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IFF Info Zeitschrift des Interdisziplinären... - IFFOnzeit

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Impressum:<strong>IFF</strong> <strong>Info</strong>, <strong>Zeitschrift</strong> <strong>des</strong> <strong>Interdisziplinären</strong> Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung22. Jg., Nr. 30, 2005ISSN 1611-230XInterdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung (<strong>IFF</strong>)Universität BielefeldPostfach 10 01 31, 33501 BielefeldFon: 0521-1064574, Fax: 0521-1062985Email: iff@uni-bielefeld.deRedaktion: Dr. Anina Mischau, Email: anina.mischau@uni-bielefeld.deLayout: Sonja NeußDruck: Zentrale Vervielfältigung der Universität BielefeldAuflage: 500Erscheinungsweise: 2x jährlich im April und OktoberNamentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Falldie Ansicht der Redaktion wieder


Berichte/ Beiträge aus der Universität und Fachhochschule Bielefeld


Die als Frau personifizierte Weisheit in der hebräischen Bibel<strong>des</strong> Buchs (Kap 10-30) präsent. Außerdembeschreibt das Schlussgedichtin Kap 31 in aller Ausführlichkeitdie Tätigkeiten einer Frau vonStärke, mit denen sie ein prosperieren<strong>des</strong>Hauswesen aufrechterhält.Diese starke Frau von Spr 31 kannüber motivliche Parallelen mit derWeisheitsgestalt in Verbindung gebrachtwerden. „Frau Weisheit, wiesie in Spr 9 geschildert ist, kommteiner Frau der Stärke wohl durch dierealistische Metaphorik <strong>des</strong> Gastmahlsam nächsten. Beide Frauenagieren in und um ‚ihr Haus’. Beidehaben einen Kreis von Frauen, diefür sie arbeiten. Beide gehören siezur obersten sozialen Schicht undsorgen auch für Bedürftige.“(Brockmöller 2004, S. 216)Die Weisheit ist nicht einfachidentisch mit diesen „realen“ Frauen.Die Verbindungslinien zeigenaber, dass die von der Weisheitsgestaltausgesagten ökonomischenAktivitäten auch für „reale“ Frauen<strong>des</strong> Alten Israel vorstellbar sind.Die Dimensionen <strong>des</strong> Weisheitshausesübersteigen allerdings selbstdie Größe <strong>des</strong> Hauses der Frau vonSpr 31. „Sieben Säulen“ bezeichnenkeinen Haustyp, der archäologischnachweisbar wäre. Die „sieben Säulen“<strong>des</strong> Weisheits-Hauses rufen aufder Sachebene dennoch das Bild einessehr großen Gebäu<strong>des</strong> hervor.Die Verbindung mit der Anhöhe(V 3) lässt an Tempel und Palästedenken. Die Suche nach einem historischnachweisbaren Gebäude alsVorbild führt aber in die Irre. Wahrscheinlicherist es, dass mit den siebenSäulen <strong>des</strong> Weisheitshauses dieliterarische Architektur <strong>des</strong> Sprüchebuchsbeschrieben ist. SiebenÜberschriften gliedern das Sprüchebuch– sie können mit den Säulengemeint sein, die das (Text-)Haustragen. Das Gebäude, in das dieWeisheitsgestalt einlädt, ist das Buchder Sprüche selbst. In diesem Hausfinden die angesprochenen SchülerInnenFreude, Genuss und Erfüllung.Die Begegnung mit der FrauWeisheit ist ein Fest, das auch dieleibliche Komponente nicht außerAcht lässt. „Die Weisheit lädt dieUnerfahrenen in ihren fertig gestelltenProverbien-‚Palast’. Sie ermuntertdie Geladenen, sich an ‚Brotund Wein’ der folgenden Kapitel <strong>des</strong>Buchs zu sättigen. Parallel z.B. zuJHWH in Jes 55,1f preist sie ihreLehre als ‚Nahrung’ für die Menschenan.“ (Baumann 1996a, S. 221)Wenn man die drei Reden derWeisheitsgestalt in ihrer Abfolgeliest, dann ändert sich die Rhetorikin ihrer Zielrichtung. Auf die Mahnungin Kap 1 folgt eine ausführlicheSelbstdarstellung in Kap 8. Undauch wenn die Rede in Kap 9 ermahnendeAnteile hat, so ist siedoch vor allem eine Einladung andie Suchenden.3. Sophia, Chokmah: Personifikationeines BegriffsSophia – als Name ist die Personifikation<strong>des</strong> abstrakten Weisheitsbegriffsnoch bis in unsere Sprache hineinpräsent. Der Begriff Sophiakommt aus dem griechischen undmeint „Weisheit“.Im Hebräischen wird von chokmahgesprochen. Wenn wir dieseshebräische Wort bis in unsere Zeithinein verfolgen, dann gelangen wirin den Bereich mystischer und esoterischerStrömungen hinein. DieChokmah gilt neben anderen Gottschon in der Bibel zugeschriebenenEigenschaften in der jüdischen Mystikals eine der Erscheinungsweisenoder Wirkweisen Gottes. Gott zeigtsich, Gott wirkt in unterschiedlichenBereichen und auf unterschiedlicheWeisen. In der jüdischen Mystik, derKabbala, findet sich die Vorstellung<strong>des</strong> Sefirot-Baums, der zehn Wirkweisen<strong>des</strong> Göttlichen darstellt, darunterauch die Chokmah. Über dieKabbala wird der Begriff bis in diegegenwärtigen esoterischen Strömungenhineingetragen. 13In den biblischen Texten ist„chokmah“ zunächst ein Abstraktum:Weisheit. Dieses Abstraktumerfährt eine Personifikation in Gestalteiner Frau. Nicht nur ist dasNomen grammatikalisch feminin,sondern das Femininum wird grammatikalischstrikt durchgehalten (etwain der Konstruktion der Verben).Personifikation ist eine möglicheForm der Metapher. Literarischoder visuell wird ein abstrakter Begriffs(oder auch ein Kollektiv, eineNaturerscheinung u.ä.) als Personvorgestellt. Der „Gevatter Tod“ gehörtebenso in diese Kategorie wiedie Redeweise, das Auto „streike“oder die Sonne „lache“. Von derAntike bis in die moderne Kunstsind Abstrakta häufig als Frauendargestellt worden. Die Justitia (Gerechtigkeit)etwa ist in der europäischenIkonographie an den verbundenenAugen und dem Schwert zuerkennen. Die Prudentia (Klugheit)erinnert mit der Schlange, die sie inder Hand hält, an Mt 10,16:Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unterdie Wölfe; seid daher klug wie die Schlangenund arglos wie die Tauben!In der jüdischen Liturgie wirdwöchentlich die „Braut Schabbat“begrüßt. Wenn das Christentumvon der Gemeinschaft als „MutterKirche“ spricht, werden familialeAssoziationen wachgerufen.Wie es dazu kommt, dass ein Begriffgerade in dieser und nicht ineiner anderen Person dargestelltwird, wie es zur Festlegung <strong>des</strong> Geschlechtsin der Personifikationkommt, kann nicht eindeutig geklärtwerden. Das grammatikalische Geschlechtmag dabei eine Rolle spielen;dies ist aber nicht eindeutig festzumachen.Auffällig ist, dass sowohlin der Bibel als auch in der griechischenAntike und in der westlichen<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200513


Ilse MüllnerTradition bis heute meist Frauengestaltenals Personifikationen vonAbstrakta eingesetzt werden. DieFrage nach der Funktion der Personifikationstellt sich nicht unabhängigvom Geschlecht. Auf Männerwird eine solche Vorstellung eineandere Wirkung haben als auf Frauen.Zudem muss sich eine von Männerndominierte Geisteswelt dieFrage gefallen lassen, welche Zweckesie denn mit der Verlebendigungihrer Gedanken ausgerechnet inFrauenkörpern verfolge, und wassolches Denken mit real existierendenFrauen zu tun hat. Von feministischenDenkerinnen wird diese Erscheinungdenn auch ambivalent beurteilt.Ob es sich um die Darstellungvon Kontinenten im Bild einerFrau oder um die biblische Weisheitsgestalthandelt: Immer wiederwird darüber nachgedacht, was diebildhaften Darstellungen mit realenFrauen zu tun haben – etwa, ob diePersonifikation dazu beiträgt, Frauenden öffentlichen Raum zugänglichoder aber reale Frauen unsichtbarzu machen. Zwei Anfragen anden Vorgang der Personifikationsollen hier aufgegriffen und an diebiblischen Texte herangetragen werden.1. Der Vorgang der Personifikationmacht Frauen als Subjekte der Geschichteunsichtbar. „Erst dadurch,daß die dargestellte Frau nicht aufeine reale Frau referiert, kann sie zumZeichen für anderes werden.“ (Weigel1990, S. 168) Die personifizierteEigenschaft, Stadt oder das personifizierteNaturphänomen funktionierennur dadurch, dass sie Idealbilderdarstellen, die allerdings ehermit Projektionen männlicher Vorstellungenals mit lebendigen Frauenzu tun haben. Wer an reale Frauendenkt, kann nicht mit solcherVerbilderung spielen.2. Eng damit zusammen hängt dieBeobachtung, solche personifiziertenGestalten seien keine Subjektein der Geschichte. Die LiteraturwissenschaftlerinSigrid Weigel machtihre Beobachtung am Unterschiedzwischen dem Mythos und der Allegoriefest. Die mythischen Gottheitenstehen für etwas, fungieren alsoals Personifikation. Gleichzeitigwerden aber Geschichten und Geschichteüber sie erzählt. „Die allegorischePersonifikation dagegen istsoweit von konkreter Bedeutungentbunden, daß sie beliebig mit Sinngefüllt werden kann.“ (Weigel 1990,S. 171)Diese Anfragen werfen auch einkritisches Licht auf die biblischeWeisheitsgestalt: Welche Projektionen,welche Idealvorstellungen prägendie Figur der Chokmah, geradeauch im Gegenüber zur „fremdenFrau“ im Sprüchebuch? Wertet dieVorstellung einer weiblichen Weisheitsgestaltin göttlichen SphärenFrauen auf? Oder ist diese Idealfigurprimär Projektionsfläche fürmännliches Begehren? Diese Fragenführen zunächst zur Beschreibung<strong>des</strong> Hintergrun<strong>des</strong>, auf dem sicheine solche Vorstellung erst entwickelnkonnte. Was hat – neben deroffensichtlich in mehreren Kulturenzu beobachtenden Tendenz zurweiblichen Personifikation – dazu geführt,dass Israel eine Vorstellungvon der Weisheit als Frau entwickelthat? Und welche religionsgeschichtlichenZusammenhänge werden indieser Gestalt sichtbar?Sicherlich spielen zumin<strong>des</strong>t dreiFaktoren eine Rolle:1. Der Begriff Chokmah ist grammatikalischfeminin.2. Die biblische Tradition erzähltvon weisen Frauen, die als Vorbilderder personifizierten Chokmahgelten können.3. Dem alten Israel und antiken Judentumwaren Göttinnen bekannt,die in ihren Kulturen mit Weisheitin Verbindung gebracht wordensind, etwa die Ma’at in Ägypten.In der Personifikation <strong>des</strong> Weisheitsbegriffswerden vielfältige Aspekteder Weisheit zu einer Einheitverbunden. Im Reden über die„Frau Weisheit“ werden nicht nurAussagen über das Abstraktum„Weisheit“ getroffen, sondern auchFrauenbilder entworfen. Die Personifikationvereinheitlicht dabei dieVielfalt konkreten Lebens und führtdas konkrete Einzelne ins Allgemeine.Verstehen können wir eine solcheVerallgemeinerung aber nurdann, wenn die Verbindungslinienzum Konkreten, in diesem Fall zukonkretem Frauenleben, erkennbarbleiben.Die Personifikation der FrauWeisheit schafft aber auch eine Brückezwischen der menschlichen undder göttlichen Sphäre. Sie vereintdiese beiden Bereiche in sich. In ihrerNähe zu Menschen und Menschlichemgeht sie im Menschlichennicht auf, sondern gehört etwa alsMitschöpferin (Spr 8) eindeutig zuden Sphären, die dem Göttlichenvorbehalten sind. „Sie will in sichGott und Frau verbinden, sie willdas Menschliche, Konkrete, Diesseitigemit dem Göttlichen, Universalenund Jenseitigen verbinden, siewill JHWH mit der Straße, demHaus, der Liebe, der Weisheitstraditionund dem Leben der israelitischenFrauen verbinden, so daß dasWirken der weisen Frau auf JHWHhin transparent, ja transzendentwird und JHWH im Bild der ‚Frau’Weisheit erfahrbar.“ (Schroer 1996,S. 39)Kritische Anfragen an die literarischeFigur der Personifikation müssenm.E. nicht zu einer Ablehnungdieses Bil<strong>des</strong> führen. Ausschlaggebendist, ob das Bild Platz für konkreteFrauen lässt oder diese auslöscht.Diese Alternative wird reflektiertin der Frage, ob das Bildals Metapher oder als Metonymie14


