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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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thematelbaren Zusammenhang mit psychiatrischer Diagnostik undTherapie stehen: Psychiater bzw. ihre Gutachten machen in`schwierigen Fällen` Entscheidungen möglich und bestandssicher.Sie tun dies, indem sie interpretative Räume ausfüllen helfen,die offensichtlich rein juristisch bzw. auf der Ebene desgerichtlichen Wirklichkeitsverständnisses allein nicht befriedigend,d.h. in <strong>gesellschaft</strong>lich akzeptabler Weise zu schließengewesen wären." Ob die in Zusammenhang mit der gutachterlichenSubjektivität geforderte Offenlegung der subjektivenAnteile und Diskussion alternativer Möglichkeiten von den Gerichtenüberhaupt positiv rezipiert werden würde, bleibt damitfraglich. Bennet und Feldman (1981) zeigten in einer Analysevon Strafverfahren, dass bei RichterInnen der Anschein derWahrheit weit mehr zählt als die Wahrheit selbst. So gewinntin Prozessen häufig die Seite, die die wenigsten Widersprüchein ihrer Argumentation aufweist, unabhängig von der Wahrheit.Tatsächlich gibt es hierfür experimentelle Befunde. Holstein(1985) zeigte in Simulationsstudien, dass das Vorliegen verschiedenerInterpretationen eines Sachverhaltes – auch wennbeide für die Unschuld eines/einer Angeklagten sprechen –nachteilige Konsequenzen für das Erreichen eines positiven Urteilesfür den/die Angeklagten/Angeklagte bedingt. Auch dieRichterInnen unterscheiden sich in ihren Wertehaltungen undsubjektiven Erfahrungen. Tetlock, Bernzweig und Gallant(1985) konnten z.B. für die RichterInnen des Obersten Gerichtshofsder Vereinigten Staaten konsistente Unterschiede inihrer „Liberalität“ nachweisen, die auch über verschiedene Fällehinweg konstant blieben. Zudem spielen Attributionsfehler,die sich je nach Lage des Falles unterschiedlich auswirken können,für RichterInnen eine Rolle. Reue des/der Täters/Täterin,Leiden des Opfers, Attraktivität des Täters und andere Faktorenbeeinflussen stark die Zuschreibung z.B. der Absicht für die Tatals hinterhältig, unbeabsichtigt, kaltblütig, etc.Garber und Maslach (1977) stellten z.B. fest, dass die Verhandlungenüber Strafaussetzungen im erfolgreichen Fall zweiMinuten dauern und im für den Straftäter nicht erfolgreichenFall eine Minute. Das Ergebnis stand bereits vor der Verhandlungfest und wurde in der Verhandlung bestätigt. So wurdenPersonen, deren Strafaussetzung abgelehnt wurde, zu ihrenProblemen im Strafvollzug befragt, während im erfolgreichenFall Fragen nach der Zukunftsplanung im Vordergrund standen.Konecni und Ebbenson (1979, 1982) gingen zunächst vonder Annahme aus, dass man angesichts der großen Komplexitätder einzelnen Fälle einer gutangelegten archivarischen Datenbankbedürfe, um die Zusammenhänge aller Faktoren und Tatsachendes Falles mit dem letztendlichen Urteil aufzudecken.Nach einer Analyse von 400 Fällen in San Diego zeigte sichjedoch ein anderes Bild. Nur drei Faktoren bestimmten das Urteilsverhaltenvieler RichterInnen in zahlreichen Fällen:Schwere des Verstoßes, Zahl früher begangener Verstöße, polizeilicheBewertung der „Gefährlichkeit“. „Man kann begründetdavon ausgehen, dass vor verschiedenen Gerichten für spezifischeVerbrechen verschiedene Normen oder ‘Pauschalen’existieren“ Stephenson (1990, S. 463). Und hier schließt sichder Kreis zu den psychiatrischen Gutachten und relativiert auchderen oft mangelnde Qualität und Objektivität. Urteilen und begutachtenscheint auf vielfältige Weise einer ähnlichen