echt & <strong>gesellschaft</strong>wenn auch mit unterschiedlichem Gradan Sendungsbewusstsein – für den Erhaltvon „under God“ ein. Desgleichentrugen Kongressabgeordnete und Senatorender Mehrheitsauffassung Rechnung.Zwischen zweitinstanzlichem Urteildes Circuit Court of Appeals undVerhandlung vor dem Supreme Courtbefürwortete der Senat 99-0 eine Pledgemit „under God“, und Kongressmitgliederstimmten gemeinsam in eine vonmehreren Fernsehkanälen übertragenekollektive Rezitation der Pledge ein.6. Die Positionen der ParteienZum Verfahren zurückkehrend, sind dieFragen, die sich der Supreme Court stellenmusste, genauer zu betrachten. Vorerst:Was bedeutet „one nation underGod“? Und in Folge: Ist hinter der Invokationeine religiöse Aussage verborgen,der die Establishment Clause desFirst Amendment entgegensteht? Umgekehrtgefragt: Kann „under God“ alsBeispiel von Religiosität außerhalb jedwedenchristlich-spirituellen Kontextesgelten? Vorschläge, wie diese Streitfragenzu beantworten wären, gab es zuhauf.In den verschiedenen beim SupremeCourt eingelangten briefs (Schriftsätzen)äußerten sich neben denStreitparteien auch mehr als 50 amicicuriae, Streithelfer der klagenden oderder beklagten Partei. 26Ein kurzer Auszug aus der Liste deramici gibt Zeugnis von der Mannigfaltigkeitsozialer und religiöser Gruppierungen,die Interesse am Prozess bekundeten,und gibt ein interessantes Sittenbildder amerikanischen Gesellschaftwider: American Jewish Congress, AssociatedPantheist Groups, Atheists forHuman Rights, Buddhist Temples,Christian Legal Society, United Fathersof America, et al.Die meisten briefs von amici curiaemit atheistischem oder liberalem, bürger<strong>recht</strong>lichemoder minderheiten<strong>recht</strong>lichemHintergrund argumentierten imSinne Newdows, der die Formulierungaufstellte, dass „under God“ nur „one sidein the quintessential religious question‚Does God exist?’“ sei und als Aus-...........................................26) Die vollständige Liste findet sichauf: http://www.supremecourtus.gov/docket/02-1624.htm (25.6.2004).27) Newdow, Respondents Brief onthe Merits, http://www.abanet.org/publiced/preview/briefs/pdfs_03/1624Resp.pdf (23.3.2004) 20.druck eines „sectarian religious dogma“,das keinesfalls in öffentlichenSchulen gefördert werden sollte, für verfassungswidrigzu erklären sei. In seinemRespondent Brief stellt Newdowinsbesondere klar, dass er nur gegen dasEindringen dieser Formulierung „intoan otherwise patriotic exercise“ 27 kämpfe,mithin gegen die religiösen Untertöneder Pledge, nicht aber gegen die „patrioticexcercise“ an sich.Was die Argumentation seiner Streitgegner,der Regierung unter PräsidentBush und des Elk Grove Unified SchoolDistrict als Verteidiger des Fahneneides,betraf, ergaben sich zwei interessanteErkenntnisse: Erstens bestandenaugenfällige Parallelen zu europäischenPräambel-Diskussionen. Verfechter derPräambel im Europäischen Konvent rekurriertenregelmäßig auf das ‚christlicheErbe Europas’, das durch einen Gottesbezugseinen Ausdruck finden sollte.Solicitor General Olson folgte als Vertreterder Regierung dieser historischphilosophischenBetrachtungsweiseund sprach im Antrag der Regierung voneiner patriotischen Anerkennung „[of]the nation’s religious history“ und dem„undeniable historical fact that the nationwas founded by individuals who believedin God.