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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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justiz und randgruppenWie die oben dargestellte Umfrage zeigt, entspricht dieseBeschreibung durchaus der österreichischen Situation.Gründe für diese Praxis könnten viele genannt werden. Hiersollen zunächst drei wichtige Faktoren herausgenommenwerden: Ein Grund ist sicherlich die Zahl gedolmetschterVerhandlungen, die auf Grund verschiedener Faktoren steigtund eine für das Gericht lästige Verlängerung derVerhandlung mit sich bringt. Ein weiterer Grund für verkürzteDolmetschungen ist aber auch eine falsch verstandene„Loyalität“ der Dolmetscherinnen gegenüber den Gerichten.Durch die Auftragsvergabe sowie Honorarabwicklung überdas Gericht bilden Dolmetscherinnen und Dolmetscher nichtselten mental Allianzen mit dem Gericht. So machen sie auchnicht auf Möglichkeiten aufmerksam, umfassend zudolmetschen, ohne dass die Verhandlung verlängert wird.Dies ist nicht weiter verwunderlich; die oben zitierte Studiehat auch ergeben, dass Richterinnen und Richter alsAuftraggeber (was einen nicht unwichtigen Faktor darstellt!)in der Dolmetscherin ihr „Hilfsorgan“ sehen und nicht seltenerwarten, dass sich in der Erbringung der Dolmetschleistungdie Zielsetzung der Dolmetscherin mit ihrer eigenenZielsetzung deckt. Ein weiterer nicht zu unterschätzenderFaktor ist die Tatsache, dass im Zusammenhang mit dersteigenden Zahl gedolmetschter Verhandlungen immer häufigerunqualifizierte Dolmetscherinnen und Dolmetscher eingesetztwerden. Diese „Dolmetscher“ wissen in der Regelnicht, was ihre Aufgaben sind, sie sind vielmehr auf dieAnleitungen der Richterin oder des Richters angewiesen.6. Möglichkeiten für eine umfassendeDolmetschung...........................................6) Die Sitzposition der Dolmetscherin kann jaauch wechseln. So ist ein Platz neben der Richterinoder dem Richter während der Vernehmung derfremdsprachigen Person durchaus zweckmäßig, fürden Rest der Verhandlung sollte die Dolmetscherinjedoch in unmittelbarer Nähe der fremdsprachigenPerson Platz nehmen.7) In einem am 28. November 2004 vom OberlandesgerichtLinz veranstalteten Seminar „InterkulturelleKommunikation bei Gericht“ für Richteramtsanwärterwurde in einer nachgestellten Gerichtsverhandlungdie Möglichkeit der umfassendenDolmetschung erprobt. Eine Türkisch-Dolmetscherinund ein türkischsprachiger „Beschuldigter“ stelltensich zur Verfügung. Die Dolmetschung in dersimulierten Verhandlung wurde so gestaltet, dassdie Dolmetscherin die gesamte Zeit neben dem Beschuldigtenpositioniert war (zuerst im Zeugenstand,anschließend auf der Parteienbank). Die Verhandlungwurde vollständig gedolmetscht und zwarso, dass die Vernehmung des Beschuldigten für dasGericht bzw. alle Anwesenden laut und alle anderenWie lässt sich die bestehende Situation verbessern? EineMöglichkeit und Notwendigkeit ist, dass prozessleitendeRichterinnen und Richter dafür sorgen, dass in der Verhandlungalles gedolmetscht wird. Hier stellt sich sofort eine fürdie Gerichte entscheidende Frage: kann diese umfassendeDolmetschung ohne wesentliche Verlängerung der Verhandlungenerreicht werden? In diesem Zusammenhang ist insbesondereauf die Möglichkeit des Flüsterdolmetschens zu verweisen,von der viel zu wenig Gebrauch gemacht wird. Flüsterdolmetschenist eine Form des Simultandolmetschens undkommt zum Einsatz, wenn keine Dolmetschanlagen zur Verfügungstehen. Beim