Die als Frau personifizierte Weisheit in der hebräischen Bibelfunktioniert. Eine Metapher ist einebildhafte Rede, die zwei Bereiche,die in der Erfahrung nicht unbedingtmiteinander zu tun haben, zusammenbringt (etwa das Denkenund das Feuer in „Mein Kopfraucht.“). Wird die Verknüpfung derBereiche Frau und Weisheit so vorgestellt,dann haben weise Frauen darinkeinen Platz. Wird das Zueinandervon Frau und Weisheit aber alsMetonymie konzipiert, dann sinddie weisen Frauen mit ihrem Denkenund Tun Realisierungen <strong>des</strong> abstraktenKonzepts Weisheit, daswiederum als Frau personifiziertvorgestellt wird. Dieser literarischenFigur vergleichbar wäre der Satz„Ich lese gerne Ingeborg Bachmann.“Natürlich lese ich ihre Werke, abermetonymisch steht die Urheberinfür das Werk, das Ganze für einenTeil („Die Universität hat ihre Personalentscheidungnicht begründet.“)oder der Gegenstand für seine/nBenutzerIn („Die Bahnstreikt.“) Die Metonymie löscht dieBezugsgröße nicht aus, sie verbindetzwei Elemente eines Bereichs,während die Metapher zwei unterscheidbareBereiche verknüpft (vgl.v. Camp 1993, S. 11). Wenn Weisheitund Frauen metonymisch verbundenwerden, dann bleibt die weise Frauin der personifizierten Weisheit präsent,weil eine mögliche Verkörperungdieser Weisheit eben die weisenFrauen sind.4. Vorbilder und Kontrastfiguren4.1 Frau Torheit und die fremdeFrauSpr 1-9 kennt nicht nur die Weisheitals positive Frauengestalt, sondernzeichnet auch eine durchwegnegative Frauenrolle in Gestalt der„fremden Frau“, die in Spr 9 mit der„Frau Torheit“ verschmilzt. Die„fremde Frau“ kommt nicht in denIch-Reden der Weisheitsgestalt vor,sondern in den Lehrreden, in denenandererseits die Weisheit nursporadisch als personifizierte Gestaltdie Bühne der dargestelltenWelt betritt.Das Bild der „fremden Frau“wird in Spr 2; 5; 6,20-35 und Spr 7entworfen, in Spr 9 kommt die FrauTorheit hinzu, die Züge der „fremdenFrau“, aber auch der Frau Weisheitträgt. Im Hebräischen gibt esmehrere Begriffe, die im Deutschenmit „fremd“ wiedergegeben werdenkönnen. Für die „fremde Frau“ werdenzwei Wörter verwendet, die unterschiedlichenBedeutungsfeldernentstammen und hier verschmelzen:nåkrija und ’ischah zarah. Die’ischah zarah ist eine für den angesprochenenjungen Mann fremdeFrau. Sie ist nicht seine Ehefrau,sondern die eines anderen Mannes.Die Abwesenheit ihres Ehemannes(7,19) nutzt sie, um einen jungenMann in ihr Haus zu locken und ihnzu verführen. Die fremde Frau istGegenstand der Warnung. Wer ihrfolgt, kann mit einem Ochsen verglichenwerden, den man zumSchlachten führt oder mit einemHirsch, der von einem Fangstrickgefesselt ist. Die Verlockungen der„fremden Frau“ verheißen sexuelleLust, der junge Mann ist ihr nahezuwehrlos ausgeliefert. „Die Argumentationfolgt dem Muster, Frauenseien die Hauptverantwortlichenbei illegitimen Sexualkontakten.Dieses Muster entspringt einermännlichen Perspektive, die sich garnicht bewußt ist, wie armselig sichihr Männerbild ausnimmt.“ (Maier1996, S. 193) Der Mann wird alsTölpel dargestellt, der sich nicht imKlaren darüber ist, dass diese Beziehungsein Leben kostet (7,23) unddass er sich im Haus der fremdenFrau bereits auf dem Weg zur Unterwelt(7,27) befindet.Diese sexuell aktive Frau, die dieGrenzen ihrer Ehe überschreitet,gefährdet in der Wertung der Textedie gesellschaftliche Ordnung. HistorischeEinordnungen dieser Texteweisen auf die nachexilische Zeit<strong>des</strong> biblischen Israel hin, in der diefamilialen Strukturen zu zentralenStützpfeilern der Gesellschaft gewordensind und als solche auchtheologisch und ethisch aufgewertetwurden. Das Frauenbild, das imTopos der „fremden Frau“ beschriebenwird, widerspricht der patriarchalenOrdnung in einem Maß,das den Text zu massiven rhetorischenMitteln greifen lässt, um dieGefährlichkeit dieser Gestalt herauszuarbeiten.Die „fremde“ Frau,die sexuelle Kontakte außerhalb ihrerEhe pflegt, wird durch Begriffewie „Hure“ (7,19) und Bilder wiedas der mordenden Kriegerin (7,26)<strong>des</strong>avouiert. Sie wird außerdem miteiner Reihe von theologisch hochaufgeladenen negativen Assoziationenbefrachtet.Da ist zunächst der Begriff nåkrija.Damit ist ein weiterer Aspekt <strong>des</strong>Fremd-Seins angesprochen. Dienåkrija ist die ausländische Frau, dienicht in die Gemeinschaft Israels integriertlebt und den Gaststatus hat(dafür gibt es wiederum einen anderenhebräischen Terminus). Dienåkrija spielt vor allem in den Diskussionenum die so genannte Mischehenfrageeine zentrale Rolle.Die Bücher Esra und Nehemia nehmeneine radikale Position gegen dieEhen judäischer Männer mit nichtjudäischenFrauen ein. Das BuchRut hingegen ist nahezu eine Propagandaerzählungfür solche Ehen,da nach dem Rutbuch der großeKönig David selbst auf eine solcheVerbindung zurückzuführen ist. Imnachexilischen Israel, in das alle dreieben genannten biblischen Bücherzu datieren sind, spielte offensichtlichdie Frage nach Identität überAbgrenzung eine starke Rolle. Die<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200515


