themabruchsdiebstähle iSd § 129 StGB zu einer Freiheitsstrafe vonzwei Jahren verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB untergebracht(12 Os 181/94). Seine geistig- seelische Abartigkeit bestandnach Meinung des Richters in einer „hochgradig gestörtenPersönlichkeitsstruktur durch psychische und soziale Instabilität“.Die Instabilität dieses Täters zeigt sein Lebenslauf;welche geistigen und seelischen Besonderheiten dafür ursächlichsind, haben weder der Sachverständige noch der Richterherausgefunden. Bei diesem Vorleben und wirklich schwerenTaten wäre die Strafe anders ausgefallen. Welche Tat mitschweren Folgen hat das Gericht wohl von diesem Täter befürchtet?3) Taten mit schweren Folgen sind Taten, von denen jedeeinzelne über den Rahmen alltäglicher Vorsatzkriminalitätdeutlich hinausgeht, weil der Schaden besonders groß ist oderweil sie verbreitet Unruhe und Besorgnis auslöst; bei Vermögensdeliktenverlangt man gewöhnlich einen Schaden vonmehr als 40.000 €. 6 Die Einbrüche, die dieser Täter wohlauch in Zukunft begangen hätte, wären in ihrer Gesamtheitsicher sehr störend gewesen; jede einzelne Tat für sich genommenwohl nicht. Wie konnte es dennoch zur Unterbringungkommen? Gewöhnlich stellen die Richter in ihren Urteilennicht fest, welche konkreten Taten sie vom Beschuldigtenerwarten, prüfen auch nicht, ob die erwarteten Tatensolche mit schweren Folgen sind, sondern schreiben lediglich,es sei zu befürchten, der Beschuldigte werde unter demEinfluss seiner Abnormität Taten mit schweren Folgen begehen.Was der Richter befürchtet und was er unter Taten mitschweren Folgen versteht, bleibt damit im Ungewissen; derlockere Umgang mit dem Gesetz wird etwas verdeckt.Aber vielleicht wollte das Gericht etwas Vernünftiges tun:Und dafür sorgen, dass der Täter eine Behandlung erhält, dieihm zu sozialer Anpassung verhilft. Dann hat sich der Richtergründlich geirrt.Einen einigermaßen therapeutischen Vollzug erhalten dieUntergebrachten in der Sonderanstalt Mittersteig. Dort aberbefanden sich am 1.12.2003 nur 114 Untergebrachte, 168 dagegenin Sonderabteilungen allgemeiner Justizanstalten. 7 DieUnterbringung unterscheidet sich dort vom gewöhnlichenStrafvollzug so gut wie gar nicht. Für mehr als die Hälfte dernach § 21 Abs 2 StGB Untergebrachten hat die Unterbringungnur eine Konsequenz: Sie müssen damit rechnen, dasssie über die Strafzeit hinaus im Vollzug festgehalten werden.Diese Gefahr ist gerade bei Untergebrachten, die zu kleinerenFreiheitsstrafen verurteilt wurden, besonders groß. Gerade fürTäter kleiner Nichtsexualdelikte geschieht in der Unterbringungso gut wie gar nichts, gerade sie werden dort häufig überdie Strafzeit hinaus festgehalten.Untergebrachte mit längeren Strafen, vor allem Sexualtäter,haben bessere Aussichten, nach Mittersteig zu kommen;das aber erst, wenn sie einen Großteil ihrer Strafe in einer Sonderabteilungdes allgemeinen Strafvollzugs verbüßt haben.Dann muss die Therapie in Mittersteig zunächst einmal beginnen,die seelischen Schäden der Haft abzubauen. Undwenn es dann gelingt, den Untergebrachten soweit zu bringen,dass man ihn – mit Hilfe und Betreuung – ein Leben in Freiheitführen lassen könnte und sollte, muss der Anstaltsleiter erstnoch damit rechnen, dass das Gericht die bedingte Entlassungverweigert. Der Untergebrachte verliert dann das Interesse anTherapie und Behandlung, die Therapeuten sehen sich in ihrerArbeit gestört und behindert, der weitere Aufenthalt in Mittersteigkann dem Untergebrachten nicht weiterhelfen, aberer nimmt dort anderen, die eine Behandlung dringend brauchten,den Platz weg. Schließlich gibt es viele Gefangene, dienicht zu einer Unterbringung verurteilt wurden, die aber eineTherapie und einen begleiteten Übergang in die Freiheit dringendnötig hätten. Aber nur für die wenigsten von ihnen findetsich in