“ 28 Indes – und hier liegtder entscheidende Unterschied zu manchenVerfechtern einer gottesbezüglichenPräambel – stellte Olson fest, dass„under God“ lediglich eine empirischeAussage sei, die keine Gefahr für dieTrennung von Kirche und Staat darstelle.Damit entkäme die Pledge, wie bereitsausgeführt, der Prüfung anhand derEstablishment Clause. Zweitens – unddies ließ auf ein breites Meinungsspektrumauch auf Seiten der Regierungschließen – schienen sich die prozessbezogenenÄußerungen und Schriftsätzedes Department of Justice nicht immermit der Linie Präsident Bushs in Einklangbringen lassen: So hatte dieser ineinem Schreiben an Parteifreunde nochzum Ausdruck gebracht, dass die Formulierung„under God“ ein Weg sei,„our reliance on God“ zu beweisen undzu zeigen, dass die Menschen auch weiterhin„humbly … the wisdom and blessingof divine providence“ suchen würden.Bushs Aussagen wurden von Newdowin der mündlichen Verhandlung releviert,als die Frage zu klären war, obdie Pledge unter Umständen Charakterzügeeines Gebetes aufweise – und damiteine unter der Establishment Clauseverbotene religiöse Aussage darstelle.Das Transkript 29 der Verhandlung gibtfolgende Diskussion wieder: „JusticeO’Connor: … I suppose reasonable peoplecould look at the pledge as not constitutinga prayer. Newdow: Well, PresidentBush said it does constitute a prayer.Chief Justice Rehnquist: Well, but he– we certainly don’t take him as the finalauthority on this.“7. Alltägliche KontextualitätEine im Rahmen der mündlichen Verhandlungvielfach thematisierte Problematikwar das Schicksal jener Ausdrückedes täglichen Lebens, der Wirtschaft,der Politik und des Justizwesens,die sich bei konsequenter Auslegungeindeutig als monotheistisch geprägt erweisen.Sollten sie im Falle der Verfassungswidrigkeitvon „under God“ imFahneneid ebenfalls durch neutrale Formulierungenersetzt werden müssen?Selbst grundlegende Dokumente derAufklärung, Geistesfreiheit und StaatswerdungAmerikas, wie die Declarationof Independence, würden diesfalls dannals vorurteilsbeladen wahrgenommenwerden müssen. Die Unabhängigkeitserklärungnimmt etwa offen Bezug aufeine göttliche Quelle als Legitimationsgrundlagefür die Separation von England.In der vielleicht bekanntesten Formulierungwird die gottesbezügliche,natur<strong>recht</strong>liche Verankerung sogar nochdeutlicher: Während nämlich Regierungenauf den Konsens der Regiertenrückführbar sein müssen, stellen sichbestimmte fundamentale Menschen<strong>recht</strong>eals gottgegeben dar. Es sei „selfevident“,dass „[all Men] are endowedby their Creator with certain unalienableRights.“ Während die Declaration of Independencenoch als historisches Doku-28) Eine Übersicht über die Anträge 29) Excerpts, http://www.der Streitparteien findet sich bei Greenhouse,One Crucial Issue in Pledge Ca-national25STEX.html (25.4.2004).nytimes.com/2004/03/25/se: What Does 'Under God' Mean? NewYork Times (22.3.2004).Seite 176 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4
echt & <strong>gesellschaft</strong>ment aus der Debatte genommen werdenkönnte, sind so alltägliche Gegenständewie Zahlungsmittel ebenfallsbetroffen: „In God We Trust“ findet sichseit den Zeiten Lincolns auf dem amerikanischenGeld; auch dies, bei genauerBetrachtung, ein vom FinanzhoheitsträgerStaat verordnetes Bekenntniszum Monotheismus.Schließlich ist selbst der SupremeCourt von einer gottesbezüglichen Formulierungbetroffen. Jede öffentlicheSitzung beginnt mit den Worten des Gerichtsdieners:„God save the United Statesand this honorable court.“ 30 Kann einGerichtshof, der „under God“ im Fahneneidfür verfassungswidrig erklärt, einereligiöse Anrufung in eigener Sachedulden? Wie gleich unten zu zeigen seinwird, verzichtete der Supreme Court aufeine Beantwortung der aufgeworfenenFragen. Newdow fühlte sich in diesemkonkreten Zusammenhang nicht beschwert.Von Justice O’Connor auf dieVerfassungsmäßigkeit des traditionellenEröffnungsvorganges angesprochen,betonte er, dass „nobody’s askedto stand up, place their hand on theirheart and affirm this belief.