Ilse MüllnerSorge um Identitätsverlust prägt dieArgumentationen Esras und Nehemias– etwa, wenn davon die Redeist, Kinder von Ausländerinnensprächen nicht mehr jüdisch (Neh13,24). Das Buch Rut hingegen entwirftdas Bild einer offenen Gesellschaft,in die ausländische Frauenaufgenommen werden und diedurch diese Frauen bereichert wird.Das Sprüchebuch steigt mit derVerwendung <strong>des</strong> Begriffs nåkrijanicht in die Diskussion um dieMischehen ein, es bleibt bei seinemThema <strong>des</strong> Ehebruchs mit der Fraueines anderen Mannes. Der Textnimmt aber die negativen Assoziationen,die dieser Begriff der „Ausländerin“trägt, mit in die Argumentationhinein und lädt die Rede vonder „fremden (ehebrecherischen)Frau“ mit diesen Bildern auf.Die „fremde Frau“ wird auchtheologisch abgewertet. Zwar wirdsie nicht mit der Verehrung andererGottheiten in Verbindung gebracht,wie manche AuslegerInnenvermuten. Ihre Handlungen vermischenaber auf für das biblische Israelgänzlich unangemessene Weisedie beiden Felder Kult und Sexualität.Die fremde Frau spricht in einerIch-Rede von rituellen Vorgängenwie Mahlopfern und Gelübdenund stellt diese in unmittelbaren, sogarkausalen Zusammenhang mitsexuellen Handlungen. Der Textweckt Assoziationen <strong>des</strong> Opfermahls(vgl. Lev 3,1-17 und Lev 7,11-21), das unmittelbar auf das Opferfolgen soll. „Jedoch wird erst imVerlauf <strong>des</strong> Zitats deutlich, daß dieFrau kein Mahl anbietet, sondernden Genuß ihrer selbst. Ihre Worteerweisen sich als Lüge, als Schmeichelrede,die verführt (7,5.13). […]Der durch das Zitat intendierte Vorwurfan die ‚fremde Frau’ ist demnachdie Vermischung von israelitischerOpferpraxis und Sexualität.“(Maier 1996, S. 186)In ihrer Funktion als Gefahr fürdie jugendlichen AdressatInnen <strong>des</strong>Buchs wird die „fremde Frau“ analogzur Gruppe der frevlerischenMänner beschrieben. Beide sind bestrebt,die Lernenden auf Abwegezu führen (2,12-15.16-19). „DieMänner werden als rücksichtslose,sich auf Kosten anderer bereicherndeOberschichtsangehörige charakterisiert.[…] Sie schrecken bei ihrendunklen Machenschaften nichtvor Gewaltanwendung zurück.“(Maier 1995, S. 258f.) Es ist nichtleicht, das Sprechen dieser beidenGruppen zu durchschauen und alsLüge zu entlarven, zumal die Anziehungskraft<strong>des</strong> kritikwürdigen Handelnssteigt, wenn ganze Gruppensich so verhalten. 14 Wo immer mehrMenschen „das Verkehrte“ alsWahrheit ausgeben, fehlen die Unterscheidungskriterienfür die Lernenden,die sich doch auf den Wegder Weisheit machen sollen undwollen. Deshalb versprechen dieLehrenden, dass die Weisheit dieAngesprochenen vor beiden bewahrt,vor den „frevlerischen Männern“und vor der „fremden Frau“(Spr 2,12.16). Die Ich- bzw. Wir-Redenbeider sind so gestaltet, dass siesich eigentlich selbst <strong>des</strong>avouieren,indem sie ihre egoistischen und sogarverbrecherischen Absichten offenlegen (Spr 1,10-14; 7,14-20).In Spr 9 wird die Typologie der„fremden Frau“ noch weiter ausgestaltetund in die Metaphorik der„Frau Torheit“ überführt. DieseGestalt ist ganz gezielt als Gegenfigurzur Weisheitsgestalt gezeichnet.Spr 9,13-18 (Weisheitsgedicht überdie Frau Torheit) ist parallel aufgebautzu Spr 9,1-6 (Weisheitsgedichtüber die Frau Weisheit). Die Parallelewird durch wörtliche Wiederholungennoch unterstrichen und diebeiden Gestalten werden ähnlichcharakterisiert. Wie die Weisheit lädtauch die Torheit auf öffentlichenPlätzen in ihr Haus ein, ebenso wiedie Weisheit spricht sie die Unwissendengezielt an:„Wer einfältig ist, entferne sich hierher.“(Spr 9,4.16)Die Ähnlichkeit der beiden Gestaltenbesteht aber nur auf derOberfläche. Die Haltungen, die sieverkörpern, und das Handeln, zudem sie einladen, können unterschiedlichernicht sein. Der Weg derTorheit führt in den (sozialen) Tod,der Weg der Weisheit verspricht Leben– eine radikale Gegenüberstellung,die aus dem didaktischen Interessedieser Literatur heraus verständlichist. Die Überzeichnung,die Schwarz-Weiß-Malerei ist einMittel, um Kriterien zur Beurteilung<strong>des</strong> oft verwirrend differenziertenLebens bereit zu stellen.In der Diskussion um die Bedeutungder Weisheitsgestalt für gegenwärtigeTheologie und Spiritualitätspielt das Gegenüber zur „fremdenFrau“ eine wichtige Rolle. Im kanonischenBibeltext steht der positivenweiblichen Gestalt ein durchund durch negativ gezeichnetesPendant gegenüber. So stellt sich dieFrage, inwieweit die Weisheit die„fremde Frau“ geradezu als Negativfoliebraucht, um davor umso hellerzu leuchten. Es geht nicht an, daseine Frauenbild feministisch zu feiernund das andere zu übersehen.Zwar ist es – aus literarhistorischerSicht – wahrscheinlich, dass die Ich-Reden der Weisheit und die Lehrredenin Spr 1-9, in denen die fremdeFrau negativ charakterisiert wird,aus unterschiedlichen TradentInnenkreisenstammen (vgl. Baumann1996, S. 144). Manche AuslegerInnenziehen daraus den Schluss, „daßes möglich wird, die Weisheitsgestaltunter Absehung ihres tatsächlichen,durch ein sehr negatives Frauenbildgeprägten Kontextes zu betrachten.“(Baumann 1996, S. 146). DieserArgumentation kann ich mich16


Ilse Müllnerren Mann wird festgestellt, abernicht weiter erläutert. Rut und dienamenlose „Frau von Stärke“ habenaber einiges gemeinsam: ihr selbständigesHandeln, das Tun vonUnerwartetem und Dingen, dienicht einfach rollenkonform sind.„Da das Buch Rut im HebräischenKanon direkt an das Gedicht überdie Frau der Stärke anschließt, kanndie literarische Frauengestalt Rut alseine mögliche narrative Explikationder in Spr 31,10-31 beschriebenenFrau verstanden werden.“ (Brockmöller2004, S. 85)Die 22 Buchstaben <strong>des</strong> Alphabetsbeginnen je einen Vers <strong>des</strong> Gedichts– eine dichterische Glanzleistung,die nicht auf Kosten <strong>des</strong> Inhaltsausgeführt wurde, wie manchevermuten. Im Gegenteil: Die alphabetischeStruktur ist didaktisch sinnvollan den Schluss <strong>des</strong> Sprüchebuchsgesetzt. Sie holt die Grundstrukturender Sprache ins Bewusstseinund erinnert damit an „dieGrundstrukturen der Welt und <strong>des</strong>menschlichen Lebens“ (Brockmöller2004, S. 69). Zudem werden dieLernenden am Ende <strong>des</strong> Sprüchebuchsan den Anfang ihres Lernens,an das ABC, herangeführt. Inhaltlichweist diese Form auf die Vollständigkeit<strong>des</strong> Handelns hin: Auchwenn im Gedicht einzelne Tätigkeitender Frau aufgezählt werden, sowill es doch zeigen, dass die vielfältigenTätigkeiten zu einem sinnvollenGanzen <strong>des</strong> Handelns gefügtsind (vgl. Brockmöller 2004, S. 56).Die vielerorts im Sprüchebuchoffen gelegten Re<strong>des</strong>ituationen legenes nahe, auch in Bezug auf dasSchlussgedicht danach zu fragen,wer hier zu wem spricht und in welchemKontext dieses Schlussgedichtsteht. Meist wird Spr 31,10-31 denWeisheitslehrern <strong>des</strong> Buchs und vorallem seiner ersten neun Kapitel zugeschrieben.Die Adressaten wärendann männliche Schüler, die auf derSuche nach einer angemessenenEhefrau unterstützt werden sollen.Diese Auslegung lässt aber den vomhebräischen Text her vorgegebenenZusammenhang zwischen V 2-9und 10-31 außer Acht. Die Überschriftvon V 1 hat kein Pendant vordem Schlussgedicht. Insofern ist esdurchaus möglich, als Sprecherin<strong>des</strong> Gedichts die Königsmutter ausV 1 anzunehmen. Sie wendet sichin V 2-9 an ihren Sohn. In V 10-31unterweist sie ihre Tochter (vgl. Fischer2004, S. 799-802). Die Königsmuttergibt ihrer Tochter ein Rätselauf: „Eine Frau von Stärke – werfindet sie?“ (Spr 31,10 ÜS: I.M.)Und sie beantwortet das Rätsel gegenEnde damit, dass sie stilistischin die zweite Person übergeht: „VieleTöchter erweisen sich als fähig.Du aber übertriffst sie alle!“ (Spr31,29 16 ) Entgegen vieler Übersetzungensteht in V 29 gerade nicht„viele Frauen“, sondern eben „vieleTöchter“.Die imaginierte rhetorische Situation– Unterweisung der Königstochterdurch ihre Mutter – hebtaber die Erkenntnis nicht auf, dasses in Spr 31,10-31 nicht um eine einzelneFrau geht, sondern um einverallgemeinertes Bild. In diesesBild werden Züge integriert, die wiraus Spr 1-9 sowohl von der Weisheitsgestaltals auch von der „fremdenFrau“ kennen. So weist etwa derBesitz von Purpur auf Phönizienhin und ebenso wie die „fremdeFrau“ (Spr 5,9) hat auch die „Frauvon Stärke“ Handelskontakte in dieFremde. In dieser Frauengestalt liegtalso ein Gegengewicht zu der Dichotomisierungvon Frau Weisheitund „fremder Frau“, wie sie in Spr1-9 geschieht.„Sie ist in ihrem Verhalten so etwaswie eine praktische Veranschaulichungder Weisheitslehre, und damitauch eine didaktische Metapherder Weisheitslehrer. Diese Frau verkörpertwas sie lehren. Wenn diejungen Männer so eine Frau finden,haben sie nicht nur eine Ehepartnerin,sondern zugleich ‘Weisheit’ gefunden.[…] Diese Frau ‚lebt’, wasSchüler lernen sollen. Sie ist als letztedidaktische Figur im Sprüchebuchzumin<strong>des</strong>t literarisch eine Verwirklichungihrer Lehre. Damit wirddas Gedicht zum letzten Appell derLehrer bevor sie ihre Schüler entlassenin ein Leben mit Frau Weisheitund vielleicht auch mit einer Frauder Stärke.“ (Brockmöller 2004, S.128, 143)4.4 Weise FrauenSchon der Vergleich mit der starkenFrau aus Spr 31 und die Tatsache,dass die Tätigkeit <strong>des</strong> Hausbauenssowohl von realen Frauen als auchvon der metaphorischen Weisheitsgestaltausgesagt wird, haben gezeigt,dass die Figur der personifiziertenWeisheit etwas mit demFrauenleben im alten Israel zu tunhat. Auf der Suche nach Wurzelnder Frau Weisheit stoßen wir aufgöttliche Gestalten <strong>des</strong> Alten Orients(s.u.) und auf literarische Vorbilderin Frauengestalten ersttestamentlicherErzählungen. Gäbe eskeine Verbindungslinien zwischender Weisheitsgestalt und den TraditionenIsraels, so wäre eine Akzeptanzbei HörerInnen und LeserInnennur schwer vorstellbar.Es ist vor allem eine zentraleFunktion, die die personifizierteWeisheit und diese Frauengestaltengemeinsam haben: die der Ratgeberin.Weisheit und Ratschlag sind aufsengste miteinander verbunden. DasRatgeben kann geradezu als Hauptaufgabeund Kriterium für den weisenMenschen gesehen werden. Daszeigt die Bestimmung der dreiGruppen Priester, Prophet undWeiser durch die ihnen zugeordnetenHandlungsfelder der Weisung(= Tora) für den Priester, <strong>des</strong> Wor-18


