Berichte/ Beiträge aus der Universität1Herta Nagl-Docekal:Feministische Philosophie,Frankfurt a.M. 2000,S. 13.B. Geschlechtergerechtigkeit: Veränderungen und PerspektivenWir müssen uns nunmehr die Frage stellen, welche „unbefriedigende Gesamtsituation“ inder Ausstellung „FrauenWelten – Internationale Karikaturen“ eigentlich angesprochenwird.Ich möchte das einmal so umschreiben: Auf der einen Seite präsentiert sich die„mächtige“ Ausdrucksform der Karikatur, die „Macht“, die Waffe karikierender Kunst.Auf der anderen Seite finden wir eine geradezu „ohnmächtige“ Aktualität gleichstellungspolitischerund gleichstellungsrechtlicher Zustände. Ist das so? Ist die Frauenbewegungohnmächtig? Auch heute noch ohnmächtig? Wenn wir durch die Ausstellung schauen,wird dieses Signal durchaus gesetzt. Längst aber geht es nicht mehr nur um „die“Frauenbewegung. Der Entwicklungstand ist weiter fortgeschritten. Frauenbewegt zusein heißt heute, konkrete gleichstellungsrelevante Situationen erfassen zu können; heißtheute, gleichstellungspolitisch auf dem neuesten Stand zu sein; Frauenbewegung heißtheute ganz konkrete Frauenförderungund „Gender-Bewegung“. Wir müssten alsogenauer fragen: Befinden wir uns in einemgesellschaftlichen Zustand, in demdiese „Gender-Bewegung“ ohnmächtigist?Ein Beispiel, das ich – freilich ganzsubjektiv – ausgesucht habe und ich fügehinzu, dass es sich um mein Lieblingsbildder Ausstellung handelt:Die Situation spielt in einem Büro. Vordem Schreibtisch sitzt eine Frau, sie heißtKleinschmidt; hinter dem Schreibtisch einMann, <strong>des</strong>sen Namen wir nicht mitgeteiltbekommen. Wir wissen nicht genau,worum es geht. Vielleicht ein Bewerbungsgespräch, vielleicht ein Gespräch zwischeneiner Angestellten und dem Chef; vielleicht ein Gespräch zwischen einer Gleichstellungsbeauftragtenund einem Behördenleiter. Jedenfalls scheint die Frau Kleinschmidt offensichtlichzuvor auf frauenfördernde Gesichtspunkte für sich oder für andere stellvertretendhingewiesen zu haben. Der Chef oder Behördenleiter sagt daraufhin Folgen<strong>des</strong>:„Frauenförderung?! … Frau Kleinschmidt! … In China lässt man sie erst gar nichtauf die Welt!!“Ich wage einmal eine Interpretation: Zwischen der politischen Forderung nach Frauenförderungund der praktischen Umsetzung von Frauenförderung liegt ein nichtunwesentlicher Unterschied. Die Karikatur überzeichnet diesen Unterschied als Dilemma,indem sogar die Existenzberechtigung <strong>des</strong> einzelnen Individuums zur Dispositiongestellt wird. Reduziert man diese Überzeichnung wieder, bleibt eine wesentlicheGrundaussage der Karikatur bestehen: Der gegenwärtige Stand praktischerFrauenfördermaßnahmen, der gegenwärtige Stand politischer und rechtlicher Gleichstellungvon Männern und Frauen wird für „ausreichend“ erachtet. „Frau“ soll frohdarüber sein, dass Frauen- und Genderbewegung sich überhaupt so weit haben entwickelnkönnen.Dies stellt in der Tat momentan eine große Schwierigkeit dar, mit der die Gleichstellungspolitikimmer wieder zu kämpfen hat. Die Erfahrung zeigt, dass weitergehendeGleichstellungsfragen nicht oder nur zögerlich beantwortet werden. Fast könntenwir meinen, es sei von außen eine Art Stagnation in die Gender-Bewegung hineingetragen worden. Insgesamt könnten wir also völlig berechtigt von der „Ohnmachtder Gleichstellungspraxis“ sprechen. Und wir könnten diese „Ohnmacht“ durchaus74
Mächtige Karikaturen – Ohnmächtige Gender-Bewegung?als ein Gerechtigkeitsproblem begreifen.Erlauben Sie mir einige Überlegungen dazu, nämlich zum prinzipiellen Ansatz, dassGleichstellung ein problemorientiertes Gerechtigkeitsphänomen darstellt:Geschlechtergerechtigkeit, Chancengleichheit, Frauen-Autonomie: das sind nur dreiStichworte, die bereits die Notwendigkeit andeuten, über richtiges Gleichstellungsrechtnachzudenken. „Warum sollten sich etwa rechtsphilosophische Überlegungenmit allen möglichen Formen von Ungerechtigkeit auseinandersetzen, nur nicht mitBenachteiligung auf Grund der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht?“ 1 Benachteiligungvon Frauen also als Gerechtigkeitsproblem? „Selbstverständlich!