IFF Info Zeitschrift des Interdisziplinären... - IFFOnzeit
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RezensionenSie ihre reale Körperinszenierung dem virtuellen Körperaus dem Spiel angleichen.Das dritte theoretische Kapitel befasst sich mit Konzeptenvon Raum. Lübke vermutet hier zu Recht, dassErfahrungen in und mit virtuellem Raum Wahrnehmungvon Raumkonzeption verändert. Sie verweist darauf,dass vor dem Hintergrund der Virtualität ein relativistischesRaumverständnis zunehmend an Bedeutunggewinnen wird.Im empirischen Teil der Dissertation werden in denKapiteln „Bundesdeutsche Internetpopulation“ und„Netz als Gender-Werkstatt“ Ergebnisse empirischerUntersuchungen anderer Forscherinnen vorgestellt.Lübke arbeitet hier heraus, dass das Internet augrundseines kommunikativen Charakters die „männliche“ Besetzungdes Computers aufhebt, da es traditionelleweiblich konnotierte Bereiche bedient und es sich alsRaum mit weiblichen Strategien sehr gut aneignen lässt.Diese These wird untermauert durch steigende Nutzerinnenzahlen,sowie durch die zunehmende Anzahl undEtablierung „weiblicher Netz-Inhalte“. Die Möglichkeitdes virtuellen Genderswappings, z. B. im Chat, eröffnetnach Ansicht Lübkes ein interessantes Forschungsfeld:„Macht man sich die Anonymität der Teilnehmer/innenmethodisch zu Nutze und betrachtetdie Individuen im Chat als performative Inszenierungim Sinne Butlers, ließen sich neue Kategorien entwickeln“(S. 163)Im letzten Teil der Arbeit „Wie Chatterbots Menschenwerden“ stellt sie die Ergebnisse einer von ihrselbst durchgeführten explorativen Studie vor. In derUntersuchung werden drei anthropomorph konzipierte,konversationsfähige Softwareagenten (auch Chatterbotsgenannt) hinsichtlich der im theoretischen Teilerörterten Kategorien Geschlecht, Körper und Raumbetrachtet. Anhand von sehr unterhaltsamen Beispieldialogenmit „Leo, dem Barkeeper“, „Pia, der persönlichenInternet-Assistentin“ und „Quincy, dem Portier“,drei Chatterbots, die auf kommerziellen Webseiten zumKauf animieren sollen, zeigt Lübke, dass die Verwischungder Grenze zwischen Mensch und Maschineoffenbar als weniger beunruhigend empfunden wird,als die Auflösung der Geschlechtergrenze, zumindestvon den Konstrukteuren und Konstrukteurinnen dieserSoftwareagenten.Diese Schlussfolgerung Lübkes ist nahe liegend, abernicht weiter verwunderlich. Für EntwicklerInnen kommerziellerChatterbots ist die Überschreitung derMensch-Maschine Grenze – im Gegensatz zur Auflösungder Geschlechtergrenze – ein alltägliches Geschäft,versuchen sie doch möglichst menschlich wirkende Gesprächspartnerzu erschaffen. Virtuelle Rollenspiele undChats, in denen man sich eine Identität unabhängig vonder Alltagswelt schaffen kann, sind als „Gender-Forschungsfeld“,wie von Lübke selbst angeregt, sicherlichbesser geeignet.Als Konsequenz fordert Lübke für die weitere Erforschungdes Cyberspace eine stärkere interdisziplinäreZusammenarbeit von Naturwissenschaft und Technik,die Öffnung der Soziologie in Bezug auf Themen derInformatik und Softwareentwicklung und die Berücksichtigungder Genderperspektive in der Sozionik. AlsHerausforderung sieht sie die Entwicklung von Methoden,„die unbewusste Selbstverständnisse sowie unreflektierteAnnahmen und Leitbilder, auch und geradehinsichtlich der Geschlechterkategorie, aufdecken unddas Potential des CyberGender nutzen“ (S. 224).Die Arbeit von Valeska Lübke gibt interessanteDenkanstöße, vor allem die theoretische Ebene desBuches ist