sonderthemaParteien zu beschränken oder gar zu verbieten. 52 Die politischeLandschaft Österreichs kannte schon seit Beginn der1. Republik auch extreme Parteien: Die KP kandidierte seitden NR-Wahlen 1920; schon bei der Wahl zur KonstituierendenNationalversammlung 1919 gab es eine kandidierendeListe „Nationalsozialistische Arbeiterpartei“, die bei den späterenWahlen als „Nationalsozialisten“ auftrat; seit der NR-Wahl 1927 bewarb sich auch die NSDAP um Stimmen. 53Auch kam es seit Beginn der 1920er Jahre immer wieder zublutigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern derverschiedenen politischen Gruppen. 54 Trotzdem gab es unterder uneingeschränkten Geltung des B-VG keine Parteienverbote;erst nach der sog Selbstausschaltung des Parlaments imJahre 1933 wurden politische Parteien verboten, uzw mit Hilfevon V auf Grund des Kriegswirtschaftlichen ErmächtigungsG55 . 56Auch nach 1945 betrachteten die politischen Parteien dieFreiheit der politischen Parteien als sehr wesentlich: WederSPÖ noch ÖVP noch KPÖ konstituierten sich nach dem Vereins<strong>recht</strong>,wohl um nicht den Sonderbestimmungen des VereinsGunterworfen sein zu müssen. 57 Mit der VereinsG-Novelle1947 wurden schließlich die Sonderbestimmungen überpolitische Vereine aufgehoben. In den EB dazu heißt es, dass„diese Bestimmungen eine durch nichts zu <strong>recht</strong>fertigendeBehinderung des politischen Lebens seien“. 58 Noch anlässlichder Einführung des ParteienG 59 führt Ermacora aus: 60 „Damitist der Status der Freiheit der politischen Parteien in Österreicherstmals unmißverständlich sichergestellt. Das VereinsGfindet ... keine Anwendung. Der BMI hat keine ... Zuständigkeit,Parteien zu verbieten.“ Im Bericht des Verfassungsausschussesheißt es wörtlich, dass „eine solcheverfassungs<strong>recht</strong>liche Verankerung der Parteien keinesfallsdiese in ihrer Tätigkeit einengen darf“. 615. Es kann also wohl festgestellt werden, dass das Verständnisbezüglich der politischen Parteien im Demokratiebegriffdes B-VG ein ausgeprägt freies war, getragen von demGedanken bloß „Spielregeln“ vorzugeben, nach denen derWettbewerb der politischen Kräfte stattfinden sollte, nichtaber irgendwelche Inhalte – sei es auch nur den Inhalt, sichselber schützen zu wollen – zu statuieren. 622.1.1.2 Auswirkung des § 1 VerbotsG1. Daher könnte man mE durchaus argumentieren, dassdurch § 1 VerbotsG, mit dem die NSDAP, insb auch als politischePartei verboten wurde, das demokratische Prinzip ineinem Ausmaß berührt wird, dass von einer Gesamtänderungdes demokratischen Prinzips zu sprechen ist, 63 weilschon das Verbot einer politischen Partei nicht mehr mitdem überaus liberalen Demokratiebegriff des B-VG vereinbarist.2. Daran ändert auch nichts, wenn man in die Betrachtung einbezieht,dass in der staats<strong>recht</strong>lichen Diskussion schon vordem 2. Weltkrieg sich die Sichtweise von einer allzu liberalenDemokratie zu wandeln beginnt, uzw in die Richtung einerweiteren – inhaltlichen – Beschränkung der Demokratie (Radbruchschreibt 1934: „Die Demokratie kann alles tun – nurnicht endgültig auf sich selber verzichten.“ 64 ); finden dochdiese Gedanken mangels Änderung der einschlägigen Bestimmungendes B-VG keinen Eingang in das Demokratieverständnisdes B-VG. 653. Nach dem 2. Weltkrieg freilich beginnen verschiedeneStaaten, dh die politischen Parteien als Mittler des Volkswillens,die Freiheit der politischen Parteien, also ihre eigeneFreiheit, in einer Art Selbstbeschränkung von Staats wegen inoft ausdrücklicher Anerkennung der parteienstaatlichen Demokratiezu beschränken. Das Bonner GG (1949) zeigt diessehr deutlich: Art 21 GG erkennt die politischen Parteien ausdrücklichan, weist sie eindeutig dem demokratischen Gedankenzu, stellt Grundsätze für ihre innere Ordnung auf und unterwirftsie staatlicher Kontrolle, indem die Möglichkeit derFeststellung der Verfassungswidrigkeit durch das BVerfGvorgesehen wird. Verfassungswidrig sind solche Parteien, dieihren Zielen nach oder dem Verhalten ihrer Anhänger nachua darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnungzu beeinträchtigen oder zu beseitigen; das bedeutetdie Möglichkeit des Verbotes antidemokratischer Parteien.Damit wird eine neue Qualität in das Demokratieverständniseingeführt: die sog wehrhafte Demokratie. 