Es hört keiner mehr auf ihn“, sagte die lustige Person und schnitteine Grimasse in Richtung des Pudels. „Nicht mehr lange und estanzen uns die Mäuse auf dem Tisch und Lobesan persönlich spieltauf dazu, wenn nichts Entscheidendes passiert und sich nichts ändert.“Der Dichter schrie nun und umklammerte den Direktor ganzvon hinten, denn der Pudel war zu ihm gekommen, richtete sichan ihm auf und wollte seine wie glühend rote, dampfende Zungeübers Gesicht streichen. „Macht doch was“, kreischte der Dichter,„diese Bestie frisst mich auf.“„Den Teufel tut das Viech!“ Der Direktor versuchte, den Dichterabzuschütteln, es gelang ihm nicht. „Dieser Hund liebt dich, dasSpiel ist eindeutig.“„Aua!“ schrie der Dichter, denn der Pudel war mit einem Zahn insein Ohr geraten.Die lustige Person hielt sich die Bierwamme vor Lachen.90© wasser-prawda


SprachraumDer Direktor fluchte neuerlich.Und ich konnte mich nicht überwinden, dem Dichter beizustehen.Tiere allgemein und Hunde im Besonderen gingen mich niewas an – die Katzen meiner Mutter haben mich geprägt in dieserHaltung. Ob artgerecht gehalten oder batteriegezüchtet, das Kotelettoder das Ei kümmert sich darum nicht, und Hunde scheißeneinem vor die Füße oder machen Schlagzeilen durch Beißattacken.Dennoch kam’s irgendwie so, dass Direktor, Dichter und Pudelmir so nah kamen, dass ich nicht anders konnte, als dem Hundins Fell zu greifen und an ihm zu zerren. Und war’s das, dass ichihn berührte, oder war’s der Pfiff, der von irgendjemandem vonirgendwoher abgegeben wurde, was machte, dass der Hund vomDichter abließ und sich, mir dabei einen tiefen Blick aus seinenblau funkelnden Augen schenkend, davontrollte.Nun ließ auch der Dichter vom Direktor ab. „Danke“, sagte er zumir und reichte mir seine noch zitternde Hand, „das vergesse ichdir nie.“Der Dirktor schüttelte sich. „Ich bestell Blausäure für die Töle“,sagte er. „Und du!“ Er zupfte den Dichter am Ohr, das vom Zahndes Pudels gezeichnet war. „Dich schicke ich in die Hundeschule.“Die lustige Person lachte. „Damit er Sitz lernt und Platz und Wau!“,keuchte er vor Belustigung. „Dass er ein Dichter wird, wie ihn dieWelt noch nie hatte.“Da lachte auch der Direktor wieder.Aber der Dichter sagte, was er so schon einmal gesagt hatte: „Gehund such dir einen andern Knecht.“„Das hatten wir schon!“ Der Direktor ging mit erhobenem Kopfweiter. „Vorwärts, unsere Nacht ist kurz wie immer.“Es war nicht auszumachen, wie die Räumlichkeiten der Anstaltim Detail gestaltet waren. Korridore taten sich auf, Flure, die teilsins Freie hinauszuführen schienen, teils wie blinde Zeilen wirkten,tote Fenster, Türen ohne Rahmen oder deutliche Konturen zurWand, keine Bilder, hier und da eine Aushängetafel mit vergilbtenBlättern, die Schrift unleserlich. Einmal ein Tor, das von außenverriegelt und verschlossen war. Am Riegel hing ein Emailleschild:„Prof. Faust privat“.Die drei hüstelten bedeutsam, als wir daran vorbeigingen. Lachenund Schreie unverändert, die beschwörende Stimme war nun jedochso zu vernehmen, als töne sie immer wieder von dort hinterder Wand, wo wir uns befanden. Einmal ein Gurren, als flöge eingroßer, von uns aufgescheuchter Vogel über uns hinweg.Aber’s war wie selbstverständlich, dass es so war. Seit ich aus demGriff der drei entlassen war, stand mir die Welt anders gegenüber,ich konnte sie hinnehmen, konnte, seit ich in der Anstalt war, michabfinden mit mir. Das waren nur Minuten bisher, doch erfasstemich eine Gelassenheit, wie sie sonst wohl nur nach einem zurGänze gelebten Leben geboten wird. Ich war angekommen.Der Direktor hielt, deutete fauf die Wand vor uns und sagte: „TretenSie ein, Herr Faust!“Und da erst war eine Tür in der Wand, die sich öffnete wie vonselbst.„Nun geh schon“, sagte die lustige Person und stieß mir eine seinerPranken in den Rücken. „Du hast freie Kost und Unterkunft unddie Gedanken sind auch frei.“Ich stolperte über die Schwelle.„Gute Nacht“, sagte der Dichter, „und träum was Schönes.“© wasser-prawda91


SprachraumDie Tür schloss hinter mir. Ich war allein. Das Zimmer war kargeingerichtet. Bett, Schrank, Tisch, Stuhl. Hinter einem VorhangToilette und Waschbecken. Der Kühlschrank war leer, die Beleuchtungdefekt.Ich zog die Vorhänge vor dem Fenster zur Seite. Überraschenderweisekonnte ich es problemlos öffnen. Ich blickte in einen klarenNachthimmel; so nah war ich den Sternen noch nie gekommen,noch nie hatte ich sie so groß und schön gesehen. Der Tequila rumortein mir. Ich wollte den Kopf hinausstrecken und frische Luftatmen. Doch ich prallte mit der Stirn gegen eine harte, glatte, kaltePlatte und das gesamte himmlische Inventar wirbelte durch meinenKopf. Das Fenster war von außen vernagelt und der Himmel eineIllumination, er war nicht aufgemalt, sondern eine Projektion – dastechnische Prinzip dafür konnte ich nicht erkennen.Frische Luft kam so nicht ins Zimmer. Auch kein Laut drang herein,kein Lachen, kein Schreien, keine Stimme.Ich ging zur Tür zurück. Das Fenster zu schließen, machte keinenSinn. Ich lehnte den Kopf gegen die Tür, presste ein Ohr an sie. Eswar jemand auf der anderen Seite, das spürte ich. Und ich dachtesofort: Das ist Wagner! Und ich fragte: „Bist du’s?“„Ich bin’s“, wurde geantwortet. „Kann ich mit dir sprechen? Nurfünf Minuten?“Ich öffnete die Tür. Der Dichter stand davor. „Du hast jemand anderenerwartet?“, fragte er. „Wagner? Aber der hat mit jedem Blickeh schon mehr versprochen, als er halten kann.“„Warum sollte ich Wagner erwartet haben?“ Ich gab dem Dichterden Weg ins Zimmer frei.Der Dichter ließ die Tür einen Spaltbreit hinter sich offen. „Wirkennen Wagner“, sagte er. „Er ist ein windiger Typ und so frischesFleisch wie du ist hier schon lange nicht mehr reingekommen.“ Erhielt mir ein handgroßes altes Blatt entgegen. Eine Zeichnung. Dasundeutliche Porträt eines jungen Mannes. Ein Original wohl, dennes war signiert und mit der Jahreszahl 1516 versehen. Die Jahresangabeund die Signatur stammten eindeutig von verschiedenen Personen.„Wer ist das?“, fragte ich. „Kunst und altes Zeug interessieren michnicht, ich lebe im Jetzt.“„Das bist du“, sagte der Dichter und hielt mir das Blatt näher an dieAugen. „Aber ich find’s nicht gut getroffen.“„Warum bin das ich?“ Ich nahm das Blatt an mich. Auch mit demZugeständnis, dass das Bild, das man selbst von sich hat, stets einanderes ist, als das, was andere von einem haben, konnte ich keineÄhnlichkeit zu mir feststellen. Außerdem, wenn die Jahresangabestimmte, war das Porträt vor beinahe einem halben Jahrtausendentstanden, und in so ’ner Zeit dreht sich die Welt mindestens einmalvon Abgrund zu Abgrund und zurück. „Nie und nimmer binich das“, sagte ich. „Wie kommst du nur auf solchen Unsinn?“„Der Professor hat’s behauptet.“ Der Dichter tänzelte weiter insZimmer hinein. „Suche mir diesen Jüngling, hat er zu mir gesagtund mir dieses Blatt in die Hand gedrückt, suche ihn, bis du ihnfindest, und falls du ihn nicht sicher erkennst, beobachte sein Umfeld,er hängt, so wie ich ihn einschätze, am Rockzipfel seiner äußerstschönen Mutter.“„Und?“, fragte ich.„Dich habe ich bislang nicht gefunden“, sagte der Dichter. „Äußerstschöne Mütter des Öfteren.“„Aber warum solltest du mich finden?“92© wasser-prawda


