Scholz, GmbHG, 10. Auflage - Leseprobe - Verlag Dr. Otto Schmidt
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420 421 422 §52 Aufsichtsrat sungsrechtliche Mitbestimmung und unternehmensbezogene Mitbestimmung). Ein Stimmrechtsausschluss besteht erstens für alle arbeitskampf- oder tarifpolitischen Entscheidungen im Aufsichtsrat 1 . Verhindert wird durch den Stimmrechtsausschluss, dass die tarifpolitischen Arbeitnehmerinteressen bereits die interne Willensbildung der Arbeitgeber-Tarifpartei beeinflussen. Andernfalls würden sich die tarifrechtlichen und die gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmer potenzieren und damit das Gleichgewicht des Tarifsystems gefährden. Die Gegnerunabhängigkeit wäre nicht mehr gewahrt. Der Stimmrechtsausschluss ergibt sich zweitens bei gleichzeitiger konkurrierender betriebsverfassungsrechtlicher Zuständigkeit 2 . In diesen Fällen geht die Betriebsverfassung als das speziellere Mitbestimmungsverfahren der unternehmensbezogenen Mitbestimmung vor. Ein Stimmrechtsausschluss besteht drittens, wenn ein Arbeitnehmervertreter sich aktiv am Aufruf und an der Durchführung des Streiks beteiligt. Damit verletzt der Arbeitnehmervertreter seine Pflicht zur Zurückhaltung und zur Loyalität gegenüber der Gesellschaft. Diesen Ausnahmen, die einen Stimmrechtsausschluss begründen, wird entgegengehalten, ihnen stehe die einheitliche und fortdauernde Verpflichtung aller Aufsichtsratsmitglieder auf das Unternehmensinteresse und der Grundsatz der Gleichheit aller Aufsichtsratsmitglieder entgegen. Trotz der Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse besteht aber doch kein Zweifel an der entsprechenden Anwendung von § 34 BGB, § 47 Abs. 4. Dieser Stimmrechtsausschluss wäre nicht gerechtfertigt, wenn man davon ausginge, dass das Aufsichtsratsmitglied die Interessen der Gesellschaft allein berücksichtigen würde. Davon kann man aber nicht ausgehen. Zwar besteht auch im Arbeitskampf die Pflichtenbindung für die Arbeitnehmervertreter uneingeschränkt fort 3 . Die Arbeitnehmervertreter sind von der Teilnahme an den Aufsichtsratssitzungen auch dann 1 Ebenso: Hanau, ZGR 1977, 402 (für Aufsichtsrat nach MitbestG); Hanau, ZGR 1979, 541; Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, 1974, S. 66, 72; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, S. 634; Wiedemann, JZ 1970, 594, 602; Brinkmann, Unternehmensinteresse und Unternehmensstruktur, 1983, S. 290; v. Eynern, in: FS Arndt, 1976, S. 36, 49; Seiter, in: FS G. Müller, 1981, S. 589, 602; auch schon Uwe H. Schneider, in: GK-MitbestG, § 29 Rdnr. 28; ähnlich: Martens, ZGR 1977, 422, 429: Während des Arbeitskampfes entfalle jede Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an Entscheidungen über Kampfmaßnahmen; im Übrigen sei die allgemeine Tarifpolitik einem „verlässlichen“ Vorstandsmitglied (Geschäftsführer) zuzuweisen; a.A. Ulmer/ Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 26 MitbestG Rdnr. 29: Gefahr der Fraktionenbildung; Mertens, in: KölnKomm. AktG, § 25 Rdnr. 53; Mertens, AG 1977, 311; zum Ganzen Matthießen, Stimmrecht und Interessenkollision im Aufsichtsrat, 1989, S. 417 ff. 2 Hanau, ZGR 1977, 408; Hanau, ZGR 1979, 542; Säcker, DB 1977, 1794; Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, 1974, S. 72; auch schon Uwe H. Schneider, in: GK-MitbestG, § 29 Rdnr. 31. 3 H.M.: Fitting/Wlotzke/Wißmann, § 25 MitbestG Rdnr. 116; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rdnr. 97 f.; Hoffmann/ Lehmann/Weinmann, § 25 MitbestG Rdnr. 134; a.A.: Zachert, MitbestGespr. 1976, 252; zur Streikbeteiligung s. Rdnr. 514. 3132 | Uwe H. Schneider