Mittersteig Platz.Die Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB ist eine Maßnahme,die von Richtern nach Belieben angeordnet werden kann;eine Maßnahme, die zur längeren Anhaltung gerade von Täternkleinerer Taten führt; eine Maßnahme, die zur Sicherungder Gesellschaft vor schweren Taten gefährlicher Täter nichtnotwendig ist, weil sie ohnehin zu hohen Strafen verurteiltwerden; eine Maßnahme, die zur Behandlung und Förderungder Untergebrachten gar nichts oder erst beiträgt, wenn sieschon durch die Strafhaft geschädigt wurden; eine Maßnahmeüberdies, die den rationellen Einsatz der wenigen Therapieplätzeerschwert. Sie sollte endlich ersatzlos abgeschafft unddie vorhandenen Therapiemöglichkeiten an die Gefangenenvergeben werden, die dafür am besten geeignet sind. 8Auch in diesem Zusammenhang ist eine Reform der bedingtenEntlassung unbedingt notwendig. Über die bedingteEntlassung sollten in allen Instanzen Personen entscheiden,die vom Strafvollzug, von Therapie und Betreuung Entlassenerwenigstens ein gewisses Maß von Erfahrung haben. Richterhaben diese Erfahrung leider nicht.Christian Bertel ist o.Universitätsprofessor am und derzeitigerLeiter des Instituts für Straf<strong>recht</strong> und sonstigeKriminalwissenschaften der Universität Innsbruck............................................6) Leukauf/Steininger, StGB 3 § 21 Rz 14. 7) Sicherheitsbericht 2003, 368. 8) Gratz, Unterbringung 239ff.Seite 202 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4
justiz und randgruppenDie Psychiatrie arbeitet im Grenzbereich zwischen biologischorientierter Medizin, Psychologie und Soziologie und hat daherauch eine eindeutig politische Dimension. Die in der PsychiatrieTätigen haben somit die Aufgabe, sich immer wieder mitder eigenen Position und jener der PatientInnen im Spannungsfeldzwischen Gesellschaft, Macht und Recht auseinanderzusetzen.Und das betrifft besonders die Tätigkeit als Gerichtsgutachter/in.In der Gesetzgebung sind traditionellerweise die BegriffeBestrafung, Schuldfähigkeit und Abwe-senheit einerpsychischen Störung untrennbar miteinander verbunden. WederKriminalität noch psychische Störung existieren aber unabhängigvon <strong>gesellschaft</strong>lichen Strömungen. Definitionsgemäßsind der/die Sachverständige unparteiische Personen, die wegenihrer Fachkenntnisse <strong>recht</strong>serhebliche Umstände vor Gerichtunter Wahrheitspflicht aussagen; sie werden vom Gerichtbestellt, gegenüber dem Auftraggeber besteht keine Verschwiegenheitspflicht.Eine Ablehnung des Gutachtensauftrages hatzu erfolgen, wenn sich der/die Sachverständige befangen fühltbzw. wenn er/sie in den Verdacht der Befangenheit gerät.Der/die Sachverständige soll objektiv sein und sein/ihrGutachten soll auf wissenschaftlicher Basis stehen. Soweit die formalen Anforderungen. Warum gerade psychiatrischeGutachten immer wieder im Kreuzfeuer derKritik stehen, dafür gibt es viele unterschiedliche Gründe.Einer davon ist die <strong>gesellschaft</strong>liche Einstellung gegenüberder Psychiatrie und ihren PatientInnen, die geprägtist von Vorurteilen und Stigmatisierung. „Im Bewusstseinder Öffentlichkeit werden die Außenseiter derGesellschaft entweder zu milde oder zu hart angefasst.Die forensische Psychiatrie, von der Gesellschaft mit derVerwaltung der doppelt Stigmatisierten beauftragt, hatauch den doppelten Tadel zu erwarten.