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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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themadie Leugnung dieser emotionalen und subjektiven Anteilefälschlicherweise als Ausdruck von „Objektivität“ und damitvon Professionalität interpretiert. Eine psychiatrische Explorationist aber in jedem Fall ein interaktiver Vorgang, bei dem ProbandInnenund Sachverständige ihre Erfahrungen und Emotionenaufeinander projizieren. Die Darstellung der Lebensgeschichteeines/einer Täters/Täterin und ihre Interpretationkönnen folglich gar nicht objektiv sein, es sind immer mehrereInterpretationen möglich, von denen mehr oder weniger unbewussteine für die Schlussfolgerungen im Gutachten ausgewähltwird. Je bewusster sich Sachverständige ihrer Gegenübertragungund Subjektivität sind und je ausführlicher sie Gegenübertragungund die Denkschule, auf der ihre Ergebnisseberuhen und welche alternativen Schlüsse möglich wären, imGutachten darstellen, desto „objektiver“ kann das Gutachtensein und umso mehr wird der Anspruch es nach „bestem Wissenund Gewissen“ erstattet zu haben, erfüllt.Besonders problematisch ist die psychiatrische Begutachtungin jenen Fällen, wo der Täter/die Täterin nicht geständigist. Zu den im vorigen Absatz beschriebenen subjektiven Fehlerquellenkommt eine weitere: Kann sich ein/eine GutachterInvorurteilsfrei mit der Frage der Schuldfähigkeit beschäftigenohne die Frage der Täterschaft zu berühren, ohne also gleichsamauch „Ermittlungstätigkeit“ durchzuführen? Es scheint fastunmöglich, dass sich der/die Sachverständige nicht auch mitdieser Frage beschäftigt und zu einer vorerst sehr persönlichenMeinung darüber gelangt. Dass diese Meinung aber bei derDurchführung der Exploration – welche Fragen wonach wieausführlich gestellt werden – und dem darauf basierenden Gutachtenergebniskeine Rolle spielt, ist nicht vorstellbar. Haddenbrock(1981) hat so auch die Frage gestellt, ob ein Gutachtenin diesen Fällen nicht generell die Gefahr in sich birgt, zur unwillkürlichenIndizienbeschaffung herangezogen zu werden.Ausführliches dazu findet sich auch in der aktuellen österreichischenLiteratur, etwa in Pollacks „Anklage Vatermord“, worinein historischer Kriminalfall aus den 30-iger Jahren beschriebenwird. Im Vatermordprozess gegen Philipp Halsmann, derdiese Tat übrigens immer bestritten hat, wurde ein Gutachtender Medizinischen Fakultät Innsbruck in Auftrag gegeben. Darinwird festgestellt, dass der Verdächtige für die kritische Zeiteinem Verdrängungsmechanismus zum Opfer gefallen ist, sodass er sich nicht an den Mord erinnern könne und dass dasVorhandensein einer erotischen Leidenschaft der Mutter gegenüber,also ein Ödipuskomplex, nicht unwahrscheinlich sei,ohne diese Annahmen jedoch anhand der individuellen Angabenund Lebensgeschichte des Verdächtigen zu begründen.Diese Darstellung ermöglichte es der Staatsanwaltschaft quasiim Umkehrschluss Halsmann gerade wegen dieses angeblichenÖdipuskomplexes, der als „Indiz“ gewertet wurde, zu verurteilen.Sigmund Freud hat dazu festgestellt, dass bei Nichterbringungdes Nachweises der Täterschaft, die Erwähnung des Ödipuskomplexesjedoch irreführend ist. Psychiatrische Aussagenzur Schuldfähigkeit sind immer post-hoc Feststellungen, die anbestimmte Gegebenheiten – zumindest aber an die Eindeutigkeitder Täterschaft – gebunden sind, ohne diese Eindeutigkeitsind die Gutachten jedoch wertlos. Es ist und kann nicht Aufgabeder Psychiatrie sein, dem Gericht pseudowissenschaftlicheErklärungen dafür anzubieten, warum jemand aufgrundseiner psychischen Disposition bei nicht erwiesener