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11.07.2015 Aufrufe

Berichte/ Beiträge aus der UniversitätDaran ist weniger das Selbstbewusstsein überraschend, mit dem Linde die Trennungder familialen Lebenswelten verteidigte, wobei er unterstrich, dass es im Gegensatz zuihrem offenkundig einförmiger werdenden Leben „für uns Männer“ nichts Interessantesgäbe, als sich mit allen gerade in der Öffentlichkeit diskutierten Themen zu beschäftigen,und so noch einmal seinen breiten Horizont betonte. Aufschlussreich ist,dass sie sich überhaupt verteidigen mussten und beide Seiten unterschiedliche Aspekteder Geschlechterdiskurse gegeneinander ins Feld führten.Auch in den Praktiken der Beschreibung von beruflich bereits etablierten Bildungsbürgernzeigte sich der Versuch, verschiedene Lebensdimensionen auf sichtbare Weisezu verknüpfen bzw. das eigene Leben auf diese Weise darzustellen. Johann-HeinrichGraf Bernstorff, während des Ersten Weltkrieges Botschafter in London, wurdewährend seiner vorherigen Gesandtentätigkeit in München mitunter von seinem Vorgesetztengegen Mittag mit den Worten aus dem Zimmer geholt, er habe doch nichts zutun. Beim zweistündigen Bummel durch München hätten sie, so Bernstorff in seinenErinnerungen, dann nicht nur die gesamte Politik, sondern auch die Kunst der Zeitdiskutiert. Sie demonstrierten damit vielerlei gleichzeitig. Bereits gut in eine aussichtsreicheKarriere gestartet, zeigten sie zunächst, wie porös der Tagesablauf in höherenBeamtenpositionen sein konnte (eingerechnet, dass die Arbeitsstunden in diesem Berufselten ganz fixiert waren und bei diplomatischen Anlässen Geselligkeit und Arbeitineinander verflochten war). Beide erwiesen sich des Weiteren als Kunstkenner, dienicht von ihrer Arbeit aufgesogen wurden. Schließlich zeigten sie sich im öffentlichenRaum von Straße und Museum, wodurch zum einen klar wurde, dass nicht die Arbeitihnen die Struktur aufdrückte, sondern sie über Zeit und Raum verfügen konnten.Zum anderen demonstrierten sie damit ihr Wissen, dass sie nicht wie Mitglieder derUnterschichten Gefahr liefen, dass ihre Präsenz in der Straße als bedrohliche Aneignungdieses öffentlichen Raumes und als verpöntes Bummeln gewertet werden würde,oder gar wie Frauen, deren „öffentliche“ Präsenz auf der Straße sie schnell zurProstituierten abstempelte. Diese Männer konnten im Gegenteil auf das selbstgewählteFlanieren derer verweisen, die dem Männlichkeitsideal des leistungsbewussten, erfolgreichenMannes bereits entsprochen hatten (vgl. Kessel 2004, S. 380). Der Nestor derkonservativen Familientheorie, Wilhelm Heinrich Riehl, lieferte ein entsprechendesliterarisches Modell in seinem Roman Der ganze Mann von 1897. Darin zeichnete ersehnsuchtsvoll einen wissenschaftlich und künstlerisch interessierten und kundigenGebildeten der Jahrhundertmitte, ein perfektes Mitglied der kleinstädtischen Gesellschaft,dem nur leider zunächst Beruf und Familie fehlen (Riehl 1897). Als er vonseinem plötzlich verstorbenen Bruder sowohl dessen Geschäft als auch seine zweikleinen Neffen erbte, wandelte er sich zum intensiv arbeitenden Berufsmenschen,blieb aber immer Gefühlsmensch mit genügend Phantasie, um den nüchternen Alltagüberhöhen zu können.Ungeachtet solcher Präsentationen ist für die Zeit um 1900 das Stichwort der „Kriseder Männlichkeit“ mittlerweile fast unumgänglich. Grundsätzlich taugt der Krisenbegriffwenig als historiographisches Analyseinstrument, wenn man ihn als essentialistischeZustandsbeschreibung versteht. Nützlich wird er ausschließlich dann, wenn genaugefragt wird, warum welche Zeitgenossen Prozesse des Wandels als Krise erfuhrenoder beschrieben, in welcher Form Veränderungen als Problem beschrieben wurdenund was verschiedene Akteure damit erreichen wollten. Für die Moderne, also die Zeitseit der Aufklärung, macht der Krisendiskurs in Bezug auf Geschlecht generell immerwieder deutlich, dass ein naturhafter Entwurf dieser Kategorie den Selbstbeschreibungender Moderne schlicht widerspricht und dass auch Zeitgenossen diesen Widerspruchimmer wieder betonten. Für die Zeit um 1900 wird deutlich, dass nicht mehrnur Briefe und andere Selbstzeugnisse, sondern die öffentliche Diskussion und literari-68