“ stellte Rasch(1986) folgerichtig fest. Im Folgenden sollen drei Kernbereichediskutiert werden, die sich auf die generelle Qualitätund die Objektivität von psychiatrischen Gutachten sowie dieProblematik der Gefährlichkeitsprognosen beziehen.Qualität psychiatrischer GutachtenDie Qualität psychiatrischer Gutachten und die mangelndeVergleichbarkeit von Gutachtensergebnissen sind in der Vergangenheit– auch von psychiatrischen Sachverständigenselbst - wiederholt kritisch hinterfragt worden. Ausgehendvon der Streitschrift Tilman Mosers „Repressive Kriminalpsychiatrie“im Jahr 1971 sind im deutschen Sprachraum ersteVersuche unternommen worden, um die „Geheimwissenschaft“der Gutachtenserstellung empirisch zu beleuchten.Die bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse werfen inder Tat ein eher düsteres Bild auf die Qualität von psychiatrischenGutachten. Von Erhebungsmängeln, abwertender undverurteilender Sprache, mangelnder Vergleichbarkeit beiMehrfachgutachten, der Vorwegnahme richterlicher Entscheidungen,dem Verdacht der willfährigen „Haus- und Hofgutachter“uäm ist die Rede. Pfäfflin (1976) hat als Erster imdeutschen Sprachraum Gutachten über Sexualstraftäter untersucht.In 75% der untersuchten Gutachten wurde Schwachsinnbehauptet ohne einen entsprechenden Intelligenztestdurchgeführt zu haben, in 55% fanden sich keine verwertbarenund in 25% überhaupt keine Angaben zur Sexualanamnese,in 30% der Gutachten fand sich eine vorurteilsbehafteteTerminologie wie „abartig, minderwertig, primitiv, stumpfsinnig“.In einer eigenen Untersuchung (Gutierrez et al 2001)waren nur in 48% der Gutachten über in den Maßnahmenvollzugeingewiesene Sexualstraftäter Angaben zur Sexualanamnesezu finden, eine entsprechende nach international üblichenKriterien erstellte Diagnose fand sich gar nur in etwa 9%der Gutachten. Nowara (1995) und Konrad (1995) haben nachder Analyse von Mehrfachbegutachteten festgestellt, dass 2/3 der Gutachten divergieren und darauf hingewiesen, dass esunter den Sachverständigen keinen Konsens über Erhebungsbereiche,Standardkriterien und Gewichtung der Kriterien gebe.Dass das aber keine neuen Probleme sind, beweist bereitsdie von Robert Musil anlässlich der Begutachtung von Moosbruggerin „Der Mann ohne Eigenschaften“ geäußerte Feststellung:„Es stehen sich in der Beurteilung eines solchenGrenzfalls auch zwei Schulen gegenüber. Wenn ihre Verhandlungund Untersuchung in Würzburg stattgefunden hätte, wärensie wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen worden,hier werden sie verurteilt werden.”Psychiatrische Gutachtenim Spannungsfeldzwischen Medizin, Rechtund GesellschaftKarin Gutiérrez-Lobos........................Die Illusion der Objektivität –psychiatrische BegutachtungDie Psychiatrie an sich und so auch die Begutachtung benütztkeine objektive von der Person losgelöste Diagnostik. Es machtauch einen Unterschied ob ein/eine Sachverständige/r eine biologischeAuffassung von psychischer Störung, eine tiefenpsychologischeoder eine andere Theorie zur Genese psychischerStörungen vertritt. In jede psychiatrische Tätigkeit fließen darüberhinaus eigene Meinung, Erfahrungen, Werte und Ethik ein.Unschwer zu erkennen, dass sich diese Faktoren auf die Interpretationauswirken und auch auswirken müssen. Dass dieseUmstände psychiatrische Gutachten und ihre Ergebnisse beeinflussen,ist zwar bekannt, aber bisher nicht ausreichend untersuchtund bei der Würdigung der Gutachten miteinbezogenworden. Zu fordern, der/die psychiatrische Sachverständigemüsse sich über solche Ideologie hinwegsetzen können, greiftaber zu kurz. Die Begegnung zwischen GutachterInnen undProbandInnen stellt für beide eine völlig neue Erfahrung dar.Beide wollen auf ihre Weise und mit unterschiedlicher Motivationetwas von einander wissen. Darin unterscheidet sich dieseBeziehung auch gar nicht von anderen Beziehungen. Der Unterschiedliegt jedoch in der Konsequenz, die diese Beziehungsqualität,wenn sie unreflektiert in die Beurteilung einfließt, habenkann. So wie der/die ProbandIn dem/der Gutachter/in gegenüberempfindet auch der/die Sachverständige dem/der zuUntersuchenden gegenüber positive und negative Gefühle, Erwartungenund Ängste, Sympathie oder Antipathie. Oft wird<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 203