Die als Frau personifizierte Weisheit in der hebräischen Bibeltes für den Propheten und <strong>des</strong> Ratschlagsfür den Weisen (Jer 18,18).Die Verbindung von Weisheit undRatschlag ist im Sprüchebuch nichtzu übersehen. In Spr 8,14 sprichtdie Weisheit selbst davon, dass beiihr Rat zu finden sei. Auch die LehrerInnender Weisheit verbinden dieOffenheit für Ratschläge mit derWeisheit (Spr 5,1f). Der weiseMensch unterscheidet sich dadurchvom Toren, dass er Rat anzunehmenversteht (Spr 12,15 vgl. 19,20).Weise Menschen geben Ratschläge,aber ebenso wie Weise nie auslernen(Spr 1,5), bleiben sie auch aufihre Offenheit für die Ratschläge andererangewiesen. Die Weisheit klagtMenschen an, ihren Rat zurückgewiesenzu haben (Spr 1,25.30).Die Rolle der Ratgebenden findenwir auch in erzählenden Texten,wo Frauen sie vor allem im politischenBereich einnehmen. 2 Sam14 erzählt von einer „weisen Frau“,die der Feldherr Joab aus Tekoanach Jerusalem holen lässt, um Daviddazu zu bringen, seinen SohnAbschalom aus dem Exil zurückzuholen.Sie kann David durch das Erzähleneiner Geschichte zur Einsichtbringen (wie es schon demProphet Natan in 2 Sam 12 gelungenist). Die Samuelbücher kennennoch eine weitere „weise Frau“, dieebenso wie die Frau aus Tekoa namenlosbleibt und über ihren Wohnortidentifiziert wird: die weise Frauvon Abel-Beet-Maacha (2 Sam 20).Sie verhindert in einer Kriegssituationdie Eskalation der Gewalt unddie Zerstörung ihrer Stadt, indemsie den gesuchten Aufständischentöten lässt. Eine dritte Frau zeigt imKontext der Davidserzählungen ihrdiplomatisches Geschick (1 Sam25). Sie wird zwar nicht als weise,aber doch immerhin als „klug“ bezeichnet,was sie in scharfem Gegensatzzu ihrem Mann Nabal (hebräisch„Dummkopf“ oder sogar„Verbrecher“) stellt. Abigajil setzt inder Begegnung mit David, der hiernoch nicht König, sondern Untergrundkämpferist, ihre gesamte rhetorischeKunst ein, um ihn von Gewaltgegen ihr Haus abzubringen.Aber Abigajil kann nicht nur sprechen,sondern erweist sich auch alsökonomisch selbständig. Sie versorgtDavid und seine Männer großzügig,was ihn wohl ebenso beeindrucktwir ihre ausgefeilte Rede. Gemeinsamist diesen Frauen, dass siemit wachem Realitätssinn jeweilsSchlimmeres verhüten und ihrenVerstand dafür einsetzen, Eskalationenvon Gewalt zu verhindern. Esist der Ratschlag dieser Frauen, derWege zu friedlicherem Umgehenmit Konflikten aufzeigt, ohne an derharten Realität vorbei zu gehen.Auch Ehefrauen geraten im ErstenTestament häufig in die Rolleder Ratgeberin. „Abraham hört aufSaras Rat, er solle mit der SklavinHagar einen Nachkommen zeugen(Gen 16,2). Rebekka rät Isaak, daßJakob nach Mesopotamien ziehensoll, sich eine Frau zu holen (Gen27,42-28,9). Michal rät und verhilftDavid zur Flucht vor Saul (1 Sam19,11). Batscheba gelingt es, Davidvon der Rechtmäßigkeit der ThronnachfolgeSalomos zu überzeugen(1 Kön 1). Salomo wird von seinenausländischen Frauen in kultischenAngelegenheiten ‚beraten’ (1 Kön11,1-8). Isebel rät Ahab, NabotsWeinberg nicht aufzugeben (1 Kön21). Die große Frau von Schunemrät ihrem Mann zum Bau einesDachstübchens für den ProphetenElischa (2 Kön 4). Ijobs Frau rätdem geschlagenen Ijob, er solle Gottfluchen und sterben (Ijob 2,9). ImBuch Ester wird Seres, die GemahlinHamans, unter die beratendenWeisen gezählt (Est 6,13).“ (Schroer1996, S. 68) Die in den biblischenErzählungen strukturell hervorgehobeneRolle der Königsmutter, dieebenfalls als Ratgeberin auftritt, gehörtebenfalls zu den Rollenmodellender Sophia.Nicht immer sind die Ratschlägeim Sinn der Erzählgemeinschaft (soIsebels Umgang mit Nabots Weinberg),außer Ijob nehmen aber alleEhemänner den Ratschlag ihrerFrauen an. Auf diesem narrativenHintergrund ist es auch verständlich,dass die gute Ehefrau in denSprüchen eine solch wichtige Positioneinnimmt und dass sie als Gottesgeschenkangesehen wird (Spr19,14). Dass dieses Frauenbild auchdavon lebt, dass sich die „schlechte“Ehefrau als abschrecken<strong>des</strong> Beispielzeichnen lässt, ist aus heutigerSicht natürlich kritikwürdig. Dennoch:Pauschal von Frauenfeindlichkeitzu sprechen ist auch angesichtssolch kritischer Stellen unangemessen.Vielmehr stellt sich heutedie Frage, wie wir die positivenGestalten so rezipieren können,dass negative Züge nicht in typischeGegen-Gestalten hinein abgespalten,sondern wie ein Schatten integriertwerden können.Die vom Sprüchebuch positivgezeichnete Ehefrau wird mit derWeisheitsgestalt durch Stichwortverknüpfungenund die Überschneidungvon Handlungsfeldern verbunden.Sowohl die kraftvolle Frauin Spr 31 als auch die Weisheit sindmehr wert als Korallen (Spr 31,10;Spr 3,15; 8,11; Ijob 28,18). Weisheitund gute Ehefrau sind mit einerKrone zu vergleichen (Spr 4,8f;12,4). Ebenso wie die Weisheit istauch die kluge Frau für ihren Manneine Gabe Gottes. Auch die für dieWeisheitsgestalt so wichtige Öffentlichkeittaucht im Kontext der gutenEhefrau wieder auf: Ihr Rufwird in den Toren der Stadt gehört(Spr 31,31). Diese enge Verbindungvon Rat gebender Ehefrau und personifizierterWeisheit kann als Hinweisdarauf gedeutet werden, „daß<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200519