Sprachraum„Dazu hat der Professor geschwiegen.“ Der Dichter schloss das Fenster,zog die Vorhänge zu. „Ist besser, wenn davon nichts nach draußengelangt, der Professor wollte damals nicht, dass die Sache unterdie Leute kommt und das wird sich bis heute nicht geändert haben,denn …“ Die Miene des Dichters wandelte sich ins Spitzbübische.„Es gab Gerüchte um Unterhaltsforderungen einer äußerst schönenMutter gegen den Professor, es gab Gerüchte um die Klage einesKnaben einer äußerst schönen Mutter auf Vorauszahlung seines Erbes.Du musst wissen, der Professor war ein Mann mit Vermögen.Wie genau er so auf den Hund gekommen ist mit dieser, sagen wir’smal so, Institution, die er Anstalt nennt, dafür gibt’s keine Chronik,aber … Also, wir waren der Meinung, der Professor wollte die Möglichkeitausschließen, dass ein Ableger von ihm, er soll manchmalsogar von einem Bastard gesprochen haben, irgendwann auf denPlan tritt, wenn’s grade auf der Kippe steht mit seinen Unternehmungen,und ihm alles zunichtemacht. Denn solche Geschichtensind immer ein gefundenes Fressen für die Medien.“„Aber ich?“ Ich fasste den Dichter am Hemd vor seiner Brust. „Washabe ich mit der Geschichte zu tun?“„Tu nicht dümmer, als du bist!“, sagte der Direktor. Er war gemeinsammit der lustigen Person unbemerkt ins Zimmer getreten. „Unddu!“ Er verpasste dem Dichter eine deftige Kopfnuss „Schlag dir dieganze Geschichte nicht allein zu.“„Wir waren nämlich auch dabei“, sagte die lustige Person. „UnseremDichterle allein hätte der Professor nie und nimmer so eine heikleSache anvertraut.“ Er nahm mir das Blatt aus der Hand, verglichmich mit dem gezeichneten Porträt.„Ist er’s?“, fragte der Direktor.„Er ist es!“, antwortete die lustige Person. „Wie ich’s gesagt habenoch vor dem ersten Bier.“Der Dichter rieb sich über die schmerzende Stelle am Kopf. „Unddas ist kein Zufall, oder?“, fragte er.„Natürlich nicht.“ Der Direktor kontrollierte irgendwas am Fenster.„Die Anwesenheit dieses jungen Mannes ist das Ergebnis unsererjahrelangen Bemühungen, den vermeintlichen Sohn unseres Chefsund Meisters aufzuspüren und ihm zuzuführen, wie es einst unserAuftrag war.“„Das wird eine Freude!“ Die lustige Person klatschte ihre Prankenineinander. „Papachen und Sohnemann fallen einander um denHals und …“Ein lautes, wütendes Bellen ertönte auf dem Korridor, kam schnellnäher.„Rückzug!“, befahl der Direktor. „Wenn uns die Töle hier erwischt,wird’s ein teurer Spaß.“ Er flüchtete aus dem Zimmer.Der Dichter und die lustige Person taten’s ihm gleich. In der Türhielt die lustige Person noch einmal inne, fragte: „Du heißt dochJustus, weil deine Mutter dich so genannt hat? Oder?“Ich nickte – und weg war er.Die Tür stand offen. Und zwei Schritte davor saß der schwarze Pudelauf dem Korridor und sah mich an. Seine wieder wie glühendrote Zunge hing ihm zum Maul heraus und dampfte. Davon roches in meinem Zimmer nach verbrannter Haut.„Hey, Bello“, sagte ich und bewegte mich vorsichtig zur Tür. Ichmusste verhindern, dass der Hund zu mir ins Zimmer kam, denndann würde es alles andere als eine gute Nacht werden. „Ich tu dirnix!“Der Pudel bewegte den Kopf einmal zur Seite, knurrte.© wasser-prawda93


Sprachraum„Ich hab nur noch zwei Joints“, sagte ich. „Und die brauche ichselber.“Der Pudel japste, als wäre ihm das ohnehin egal, ließ mich abernicht aus den Augen.„Du bist ein Guter“, sagte ich und war nur noch einen Schritt vonder Tür entfernt, „und du bleibst auf deinem Platz und passt aufmich auf.“Eindeutig, der Pudel grinste, er zog eine Lefze schräg nach oben, dieandere schräg nach unten und schniefte, dass es aus seinen Nasenlöchernsprühte.Leck mich, dachte ich, blöder Köter, und griff nach der Tür, um sieins Schloss zu schlagen. Aber ich bewegte sie nicht, sie blieb unverändert,als wäre sie mit der Luft verschweißt. Ich versuchte es mehrmals,trat schließlich gegen die Tür, sprang sie an, aber außer nochstärker schmerzenden Schultern erreichte ich nichts.Und der Pudel saß da mit zur Seite geneigtem Kopf und lachte übermich.Ich streckte ihm die Zunge raus. Was war das für eine verflixteSituation! Was für eine saublöde Sache, in die ich geraten war? Warumüberhaupt hieß ich Faust? Warum nicht Hand oder Finger?Dann wäre ich nie und niemals an die drei Typen geraten, die wieKarnevalsjecken daherkamen und sich als Headhunter entpuppten;nie und niemals würde ich dann vor einer Bestie von Hundstrammstehen müssen und mich von ihm auslachen lassen; nie undniemals wäre ich versucht, zu sagen, nun hilf mir doch mal einer,verdammt, ob Engel oder Teufel ist egal! Hilfe! Und vielleicht sagteich es doch?Denn auf denn Korridor hörte ich Schritte und einen leisen Pfi ff,der dem Pudel galt, denn der wandte den Kopf zur Seite, trabte abernicht von der Stelle.Es war Wagner. Er stellte sich neben den Pudel, legte ihm eineHand auf die Nase, was der ohne Reaktion hinnahm. Wagner setztedie Brille ab, blickte mir in die Augen. Aber dieser Blick rührtenichts an, das dem bei unserer ersten Begegnung an der Rezeptionvergleichbar war.„In diesem Haus werden nachts die Türen geschlossen“, sagte Wagner.Seine Stimme war angenehm, weich, doch ohne schmeichlerischesTimbre.„Die Tür ist kaputt“, sagte ich. „Und das Fenster ist auch eigenartigund der Hund mag mich nicht.“Wagner schnipste mit den Fingern und die Tür fiel in die Angelnwie in einem schwachen Durchzug.„Schließen Sie die Tür!“, sagte Wagner. „Halten Sie Ruhe bis zumMorgen und kommen Sie rechtzeitig in mein Büro, damit wir dieFormalitäten klären. Gute Nacht! – Und denken Sie daran, wasman in der ersten Nacht in einem neuen Zuhause träumt, das erfülltsich.“Wagner ging. Der Pudel trabte neben ihm her. Ich bemerkte, dassder Hund auf dem rechten Hinterlauf hinkte und hörte ein leisesKlicken, wenn er die Pfote auf den Boden setzte, als hätte er Hornoder einen metallenen Beschlag dort.Ich setzte mich aufs Bett, fummelte mir einen von den Joints aus derTasche und zog ihn mir rein. Dieser Wagner würde sich kringeln,wenn er einen Schimmer davon bekäme, was ich träumen würde.In zehn Minuten würde ich nicht nur der verwachsenen Töle dieFlötentöne beibringen, sodass die nie wieder lachte über einen Menschenund samt Wagner Männchen macht vor mir, so wie ich’s ih-94© wasser-prawda


Sprachraumnen gebiete, und dem Kanaillentrio würde ich Beine machen unddie Leviten lesen und es aus dem Anzug schütteln, sodass wederDirektor noch lustige Person noch Dichter wüssten, wer wer dennwirklich ist in ihrem Verbund, und dem Chef dieses Hauses würdeich den Bart zausen und vielleicht würd ich Vater zu ihm sagen, nurso aus Spaß natürlich, und mich putzig machen über sein Erschrekkenoder seine Freude, oder ich würd ihm sagen, hey, Alter, nunzeig mal Pflichtbewusstsein, kümmere dich um dein liebes Kind,gib ihm Zaster und Weisheit, sodass ihm die Luft nicht ausgehtzwischen den elenden Steinen und Knüppeln des Daseins, damitwas wird aus ihm und er eine Geschichte kriegt.Aber es kam alles anders und doch genauso.Mit dem Pudel hatte es seine Bewandtnis, auch wenn weder ichnoch ein anderer, auch Professor Faust nicht, seinen wahren Kernbestimmen konnten.Für Wagner und für mich ging’s einen eignen Weg, für so was gibt’skein Bedenken und keine Ahnung.Vom Direktor, der lustigen Person und dem Dichter habe ich niewieder etwas gehört oder gesehen, auch wenn ich zuweilen glaubte,sie in anderen Insassen der Anstalt auszumachen; sie blieben verschollen.Und was den Professor und mich betrifft, so ist’s das Salz und derSpeck der Geschichte, die ich für mich von ihm einzufordern gedachte.Auch, dass ich mir nach dem vorletzten noch den letzten Joint reinzog,ging auf eine Geschichte, und der Tequila hatte auch noch seinWirken in mir, auf die ohnedem nicht zu kommen gewesen wäre,obwohl es sich zu Anfang so gehabte wie immer, also: Ich lachte,einfach so, mir war danach und warum nicht, man gönnt sich jasonst nichts, und warum nicht reden, man wird ja eh von allen Seitenangelabert und zugetextet, gibt man auch seinen Senf dazu undmit ’nem riesenroten Punkt auf’m i, und den Hunger, na ja, denlässt man stecken, haste nix zu beißen, brauchste nix zu schlucken,auch wenn’s in den Sand gesetzt ist, und keiner kann mir verbietenund ich lass mir nicht verbieten, wo ich mich einbringe, wo ichmeinen Spaß hab und mit wem, sind eh nicht die schlechtesten, dietanzen und lachen und sich auf geilen Jux verstehen, und alles soschön bunt und warm und mit groovigen Sound, da bin ich dabeiund war’s auch.© wasser-prawda95