gelungen, für Nicht-SoziologInnen abernicht leicht zu lesen. Der empirische Teil fällt etwas ab,vor allem der Teil über die Internet-Population ist aufgrundder zahlreichen Statistikangaben etwas ermüdendzu lesen. Die von ihr durchgeführte Studie ist laut Lübke„ein Versuch, die Soziologie für die Chatterbots undihre sozialen Implikationen zu interessieren“ (S. 180).Vor diesem Hintergrund ist die Wahl der Betrachtungkommerzieller Softwareagenten nachzuvollziehen, dadurch ihre leichte Zugänglichkeit auch technisch wenigerBeschlagene einen Zugang zu der Thematik durchpures Ausprobieren finden können. Es bleibt zu hoffen,dass dieses Unterfangen gelingt und weitere Studienfolgen.Sonja NeußInterdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung(IFF), Universität Bielefeld,Email: sonne.neuss@uni-bielefeld.de124
RezensionenRuth Becker und Beate Kortendiek (Hgg.):Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung.Theorie, Methoden, Empirie, Reihe „Geschlechtund Gesellschaft“ Band 35, VS Verlag für Sozialwissenschaften,Wiesbaden 2004, 736 Seiten,34.90 €, ISBN 3-8100-3926-8Einleitende BemerkungenDie Frauen- und Geschlechterforschung widmet sichseit nunmehr gut 30 Jahren der Transformation deshegemonialen Wissenschaftsdiskursesund dessenDeutungsmonopols.In Deutschland aberauch international hat siedabei wesentlich zu einerkritischen Wissenschaftsreflexion,demAufdecken androzentrischerGrundlagen dereinzelnen Disziplinen,der Reformulierung deswissenschaftlichen Begründungszusammenhangesund der Neuformulierungdes wissenschaftlichen Entdeckungszusammenhangesbeigetragen. Durch die Frauen- und Geschlechterforschunghat die Erkenntnis, dass Geschlechterverhältnissegrundlegende gesellschaftliche StrukturierungsundOrganisationsformen darstellen, zunehmend Eingangin die unterschiedlichsten Einzelwissenschaftengefunden und deren Diskurse, Forschungsfragen undLehrinhalte beeinflusst. Im Prozess ihrer Etablierung,Professionalisierung und Institutionalisierung, hat siesich selbst mehr und mehr theoretisch, methodisch undinhaltlich ausdifferenziert und dabei auch immer wiederkritischen Selbstreflexionsprozessen unterworfen. 30Jahre sind eine lange Zeit und es war längst überfällig,die Entwicklung, den aktuellen Stand und offene Fragender Frauen- und Geschlechterforschung in einemKompendium zu dokumentieren.Das nunmehr vorliegende mehr als 700 Seiten umfassendeHandbuch ist im Kontext des 1986 gegründetenNetzwerks Frauenforschung NRW entstanden undwurde von Ruth Becker und Beate Kortendiek, denbeiden Koordinatorinnen dieses Netzwerks, herausgegeben.Finanziell wurde die Herausgabe des Handbuchsvom Ministerium für Wissenschaft und Forschung desLandes Nordrhein Westfalen unterstützt. Mit demHandbuch verbinden die beiden Herausgeberinnen dasAnliegen, „einen Überblick über die theoretischenAnsätze, die methodischen Verfahren und die empirischenErkenntnisse der Frauen- und Geschlechterforschungzu geben, da ein solcher Überblick trotz einerinzwischen sehr regen Publikationstätigkeit der Frauen-und Geschlechterforschung bisher im deutschsprachigenRaum noch fehlt.