Ilse Müllnerdie (weise) Ehefrau tatsächlich alsRepräsentantin oder Verkörperungder Sophia angesehen und erfahrenwurde.“ (Schroer 1996, S. 69)Das Verhältnis zwischen denFrauen Israels und der Weisheitsgestalt,wie wir es heute rekonstruierenkönnen, ist aber nicht ungebrochen.Wenn wir Bezüge zwischender Chokmah und anderen in biblischenSchriften dargestellten Frauengestaltenfeststellen, so handelt essich auch bei diesen anderen Gestaltennicht einfach um „reale“ Frauen,sondern um literarische Darstellungen.Die Wechselwirkungen zwischenliterarisch dargestelltem und„realem“ Frauenleben sind in jederKultur höchst komplex. Die literarischenRollen erlauben uns Rückschlüsseauf von Frauen besetzteHandlungsfelder, sie repräsentierenaber auch Idealbilder einer patriarchalenGesellschaft.Für die Weisheitsgestalt ist abernoch eine weitere Brechung relevant.Ihre Züge wurzeln nicht nurin Rollenmodellen israelitischerFrauen, sie haben auch Vorbilder inder Göttinnenwelt <strong>des</strong> Alten Orients.Die personifizierte Weisheit erfährtZuschreibungen und betrittHandlungsfelder, die über die menschlicheSphäre hinausgehen. VieleAspekte der Weisheitsgestalt, die inden Ich-Reden dargestellt werden –die Existenz der Weisheit vor allemGeschaffenen (Spr 8,22-31) sei hiernur als Spitze <strong>des</strong> Eisbergs genannt– unterstreichen eher den Abstandzu menschlichen Rollenmustern alsdie Übereinstimmung mit ihnen.5. Religionsgeschichtliche undtheologische VerortungDie Gestalt der personifiziertenWeisheit ist durch ihre biblisch dargestelltenHandlungsfelder wiedurch ihre traditionsgeschichtlicheVerwurzelung der Sphäre <strong>des</strong> Göttlichenzuzuordnen. Der Topos derErsterschaffung hebt sie deutlichvon den anderen Geschöpfen ab.Insbesondere in Spr 8 steht dieWeisheit in einer engen Beziehungzu JHWH. Zwei Fragen sollen hieraufgeworfen werden:1. Wie passt diese Vorstellung in dasKonzept <strong>des</strong> biblischen Monotheismus?2. Welche Bedeutung hat die Weisheitsgestaltfür gegenwärtige Theologieund für feministische Spiritualität?Die religionsgeschichtliche Fragenach der Verortung der Weisheitsgestaltim biblischen Monotheismusführt in die nachexilische Zeit(ab 539 v.u.Z.), in der sich in der judäischenGemeinschaft Vorstellungund Praxis der AlleinverehrungJHWHs zum ausformulierten Monotheismushin entwickelt. Im Unterschiedzur Monolatrie (Verehrungeiner Gottheit, ohne dass dieExistenz anderer Gottheiten geleugnetwird) lehnt der Monotheismusdie Existenz anderer Gottheiten ab.Das ist weniger ein philosophischspekulativesProblem als eine Frageder gelebten und lebbaren Gottesbeziehung.Mit dem Monotheismusstellen sich auch manche in einempolytheistischen Denkrahmenbereits beantwortete Probleme neu– etwa die Frage nach den Wirkbereichen,die zuvor von unterschiedlichenGottheiten abgedeckt werdenkonnten und nun auf einen einzigenGott übergehen oder auch dieFrage nach dem Geschlecht derGottheit. Dabei zeigt die Entwicklung<strong>des</strong> biblischen Gottesbil<strong>des</strong> sowohlexklusive als auch integrativeZüge. Die Weisheitsgestalt steht fürdie integrativen Anteile <strong>des</strong> biblischenMonotheismus. Das Verhältniszwischen Gott und der Weisheitwird nicht exakt bestimmt. Daherist es sinnvoll, diese Gestalt der göttlichenSphäre zuzuordnen, ohneaber von einer Göttin zu sprechen.„Auch wenn sie weder mit JHWHidentisch noch gegen ihn austauschbarist, so steht sie doch in sehr großerNähe zu ihm und spiegelt eineneigenen Bereich biblischer Gotteserfahrungwider.“ (Baumann 1996,S. 148) Zudem nimmt die WeisheitZüge altorientalischer Göttinnen(etwa der Ma’at) auf. Der biblischeMonotheismus zeigt sich hier offenfür eine Figur, die vermittelndeFunktionen einnimmt und bestimmteAspekte der Gottheit hervorhebt.Sowohl die jüdische alsauch die christliche Rezeption derSophia hat diesen Strang weiter entwickelt.Im Christentum wird JesusChristus vor dem Hintergrund deralttestamentlichen Sophia gedeutet.Im Judentum sind die Tora und dieSchechinah (die Einwohnung Gottes)als Fortschreibungen der Weisheitsgestaltzu verstehen. Dabei fälltauf, dass im Judentum „anders alsbeim Bezug auf Jesus Christus imfrühen Christentum – die Erinnerungan ihre Weiblichkeit bewahrtblieb.“ (Baumann 1996, S. 140)Die Diskussion um die Rezipierbarkeitder Weisheitsgestalt in feministischerSpiritualität bewegt sichzwischen der Ablehnung der Sophiaals „Werbefigur <strong>des</strong> Patriarchats“und der Feier einer weisheitlichen„Zukunft feministischer Spiritualität“.17 Weder der eine noch der andereWeg scheint mir gangbar. Frauen,die sich den biblischen Traditionenverbunden wissen, haben gelernt,mit Ambivalenzen zu leben.Da gibt es nicht den einen heilvollenText im Unterschied zu den patriarchalenTexten, die eine frauengerechteGestalt im Gegenüber zummisogynen Gottesbild. Ausgehendvon einer Hermeneutik, die die Befreiungund das Heil-Werden imProzess <strong>des</strong> Lesens und nicht in einzelnenZügen <strong>des</strong> Texts verortet, seheich sowohl die Gefahren als auchdie Chancen der Weisheitsgestalt.20


Die als Frau personifizierte Weisheit in der hebräischen BibelEinerseits bricht sie das Vorurteilauf, der biblische Gott sei ein reinmännlicher Gott. Sie zeigt, dass „imHimmel“ nicht nur ein Vater zuHause ist, sondern dass Frauen –entsprechend dem Grundsatz derGottebenbildlichkeit – auch in derTranszendenz repräsentiert sind.Wenn überhaupt von einer GeschlechtlichkeitGottes zu reden ist(theologisch fragwürdig, aber grammatischunumgänglich), dann gibtdie Sophia Anhaltspunkte für eineBalance zwischen männlichen undweiblichen Vorstellungen. Hier wirdauch deutlich, dass im MonotheismusGott nicht ein monolithischerBlock ist, sondern immer in vielfältigenBeziehungen steht. Der biblischeGott ist kein Gott „an sich“,sondern Gott in Beziehung.Die Reflexion der Weisheitsgestaltin ihren unterschiedlichen literarischenund theologischen Kontextenmuss sich aber auch der Gefahrbewusst bleiben, die positiveFrauengestalt auf Kosten einer Negativfolie(der fremden Frau in Spr1-9) zu profilieren. Dieser dichotomisierendeZug patriarchaler Frauenbilderwird so nicht mitgetragenwerden können. Das bedeutet auch,dass sich gegenwärtige feministischeSpiritualität nicht ungebrochen zurückbindenkann an dieses biblischeBild. Weises Abwägen und gerechteKritik sind gefragt in der Rezeptioneines Bil<strong>des</strong>, das eben diesebeiden Eigenschaften verkörpert.Anmerkungen1Zu Text und Übersetzung vgl. Baumann(1996a, S. 173f.).2Sölle, Dorothee, Zwischen Patriarchat,Antijudaismus und Totalitarismus. Anmerkungenzu einer Christologie in feministisch-theologischerSicht, in: Orientierung56, 1992, S. 130-133; zit. n.Schroer (2002, S. 2).3Übersetzung Baumann (1996a, S. 68).4So schon Christa Kayatz (1966); siehedazu Baumann (1996a, S. 182-184).5Vgl. Spr 8,17; Hld 5,6; Dtn 4,29; Jer29,13f; s.a. Jes 55,6; Hos 5,6; Am 8,12.6Z.B. Jes 5,25; 9,11.16.20. Im prophetischenKontext „hat das ‚Ausstreckender Hand‘ ohne Präposition immerGott zum Subjekt.“ (Gorges-Braunwarth2002, S. 220).7Das hebräische ’isch bedeutet sowohl„Mann“ als auch „Mensch“. In Parallelemit ben-adam legt sich eine inklusiveÜbersetzung mit „Menschen“ nahe (vgl.Baumann 1996a, S. 73; Anm. 75).8Vgl. Baumann (1996a, S. 119). A.a.O.,S. 116-118, eine Diskussion der Übersetzungvon qnh mit „erschaffen“:9Dafür plädiert nach ausführlicher DiskussionBaumann (1996a, S. 131-138).10So Gorges-Braunwarth (2002, S.299f.).119,4 in der Übersetzung von GerlindeBaumann (1996a, S. 199).12Zu bildlichen Bankett-Darstellungensiehe Maier (1995, S. 234-246); zur Diskussionvon Textparallelen siehe Baumann(1996a, S. 214-220).13So knüpft z.B. die deutsche SängerinNena an diese mystische Tradition an,wenn sie 2001 ihr Album, auf dem siezum Teil mit Musikern von den SöhnenMannheims zusammen gearbeitethat, so nennt. „,Chokmah‘ kommt ausdem Hebräischen und ist eine Energieform.Sie soll sich ausbreiten und stehtfür Veränderungen und Neuprogrammierung.Das passt supergut in meinLeben. Schließlich ändert sich dauerndetwas bei mir.“ (http://www.gaynetwork.de/lifestyle/interview/nena.htm)14Meinhold (1991, S. 67), mit Berufungauf Spr 1,10-14.15Baumann (1996, S. 135), mit Bezugauf Brenner/van Dijk-Hemmes (1993,S. 54).16Übersetzung: Fischer (2004, S. 801).17Zu dieser Gegenüberstellung sieheBaumann (1996).LiteraturAssmann, Jan: Ma’at. Gerechtigkeit undUnsterblichkeit im Alten Ägypten, 2.Aufl., München 1995.Baumann, Gerlinde: „Zukunft feministischerSprititualität“ oder „Werbefigur<strong>des</strong> Patriarchats“? Die Bedeutungder Weisheitsgestalt in Prov 1-9 für die feministisch-theologischeDiskussion, in: Luise Schottroff/Marie-Theres Wacker (Hgg.), Vonder Wurzel getragen. Christlich-feministischeExegese in Auseinandersetzungmit Antijudaismus (BIS 17),Leiden 1996, S. 135-152.Baumann, Gerlinde: Die Weisheitsgestaltin Proverbien 1-9. Traditionsgeschichtlicheund theologische Studien(FAT 16), Tübingen 1996a.Brenner, Athalya/Dijk-Hemmes, Fokkelienvan: On Gendering Texts.Female and Male Voices in theHebrew Bible (BIS 1), Leiden 1993.Brockmöller, Katrin: „Eine Frau derStärke – wer findet sie?“. ExegetischeAnalysen und intertextuelleLektüren zu Spr 31,10-31 (BBB 147),Berlin/Wien 2004.Camp, Claudia v.: Metaphor in FeministBiblical Interpretation: TheoreticalPerspectives, in: Sem 61 (1993), S.3-36.Fischer, Irmtraud, Über die Integration<strong>des</strong> „kanonisch“ gewordenenDialogs zwischen Gott und Menschin die Weitergabe menschlicherWeisheit, in: Markus Witte (Hg.),Gott und Mensch im Dialog (FSOtto Kaiser/BZAW 345/II), Berlin2004, S. 787-803.Gorges-Braunwarth, Susanne: „Frauenbilder– Weisheitsbilder – Gottesbilder“in Spr 1-9. Die personifizierteWeisheit im Gottesbild der nachexilischenZeit (Exegese in unsererZeit 9), Münster 2002.Kayatz, Christa: Studien zu Proverbien1-9. Eine form- und motivgeschichtlicheUntersuchung unter Einbeziehungägyptischen Vergleichsmaterials(WMANT 22), Neukirchen-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200521