sche Produkte keineswegs nur um die sogenannte Frauenfrage oder um die Partizipationvon Frauen an Bildung, Erwerbsarbeit oder Politik kreisten. Vielmehr ging es sichdie Gefahr, die Angst und den Vorwurf an Männer, einseitig zu werden (Kessel 2001,S. 314-317). Auch und gerade in diesem Zeitraum versuchten gebildete Männer, denAnspruch der „Allgemeinheit“ des männliches Subjektes durch die Integration weiblicherAnteile in ein dominant gedachtes Männlichkeitskonstrukt aufrechtzuerhalten(vgl. Bublitz 1998; Bublitz 2000). Das vermittelten nicht nur Erinnerungen, sondernes plazierten sich z.B. auch die Teilnehmer der männerbündischen Zirkel nach derJahrhundertwende performativ über die Fähigkeit, Gefühl, Pathos und Intellektualitätgleichermaßen und gleichzeitig zu leben (zu Männerbünden vgl. Reulecke 2001; Widdig1992; Völger/Welck 1990). Dieses Muster hatte allerdings zu diesem Zeitpunkt bereitseine lange Tradition; entscheidend ist, dass es möglicherweise immer schwerer wurde,in der Aufwertung des polaren Modells ein solches Männlichkeitsideal einzulösen.Vielleicht verschärfte sich auch deshalb der Unsicherheitsdiskurs so radikal. Systematischwäre zu überlegen, ob nicht in der Aufwertung von Arbeit diese Lebensdimensionzunehmend all die anderen Elemente eines „Lebenskünstlers“ inkorporierte. So setztesich im Kaiserreich eine nationalisierte Vorstellung von „deutscher“ Arbeit durch,während Oberschichtmänner ihre jeweilige Arbeit häufig in Kampfmetaphern fasstenund in ihrem Ehrgeiz zugleich ihre Leidenschaft bewiesen. So hat Bonnie Smith geradefür den Bereich der Wissenschaften bzw. der Historiographie gezeigt, wie derenmännliche Praktiker Wissenschaft über polarisierte Gendervorstellungen immer wiederals Raum von und für Männer etablierten und sich dann über einen mit Liebes- wiemit Kampfmetaphern aufgeladenen Diskurs als einerseits kampfbereite, andererseitsaber auch emotionale und leidenschaftliche Persönlichkeiten darstellten (Smith 1995).Das Fragen nach anderen Entwürfen von Männlichkeit als dem polaren Konstruktsowie diese diachrone Perspektive, die das Entwerfen von paradoxen, gleichzeitigenund miteinander verzahnten Entwürfen seit dem 18. Jahrhundert einrechnet und nichterst in der Zeit um 1900, bedeutet nicht, das sei ausdrücklich noch einmal gesagt, dassdie grundsätzliche Relationalität von Männlichkeit zu Weiblichkeit keine Rolle mehrspielte. Diese konnte nur erfolgreicher ausgeblendet und die Fiktion der „Unabhängigkeit“von Männlichkeit, die zentral war für die sozio-politische Verortung der Geschlechter,besser aufrechterhalten werden. Deshalb sollen solche Überlegungen ausdrücklichnicht zu einer Reifizierung der Autarkie von Männlichkeitskonstruktionenführen oder den Eindruck erwecken, dass Weiblichkeit immer nur als das „Andere“oder als das immer nur Reagierend-Relationale zu verstehen sei. Im Gegenteil wäreder polare Entwurf auch in Bezug auf Weiblichkeit zu hinterfragen, wobei hier derklassische Ansatz der Frauengeschichte, Frauen überhaupt erst sichtbar zu machen,weiterhin seine Notwendigkeit beweist, wenn er denn auf der Basis des seitdem gewonnenentheoretischen Wissens angewandt wird. Denn Frauen trugen nicht nur dazubei, Weiblichkeit und Männlichkeit mit zu konstituieren, indem sie spezifische Formenvon Männlichkeit einforderten oder kritisierten, sondern auch, indem sie völligunterschiedliche und eben auch vom klassisch-polaren Modell von Weiblichkeit abweichendeLebensentwürfe lebten (Kuhn 2000, S. 101-165). Solche Überlegungen schärfenden Blick sowohl für die Präsenz paradoxer, gleichzeitiger Entwürfe als auch fürden dynamischen und widersprüchlichen Charakter der Kategorie Geschlecht, alsofür die variable Interpretation und Bewertung von Verhaltensweisen oder Eigenschaften,je nachdem, ob sie Männlichkeit oder Weiblichkeit zugeschrieben wurden. Gleichzeitigmachen solche Kontroversen sichtbar, dass die Kategorie Geschlecht als einesder zahlreichen Elemente, mit denen Menschen sich eine soziale Ordnung geben, inder Moderne als einer Gesellschaftsform, die konstitutiv auf Inklusion wie auf Exklusionaufbaut, einen anderen Stellenwert hat als andere Kategorien. Denn wenige Aspekte„Wie eine trockene Bohnenhülse“Info 22.Jg./Nr.30/200569

