Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt
Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt
Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung §64 genügt 1 . Mindestens fahrlässiges Verhalten ist auch hinsichtlich der Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erforderlich (vgl. Rdnr. 36; zur Selbstprüfungspflicht der Gesellschaftsorgane Anh. § 64 Rdnr. 4, 48) 2 . Wer diesbezüglich einen notwendigen Rechtsrat nicht einholt, handelt schuldhaft 3 . b) Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast tragen auch bezüglich des Verschuldens – also nicht nur bezüglich des § 64 Satz 2 – die Geschäftsführer bzw. Liquidatoren4 . Sie müssen, wenn der objektive Tatbestand des § 64 Satz 1 feststeht, den Exkulpationsbeweis antreten (Rdnr. 38). c) Gesamtverantwortung Das Gesetz geht von einer Gesamtverantwortung aller Geschäftsführer bzw. Liquidatoren aus5 . Es haftet nicht nur der Geschäftsführer bzw. Liquidator, der die Zahlung vorgenommen hat, sondern es genügt, dass die Zahlung einem Mitgeschäftsführer (Mitliquidator) zugerechnet wird6 . Die Gesamtverantwortung der Geschäftsführer (vgl. auch § 43 Rdnr. 35) ändert nichts daran, dass es auf individuelle Zurechenbarkeit ankommt (Rdnr. 43). Wer darlegen und beweisen kann, dass er weder die Selbstprüfungspflicht in der Krise (Anh. § 64 Rdnr. 4, 48) vernachlässigt noch die in Rede stehende Zahlung vorgenommen oder geduldet oder durch fahrlässige Unkenntnis ermöglicht hat, ist exkulpiert7 . Dazu gehört aber, dass der Geschäftsführer oder Liquidator seinen Kontrollund Überwachungspflichten nachgekommen ist8 . III. Rechtsfolgen 1. Der Grundlagenstreit: Erstattungspflicht oder Schadensersatz? Die Rechtsfolgen des „Zahlungsverbots“ sind ebenso umstritten wie der Tatbestand (vgl. schon Rdnr. 12 ff.). Im Wesentlichen geht es um die Frage: Gibt der Wortlaut § 64 Satz 1 die Rechtsfolge richtig wieder, sind also die Geschäftsführer ohne jede Rücksicht auf den Eintritt eines entsprechenden Insolvenzverschleppungsschadens zum Ersatz in Höhe der Zahlungen verpflichtet (so der BGH und die h.M.)? Oder ist die richtige Rechtsfolge aus § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB abzulesen 9 , wonach die organschaftlichen Vertreter „der Gesellschaft ge- 1 BGHZ 143, 184, 185 = GmbHR 2000, 182 = NJW 2000, 668 = ZIP 2000, 184; Casper, in: Ulmer, Rdnr. 93; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, Rdnr. 14. 2 BGHZ 143, 184, 185 = GmbHR 2000, 182 = NJW 2000, 668 = ZIP 2000, 184; OLG Celle, GmbHR 2008, 1034, 1035; Casper, in: Ulmer, Rdnr. 93. 3 Vgl. BGH, DStR 2007, 1641. 4 BGHZ 143, 184, 185 = GmbHR 2000, 182 = NJW 2000, 668 = ZIP 2000, 184. 5 Vgl. Casper, in: Ulmer, Rdnr. 94. 6 OLG München, DB 2008, 457, 459 = GmbHR 2008, 320, 321. 7 OLG München, DB 2008, 457, 459 = GmbHR 2008, 320, 321. 8 Nachweise bei Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, Rdnr. 15. 9 Ähnlich in Österreich § 25 Abs. 3 Nr. 2 öGmbHG. Karsten Schmidt | 4179 47 48 49