Aufsichtsrat §52 nicht ausgeschlossen, wenn über Kampfmaßnahmen beraten wird 1 . Der Stimmrechtsausschluss ist jedoch gerade das Institut, das den Beteiligten aus einem Interessenwiderstreit entlässt, wenn er aufgrund zweier unterschiedlicher Rollen typischerweise überfordert ist. Dabei kann es keinen Unterschied machen, nach welchen Bestimmungen die GmbH mitbestimmt ist. Der Gleichheitssatz wird durch den Stimmrechtsausschluss nicht verletzt, weil die Ausgangslage unterschiedlich ist. Das gestufte Mitbestimmungssystem besteht nur auf Seiten der Arbeitnehmer, nicht aber auf Seiten der Gesellschafter. Interessenkollisionen der Arbeitnehmervertreter sind gerade deshalb verfassungsrechtlich unbeachtlich, weil sie organisationsrechtlich durch den Stimmrechtsausschluss aufgefangen werden können 2 . ee) Kein Stimmverbot besteht bei korporativen Beschlüssen, etwa wenn über die Bestellung eines Geschäftsführers abgestimmt wird und ein Aufsichtsratsmitglied persönlich kandidiert 3 . Das Stimmrecht entfällt ausnahmsweise bei nachteiligen Maßnahmen gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern aus wichtigem Grund, etwa wenn ihm die Teilnahme an einem Ausschuss versagt wird oder die Abberufung aus einem Ausschuss aus wichtigem Grund erfolgt 4 . c) Stimmrechtsausschluss beim dreiköpfigen Aufsichtsrat Ist bei einem dreiköpfigen Aufsichtsrat ein Aufsichtsratsmitglied von der Abstimmung ausgeschlossen, so führt dies nicht zwangsläufig zur Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats5 . Das ausgeschlossene Aufsichtsratsmitglied muss sich der Stimme enthalten. Die verbleibenden zwei Aufsichtsratsmitglieder entscheiden. Das Entsprechende gilt, wenn zwei Aufsichtsratsmitglieder vom Stimmrecht ausgeschlossen sind. Ihre Stimmen bleiben außer Betracht6 . d) Stimmabgabe und Abstimmung aa) Der fakultative Aufsichtsrat Das Recht zur Abstimmung ist eine höchstpersönliche Befugnis. Eine Vertre- 425 tung bei der Stimmabgabe ist ausgeschlossen, obwohl § 101 Abs. 3 AktG in § 52 1 Kindl, Die Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, 1993, S. 159; Möllers, NZG 2003, 697, 699; Ruzik, NZG 2004, 455, 458. 2 A.A.: Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rdnr. 28. 3 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl., Rdnr. 606; Wilhelm, NJW 1983, 912; Mertens, ZGR 1983, 203; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, 6. Aufl., Rdnr. 2011; a.A. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, Rdnr. 86; Ulmer, NJW 1982, 2288. 4 Marsch-Barner, in: Semler/v. Schenck (Hrsg.), Arbeitshandbuch Aufsichtsratsmitglieder, 2. Aufl., § 12 Rdnr. 121; ausführlich: Matthießen, Stimmrecht und Interessenkollision im Aufsichtsrat, 1989, S. 328 ff. 5 BGH, WM 2007, 1025 = WuB II A. § 108 AktG 1.07 (Uwe H. Schneider); Priester, AG 2007, 190; a.A. BayObLG, AG 2003, 427; OLG Frankfurt, AG 2005, 927; Hüffer, AktG, § 108 Rdnr. 11; Keusch/Rotter, NZG 2003, 672. 6 LG Berlin, WM 1991, 809. Uwe H. Schneider | 3133 423 424
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sungsrechtliche Mitbestimmung und unternehmensbezogene Mitbestimmung).<br />
Ein Stimmrechtsausschluss besteht erstens für alle arbeitskampf- oder tarifpolitischen<br />
Entscheidungen im Aufsichtsrat 1 . Verhindert wird durch den Stimmrechtsausschluss,<br />
dass die tarifpolitischen Arbeitnehmerinteressen bereits die<br />
interne Willensbildung der Arbeitgeber-Tarifpartei beeinflussen. Andernfalls<br />
