Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt
Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt
Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung §64 Haas, Die GmbH in der Insolvenz, in: Gottwald (Hrsg.), Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2006, § 92; Haas, Der Erstattungsanspruch nach § 64 Abs. 2 GmbHG, NZG 2004, 737; Haas, Die Berücksichtigung der Insolvenzquote im Rahmen des Haftungsanspruchs nach § 64 Abs. 2 GmbHG, in: FS Gero Fischer, 2008, S. 211; Heeg, Der GmbH-Geschäftsführer in der Vor-Insolvenz: Höchstrichterlich geklärt? Masseerhaltung, Lohnsteuerhaftung und Strafbarkeit wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen, DStR 2007, 2134; Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 2006; Poertzgen, Die Geschäftsführerhaftung aus § 64 GmbHG de lege ferenda, ZInsO 2006, 561; Karsten Schmidt, Verbotene Zahlungen von Handelsgesellschaften und die daraus resultierenden Ersatzpflichten: Insolvenzrechtliche Brotvermehrung durch Klagen nach § 64 Abs. 2 GmbHG?, ZHR 168 (2004), 637; Karsten Schmidt, Übermäßige Geschäftsführerrisiken aus § 64 Abs. 2 GmbHG, § 130a Abs. 3 HGB? Eine Kritik der Praxis zu den Zahlungsverboten bei Insolvenz einer GmbH oder GmbH & Co. KG, ZIP 2005, 2177; Karsten Schmidt, Debitorisches Bankkonto und Insolvenzverschleppungshaftung: Ist Geben seliger denn Nehmen?, ZIP 2008, 1401; Karsten Schmidt, Gesetzlicher Handlungsbedarf im Insolvenzverschleppungsrecht, ZIP 2009, 1551; Uwe H. Schneider/Brouwer, Die straf- und zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung. Eine Herausforderung für die höchstrichterliche Rechtsprechung, ZIP 2007, 1033; Schulze-Osterloh, Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife (§ 64 Abs. 2 GmbHG, §§ 92 Abs. 3, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG), in: FS G. Bezzenberger, 2000, S. 415; Werres, Kontokorrent und Haftung nach § 64 Abs. 2 GmbHG, ZInsO 2008, 1001; Wilhelm, Verbot der Zahlung, aber Strafdrohung bei Nichtzahlung gegen den Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH?, ZIP 2007, 1781. I. Systematik 1. Geschichte der Bestimmung a) § 64 hat eine wechselvolle Geschichte. Diese ist von bleibender Bedeutung für die Auswertung der nach dem MoMiG und nach altem, jedoch teilweise nur redaktionell überholtem Recht ergangenen Rechtsprechung. Der gegenwärtige § 64 galt von 1892 bis zum 31. 10. 20081 als § 64 Abs. 2, jedoch ohne den gegenwärtigen § 64 Satz 3. § 64 a.F. hatte vor dem Inkrafttreten des MoMiG folgenden Wortlaut: (1) Wird die Gesellschaft zahlungsunfähig, so haben die Geschäftsführer ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Dies gilt sinngemäß, wenn sich eine Überschuldung der Gesellschaft ergibt. (2) Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Auf den Ersatzanspruch finden die Bestimmungen in § 43 Abs. 3 und 4 entsprechende Anwendung. Die Bestimmung befasste sich also in einem Atemzug mit dem Tatbestand der „Insolvenzantragspflicht“, also dem Insolvenzverschleppungsverbot (§ 64 Abs. 1 a.F.) und mit dem Tatbestand der „verbotenen Zahlungen“ (§ 64 Abs. 2 a.F.). Beide Tatbestände wurden hier in den Vorauflagen im Sinne einer einheitlichen Haftung für Insolvenzverschleppungsschäden gedeutet (9. Aufl., Rdnr. 10, 23, 1 Art. 25 MoMiG. Karsten Schmidt | 4159 1