SprachraumPaulina SchulzDas EilandErzählungPaulina SchulzPaulina Schulz wurde 1973in Polen geboren und lebt seit1989 in Deutschland. Seit2003 ist sie als freie Schriftstellerin,Übersetzerin, Lektorinund Dozentin an verschiedenenHochschulen tätig. Ihreliterarischen Arbeiten wurdenin zahlreichen deutschsprachigensowie polnischen Literaturzeitschriftenund Anthologienveröffentlicht und mitPreisen und Stipendien ausgezeichnet.Bekannt gewordenist sie als Übersetzerin der historischenRoman-Reihe überdas alte Breslau von MarekKrajewski und der BiographieDer letzte Klezmer von JacekCygan. Sie ist Mitgestalterinder Usedomer Literaturtage,vieler Kulturfestivals sowiezahlreicher deutsch-polnischerJugendbegegnungen.Veröffentlichungen<strong>Wasser</strong>welt. Kurzgeschichten(Tübingen 2005)paralysing shadows. Lyrik (Erfurt2006)Meeres.Spiegel. Lyrik (Leipzig2013)Paulina Schulz: Das Eiland.Erzählungfreiraum-verlag 2014VÖ.: 10.03.2014Softcover, ca. 120 SeitenPreis: 12,95 EUR (D)ISBN: 978-3-943672-32-9Paulina Schulz - Das EilandErstes KapitelIch sehe ihn da liegen, inmitten von Kälte. Er friert, denke ich. Seineingefallener Mund hat einen bläulichen Rand, es sieht aus, als wäre ervon Schimmel befallen. Seine Haut weist sonderbare Flecken auf, einmonochromes Muster in bläulich-beige: unmerkliche Verschiebungenüber den spitzen Wangenknochen, unterbrochen von den grauen Bartstoppeln.Es würde sich gut machen in Schwarz-Weiß, denke ich. Diefleckige Struktur der sich auflösenden Haut.Er liegt da, inmitten von diesem kranken Weiß. Mein Vater, das Motiv,das ich fotografieren will, das Überbleibsel eines längst vergangenenSommers.Ich will, dass er atmet. Er soll atmen. Er soll so lange wie nur möglichder Luft ausgeliefert sein. Atmen soll er, und mich ansehen, wie ichüber ihm stehe. Ich lächele ihn an. Es ist ein glückliches Lächeln. Ichlächele selten.Manchmal liegen Frauen neben mir, danach. Mit ein wenig verdrehtemKopf, zu mir gewandt, sodass die pulsierende Halsschlagader sichtbarwird. Als ob sie in mir die Beißhemmung auslösen, um Gnadebitten wollten. Nur: Nach neuesten ethologischen Erkenntnissen istes das überlegene Tier, das dem unterlegenen seine Kehle zeigt. Umseine Macht zu demonstrieren. Sie liegen neben mir, präsentieren ihreschwächste Stelle und lächeln. Weil sie mich verschlingen würden,sollte ich die Spielregeln brechen. Frauen tun mir gut. Sie leben das96© wasser-prawda


SprachraumUnerreichbare, sie lassen mich manchmal daran teilhaben. Mehr willich nicht.Doch ich will nicht an Frauen denken, während ich ihn betrachte, in allseiner Kälte. Ihn, der ein totes atmendes Ding ist.Ich, eine abgetrennte Ganzheit.*Der Sand schluckte seine Schritte, ließ ihn lautlos werden wie eine Echse.John lief auf den Sonnenuntergang zu, an seinem ersten Tag am Meer.Zwischen den grasbewachsenen Dünen hindurch führte ein ausgefransterWeg direkt in die andere Himmelsrichtung, in die glühende Sonnehinein. Das flirrende Rot schmerzte in seinen Augen, er kniff die Liderzusammen und versuchte, ein Gedankenfoto zu machen. John machteimmerzu Kopffotos, er ließ das Licht auf seine Netzhaut fallen undspeicherte das Bild im Gehirn; er erinnerte sich an jedes einzelne, jedeseinzelne beschrieb er mit ein paar Sätzen in seinem Notizbuch. DieKladde lag in dem großen Karton, in dem er zu Hause alle seine Bilderaufbewahrte.Er fotografierte seit seinem zehnten Lebensjahr, seit dem Moment, alsihm sein Vater zum Geburtstag eine gebrauchte Spiegelreflexkamera vonCanon schenkte.Seitdem war die Welt eine Spiegelung der Bilder. Die Welt geschah, damiter sie fotografieren konnte. John sah, nichts war schöner als Sehen,Sehen und Festhalten.John sah das Meer.Er hielt die alte Canon in der Hand und richtete sie auf das <strong>Wasser</strong>,tauchte mit dem Objektiv hinein, bestimmte die Blende, stellte dieSchärfe ein, das Foto setzte sich fest. Ein neues schob sich davor und vordas danach, Wellenlinien, Lichtflecke.Irgendwann ließ er die Hand sinken, es war dunkel, irgendwo da draußenverschoben sich unbemerkt Silhouetten von Schiffen. John kehrteum, das <strong>Wasser</strong>licht in seinen Augen, John lief.*Das Ferienhaus stand inmitten einer Gruppe anderer Holzhäuser, dahinterder Wald, dahinter das <strong>Wasser</strong>.Als er die Eingangstür öffnete, roch er die Ravioli, von denen seineMutter eine ganze Palette eingepackt hatte. Es würde drei Wochen langRavioli aus der Dose geben, und aufgewärmte Graupensuppe und Erbseneintopf,dachte John und schlich die Treppe zu seinem Zimmer hoch.Das Haus bestand aus zwei Stockwerken, unten Wohnzimmer, Kücheund ein kleines Bad mit Duschkabine, oben zwei Schlafzimmer. JohnsEltern hatten das mit Aussicht auf den Wald, er nahm das mit Blick aufdie Straße, weit, offen.Seine Eltern saßen wohl in der Küche, Mutter kochte, Vater saß amTisch, redete, erzählte ihr irgendetwas und sie hörte mit einem sanften,abwesenden Lächeln zu. John konnte das Bild vor sich sehen: Die Muttersprach selten, wenig, ungerne, der Vater bestritt stets die Unterhaltung,genießerisch, vor Vergnügen sprudelnd, meist von sich selbst erzählend.Erik war eine Wucht von Mensch, groß, großartig, leidenschaftlich inallem was er tat, er redete, aß, trank mit solcher Inbrunst und Freude,dass John manchmal das Gefühl hatte, sein Vater spielte das alles nur.© wasser-prawda97


SprachraumBis er eines Tages nach der Schule in die Wohnung kam und seinenVater – der an dem Tag im Büro krank geworden war – auf dem Sofa imWohnzimmer schlafend vorfand. Und da sah er, dass sein Vater sogarim Schlaf voller Inbrunst war, er schlief so intensiv und andächtig, dassJohn sich schnell in sein Zimmer schlich, die Kamera holte und – miteiner Mischung aus schlechtem Gewissen und sonderbarer Aufregung –seinen Vater fotografierte.Der Mann liegt auf der rechten Seite, die rechte Handzur Faust geballt und gegen das Jochbein gedrückt,mit einem Ausdruck von Wildheit im Gesicht, als ob ergerade von einer Jagd oder von Sex träumte.Sein linkes Bein hält er aufgestellt, den Fuß stemmter gegen die Sofaecke; das rechte Bein ist hinuntergerutscht.Die helle Wolldecke bedeckt nur seinen Bauchund seine Hüften, es sieht vage antik aus, wie beidiesen griechischen Skulpturen.In den ersten Tagen streifte John stundenlang umher, entdeckte dieGegend. Jeden Morgen stand er auf mit diesem Gefühl in sich, einemSummen in seinen Adern, als hätte ihn jemand an eine unsichtbare Energiequelleangeschlossen.Er stand stets früh auf, packte die Kamera, Essen und eine Flasche <strong>Wasser</strong>in seinen olivgrünen Stoffrucksack, lief los, zog umher, kilometerweit,kehrte irgendwann abends zurück, grüßte seine Eltern und fielins Bett. Er träumte Fotos, ganze Serien von rauschhaften Bildern, von<strong>Wasser</strong>, offenen Flächen, Himmel.Manchmal verirrte er sich in den Wäldern und kam erst Stunden späterwieder heraus, verloren zwischen den Säulen aus Buchen und Kiefern.Die Wälder erweckten eine Ehrerbietung und eine scheue Furcht inihm, dass er sich durch sie wie ein Blinder bewegte. John tastete sichvor, Schritt für Schritt auf dem unebenen, von Moos und Flechten bewachsenenBoden, zwischen dem Totholz und dem Brombeergestrüpphindurch – wie ein Partisan, dachte er, wie jemand, dessen Überlebenvom Wald abhängt, von der Gnade der Bäume und der unsichtbarenTiere. Er wusste, er würde lernen, den Wald zu verstehen, die Geräuschezu begreifen, die Pfade zu gehen auf dem Moos, durch die engen, vonHeidelbeersträuchern bewachsenen Täler, durch den Adlerfarn, durchdas Unterholz. Er würde lernen, die Wege zu erkennen.Doch nicht jetzt, jetzt noch nicht. Im Moment gab es für John nurden Himmel und das <strong>Wasser</strong> und das Gefühl, irgendetwas würde sichereignen, etwas, das er niemals vergessen, das er nie gänzlich begreifenwürde.Später sollte er sich oft an den Moment erinnern, als er zum ersten Maldas Meer betrat. Da war ein ruhiges Kräuseln auf dem <strong>Wasser</strong>, aus derFerne, als er auf den Strand zulief, etwas trieb auf den Wellen, etwasDunkles und Amorphes.Er stieg die Düne hinauf, sah zuerst den Lichtschimmer über dem <strong>Wasser</strong>,dann das Meer, dann den Strand.Er lief die Düne hinunter. Die Beschaffenheit des Sandes unter seinenFüßen veränderte sich, von warm und lose zu kühl, fest, hart. John bliebkurz stehen, warf eilig seine Kleider von sich, behielt nur die Unterhose98© wasser-prawda


Sprachrauman. Er trat ins <strong>Wasser</strong>, vorsichtig, überrascht von dessen Kälte. Er standknöcheltief darin, schaute sich nach Quallen um, zuckte zusammen, alsetwas seinen Fuß streifte, doch es war nur Seetang. Der Strand war fastleer abends, er bemerkte lediglich ein älteres Paar, das händchenhaltendauf den Weg durch die Dünen einbog, und weiter hinten einen Mann,einen davoneilenden Jogger.Draußen auf dem Meer schlich eine vereinzelte Yacht, das Segel stach indie tief hängenden Wolken. Das <strong>Wasser</strong> biss in seine Füße, als er weiterhineinging, die Kälte schob sich über seine Waden, immer höher, bis ersich flach hinein warf. Ein dumpfes Geräusch entstand in seinen Ohren,verschwand dann.© wasser-prawda99


SprachraumJürgen BuchmannMemoiren einesMünsterländer MastschweinsZweite, um einen glückhaftenAusgang vermehrte AuflageJürgen Buchmann - Memoireneines MünsterländerMastschweinsAus der zweiten, um einen glückhaften Ausgang vermehrten Aufl ageFünftes Kapitel: Verherrlichung des Schweins undpermutative Anthropologie des Onkels SalmanassarPláudite, pórcellí, porcórum pígra propágo!Beifall erheisch ich, ihr Ferkel,der Schweine müßige Nachfahrn!Johannes Leo Placentius, Pugna Porcorum per Publium PorciumPoetam. Schweinfried Schweins Schröckliche Schweineschlacht(1546)Selbst aus den Ställen erklang das Gegrunz der Schweine wieein mit Mühe unterdrückter behaglicher Jubel über die schönenWürste und fetten Schinken, welche die lieben Tiere für denWinterkohl des Jahres mit Selbstgefühl in der Stille heranbildeten.Wilhelm Raabe, Der Schüdderump100© wasser-prawda


