Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt

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477 478 479 §52 Aufsichtsrat letzt werden. Dazu gehören krasse Fehlbesetzungen der geschäftsführenden Organe bei den Tochter- und Enkelgesellschaften, unangemessene Vergütungen bei Tochter- und Enkelgesellschaften usw. Zwar sind die geschäftsführenden Organmitglieder der Tochtergesellschaften nicht der Aufsicht durch den Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens unterworfen. Deren Geschäftsführung gehört aber mittelbar zu ihrem Überwachungsbereich. So macht sich ein Aufsichtsratsmitglied der Holding auch schadensersatzpflichtig, wenn es die Zahlung von Bestechungsgeldern durch Tochtergesellschaften hinnimmt und die Konzernunternehmen als Folge von Aufträgen ausgeschlossen werden. bbb) Ermessensentscheidungen (Business Judgment Rule) Von § 116 Satz 1 AktG miterfasst ist § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Auf den Aufsichtsrat angewandt liegt danach eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Aufsichtsratsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Das Haftungsprivileg in Form einer unwiderlegbaren Vermutung pflichtgemäßen Aufsichtsratshandelns setzt somit dreierlei voraus, nämlich erstens eine unternehmerische Entscheidung, zweitens eine Entscheidung auf der Grundlage angemessener Information und drittens das Annehmendürfen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Charakteristisch für eine unternehmerische Entscheidung ist die Möglichkeit des Aufsichtsratsmitglieds, zwischen mehreren zulässigen Handlungsalternativen zu wählen 1 . Die unternehmerische Entscheidung steht damit im Gegensatz zur gebundenen Entscheidung, also zur Entscheidung, bei der es kein Ermessen gibt. Auf das Haftungsprivileg kann sich daher nicht berufen, wer die Rechtsordnung oder die Satzung missachtet oder die gesellschaftlichen Treupflichten verletzt 2 . Erfährt der Aufsichtsrat von rechtswidrigen Geschäften, muss er mit Hilfe seiner Überwachungsinstrumentarien eingreifen 3 . Das einzelne Kontrollmitglied kann sich nicht mit dem Hinweis darauf entlasten, dass der Gesetzes- oder Satzungsverstoß für die Gesellschaft nützlich und daher in ihrem Interesse erfolgt sei. Für illegales Verhalten gibt es keinen „sicheren Hafen“ 4 . Im Übrigen ist zwischen der vergangenheitsbezogenen und der zukunftsorientierten, begleitenden Überwachung zu unterscheiden. Im Rahmen der Kontrolle 1 Vgl. BGHZ 135, 244, 254 (ARAG), sowie die Definitionen von Sven H. Schneider, DB 2005, 707, 711; Spindler, AG 2006, 677, 681; Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 627 f.; Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 442; Hoor, DStR 2004, 2104, 2105; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 1994, S. 6 ff. und 23; Heermann, AG 1998, 201, 203; Lutter, ZIP 2007, 841, 843. 2 Stellungnahme Handelsrechtsausschuss DAV zum UMAG, NZG 2005, 388; s. auch Rdnr. 494 ff. 3 Vgl. BGHZ 124, 111, 127 (Vereinte Krankenversicherung), und LG Bielefeld, AG 2000, 136, 138 (Balsam): Pflicht zur Festlegung eines Zustimmungsvorbehalts zur Vermeidung gesetzwidriger bzw. satzungswidriger Geschäftsführungsmaßnahmen; dazu auch oben Rdnr. 143. 4 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 3152 | Uwe H. Schneider

