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Peter Bauer, Peter Schlapp - Frankfurt / Main, TheaterGrueneSosse

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Iserlohn, Ratingen, Düsseldorf, Bonn, Köln, Bochum, Fulda, Wiesbaden, Filderstadt, Hannover,<br />

Becherbach<br />

Es ist Februar 1999. Ich bin mit Sigi, Willi, Detlef und<br />

Günther in Becherbach in der Pfalz. Wir haben dort ein<br />

Haus gemietet. Wir sind dort, um zu arbeiten an einem<br />

Theaterstück. Es ist unser erstes Arbeitstreffen. Man<br />

fährt dann weit weg, um allein zu sein mit der Arbeit.<br />

Kein Radio. Kein Fernsehgerät. Kein Telefon. Fünf<br />

Väter treffen sich in Becherbach, um nachzudenken<br />

über das Vater-Sein, Sohn-Sein und Vater-Werden. Zu<br />

diesem Zeitpunkt haben wir fünf insgesamt sieben<br />

Kinder. Sigi und Günther werden erneut Vater.<br />

Becherbach in der Pfalz liegt in einem Tal. In diesem<br />

Tal haben Handys kein Netz. Das ist passend, weil<br />

wir fünf uns für eine Woche von unseren fünf Frauen<br />

verabschiedet haben, um ganz unter uns und mit dem<br />

Theater und dem Vaterthema zu sein. Das ist eine<br />

Vereinbarung. Eine Verabredung. Eine Regel. Zwischen<br />

Jungs nennt man es einen Schwur. Schon nach einem<br />

Tag stelle ich fest, dass in Arbeitspausen der eine oder<br />

andere aus dem Haus verschwindet über den Weg aus<br />

dem Dorf auf den nahen Berg. Es war eher ein Hügel<br />

als ein Berg. Aber ausreichend.<br />

Wenn die Grüne Soße kocht, kocht nie einer für alle.<br />

Immer kochen alle für alle. Das hatte ich schnell<br />

erkannt. So beschloss ich, wenn die vier Chefköche<br />

kochten, mich als Küchenjunge zurückzuziehen auf<br />

so banale Dinge wie das Schälen der Kartoffeln oder<br />

Zerstückeln der Zwiebeln. Die Debatte über die<br />

Zusammensetzung der Mahlzeit, über zu benutzende<br />

Quantitäten und den logischen Aufbau der Soßen<br />

und die Gewürzwahl überließ ich voller Vertrauen<br />

auf das Gelingen demokratischer Prozesse den Vieren.<br />

Die Resultate bestätigten dieses Vertrauen. Und mein<br />

schweigsamer Dialog mit den Kartoffeln und den<br />

Zwiebeln erholte mich von der Regiearbeit.<br />

Auch an diesem Tag im Februar in Becherbach in der<br />

Pfalz war Kochzeit. Die übliche Debatte über Kartoffeln<br />

oder Reis, das équilibre von Süß und Sauer, Herbes<br />

de Provence oder Koriander, al dente oder bien cuit<br />

oder mit Sahne oder ohne oder ganz oder gar nicht<br />

oder gar überbacken füllten die Küche. Ich schwieg.<br />

Wie immer. Sigi fehlte. Da ging die Tür auf, und er<br />

betrat den Raum. Gleich brach er in Tränen aus. Er<br />

habe vom Hügel nach <strong>Frankfurt</strong> telefoniert, und eine<br />

Blutuntersuchung habe ergeben, dass eine Missbildung<br />

des Kindes nicht gänzlich auszuschließen sei. Und<br />

schon saßen wir alle um den Tisch, und das Interesse,<br />

das vorher noch dem Hunger galt, konzentrierte sich<br />

nun auf das mitfühlende Mitteilen aller Erfahrungen<br />

aus allen sieben Schwangerschaften und den<br />

Ängsten darum, die sieben Kinder könnten eine<br />

Behinderung haben. Das beruhigte. Sigi sollte in dieser<br />

Rundtischdebatte das Schlusswort haben.<br />

„Die Sonderschule hat Ausfl ugstag. Es geht mit dem<br />

Bus zum Naturpark Eifel. Alle sind gut gelaunt. Da<br />

hat der Bus eine Panne. Der Dicke aus der letzten<br />

Reihe, es muss der Klassensprecher sein, ruft laut:<br />

Ich weiß, was kaputt ist. Ich weiß, was kaputt ist.<br />

Der Fahrer des Busses bittet um Ruhe. Er versucht<br />

mehrmals, den Motor zu starten. Ich weiß, was kaputt<br />

ist, tönt es aus der letzten Reihe. Der Fahrer steigt aus,<br />

öffnet die Motorhaube und überprüft dies und das.<br />

Aus einem offenen Fenster tönt es nach draußen, ich<br />

weiß, was kaputt ist. Der Fahrer steigt wieder ein und<br />

dreht den Zündschlüssel. Der Motor macht einige<br />

schwerfällige Umdrehungen. Nichts. Ich weiß, was<br />

kaputt ist. Der Fahrer nimmt sein Handy, um den<br />

Pannendienst anzurufen. Ich weiß, was kaputt ist. Der<br />

Fahrer gibt die Position des Busses durch. Ich weiß,<br />

was kaputt ist. Ich weiß, was kaputt ist. Da platzt dem<br />

Fahrer der Kragen. Verfl ixt und zugenäht, dann sag<br />

schon, was kaputt ist. Alle blicken den Dicken in der<br />

letzten Reihe an. Der Bus ist kaputt.“<br />

Danach war das Essen fertig. Dann war die Woche<br />

um. Und 20. Juli 1999 kam sie zur Welt, Sigis Tochter<br />

Anna, kerngesund. Und am ersten Oktober war auch<br />

unser Theaterstück fertig. Marcel Cremer

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