Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt
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Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung §64 tungsbestimmung einen Teilbereich der unter dem Stichwort „existenzgefährdender Eingriff“ zusammengefassten Haftungsfälle (§ 13 Rdnr. 98 ff.) mit erfasst 1 . Hieraus wird mit Recht gefolgert, dass § 64 Satz 3 im Wesentlichen einen Schutz gegen Ausplünderungen der Gesellschaft vor ihrem Zusammenbruch gewährleisten soll 2 . Dieses rechtspolitische Ziel sollte zu einer kontrollierten Handhabung der Bestimmung anhalten (vgl. auch Rdnr. 71). b) Systematisch wird § 64 Satz 3 als Vorverlagerung des aus § 64 Satz 1 abgelesenen Zahlungsverbots bezeichnet 3 . Rechtspolitisch besteht auch nach der hier vertretenen Ansicht ein Zusammenhang mit der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 15a InsO (vgl. zu dieser Anh. § 64 Rdnr. 44 ff.). Es handelt sich insgesamt um insolvenzbezogene Organpflichten, allerdings nicht um insolvenzverfahrensrechtliche Institute, sondern um gesellschaftsrechtliche Organpflichten in der insolventen Gesellschaft 4 . Diese Organpflichten wurden im MoMiG durch Einführung des § 64 Satz 3 vor das Stadium der materiellen Insolvenz vorverlegt. Das MoMiG hat die Insolvenzantragspflicht dezidiert insolvenzrechtlich eingeordnet und aus dem § 64 herausgelöst (vgl. oben Rdnr. 2). Die Regierungsbegründung 5 gibt aber auch § 64 Satz 3 „einen starken insolvenzrechtlichen Bezug“. Sie fügt hinzu: „Dies erleichtert es, § 64 als insolvenzrechtliche Norm zu qualifizieren und gemäß Artikel 3 Abs. 1, Artikel 4 Abs. 1 und 2 und Satz 1 der Europäischen Insolvenzordnung (EuInsVO) auch in Insolvenzverfahren über das Vermögen ausländischer Gesellschaften anzuwenden, deren Tätigkeitsmittelpunkt in Deutschland liegt.“ Die Anwendbarkeit auf Auslandsgesellschaften ist indes zu bestreiten. Das beruht weniger auf systematischen als auf positivrechtlichen Erwägungen. Der Gesetzgeber hat die sog. Zahlungsverbote auch nach dem MoMiG rechtsformspezifisch geregelt (in § 64 für die GmbH; in § 130a Abs. 1 HGB für die Kapitalgesellschaft & Co. KG; in § 92 Abs. 2 AktG für die Aktiengesellschaft). Sie sind ähnlich wie die Ausschüttungsverbote (im Fall der GmbH also § 30) genuines Gesellschaftsrecht. Dies schließt unabhängig von der rechtssystematischen Einordnung eine Anwendung auf Auslandskapitalgesellschaften auch unter Zuhilfenahme der EuInsVO aus. c) Normadressaten sind wie bei § 64 Satz 1 die Geschäftsführer unter Einbeziehung etwaiger faktischer Geschäftsführer (Rdnr. 43). Es liegt ein an § 64 Satz 1 orientiertes Zahlungsverbot vor. Hinsichtlich der Sanktionsrichtung unterscheidet sich § 64 Satz 3 ebenso von §§ 30, 31 wie von §§ 129 ff. InsO 6 : Zur Erstattung verpflichtet sind nicht die Zahlungsempfänger, sondern die Geschäftsführer (Rdnr. 100). Auch von der in der Gesetzesbegründung gleichfalls in Bezug genommenen Existenzvernichtungshaftung (Rdnr. 65) unterscheidet sich die Er- 1 Vgl. Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; s. auch Casper, in: Ulmer, Rdnr. 103; Böcker/Poertzgen, WM 2007, 1203, 1205; Niesert/Hohler, NZI 2009, 345, 348. 2 Kleindiek, in: FS Karsten Schmidt, 2009, S. 893, 904; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, Rdnr. 20. 3 Vgl. nur Kleindiek, in: FS Karsten Schmidt, 2009, S. 893, 901. 4 9. Aufl., § 64 Rdnr. 1. 5 RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 47. 6 Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449, 453 f.; Graulich/Rau, NZG 2008, 284, 286. Karsten Schmidt | 4187 66 67