Sprachraum„Vanitas!“ rief mein Onkel, als ich ihm eröffnete, dass ich Schriftstellerwerden wollte, „vanitatum vanitas! Ein Jünger des Apoll,ein Musensohn! Ein Schreiberling willst du werden, ein Tintenfex,ein Worteklauber und Poet? Quis leget haec? Wer soll das lesen?Was erwartest du dir? Den Beifall eines Ebers? Den Applauseiner Sau? Das Bravo eines Ferkels?”Kleinlaut wandte ich ein, wenn ich im Stall auf kein Verständnisstieße, so möchte ich es doch draußen in der Welt erhoffen,und wo das Schwein sich verweigere, werde vielleicht der Menschsich nicht verschließen.„Sancta simplicitas!“ versetzte mein Onkel, „Der Mensch! Dabist du an eine bestechende Anschrift geraten. Hast du niemalsbeobachtet, an welchem Ort der Kulturteil der Zeitung im HauseDiekmannshemke landet?“Er nahm seine Augengläser ab, um die Linsen zu reinigen, undsetzte in milderem Tone hinzu:„Drei Dinge, mein Sohn, bewegen das Herz des Menschen,und die Kunst befindet sich n i c h t darunter: Das Fressen, derFußball und das Fritzeln. Hieraus ergibt sich auf dem Wege derPermutation oder Stellenvertauschung ein Halbdutzend möglicherAbfolgen, und zwar primo: Erst Fritzeln, dann Fressen undFußball; secundo: Erst Fußball und Fressen, dann Fritzeln; tertio:Erst Fritzeln, dann Fußball und Fressen; quarto: Erst Fressen,dann Fritzeln und Fußball; quinto: Erst Fußball, dann Fritzelnund Fressen; sexto: Erst Fressen und Fußball, dann Fritzeln. Eccegloria mundi: Und das war´s dann.“Mein Oheim hauchte auf die Linsen, prüfte die Sauberkeit seinerGläser und setzte befriedigt die Brille wieder auf.„Bei Licht betrachtet“, fuhr er fort, “wieviel mehr richtet dasSchwein aus! Da sind Medaillon und Filet, Lendchen und Nüsschen,Koteletts, Frikadelle und Schnitzel, Speck und Schinken,Gulasch und Potthast, Kassler und Braten, Geschnetzeltes undGehacktes, Gesottenes und Geselchtes, Geräuchertes und in EssigGelegtes, Eisbein und Pfötchen, Sülze, Pressack, Aspik und Geleesowie Wamme, Flomen und Schmalz, ganz zu schweigen vonFrankfurtern, Wienerle, Leber-, Kohl- und Sommerwurst, Mettendchen,Wurstebrei, Töttchen und Möppkenbrot: Quid multa?Wozu noch Worte verlieren? Inhabita terram, et pasceris divitiiseius, sagt der Psalmist: Bleibe im Lande, und nähre dich redlich.“„Was ist F r i t z e l n ?“ fragte ich.Mein Onkel wurde rot vor Zorn und rief: „Lausejunge! Ich werdedich lehren, was Fritzeln ist!“Und nur ein tollkühner Sprung zur Seite rettete mich vor demstrafenden Schwung seiner Kinnbacken.Stimmen aus dem Stall und Kommentare des Kobens‘n pa dage daovo ha he sejn onkel votellt, he wull dichter wärn. Datha us in Mastholte no failt,´n schwejn, dat dichtet. Sick vo de löitensgraut daon, dat was, wat he wulle. Usseäine sett inn schwejt von sejnangesichte speck an, un so ´n foulwammes schmäärt de ganze läiwelange dach verse un dumm töüch un laot de annern sick afschinnen.© wasser-prawda101


FeuilletonWolfgang Koeppens unbeschriebeneAnsichtskarten. Viele Reisen– Eine Ausstellung.Von seinen Reisen brachte Wolfgang Koeppen regelmäßigunbeschriebene Ansichtskarten mit nach Hause.Koeppen ist viel und ausgiebig gereist, die Sammlungim Wolfgang-Koeppen-Archiv umfasst deshalbmehrere hundert Karten. Eine Ausstellung im GreifswalderKoeppenhaus präsenert erstmals eine Auswahlaus gesammelten Ansichtskarten des Schristellers,um aus dieser Perspekve einen Blick auf dieReisetexte zu werfen.Am Anfang der Überlegungen zur Gestaltung der Ausstellungstand die Frage nach der literaturgeschichtlichen Bedeutung vonKoeppens Ansichtskarten. Welche Verbindungen bestehen zwischenden Karten und den Texten? Gibt es direkte Bezugnahmen?Oder formale Ähnlichkeiten? In welches Verhältnis lassensich Karten und Texte bringen?Explizite Äußerungen Koeppens zu seinem Umgang mit dengesammelten Ansichtskarten gibt es nicht. In den Reisetexten findensich aber verstreute Aussagen zu Ansichtskarten im Allgemeinen.Und die einzige Karte, auf der Koeppen etwas notiert hat,lässt darauf schließen, dass die Karten als Erinnerungsstütze undBildsammlung der Reisen dienten, zumal Koeppen von seinenReisen sonst keine Bilder mitbrachte.102© wasser-prawda


FeuilletonVerbindungen von bestimmten Textstellen und einzelnen Postkartenzu suchen und zu prüfen, ist schwierig. Die Datierung derKarten ist nur näherungsweise möglich, weil Publikationsdatenauf den Karten fehlen. Eine historische Einordnung basiert auf einerAnalyse der Drucktechniken und der abgebildeten Orte undSehenswürdigkeiten.Verbindungen und Verhältnisse von Ansichtskarten und Textenzeigen sich aber auf anderen Ebenen. So lassen sich einzelne Motiveaus den Texten zu den Karten verfolgen. Der überschwemmteMarkusplatz in Venedig, auf einer der Ansichtskarten zu sehen,wird im Text zum Ausgangspunkt für eine Reihe kulturgeschichtlicherVerweise, die über die biblischeSintflut und Goethes Italienische Reise bis hin zu den ökologischenProblemen der 70er Jahre führen. In Koeppens Text aus London,Im Zauberwald der roten Autobusse, lassen sich Text und Bildauf einer Strukturebene überblenden. Denn dieser Zauberwald derZeichen findet das Symbol seiner Poetik in einer alten koloriertenAnsichtskarte, die den Piccadilly Circus zeigt. Und so, wie sich andiesem Verkehrsknotenpunkt die Routen der Autobusse mit denWegen der Flaneure und Touristen kreuzen, knüpft auch der Textzwischen Beschreibungen von Menschen, Ereignissen, Orten undSehenswürdigkeiten ein vielfältiges Netz von Verweisen.Nur an wenigen Stellen wird die Ansichtskarte als Medium explizitthematisiert. An diesen Stellen aber erfährt der Text jeweilseine spezifische selbstreflexive Wendung, wenn aus Anlass der Abbildungdas Verhältnis von Abbild und Wirklichkeit thematisiertwird (oder die Touristen, die die Karten betrachten, mit in denBlick geraten und damit auch der Sammler der Ansichtskartenselbst).Die Recherche- und Forschungsarbeiten für die Ausstellung imMünchner Zimmer des Greifswalder Koeppenhauses wurden vonStudierenden des Seminars Literaturgeschichten geleistet, das imSommersemester 2013 am Institut für deutsche Philologie (ArbeitsbereichNeuere deutsche Literatur und Literaturtheorie) unterder Leitung von Claus-Michael Schlesinger an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald stattfand.Die Ausstellung Reiseandenken. Koeppens unbeschriebeneAnsichtskarten kann seit dem 12. Oktober 2013 im MünchnerZimmer des Koeppenhauses (Dienstag bis Sonnabend 14–20 Uhr,Eintritt frei) besucht werden und wird am 14. Januar 2014 um 20Uhr mit einer Finissage beschlossen. Im Rahmen eines Podiumsgesprächsdiskutieren Prof. Dr. Eckhard Schumacher, Dr. MichaelLissok und Andrea Werner unter anderem über die Zusammenhängevon Ansichtskarten, Reiseessays, Tourismus und dem MediumRadio. Ausschnitte aus Koeppens Radioessays und die Diskussionsrundewerden von radio 98eins live übertragen. Zu hörenauf 98.1 MHz in Greifswald und Umgebung sowie im Livestreamüber die Internetseite www.radio98eins.de.Florian Meusel, Claus-Michael Schlesinger, Andrea Werner© wasser-prawda103