Ilse MüllnerVluyn 1966.Maier, Christl: Im Vorzimmer der Unterwelt.die Warnung vor der „fremdenFrau“ in Prov 7 in ihrem historischenKontext, in: Luise Schottroff/Marie-Theres Wacker (Hgg.), Vonder Wurzel getragen. Christlich-feministischeExegese in Auseinandersetzungmit Antijudaismus (BIS 17),Leiden 1996, S. 179-198.Maier, Christl: Die „fremde Frau“ inProverbien 1-9. Eine exegetischeund sozialgeschichtliche Studie(OBO 144), Freiburg/Göttingen1995.Maier, Christl: Das Buch der Sprichwörter.Wie weibliche Weisheit entsteht..., in: Luise Schottroff/Marie TheresWacker (Hgg.), Kompendium feministischeBibelauslegung, 2. Aufl.,Gütersloh 1999, S. 208-220.Meinhold, Arndt: Die Sprüche (2 Bände/ZBK),Zürich 1991.Schroer, Silvia: Die Weisheit hat ihrHaus gebaut. Studien zur Gestalt derSophia in den biblischen Schriften,Mainz 1996.Schroer, Silvia: Die Gerechtigkeit derSophia. Biblische Weisheitstraditionund feministische Diskurse, in: lectiodifficilior 1 (2000), http://www.lectio.unibe.ch/00_1/w.htm (22.März 2005).Weigel, Sigrid: Topographien der Geschlechter.Kulturgeschichtliche Studienzur Literatur, Reinbek beiHamburg 1990.Der Aufsatz ist der Vorabdruck eines Kapitels aus: Ilse Müllner: Das hörende Herz.Weisheitsliteratur in der hebräischen Bibel, Stuttgart 2005, Verlag W. Kohlhammer, ISBN3170182870. Dieses Buch wird voraussichtlich im Dezember 2005 erscheinen. Wir bedankenuns herzlich für die freundliche Genehmigung <strong>des</strong> Vorabdrucks; das Copyrightliegt beim Verlag.Prof. Dr. Ilse MüllnerUniversität Kassel, FB 01/Institut für Katholische TheologieDiagonale 9, 34109 KasselEmail: ilse.muellner@uni-kassel.de22


Verhaftung in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung am Beispiel der familialen AltenfürsorgeKatharina Gröning und Anne-Christin KunstmannÜber die moderne und traditionelle Verhaftung vonFrauen in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungam Beispiel der familialen AltenfürsorgeAngesichts <strong>des</strong> demographischen Wandels stellt sich die Thematik der Auseinandersetzung mit weiblicher Fürsorge imGenerationenkontext neu. Anhand der folgenden Fallanalysen wird deutlich, dass das „traditionelle“ Modell der Pflegeals „Frauensache“ ebenso wie der funktionale Umgang mit der Pflegebedürftigkeit, den eine „moderne“ Lebensführungnahe legt, in ähnliche Dilemmata münden. Als problematisch erweist sich insbesondere die offene oder verdeckte Entwertungder Fürsorge. Insofern ist – und bleibt – die Generationenverantwortung eine Herausforderung für die Geschlechterdemokratie.Die nachfolgenden Auszüge ausFallreflexionen basieren auf Interviews,die im Rahmen von Forschungsprojektengeführt wurden,welche sich mit den Gerechtigkeitsvorstellungenvon Frauen und derfamilialen Altenfürsorge befasst haben(Gröning/Kunstmann/Rensing2004, 2005). Eine wichtige Erkenntnisim Rahmen dieser Projektewar, dass die reine Orientierungan modernen Lebenszusammenhängenebenso wie die reine Orientierungan traditionellen Lebenszusammenhängenwenig geeignet ist,die verschiedenen Krisen und Konflikteim Zusammenhang mit derFrage der Verantwortung für alteund pflegebedürftige Eltern zu lösen.Das Modell der Pflege als reine„Frauensache“ scheitert auch intraditionellen Familien, währendgleichzeitig auch ein reines Beharrenauf modernen Werte wie Selbstverantwortungund Freiheit keinenausreichenden Rahmen für die Pflegeverantwortungbietet.Im Mittelpunkt der Fallreflexionenstehen vor allem Leitbilder undPflegeentwürfe, aber auch Ideologienund ihre Auswirkungen auf diekonkrete Praxis der Fürsorge in denim Folgenden vorgestellten Fallreflexionenfür eine demenzkrankeMutter. Die Fallgeschichten sind alsVergleich angelegt, d. h., dort, wodie Erzählenden ähnliche Aussagengemacht haben, werden beide Geschichtenmiteinander in Beziehunggesetzt.Der Strukturierung der erzähltenGeschichten liegen verschiedenetheoretische Quellen zum Verhältnisvon gesellschaftlicher Modernisierungund Generationenbeziehungen,z. B. die Arbeiten zu Generationenbeziehungenin der Postmoderne,aber auch ältere Arbeitenzum Verhältnis von familialer Entwicklungund Generationenbeziehungenwie die Theorie der filialenReife von M. Blenkner (1965), zugrunde,auf die in diesem Rahmenjedoch nicht explizit eingegangenwird (dazu ausführlich: Gröning/Kunstmann/Rensing 2004, 2005).Statt<strong>des</strong>sen werden Auszüge auszwei Fallanalysen relativ ausführlichvorgestellt. Im Mittelpunkt der beidenFälle stehen zwei Frauen, FrauA. und Frau B., die mit der Verantwortungfür die alten Eltern in Teilensehr unterschiedlich und in anderenTeilen sehr ähnlich umgegangensind. Dabei entfalten beide Pflegeentwürfeeigene Dilemmata mitentsprechenden Problemen undDynamiken.Die Geschichte von Frau A. berührtbesonders das Verhältnis vonFürsorge für die alten Eltern, gesellschaftlicherModernisierung undpersönlicher Emanzipation. Frau A.gerät angesichts der Demenzerkrankungihrer Mutter in eine ausgeprägtefiliale Krise, da sie die Verantwortungfür ihre demenzkranke Muttereinerseits ablehnt, andererseitstrotzdem übernimmt. Ihre Erzählunggibt einen wichtigen Einblickin die Konflikte und in die Strukturder Lösungsversuche, die typischsind für eine bestimmte Konfliktfigur,die als „modern denken undtraditionell handeln“ beschriebenwerden kann. Insofern stellt sich derKonflikt von Frau A. als „moderner“Konflikt dar, denn zunächstversucht Frau A., das Problem derPflege vor allem technisch zu bewältigen.Es werden verschiedeneDienste engagiert und zahlreicheHilfen genutzt, die das Geborgenheits-und Schutzbedürfnis vonFrau A.’s Mutter aber aufgrund ihrerfunktionalen Ausrichtung nichtbefriedigen können. Dies kann vonFrau A. weder erkannt noch verändertwerden. Während der filialenKrise von Frau A. geht es in ersterLinie nicht darum, welches Pflegearrangementund welche Versorgungsformfür ihre an Demenz erkrankteMutter ausgewählt wird,sondern um das Problem, dass Frau<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200523


Katharina Gröning und Anne-Christin KunstmannA. sich aus ihrer Sicht gegen ihrenWillen, gegen ihre Einsicht und widerbesseren Wissens um die Mutterkümmert. Ihr Problem beruhtin erster Linie auf der Bedeutung,die das Altern der Mutter für FrauA.’s Verständnis vom Alter insgesamthat und auf den Widersprüchen,die Frau A. in diesem Zusammenhangerlebt und denen sie sichteilweise hilflos ausgesetzt sieht. Ausder Entwicklung ihrer Mutter„lernt“ Frau A., dass sie später anderen„auf keinen Fall zur Last fallenwill“. Sie betont, dass sie zu ihrerMutter kein gutes Verhältnis hat,dass zwischen der Mutter und ihrtiefe Gräben liegen, um dann dochwieder einzuräumen, dass sie von ihrerMutter, die „so dasitzt und grundlosweint“, tief berührt ist. Gleichzeitigdefiniert sie diese Erfahrungenals sinnlos. Es gelingt Frau A. nicht,sich über die Beziehung zu ihrerMutter klar zu werden und soschwankt sie zwischen verschiedenenDeutungen zur Demenz undihrem Schrecken.Anders dagegen Frau B.. Sie hatsich quasi von Beginn ihres Erwachsenenlebensan dafür entschieden,ihr Leben im Rahmen einer Abstammungsliniezu begreifen. Sielebt in direkter Nachbarschaft zu ihrerMutter und gibt an, dass esschon zu einem frühen Zeitpunktfür sie feststand, dass sie sich umdie alten Eltern kümmern werde.Frau B. sieht die Familie als Einheitund betont die alltägliche Gegenseitigkeitzu der Zeit, in welcher dieMutter noch nicht an Demenz erkranktwar. Frau B. sieht sich als diejenige,die das Erbe und damit dieRepräsentanz guter Eltern bewahrt.Sie gerät im Unterschied zu Frau A.nicht in eine tiefe filiale Krise, sondernbeantwortet die Entwicklungsaufgabeder Verantwortung für diealten Eltern traditionell im Sinne einerSelbstverständlichkeit, die auffilialer Verbundenheit und Verpflichtungberuht. Auch Frau B. gerätaber während der Pflege ihrer demenzkrankenMutter in massiveKonflikte, da die Demenzsymptomeder Mutter ausgesprochenScham auslösend sind und es niemandengibt, der diese Symptomezu übersetzen in der Lage ist.Gleichzeitig wird Frau B., und diesist für traditionelle Lebensmustervon Frauen eben auch nicht ungewöhnlich,innerhalb ihrer Familiezunehmend isoliert. In der FamilieB. ist Pflege „Frauensache“. Andersals Frau A. entscheidet Frau B. nichtautonom über das Pflegearrangement,sondern hat gleichzeitig eineReihe von Bedürfnissen anderer zuberücksichtigen. Genau wie Frau A.verzweifelt Frau B. an der demenziellenSymptomatik ihrer Mutter, diesich verändert, die „wegläuft“,Schamsituationen heraufbeschwörtund schließlich unter dramatischenBedingungen stirbt, während einesAufenthaltes in einer Einrichtungzur Kurzzeitpflege, weil sie auchhier „wegläuft“ und nicht gefundenwerden kann. Der zerstörte Abschiedbelastet Frau B., die sich vonder Pflege und vom Abschied derMutter ein anderes Bild gemachthat. Auch hier wird Frau B. letztlichnicht aufgefangen.Auffällig ist allerdings, dass beideFrauen, Frau A. wie Frau B., hinsichtlichihrer Verantwortung für diealten Eltern weitgehend allein, umnicht zu sagen, verlassen sind. FürFrau A. stand von vornherein fest,dass sie weder von ihrem Mannnoch von ihren Brüdern Hilfe erwartenkann. Sie teilt sich die Verantwortungmit ihrer Schwester, diemit einem Arzt verheiratet ist, derwiederum seine medizinischen Deutungenzur Pflege beiträgt, die FrauA., wie sie sagt, als Beratung ausreichen.Auch Frau B. erhält von ihremEhemann wenig und von ihrenBrüdern keine Unterstützung.Sie bezieht ihre pubertierende Tochterunter großen Schuldgefühlen indie Pflege ein.Altersbild und PflegeverständnisFrau A. hat sich während ihres Studiumsintensiv mit dem Thema Alterund Altern, mit gerontologischensowie alterssozialpolitischenFragestellungen befasst. Von dieserForm der Auseinandersetzung istihr Altersbild geprägt. Sie betontentsprechend die Vorstellung einessouveränen und individualisiertenAlters. Dieses Leitbild wird auchzum inhaltlichen Kern ihres Pflegeentwurfs.In der Praxis gerät derPflegeentwurf von Frau A., der aufihrem Altersleitbild der „souveränenSeniorität“ beruht, in Spannung mitder Realität: „...irgendwelche Zahlenusw. und da dachte ich immer, das kannnur einer erzählen oder das überhaupt beurteilen,wenn man das miterlebt hat.“ Esist insbesondere schwierig für FrauA., sich mit der Vorstellung zu befassen,die eigene Souveränität undSelbständigkeit im Alter verlieren zukönnen. Das Leitbild der Souveränitätund Selbständigkeit prägt auchdie Pflege der Mutter und beeinflusstdie Entscheidungen von FrauA. und ihrer Schwester. Beide versorgendie Mutter zunächst mit Hilfeeines ambulanten Dienstes in einerWohnung, die zu diesem Zweckangemietet worden ist. Als diesesArrangement nicht mehr aufrechtzuerhaltenist, zieht die Mutter inein Heim.Die Kluft zwischen wissenschaftlichenTheorien über das Alter einerseitsund der konkreten Pflegebedürftigkeitder Mutter und denErfahrungen mit der Pflege andererseitsbeschäftigt Frau A. am meisten,weil Theorie und Praxis nichtzusammenpassen wollen und sie angesichtsdieser Diskrepanz in ein24