“ 318. Aktivlegitimation als NotwegNewdow war sich der Implikationen seinerAnfechtung der Pledge von Anfangan bewusst und verglich seinen Fall baldmit Brown v Board of Education 32 , jenembahnbrechenden Urteil, mit demder Supreme Court die Separate butEqual-Doktrin verworfen und die <strong>recht</strong>lichenGrundlagen für ein Ende der Rassentrennungin Amerikas Bildungsinstitutionengelegt hatte. Doch es sollte anderskommen. Angesichts der vorgebrachtenArgumente und der tatsächlichbestehenden <strong>recht</strong>lichen und philosophischenGrundsatzfragen, die NewdowsKlage ausgelöst hatte, erwies sichdas Urteil als eher enttäuschend.Mit der schlichten Begründung, derKläger verfüge über keine ausreichendeAktivlegitimation, da er nicht obsorgebe<strong>recht</strong>igtfür seine Tochter sei und sichin einem gerichtlichen Obsorgestreit mitderen Mutter befinde, entzogen sich jenefünf Richter, welche die majority opinionformulierten, der Frage der Verfassungsmäßigkeitder Pledge. Unter derFührung von Justice Stevens hielten siefest, dass sie den „realm of domestic relations“keiner <strong>recht</strong>lichen Würdigungunterziehen und dem zuständigen Familiengerichtnicht vorgreifen wollten, indemsie Newdows Klage<strong>recht</strong> bestätigten.Während Newdow in der Verhandlungdavon sprach, dass ihm „actual,concrete, discrete, particularized, individualizedharm“ 33 zugefügt werde, sahder Supreme Court dies nicht als gegebenan. Die Mutter des Kindes, SandraL. Banning, teilte übrigens ihrerseits ineiner Eingabe mit, dass sie sowohl diePledge in ihrer derzeitigen Form alsauch die tägliche Rezitation durch ihreTochter unterstütze.Im Ergebnis hatte Newdow vermutlichGlück. Seine Argumente in Bezugauf die Pledge wurden in der majorityopinion nicht <strong>recht</strong>lich gewürdigt – unddaher auch nicht zurückgewiesen. DasThema bleibt daher offen. Obschon, wieeingangs erwähnt, die drei konservativerenMitglieder des Supreme Courts inihrer gemeinsamen opinion weiter gingenund auch die zweite Vorlagefragebeantworteten. Chief Justice Rehnquistund die Justices O'Connor und Thomasbrachten zum Ausdruck, dass die Pledgeverfassungsgemäß sei. Sie kritisiertendie anderen fünf Richter und führtenaus, dass die verfahrens- und familien<strong>recht</strong>licheDimension nicht entscheidendsei. Da Gott auch in vielen anderenUmständen im Laufe der amerikanischenGeschichte angerufen wordensei – so etwa in Lincolns GettysburgAddress und in General Eisenhowers Invasionsbefehlan die Alliierten Streitkräftevom 6. Juni 1944 –, sei die Pledgeein traditionsreiches, legitimes und verfassungskonformesBekenntnis zu einerhöheren Entität.9. SchlusswortOffen bleibt, ob sich nicht bald ein andererKläger findet, der tatsächlich aktivlegitimiert ist. Dann wäre der SupremeCourt erneut vor dieselbe Frage gestelltund müsste eingestehen, dass der easyway out in der Welt des Rechts nicht immerder beste ist. Dabei wäre ein Kompromissvorschlag,der zwar qua Bezugnahmeauf eine übermenschliche Autoritäteinen natur<strong>recht</strong>lichen Ankerbeibehält, jedoch nicht monotheistischeAuffassungen bevorzugt, durchausdenkbar. Eine Formulierung der polnischenVerfassung aufnehmend, würdedie neue Pledge dann lauten: „I pledgeallegiance to the flag of the United Statesof America and to the Republic forwhich it stands, one nation under Godor some other source of truth, justice,good and beauty, indivisible, with libertyand justice for all.” Mit dieser Versionkönnte wohl auch Newdow leben, mitoder ohne ausreichende Aktivlegitimation.Matthias C. Kettemann studiertRechtswissenschaften an derKarl-Franzens-Universität Graz;matthias.kettemann@stud.uni-graz.at............................................30) Vgl Schwartz, A History of the SupremeCourt (1993).31) Excerpts From Arguments on theMeaning of ‚Under God’ in the Pledge ofAllegiance, http://www.nytimes.com/2004/03/25/national25STEX.html(25.4.2004).32) Brown v Board of Education, 347U.S. 483 (1954).33) Excerpts, http://www.nytimes.com/2004/03/25/national25STEX.html (25.4.2004).<strong>juridikum</strong> 2004 / 4 Seite 177