SprachraumR K - DVEine Reise um die Erde. Abenteuer zu<strong>Wasser</strong> und zu Lande. Erzählt nach eigenenErlebnissen. Band 1.4. Das rätselhafte Schiff.Der Teil des atlantischen Oceans, welcher an Spanien und Portugalgrenzt, wird die spanische See genannt. Sie wird von denSchiffen gefürchtet, denn wilde Stürme brausen über sie hin undschleudern die Fahrzeuge wie Nußschalen hin und her, ihnen mitdem Untergang an der nahen Küste drohend; aber selbst bei ganzruhigem Wetter haben die aus dem unendlichen Ocean kommendenund sich am Strande brechenden Wogen noch eine so ungeheureGewalt, daß sie fort und fort über das Deck eines Schiffesspülend, alles mit fortschwemmen können. Nur, wenn schon seitTagen sich kein Lüftchen mehr geregt hat, dann gleicht auch dieseSee einem Spiegel. Und setzt wieder ein frischer Wind ein, soerzeugt er wohl Wellen, aber nicht jenen gewaltigen Wogengang.Ein solcher ruhiger Tag war angebrochen. Neugierig blickte diewarme Maisonne von ihrer Höhe herab auf eine Brigg, welche beigünstigem Westwinde mit vollen Segeln die spanische See nachSüden zu befuhr. Sie hatte doch schon so manche Schiffsbesatzungbei der Arbeit in der Takelage und bei ihrem Treiben in derFreizeit beobachtet, aber eine solch merkwürdige war ihr nochnicht vorgekommen!Matrosen waren es unbedingt, welche sich an Deck der schlanken,schöngebauten Segelbrigg herumtrieben, denn sie beschäftigtensich zum Teil mit seemännischen Arbeiten. Aber ach – wiesahen sie aus!Obgleich sie die Hemdsärmel aufgekrempelt hatten, wodurchmeist recht sehnige, muskulöse Arme zum Vorschein kamen, undobgleich fast alle barfuß gingen, erzeugten sie doch sämtlich denEindruck, als kämen sie eben erst von einem Ballsaal, auf dem siesich als Vagabunden maskiert gehabt. Die schon arg mitgenommenenAnzüge zeigten noch den Schnitt der neuesten Mode, undein Mann, der eben die Taue sorgfältig zu Ringen aufschichtete,trug gar einen schwarzen Frack. Am Heck, in der Nähe des Steuerruders,saß ein riesiger Mann mit einem Cylinder auf dem Kopfe.Er ließ die nackten Beine über Bord hängen und angelte. Aberdie originellste Figur war der am Steuerruder Stehende; die Hosenso weit wie möglich aufgekrempelt, den Oberkörper in einen rotenReitfrack geklemmt und am Halse einen fast acht Centimeterhohen Stehkragen, so hielt er das Rad mit beiden Händen undsuchte seinem Gesicht einen möglichst sorgenvollen Ausdruck zugeben. Vor ihm stand nämlich ein Photographenapparat, durchwelchen er eben von einem anderen Manne fi xiert wurde.So sah es aus an Bord des ›Amor‹, welcher der Straße von Gibraltarzusteuerte. Die bestellten, gleichmäßigen Matrosenanzügewaren bis zur Abfahrt von der Insel Wight nicht fertig geworden,zum Aerger Lord Harrlingtons und zum Ergötzen der übrigenjungen Leute, welchen diese Maskerade ungemein gefiel. Dochsollten die Sachen nach dem von Harrlington angegebenen nächstenHafen mit Eilpost nachgeschickt werden.104© wasser-prawda


Sprachraum»Halten Sie doch den Kopf nicht so hoch, Hendricks,« rief derlustige Charles Williams, welcher seinen Freund photographierenwollte, ich kann von Ihrem Gesicht nur die Nasenlöcher sehen.«»Thut mir leid! Mein Stehkragen läßt keine andere Stellung zu.«»Geben Sie Ihren Augen einen kühneren Ausdruck! Spähen Sierecht scharf in die Ferne!« sagte wieder Charles unter seinem Tuchehervor.Edgar Hendricks riß die Augen möglichst weit auf und versuchteso zu blicken, wie er es auf Bildern von Seeleuten gesehen hatte.»So ist es gut!«Charles kam unter dem Tuche hervor. »Jetzt recht ruhig gestanden!»Passen Sie auf! Eins – zwei –«»Süd – Südwest – dreiviertel West,« rief in diesem AugenblickLord Harrlington, der auf dem Vorderdeck mit dem zweiten Steuermannden Stand der Sonne genommen hatte, dem Steuerndenzu und gab somit die neue Richtung an.Hendricks, wohl wissend, daß die Ausführung derartiger Kommandoskeinen Aufschub erleiden darf, drehte erneut das Rad,gerade als Charles drei sagte.»Potz Ankertaue und Stahltrossen!«schrie letzterer, als erdie Platte durchs Licht besah.»Ihr Kopf ist mindestens zehnmalso breit, wie er hoch ist!Vom Gesicht ist nur der Stehkragenzu sehen, und fünfundfünfzigHände haben Sie auch!Noch einmal!«Er warf die Platte ins <strong>Wasser</strong>,gerade wo Lord Hastings fischte.»Wenn Sie mir die Fische mitAbsicht vertreiben, fordere ichSie auf krumme Säbel,« rief dieser.»Die giebt‘s hier an Bord garnicht, bloß Enterbeile.«»Dann auf krumme Enterbeile.«»Wieviel Fische haben Sie eigentlichwährend der letztensechs Stunden gefangen, LordHastings?«»Zwei Stück,« erwiderte derAngeredete stolz und wies aufdie neben ihm liegenden Fischchen.»Hagel und Haubitzen!« riefder lustige Charles, der wiederseinen Apparat zurechtrückte,um eine neue Aufnahmevon seinem Freunde zu machen,»das wird aber eine teureAbendmahlzeit.«»Sagen Sie einmal,« fragte deram Steuer stehende Hendricks,© wasser-prawda105


Sprachraum»woher haben Sie nur diese famosen Matrosensprüche? Ich grübleund grüble, mir fällt aber kein so recht kerniger Ausdruck ein,und Sie werfen nur immer so damit herum.«»Das kommt eben davon, daß man seine Zeit richtig anwendet,«antwortete der Photograph stolz. »Während Sie unnütze Abschiedsbesuchemachten, bin ich die letzten acht Tage in allenMatrosenschenken Londons herumgelaufen, und jedesmal, wennein Matrose fluchte, habe ich mir die Worte aufgeschrieben. Dochnun, Potz Ketten und Katzenschwänze! Machen Sie endlich einmalden Mund zu und stehen Sie still! So – die Stellung ist gut.Eins – zwei – drei! Sie können sich wieder rühren!«Er besah die neue Platte.»Ausgezeichnet getroffen! Das Bild wird noch etwas koloriert,damit der rote Frack recht zur Geltung kommt, und dann schickeich es nach London. Das wird aber Aufsehen erregen, wenn SirEdgar Hendricks im Schaufenster hangt, barfuß im Frack undStehkragen, am Steuerrad stehend.«»Oberbramraasegel fest!« kommandierte in diesem Augenblickder Kapitän. Das war Charles‘ Arbeit, denn die Oberbramraa istdie höchste Raa einer Brigg und erfordert zur Bedienung solchleichte, schmächtige Gestalten, wie die Charles Williams‘.Gewandt erstieg er die Wanten und machte das Segel an derRaa fest. Von seinem erhöhten Standpunkte aus konnte er dasMeer weit überblicken.»Ein Schiff Backbord achtern,« rief er und deutete links nachhinten.Lord Harrlington nahm ein Fernrohr zur Hand und richtete esauf den am Horizont erscheinenden dunklen Punkt.»Ein segelndes Vollschiff,« fagte er nach einer Weile, »das könntedie ›Vesta‹ sein.«Wie der Blitz schoß Charles an einem Tau von oben herab,sprang durch eine Luke ins Innere und kam bald mit einem Fernglaswieder herauf, welchem Beispiele die anderen Herren folgten.Selbst die Heizer, jetzt bei dem guten Winde unbeschäftigt, stelltensich neugierig an Deck.»Doch nein,« sagte wieder Lord Harrlington, »die ›Vesta‹ hat anjedem Maste sechs Raaen, und dieses nur fünf. Außerdem ist die›Vesta‹ schneeweiß angestrichen und würde die Sonnenstrahlenviel mehr reflektieren. Das erwartete Schiff ist es also nicht.«»Merken Sie nicht etwas Seltsames, Kapitän?« sagte John Davids,der zweite Steuermann.»Nein,« sagte dieser und nahm das Fernrohr von den Augen.»Doch ja,« rief er jetzt, »merkwürdig, mit welch wunderbarerSchnelligkeit dieses Segelschiff sich uns nähert!«Auch die übrigen Herren hatten dies bemerkt und staunten darüber.Näher und näher kam das Schiff. Mit unheimlicher Eile durchschnittes die Wellen, welche schäumend au seinem Bug emporspritzten.Dicht aneinander gedrängt standen die Engländer an der Bordwandund starrten erstaunt, einige auch entsetzt zu dem Schiffhinüber, das sie jetzt fast erreicht hatte.Es war ein großes, stark gebautes Fahrzeug, das alle Segel beigesetzthatte, aber doch viel zu schwer war, um mit solcher Windeseiledaherfliegen zu können.106© wasser-prawda


SprachraumDas Deck war völlig leer, nichts war darauf zu sehen; aber es wareigentlich gar kein Deck zu nennen, denn es wölbte sich fast wiedie Hälfte einer Halbkugel, sodaß Menschen kaum darauf hättenstehen können. Alles an dem Schiff war mit einer schmutziggrauenFarbe bemalt, von der Mastspitze bis zur <strong>Wasser</strong>linie herunter,kein Tau, kein Segel zeigte eine andere Farbe.Einer der Heizer fiel stöhnend auf die Kniee und bedeckte seinGesicht.»Wir sind verloren!« wimmerte er. »Der fliegende Holländer!«»Unsinn,« rief barsch Lord Hastings, faßte den Burschen beimKragen und stellte ihn mit einem Ruck wieder auf die Beine. »Machedem ›Amor‹ keine Schande. Die Söhne Altenglands fürchtensich auch vor zehn fliegenden Holländern nicht.«Jetzt war das wunderbare Schiff dicht an der Seite des ›Amor‹,und nun geschah etwas, was selbst den Unerschrockensten derGesellschaft ein Grausen einflößte.Wie mit einem Zauberschlag flogen plötzlich zu gleicher Zeitalle Segel des Schiffes hoch und rollten sich kunstgerecht an denRaaen auf, als hätten die geübtesten Matrosen sie dort festgebunden.Und doch war kein Mensch, weder an Bord, noch in derTakelage zu sehen.»Das ist Hexerei,« rief Lord Harrlington.»Ob ich hier hinüberspringen kann?« fragte Lord Hastings undmaß die etwa zehn Meter betragende Entfernung zwischen beidenSchiffen. Das Fahrzeug fuhr jetzt ebenso schnell wie der ›Amor‹,immer dicht an dessen Seite.»Samiel hilf!« rief Hendricks mit bebenden Lippen. »Wissen Sie,was das ist, Williams?«»Das kann ich Ihnen ganz genau sagen,« erwiderte Charles Williams,der selbst in seiner Todesstunde einen Spaß nicht hätte unterdrückenkönnen, »ich weiß es nämlich auch nicht.«Etwa fünf Minuten mochte das rätselhafte Schiff so neben dem›Amor‹ hergefahren sein, als plötzlich wieder durch unsichtbareHände die Segel gelöst und auseinandergefaltet wurden. Abernicht nur das, auch die Raaen wurden alle zu gleicher Zeit etwasnach dem Steuerbord gerichtet, und mit verdoppelter Eile schoßes wieder dem Süden zu. In einer Viertelstunde war das Meerwunderden Augen der Herren entschwunden.Allerlei Meinungen über dasselbe wurden jetzt an Bord des›Amor‹ laut. Die Männer waren zu aufgeklärt, um an Uebernatürlicheszu glauben, aber zu deuten wußte sich diese Erscheinungniemand.Lord Harrlington war mit seinen Aeußerungen über das Geseheneam zurückhaltendsten, obgleich gerade er seines bekanntenScharfsinns wegen am meisten gefragt wurde.»Die einzige Erklärung ist die,« sagte er endlich, »daß unter derHalbkugel, welche wir gesehen haben, sich die Maschinerien befinden,um alle Segel, Raaen u. s. w. regieren zu können. Woherdas Schiff, welches weder Schornstein, noch etwas Derartigesbesaß, die ungeheure Schnelligkeit nimmt, wird mir immer einRätsel bleiben, bis ich die innere Einrichtung selbst sehe.«»Und wenn ich noch einmal so nahe an dieses Schiff komme,wie jetzt,« meinte sein Freund, »dann will ich nicht Hastings heißen,wenn ich es mir nicht genauer besehe. Das ist ebenso interessant,wie ein Besuch auf der ›Vesta‹. »Geschmacksache,« entgegneteHendricks.© wasser-prawda107