Berichte/ Beiträge aus der UniversitätDaran ist weniger das Selbstbewusstsein überraschend, mit dem Linde die Trennungder familialen Lebenswelten verteidigte, wobei er unterstrich, dass es im Gegensatz zuihrem offenkundig einförmiger werdenden Leben „für uns Männer“ nichts Interessantesgäbe, als sich mit allen gerade in der Öffentlichkeit diskutierten Themen zu beschäftigen,und so noch einmal seinen breiten Horizont betonte. Aufschlussreich ist,dass sie sich überhaupt verteidigen mussten und beide Seiten unterschiedliche Aspekteder Geschlechterdiskurse gegeneinander ins Feld führten.Auch in den Praktiken der Beschreibung von beruflich bereits etablierten Bildungsbürgernzeigte sich der Versuch, verschiedene Lebensdimensionen auf sichtbare Weisezu verknüpfen bzw. das eigene Leben auf diese Weise darzustellen. Johann-HeinrichGraf Bernstorff, während <strong>des</strong> Ersten Weltkrieges Botschafter in London, wurdewährend seiner vorherigen Gesandtentätigkeit in München mitunter von seinem Vorgesetztengegen Mittag mit den Worten aus dem Zimmer geholt, er habe doch nichts zutun. Beim zweistündigen Bummel durch München hätten sie, so Bernstorff in seinenErinnerungen, dann nicht nur die gesamte Politik, sondern auch die Kunst der Zeitdiskutiert. Sie demonstrierten damit vielerlei gleichzeitig. Bereits gut in eine aussichtsreicheKarriere gestartet, zeigten sie zunächst, wie porös der Tagesablauf in höherenBeamtenpositionen sein konnte (eingerechnet, dass die Arbeitsstunden in diesem Berufselten ganz fixiert waren und bei diplomatischen Anlässen Geselligkeit und Arbeitineinander verflochten war). Beide erwiesen sich <strong>des</strong> Weiteren als Kunstkenner, dienicht von ihrer Arbeit aufgesogen wurden. Schließlich zeigten sie sich im öffentlichenRaum von Straße und Museum, wodurch zum einen klar wurde, dass nicht die Arbeitihnen die Struktur aufdrückte, sondern sie über Zeit und Raum verfügen konnten.Zum anderen demonstrierten sie damit ihr Wissen, dass sie nicht wie Mitglieder derUnterschichten Gefahr liefen, dass ihre Präsenz in der Straße als bedrohliche Aneignungdieses öffentlichen Raumes und als verpöntes Bummeln gewertet werden würde,oder gar wie Frauen, deren „öffentliche“ Präsenz auf der Straße sie schnell zurProstituierten abstempelte. Diese Männer konnten im Gegenteil auf das selbstgewählteFlanieren derer verweisen, die dem Männlichkeitsideal <strong>des</strong> leistungsbewussten, erfolgreichenMannes bereits entsprochen hatten (vgl. Kessel 2004, S. 380). Der Nestor derkonservativen Familientheorie, Wilhelm Heinrich Riehl, lieferte ein entsprechen<strong>des</strong>literarisches Modell in seinem Roman Der ganze Mann von 1897. Darin zeichnete ersehnsuchtsvoll einen wissenschaftlich und künstlerisch interessierten und kundigenGebildeten der Jahrhundertmitte, ein perfektes Mitglied der kleinstädtischen Gesellschaft,dem nur leider zunächst Beruf und Familie fehlen (Riehl 1897). Als er vonseinem plötzlich verstorbenen Bruder sowohl <strong>des</strong>sen Geschäft als auch seine zweikleinen Neffen erbte, wandelte er sich zum intensiv arbeitenden Berufsmenschen,blieb aber immer Gefühlsmensch mit genügend Phantasie, um den nüchternen Alltagüberhöhen zu können.Ungeachtet solcher Präsentationen ist für die Zeit um 1900 das Stichwort der „Kriseder Männlichkeit“ mittlerweile fast unumgänglich. Grundsätzlich taugt der Krisenbegriffwenig als historiographisches Analyseinstrument, wenn man ihn als essentialistischeZustandsbeschreibung versteht. Nützlich wird er ausschließlich dann, wenn genaugefragt wird, warum welche Zeitgenossen Prozesse <strong>des</strong> Wandels als Krise erfuhrenoder beschrieben, in welcher Form Veränderungen als Problem beschrieben wurdenund was verschiedene Akteure damit erreichen wollten. Für die Moderne, also die Zeitseit der Aufklärung, macht der Krisendiskurs in Bezug auf Geschlecht generell immerwieder deutlich, dass ein naturhafter Entwurf dieser Kategorie den Selbstbeschreibungender Moderne schlicht widerspricht und dass auch Zeitgenossen diesen Widerspruchimmer wieder betonten. Für die Zeit um 1900 wird deutlich, dass nicht mehrnur Briefe und andere Selbstzeugnisse, sondern die öffentliche Diskussion und literari-68

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