würden sich die tarifrechtlichen und die gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten<br />
der Arbeitnehmer potenzieren und damit das Gleichgewicht des Tarifsystems<br />
gefährden. Die Gegnerunabhängigkeit wäre nicht mehr gewahrt.<br />
Der Stimmrechtsausschluss ergibt sich zweitens bei gleichzeitiger konkurrierender<br />
betriebsverfassungsrechtlicher Zuständigkeit 2 . In diesen Fällen geht die<br />
Betriebsverfassung als das speziellere Mitbestimmungsverfahren der unternehmensbezogenen<br />
Mitbestimmung vor.<br />
Ein Stimmrechtsausschluss besteht drittens, wenn ein Arbeitnehmervertreter<br />
sich aktiv am Aufruf und an der Durchführung des Streiks beteiligt. Damit<br />
verletzt der Arbeitnehmervertreter seine Pflicht zur Zurückhaltung und zur<br />
Loyalität gegenüber der Gesellschaft.<br />
Diesen Ausnahmen, die einen Stimmrechtsausschluss begründen, wird entgegengehalten,<br />
ihnen stehe die einheitliche und fortdauernde Verpflichtung aller<br />
Aufsichtsratsmitglieder auf das Unternehmensinteresse und der Grundsatz der<br />
Gleichheit aller Aufsichtsratsmitglieder entgegen. Trotz der Verpflichtung auf<br />
das Unternehmensinteresse besteht aber doch kein Zweifel an der entsprechenden<br />
Anwendung von § 34 BGB, § 47 Abs. 4. Dieser Stimmrechtsausschluss wäre<br />
nicht gerechtfertigt, wenn man davon ausginge, dass das Aufsichtsratsmitglied<br />
die Interessen der Gesellschaft allein berücksichtigen würde. Davon kann<br />
man aber nicht ausgehen. Zwar besteht auch im Arbeitskampf die Pflichtenbindung<br />
für die Arbeitnehmervertreter uneingeschränkt fort 3 . Die Arbeitnehmervertreter<br />
sind von der Teilnahme an den Aufsichtsratssitzungen auch dann<br />
1 Ebenso: Hanau, ZGR 1977, 402 (für Aufsichtsrat nach MitbestG); Hanau, ZGR 1979,<br />
541; <strong>Scholz</strong>, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, 1974, S. 66, 72; Wiedemann,<br />
Gesellschaftsrecht, Bd. 1, S. 634; Wiedemann, JZ 1970, 594, 602; Brinkmann,<br />
Unternehmensinteresse und Unternehmensstruktur, 1983, S. 290; v. Eynern, in: FS<br />
Arndt, 1976, S. 36, 49; Seiter, in: FS G. Müller, 1981, S. 589, 602; auch schon Uwe H.<br />
Schneider, in: GK-MitbestG, § 29 Rdnr. 28; ähnlich: Martens, ZGR 1977, 422, 429:<br />
Während des Arbeitskampfes entfalle jede Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an<br />
Entscheidungen über Kampfmaßnahmen; im Übrigen sei die allgemeine Tarifpolitik<br />
einem „verlässlichen“ Vorstandsmitglied (Geschäftsführer) zuzuweisen; a.A. Ulmer/<br />
Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 26 MitbestG<br />
Rdnr. 29: Gefahr der Fraktionenbildung; Mertens, in: KölnKomm. AktG, § 25 Rdnr. 53;<br />
Mertens, AG 1977, 311; zum Ganzen Matthießen, Stimmrecht und Interessenkollision<br />
im Aufsichtsrat, 1989, S. 417 ff.<br />
2 Hanau, ZGR 1977, 408; Hanau, ZGR 1979, 542; Säcker, DB 1977, 1794; <strong>Scholz</strong>, Paritätische<br />
Mitbestimmung und Grundgesetz, 1974, S. 72; auch schon Uwe H. Schneider,<br />
in: GK-MitbestG, § 29 Rdnr. 31.<br />
3 H.M.: Fitting/Wlotzke/Wißmann, § 25 MitbestG Rdnr. 116; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler,<br />
Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rdnr. 97 f.; Hoffmann/<br />
Lehmann/Weinmann, § 25 MitbestG Rdnr. 134; a.A.: Zachert, MitbestGespr. 1976,<br />
252; zur Streikbeteiligung s. Rdnr. 514.<br />
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Uwe H. Schneider