2 3 4 §64 Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung 35, 77), während der Bundesgerichtshof schon unter dem vor dem MoMiG geltenden Recht streng zwischen der Insolvenzantragspflicht (§ 64 Abs. 1 a.F., jetzt § 15a InsO) und dem Zahlungsverbot (§ 64 Abs. 2 a.F., jetzt § 64 n.F.) mit jeweils ganz andersartigen Zivilrechtssanktionen unterschied 1 . Das MoMiG hat beide Tatbestände seit 2008 auch redaktionell getrennt (dazu sogleich Rdnr. 2). Der Sinnzusammenhang ist damit gesetzestechnisch noch stärker verdeckt als vor dem MoMiG 2 . An dem hier vertretenen Einheitsmodell der Insolvenzverschleppungshaftung und damit an der Integration des § 64 (resp. des § 130a HGB) in die Insolvenzverschleppungshaftung ist gleichwohl festzuhalten (vgl. Rdnr. 10, 14, 51; Anh. § 64 Rdnr. 58 ff.). Allerdings wird es nach dem MoMiG noch schwieriger als zuvor sein, den Bundesgerichtshof und die herrschende Auffassung von ihrem Trennungsmodell abzubringen 3 . Die nachfolgende Kommentierung stellt dies in Rechnung (Rdnr. 16, 52). b) Mit Wirkung vom 1. 11. 2008 (Art. 25 MoMiG) wurden beide Tatbestände gesetzesredaktionell getrennt (Rdnr. 1): Die „Insolvenzantragspflicht“, also das Insolvenzverschleppungsverbot, wurde unter Aufhebung des § 64 Abs. 1 a.F. durch Art. 1 Nr. 43 Buchst. a MoMiG rechtsformneutral in die Insolvenzordnung verlegt (§ 15a InsO, eingeführt durch Art. 9 Nr. 3 MoMiG). Die nunmehr maßgebliche Bestimmung des § 15a InsO wird hier im Anhang zu § 64 kommentiert. Die Regierungsbegründung 4 des MoMiG geht davon aus, dass die gesellschaftsrechtliche Ansiedelung des vormaligen § 64 Abs. 1 a.F. nur historisch erklärbar, der Sinn und Zweck der Bestimmung dagegen rein insolvenzrechtlicher Art sei. Bezweckt werde nämlich die rechtzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens zum Schutz der Alt- und Neugläubiger (vgl. näher zum Normzweck Rdnr. 6, Anh. § 64 Rdnr. 15, 45 ff.). Dagegen verblieb der vormalige Abs. 2 über verbotene Zahlungen als Restbestand in § 64 (vgl. Rdnr. 3). c) Der geltende § 64 basiert auf § 64 Abs. 2 a.F. (vgl. Rdnr. 1). Er wurde durch Art. 1 Nr. 43 Buchst. b MoMiG um den gegenwärtigen Satz 3 ergänzt. Diese Vorschrift verpflichtet die Geschäftsführer zur Erstattung von Zahlungen an Gesellschafter, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten und auch geführt haben (dazu Rdnr. 64 ff.). 2. Das Recht der GmbH & Co. KG a) Für die GmbH & Co. KG (genauer: für rechtsfähige Personengesellschaften ohne natürlichen Komplementär) gelten statt § 64 die §§ 130a, 177a HGB. Diese lauten in der seit dem MoMiG geltenden Fassung wie folgt: 1 BGHZ 126, 181, 195 ff. = GmbHR 1994, 539, 544 f. = ZIP 1994, 1103, 1108 f.; BGH, GmbHR 2007, 936 = NJW-RR 2007, 1490 = ZIP 2007, 1501; näher zur Entwicklung Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1402 f. 2 Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1403. 3 In ähnlicher Weise hält Altmeppen an dem von ihm vertretenen Einheitsmodell fest, wonach nicht § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB die Grundnorm auch für § 64, sondern § 64 die zivilrechtliche Sanktionsnorm des § 15a InsO ist (Altmeppen, in: Roth/ Altmeppen, Rdnr. 26 ff.). 4 BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 4160 | Karsten Schmidt
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Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung §64<br />
Haas, Die GmbH in der Insolvenz, in: Gottwald (Hrsg.), Insolvenzrechts-Handbuch,<br />
3. Aufl. 2006, § 92; Haas, Der Erstattungsanspruch nach § 64 Abs. 2 <strong>GmbHG</strong>, NZG<br />
2004, 737; Haas, Die Berücksichtigung der Insolvenzquote im Rahmen des Haftungsanspruchs<br />
nach § 64 Abs. 2 <strong>GmbHG</strong>, in: FS Gero Fischer, 2008, S. 211; Heeg, Der<br />
GmbH-Geschäftsführer in der Vor-Insolvenz: Höchstrichterlich geklärt? Masseerhaltung,<br />
