themaDie zunehmende Zahl verhaltens- und psychisch auffälligerPersonen, denen sich Gerichte und Strafvollzug gegenübersehen, ist seit längerem ein Thema. Zwei Beiträge befassensich damit: Christian Bertel weist auf die Problematik derUnterbringung nach § 21 Abs 2 StGB hin. An die 300 Personensind derzeit von dieser Unterbringungsmaßnahme betroffen.An die von Christian Bertel diskutierte Fraglichkeit vonPrognoseentscheidungen knüpft Karin Gutiérrez-Lobos auspsychiatrischer Sicht an. Ihre Ausführungen zur Qualität psychiatrischerGutachten und zum Risiko von Gefährlichkeitsprognosenmachen deutlich, dass hier auf Grund der neuerenForschungsergebnisse durchaus legistischer Handlungsbedarfbesteht.Am Schluss steht die Besprechung einer Gesetzesinitiativeder Europäischen Kommission; der von der Kommission vorgeschlageneRahmenbeschluss über bestimmte Verfahrens<strong>recht</strong>ein Strafverfahren unternimmt es, besondere Mechanismenzum Schutz verletzlicher Personen zu schaffen. Diese Initiativeist gleichzeitig einer der ersten Versuche, dieStrafverfahren innerhalb der Europäischen Union anzugleichenund damit eines der spannendsten straf<strong>recht</strong>lichen Projekteder Gegenwart.Oliver Scheiber ist Richter inStraf- und Zivilsachen in Wien.Verlag ÖsterreichKelsen/Froehlich/MerklKommentar zur BundesverfassungDie Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920Kommentiert und herausgegeben in Verbindung mit Georg Froehlichund Adolf Merkl von Hans KelsenNachdruck des ersten und jahrzehntelang einzigen Kommentarszum B-VG 1920mit einem Vorwort und einer Einführung vonem. O. Univ.-Prof. DDr. Dr. h.c. Robert Walter, Geschäftsführer desHans Kelsen-InstitutesEndlich wird das bedeutende Verfassungswerk der interessiertenFachwelt wieder zugänglich gemacht.3-7046-4197-9, 558 Seiten, geb., € 78,–Tel.: 01- 610 77 - 315, Fax: - 589order@verlagoesterreich.atwww.verlagoesterreich.atSeite 190 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4
justiz und randgruppenAm 04.08.2004 wurde im Zuge einer Routinekontrolle derGewerbeaufsichtsbehörde in einem für seine gute Küche bekanntenafrikanischen Restaurant der als Gast anwesende JonathanT. (Anm.: Name von der Verfasserin geändert) einerPersonendurchsuchung unterzogen. Laut Anzeige der BundespolizeidirektionWien konnten bei Jonathan T. 14 Suchtgiftkugelnin den Hosentaschen und 21 Suchtgiftkugeln inbeiden Schuhen versteckt gefunden werden. Bei einer genauerenVisitierung wurde in der Unterhose ein in Plastik eingeschweißtesPulver, nämlich Kokain, gefunden. Insgesamtkonnten bei Jonathan T. 13,2 Gramm Heroin und 12,4 GrammKokain sowie ein Bargeldbetrag in der Höhe von € 1.090,–sichergestellt werden (Anm.: die angegebenen Mengen bezeichnenden Bruttogehalt an Suchgift; erfahrungsgemäß liegtdie große Menge für die Erfüllung des (strengeren) Tatbestandes(§ 28 SMG) im Zweifel nicht vor). Jonathan T. wurde invorläufige Verwahrungshaft genommen. In seiner polizeilichenNiederschrift gab er an, dass er das bei ihm gefundeneSuchtgift verkaufen wollte und dass er bisher noch nie Suchtgiftverkauft hat. Das sichergestellte Bargeld hat er nachweislichin einem neben dem Restaurant befindlichen Wettbürogewonnen. Jonathan T. war zum Tatzeitpunkt 17Jahre alt und bislang unbescholten.Nach der niederschriftlichen Einvernahme wurdeder Sachverhalt dem Staatsanwalt mitgeteilt, der denAntrag auf Verhängung der Untersuchungshaft stellte.Am 06.08.2004 wurde über Jonathan T. die Untersuchungshaftantragsgemäß verhängt. Die Begründungdes Beschlusses wird zur Veranschaulichung (auszugsweise)zitiert:„Es liegt dem Beschuldigten aufgrund des Strafantragesder Staatsanwaltschaft vom 05.08.2004 zur Last,am 04.08.2004 in Wien gewerbsmäßig den bevorstehendenVorschriften zuwider Suchtgift potenziellen Suchtgiftkonsumentendurch Verkauf zu überlassen versucht zu haben,indem er 22 Kugeln Heroin und 14 Kugeln Kokain zum