“ (S. 11) Die Herausgeberinnenhaben hierfür insgesamt 91 Wissenschaftlerinnen undvier Wissenschaftler, vorrangig aus Deutschland, abervereinzelt auch aus Österreich, Schweden, Australien,den Niederlanden und den USA gewinnen können. DerenEinzelbeiträge, die jeweils sechs bis acht Seiten umfassen,bieten insgesamt betrachtet einen beeindruckendenÜberblick in die Breite, Tiefe und Dichte der Entwicklungund des Standes der Frauen- und Geschlechterforschung,genauer gesagt in die sozialwissenschaftlicheFrauen- und Geschlechterforschung.Und damit ist bereits ein wesentlicher Kritikpunkt andiesem Handbuch benannt. Zwar konstatieren auch diebeiden Herausgeberinnen in ihrer Einleitung, „dass dasHandbuch trotz seines Umfangs den Forschungszusammenhangder Frauen- und Geschlechterforschungnicht vollständig erfasst“ (S. 12), dies wäre m. E. nichtnur ein überhöhter Anspruch, sondern auch ein kaumumzusetzendes Vorhaben gewesen. Dennoch: Die angestrebteInterdisziplinarität oder der Blick über dieSozial- und Gesellschaftswissenschaften hinaus ist nichtwirklich eingelöst. Damit wurde zum Teil die Chancevertan, die Entwicklung, den aktuellen Stand und offeneFragen der Frauen- und Geschlechterforschung inihrer disziplinären Breite und in ihrem interdisziplinärenZusammenhang und Wirken zu dokumentieren.Diskussionen, Fragestellungen und Erkenntnisse ausgeistes- oder kulturwissenschaftlichen Disziplinen sindz. B. deutlich unterrepräsentiert. Besonders zu bedauernist dies z.B. im Hinblick auf die Philosophie, in derdie Frauen- und Geschlechterforschung viele entscheidendewissenschaftstheoretische Diskurse geführt hat;Diskurse, die weit in andere Disziplinen hineingewirkthaben und bis heute wirken und hier viel zu kurz kommen.Auch die Natur- und Technikwissenschaften fehlenin diesem Handbuch nahezu gänzlich. Dies ist ein großesVersäumnis und dokumentiert zum wiederholtenMale, dass die Frauen- und Geschlechterforschung, diees in diesen Disziplinen ebenfalls seit gut 30 Jahrengibt und die dabei viele innovative interdisziplinäre Brückengeschlagen hat, (zumindest im deutschsprachigenRaum) nicht wirklich wahrgenommen wird. Die Aufnahmeeinzelner Beiträge zur kritischen Auseinandersetzungmit den Geschlechterkonstruktionen innerhalbdieser Disziplinen (Science and Technology of Gender)und die methodisch-epistemologischen Vorgehenswei-Info 22.Jg./Nr.30/2005125
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RezensionenRuth Becker und Beate Kortendiek (Hgg.):Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung.Theorie, Methoden, Empirie, Reihe „Geschlechtund Gesellschaft“ Band 35, VS Verlag für Sozialwissenschaften,Wiesbaden 2004, 736 Seiten,34.90 €, ISBN 3-8100-3926-8Einleitende BemerkungenDie Frauen- und Geschlechterforschung widmet sichseit nunmehr gut 30 Jahren der Transformation <strong>des</strong>hegemonialen Wissenschaftsdiskursesund <strong>des</strong>senDeutungsmonopols.In Deutschland aberauch international hat siedabei wesentlich zu einerkritischen Wissenschaftsreflexion,demAufdecken androzentrischerGrundlagen dereinzelnen Disziplinen,der Reformulierung <strong>des</strong>wissenschaftlichen Begründungszusammenhangesund der Neuformulierung<strong>des</strong> wissenschaftlichen Entdeckungszusammenhangesbeigetragen. Durch die Frauen- und Geschlechterforschunghat die Erkenntnis, dass Geschlechterverhältnissegrundlegende gesellschaftliche StrukturierungsundOrganisationsformen darstellen, zunehmend Eingangin die unterschiedlichsten Einzelwissenschaftengefunden und deren Diskurse, Forschungsfragen undLehrinhalte beeinflusst. Im Prozess ihrer Etablierung,Professionalisierung und Institutionalisierung, hat siesich selbst mehr und mehr theoretisch, methodisch undinhaltlich ausdifferenziert und dabei auch immer wiederkritischen Selbstreflexionsprozessen unterworfen. 