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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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themaaus, dass es nur dann zu einer vollen wechselseitigen Anerkennunggerichtlicher Entscheidungen kommen wird, wenn zuerstMindestnormen für die gerichtlichen Verfahren aufgestellt, dieStrafverfahren der Mitgliedstaaten also aneinander angeglichenwerden. Es sollen zunächst die Rechte aller Verdächtigenund Angeklagten harmonisiert werden. Nach Erreichen eineseinheitlichen Schutzniveaus für Verdächtige und Angeklagteinnerhalb der Europäischen Union, so die nachvollziehbareÜberlegung der Kommission, müsste es den Mitgliedstaatenleichter fallen, strafgerichtliche Entscheidungen im vollenUmfang gegenseitig anzuerkennen.Im Bemühen um die Schaffung gemeinsamer Mindestnormenfür den Strafprozess legt die Kommission einen Schwerpunktauf den angemessenen Schutz ausländischer Verdächtigerund Angeklagter, zumal die Zahl ausländischer Angeklagterin allen Mitgliedstaaten aufgrund der höherenberuflichen Mobilität, des wachsenden Tourismus sowie aufgrundder Migrations- und Flüchtlingsbewegungen ansteigt.Schließlich hat auch die organisierte Kriminalität zunehmendgrenzüberschreitenden Charakter. Der Kommissionsvorschlagfür einen Rahmenbeschluss schließt eine erste Etappeder Arbeiten der Kommission auf diesem Gebiet ab. AlsRechtsgrundlage für einen Rahmenbeschluss beruft sich dieKommission auf Artikel 31 EUV in der Fassung des Vertragsvon Nizza.2. Der Inhalt des KommissionsvorschlagsDie im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Verfahrens<strong>recht</strong>elassen sich in fünf Blöcke einteilen:1. Das Recht auf (unentgeltlichen) Rechtsbeistand (Artikel2, 3, 4 und 5 des Vorschlags):Der Vorschlag sieht ein Recht auf Rechtsbeistand, im Falleder Einkommenslosigkeit auch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand,in ähnlicher Form vor, wie dies aus der österreichischenStrafprozessordnung bekannt ist. Demnach soll jederVerdächtige einen Rechtsbeistand konsultieren können, bevorer Fragen in Bezug auf die Anklage beantwortet. In bestimmtenSituationen muss jedenfalls ein Rechtsbeistand vorhandensein, so etwa für die Dauer der Untersuchungshaft,nach Anklage einer komplexeren Straftat (bei mehr als einemJahr Haftstrafdrohung) oder generell im Fall von Minderjährigen.Auch Personen, die aufgrund ihres Alters, ihrer mentalen,physischen oder emotionalen Verfassung nicht in der Lagescheinen, den Inhalt oder die Bedeutung des Strafverfahrenszu verstehen oder dem Verfahren zu folgen, muss injedem Fall ein Rechtsbeistand zur Verfügung gestellt werden.2. Recht auf Dolmetschung und Übersetzung der maßgeblichenDokumente (Artikel 6, 7, 8 und 9 des Vorschlags):Nach dem Vorschlag haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen,dass einer verdächtigen Person, die die Verfahrenssprachenicht versteht, unentgeltlich ein Dolmetscher beigestelltwird, und zwar auch für Besprechungen mit dem Rechtsbeistand.Ausdrücklich im Gesetzestext findet sich dieFeststellung, dass das Recht auf unentgeltliche Beiziehung einesDolmetschers auf Personen mit Hör- oder SprachbehinderungenAnwendung findet. Damit ist also das Recht auf Gebärdensprachdolmetschunggewährleistet. Zum Recht auf unentgeltlicheÜbersetzung ist hervorzuheben, dass nach demKommissionsvorschlag zwar grundsätzlich die zuständigenBehörden entscheiden, welche Dokumente zu übersetzensind. Der