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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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justiz und randgruppenthemaJustiz undRandgruppenEinleitungOliver ScheiberDas Recht auf besondere Aufmerksamkeit –neue Herausforderungen für ein faires VerfahrenDer Gleichheitssatz nimmt unter den Grund<strong>recht</strong>en eine besondereStellung ein. Der Staat soll gleiche Sachverhaltegleich behandeln und mit seinen Bürgerinnen und Bürgernnicht ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedlich umgehen.Zur Unterstützung dieses Gebots ist in den letzten Jahrenund Jahrzehnten, nicht zuletzt auf europäischer Ebene, eineAntidiskriminierungsgesetzgebung entwickelt worden. Dieseist auch notwendig: keine Gesellschaft ist homogen; überallgibt es Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben. DasAbgleiten an den Rand der Gesellschaft kann vielfältige Ursachenhaben: wirtschaftliche Gründe wie Langzeitarbeitslosigkeitebenso wie Krankheit, einen von der Mehrheit der Bevölkerungabweichenden Lebensstil oder ganz einfach mangelndeKenntnisse der Landessprache, die eine Teilnahme amsozialen Leben verhindern. Die Randsituation führt regelmäßigzu einer besonderen Verletzlichkeit der betroffenen Personengruppe.Sind sich Gesellschaft, Staat und Behörden dieserVerletzlichkeit nicht bewusst, kann das fatale Folgen haben.Die Problematik lässt sich gut am Beispiel gehörloserMenschen illustrieren. Ein gehörloser Mensch wächst gleichsamals Fremder im eigenen Land auf; von klein auf ist ihmschon der Zugang zum führenden Informationsmedium Fernsehenweitgehend abgeschnitten. Daraus resultiert ein hoherProzentsatz an kaum alphabetisierten gehörlosen Personen;aus Scham unterschreiben diese Personen im Alltag Verträge,die sie nicht lesen können, sie erhalten Mahnschreiben, die sienicht verstehen und versäumen deshalb Fristen. Resultierenaus all dem Gerichtsverfahren, stehen dem Gehörlosen vorGericht allzu oft nur unqualifizierte Dolmetscher zur Verfügung.Die vielen Schwierigkeiten gehörloser Menschennimmt die Öffentlichkeit kaum wahr. Viel zu wenig wurdebisher überlegt, wie man Gehörlosen zumindest vor Gerichtein faires Verfahren einräumen kann.Unsere neoliberale Gesellschaft drängt tendenziell immermehr Menschen an den Rand; das Idealbild eines gleichbe<strong>recht</strong>igtenZusammenlebens möglichst vieler (aller) Menschenist weiter entfernt als noch vor einigen Jahren. Umsowichtiger sind Schutzmechanismen für die Schwächeren. Fürdie Justiz bedeutet dies eine besondere Herausforderung. Dergleiche Zugang zum Recht ist wesentliche Voraussetzung fürden Rechtsstaat. Die Einrichtung der Verfahrenshilfe etwa istein erprobtes Mittel, wirtschaftlich benachteiligten Bürgerinnenund Bürgern vor Gericht gleiche Chancen einzuräumen.Der Ausgleich unterschiedlicher wirtschaftlicher Möglichkeitenreicht aber nicht mehr aus; zunehmend steigt die Erkenntnis,dass verschiedenste Bevölkerungsgruppen im Verfahreneiner besonderen Aufmerksamkeit der Behörden undGerichte bedürfen, damit ein faires Verfahren gewährleistetist. Während es früher darum ging, allen den Zugang zu Gerichtzu ermöglichen, sind wir heute einen Schritt weiter: essollen auch alle ein rundum faires Verfahren erhalten. Dabeirückt unter anderem die Frage der Kommunikation in den Mittelpunkt:noch lange sind nicht alle gleichbe<strong>recht</strong>igt in ihrenAusdrucksmöglichkeiten vor Gericht.Sobald es um Fragen von Randgruppen und deren Stellungin Behörden- und Gerichtsverfahren geht, ist eine interdisziplinäreZusammenarbeit gefragt. Die Richterinnen und Richter,ja die Rechtsberufe überhaupt, sind auf die Kompetenzder jeweiligen Experten angewiesen, um Probleme einzelnerGruppen zu erkennen und Lösungen zu finden. Dieser interdisziplinäreAnsatz ist als künftiger Trend jeder Justizgesetzgebungbereits auszumachen. Er war auch selbst gestecktesZiel bei der Gestaltung dieses Heftschwerpunkts.Das Thema dieses Hefts will auf die Schwierigkeiten einzelnerBevölkerungsgruppen bei ihrem Zusammentreffen mitder Justiz aufmerksam machen und die Vertreter der Rechtsberufeauf bisher vielleicht zu wenig beachtete Fragestellungenhinweisen. Auf die Gefahr hin, bestehende Stigmatisierungenzu verstärken, müssen dabei vielfach unbewusste Benachteiligungeneinzelner Gruppen benannt werden. Betroffensind vor Gericht etwa schwarzafrikanische Verdächtige.Viele dieser Personen leiden zum einen an der mangelndenVersorgung während eines laufenden Asylverfahrens (zu wenigUnterbringungsstätten, keine Beschäftigungsmöglichkeiten);wie Alexia Stuefer im ersten Beitrag des Themas belegt,machen die Strafgerichte das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeitzu einem kriminalpolitischen Instrument insbesonderegegenüber asylsuchenden Schwarzafrikanern.Mit den schon angesprochenen Kommunikationsfragen befasstsich Mira Kadric in einem Beitrag zum Gerichtsdolmetschen.Die noch junge Disziplin der Translationswissenschaftleistet heute wesentliche Beiträge zur Hebung der Qualität vonGerichtsdolmetschungen. Die Europäische Kommission hateinen intensiven Dialog zwischen Rechts- und Translationswissenschafteingeleitet; für Österreich, das bereits mehrfachim Zusammenhang mit unzureichender Dolmetschung vor Gerichtvom Europäischen Gerichtshof für Menschen<strong>recht</strong>e verurteiltwurde, ein besonders interessanter Bereich.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 189

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