RezensionenKapitel drei mit der Überschrift „Eine Wolke ist eineWolke und ein Gletscher ist ein Gletscher, doch dazwischenist alles im Fluss“ beschäftigt sich mit feministischenAnsätzen in der Physischen Geographie undleitet dazu mit einem Abschnitt über die feministischeNaturwissenschaft(skritik) ein. Die Ausführungen zusolch zentralen Themen wie dem Objektivitätspostulatoder dem Einsatz der Sprache in den Naturwissenschaftensowie die daran anschließende Darstellung der (nuransatzweise vorhandenen) feministischen physischenGeographie stellen einen gelungenen Ansatz dar.In Kapitel vier folgen unter der Überschrift „ZwischenA(blation) und Z(wergstadt) ist viel Raum fürFrauen- und feministische Forschung“ zahlreiche Themenbeispielefür die – im Vergleich zur physischen Geographie– deutlich stärker ausgeprägte und vielseitigerefeministische Forschung in der Anthropogeographie.Die Autorinnen stellen die ihnen bekannten Qualifikationsarbeitensowohl im Überblick als auch in zwanzigvon den Autorinnen selbst erstellten Kurzfassungenvor. Die Vielfalt dieser Arbeiten ist beeindruckend, jedochmuss angemerkt werden, dass es zum einen durchdie Beschränkung auf Qualifikationsarbeiten (viele früheArbeiten entstanden in kleineren Projekten und Arbeitsgruppen)und zum anderen durch das – verständlicherweise– subjektiv bestimmte Sichtfeld der Autorinnenzu einer Auswahl der Arbeiten gekommen ist, dienicht alle bearbeiteten Bereiche der feministischen Geographiegleichermaßen gut abdeckt. So wird z.B. dieEntwicklungsländerforschung zu Recht hervorgehoben,jedoch die zahlreichen wichtigen Arbeiten derGeographinnen in der Stadt- und Regionalplanung oderim Rahmen der FOPA (Feministische Organisation derPlanerinnen und Architektinnen) hätten hier auch einenPlatz finden können, ebenso wie ein Verweis aufwichtige Arbeiten zu Raum&Gender-Themen in denNachbardisziplinen (z.B. von Ruth Becker (Volkswirtinund Planerin) oder Marianne Rodenstein (Soziologin)).Die vorgestellten Beispiele sind unter die ThemenStadt- und Verkehrsforschung, Arbeitsmarktforschung,Ältere Frauen, Entwicklungsländer- und Orientforschung,Migrationsforschung, Frauen im ländlichenRaum und Landwirtschaft-Naturschutz-Ökologie sowieWissenschaftstheorie und Raumkonzeptionen geordnetund zeigen die beeindruckende Bandbreite derAnwendungsmöglichkeiten feministischer Ansätze inder Anthropo- oder Humangeographie.Die „Berg- und Talfahrten durchs feministisch-geographischeFeld“ sind Thema in Kapitel fünf, in demzwei Geographinnen den Forschungsablauf ihrer beidenQualifikationsarbeiten darstellen, wobei besonderesAugenmerk auf das „Wie“ ihrer Arbeiten gelegtwird. Die beiden Interviews wurden 1996 durchgeführt;ihre biographischen Angaben wurden allerdings aktualisiert.Im besten Sinne feministischer Praxis kommenhier die „Betroffenen“ selbst zu Wort, so dass ein unmittelbaresBild ihrer Art <strong>des</strong> feministischen Denkensund Forschens entstehen kann. Die Tatsache, dass dieseInterviews beinahe zehn Jahre alt sind, ist zwar fürdie dort vorgestellten Arbeiten nicht von Bedeutung,allerdings hat sich insgesamt das Arbeiten als feministischeGeographin in diesem Zeitraum m.E. verändert.So wäre entweder ein „Update“ mit den beiden Wissenschaftlerinnenoder Gespräch mit einer Geographinaus der derzeitigen Forschungslandschaft wünschenswertgewesen (Frau Meier Kruker erlangte schließlichbald nach dem Interview eine Professur und verließsechs Jahre später von sich aus die Hochschule).Im letzten Kapitel „Drei Dinge braucht die Frau:Feminismus, Geographie und Praxis“ über feministisch-geographischePraxis im außeruniversitären Bereichkommen erneut zwei „Betroffene“ zu Wort, dieals Diplom-Geographinnen in der Praxis zum einenim Frauenreferat der Stadt Frankfurt a.M. und als Frauenbeauftragtein Rodgau 1996 tätig waren. Dieser Blickauf die Praxis ist wichtig, auch wenn er – was die Umsetzbarkeitfeministischer Ansätze angeht – ab und anwohl recht ernüchternd ist. Im Ausblick fassen die beidenAutorinnen zusammen: „Feministische Geographienbewegen sich nach wie vor zwischen Institutionalisierungan einigen wenigen deutschsprachigen Geographie-Institutenund Marginalisierung bzw. völligerIgnorierung“ (S. 184). Diese Einschätzung kann ichdurchaus teilen, wobei ich bei aller „Feminismus-Müdigkeit“(vor allem unter Studierenden) durchaus hoffnungsvolleAnsätze hinsichtlich einer weiteren Institutionalisierungfeministischer Ansätze in der Geographiesehe.In einer zusammenfassenden Beurteilung würde ichvor allem die beiden ersten Kapitel als sehr gut gelungenbezeichnen. Sie sind klar und knapp formuliert undbieten einen guten Einstieg. In Kapitel zwei hätte einkurzer Ausflug in die wichtigsten englischsprachigenArbeiten (Massey, Monk, Momsen usw.) das Bild vervollständigt.Grundsätzlich ist die Idee, die Autorinnender vorgestellten Werke und die Wissenschaftlerinnenfür ihren Arbeitskontext selbst sprechen zu lassen, gutumgesetzt; somit bietet das Buch ein buntes Spektruman Inhalten. Dennoch hätte ich mir am Ende der Kapitelab und an eine zusammenfassende „Klammer“ gewünscht.Dass aufgrund der Unterbrechung der Bearbeitungvon fast sechs Jahren die ausführlich besproche-122
