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justiz und randgruppenchend angesehen, um eine von einer entsprechenden Absichtgetragenes Handeln als gewerbsmäßig zu qualifizieren. Andererseitsbietet ein mehrfaches Delinquieren für sich alleinenoch keinen ausreichenden Anhaltspunkt, um eine Gewerbsmäßigkeitanzunehmen (vgl Ch. Grafl et al. KriminalpolitischeInitiative: Mehr Sicherheit durch weniger Haft, JRP2004, 62f).Gewerbsmäßigkeit alskriminalpolitisches InstrumentMisst man die dargestellten Sachverhalte an den Erfordernissendes Vorliegens der Gewerbsmäßigkeit, so ist klar zu erkennen,dass keine Indizien für deren Annahme vorlagen. WederJonathan T. noch Kelly O. hatten ein getrübtes Vorleben.Es lagen keine Umstände vor, die nahe legen, dass es ihnendarauf ankommt, die ihnen zur Last gelegte Tat wiederkehrendzu begehen, um sich daraus eine fortlaufende Einnahmezu verschaffen. Ebenso wenig lässt sich aus den Begleitumständender Tat eine Wiederholungsabsicht ableiten. Allenfallskann im ersten Fall das versuchte Überlassen von Suchtgiftgemäß § 27 Abs 1 SMG als verwirklicht angesehen werden.Zu bedenken ist aber auch hier, dass (noch) keine derAusführung der Tathandlung unmittelbar vorangehendeHandlung gesetzt wurde und damit kein Versuch gemäß § 15StGB vorliegt. Das Delikt des § 27 Abs 1 6. Fall SMG wurdesomit nicht einmal versucht, geschweige dem ist der Verdachtauf das versuchte gewerbsmäßige Überlassen von Suchtgiftindiziert.Die Fälle zeigen, dass das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeitzu einem kriminalpolitischen Instrumentinsbesondere gegenüber asylsuchenden Schwarzafrikanernund ganz generell gegenüber Fremden „verkommen“ ist.Von den Strafverfolgungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft)bleibt offenbar nichts unversucht, um zur Annahmeder Gewerbsmäßigkeit zu gelangen. Sogar die vomVerdächtigen getragene Kleidung oder der Besitz eines Handyssollen Indizien für eine Absicht zur wiederholten Tatbegehungund der dadurch zu verschaffenden fortlaufendenEinnahme sein. Auch ein „konspiratives“ Verhalten soll denVerdacht der gewerbsmäßigen Begehungsweise begründen(vgl das oben dargestellte Beispiel Kelly O.). Im Dunkelnbleibt, wie sich jemand ohne Anwesenheit eines möglichenSuchtgiftkonsumenten oder Komplizen – und somit mit sichselbst – konspirativ verhalten kann. Mag den polizeilichenErmittlungsorganen die <strong>recht</strong>liche (Fehl-)Beurteilung dergewerbsmäßigen Begehung nachgesehen werden, für dieStaatsanwaltschaft als Antragstellerin der Untersuchungshaftund den UntersuchungsrichterInnen kann und darf diesnicht gelten. Gemäß § 3 StPO haben alle im Strafverfahrentätigen Behörden die zur Belastung und die zur Verteidigungdes Beschuldigten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfaltzu berücksichtigen. Für Jonathan T. und Kelly O. hätteeine eingehendere <strong>recht</strong>liche Würdigung der Anzeige dieVermeidung der Untersuchungshaft bedeutet. Entgegen denAnträgen der Staatsanwaltschaft erfolgte keine Verurteilungwegen versuchtem gewerbsmäßigen Überlassen von Suchtgift:Der 18 jährige Jonathan T. wurde wegen unerlaubtemBesitz von Suchtgift gemäß § 27 Abs 1 2. Fall SMG zu einemMonat Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 43 wurde derVollzug der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit inder Dauer von 3 Jahren bedingt nachgesehen. Die Untersuchungshaftin der Dauer von 21 Tagen wurde ihm auf dieverhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Auch Kelly O. wurdewegen unerlaubtem Besitz von Suchtgift gemäß § 27 Abs 12. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 4 Monatenverurteilt, die Freiheitsstrafe wurde unter Setzung einerProbezeit in der Dauer von 3 Jahren bedingt nachgesehen.Auch ihm wurde die 10 Tage andauernde Untersuchungshaftauf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.Ein Exkurs in den Bereich der Vermögenskriminalitätzeigt, dass die so ausgelegte gewerbsmäßige Begehung insbesonderebei aus dem osteuropäischen Raum stammendenund meist unbescholtenen Verdächtigen zur Verhängung derUntersuchungshaft führt. Hauptanwendungsgebiet ist vor allemdas Delikt des Diebstahles, insbesondere des Ladendiebstahles.§ 127 StGB droht eine Freiheitsstrafe bis sechs Monatenan, gemäß § 9 StPO sind die Bezirksgerichte zur Urteilsfällungberufen. Wer einen Diebstahl gewerbsmäßigbegeht, ist mit Freiheitsstrafe von fünf Monaten bis zu fünfJahren zu bestrafen (§ 130 1. Fall StGB). Der Gerichtshof 1.Instanz ist zuständig. Zur Begründung der Gewerbsmäßigkeitwird meist auf die „Vermögens- und Beschäftigungslosigkeit“oder beispielsweise auf die „besondere Fingerfertigkeit“bei der Tatausführung verwiesen. Das so angewandte Tatbestandsmerkmalder Gewerbsmäßigkeit führt dazu, dass Verdächtigeoft wegen Schadensbeträgen im untersten Bereich(häufig übersteigt der Wert der gestohlenen Waren nicht € 10– € 100) über Monate in Untersuchungshaft verbringen. Aufder Hand liegt, dass die so gehandhabte Annahme der Gewerbsmäßigkeitzu der in der Öffentlichkeit viel beklagtenÜberbelegung der Justizanstalten führt.Sie schlägt sich auch in den signifikant gestiegenen Zahlender Kriminalstatistik nieder. Beim Verbrechen des gewerbsmäßigenDiebstahls stiegen zwischen 2001 und 2002 die bekanntgewordenen Fälle um 31,7% an (vgl Ch. Grafl et al.aaO).SchlussfolgerungenDie geschilderten Beispiele machen deutlich, dass das Tatbestandsmerkmalder gewerbsmäßigen Begehungsweise gemäߧ 70 durch diese Auslegung und Anwendung seinen Zweckverfehlt. Der Zweck der Regelung ist es, vor den besonderenGefahren zu schützen, die von einem Täter ausgehen, der seinkriminelles Handeln zum Gewerbe (vgl Bertel aaO) macht.Bertel fordert, dass der Gesetzgeber die Gewerbsmäßigkeit sodefinieren sollte, dass die Definition wenigstens annähernd jenekriminelle Lebensform erfasst, die vom Gesetz verhindertwerden will, nämlich die des gewerbsmäßig handelnden Tätersals Negativbild des redlichen Menschen. Zutreffend verlangter die Objektivierung der Gewerbsmäßigkeit durch denGesetzgeber: Die Lebensform eines Täters kann nicht in einer„grundsätzlichen Entschlossenheit“, sondern nur in einemkonkreten Verhalten bestehen, das der Täter wirklich an denTag gelegt hat. Neben einem Beobachtungszeitraum in derDauer von einem Jahr und der Begehung von mindestens dreigleichartigen Taten, die voneinander und von der zuletzt begangenenTat durch Abstände von wenigstens zwei Monatengetrennt sind, fordert er einen beträchtlichen Gewinn (undnicht nur „geringfügige Nebeneinkünfte“) aus den strafbarenHandlungen (vgl Bertel aaO).<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 193

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