Aufsichtsrat §52 bereits abgeschlossener Sachverhalte steht den Aufsichtsratsmitgliedern regelmäßig kein Handlungsermessen zu 1 . Die Prüfung reduziert sich hier auf die Frage, ob die Geschäftsführer die Grenzen ihres unternehmerischen Ermessens eingehalten haben, ob sie das geltende Recht und die Satzung beachtet und den Weisungen der Gesellschafter entsprochen sowie die Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensleitung beachtet haben. Ist das nicht der Fall, ist der Gesellschaft insbesondere ein Schaden entstanden, sind die Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet, nach § 111 Abs. 3 AktG i.V.m. § 52 Abs. 1 die Gesellschafterversammlung einzuberufen, damit die Gesellschafter über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beraten können (vgl. § 46 Nr. 8). Ein Ermessen steht den Aufsichtsratsmitgliedern insoweit in Anlehnung an die ARAG-Entscheidung des BGH nicht zu 2 . Ermessensspielräume und damit Raum für die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule ergeben sich dagegen bei der zukunftsbezogenen Aufsichtsratstätigkeit. Das betrifft zum einen die Wahrnehmung unternehmerischer Aufgaben, die dem Aufsichtsrat kraft Gesetz oder Satzung übertragen sind. Hierzu gehört etwa die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern, die Entscheidung über die Höhe der Geschäftsführervergütung 3 oder – beim fakultativen Aufsichtsrat – die Ausübung ihm übertragener Weisungsrechte gegenüber den Geschäftsführern 4 . Zum anderen stehen dem Aufsichtsrat dort Handlungsfreiräume zu, wo er die unternehmerische Tätigkeit der Geschäftsführung begleitend überwacht 5 . Gemeint sind vor allem die beratende Tätigkeit des Aufsichtsrats sowie die Kontrolle bedeutender Geschäftsvorhaben mittels Zustimmungsvorbehalten (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG 6 ). Ebenso wenig wie die Geschäftsführer können die Kontrollmitglieder zukünftige Entwicklungen mit Sicherheit vorhersehen. Von den Aufsichtsratsmitgliedern kann daher nicht mehr als eine Vertretbarkeitskontrolle verlangt werden 7 . Sind die allgemeinen Grenzen des unternehmerischen Ermessens eingehalten, wurden insbesondere keine unvertretbaren Risiken eingegangen, bleibt der Aufsichtsrat haftungsfrei, mag sich die Aufsichtsratsentscheidung im Nachhinein auch als „falsch“ erweisen. Entscheidend ist stets eine Ex-ante-Betrachtung 8 . § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG privilegiert nur die informierte Entscheidung. Unternehmerisches Ermessen kann daher nur derjenige für sich in Anspruch nehmen, der annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zu 1 Vgl. auch Thümmel, AG 2004, 83, 85 f. 2 Vgl. BGHZ 135, 244, 254; ebenso Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, Rdnr. 99. 3 Vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 MitbestG i.V.m. § 84 AktG; die Bestellungskompetenz umfasst nach h.M. auch die Entscheidung über die Vergütung i.R. des Anstellungsvertrages, vgl. oben Rdnr. 164 ff. sowie Raiser, § 31 MitbestG Rdnr. 23 ff.; der fakultative Aufsichtsrat bedarf indessen für die Ausübung der Personalkompetenz einer entsprechenden Ermächtigung im Gesellschaftsvertrag. 4 Raiser/Heermann, in: Ulmer, Rdnr. 139. 5 LG Frankfurt a.M., AG 2005, 51, 52. 6 BGH, AG 2007, 168: Instrumente vorbeugender Kontrolle. 7 S. dazu Kiethe, WM 2005, 2122, 2125; Doralt, in: Semler/v. Schenck (Hrsg.), Arbeitshandbuch Aufsichtsratsmitglieder, 2. Aufl., § 13 Rdnr. 9. 8 Vgl. auch Thümmel, AG 2004, 83, 87. Uwe H. Schneider | 3153 480 481

