Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt

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Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung §64 aa) Im Einzelnen hat die Rechtsprechung zu folgenden Ergebnissen geführt: Einzahlungen der Gesellschaft auf ihr debitorisches Konto, bar oder durch Überweisung, fallen unter § 64 1 , ebenso die Einreichung von Kundenschecks zur Gutschrift 2 . Als Zahlungen der Gesellschaft an das Kreditinstitut als Gläubiger gelten aber auch Überweisungen Dritter auf das von der Gesellschaft angegebene Konto 3 sowie die Einzahlung von Geld zu Gunsten dieses Kontos im Lastschriftverfahren 4 . Ein Geschäftsführer, der nicht alsbald jeden Lastschrifteinzug bezüglich des debitorischen Kontos beendet und den Kunden die Zahlung auf dieses Konto untersagt, muss sich die Eingänge als Zahlungen zurechnen lassen 5 . Während Zahlungen, die noch zu Lasten des debitorischen Kontos durchgeführt werden, nach der Rechtsprechung unschädlich sind (Rdnr. 27) 6 , muss also der Geschäftsführer jede Gutschrift auf diesem Konto verhindern 7 , z.B. indem er für Zahlungseingänge ein besonderes, kreditorisches Konto einrichtet 8 . Nicht entschieden wurde bisher die Handhabung von § 64 Satz 1 im Fall eines über und unter Null oszillierenden Kontos 9 . Ebenso wenig hat der BGH schon entschieden, ob ein Kontenausgleich durch Umbuchung vom kreditorischen auf das debitorische Konto zur einfachen oder gar zur doppelten Haftung führt, was schwerlich vertretbar wäre 10 . bb) Kritik der Rechtsprechung: Die Rechtsprechung über Kontobewegungen auf einem debitorischen Bankkonto ist rechtspraktisch und rechtsdogmatisch unbefriedigend und bedarf einer Korrektur in den Grundlagen wie in den Details. Sie entspricht weder dem Normzweck des § 64 (bzw. § 130a Abs. 1 HGB) noch der Realität bei Verfügungen über Buchgeld. § 64 spricht von Transferleistungen an Gesellschaftsgläubiger. Der Bundesgerichtshof blickt in Fällen des debitorischen Kontos aber nur noch auf einen Gläubiger: die Bank. Dritte Zahlungsempfänger werden ganz ausgeblendet, Ausgänge vom Konto als irrelevant behandelt. Dagegen werden alle Eingänge auf dem Bankkonto als verbotene und haftungsbegründende Zahlungen aufeinandergeschichtet (eine Einladung für schlüssige Insolvenzverwalterklagen in nicht selten exorbitanter Höhe) 11 . Richtigerweise sind zwei Zahlungsrichtungen in Betracht zu ziehen: Die unbare Zahlung an den Zahlungsempfänger ist ausnahmslos, auch bei debitorischem 1 Vgl. nur OLG Celle, GmbHR 2008, 101 = ZIP 2007, 2210. 2 BGHZ 143, 184 = GmbHR 2000, 182 = NJW 2000, 668 = ZIP 2000, 184; vgl. schon OLG Hamm, GmbHR 1995, 521 = ZIP 1995, 913. 3 OLG Oldenburg, GmbHR 2004, 1340 = ZIP 2004, 1315; Wicke, Rdnr. 20. 4 BGH, GmbHR 2007, 596 = ZIP 2007, 1006. 5 BGH, GmbHR 2007, 596, 598 = ZIP 2007, 1006, 1007; OLG Oldenburg, GmbHR 2004, 1340 = ZIP 2004, 1315. 6 BGH, GmbHR 2007, 596 = ZIP 2007, 1006. 7 Vgl. nur Wicke, Rdnr. 20; Arends/Möller, GmbHR 2008, 169, 170 f. 8 So ausdrücklich BGHZ 143, 184, 188 = GmbHR 2000, 182, 183 = NJW 2000, 668, 669 = ZIP 2000, 184, 186; BGH, GmbHR 2007, 596, 598 = ZIP 2007, 1006, 1007; dazu z.B. Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, Rdnr. 9. 9 Dazu Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1407; Werres, ZInsO 2008, 1001, 1007 f. 10 Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1408. 11 Zur Kritik vgl. Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rdnr. 11.38 ff. Karsten Schmidt | 4173 28 29