66 In der BRD wurdenauf Grund des Art 21 Abs 2 GG die SozialistischeReichspartei und die KPD für verfassungswidrig erklärt. 67Ähnlich, aber kürzer lauten die Art 49 der Verfassung der ItalienischenRepublik (1948) und Art 4 der Verfassung derFranzösischen Republik (1958); wesentlich detaillierter hingegensind die Art 56 f der Verfassung der Türkischen Republik(1961). 68Dass die großen politischen Parteien in Österreich nachdem 2. Weltkrieg auch eine Art Selbstbeschränkung vornahmen,lässt sich aus deren Parteiprogrammen erschließen: ImAktionsprogramm der SPÖ 1947 heißt es, „die SPÖ sei einegrundsätzlich demokratische Partei, sie lehne den Einheitsstaatab und betrachte das freie Kräftespiel politischer Parteienals notwendige Grundlage der Demokratie“. 69 Im Neuen Parteiprogrammder SPÖ 1958 „bekennt sich die SPÖ zur Demokratie,zur politischen Willensbildung durch Mehrheitsbeschlußunter gleichzeitiger Achtung vor den Rechten der Minderheit“.70 In der Schrift „Alles für Österreich“ der ÖVP 1952„bejaht die ÖVP den Mehrparteienstaat“. 71 Im Grundsatzprogramm„Was wir wollen“ der ÖVP 1958 heißt es, „die ÖVPlehne den Einparteienstaat bedingungslos ab und halte die politischenParteien für das Funktionieren der Demokratie unentbehrlich“.72 Gesetzes- oder gar Verfassungsebene erreichtendiese Aussagen aber nicht. In einem Entwurf der ÖVP ausdem Jahre 1967 wurde die Einführung eines Art 1a in das B-VG vorgesehen, der die politischen Parteien als wesentlicheBestandteile der demokratischen Ordnung festschreibt. Weitersenthält dieser Entwurf die Bestimmung, dass die Zielsetzungder politischen Partei den Grundsätzen der Demokratieentsprechen muss.73, 742.1.1.3 Übergang zur wehrhaften Demokratiedurch § 1 VerbotsG?Wenn man annimmt, dass durch § 1 VerbotsG eine Gesamtänderungdes demokratischen Grundprinzips bewirkt wurde,dann stellt sich die weitere Frage, ob dies den Übergang zueiner wehrhaften Demokratie darstellt (und damit die Möglichkeitböte ohne weitere Gesamtänderung auch politischeParteien anderer antidemokratischer Richtungen zu verbieten).Weder aus dem Text des § 1 VerbotsG noch aus dem Systemdes VerbotsG ist ersichtlich, dass die NSDAP deswegenSeite 184 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4
undesverfassungverboten wurde, weil sie antidemokratisch war. Die NSDAPwurde deswegen verboten, weil es als ein vordringliches Zielnach dem 2. Weltkrieg angesehen wurde, „den Nazismus auszurotten“.75 Die Möglichkeit eines Verbotes auch andererParteien wird weder auf einfach- noch auf verfassungsgesetzlicherEbene erwähnt. Allerdings gibt es Anklänge in dieseRichtung in den Debatten zum NationalsozialistenG 1947: 76Berichterstatter Migsch führte aus, „wer grundsätzlich einTodfeind der Demokratie und der Freiheits<strong>recht</strong>e des Individuumssei, habe kein Recht, an der politischen Gestaltung einesdemokratischen Staatswesens mitzuwirken. DieserGrundsatz sei ein Selbstschutzelement der Demokratie“. AbgeordneterKoref meinte, „die Demokratie habe aus der Geschichtegelernt. Es sei ihr Recht und ihre Pflicht, sich zuschützen und zu verteidigen. Das sei das Selbstbehauptungs<strong>recht</strong>der Demokratie“. Trotzdem aber stehen alle diese Aussagenimmer im Zusammenhang mit der Vernichtung des Nationalsozialismus.77Rein tatsächlich wurden in Österreich auch nie andere Parteienals die NSDAP verboten; im speziellen wurde etwa dieKPÖ nie verboten, auch nicht im Zuge der kommunistischenPutschversuche 1947 und 1950, obwohl die KPÖ damals erklärtermaßendie Umwandlung Österreichs in eine Volksdemokratieanstrebte, also die bestehende Form der Demokratiebeseitigen wollte. Sicherlich spielte dabei auch eine Rolle,dass die KPÖ politisch nie wirklich gefährlich wurde, 78 aberauch dass Österreich damals zum Teil von sowjetischen Truppenbesetzt