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letzt werden. Dazu gehören krasse Fehlbesetzungen der geschäftsführenden Organe<br />

bei den Tochter- und Enkelgesellschaften, unangemessene Vergütungen<br />

bei Tochter- und Enkelgesellschaften usw. Zwar sind die geschäftsführenden<br />

Organmitglieder der Tochtergesellschaften nicht der Aufsicht durch den Aufsichtsrat<br />

des herrschenden Unternehmens unterworfen. Deren Geschäftsführung<br />

gehört aber mittelbar zu ihrem Überwachungsbereich. So macht sich ein<br />

Aufsichtsratsmitglied der Holding auch schadensersatzpflichtig, wenn es die<br />

Zahlung von Bestechungsgeldern durch Tochtergesellschaften hinnimmt und<br />

die Konzernunternehmen als Folge von Aufträgen ausgeschlossen werden.<br />

bbb) Ermessensentscheidungen (Business Judgment Rule)<br />

Von § 116 Satz 1 AktG miterfasst ist § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Auf den Aufsichtsrat<br />

angewandt liegt danach eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das<br />

Aufsichtsratsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise<br />

annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum<br />

Wohle der Gesellschaft zu handeln. Das Haftungsprivileg in Form einer unwiderlegbaren<br />

Vermutung pflichtgemäßen Aufsichtsratshandelns setzt somit dreierlei<br />

voraus, nämlich erstens eine unternehmerische Entscheidung, zweitens eine<br />

Entscheidung auf der Grundlage angemessener Information und drittens das<br />

Annehmendürfen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.<br />

Charakteristisch für eine unternehmerische Entscheidung ist die Möglichkeit<br />

des Aufsichtsratsmitglieds, zwischen mehreren zulässigen Handlungsalternativen<br />

zu wählen 1 . Die unternehmerische Entscheidung steht damit im Gegensatz<br />

zur gebundenen Entscheidung, also zur Entscheidung, bei der es kein<br />

Ermessen gibt. Auf das Haftungsprivileg kann sich daher nicht berufen, wer<br />

die Rechtsordnung oder die Satzung missachtet oder die gesellschaftlichen<br />

Treupflichten verletzt 2 . Erfährt der Aufsichtsrat von rechtswidrigen Geschäften,<br />

muss er mit Hilfe seiner Überwachungsinstrumentarien eingreifen 3 . Das<br />

einzelne Kontrollmitglied kann sich nicht mit dem Hinweis darauf entlasten,<br />

dass der Gesetzes- oder Satzungsverstoß für die Gesellschaft nützlich und<br />

daher in ihrem Interesse erfolgt sei. Für illegales Verhalten gibt es keinen<br />

„sicheren Hafen“ 4 .<br />

Im Übrigen ist zwischen der vergangenheitsbezogenen und der zukunftsorientierten,<br />

begleitenden Überwachung zu unterscheiden. Im Rahmen der Kontrolle<br />

1 Vgl. BGHZ 135, 244, 254 (ARAG), sowie die Definitionen von Sven H. Schneider, DB<br />

2005, 707, 711; Spindler, AG 2006, 677, 681; Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 627 f.;<br />

Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 442; Hoor, DStR 2004, 2104, 2105; Mutter, Unternehmerische<br />

Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 1994,<br />

S. 6 ff. und 23; Heermann, AG 1998, 201, 203; Lutter, ZIP 2007, 841, 843.<br />

2 Stellungnahme Handelsrechtsausschuss DAV zum UMAG, NZG 2005, 388; s. auch<br />

Rdnr. 494 ff.<br />

3 Vgl. BGHZ 124, 111, 127 (Vereinte Krankenversicherung), und LG Bielefeld, AG 2000,<br />

136, 138 (Balsam): Pflicht zur Festlegung eines Zustimmungsvorbehalts zur Vermeidung<br />

gesetzwidriger bzw. satzungswidriger Geschäftsführungsmaßnahmen; dazu auch<br />

oben Rdnr. 143.<br />

4 Begr. RegE UMAG, BT-<strong>Dr</strong>ucks. 15/5092, S. 11.<br />

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