Verhaftung in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung am Beispiel der familialen AltenfürsorgeGefühl der Hilflosigkeit gerät. Sehrfrüh im Interview korrigiert sie ihreBilder und Sichtweisen über die Altenheimeund die dort tätigen Pflegenden.Sie würdigt vor allem derenBelastungen durch die hohe Anzahlan Schwerpflegebedürftigenund Sterbenden. Die Erfahrung <strong>des</strong>Altenheimes beschreibt Frau A. ingewisser Weise als Grenzüberschreitung.Sie hat die Tür geöffnet undin Räume gesehen, in die man „sonstkeinen Einblick“ hat: „Ich muss zugeben,das Pflegepersonal, da hatte man früherauch keinen Einblick, man hörte nur:‘Altenheime – wie schrecklich!’ Aber diemuss ich dann nun wirklich bewundern.Ich habe darüber gelesen, dass die meistenAltenpflegerinnen – das sehe ich auch beiuns im Heim – nach zwei Jahren weg sind.Und wir hatten jetzt da auf der Stationmeiner Mutter (…), da sind zwei Neuegekommen (…). Sagte die Pflegerin zumir: ‘Gott sei Dank, dass wir mal wiederhier was auf der Station haben, mit denenman sich unterhalten kann.’ (…)Also, die Leute muss ich wirklich bewundern.“Frau A. spricht von den dementiellveränderten Bewohnern, die„weglaufen“ und von den Pflegendenimmer „wiedergefunden“ undzurückgebracht werden müssen. Sieerzählt zudem, wie viel körperlicheArbeit und „Arbeit am Körper“ diePflegenden leisten. Sie bekommtauf diese Weise Zugang zum Stressin der Altenpflege. Gleichzeitig zeigtsie darüber eine Beunruhigung undeine gewisse Angst, die nur dadurchkontrolliert wird, dass sie ihre Bewunderungausdrückt. Diese Beunruhigungwird immer wieder formuliertund verweist auf den Konflikt,in dem sich Frau A. befindet. Sie bewundertdiejenigen, die sich um alteMenschen kümmern und sagtgleichzeitig deutlich, dass sie für dieseFürsorge nicht die Kraft aufbringenkönne und eher bereit sei, statt<strong>des</strong>sen„Strafarbeiten“ wie „10 StundenPutzen“ zu verrichten. Sie gerätim Laufe <strong>des</strong> Interviews in zunehmendeAngst um sich selbst.„Nun kommt dies sicherlich dazu. Esgibt sicherlich auch viele Frauen, die sichaufopfern können und pflegen können.Nee, also das kann ich nicht. Ich kannim Nachhinein wohl sagen, ich kann wohleher 10 Stunden putzen, als einen altenMenschen zu pflegen. (…) Oder Sie müssen,genauso wie das Pflegepersonal imAltenheim, eine Pflicht erfüllen. Sie habensich das nun als Beruf gewünscht undmachen das ja auch wieder gerne, also denkeich mal, dass sie dafür geschaffen sind.Ich bin es halt eben nicht. Ich kann danicht stundenlang am Bett sitzen, betüddeln,machen und tun. Das wollen meineKinder auch nicht, die sind so was vonselbstständig geworden.“Gefragt, welche Alternativen esfür die Pflege der Mutter gegebenhabe und welche Möglichkeiten siefür ihr eigenes Alter sehe, antwortetFrau A.:„Ich glaube, dass, denke ich, wenn mannoch gesund ist, dass man das sagt, dassich mich rechtzeitig um einen Platz kümmere.Was wir vielleicht falsch gemachthaben, meine Schwester und ich. Wir hättensie nicht mehr in eine Stadtwohnunggeben sollen (…). Und je nachdem, wieder Schwierigkeitsgrad der Pflegebedürftigkeit(ist), könnte sie ja irgendwie andersversorgt werden. Wir hätten eine Wohnung– die hatten wir ja uns auch angesehen,nur da war es damals schon zu spät.So eine Zweizimmerwohnung – und siehätte ihre Möbel mitnehmen können. (…)So was stelle ich mir dann eher vor, dassich so was rechtzeitig machen würde. Aberich glaube, wenn Sie in so einem Zustandsind, dann denken Sie: ‘Ach, ihr geht esja wieder besser oder ihr geht es gut’, undman macht es nicht.“Frau A. plädiert hier für eine rationaleEntscheidung auf der Basistheoretischen Wissens. Das, was sieund ihre Schwester „falsch gemacht haben“,war jedoch die Verleugnungder künftigen Pflegebedürftigkeitder Mutter, die Hingabe an die falscheHoffnung, eine Pflegebedürftigkeitwürde nicht eintreten. FrauA. plädiert also für eine frühere,wenn auch weichere Form der Institutionalisierung,um diese rationaleEntscheidung dann gleich wieder ineinen Gegensatz zum lebensweltlichenHandeln zu stellen: „ (…) Ichglaube, je älter man wird, ist es ein Horror,ins Altenheim zu ziehen. Und ichmeine, das ist ja auch klar. Man denktimmer noch, die werden ja gesund gepflegt,aber das ist ja doch bis zum Tod. Sie werden(…) ja verurteilt bis zum Tod. Dasist ja schrecklich! Das stelle ich mirschlimm vor, wenn man geistig noch dabeiist.“„Wenn ich pflegebedürftig würde undmüsste immer um alles bitten und so. Dasfände ich für mich persönlich sehr schrecklich.(…) Deshalb finde ich den Zustandmeiner Mutter besser, dass sie gar nichtmehr weiß, was läuft. Das ist nur ebender Zustand, der für alle Angehörigen sehrschwierig ist. Da muss ich schon die Leutebewundern, die – das ist sicherlich nichteinfach – in Familien dafür da sind. Abergucken Sie sich die aber im Nachhineinauch mal an. Die sind dann der nächstePflegefall.“Frau B. dürfte bezüglich ihrer Lebensentscheidungen,ihrer Einstellungenund ihrer Alltagsgestaltungals geradezu „ideal“ für die häuslichePflege gelten. Ihr Pflegeverständnisentspringt einer allgemeinenfürsorglichen Haltung ihrerMutter gegenüber und ist eingebettetin einen von Frau B. selbst gewähltentraditionellen Alltag, den sieals etwas „Selbstverständliches undNatürliches“ beschreibt. Schon frühhat Frau B. sich auf „Tradition alsLebensform“ festgelegt: Sie lebt mitihrem Mann und ihren Kindern inder unmittelbaren Nachbarschaftihrer Eltern, gibt ihre Berufsausbildungauf, als die Kinder geborenwerden und pflegt, gemeinsam mitder Mutter, ihren Vater, als dieser<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200525