Rechtsanwalt des Verdächtigen kann jedoch dieÜbersetzung weiterer Dokumente verlangen (Artikel 7 Ziffer2 des Vorschlags). Darüber hinaus schreibt der Entwurf ausdrücklichden Einsatz “hinreichend qualifizierter” Übersetzerund Dolmetscher vor. Eine echte Innovation aus österreichischerSicht würde die im Entwurf (Artikel 9) vorgesehene Audio-oder Videoaufzeichnung jeder Strafverhandlung, in derein Dolmetscher beigezogen wird, bedeuten. Die Parteien sollenim Streitfall eine Kopie der Aufzeichnung erhalten. Ansonstenist die Verwendung der Aufzeichnung auf die Überprüfung,ob die Dolmetschung korrekt erfolgt ist, beschränkt.3. Recht auf besondere Aufmerksamkeit (Artikel 10 desVorschlags):Ein weiterer innovativer Ansatz des Kommissionsvorschlagsliegt in den umfassenden Schutz<strong>recht</strong>en, die allen Personeneingeräumt werden sollen, die aufgrund ihres Alters, ihrermentalen, physischen oder emotionalen Verfassung demVerfahren nicht umfassend folgen können. Diesen Personensoll „besondere Aufmerksamkeit“ zuteil werden. Nach der Begründung(Punkt 40) des Vorschlags sollen sich alle Strafverfolgungsbehördenund Gerichte verstärkt der Probleme dieserPersonen bewusst werden; es soll von ihnen verlangt werdenzu prüfen, ob eine verdächtige Person in irgendeiner Weise besondereAufmerksamkeit benötigt. Wenn ja, soll diese besondereAufmerksamkeit sichergestellt werden. Die Rücksichtnahmesoll im Einzelfall etwa durch die Anwesenheit der Elternwährend der Befragung eines Kindes oder durch Hinweiseüber die Möglichkeiten ärztlicher Hilfe für psychisch krankePersonen bestehen. Die Ausgestaltung wird im einzelnen denMitgliedstaaten überlassen. Die Pflicht zur Gewährung besondererAufmerksamkeit soll während des gesamten Strafverfahrensbestehen und der Förderung eines fairen Verfahrens undder Vermeidung möglicher Fehlentscheidungen aufgrund derVerletzlichkeit der betreffenden Personen dienen. Ziel derKommission ist es, dass sich etwa Richter die Frage stellen, obder Verdächtige angesichts seines Alters oder seiner mentalen,physischen oder emotionalen Verfassung in der Lage ist, dasVerfahren zu verstehen bzw. diesem zu folgen. AllfälligeSchritte, die zur Durchführung dieses Rechts ergriffen werden,sollen schriftlich als Aktenvermerk festgehalten werden.Zur Durchsetzung des Rechts auf besondere Aufmerksamkeitsoll wie im Falle der Dolmetschung eine Audio- oder Videoaufzeichnungder betroffenen Verfahren bzw. der Verhöreim Vorverfahren angefertigt werden.4. Recht auf Kommunikation (Artikel 11 - 13 des Vorschlags):Der Entwurf sieht das Recht auf Kommunikation Verdächtigerbzw. in Untersuchungshaft genommener Personen mitihren Angehörigen, Vertrauenspersonen bzw. Konsularbehördenvor. Dabei handelt es sich im wesentlichen um Rechte,wie sie in der österreichischen Strafprozessordnung bereitsumfassend vorgesehen sind.5. Informations<strong>recht</strong>e (Artikel 14 des Vorschlags):Jeder Verdächtige soll durch eine schriftliche Mitteilung(letter of rights) über die maßgeblichen Verfahrens<strong>recht</strong>e informiertwerden. Die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen,dass diese schriftlichen Mitteilungen in allen Amtssprachender EU in den Polizeidienststellen aufliegen, damit eine festgenommenePerson sofort in einer ihr verständlichen Spracheüber ihre Rechte informiert werden kann.Seite 208 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4

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