Sprachraum108© wasser-prawda


SprachraumDie Besatzung unterhielt sich noch lange über das geisterhafteSchiff oder diese neue Erfindung, als sie durch ein Kommandodes Kapitäns wieder in die Raaen geschickt wurde.Schon seit einiger Zeit hatte Lord Harrlington nach dem hinterihnen liegenden Horizont gespäht, als er sein Fernrohr mit einemMale zusammenschob und den Befehl gab, die Segel einzuziehen.Verwundert führten die Herren dieses jetzt ganz unnötige Manöveraus, denn der Wind war ihrer Meinung nach sehr günstig.Kaum standen sie alle wieder an Deck, so streckte der Kapitändie Hand aus, zeigte nach einem dunklen Punkte am Horizontund sagte fröhlich lächelnd:»Meine Herren, die ›Vesta‹! In einer halben Stunde können wiruns den Damen vorstellen.«Ein allgemeines Hurrah entfuhr der Besatzung des ›Amor‹. Wiederrichteten sich achtundzwanzig Ferngläser nach dem schnellgrößer werdenden Schiffe mit den schönen, vornehmen Damenan Bord.»Charles,« fragte Edgar Hendricks den Freund, »sitzt meinStehkragen auch ordentlich?«»Ja, der sitzt gut,« erwiderte der lustige Charles, den Barfüßigenvon oben bis unten musternd, »aber die Stiefeln können Sie sicherst noch wichsen lassen. Und Sie,« wandte er sich an den wiederangelnden Hastings, der nach wie vor die Beine über Bord hängenließ, »edler Lord, ich bitte Sie, nehmen Sie doch Ihre nacktenBeine weg, oder ziehen Sie wenigstens Strümpfe an, Sie blamierenja ganz England.«»Unsinn!« knurrte der phlegmatische Lord. »Ich bin jetzt Seemannund nicht im Salon. Wenn es die Damen geniert, so mögensie nicht hersehen. Wahrhaftig,« er hob die Nase und schnobertein die Luft, »es riecht schon nach Frisierstube.«5. Amor und Vesta.In der That war es die ›Vesta‹, die sich der jetzt still liegendenBrigg schnell näherte. Sie kam vom Westen, von der amerikanischenKüste, sodaß sie mehr von der Seite her an den ›Amor‹heransegelte.Wie jedes Schiff auf dem Meere die Aufmerksamkeit der Besatzungeines anderen erregt, so standen natürlich auch die Vestalinnenalle an Deck und musterten durch Ferngläser die in Sichtkommende, kleine Brigg, umsomehr, da diese mit einem Maleohne jeden Grund sämtliche Segel barg.Das ganze Schiff machte einen überaus günstigen, erfreulichenEindruck, selbst das Auge des ältesten Seebären hätte mit Entzükkendarauf verweilt.Alles war schneeweiß angestrichen und zeugte von einer peinlichenSauberkeit. Statt der gewöhnlichen hölzernen Bordwandumgab das blankgescheuerte Deck ein Kupfergeländer, in welchemsich die Sonne wiederspiegelte. In der Mitte erhob sich, wieauf jedem größeren Fahrzeug, eine Kommandobrücke, auf welcherMiß Ellen Petersen, die Kapitänin, und die beiden Damenstanden, an denen die Reihe war, das Steuer zu bedienen.Die Mädchen waren in schneeweiße Anzüge gekleidet, natürlichnach Art der Männer, wie sie auch in allem anderen das Aussehenvon Matrosen hatten. So zum Beispiel saßen auf ihren Köpfenlangbebänderte Mützen mit der Goldaufschrift ›Vesta‹.Miß Petersen hatte recht gehabt, wenn sie schon vor dem Antrittder Reise behauptet hatte, eine solche nur vierwöchentliche© wasser-prawda109


SprachraumSeefahrt sei besser, als eine halbjährliche Badekur, denn wirklichstrotzten die Gesichter der Mädchen von Gesundheit und Fröhlichkeit.Noch nie hatten ihre Augen so lebhaft geblitzt, wie jetztnach diesen paar Wochen. Zwar war die Haut schon tüchtig verbrannt,an dem ausgeschnittenen Brustteil von Sonne und Windgerötet, auch die Hände zeigten an einigen Stellen eine harte Haut,aber was schadete das! Die Freiheit und Ungeniertheit an Bord wogdies alles auf. Uebrigens wußten sie wohl, daß ein verbrannter, abergesunder Teint selbst ein unscheinbares Gesicht hübscher macht,als ein blasser, kränklicher.Und der Dienst auf einem Segelschiffe ist, wenn man vom EinundAusladen, wie diese Damen, verschont bleibt, wirklich durchauskein anstrengender.Die ›Vesta‹ hatte sich der Brigg soweit genähert, daß die Personenauf derselben durch das Fernrohr zu unterscheiden waren.Plötzlich lachte Miß Jessy Murray, welche neben der Kapitäninauf der Brücke stand, laut auf.»Was sind das nur für sonderbare Matrosen da?« fragte sie undspähte aufmerksam hinüber. »Ich glaube, der eine hat einen rotenFrack an, und einer trägt gar einen Cylinder auf dem Kopfe!«Immer schneller kam das Vollschiff der Brigg näher, schonbrauchten die Damen das Glas nicht mehr, um die Gesichter derLeute erkennen zu können.»Ich will nicht Jessy Murray heißen,« begann jene wieder, »wennder Mann dort auf dem Vorderteile nicht Lord Harrlington ist, denSie in der Regatta bei New-York im Einzelboot geschlagen haben.«Die Sprecherin warf einen Blick nach Miß Petersen und sah, wiediese über und über errötete.»In der That, er ist es,« antwortete die Kapitänin. »Uebrigens habeich damals offen bekannt, daß ich ihn jedenfalls nur durch einenZufall oder infolge seiner Großmut besiegt habe.«Auch andere Damen an Deck stießen jetzt Rufe der Verwunderungaus.»Sehen Sie nur den Mann da, der so ungeniert die nackten Beineüber Bord hängen läßt, Shocking!« rief eine. (Shocking ist ein englischesWort und bedeutet so viel wie anstößig, beleidigend, ohnegemein zu sein.)»Bei Gott,« sagte darauf eine andere im Tone des höchsten Erstaunens,»es ist Lord Hastings, der beste Boxer Englands.«»Hahaha,« lachte wieder eine andere, »sehen Sie nur den Manndort am Steuerrad mit dem roten Reitfrack und hohen Stehkragen.Es ist der schöne Sir Hendricks, welcher auf dem Regattaballe alleFrauenherzen in Feuer zu setzen glaubte. Man erzählt sich vonihm, daß er selbst beim Schlafen die Sporen nicht ablegen soll undstatt eines Kopfkissens einen Sattel benutzt. Nun glaube ich es!«»Und der Herr neben ihm ist Sir Williams, sein unzertrennlicherFreund, genannt der lustige oder tolle Charles, der Ihnen auf demBalle so den Hof machte. Shocking, auch er geht ohne Schuhe undStrümpfe einher. Die Herren machen es sich sehr bequem.«»Ich hab‘s,« rief Jessy Murray, »die Besatzung dieser Brigg bestehtaus dem Jachtklub ›Neptun‹. Lord Harrlington, Lord Hastings,Sir Williams, Sir Edgar Hendricks, Lord Stevenson, der Sohn desberühmten Herzogs von Chaushilm – sie alle sind vertreten, dieganze Aristokratie Englands. Was soll das nur? Machen sie auchgleich uns eine Weltreise?«»Flagge und Vesta hoch,« kommandierte Miß Petersen. »Wirwollen doch wenigstens den Namen dieser Brigg erfahren!«110© wasser-prawda