Dynamikzu unterliegen.In den letzten Jahren setzt sich immer mehr das Verständnisdafür durch, dass es keine allgemeingültigen professionellenStandards im Beurteilungsprozess geben kann. UnterschiedlicheMethoden weisen ebenso unterschiedliche Vor- und Nachteileauf. Der blinde Fleck der einen Methode ist die Stärke deranderen. In der Literatur zur Diagnostik wird von daher eineMethodenvielfalt angeregt. Durch die Nutzung streng standardisierterdiagnostischer Instrumente wie Fragebögen kommt esnämlich zu einer starken Einengung des Blickwinkels. Um diestatistischen Gütekriterien von Fragebögen hoch zu halten, istin der Regel eine Konzentration auf einige wenige Aspekte unerlässlich.So bilden Fragebögen in der Regel nur schmal umgrenzteBereiche ab, so dass allein von daher schon die Anwendungverschiedener Diagnoseinstrumente gefordert ist. Aberauch dann ist die Verbindung der einzelnen Befunde nicht immereinfach. Die den verschiedenen Fragebögen zugrundeliegendentheoretischen Perspektiven widersprechen einandernicht selten. Die Gewichtung und Einordnung der Befunde inein Gesamtbild bleibt damit eine rein subjektive Leistung derBeurteilerInnen. Es entsteht damit zwangsläufig die Gefahr,objektive Fragebogenergebnisse als Rechtfertigung schon bestehendersubjektiver Auffassungen zu nutzen. Diagnostikdient dann nicht mehr der Entscheidungsfindung, sondern derEntscheidungs<strong>recht</strong>fertigung. Dieser Gefahr gilt es entgegenzuwirken,indem sowohl objektive Daten als auch subjektivemöglichst transparent zur Entscheidungsfindung herangezogenwerden. Die PsychiaterInnen müssen mehr als bisher klarstellen,was sie aufgrund ihrer fachlichen Kenntnisse leisten können,und das ist eine Menge. Sie müssen aber auch auf das hinweisen,was nicht in ihren Kompetenzbereich fällt. Und dieGutachterInnen und JuristInnen sind zum gemeinsamen kritischenDiskurs, zur Streitrede im besten wissenschaftlichenSinn aufgerufen, wollen sie nicht an der Entwicklung eines„Sachverständigen neuen Typs“, wie ihn Nicolas Becker(1993) in seinem Artikel „Der gute und der schlechte Sachverständige“charakterisiert hat, mitwirken: „Er ist ungefähr 38Jahre alt und hält sich nicht für konservativ. Er hasst und verachtetden Probanden nicht. Seine Empathiefähigkeit ist allerdingsziemlich beschränkt. In der Exploration stellt er dem Probanden„natürlich“ auch unangenehme Fragen. … Eine saubereTrennung zwischen explorativem und wertendem Teil im Gutachtenist für ihn selbstverständlich. Er verwendet jede MengeTests. Die relevante Rechtssprechung des BHG ist ihm geläufig.…. Seine Phantasie hält sich in engen Grenzen. Nichts, waser in seinem Beruf tut, ist ihm `persönlichkeitsfremd`. Er istnicht anderweitig seelisch abartig. Schwere Erschütterungenhat er nicht erlebt. Er macht keine Fehler, aber er ist banaler undvielleicht schrecklicher als die großen Reaktionäre“.Karin Gutiérrez-Lobos ist Fachärztin für Psychiatrie undNeurologie, Psychotherapeutin und Universitätsprofessorinund Leiterin der Hauptambulanz und der forensisch-sozialtherapeutischenAmbulanz an der Universitätsklinikfür Psychiatrie der Medizinischen UniversitätWien. 1996-2001 Leiterin des psychiatrisch-psychotherapeutischenBetreuungsbereichs der Justizanstalt Mittersteig.Forschungsschwerpunkte: Forensische Psychiatrieund Gender medicine. Literaturauskünfte zum obigenBeitrag sind bei der Verfasserin erhältlich:karin.gutierrez-lobos@meduniwien.ac.at.Seite 206 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4

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