Weiterkaufbereit hielt, jedoch zuvor betreten wurde.Die Haftgründe liegen vor, weil der Beschuldigte Ausländerunterstandslos ist und ohne soziale Integration in Österreichist und aufgrund des modus operandi im Zusammenhaltmit seiner Arbeits-, Einkommens, und Vermögenslosigkeitmassive Tatbegehungsgefahr gegeben ist.Die Verhängung der Untersuchungshaft steht zur Bedeutungder Sache sowie der zu erwartenden Strafe nicht außerVerhältnis und die genannten Haftzwecke können durch dieAnwendung gelinderer Mittel nicht erreicht werden, weil eineunbedingte Freiheitsstrafe droht und ein Widerruf drohen unddie oben bereits angeführten Umstände die Anwendung gelindererMittel als nicht ausreichend erscheinen lassen.“Laut Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien, Kriminaldirektion2, wurde am 30.06.2004 um ca 23:00 Uhr am Gehsteigin 1020 Wien, Arnezhofergasse 3, der 29 jährige KellyO. (Anm.: Name von der Verfasserin geändert) dabei betreten,wie er offensichtlich Ausschau nach Suchgiftkonsumentenhielt. Kelly O. wurde perlustriert; es konnten insgesamt 5,2Gramm Heroin, ein Samsung Handy sowie ein Bargeldbetragin der Höhe von € 10,– sichergestellt werden. Da – so die Anzeigeweiter – der Verdacht der Begehung einer gerichtlichstrafbaren Handlung, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafebedroht ist und daher nicht in die Zuständigkeit der Bezirksgerichtefällt, vorlag und Kelly O. mit Suchtmittel auffrischer Tat betreten wurde, wurde er gemäß § 177 iVm § 175StPO vorläufig festgenommen. In der Anzeige heißt es wörtlich:„Der Verdacht der gewerbsmäßigen Begehung gründetsich auf die Art des Modus operandi beim Suchtgifthandel sowiesonstige Umstände wie insbesondere:– in der konspirativen Verhaltensweise des Tatverdächtigenin seinem gesamten Verhalten (wie insbesondere erhöhteAufmerksamkeit in Form ständiger Rundumbeobachtungder Umgebung, einschätzende (Polizeikräfte)bzw. suchende (Konsumenten) Beobachtung anwesenderPersonen im Umfeld udgl.)– der Beschäftigungslosigkeit der Festgenommenen- wobei aufgrund der von ihnen getragenen/mitgeführtenKleidung, Schuhe, Handy ua. geschlossen werdenkann, dass sie sich durch den <strong>recht</strong>swidrigen Verkaufvon SG eine fortlaufende Einnahme verschaffen bzw.schon geschaffen haben.“- Die Verpackung des Kokains„Gewerbsmäßigkeit“und Untersuchungshaftbei SchwarzafrikanernAlexia Stuefer........................Bei seiner polizeilichen Befragung gab Kelly O. an, dass erbereits am Tag vor seiner Verhaftung gemeinsam mit einerFreundin Kokain konsumiert hat. Weiters sagte er aus, dass erdie Absicht hatte, auch die bei ihm gefundene Suchtgiftmengemit seiner Freundin zu konsumieren.Am 03.07.2004 wurde über Kelly O. die Untersuchungshaftwegen dringenden Verdachts des versuchten gewerbsmäßigenÜberlassens von Suchtgift nach §§ 27 Abs 1, 2 Z 2, 1.Fall SMG und 15 StGB verhängt. In der Begründung des Beschlusseswird konstatiert, dass er zumindest am 30.06.2004im Besitz von Kokain gewesen sei, das er offensichtlich fürden Verkauf bereitgehalten habe. Die Haftgründe seien gegeben,weil der genannte Ausländer ohne hinreichende Inlandsbindungsei, seine Identität ungeklärt erscheine und ihm gewerbsmäßigeTatbegehung angelastet werde.Nach dem von der Staatsanwaltschaft Wien am 08.07.2004eingebrachten Strafantrag wird Kelly O. zur Last gelegt: „Erhat am 30.06.2004 in Wien dadurch versucht, gewerbsmäßigden bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift anderen zuüberlassen, dass er 5,2 Gramm Kokain brutto für den unmittelbarbevorstehenden Weiterverkauf an unbekannte Abnehmerbereithielt.“Zu bemerken ist, dass sich Kelly O. am angeblichen Tatzeitpunktalleine in der Arnezhofergasse befand. Es warenkeine sog „Suchgiftkonsumenten“ in seiner Nähe und konntendaher auch nicht ausfindig gemacht werden. Auch Kelly O.war bisher unbescholten.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 191