30Jahre sind eine lange Zeit und es war längst überfällig,die Entwicklung, den aktuellen Stand und offene Fragender Frauen- und Geschlechterforschung in einemKompendium zu dokumentieren.Das nunmehr vorliegende mehr als 700 Seiten umfassendeHandbuch ist im Kontext <strong>des</strong> 1986 gegründetenNetzwerks Frauenforschung NRW entstanden undwurde von Ruth Becker und Beate Kortendiek, denbeiden Koordinatorinnen dieses Netzwerks, herausgegeben.Finanziell wurde die Herausgabe <strong>des</strong> Handbuchsvom Ministerium für Wissenschaft und Forschung <strong>des</strong>Lan<strong>des</strong> Nordrhein Westfalen unterstützt. Mit demHandbuch verbinden die beiden Herausgeberinnen dasAnliegen, „einen Überblick über die theoretischenAnsätze, die methodischen Verfahren und die empirischenErkenntnisse der Frauen- und Geschlechterforschungzu geben, da ein solcher Überblick trotz einerinzwischen sehr regen Publikationstätigkeit der Frauen-und Geschlechterforschung bisher im deutschsprachigenRaum noch fehlt.“ (S. 11) Die Herausgeberinnenhaben hierfür insgesamt 91 Wissenschaftlerinnen undvier Wissenschaftler, vorrangig aus Deutschland, abervereinzelt auch aus Österreich, Schweden, Australien,den Niederlanden und den USA gewinnen können. DerenEinzelbeiträge, die jeweils sechs bis acht Seiten umfassen,bieten insgesamt betrachtet einen beeindruckendenÜberblick in die Breite, Tiefe und Dichte der Entwicklungund <strong>des</strong> Stan<strong>des</strong> der Frauen- und Geschlechterforschung,genauer gesagt in die sozialwissenschaftlicheFrauen- und Geschlechterforschung.Und damit ist bereits ein wesentlicher Kritikpunkt andiesem Handbuch benannt. Zwar konstatieren auch diebeiden Herausgeberinnen in ihrer Einleitung, „dass dasHandbuch trotz seines Umfangs den Forschungszusammenhangder Frauen- und Geschlechterforschungnicht vollständig erfasst“ (S. 12), dies wäre m. E. nichtnur ein überhöhter Anspruch, sondern auch ein kaumumzusetzen<strong>des</strong> Vorhaben gewesen. Dennoch: Die angestrebteInterdisziplinarität oder der Blick über dieSozial- und Gesellschaftswissenschaften hinaus ist nichtwirklich eingelöst. Damit wurde zum Teil die Chancevertan, die Entwicklung, den aktuellen Stand und offeneFragen der Frauen- und Geschlechterforschung inihrer disziplinären Breite und in ihrem interdisziplinärenZusammenhang und Wirken zu dokumentieren.Diskussionen, Fragestellungen und Erkenntnisse ausgeistes- oder kulturwissenschaftlichen Disziplinen sindz. B. deutlich unterrepräsentiert. Besonders zu bedauernist dies z.B. im Hinblick auf die Philosophie, in derdie Frauen- und Geschlechterforschung viele entscheidendewissenschaftstheoretische Diskurse geführt hat;Diskurse, die weit in andere Disziplinen hineingewirkthaben und bis heute wirken und hier viel zu kurz kommen.Auch die Natur- und Technikwissenschaften fehlenin diesem Handbuch nahezu gänzlich. Dies ist ein großesVersäumnis und dokumentiert zum wiederholtenMale, dass die Frauen- und Geschlechterforschung, diees in diesen Disziplinen ebenfalls seit gut 30 Jahrengibt und die dabei viele innovative interdisziplinäre Brückengeschlagen hat, (zumin<strong>des</strong>t im deutschsprachigenRaum) nicht wirklich wahrgenommen wird. Die Aufnahmeeinzelner Beiträge zur kritischen Auseinandersetzungmit den Geschlechterkonstruktionen innerhalbdieser Disziplinen (Science and Technology of Gender)und die methodisch-epistemologischen Vorgehenswei-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005125