SprachraumDie Seeleute können sich vermittels fünfundzwanzig verschiedenerFlaggen, entsprechend den 25 Buchstaben des Alphabets,welche sie in verschiedener Reihenfolge wehen lassen, vollständigunterhalten. Das sogenannte internationale Signalbuch lehrt, wieman die einzelnen Fragen und Antworten durch diese Flaggen auszudrückenhat.So entfaltete sich jetzt an der Flaggenstange des Vollschiffes dasSternenbanner der Vereinigten Staaten, am Mittelmast ging eineweiße Flagge hoch, in deren Mitte eine Vestalin zu sehen war, wiesie das Feuer ihrer Göttin unterhielt und von der Raa des hinterstenMastes flatterten fünf Tücher, den Namen ›Vesta‹ ausdrückend.Begierig warteten die Damen auf die Antwort der Brigg.Da erschien am Heck, dem hintersten Teile des Schiffes, die FarbeEnglands, der Name ›Amor‹ war zu lesen, und am Mast flatterteeine weiße Flagge, den Gott der Liebe in brennendem Rot darstellend,wie er mit dem gefährlichen Bogen lächelnd nach der ›Vesta‹zielte.»Das ist Ironie!« rief heftig Miß Petersen aus, stampfte mit demkleinen in einem weißen Segeltuchschuh steckenden Füßchen aufdie Planken und errötete dabei über das ganze Gesicht. Die anderenDamen dagegen brachen in ein schallendes Gelächter aus.»Wir wollen die Besatzung fragen, ob diese Begegnung eine zufälligeoder absichtliche ist.«Da in diesem Augenblicke die Mannschaft des ›Amor‹ wiederSegel beisetzte, um neben der ›Vesta‹ fahren zu können, so gab dieKapitänin Befehl, einige Segel zu bergen und dirigierte das Schiffdicht neben die Brigg. Nur etwa zehn Meter waren die Fahrzeugevoneinander getrennt.Zu gleicher Zeit erklangen auf beiden Schiffen die Metallglockenachtmal, ein Zeichen, daß es Mittag war. Die am Steuerruder Stehendenwurden abgelöst.Lord Harrlington stand stumm mit gekreuzten Armen an demMast gelehnt und betrachtete unverwandt mit flammenden Augendie schöne Führerin des Vollschiffes.»Wenn ich nicht irre,« begann Miß Petersen, »sind an Bord dieserBrigg die Mitglieder des englischen Yachtklubs ›Neptun‹?«Ehe jemand anders antworten konnte, trat der lustige Charlesvor, zog mit einer eleganten Verbeugung den Hut und sagte:»Erraten, geehrtes Fräulein! Sie sehen hier die berühmtestenMänner Englands, ebenso wie Sie, auf einer Reise um die Weltbegriffen.«Miß Petersen sann einen Moment nach, wie sie etwas Näheresüber die Absicht dieser Herren erfahren könne, aber Charles hatteschon unter den lachenden Damen jene bemerkt, um deren Gunster sich beim Regattaball in New-York bemüht hatte, und abermalsden Hut ziehend und mit dem nackten Fuß auskratzend, fuhr erfort:»Ah, Miß Thomson, freut mich ungemein, Sie wiederzusehen.Darf ich mich nach Ihrer Gesundheit erkundigen?«»Danke,« lachte das Mädchen zurück, »aber sagen Sie, wie in allerWelt kommen Sie in diesem seltsamen Aufzuge hierher?«»Wir gaben einen Maskenball und warteten nur auf Ihr Eintreffen.Ihre Verkleidung ist wirklich reizend. Bei welchem Schneiderlassen Sie eigentlich arbeiten? Der Matrosenanzug sitzt Ihnen wieangegossen.«»Und wollen Sie mir nicht die Adresse Ihres Schusters mitteilen?«gab das schlagfertige Mädchen unter dem Kichern ihrer Gefähr-© wasser-prawda111


Sprachraumtinnen zurück. »Mir gefällt die Form Ihrer Lackschuhe außerordentlich.«Charles warf einen bedauernden Blick auf seine nackten Füße.»Ah, das darf Sie nicht genieren. Dieselben sind gerade in Reparatur,und mein einziges Paar Strümpfe hängt dort zum Trocknen.Ich wollte mir erst welche von Lord Hastings borgen, aber der hatüberhaupt keine mitgenommen.«»Lord Hastings,« fragte eine andere den unbekümmert weiterAngelnden, »haben Sie sich hier als neapolitanischer Fischerknabeetabliert?«»Wenn Sie nicht mit Ihrem Schiff aus dem Wege fahren, kannich natürlich nichts fangen,« brummte der Gefragte mürrisch, derseiner trockenen Gutmütigkeit wegen bei den Damen beliebt war.»Sie müssen nicht angeln, sondern in Ihren Cylinder Löcher machenund damit schöpfen.«»Habe ich schon versucht, aber es geht nicht.«»Miß Nikkerson,« mischte sich jetzt Edgar Hendricks ein, »darfich Sie zur nächsten Tour auffordern?«»Ich bin leider schon vergeben! Sagen Sie, Sir Hendricks! Wo habenSie denn Ihre sonst unvermeidlichen Reitsporen? Sie sollen jadie meiste Zeit des Tages zu Pferde sitzen und selbst in Ihrem Zimmerreiten?«»Es that mir zu weh, als ich die Sporen in die nackten Fersenstechen wollte. Das Schuhetragen ist hier nämlich nur ausnahmsweisegestattet, nur an Sonn-, Fest- und Geburtstagen.«»Sein Pferd hat er mit,« versicherte Williams mit der Hand aufdem Herzen, »es liegt aber im Zwischendeck und ist seekrank,sonst könnten Sie den edlen Sir an Bord herumreiten sehen.«Solche scherzhafte Reden wechselten noch lange zwischen denHerren und Damen; nur Miß Petersen und Lord Harrlington verhieltensich schweigend.Endlich trat letzterer an die Bordwand und fragte hinüber:»Miß Petersen, erlauben Sie, daß der ›Amor‹ die ›Vesta‹ währendihrer Fahrt um die Erde begleitet? Bedenken Sie wohl, wieoft Sie eine männliche Hilfe herbeisehnen werden, und eine bessere,treuere und thatkräftigere als die meiner Brigg können Sienirgends finden. Zu See und zu Land, in jeder Gefahr können Sieauf uns zählen.«Das Mädchen lachte spöttisch auf.»Wir Vestalinnen brauchen keine Hilfe; dies zu zeigen ist ebenunsere Absicht. Und übrigens, Lord Harrlington, Sie scheinen keinguter Seemann zu sein, wenn Sie nicht zu erkennen vermögen, daßdie ›Vesta‹ Ihrer Brigg im Segeln weit überlegen ist. Nur eine halbeStunde Fahrt, und wir sind Ihnen außer Sicht.«Des Kapitäns Augen blitzten.»Miß Petersen, Sie sind mir noch Revanche schuldig. für IhrenSieg über mich im Einzelboot. Was gilt die Wette, daß der ›Amor‹der ›Vesta‹ folgen kann?«»Gut. Um was wetten wir?« war die Antwort.»Ich schlage vor,« rief der lustige Charles, »um einen Kuß. Verlierenwir, so geben wir jeder Dame einen Kuß, verliert die ›Vesta‹, sobekommt jeder Herr von einer Dame einen.«»Shocking!« riefen die Damen lachend; Ellen Petersen aber sagte:»Scherz beiseite! Kann Ihr Schiff dem unsrigen folgen, so seiIhnen die unwiderrufliche Erlaubnis gegeben, uns für immer zubegleiten. Im anderen Falle werden Sie sich nie wieder darum be-112© wasser-prawda


Sprachraum© wasser-prawda113


Sprachraummühen, die ›Vesta‹ aufzusuchen, sondern sie im Gegenteil stetsvermeiden.«»Einverstanden!« erwiderte Lord Harrlington fröhlich, und sogleichbegann an Bord der beiden Schiffe ein reges Leben. Kommandoserschollen. Die Damen, wie die Herren flogen in die Takelage,um alle Leinewand zu entfalten, doch wenn die Kapitäninnicht zu sehr mit ihrer Besatzung beschäftigt gewesen wäre, sohätte sie bemerken können, wie Harrlington angelegentlich durchein Sprechrohr mit jemandem im Zwischendeck verhandelte.Schon nach wenigen Minuten, als sich der Wind in die Segellegte, war zu sehen, daß die ›Vesta‹ der Brigg an Schnelligkeit weitüberlegen war. Beide Schiffe loggten, das heißt, mittels einer dazubestimmten Vorrichtung wurde die Geschwindigkeit der Fahrtaufgenommen, und es fand sich, daß das Vollschiff zwölf Knoten,die Brigg aber nur acht lief. Als die ›Vesta‹ an dem Amor vorüberflog,schwangen die Mädchen jubelnd die Mützen in die Luftund wunderten sich nur über das spöttische Lächeln des Kapitänsund der übrigen Herren, welche keine Spur von Mißvergnügenzeigten. Lord Hastings zog sogar seinen Zylinder und rief demvorbeieilenden Schiff ein ›Auf Wiedersehen‹ zu.Nach einer halben Stunde konnten die Damen nur noch dieMastspitzen des ›Amor‹ sichten.»Sonderbar ist es doch, daß die englischen Herren auf eineWettfahrt eingingen,« meinte Miß Murray, »ich fürchte, sie verbergendarunter irgend eine andere Absicht.«»Was ist denn das?« rief plötzlich aufgeregt die Kapitänin undbeobachtete die Brigg durch das Fernrohr. »Es ist gar kein Zweifel,sie kommen uns wunderbar schnell nach.«»Ha!« fuhr sie nach einigen Minuten fort. »Ueber dem ›Amor‹schwebt eine Rauchwolke. Ich habe allerdings nicht ahnen können,daß er eine Hilfsmaschine an Bord führt.«Auch die anderen Damen hatten das Näherkommen des ›Amor‹bemerkt, aber es war nicht zu verkennen, daß sie sich nicht, wieMiß Petersen, darüber ärgerten, sondern vielmehr freuten.Wiederum nach einer halben Stunde lag die Brigg unter Segelnund Dampf an der Seite der ›Vesta‹.»Wir haben gewonnen,« rief Lord Harrlington freudig nach derKommandobrücke hinüber, »Sie werden mit der Begleitung des›Amor‹ als Retter in der Not zufrieden sein.«»Die Wette gilt nicht,« entgegnete aber die männerfeindlicheKapitänin, »ich habe nicht gewußt, daß das Schiff eine Maschinebesaß.«»Die Wette gilt nicht? Bitte, meine Herren und Damen, werkann leugnen, daß der ›Amor‹ der ›Vesta‹ gefolgt ist?«»Der ›Amor‹ hat gewonnen, die Wette ist giltig,« riefen wie auseinem Munde alle Herren, und zum geheimen Aerger der Kapitäninstimmten die Damen ihnen bei.»So sei es denn!« sagte sie endlich. »Ellen Petersen hält ihr versprochenesWort. Der ›Amor‹ darf die ›Vesta‹ begleiten, doch nurunter folgender Bedingung: Verliert er nur ein einziges Mal unsereSpur, so hat er ein für allemal das Recht verscherzt, uns fernerzu folgen.«»Ganz schlau,« sagte Charles zu seinem Freunde, »aber wartet,ich will einen Zankapfel in ihre Mitte werfen.«Und mit lauter Stimme fuhr er fort:114© wasser-prawda


