Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt

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482 §52 Aufsichtsrat handeln 1 . Maßstab ist nicht die objektiv erforderliche Information, sondern diejenige, die ein in den Grenzen seiner Sorgfaltspflicht handelndes Aufsichtsratsmitglied für angemessen halten durfte 2 . Der Aufsichtsrat ist gehalten, sich aktiv diejenigen Informationen zu beschaffen, die für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung „vernünftigerweise“ erforderlich sind 3 . Die Beurteilung, wie viel Information benötigt wird, ist selbst eine unternehmerische Entscheidung und hängt von dem Risiko des Geschäfts für die Gesellschaft und der Eilbedürftigkeit der Entscheidung ab 4 . Dabei gilt, dass der Aufsichtsrat grundsätzlich von der Wahrheitsgemäßheit und Vollständigkeit der von den Geschäftsführern vorgelegten Informationen ausgehen darf (vgl. dazu Rdnr. 484). Das schließt Prognosen der Geschäftsführung mit ein, wenn sich diese in der Vergangenheit als verlässlich erwiesen haben und der Aufsichtsrat erfahrungsgemäß von einer intensiven Risikoprüfung der Unternehmensleitung ausgehen kann 5 . Verlangt ist schließlich, dass das Aufsichtsratsmitglied sein Handeln am Unternehmensinteresse ausrichtet 6 . Das Unternehmensinteresse ist nicht gleichbedeutend mit den Interessen der Gesellschafter 7 . Das Aufsichtsratsmitglied verwirkt daher nicht deswegen das Haftungsprivileg, weil es bei seinen Entscheidungen auch Arbeitnehmerinteressen und Interessen der Öffentlichkeit berücksichtigt 8 . Dagegen gelangt die Business Judgment Rule nicht zur Anwendung, wenn sich das Kontrollmitglied bei seiner Entscheidung von nicht berücksichtigungsfähigen Sonderinteressen und sachfremden Erwägungen beeinflussen lässt. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Organmitglied zum eigenen Nutzen oder zum Nutzen ihm nahe stehender Personen oder Gesellschaften handelt 9 . Die Vermutung pflichtgemäßen Verhaltens greift daher bspw. nicht, wenn ein Aufsichtsratsmitglied, das zugleich Leitungsmitglied der Hausbank der GmbH ist, an dem Zustimmungsbeschluss mitwirkt, mit dem der Darlehensvertrag mit „seiner“ Bank nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG genehmigt wird 10 . Für diese Fälle gilt, dass das betroffene Aufsichtsratsmitglied sowohl im Interesse der Gesellschaft als auch im eigenen Interesse von einer Mitwirkung an der fraglichen Entscheidung ausgeschlossen ist 11 . Legt es seinen Interessen- 1 OLG Oldenburg, GmbHR 2006, 1263. 2 Vgl. für den Vorstand: Spindler, AG 2006, 677, 681; Fleischer, ZIP 2004, 685, 691; Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 444; Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12. 3 Zur Sachverhaltsfeststellung durch den Aufsichtsrat s. auch Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 627, 632 f. 4 Spindler, AG 2006, 677, 681; Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 444. 5 Vgl. Kropff, in: FS Raiser, 2005, S. 225, 235; Spindler, AG 2006, 677, 683 f. 6 BGHZ 135, 244, 255; anders (nur vorrangig) OLG Koblenz, NJW-RR 2000, 483, 484. 7 Vgl. dazu Brouwer, Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats im Aktien- und GmbH- Recht, 2008, § 6, C. II. 1. a) bb). 8 Ebenso Heyder, in: Michalski, Rdnr. 178; Raiser/Heermann, in: Ulmer, Rdnr. 142, 260; Brouwer, Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats im Aktien- und GmbH-Recht, 2008, § 6, C. II. 1. a) bb); für Geschäftsführer: § 37 Rdnr. 42; Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003, S. 58. 9 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 10 Vgl. dazu sowie zu weiteren Beispielen Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417 ff. 11 Zum Ganzen ausführlich Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417 ff.; Lutter, in: FS Canaris, Band II, 2007, S. 245; zu Interessenkonflikten im Konzern s. Altmeppen, ZHR 171 (2007), 320 ff., und E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 ff. 3154 | Uwe H. Schneider