30 31 32 33 §64 Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Konto, eine Zahlung i.S. von § 64 Satz 1 1 ; das Problem und seine Lösung liegt nicht in der Nichtanwendung des Satzes 1, sondern in der Saldierung des Kontokorrents (Rdnr. 32) sowie in dem zuzulassenden Beweis, dass die Zahlung keinen Gesamtgläubigerschaden verursacht hat (Rdnr. 55 f.). Eingänge auf dem debitorischen Konto können in der Tat „Zahlungen“ an die Bank i.S. von § 64 Satz 1 sein, jedoch nicht in der Summe aller Gutschriften, sondern nur in der Höhe des sich verringernden Schuldsaldos (dazu Rdnr. 32). Bei kreditorischem Bankkonto (Rdnr. 26) tritt das Problem nicht auf. 3. Saldierung von Zahlungsvorgängen § 64 Satz 1 ist nicht Ausdruck eines von der „Insolvenzantragspflicht“ zu unterscheidenden „Zahlungsverbots“ (so aber die h.M.; vgl. Rdnr. 8), sondern Ausdruck eines typischen Schadensverlaufs in Fällen der Insolvenzverschleppung (Rdnr. 10). Deshalb sind typisch zusammenhängende Einzeltransfers nicht separat, sondern saldiert zu betrachten. a) Leistung und Gegenleistung werden schon auf der Tatbestandsebene (nicht erst bei der Schadensfeststellung) saldiert 2 . Das bedeutet: Austauschgeschäfte zu marktgerechten Preisen sind keine „Zahlungen“ i.S. von § 64 Satz 1. Auch ein zeitnahes Hin- und Herzahlen – etwa bei fehlgegangenen Leistungen – sollte saldiert werden. Die vom Bundesgerichtshof vertretene Handhabung im Fall der Bankkonten könnte sonst zu unangemessener Haftung führen 3 . b) In Kontokorrentverhältnissen kommt es – entgegen dem bisherigen Ansatz des BGH (Rdnr. 27, 28) 4 – nicht auf jede einzelne Lastschrift oder Gutschrift an, sondern auf die Bewegung des Saldos 5 . c) Nicht abzuziehen ist dagegen die Insolvenzquote, die dem Leistungsempfänger im Insolvenzfall zugefallen wäre 6 . Ebenso wenig wird die den Insolvenzgläubigern allgemein zufallende Insolvenzquote auf dieser Ebene berücksichtigt. Dies steht nicht im Widerspruch zu der Berücksichtigung der Ist-Quote bei der Insolvenzschadensberechnung (Anh. § 64 Rdnr. 61). Bei § 64 Satz 1 geht es um die in Höhe „verbotener Zahlungen“ vermutete Schädigung der Masse (Rdnr. 14, 55 f.). Diese Vermutung ist in Höhe der Zahlung begründet. Ob der Insolvenz- 1 Insofern anders, dem BGH zustimmend, Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, Rdnr. 9; wie hier Werres, ZInsO 2008, 1001, 1006 f. 2 BGH, GmbHR 1974, 131, 132 = NJW 1974, 1088, 1089; BGH, NJW 2003, 2316, 2317 = ZIP 2003, 1005, 1006; OLG Brandenburg, GmbHR 2002, 910, 911; RGZ 80, 104, 110; OLG Hamburg, MDR 1959, 311; OLG Hamm, GmbHR 1993, 584 = NJW-RR 1993, 1445; Haas, in: Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rdnr. 149, 151; Casper, in: Ulmer, Rdnr. 85; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, Rdnr. 7; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, Rdnr. 13; s. auch Bitter, WM 2001, 666, 669; a.M. Schulze-Osterloh, in: Baumbach/ Hueck, Rdnr. 84; Schulze-Osterloh, in: FS Bezzenberger, 2000, S. 415, 425. 3 Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1408. 4 BGH, GmbHR 2007, 596 = ZIP 2007, 1006. 5 Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1405 ff.; Werres, ZInsO 2008, 1001, 1007. 6 BGHZ 146, 264, 278 f. = GmbHR 2001, 190, 194 = NJW 2001, 1280, 1283 = ZIP 2001, 235, 239; Poertzgen, Organhaftung, S. 221; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, Rdnr. 15. 4174 | Karsten Schmidt

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Konto, eine Zahlung i.S. von § 64 Satz 1 1 ; das Problem und seine Lösung liegt<br />

nicht in der Nichtanwendung des Satzes 1, sondern in der Saldierung des Kontokorrents<br />