68 69 70 71 §64 Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung satzpflicht nach § 64 Satz 3 darin, dass nicht die Gesellschafter, sondern die Geschäftsführer als Handelnde haften (zur Gesellschafterhaftung vgl. Rdnr. 100 f.). Insofern haben die Existenzvernichtungshaftung und die Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 3 nichts miteinander zu tun 1 . Auch Aufsichtsratsmitglieder sind nicht Normadressaten (zu ihrer Haftung vgl. Rdnr. 101). d) Betrachtung ex post und ex ante: § 64 Satz 3 formuliert einen Anspruch der Gesellschaft gegen die dem Zahlungsverbot zuwiderhandelnden Geschäftsführer. Die Sichtweise des Gesetzes ist damit eine Sichtweise ex post, und zwar aus der Perspektive der Gesellschaft (nach Insolvenzverfahrenseröffnung: des Insolvenzverwalters) bzw. des über den Erstattungsanspruch entscheidenden Zivilgerichts. Die ungeschriebene Prämisse und zentrale Regelung des § 64 Satz 3 ist indes das Verbot von Zahlungen an Gesellschafter, die zur Zahlungsunfähigkeit führen müssen. Diese ex-ante-Betrachtung zeigt, dass es sich, ähnlich wie bei den Insolvenzantragspflichten um insolvenzbezogene Organpflichten der Geschäftsführer handelt (vgl. Rdnr. 66 sowie Anh. § 64 Rdnr. 1, 3). Diese setzen nach § 64 Satz 3 bereits vor der materiellen Insolvenz (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit) ein. e) Zwingendes Recht: § 64 Satz 3 ist zwingend. Die Bestimmung kann weder durch Gesellschaftsvertrag noch durch Vereinbarung ausgeschlossen werden. Ein mit § 64 Satz 3 unvereinbarer Gesellschafterbeschluss (Weisungsbeschluss) bindet die Geschäftsführer nicht 2 . Der Beschluss ist damit allerdings nicht ohne Weiteres nichtig, wenn die Auszahlung mit § 64 Satz 3 unvereinbar wäre. Dies ist er nur, wenn der Geschäftsführer zum Ungehorsam gegen § 64 Satz 3 aufgefordert wird (vgl. sinngemäß zu § 30 § 45 Rdnr. 74). In anderen Fällen genügt, dass der Beschluss die Geschäftsführer nicht bindet. Ein Verbotsgesetz i.S. von § 134 BGB ist § 64 Satz 3 nicht (Rdnr. 92). Die verbotene Zahlung ist nicht nichtig und muss nicht schon wegen dieses Verstoßes nach § 812 BGB zurückgezahlt werden. f) Verhältnis zu anderen Vorschriften: § 64 Satz 3 und § 30 schließen sich nicht aus (Rdnr. 71). Dieselbe Zahlung kann Ansprüche gegen die Empfänger nach § 31 und gegen die Geschäftsführer nach § 64 Satz 3 begründen 3 . Dasselbe gilt im Verhältnis zu §§ 129 ff. InsO (Insolvenzanfechtung gegen den Empfänger) und zu §§ 812 ff. BGB (Bereicherungsanspruch gegen den Empfänger). Über Schadensersatzpflichten vgl. Rdnr. 97 ff. g) Rechtspolitische Bewertung: Das rechtspolitische Urteil fällt zwiespältig aus 4 . § 64 Satz 3 ist Bestandteil der durch das MoMiG insgesamt verschärften Geschäftsführerhaftung 5 . Im Verhältnis zu § 30 dokumentiert die Bestimmung gleichzeitig einen Kompromiss hinsichtlich der beim Kapitalschutz nach § 30 1 Unnötig deshalb die Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; danach ist Satz 3 „keine abschließende Regelung der Existenzvernichtungshaftung und greift demgemäß der weiteren Rechtsfortbildung nicht vor“. 2 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 47. 3 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; Streit/Bürk, DB 2008, 742, 750. 4 Überblick bei Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, Rdnr. 56 ff. 5 Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449; S. Meyer, BB 2008, 1742. 4188 | Karsten Schmidt
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Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung §64<br />
tungsbestimmung einen Teilbereich der unter dem Stichwort „existenzgefährdender<br />