Lohnsteuerhaftung und Strafbarkeit wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen,<br />
DStR 2007, 2134; Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung,<br />
2006; Poertzgen, Die Geschäftsführerhaftung aus § 64 <strong>GmbHG</strong> de lege<br />
ferenda, ZInsO 2006, 561; Karsten <strong>Schmidt</strong>, Verbotene Zahlungen von Handelsgesellschaften<br />
und die daraus resultierenden Ersatzpflichten: Insolvenzrechtliche Brotvermehrung<br />
durch Klagen nach § 64 Abs. 2 <strong>GmbHG</strong>?, ZHR 168 (2004), 637; Karsten<br />
<strong>Schmidt</strong>, Übermäßige Geschäftsführerrisiken aus § 64 Abs. 2 <strong>GmbHG</strong>, § 130a Abs. 3<br />
HGB? Eine Kritik der Praxis zu den Zahlungsverboten bei Insolvenz einer GmbH<br />
oder GmbH & Co. KG, ZIP 2005, 2177; Karsten <strong>Schmidt</strong>, Debitorisches Bankkonto<br />
und Insolvenzverschleppungshaftung: Ist Geben seliger denn Nehmen?, ZIP 2008,<br />
1401; Karsten <strong>Schmidt</strong>, Gesetzlicher Handlungsbedarf im Insolvenzverschleppungsrecht,<br />
ZIP 2009, 1551; Uwe H. Schneider/Brouwer, Die straf- und zivilrechtliche<br />
Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für die Abführung der Arbeitnehmeranteile<br />
zur Sozialversicherung. Eine Herausforderung für die höchstrichterliche Rechtsprechung,<br />
ZIP 2007, 1033; Schulze-Osterloh, Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife<br />
(§ 64 Abs. 2 <strong>GmbHG</strong>, §§ 92 Abs. 3, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG), in: FS G. Bezzenberger,<br />
2000, S. 415; Werres, Kontokorrent und Haftung nach § 64 Abs. 2 <strong>GmbHG</strong>, ZInsO<br />
2008, 1001; Wilhelm, Verbot der Zahlung, aber Strafdrohung bei Nichtzahlung gegen<br />
den Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH?, ZIP 2007, 1781.<br />
I. Systematik<br />
1. Geschichte der Bestimmung<br />
a) § 64 hat eine wechselvolle Geschichte. Diese ist von bleibender Bedeutung<br />
für die Auswertung der nach dem MoMiG und nach altem, jedoch teilweise nur<br />
redaktionell überholtem Recht ergangenen Rechtsprechung. Der gegenwärtige<br />
§ 64 galt von 1892 bis zum 31. <strong>10.</strong> 20081 als § 64 Abs. 2, jedoch ohne den gegenwärtigen<br />
§ 64 Satz 3. § 64 a.F. hatte vor dem Inkrafttreten des MoMiG folgenden<br />
Wortlaut:<br />
(1) Wird die Gesellschaft zahlungsunfähig, so haben die Geschäftsführer ohne<br />
schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit,<br />
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Dies gilt sinngemäß,<br />
wenn sich eine Überschuldung der Gesellschaft ergibt.<br />
(2) Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet,<br />
die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung<br />
ihrer Überschuldung geleistet werden. Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch<br />
nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar<br />
sind. Auf den Ersatzanspruch finden die Bestimmungen in § 43 Abs. 3 und 4<br />
entsprechende Anwendung.<br />
Die Bestimmung befasste sich also in einem Atemzug mit dem Tatbestand der<br />
„Insolvenzantragspflicht“, also dem Insolvenzverschleppungsverbot (§ 64 Abs. 1<br />
a.F.) und mit dem Tatbestand der „verbotenen Zahlungen“ (§ 64 Abs. 2 a.F.).<br />
Beide Tatbestände wurden hier in den Vorauflagen im Sinne einer einheitlichen<br />
Haftung für Insolvenzverschleppungsschäden gedeutet (9. Aufl., Rdnr. 10, 23,<br />
1 Art. 25 MoMiG.<br />
Karsten <strong>Schmidt</strong> | 4159<br />
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