Aufsichtsrat §52 konflikt nicht offen und nimmt dennoch an der Entscheidung teil, trifft es im Schadensfalle die volle Beweislast, gleichwohl mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Überwachers gehandelt zu haben. ccc) Einzelfälle Aufsichtsratsmitglieder sind zur regelmäßigen Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen verpflichtet1 . Überschneidungen mit anderen Verpflichtungen entschuldigen nur, wenn nicht angemessen terminiert wurde. Aufsichtsratsmitglieder sind verpflichtet, sich umfassend zu informieren. Sie haben eine aktive Informationsbeschaffungspflicht. Dazu gehört auch eine entsprechende Vorbereitung von Aufsichtsratssitzungen. Es ist darauf hinzuwirken, dass die Geschäftsführer regelmäßig, zeitnah und umfassend Bericht erstatten. Bei Entscheidungen im Einzelfall haben die Geschäftsführer alle maßgeblichen Entscheidungskriterien aufzubereiten und hierüber zu berichten. Die Aufsichtsratsmitglieder haben zu beurteilen, ob die Information ausreicht. Gegebenenfalls muss ergänzt werden 2 . Die Pflicht zur Information besteht unabhängig davon, ob ein konkreter Anlass zu Misstrauen besteht oder nicht 3 . Erforderlich sein können auch persönliche Besichtigungen von Betriebsstätten oder von Bauprojekten im In- und Ausland, wenn dies für eine angemessene Beurteilung des Sachverhalts erforderlich ist 4 . Ermittlungen an den Geschäftsführern vorbei sind allerdings nur geboten, wenn ein Anlass besteht, dass sie nicht zutreffend informieren 5 . Entdeckte Missstände gebieten vertiefte Nachforschungen 6 . Erfährt ein Aufsichtsratsmitglied außerhalb einer Sitzung des Aufsichtsrats, und sei es auch nur in Form von Gerüchten, über schwerwiegende Vorgänge, so sind unverzüglich zunächst der Aufsichtsratsvorsitzende und, wenn dieser nicht die Information der anderen Aufsichtsratsmitglieder übernimmt, alle anderen Aufsichtsratsmitglieder zu unterrichten 7 . Auch Gerüchten über ungewisse und unkorrekte Maßnahmen ist nachzugehen, wenn durch sie eine existenzielle Gefährdung für die Gesellschaft begründet wird 8 . Weitergehende Nachforschungen 1 Lutter/Hommelhoff, Rdnr. 43; a.A. Skibbe, GmbHR 1961, 6. Aus den Protokollen der Aufsichtsratssitzungen der im Jahr 1994 in Krise geratenen Metallgesellschaft soll sich ergeben, dass im vorangegangenen Geschäftsjahr teilweise über die Hälfte der Anteilseignervertreter nicht anwesend war (Quelle: Börsen-Zeitung vom 26. 2. 1994). 2 Roth, AG 2004, 1, 8; Kropff, in: FS Raiser, 2005, S. 238. 3 BGH, NJW 1978, 425; OLG Düsseldorf, AG 1984, 275 (KG) = WM 1984, 1080; Kropff, in: FS Raiser, 2005, S. 231. 4 OLG Düsseldorf, AG 1984, 275. 5 Spindler, in: MünchKomm. AktG, § 90 Rdnr. 36; Hüffer, AktG, § 90 Rdnr. 11; Dreher, in: FS Ulmer, 2003, S. 89; Brandi, ZIP 2000, 173; tendenziell weiter Kropff, in: FS Raiser, 2000, S. 238. 6 BGH, WM 1979, 1425, 1427 (KG); Hüffer, ZGR 1981, 348; Hüffer, AktG, § 111 Rdnr. 7; Meyer, DStR 1997, 1894; kritisch: Schulze-Osterloh, ZIP 1998, 2129, 2133. 7 LG Bielefeld, WM 1999, 2457 = ZIP 2000, 20 (H. P. Westermann) = BB 1999, 2630 (Thümmel) = EWiR, § 116 AktG, 2000, 107 (v. Gerkan) = WuB II A. § 116 AktG 1.01 (Ott); LG Dortmund, AG 2002, 97. 8 LG Bielefeld, WM 1999, 2457. Uwe H. Schneider | 3155 483 484 485

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§52 Aufsichtsrat<br />

handeln 1 . Maßstab ist nicht die objektiv erforderliche Information, sondern<br />

diejenige, die ein in den Grenzen seiner Sorgfaltspflicht handelndes Aufsichtsratsmitglied<br />

für angemessen halten durfte 2 . Der Aufsichtsrat ist gehalten, sich<br />

aktiv diejenigen Informationen zu beschaffen, die für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung<br />

