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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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justiz und randgruppenAuch Zurechnungsfähige können in einer Anstalt für geistigabnorme Rechtsbrecher untergebracht werden. Drei Voraussetzungensind dafür notwendig: 1. Der Täter muss eine geistigeoder seelische Abartigkeit höheren Grades aufweisen; 2.er muss unter deren Einfluss eine Tat begangen haben, die mitFreiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht ist; und 3. ermuss befürchten lassen, er werde unter dem Einfluss seinerAbartigkeit eine Tat mit schweren Folgen begehen (§ 21Abs 2 StGB). Die Unterbringung dauert auf unbestimmte Zeit(§ 25 Abs 1 StGB): Der Täter wird festgehalten, bis seine Abartigkeitoder seine Gefährlichkeit aufhört, er kann aus derUnterbringung nur bedingt entlassen werden (§ 47 Abs 1StGB). Aber neben der Unterbringung wird der Täter auch zueiner Strafe verurteilt: Wenn seine Abartigkeit oder Gefährlichkeitaufhörte, bevor er aus der Strafe bedingt oder unbedingtentlassen werden kann, müsste die Unterbringung beendetund die Strafe weiter vollstreckt werden. Die offizielleRechtfertigung für die Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB:Die Gesellschaft müsse vor abartigen gefährlichen Rechtsbrechernauch über die Dauer der Strafe hinaus geschütztwerden.Die Zahl der nach § 21 Abs 2 StGB Untergebrachtenist nicht groß, aber sie steigt gerade in letzter Zeit bedenklichan. Am 1.12.2001 befanden sich 233 Personenin dieser Unterbringung, 2002 waren es schon 248,2003 gar 285. 1 Die Unterbringung nach § 21 Abs 2StGB ist eine der vielen Lügen, an denen die österreichischeStraf<strong>recht</strong>spflege krankt.1) Was ist eine geistige oder seelische Abartigkeithöheren Grades? Alle Menschen sind verschieden, esgibt sonderliche und weniger sonderliche, gestörte undweniger gestörte Menschen. Es ist schon schwierig genug,einen Kreis von Menschen auszusondern, derenBesonderheiten einem der Krankheitsbilder der Psychiatrieentsprechen oder ihnen nahe kommen; sie sind zurechnungsunfähig(§ 11 StGB) und kommen hier nicht weiter inBetracht. Aber wie soll man unter den zurechnungsfähigen,also „normalen“ und darum <strong>recht</strong>lich verantwortlichen, Täternwieder eine Gruppe als abartig ausscheiden? Es heißt, 2die Abartigkeit müsse „eindeutig außerhalb der Variationsbreitedes Normalen liegen“. Sehr schön! Aber wo hört dieVariationsbreite des Normalen auf? In der Regel werden diegeistigen und seelischen Besonderheiten, die der Richter alsAbartigkeit beurteilt, in vagen Floskeln beschrieben, die sichauf sehr viele Menschen anwenden lassen: „Psychopathie“,„sexuelle Perversion“, „soziale Instabilität“ usw. Freilichmuss der Richter, bevor er eine Unterbringung anordnet, einenSachverständigen hören (§ 439 Abs 2 StPO). Aber dashilft nicht weiter: Auch wenn es dem Sachverständigen gelänge,die geistigen und seelischen Eigenschaften des Täterswertfrei, anschaulich und konkret zu schildern, wüsste derRichter noch immer nicht, ob diese Eigenschaften noch normaloder schon abnorm sind. Sehr häufig verwenden auchSachverständige leere Floskeln. 3...........................................1) Sicherheitsbericht 2003, 367.2) Leukauf/Steininger, StGB 3 § 21 Rz 20.3) Gratz, Die Praxis der Unterbringung zurechnungsfähigergeistig abnormer Rechtsbrecher2) Freilich beschränkt das Gesetz die Unterbringung aufTäter, die eine Tat begangen haben die mit mehr als einemJahr Freiheitsstrafe bedroht ist. Aber was ist in Österreichnicht alles mit dieser Strafe bedroht? Ein Einbruchsdiebstahlnach § 129 Z 2 StGB (6 Monate bis 5 Jahre) zB kann auchdarin bestehen, dass der Täter die Geldkassette an einem Zeitungsverkaufsstandaufbricht und 30 € stiehlt.In sehr vielen Fällen kann die Tat, die zur Unterbringungführte, wirklich nicht schwer gewesen sein. Das sieht man ander Strafe, die neben der Unterbringung verhängt wird. Fürdie Strafzumessung spielen die Schwere der Tat, die Zahl derTaten und die Vorstrafen die entscheidende Rolle. Meist sinddie Untergebrachten vorbestraft oder Mehrfachtäter. Manmöchte erwarten, dass sie schwere Strafen erhalten, zumalRichter, wenn sie eine Unterbringung anordnen, eher zu höherenStrafen neigen; niedrige Strafen könnten ja an der Gefährlichkeitdes Täters zweifeln lassen. Aber von den zwischen1975 und 1998 Untergebrachten haben 6,8 % eine Strafevon nicht einmal einem Jahr erhalten; 23,9 % eine StrafeDie normalenAbnormalen –zur Unterbringung nach§ 21 Abs 2 StGBChristian Bertel........................zwischen ein und zwei Jahren, 20,2 % eine Strafe zwischenzwei und drei Jahren. In 50,9 % der Fälle betrug die Strafealso nicht einmal drei Jahre. 4 Die Frage nach der Art der Taten,die zur Einweisung führen, ist nicht leicht zu beantworten,weil Untergebrachte häufig wegen mehrerer Taten verurteiltwerden. Von den zwischen 1975 bis 1998 untergebrachtenMännern waren 43,6 % wegen Delikten verurteilt worden,von denen das schwerste ein Sexualdelikt war, in 56,4 % wardas schwerste Delikt ein Nichtsexualdelikt. Und unter diesenbilden die verschiedenen Formen der Diebstähle die Hauptgruppe.5 Präzisere Schlüsse wage ich aus den mir vorliegendenUnterlagen nicht zu ziehen.Der Verdacht, dass unter den Untergebrachten Täter mittelschwererDiebstähle eine beträchtliche Rolle spielen, kannman durch Beispiele belegen. Eines sei hier herausgegriffen.Ein junger Mann, schon als Hauptschüler in heilpädagogischerBehandlung, „aus dem Familienverband unmotiviertausgebrochen“, hatte schon mehrere Lehren abgebrochen,war inzwischen mehrfach vorbestraft und schon im Strafvollzuggewesen; nun wurde er wieder wegen mehrerer Ein-(1986) 69ff.nahmenvollzug – eine Zwischenbilanz (2001) 56f;4) Gutierrez-Lobos ua, Der österreichische Maßnahmenvollzugnach § 21 Abs 2 öStGB, in: Gutier-5) Gutierrez-Lobos, Maßnahmenvollzug 54f,Gratz, Unterbringung 48.rez-Lobos/Katschnig/Pilgram (Hrsg), 25 Jahre Maß-Gratz, Unterbringung 50.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 201

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