Flüsterdolmetschen nimmt die Dolmetscherinneben der fremdsprachigen Person Platz und dolmetschtihr gleichsam simultan die gesamte Verhandlung –und zwar so leise, dass die Verhandlung dadurch nicht gestörtwird. Dadurch entsteht auch kein Zeitverlust, der von denRichtern zumeist als Argument gegen umfassende Dolmetschungenverwendet wird. Flüsterdolmetschen bei Gerichtgehört in Europa zum Standard und könnte in Österreichdurch eine bloße Änderung der Sitzposition der Dolmetscherinumgesetzt werden. An Stelle des tradierten Platzes nebender Richterin oder dem Richter wäre eine Sitzposition derDolmetscherin neben der fremdsprachigen Person zweckmäßig(was im übrigen im Ausland eine Selbstverständlichkeitist). 6 Eine Änderung der Sitzposition würde sohin einerseitsder fremdsprachigen Person eine umfassende Dolmetschungund damit ein umfassendes Verständnis vom Ablauf der Verhandlunggewährleisten; aus kommunikationspsychologischerPerspektive wäre die neue Sitzposition für die fremdsprachigePerson ein Signal sichtbarer Ge<strong>recht</strong>igkeit. Zum anderenhätte das Gericht den Vorteil, dass durch dievollständige Dolmetschung mögliche Verfahrensfehler ausgeschlossenwerden. Allen späteren Einwendungen, der Angeklagtehabe auf Grund der nur zusammenfassenden Dolmetschungsein Frage<strong>recht</strong> nicht wahrnehmen können, er habeim Ergebnis kein faires Verfahren erhalten, ist so vonvornherein der Boden entzogen. 7Wie bereits ausgeführt, unterscheiden sich die Verhaltensmusterder Kommunikationspartner, der Behördenvertretereinerseits und der vor Gericht erscheinenden Bürgerandererseits, diametral voneinander. Dieser Unterschiedist durch das Institutionswissen und die Herrschaftsrolleeinerseits und das Unwissen und die Ohnmacht der Laienandererseits begründet. In einer solchen Konstellationerfolgt die Arbeit der Dolmetscherin: die Dolmetscherinsorgt für Verständigung, ist aber ihrerseits auf dasVerständnis ihrer Kunden angewiesen. Die Erwartungen derAuftraggeber, die Erwartungen der fremdsprachigen Prozessbeteiligtenund die Bestimmungen der EMRK und derProzessordnungen geben der Dolmetscherin einen Handlungsrahmenvor; wie dieser Rahmen und die darin enthaltenenStrategien mit Inhalten gefüllt werden, kann dieDolmetscherin zwar selbst definieren, die Ausführung hängtaber nicht allein von ihr ab, sie ist vielmehr auf dieUnterstützung des Gerichtes angewiesen. Natürlich ist auchdie Kommunikation zwischen der Dolmetscherin und demGericht vom Verhältnis der Über- und Unterordnung gekennzeichnet.8 Grundsätzlich wäre es einfach, mittelsDolmetschung das Verständigungsinteresse beider Seiten zubefriedigen. Zur Erinnerung: Im Zentrum der aktuellen Dometschpraxisstehen aus der Sicht der fremdsprachigenPerson folgende Erwartungen:• umfassendes Verständnis des Verfahrensgangs• Verschaffung von Gehör, Möglichkeit zur Vermittlungdes “guten Eindrucks”Teile der Verhandlung für den Beschuldigten imFlüsterton gedolmetscht wurden. Dadurch entstandkeine unnötige Verlängerung der Verhandlung,gleichzeitig wurden die Beschuldigten<strong>recht</strong>e abervoll gewahrt. Die geübte Vorgangsweise stieß aufungeteilte Zustimmung der Seminarteilnehmer.8) Auch vorsichtige Aufklärungen der Richterinnenund Richter über umfassende Dolmetschungführen häufig dazu, dass die „lästige“ Dolmetscherinvom Gericht einfach nicht mehr bestellt wird.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 199

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