Täterschaftder/die TäterIn sein könnte.Auch die Diagnostik mittels psychologischer Tests oder anhandvon Kriterienkatalogen ist nicht viel objektiver. Schon dieAuswahl von Tests, die Durchführung und Interpretation bietengenügend Quellen für Subjektivität. Als Beispiel sei der MMPI,ein Test zur Persönlichkeitsdiagnostik, erwähnt, der breite Anwendungbei den unterschiedlichsten Begutachtungen findet.Untersuchungen haben ergeben, dass durch diesen Test beispielsweiseErgebnisse durch geschlechtsstereotype Fragenund Auswertungen beeinflusst werden können. So sollen etwaFragen wie „Gehen sie gerne ins Theater?“ von Frauen mit jaund von Männern mit nein beantwortet werden, um geschlechtskonkordantes– damit persönlichkeitsmäßig unauffälligesVerhalten – zu dokumentieren. Manche Items der Geschlechtsrollenskalenwerden aber auch zur Beurteilung andererSkalen herangezogen: „Ich bin in der Liebe enttäuschtworden“ wird bei Beantwortung mit ja durch Männer auf derPsychopathieskala und damit in Richtung Auffälligkeit verrechnet,bei Frauen aber auf der Weiblichkeitsskala, was als geschlechtskonformund damit als unauffällig gewertet wird. Imschlimmsten Fall – also wenn bei einem Mann oder einer Fraugegen das dort postulierte Geschlechtsrollenstereotyp verstoßenwird – können extrem nachteilige Folgen für die Begutachtetenentstehen. Darüber hinaus sind auch Rechtsbegriffe, wieetwa bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, wo Kategorienwie schwer, erheblich oder tiefgreifend angeführt sind,an sich schon dazu geeignet eine subjektive Darstellung zu provozieren.Noch weniger ist über die Auswirkungen auf und Rezeptionder Begutachtungssituation durch die ProbandInnen bekannt.Die meisten Untersuchungen und Lehrbücher widmen sichdem Umgang mit den ProbandInnen gar nicht oder nur in wenigenSätzen. Wie oben bereits ausgeführt, sind die Konsequenzenaber u.U. erheblich. Ein derzeit nicht bestimmbarer Anteilan „Wertungsfehlern“ geht auf Störungen in der Interaktion zurückund ist damit als „Untersuchungsfehler“ zu werten (Heinz1986). Littmann (1988) hat ProbandInnen untersucht und ihreErwartungshaltungen vor der Begutachtung und die subjektiveBefindlichkeit, die Wahrnehmung der Gutachtenssituation sowieihre Einschätzung der Kommunikationsstile der GutachterInnennach der Begutachtung erhoben. Auffällig war, dass nurca. 2/3 der ProbandInnen durch die AuftraggeberInnen auf dieGutachtenssituation vorbereitet wurden. Durchschnittlich 1/3der Untersuchten äußerten vor der Begutachtung Ängste undBefürchtungen. 1/3 der Begutachteten fühlten sich durch dieBegutachtungssituation belastet, jeder Vierte bemängelte denzu kurzen Zeitaufwand durch die GutachterInnen. Besonderswichtig für die Gutachtensbewertung ist aber das Ergebnis, dassein hohes Ausmaß beiderseits zugestandener Sympathie häufigerbei sich als straf<strong>recht</strong>lich verantwortlich deklarierender ProbandInnenaufgetreten ist, die keine Erwartung an die Hilfestellungdurch die GutachterInnen hatten. Diese ProbandInnenscheinen womöglich dem ärztlichen Rollenverständnis eherentgegenzukommen. Auf jene ProbandInnen, die sich als nichtvoll verantwortlich einschätzten, es nach Meinung der GutachterInnenaber waren, reagierten die GutachterInnen hingegenmit Abwehr und relativer Antipathie.Im Sinne einer „Schärfung des Sachverständigengewissens“(Müller-Luckmann 1972) besteht dringender Forschungsbedarfzu untersuchen, in welcher Form von den SachverständigenFragen wie Gegenübertragung und psychiatrische Denk-Seite 204 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4

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