„vernünftigerweise“ erforderlich sind 3 . Die Beurteilung, wie viel<br />

Information benötigt wird, ist selbst eine unternehmerische Entscheidung und<br />

hängt von dem Risiko des Geschäfts für die Gesellschaft und der Eilbedürftigkeit<br />

der Entscheidung ab 4 . Dabei gilt, dass der Aufsichtsrat grundsätzlich von<br />

der Wahrheitsgemäßheit und Vollständigkeit der von den Geschäftsführern<br />

vorgelegten Informationen ausgehen darf (vgl. dazu Rdnr. 484). Das schließt<br />

Prognosen der Geschäftsführung mit ein, wenn sich diese in der Vergangenheit<br />

als verlässlich erwiesen haben und der Aufsichtsrat erfahrungsgemäß von einer<br />

intensiven Risikoprüfung der Unternehmensleitung ausgehen kann 5 .<br />

Verlangt ist schließlich, dass das Aufsichtsratsmitglied sein Handeln am Unternehmensinteresse<br />

ausrichtet 6 . Das Unternehmensinteresse ist nicht gleichbedeutend<br />

mit den Interessen der Gesellschafter 7 . Das Aufsichtsratsmitglied verwirkt<br />

daher nicht deswegen das Haftungsprivileg, weil es bei seinen Entscheidungen<br />

auch Arbeitnehmerinteressen und Interessen der Öffentlichkeit berücksichtigt<br />

8 . Dagegen gelangt die Business Judgment Rule nicht zur Anwendung,<br />

wenn sich das Kontrollmitglied bei seiner Entscheidung von nicht berücksichtigungsfähigen<br />

Sonderinteressen und sachfremden Erwägungen beeinflussen<br />

lässt. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Organmitglied zum eigenen<br />

Nutzen oder zum Nutzen ihm nahe stehender Personen oder Gesellschaften<br />

handelt 9 . Die Vermutung pflichtgemäßen Verhaltens greift daher bspw.<br />

nicht, wenn ein Aufsichtsratsmitglied, das zugleich Leitungsmitglied der Hausbank<br />

der GmbH ist, an dem Zustimmungsbeschluss mitwirkt, mit dem der<br />

Darlehensvertrag mit „seiner“ Bank nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG genehmigt<br />

wird 10 . Für diese Fälle gilt, dass das betroffene Aufsichtsratsmitglied sowohl im<br />

Interesse der Gesellschaft als auch im eigenen Interesse von einer Mitwirkung<br />

an der fraglichen Entscheidung ausgeschlossen ist 11 . Legt es seinen Interessen-<br />

1 OLG Oldenburg, GmbHR 2006, 1263.<br />

2 Vgl. für den Vorstand: Spindler, AG 2006, 677, 681; Fleischer, ZIP 2004, 685, 691;<br />

Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 444; Begr. RegE UMAG, BT-<strong>Dr</strong>ucks. 15/5092, S. 12.<br />

3 Zur Sachverhaltsfeststellung durch den Aufsichtsrat s. auch Semler, in: FS Ulmer,<br />

2003, S. 627, 632 f.<br />

4 Spindler, AG 2006, 677, 681; Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 444.<br />

5 Vgl. Kropff, in: FS Raiser, 2005, S. 225, 235; Spindler, AG 2006, 677, 683 f.<br />

6 BGHZ 135, 244, 255; anders (nur vorrangig) OLG Koblenz, NJW-RR 2000, 483, 484.<br />

7 Vgl. dazu Brouwer, Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats im Aktien- und GmbH-<br />

Recht, 2008, § 6, C. II. 1. a) bb).<br />

8 Ebenso Heyder, in: Michalski, Rdnr. 178; Raiser/Heermann, in: Ulmer, Rdnr. 142, 260;<br />

Brouwer, Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats im Aktien- und GmbH-Recht,<br />

2008, § 6, C. II. 1. a) bb); für Geschäftsführer: § 37 Rdnr. 42; Löbbe, Unternehmenskontrolle<br />

im Konzern, 2003, S. 58.<br />

9 Begr. RegE UMAG, BT-<strong>Dr</strong>ucks. 15/5092, S. 11.<br />

10 Vgl. dazu sowie zu weiteren Beispielen Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417 ff.<br />

11 Zum Ganzen ausführlich Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417 ff.; Lutter, in: FS Canaris,<br />

Band II, 2007, S. 245; zu Interessenkonflikten im Konzern s. Altmeppen, ZHR 171<br />

(2007), 320 ff., und E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 ff.<br />

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Uwe H. Schneider

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