war.Im Ergebnis kann daher wohl angenommen werden, dassdas Verbot der NSDAP durch § 1 VerbotsG nicht den Übergangzu einer wehrhaften Demokratie darstellt, sondern nurein Mittel im Kampf gegen den Nationalsozialismus ist. 792.1.2 § 7 WahlG 19451. Allerdings besteht das VerbotsG nicht nur aus seinem § 1und die Nationalsozialistengesetzgebung nicht nur aus demVerbotsG. § 7 WahlG 1945 80 – ein einfaches Gesetz 81 –schließt Angehörige von bestimmten nationalsozialistischenVerbindungen vom aktiven Wahl<strong>recht</strong> aus; § 36 WahlG 1945bestimmt dasselbe für das passive Wahl<strong>recht</strong>. 82Das allgemeine Wahl<strong>recht</strong>, das die Mitwirkung allerStaatsbürger ohne Unterschied (weitere Kriterien sind nur dasAlter, wodurch aber bloß Kinder und Jugendliche ausgeschlossenwerden dürfen, und die Verurteilung wegen bestimmter,schwererer Straftaten bzw früher auch Geisteskrankheit)nach dem Grundsatz der vollen Gleichbe<strong>recht</strong>igungsichert, ist ein sehr wesentlicher Punkt desdemokratischen Grundprinzips des B-VG, der ausdrücklichin Art 26 Abs 1 B-VG normiert ist. 83 Demokratietheoretischbetrachtet ist wiederum Kelsen zu zitieren, der die Gleichheitin der Freiheit als ein (weiteres 84 ) Hauptziel der Demokratiesieht. 85Der Ausschluss einer größeren Personengruppe aus ideologischenGründen vom aktiven und vom passiven Wahl<strong>recht</strong>stellt zweifellos eine starke Einschränkung dieses Ausgestaltungspunktesdes demokratischen Grundprinzips dar. Es stelltsich also die Frage, ob nicht (auch) damit das demokratischeGrundprinzip derart berührt ist, dass eine Gesamtänderungvorliegt.2. Die – wie gesagt einfachgesetzliche – Bestimmung überden Ausschluss bestimmter Nationalsozialisten vom Wahl<strong>recht</strong>wurde beim VfGH – freilich im Zusammenhang mit einerprimär pensions<strong>recht</strong>lichen Frage – als eventuelle Gesamt-änderungthematisiert. Der VfGH kam in VfSlg 1708/1948 dabeizu dem Ergebnis, dass der Ausschluss des Wahl<strong>recht</strong>s für Angehörigevon nationalsozialistischen Verbindungen keine Gesamtänderungdes demokratischen Prinzips sei, weil „eine solchegrundlegende Änderung nicht gegeben sein kann, wenn,wie hier, der Gesetzgeber ein Verfassungsgesetz mit der erklärtenAbsicht geschaffen hat, die Grundlagen der demokratischenRepublik Österreich sicherzustellen, die durch die NS-Bewegung beseitigt worden war“. 86Interessant erscheint, dass der VfGH in seinen BegründungenArgumente verwendet, die auf eine Gesamtänderungdurch die Nationalistengesetzgebung, und zwar in Richtungauf Einführung eines neuen Grundprinzips, deuten. So kannman durchaus annehmen, dass die Begründung von VfSlg1708/1948 wohl folgendes zum Ausdruck bringt: Der Ausschlussvom Wahl<strong>recht</strong> für Angehörige bestimmter nationalsozialistischerVerbindungen ist keine Gesamtänderung desdemokratischen Prinzips, weil der Verfassungsgesetzgeberdiese Bestimmungen nicht in erster Linie im Hinblick auf dasdemokratische Grundprinzip erlassen hat, sondern vielmehrin der Absicht, die durch das nationalsozialistische Regimebeseitigte österreichische Grundordnung wiederher- und fürdie Zukunft sicherzustellen, also im Hinblick auf eine (andere)grundsätzliche politische Idee, die lauten mag: „Ausrottungdes Nationalsozialismus und Verhinderung seines Wiedererstehens.“In diese Richtung geht auch VfSlg 10.705/1985, wo ausgeführtwird, dass „die kompromißlose Ablehnung des Nationalsozialismusein grundlegendes Merkmal der wiedererstandenenRepublik sei. Ausnahmslos jede Staatstätigkeit habesich ...“ daran „... zu orientieren.“ 87 Auch dies geht in dieRichtung der Geltung eines weiteren Grundprinzips – des antinationalsozialistischenGrundprinzips – in der österreichischenVerfassung; 88 eines Grundprinzips, das nicht im B-VGenthalten war, sondern erst nach dem 2. Weltkrieg eingeführtwurde.Teil 2 folgt im nächsten HeftMMag. Dr. Klaus Zeleny ist wissenschaftlicherMitarbeiter am VwGH;klaus.zeleny@vwgh.gv.at.<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 185