50 §64 Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung genüber zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens“ verpflichtet sind (so mit rechtsdogmatischen Unterschieden im Ansatz die hier vertretene und die von Altmeppen angeführte Ansicht)? Es besteht Einigkeit darüber, dass die in § 64 und § 130a HGB enthaltenen Bestimmungen, so unterschiedlich sie lauten, abgestimmt interpretiert werden müssen 1 . Darauf wurde in diesem Kommentar bereits früher hingearbeitet (9. Aufl., § 64 Rdnr. 35). Aber darauf beschränkt sich der Konsens. a) BGH und h.M.: Nach dem zu § 64 ergangenen Urteil BGHZ 146, 264 = NJW 2001, 1280 = GmbHR 2001, 190 muss der Geschäftsführer Zahlungen, die er verbotswidrig geleistet hat, ungekürzt erstatten. Das entspricht nunmehr der ständigen Rechtsprechung. Mit dieser Rechtskonstruktion löst sich der Bundesgerichtshof bewusst von der Kategorie des Schadensersatzes. Der Anspruch geht der Sache nach auf Wiederbeschaffung von Liquidität und führt zu einer ungekürzten Verurteilung des Geschäftsführers in Höhe aller unerlaubt geleisteten Zahlungen 2 . Den Widerspruch zu § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB hat der BGH im Sinne eines Vorrangs von § 64 aufgelöst: Beide Bestimmungen gehen danach allein auf die Erstattung der verbotenen Zahlungen. Zu § 130a Abs. 2 (vor dem MoMiG Abs. 3) Satz 1 HGB heißt es bei BGH, GmbHR 2007, 596 = ZIP 2007, 1006 3 : „Der in § 130a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 HGB geregelte Ersatzanspruch entspricht demjenigen aus § 64 GmbHG und ist auf Erstattung der dem Verbot des § 130a Abs. 1 HGB zuwider geleisteten Zahlungen, nicht dagegen auf Ersatz eines Quotenschadens gerichtet; dieser wird allein durch § 130a Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 HGB erfasst.“ Allerdings will der BGH eine Bereicherung der Masse vermeiden. Es muss verhindert werden, dass durch Erstattungen die Masse aus dem Vermögen der Geschäftsführer subventioniert wird. Etwaige Erstattungsansprüche der Masse gegen den befriedigten Gläubiger oder gegen Dritte sind Zug um Zug an den Geschäftsführer abzutreten. Die hypothetische Quote des unerlaubt befriedigten Gläubigers ist nicht von der Leistung des Geschäftsführers abzuziehen, sondern dem Geschäftsführer ist im Urteil vorzubehalten, einen entsprechenden Anspruch gegen die Masse geltend zu machen 4 .Ingrundsätzlicher Hinsicht bedeutet das: (1) Die Sanktionen der Insolvenzverschleppungshaftung (Anh. § 64) und der Zahlungsverbote nach § 64, § 130a HGB sind voneinander verschieden. (2) Die Sanktion des Zahlungsverbots besteht nicht im Schadensersatz (so § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB), sondern in der Erstattung aller verbotswidrigen Zahlungen (so § 64 Satz 1). (3) Einer Bereicherung der Masse durch Erstattungsansprüche nach § 64 Satz 1 wird durch einen Zug-um-Zug- Mechanismus (volle Erstattung gegen Abtretung von Ansprüchen) entgegengewirkt (Rdnr. 55). 1 BGH, GmbHR 2007, 596 = ZIP 2007, 1006; OLG Schleswig, GmbHR 2005, 1615, 1617 = ZIP 2005, 2211, 2213; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1403. 2 So auch Schulze-Osterloh, in: FS Bezzenberger, 2000, S. 415, 425. 3 Die im BGH-Leitsatz angeführten Gesetzesstellen wurden der Rechtslage nach dem MoMiG angepasst; wie der BGH auch schon OLG Schleswig, GmbHR 2005, 1615, 1619 = ZIP 2005, 2211, 2213; Haas, NZG 2004, 737, 743. 4 Der Rechtsprechung zustimmend z.B. Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, Rdnr. 18; Schmidt-Leithoff, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rdnr. 35; anders hingegen Schulze- Osterloh, in: FS Bezzenberger, 2000, S. 415, 425; Nerlich, in: Michalski, Rdnr. 50. 4180 | Karsten Schmidt