“ lautet dieAntwort. Das Gerechtigkeitsproblem stellt sich insbesondere dann, wenn weder historischeEntwicklungen zur „Gleichberechtigung“ der Frauen noch scheinbare Errungenschaften<strong>des</strong> positiven Rechts zur „Gleichstellung“ von Frauen und Männern angemessenund vor allem anhaltend zur Lösung haben beitragen können. Wenn alles also– wie erwähnt – nichts mehr zu helfen scheint, gibt es nur zwei Handlungsmöglichkeiten:Entweder sucht man nach Lösungen in der Politik (in der Rechtspolitik) oder manbemüht Gerechtigkeitskonzepte und überträgt sie auf aktuelle Situationen (oder –dritte Möglichkeit – man zeichnet und malt Karikaturen). Mit diesen beiden Möglichkeitenwerden wir zurzeit massiv konfrontiert; sie zu vereinen stellt ein kaum lösbaresProblem dar. Während die einen sagen, man möge sich doch an die Vorteile gesetzlicherRegelungen halten und auf dieser Grundlage Gleichstellungspolitik betreiben,betonen andere eine nicht unbeachtliche Mangelhaftigkeit der gesetzlichen Situation ansich, Disqualität ihrer Umsetzungskonzepte und weiterhin fehlen<strong>des</strong> oder verlorengegangenes Bewusstsein auf nahezu allen gleichstellungsrechtlich relevanten Ebenen.Die einen neigen also zur Anpassung, die anderen zur Kritik. Die Ausstellung, dieKarikaturen gehören zum kritischen Lager. An der „Gender-Bewegung“ lässt sicheine hoffentlich nicht dauerhafte Spaltung in diese beiden Lager kennzeichnen: Demangepassten Rhythmus <strong>des</strong> Gesetzes zufolge verfährt man eher strategisch, sucht nachallerhand gleichstellungspolitischen Umsetzungserfindungen für jeden konkret gleichstellungsrechtlichrelevanten Fall. Das andere Lager bleibt verhalten; erkannt wird durchausdie Notwendigkeit aktueller politischer Handlungsspielräume, die Frauen nutzenkönnten; andererseits ist man sich fast sicher und vermutet <strong>des</strong>halb (auch ohne empirischesMaterial), dass selbst langfristig und beharrlich angelegte Strategien eben immernur politische Strategien und Kalküle bleiben werden. Man begibt sich mit Strategienin Situationen, die jederzeit auch wieder umschlagen können und dann gegebenenfallsdeutlichere Nachteile für Frauen mit sich bringen als je zuvor. Die Vermutung ist nichtganz von der Hand zu weisen: Angesichts leeren Kassen und sozialer Zustände, dieschlimmer sind als Marx sie spätkapitalistisch je beschrieben hatte, wird die bereitseingeleitete, bislang noch harmlos anmutende Widerständigkeit der Männer gegen„tatsächliche Gleichstellung“ bald subtiler und vehementer werden. Aufgrund dieserVoraussicht lässt sich das „kritische Lager“ eher besorgt ein über aktuelle gleichstellungspolitischeZwischenbilanzen, als dies etwa seitens der eigentlichen „Gender-Bewegung“der Fall ist.C. Fazit: Es gibt noch viel zu tun!Noch einmal: Die Vorstellung, Frauen könnten sich mit dem historischen Erreichenvon Gleichstellungsgesetzen in Verfassung 2 , Bun<strong>des</strong>- und Lan<strong>des</strong>gesetzen und derenUmsetzungsversuchen in sogenannten „Gleichstellungsplänen“ 3 zumin<strong>des</strong>t vorübergehendbegnügen, ist verbreitet, aber so auf Dauer nicht haltbar. Denn Kritik an bestehendenVerhältnissen verbunden mit der Forderung, diese bestehenden Verhältnisse zuverbessern, wird man nicht aufgrund etwaiger Teilerfolge entkräften, zumal wir überdie erfolgreiche Struktur und Tendenz nicht einmal sicher sein können.2Art.3 Abs.2 Grundgesetzlautet: „Männer und Frauensind gleichberechtigt. DerStaat fördert die tatsächlicheDurchsetzung der Gleichberechtigungvon Frauen undMännern und wirkt auf dieBeseitigung bestehenderNachteile hin.“ Vgl. zurInterpretation: UteSacksofski: Das Grundrechtauf Gleichberechtigung,2.Aufl., Baden-Baden1996, S. 381ff.3Die „Rechtsqualität“ von„Plänen“ (Rahmenplan ,Gleichstellungsplan u.ä) istäußerst fraglich. „TatsächlicheDurchsetzung“ (Art.3Abs.2 Satz 2 GG) wirdaufgrund <strong>des</strong> im Verfassungstextfestgelegten„Förderungscharakters“zum bloßen „Umsetzungs-Problem“ und zur „politischenUmsetzungsmöglichkeit“abqualifiziert.Diese verfassungsrechtlicheSchwäche setzt sich auf denunteren Rechtsebenen fort.Auch die „Gleichstellungsgesetze“der Bun<strong>des</strong>länderenthalten weder Durchsetzungsvorschriftennochrechtsstaatliche Garantien.Um diese Schwächenausgleichen zu können,müssen Gleichstellungsordnungengeschaffen werden,in denen Anreizsysteme(etwa in Form von strukturiertenMittelvergaben) undgegebenenfalls entsprechendeSanktionen mit gesetzlichklar umschriebenenSanktionsmechanismenfestgelegt werden.<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200575