(Rdnr. 32) sowie in dem zuzulassenden Beweis, dass die Zahlung<br />

keinen Gesamtgläubigerschaden verursacht hat (Rdnr. 55 f.). Eingänge auf dem<br />

debitorischen Konto können in der Tat „Zahlungen“ an die Bank i.S. von § 64<br />

Satz 1 sein, jedoch nicht in der Summe aller Gutschriften, sondern nur in der<br />

Höhe des sich verringernden Schuldsaldos (dazu Rdnr. 32). Bei kreditorischem<br />

Bankkonto (Rdnr. 26) tritt das Problem nicht auf.<br />

3. Saldierung von Zahlungsvorgängen<br />

§ 64 Satz 1 ist nicht Ausdruck eines von der „Insolvenzantragspflicht“ zu unterscheidenden<br />

„Zahlungsverbots“ (so aber die h.M.; vgl. Rdnr. 8), sondern Ausdruck<br />

eines typischen Schadensverlaufs in Fällen der Insolvenzverschleppung<br />

(Rdnr. 10). Deshalb sind typisch zusammenhängende Einzeltransfers nicht separat,<br />

sondern saldiert zu betrachten.<br />

a) Leistung und Gegenleistung werden schon auf der Tatbestandsebene (nicht<br />

erst bei der Schadensfeststellung) saldiert 2 . Das bedeutet: Austauschgeschäfte<br />

zu marktgerechten Preisen sind keine „Zahlungen“ i.S. von § 64 Satz 1. Auch<br />

ein zeitnahes Hin- und Herzahlen – etwa bei fehlgegangenen Leistungen –<br />

sollte saldiert werden. Die vom Bundesgerichtshof vertretene Handhabung im<br />

Fall der Bankkonten könnte sonst zu unangemessener Haftung führen 3 .<br />

b) In Kontokorrentverhältnissen kommt es – entgegen dem bisherigen Ansatz<br />

des BGH (Rdnr. 27, 28) 4 – nicht auf jede einzelne Lastschrift oder Gutschrift an,<br />

sondern auf die Bewegung des Saldos 5 .<br />

c) Nicht abzuziehen ist dagegen die Insolvenzquote, die dem Leistungsempfänger<br />

im Insolvenzfall zugefallen wäre 6 . Ebenso wenig wird die den Insolvenzgläubigern<br />

allgemein zufallende Insolvenzquote auf dieser Ebene berücksichtigt.<br />

Dies steht nicht im Widerspruch zu der Berücksichtigung der Ist-Quote bei der<br />

Insolvenzschadensberechnung (Anh. § 64 Rdnr. 61). Bei § 64 Satz 1 geht es um<br />

die in Höhe „verbotener Zahlungen“ vermutete Schädigung der Masse (Rdnr. 14,<br />

55 f.). Diese Vermutung ist in Höhe der Zahlung begründet. Ob der Insolvenz-<br />

1 Insofern anders, dem BGH zustimmend, Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, Rdnr. 9; wie<br />

hier Werres, ZInsO 2008, 1001, 1006 f.<br />

2 BGH, GmbHR 1974, 131, 132 = NJW 1974, 1088, 1089; BGH, NJW 2003, 2316, 2317 =<br />

ZIP 2003, 1005, 1006; OLG Brandenburg, GmbHR 2002, 910, 911; RGZ 80, 104, 110;<br />

OLG Hamburg, MDR 1959, 311; OLG Hamm, GmbHR 1993, 584 = NJW-RR 1993,<br />

1445; Haas, in: Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rdnr. 149, 151; Casper, in: Ulmer,<br />

Rdnr. 85; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, Rdnr. 7; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen,<br />

Rdnr. 13; s. auch Bitter, WM 2001, 666, 669; a.M. Schulze-Osterloh, in: Baumbach/<br />

Hueck, Rdnr. 84; Schulze-Osterloh, in: FS Bezzenberger, 2000, S. 415, 425.<br />

3 Karsten <strong>Schmidt</strong>, ZIP 2008, 1401, 1408.<br />

4 BGH, GmbHR 2007, 596 = ZIP 2007, 1006.<br />

5 Karsten <strong>Schmidt</strong>, ZIP 2008, 1401, 1405 ff.; Werres, ZInsO 2008, 1001, 1007.<br />

6 BGHZ 146, 264, 278 f. = GmbHR 2001, 190, 194 = NJW 2001, 1280, 1283 = ZIP 2001,<br />

235, 239; Poertzgen, Organhaftung, S. 221; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, Rdnr. 15.<br />

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