Rezensionenne Literatur 1997 endet, wird durch aktuelle Literaturzusammenstellungenzwar korrigiert, ist aber insgesamtbedauerlich.Die angesprochene Breite feministischer Geographienvon ihren theoretischen „Wurzeln“ über die unterschiedlichenwissenschaftlichen „Zweige“ bis hin zuden verschiedenen „Blüten“ und den planerischen„Früchten“ ist den Autorinnen dennoch gut gelungen.Insgesamt füllt das Buch als Einführung in feministischeGeographien eine Lücke und ist somit sowohl Einsteigerinnenals auch Fortgeschrittenen zu empfehlen.LiteraturWerlen, Benno: Sozialgeographie, Bern/Stuttgart/Wien 2000.Caroline KramerLudwig-Maximilians-Universität München, Department fürGeo- und Umweltwissenschaften – Sektion GeographieEmail: kramer@zuma-mannheim.deValeska Lübke: CyberGender. Geschlecht undKörper im Internet, Ulrike Helmer Verlag,Königstein/Taunus 2005, 269 Seiten, 26.95 €,ISBN 389741175XVirtuelle Welten werdennicht nur von Science-Fiction-Autorenerschaffen,sie existieren bereits inForschungslaboren, inSchulungssimulatoren fürPiloten und in militärischenEinrichtungen, woSoldaten sich im Häuserkampfmit virtuellen Feindenmessen. Auch das Internetgestaltet sich als virtuellerRaum. In der Netzweltkönnen sich Menschen treffen, miteinander spielen,kommunizieren und sich dabei eine Gestalt unabhängigvon ihrem real existierenden Körper und Geschlechtgeben.Werden im Internet traditionelle Grenzziehungen vonMann-Frau, Mensch-Maschine und Realität-Virtualitätbeibehalten? Kann das subversive Potential <strong>des</strong>Internets die Kategorie Geschlecht und damit verbundeneGrenzziehungen grundlegend verändern? Unterscheidensich Frauen und Männer beim Zugang undder Nutzung der Netzwelt? Dies sind Fragen, die ValeskaLübke in ihrer Dissertation „CyberGender. Geschlechtund Körper im Internet“ erörtert. Mit einertheoretischen und einer empirischen Ebene verknüpftsie in ihrer Arbeit Geschlechter-, Körper- und Raumsoziologiemit dem „Phänomen Internet“.Der theoretische Teil <strong>des</strong> Buches beginnt mit einerErläuterung der konstruktivistischen Perspektiven derpostmodernen Genderforschung auf die „KategorieGeschlecht“. Hier stellt Lübke unter anderem sehr anschaulichden Ansatz von Judith Butler dar. Auch derBlickwinkel der Technoscience, die von einem Konstruktivismusausgehen, der die biologische „Sex-Kategorie“sowie nicht-humane Dinge, wie technische Geräte,oder auch Tiere mit einschließt, wird im erstenKapitel dargelegt. Zusammenfassend stellt Lübke fest,dass neben Gender- auch Sex-Konzepte als Diskurseffektezu betrachten sind. Die physische Abwesenheitin bestimmten Formen computervermittelter Kommunikationlädt ihrer Ansicht nach dazu ein, solche konstruktivistischenPerspektiven zu erfahren.Im zweiten Kapitel „Reale und virtuelle Körper“werden Formen anonymer, computergestützter Kommunikation(CMC) und die Möglichkeiten virtuellerKörperdarstellungen und -sprache vorgestellt. Lübkehebt hier hervor, dass die Interaktion im virtuellenRaum aufgrund der Anonymität der Beteiligten demGeschlecht vorausgeht: „Gender muss in CMC nichtals pre-formed sonder per-formed betrachtet werden“(S. 49).Am Beispiel von Lara Croft – für Lübke eine Neukopplungvon Sex und Gender in Form eines stereotypenmännlichen Charakters mit einem überzogen dargestelltenweiblichen Körper – macht sie deutlich, wievirtuelle Figuren Wahrnehmung beeinflussen und dieUnterscheidbarkeit von Virtualität und Realität verschwimmenkann. Das „Phänomen Lara Croft“ warzunächst ein Phantasieprodukt von Spiel<strong>des</strong>ignerInnen,hat durch mehrere Verfilmungen eine reale Gestaltdurch die Verkörperung der Schauspielerin AngelinaJolie angenommen und wird von zahlreichen Fans, bishin zur chirurgischen Brustvergrößerung, nachgelebt.Aus einer virtuellen Figur sind viele „real existierende“Lara Crofts entstanden. Lübke konstatiert, dass virtuelle(Körper-)Inszenierung sich auf reale Körperlichkeitund alltagsweltliche Wahrnehmung auswirken, virtuelleErfahrungen somit Einfluss auf soziale Wirklichkeitennehmen. Dies belegt sie auch durch das Verhaltenvon virtuellen RollenspielerInnen, die bekennen, dass<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005123