Sprachraum»Miß Petersen, wollen Sie darüber nicht auch die anderen Damenfragen? Ich glaube nämlich, dieselben sind anderer Ansicht.«»In der That,« sagte jetzt Johanna Lind, die neuaufgenommeneVestalin, und trat auf die Kommandobrücke. »Ohne die versprochenePflicht des Gehorsams verletzen zu wollen, bitte ichSie doch, Miß Petersen, zu bedenken, wie leicht wir in die Lagekommen können, Hilfe in Anspruch zu nehmen, und besser istes dann, von solchen Leuten, den Söhnen der edelsten FamilienEnglands, Unterstützung zu finden, als in die Hände der rohenMatrosen des ersten besten Schiffes zu fallen.«Die an Deck stehenden Mädchen stimmten der kühnen Sprecherinbei. Miß Petersen überlegte. Johanna hatte recht; hierdurfte sie nicht nach eigenem Ermessen handeln, und außerdemhatte sie in der kurzen Zeit schon öfters bewundert, mit welcherKlugheit die neue Vestalin in jeder Angelegenheit den Ausschlaggab, auch sie hatte zu Johanna bereits eine innige Neigung gefaßt.Alles an diesem klugen, mutigen und immer liebenswürdigenMädchen zog sie an. So gab sie auch diesmal nach.»Wir werden eine Beratung abhalten,« rief sie dem auf Antwortharrenden Harrlington zu. »In zehn Minuten werden Sie die ZuoderAbsage auf Ihren Wunsch zu hören bekommen.«© wasser-prawda115


SprachraumDie Damen versammelten sich am Steuerrad und sprachen emsigmiteinander. Es ging dabei, wie Hendricks zu seinem Freundesagte, wie in einer Mädchenschule zu.Nach zehn Minuten trat die Kapitänin wieder an die Bordwand.»Wir haben Ihre Bitte, uns begleiten zu dürfen, ohne daß wiruns durch dieselbe beleidigt fühlen, einstimmig angenommen.«»Hurrah!« schrieen die Herren, und Mützen, Hüte und Cylinderflogen in die Luft.»Aber,« fuhr Miß Ellen lächelnd fort, »nur unter gewissen Bedingungen.Wir erlauben Ihnen sogar, uns auf Landpartien zubegleiten, doch ...«»Hip, hip, hip, hurrah!« unterbrach sie jubelnd Charles.»Doch nur, wenn Sie folgendes annehmen: Der ›Amor‹ folgt der›Vesta‹ tagsüber in solcher Entfernung, daß selbst mit dem bestenFernrohr das Treiben der Damen nicht beobachtet werden kann;in der Nacht dagegen kann er sich ihr beliebig nähern.«»Angenommen!« sagte Lord Harrlington erfreut.»Verlieren Sie uns aus den Augen,« sprach Ellen weiter, »undfinden uns innerhalb dreißig Tagen nicht wieder, zu <strong>Wasser</strong> oderzu Lande, so erlischt diese Erlaubnis, und der Nachtklub ›Neptun‹macht in allen europäischen und amerikanischen Sportzeitungenbekannt, daß seine Mitglieder sich von dem Damenklub ›Vesta‹auf dem Gebiete des <strong>Wasser</strong>sports für überwunden erklären. AlleHerren unterzeichnen mit dem vollen Namen. Sind Sie damiteinverstanden?«»Wir sind‘s,« rief die Besatzung des ›Amor‹ einstimmig.»Sie werden uns nicht entschlüpfen,« fügte der Kapitän hinzu.»Und wir werden es doch. Die ›Vesta‹ fährt einfach in der Nachtohne Lichter, wie wollen Sie uns dann folgen?«»Das dürfen Sie nicht, das Seegesetz verbietet es Ihnen.«»Was dürfte eine Ellen Petersen nicht?« spottete das übermütigeMädchen, »Ich werde doch kein einziges Licht anzünden lassen.«»Und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich trotzdem auf IhrerSpur bleiben werde, und segelten Sie bis ans Ende der Welt,« rieferregt Lord Harrlington.»Wie lange werden Sie dies aushalten, wenn ich fragen darf?«»Bis Miß Ellen Petersen meine Braut ist!«Die letzten Worte hatte der Lord mit fieberhaft erregter Stimmegerufen. Jetzt wandte er sich kurz um.»Feuer aus! Hol‘ ein das Klüversegel! Hol‘ ein die Marssegel!«erklang es aus seinem Munde, und die bald erglühende, bald erbleichendeEllen sah, wie die also bediente Brigg plötzlich ihrenLauf mäßigte und zurückblieb, bis sie am Horizont nur noch einemdunklen Punkte glich.Aber als der Abend kam, war die Brigg dem Vollschiff wiederganz nahe, und da der Mond hell schien, so verschob Miß EllenPetersen ihren Plan, ohne Lichter zu fahren, auf eine dunklereNacht, um die Begleitung des ›Amor‹ loszuwerden.Der Vollmond zeichnete in scharfen Umrissen den Schattender ›Vesta‹ auf dem <strong>Wasser</strong> ab; die Sterne funkelten am Firmamentund blickten neugierig auf das Damenschiff herab, auf dessenKommandobrücke eine schlanke Gestalt ruhelos hin- undherwanderte, von Zeit zu Zeit mit einem Nachtfernrohr den Horizontabsuchend.116© wasser-prawda


SprachraumWas bewog diese Person, anstatt nach dem anstrengenden Tagesdienstihre Koje aufzusuchen, die Wache am Steuer zu übernehmen?In Ellen Petersens Herzen, denn diese war die ruhelos Wandernde,wogten stürmische Gedanken, gleich den Wellen, welcheder brausende Orkan auf der See erzeugt.Zum zweiten Male trat ihr dieser Mann entgegen und warbwiederum um ihre Hand, aber nicht heimlich, wie damals, als erihr in einem Nebenzimmer seine Liebe gestand, nein, öffentlich,daß es alle seine Begleiter und die Vestalinnen gehört hatten.Warum hatte sie ihm damals mit kurzen Worten gesagt, daß sienie einen Mann lieben könne, nie heiraten werde? Hatte sie damitdie Wahrheit gesagt? Ach, nein, leider nein! Der Stolz hatte ihrdiese Worte diktiert, der Stolz, als eine Männerfeindin zu gelten,der Wille, frei, selbstbewußt wie ein Mann aufzutreten.»Und segelten Sie bis an das Ende der Welt, ich bliebe doch aufIhrer Spur!«Diese Worte klangen wieder in ihrer Seele, und sie sah noch dieflammenden Blicke, mit denen sie begleitet waren.»Wohlan denn,« rief Ellen und schlug die Augen empor zu denSternen. »So hört meinen Schwur, ihr ewigen Gestirne! Hält ersein Versprechen, zeigt er sich als ein treuer Freund in allen Nötenund Gefahren, bis wir sicher in den Heimatshafen gelangt sind,dann soll sich der Trotz von Ellen Petersen in die dienende Liebedes Weibes umwandeln, und diese Reise wird die Entscheidungbringen.© wasser-prawda117


ERSCHEINUNGSDATUM:10.03.2014UWE SAEGER: FAUST JUNIORJustus verlässt die mütterliche Wohnung, um sichauf die Suche nach seinem Vater zu begeben. Er begegnetdrei Gesellen, die ihn nach einem anständigenSaufgelage in eine von seinem vermeintlichenErzeuger geführte Irrenanstalt entführen. Eine anein Gehirn erinnernde Architektur und absurdeVorkommnisse verhindern jede Orientierung. Erfindet einen Freund, irgendetwas entwickelt sichzwischen ihm und Wagner und eine Idee reift inihm: Er will Superstar werden. Doch das bedeutetnicht nur anspruchsvolle Prüfungen zu bestehenund den eigenen Charakter zu formen.Er trifft Heiner Hohlen und tötet Goethe.HARDCOVER, CA. 550 SEITENPREIS: 24,95 EUR (D)ISBN: 978-3-943672-35-0Uwe Saegers Faust junior ist verstörend, widerspenstig,brutal und zuweilen obszön. Eine Abrechnungmit dem Irrsinn der Mediengesellschaft undihren fragwürdigen Protagonisten, die verschiebt,demontiert, zerstückelt und sprachlos zurücklässt.PAULINA SCHULZ: DAS EILANDJohn verbringt die Sommerferien mit seinen Elternin einem Ferienhaus auf einem Eiland mit romantischenSandstränden und ausgedehnten Wäldern.Er unternimmt lange Streifzüge über die Insel undhält seine Eindrücke mit seiner Kamera fest; nacheinigen Tagen begegnet er den Zwillingen Milanund Milena. Einer gemeinsamen Nacht, in derJohn seine ersten sexuellen Erfahrungen macht,folgt eine verstörende Entdeckung. Als er MilenaJahre später zufällig trifft, scheint sich der Kreis zuschließen.Diese Erzählung fesselt, sie reißt mit, ist wie einFluss, der sich unaufhaltsam seinen Weg bahnt unddennoch gleichmäßig schön vor sich hinströmt.Paulina Schulz schreibt über das Erwachsenwerdenund das Gefühlschaos, das beinahe jeder erlebt hat,über Liebe, Schmerz und unerträgliche Sehnsucht.SOFTCOVER, CA. 120 SEITENPREIS: 12,95 EUR (D)ISBN: 978-3-943672-32-9www.freiraum-verlag.deGestaltet von Maximilian-Leonard Wienold

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!