Eingriff“ zusammengefassten Haftungsfälle (§ 13 Rdnr. 98 ff.) mit erfasst<br />
1 . Hieraus wird mit Recht gefolgert, dass § 64 Satz 3 im Wesentlichen einen<br />
Schutz gegen Ausplünderungen der Gesellschaft vor ihrem Zusammenbruch<br />
gewährleisten soll 2 . Dieses rechtspolitische Ziel sollte zu einer kontrollierten<br />
Handhabung der Bestimmung anhalten (vgl. auch Rdnr. 71).<br />
b) Systematisch wird § 64 Satz 3 als Vorverlagerung des aus § 64 Satz 1 abgelesenen<br />
Zahlungsverbots bezeichnet 3 . Rechtspolitisch besteht auch nach der<br />
hier vertretenen Ansicht ein Zusammenhang mit der Insolvenzverschleppungshaftung<br />
nach § 15a InsO (vgl. zu dieser Anh. § 64 Rdnr. 44 ff.). Es handelt sich<br />
insgesamt um insolvenzbezogene Organpflichten, allerdings nicht um insolvenzverfahrensrechtliche<br />
Institute, sondern um gesellschaftsrechtliche Organpflichten<br />
in der insolventen Gesellschaft 4 . Diese Organpflichten wurden im<br />
MoMiG durch Einführung des § 64 Satz 3 vor das Stadium der materiellen<br />
Insolvenz vorverlegt. Das MoMiG hat die Insolvenzantragspflicht dezidiert insolvenzrechtlich<br />
eingeordnet und aus dem § 64 herausgelöst (vgl. oben Rdnr. 2).<br />
Die Regierungsbegründung 5 gibt aber auch § 64 Satz 3 „einen starken insolvenzrechtlichen<br />
Bezug“. Sie fügt hinzu: „Dies erleichtert es, § 64 als insolvenzrechtliche<br />
Norm zu qualifizieren und gemäß Artikel 3 Abs. 1, Artikel 4 Abs. 1<br />
und 2 und Satz 1 der Europäischen Insolvenzordnung (EuInsVO) auch in Insolvenzverfahren<br />
über das Vermögen ausländischer Gesellschaften anzuwenden,<br />
deren Tätigkeitsmittelpunkt in Deutschland liegt.“ Die Anwendbarkeit auf<br />
Auslandsgesellschaften ist indes zu bestreiten. Das beruht weniger auf systematischen<br />
als auf positivrechtlichen Erwägungen. Der Gesetzgeber hat die sog.<br />
Zahlungsverbote auch nach dem MoMiG rechtsformspezifisch geregelt (in § 64<br />
für die GmbH; in § 130a Abs. 1 HGB für die Kapitalgesellschaft & Co. KG; in<br />
§ 92 Abs. 2 AktG für die Aktiengesellschaft). Sie sind ähnlich wie die Ausschüttungsverbote<br />
(im Fall der GmbH also § 30) genuines Gesellschaftsrecht.<br />
Dies schließt unabhängig von der rechtssystematischen Einordnung eine Anwendung<br />
auf Auslandskapitalgesellschaften auch unter Zuhilfenahme der<br />
EuInsVO aus.<br />
c) Normadressaten sind wie bei § 64 Satz 1 die Geschäftsführer unter Einbeziehung<br />
etwaiger faktischer Geschäftsführer (Rdnr. 43). Es liegt ein an § 64 Satz 1<br />
orientiertes Zahlungsverbot vor. Hinsichtlich der Sanktionsrichtung unterscheidet<br />
sich § 64 Satz 3 ebenso von §§ 30, 31 wie von §§ 129 ff. InsO 6 : Zur Erstattung<br />
verpflichtet sind nicht die Zahlungsempfänger, sondern die Geschäftsführer<br />
(Rdnr. 100). Auch von der in der Gesetzesbegründung gleichfalls in Bezug genommenen<br />
Existenzvernichtungshaftung (Rdnr. 65) unterscheidet sich die Er-<br />
1 Vgl. Begr. RegE MoMiG, BT-<strong>Dr</strong>ucks. 16/6140, S. 46; s. auch Casper, in: Ulmer,<br />
Rdnr. 103; Böcker/Poertzgen, WM 2007, 1203, 1205; Niesert/Hohler, NZI 2009, 345,<br />
348.<br />
2 Kleindiek, in: FS Karsten <strong>Schmidt</strong>, 2009, S. 893, 904; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff,<br />
Rdnr. 20.<br />
3 Vgl. nur Kleindiek, in: FS Karsten <strong>Schmidt</strong>, 2009, S. 893, 901.<br />
4 9. Aufl., § 64 Rdnr. 1.<br />
5 RegE MoMiG, BT-<strong>Dr</strong>ucks. 16/6140, S. 47.<br />
6 Karsten <strong>Schmidt</strong>, GmbHR 2008, 449, 453 f.; Graulich/Rau, NZG 2008, 284, 286.<br />
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