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Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung §64<br />
genügt 1 . Mindestens fahrlässiges Verhalten ist auch hinsichtlich der Erkennbarkeit<br />
der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erforderlich (vgl. Rdnr. 36;<br />
zur Selbstprüfungspflicht der Gesellschaftsorgane Anh. § 64 Rdnr. 4, 48) 2 . Wer<br />
diesbezüglich einen notwendigen Rechtsrat nicht einholt, handelt schuldhaft 3 .<br />
b) Darlegungs- und Beweislast<br />
Die Darlegungs- und Beweislast tragen auch bezüglich des Verschuldens – also<br />
nicht nur bezüglich des § 64 Satz 2 – die Geschäftsführer bzw. Liquidatoren4 .<br />
Sie müssen, wenn der objektive Tatbestand des § 64 Satz 1 feststeht, den Exkulpationsbeweis<br />
antreten (Rdnr. 38).<br />
c) Gesamtverantwortung<br />
Das Gesetz geht von einer Gesamtverantwortung aller Geschäftsführer bzw.<br />
Liquidatoren aus5 . Es haftet nicht nur der Geschäftsführer bzw. Liquidator, der<br />
die Zahlung vorgenommen hat, sondern es genügt, dass die Zahlung einem<br />
Mitgeschäftsführer (Mitliquidator) zugerechnet wird6 . Die Gesamtverantwortung<br />
der Geschäftsführer (vgl. auch § 43 Rdnr. 35) ändert nichts daran, dass es<br />
auf individuelle Zurechenbarkeit ankommt (Rdnr. 43). Wer darlegen und beweisen<br />
kann, dass er weder die Selbstprüfungspflicht in der Krise (Anh. § 64<br />
Rdnr. 4, 48) vernachlässigt noch die in Rede stehende Zahlung vorgenommen<br />
oder geduldet oder durch fahrlässige Unkenntnis ermöglicht hat, ist exkulpiert7 .<br />
Dazu gehört aber, dass der Geschäftsführer oder Liquidator seinen Kontrollund<br />
Überwachungspflichten nachgekommen ist8 .<br />
III. Rechtsfolgen<br />
1. Der Grundlagenstreit: Erstattungspflicht oder Schadensersatz?<br />
Die Rechtsfolgen des „Zahlungsverbots“ sind ebenso umstritten wie der Tatbestand<br />
(vgl. schon Rdnr. 12 ff.). Im Wesentlichen geht es um die Frage: Gibt der<br />
Wortlaut § 64 Satz 1 die Rechtsfolge richtig wieder, sind also die Geschäftsführer<br />
ohne jede Rücksicht auf den Eintritt eines entsprechenden Insolvenzverschleppungsschadens<br />
zum Ersatz in Höhe der Zahlungen verpflichtet (so der<br />
BGH und die h.M.)? Oder ist die richtige Rechtsfolge aus § 130a Abs. 2 Satz 1<br />
HGB abzulesen 9 , wonach die organschaftlichen Vertreter „der Gesellschaft ge-<br />
1 BGHZ 143, 184, 185 = GmbHR 2000, 182 = NJW 2000, 668 = ZIP 2000, 184; Casper, in:<br />
Ulmer, Rdnr. 93; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, Rdnr. 14.<br />
2 BGHZ 143, 184, 185 = GmbHR 2000, 182 = NJW 2000, 668 = ZIP 2000, 184; OLG Celle,<br />
GmbHR 2008, 1034, 1035; Casper, in: Ulmer, Rdnr. 93.<br />
3 Vgl. BGH, DStR 2007, 1641.<br />
4 BGHZ 143, 184, 185 = GmbHR 2000, 182 = NJW 2000, 668 = ZIP 2000, 184.<br />
5 Vgl. Casper, in: Ulmer, Rdnr. 94.<br />
6 OLG München, DB 2008, 457, 459 = GmbHR 2008, 320, 321.<br />
7 OLG München, DB 2008, 457, 459 = GmbHR 2008, 320, 321.<br />
8 Nachweise bei Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, Rdnr. 15.<br />
9 Ähnlich in Österreich § 25 Abs. 3 Nr. 2 ö<strong>GmbHG</strong>.<br />
Karsten <strong>Schmidt</strong> | 4179<br />
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