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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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justiz und randgruppenDie Psychiatrie arbeitet im Grenzbereich zwischen biologischorientierter Medizin, Psychologie und Soziologie und hat daherauch eine eindeutig politische Dimension. Die in der PsychiatrieTätigen haben somit die Aufgabe, sich immer wieder mitder eigenen Position und jener der PatientInnen im Spannungsfeldzwischen Gesellschaft, Macht und Recht auseinanderzusetzen.Und das betrifft besonders die Tätigkeit als Gerichtsgutachter/in.In der Gesetzgebung sind traditionellerweise die BegriffeBestrafung, Schuldfähigkeit und Abwe-senheit einerpsychischen Störung untrennbar miteinander verbunden. WederKriminalität noch psychische Störung existieren aber unabhängigvon <strong>gesellschaft</strong>lichen Strömungen. Definitionsgemäßsind der/die Sachverständige unparteiische Personen, die wegenihrer Fachkenntnisse <strong>recht</strong>serhebliche Umstände vor Gerichtunter Wahrheitspflicht aussagen; sie werden vom Gerichtbestellt, gegenüber dem Auftraggeber besteht keine Verschwiegenheitspflicht.Eine Ablehnung des Gutachtensauftrages hatzu erfolgen, wenn sich der/die Sachverständige befangen fühltbzw. wenn er/sie in den Verdacht der Befangenheit gerät.Der/die Sachverständige soll objektiv sein und sein/ihrGutachten soll auf wissenschaftlicher Basis stehen. Soweit die formalen Anforderungen. Warum gerade psychiatrischeGutachten immer wieder im Kreuzfeuer derKritik stehen, dafür gibt es viele unterschiedliche Gründe.Einer davon ist die <strong>gesellschaft</strong>liche Einstellung gegenüberder Psychiatrie und ihren PatientInnen, die geprägtist von Vorurteilen und Stigmatisierung. „Im Bewusstseinder Öffentlichkeit werden die Außenseiter derGesellschaft entweder zu milde oder zu hart angefasst.Die forensische Psychiatrie, von der Gesellschaft mit derVerwaltung der doppelt Stigmatisierten beauftragt, hatauch den doppelten Tadel zu erwarten.“ stellte Rasch(1986) folgerichtig fest. Im Folgenden sollen drei Kernbereichediskutiert werden, die sich auf die generelle Qualitätund die Objektivität von psychiatrischen Gutachten sowie dieProblematik der Gefährlichkeitsprognosen beziehen.Qualität psychiatrischer GutachtenDie Qualität psychiatrischer Gutachten und die mangelndeVergleichbarkeit von Gutachtensergebnissen sind in der Vergangenheit– auch von psychiatrischen Sachverständigenselbst - wiederholt kritisch hinterfragt worden. Ausgehendvon der Streitschrift Tilman Mosers „Repressive Kriminalpsychiatrie“im Jahr 1971 sind im deutschen Sprachraum ersteVersuche unternommen worden, um die „Geheimwissenschaft“der Gutachtenserstellung empirisch zu beleuchten.Die bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse werfen inder Tat ein eher düsteres Bild auf die Qualität von psychiatrischenGutachten. Von Erhebungsmängeln, abwertender undverurteilender Sprache, mangelnder Vergleichbarkeit beiMehrfachgutachten, der Vorwegnahme richterlicher Entscheidungen,dem Verdacht der willfährigen „Haus- und Hofgutachter“uäm ist die Rede. Pfäfflin (1976) hat als Erster imdeutschen Sprachraum Gutachten über Sexualstraftäter untersucht.In 75% der untersuchten Gutachten wurde Schwachsinnbehauptet ohne einen entsprechenden Intelligenztestdurchgeführt zu haben, in 55% fanden sich keine verwertbarenund in 25% überhaupt keine Angaben zur Sexualanamnese,in 30% der Gutachten fand sich eine vorurteilsbehafteteTerminologie wie „abartig, minderwertig, primitiv, stumpfsinnig“.In einer eigenen Untersuchung (Gutierrez et al 2001)waren nur in 48% der Gutachten über in den Maßnahmenvollzugeingewiesene Sexualstraftäter Angaben zur Sexualanamnesezu finden, eine entsprechende nach international üblichenKriterien erstellte Diagnose fand sich gar nur in etwa 9%der Gutachten. Nowara (1995) und Konrad (1995) haben nachder Analyse von Mehrfachbegutachteten festgestellt, dass 2/3 der Gutachten divergieren und darauf hingewiesen, dass esunter den Sachverständigen keinen Konsens über Erhebungsbereiche,Standardkriterien und Gewichtung der Kriterien gebe.Dass das aber keine neuen Probleme sind, beweist bereitsdie von Robert Musil anlässlich der Begutachtung von Moosbruggerin „Der Mann ohne Eigenschaften“ geäußerte Feststellung:„Es stehen sich in der Beurteilung eines solchenGrenzfalls auch zwei Schulen gegenüber. Wenn ihre Verhandlungund Untersuchung in Würzburg stattgefunden hätte, wärensie wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen worden,hier werden sie verurteilt werden.”Psychiatrische Gutachtenim Spannungsfeldzwischen Medizin, Rechtund GesellschaftKarin Gutiérrez-Lobos........................Die Illusion der Objektivität –psychiatrische BegutachtungDie Psychiatrie an sich und so auch die Begutachtung benütztkeine objektive von der Person losgelöste Diagnostik. Es machtauch einen Unterschied ob ein/eine Sachverständige/r eine biologischeAuffassung von psychischer Störung, eine tiefenpsychologischeoder eine andere Theorie zur Genese psychischerStörungen vertritt. In jede psychiatrische Tätigkeit fließen darüberhinaus eigene Meinung, Erfahrungen, Werte und Ethik ein.Unschwer zu erkennen, dass sich diese Faktoren auf die Interpretationauswirken und auch auswirken müssen. Dass dieseUmstände psychiatrische Gutachten und ihre Ergebnisse beeinflussen,ist zwar bekannt, aber bisher nicht ausreichend untersuchtund bei der Würdigung der Gutachten miteinbezogenworden. Zu fordern, der/die psychiatrische Sachverständigemüsse sich über solche Ideologie hinwegsetzen können, greiftaber zu kurz. Die Begegnung zwischen GutachterInnen undProbandInnen stellt für beide eine völlig neue Erfahrung dar.Beide wollen auf ihre Weise und mit unterschiedlicher Motivationetwas von einander wissen. Darin unterscheidet sich dieseBeziehung auch gar nicht von anderen Beziehungen. Der Unterschiedliegt jedoch in der Konsequenz, die diese Beziehungsqualität,wenn sie unreflektiert in die Beurteilung einfließt, habenkann. So wie der/die ProbandIn dem/der Gutachter/in gegenüberempfindet auch der/die Sachverständige dem/der zuUntersuchenden gegenüber positive und negative Gefühle, Erwartungenund Ängste, Sympathie oder Antipathie. Oft wird<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 203

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