Katharina Gröning und Anne-Christin Kunstmannkrank wird.Frau B. empfindet zu ihrer Muttereine innere Nähe. Ihre Bereitschaftzur Fürsorge sowie ihre Gefühleder Zuneigung und Liebe sindausgeprägt. Im Fall von Frau B. fälltder Wunsch auf, der Mutter einen„schönen Lebensabend“ zu bereiten,den sie als Hauptmotiv für die Pflegebenennt. „Also, für mich war es ganzeinfach selbstverständlich, dass ich meineEltern pflege, dass ich sie nicht ins Heimgebe. Sie lehnten es auch selber ab. Sie wolltenauf keinen Fall ins Heim. Und daich hier neben dem Haus meiner Elternwohne… Ja, ich wollte sie selber auf keinenFall ins Heim geben. Ich hab’ da eineAbneigung und das war der Grund. Undsie sollten auch hier einen schönen Lebensabendhaben.“Diesen „schönen Lebensabend“ stelltFrau B. sich als volle Integration ihrerMutter in die eigene Familie vor.Frau B.’s Pflegeentwurf <strong>des</strong> „schönenLebensabends“ zerbricht jedoch inmehreren Stufen: Den ersten tiefenRiss bekommt er durch ein Weihnachtsfest,welches Frau B. harmonischplant, welches aber von derMutter „gesprengt“ wird. Einenzweiten und sehr entscheidendenRiss bekommt die filiale Verbundenheitdurch eine gewalttätige Szeneund schließlich, dies ist für Frau B.extrem schmerzhaft, erkennt dieMutter sie nicht mehr.In dieser Phase <strong>des</strong> Zerbrechens<strong>des</strong> Pflegeentwurfes fehlt es vor alleman integrierenden Erfahrungenund haltenden Kommunikationen.Neben der sich weitgehend verweigerndenFamilie geben auch die Angehörigengruppenund Institutionen,die Frau B. konsultiert, nurHinweise auf formale und funktionaleHilfeangebote und polarisierendas Problem.Frau B. erlebt die Demenzerkrankungihrer Mutter letztlich als umfassendenVerlust, als Beziehungsverlustund Verlust der inneren Ordnungder Familie, also jener traditionellenStruktur, die ihr selbst langeZeit Sicherheit gegeben hat. FrauB.’s Mutter wird geschildert als dieFremde, die jede Rücksicht, jedeBindung vermissen lässt. Frau B. erlebtdie Demenz vor allem als Zurückweisungihrer „guten Bindungen“.FürsorgeDie Ausführungen von Frau A. zurFürsorge hören sich zunächst so an,als fehle es ihr an expressiven Eigenschaftenwie Geduld, Einfühlungoder Toleranz. Sie spricht, als gäbees zwei Sorten von Frauen, die einen,die „betüddeln“ könnten, und dieanderen, die das, wie sie selbst, nichtkönnten. Wenn Fürsorge als „Betüddeln“beschrieben wird, stellt Frau A.dies in einen Gegensatz zu dem Idealder Unabhängigkeit und Souveränität,die Frau A. auch in Bezug aufihre Kinder erwähnt. Mit dieserDeutung der Fürsorge als „Betüddeln“zeichnet sich, neben der Assoziationder Fürsorge als Aufopferung,eine zweite Deutung ab. FrauA. verbindet mit der Fürsorge einSchamgefühl, denkt sie als Abhängigkeitsscham.Für sie erscheint dieFürsorge als Aufopferung entwertendund als „Betüddeln“ beschämend.Diese Einstellung zur Fürsorgeals etwas eher Wertloses undPeinliches ist an mehreren Stellen<strong>des</strong> Interviews zu finden. Frau A.hat gleichzeitig ein konventionellesBild der Demenzerkrankung. Sie istdavon überzeugt, dass ihre Mutternichts mehr spürt, fühlt, weiß, erinnertund <strong>des</strong>halb eigentlich auchnichts mehr braucht. Sie beschreibtihre Mutter nicht nur als jemanden,<strong>des</strong>sen geistige Fähigkeiten schwinden,sondern auch als jemanden, derseine Seele verloren hatDie Entwertung der Fürsorgespiegelt sich auch in Frau A.’s Reflexionenzu ihrer Pflegemotivationwider. Als sie gefragt wird, warumsie pflegt und sorgt, stellt sie lediglichdie institutionellen Aspekte ihrerBeziehung heraus. Eine möglicheBindung an die Mutter wird imKontext einer „Deshalb-Ethik“ beschrieben(Schultheis 1993), als einnaturhafter und totaler Tatbestand:„Genau das (weshalb sie die Verantwortungfür die Mutter übernommenhat) kann ich Ihnen nicht erklären.Ich glaube, weil es die Mutter ist. Wiegesagt, ich hab’ ja gar nicht so ein tollesVerhältnis zu ihr. Aber irgendwo tat siemir Leid. Und wenn sie dann so im Stuhlsaß und auch grundlos weinte. Da hab’ich gedacht: ‘Mein Gott, was da wohl indem Kopf vorgeht.’ Und dann hab’ ichmich wieder bemüht und alles weitergemacht.(…) Bei den eigenen Eltern siehtes eben alles anders aus.“Gefragt nach der Bedeutung, diedie Pflege für sie hat, reflektiert FrauA. diese allgemein über den demografischenWandel und die Zukunft<strong>des</strong> Alters. Die Erfahrung von Pflegeund Fürsorge, die Frau A. in Bezugauf die Versorgung ihrer Muttermacht, prallt mit dem aufeinander,was sie über das Alter theoretischdenkt. Zwischen ihren praktischenErfahrungen und ihren theoretischenÜberzeugungen findetFrau A. keine Balance mehr. Sie haterfahren, wie nötig Fürsorge im Alterist, gleichgültig, ob diese nun ineinem Heim von „betüddelnden“Schwestern oder zu Hause von „betüddelnden“Töchtern erbrachtwird:„Sehen Sie, da mache ich mir schonviele Gedanken. Also, da kann ich nursagen, ich hab’ mir nie Gedanken um meinAlter gemacht. Nur, was ich jetzt in dendrei Jahren da in dem Altenheim mitkriege,also da bin ich nur permanent daran,dass ich nicht eines Tages so da stehenmöchte. Dass ich auf jeden Fall vorheralles geregelt haben möchte, dass ich meinenKindern nicht zur Last falle.“Frau A.’s Ambivalenz wird an ihremgleichzeitigen Wunsch deutlich:26


Verhaftung in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung am Beispiel der familialen Altenfürsorge„Dass ich nicht ins Heim müsste. Unddas noch mitbekommen würde, dass meineKinder gezwungen werden, irgendwasfür mich zu machen. Nee, da möchte ichganz unabhängig sein, dass ich denen nichtzur Last falle. Also, das geht mir permanentdurch den Kopf und da muss ich einevernünftige Regelung finden. Ich hoffe, dasses nicht so eintritt, wie bei meiner Muttermit mir. Das fände ich ganz schrecklich!Also, wenn ich von meinen Kindern abhängigwäre. Das möchte ich nicht!“Wiederum stellt Frau A. den Aufopferungs-und Ausbeutungscharakterfamilialer Altenfürsorge heraus.Für sie scheint klar zu sein,dass es sich bei der familialen Altenfürsorgeum einen „Märtyrerakt“handelt: „Und ich will jetzt ganz ehrlichsagen (…) man hätte mir das sagen können:‘Also, du kriegst eine Million, wenndu die Eltern bis zum Dings pflegst.’Selbst dann würde ich es nicht machen.(…) Dieses Eingebundensein. Ich würdeeher auf Geld verzichten und würde sagen,lass sie irgendwo in Ruhe leben. Aberden ganzen Tag so was um mich habenund eingebunden zu sein, das kann ichnicht.“Zudem reflektiert Frau A. überdie geforderte Vernunft, sich rechtzeitigin die richtigen, altersangemessenenWohnformen zu begeben,so wie es das gerontologischeWissen nahe legt und das moderneAltersleitbild fordert. Den lebensweltlichenProtest, den diese Forderungnach sich zieht, versteht FrauA. nicht. Anscheinend wider besserenWissens oder wider jede Vernunftsprechen ihre Bekannten vomUmzug in ein Betreutes Wohnen,schieben diese Entscheidung aberimmer wieder hinaus: „Ich erlebe dasbei mir im Bekanntenkreis, von meinerFreundin, die pflegt. Der Vater ist 82 Jahre,die Mutter 75. Die reden schon seit10 Jahren darüber, dass sie sich irgendwoeinkaufen wollen, wenn mal einer stirbt,dass sie dann irgendwie versorgt sind. Unddann haben die Kinder nie ‘was dazu gesagt,fanden das gut. Nur, jetzt kommtdas Alter noch mal und dass die Kindersie jetzt darauf hin ansprechen (woraufsie entgegnen): ‘Uns geht es noch ganzgut, wir können hier noch wunderbar wohnen.’“Die Erkenntnis von Frau A. istaber nicht, dass die Menschen ganzoffensichtlich nicht auf die Weise altwerden (möchten), wie es Alterssozialpolitikund Gerontologiefür sie vorsehen, sondern erstenszunächst einmal gar nicht, zweitensnur im Rahmen von vertrauensvollenAnerkennungsbeziehungen undwenn diese nicht vorhanden sind,dann zumin<strong>des</strong>t mit einem gewissenMaß an Respekt, welcher, soscheint es aus ihrer Perspektive, inunserer Gesellschaft eingekauft werdenmuss.Für Frau B. ist Fürsorge so selbstverständlichin den eigenen Alltageingebunden und so „normal“, dasssie ihr als besondere Produktivität,als Arbeit, als Wert gar nicht auffällt.Frau B. hat die geschlechtsspezifischeArbeitsteilung tief verinnerlichtund stellt zwischen ihremeigenen Bild von der Dreigenerationenfamilie,<strong>des</strong> ganzen Hauses sowie<strong>des</strong> Austausches zwischen denGenerationen und der Entwertungder Fürsorge in ihrer eigenen Familiesowie in ihrer Herkunftsfamiliekeinen Zusammenhang her. Siesorgt und pflegt, ohne sich <strong>des</strong>senkritisch bewusst zu werden odernach Gerechtigkeit zu fragen. Zupositiven Aspekten der Entscheidungzur Pflege befragt, zeichnetFrau B. ebenfalls ein Bild der dreiGenerationen als einer Familie, alseiner Einheit. Dabei spricht sie empathischaus der Perspektive derMutter: „Ja, dass es ihr eben gut tat. Hierin ihrer Welt weiterhin leben zu können.Das brauchte sie unbedingt, das tat ihrgut. Sie kannte ja den ganzen Ablauf, siewar ja da. Auch wenn sie drüben wohnte,sie kam hier ‘rüber, vier bis fünfmalwenigstens am Tag, manchmal sogar zehnmaloder so, oder sie saß im Garten. Sienahm an unserem Leben teil. (…) Sielebte ja eigentlich hier, sie schlief nur drüben.“Auch in Bezug auf sich selbst betontFrau B. ihre sorgende Verbundenheit.„Selbstverständlich“ pflegtsie zusammen mit der Mutter denVater: „Und dann hab’ ich damals mitmeiner Mutter zusammen meinen Vatergepflegt. Der lag zwei Jahre fest (...). Dannhatte meine Mutter – man kann sagen,sieben Jahre ungefähr – eine schöne Zeit.Und dann wurde sie demenzkrank.“In Bezug auf die Entwertung derFürsorge zeigt sich, dass Frau A.Fürsorge als „betüddeln“, als peinlichund nicht-emanzipiert sieht, währendsie bei Frau B. so naturhaft verstandenwird, dass darüber Unbewusstheitvorherrscht. Fürsorge istauch in der Familie B. kein Themaund wer sorgt, braucht anscheinendkeine Solidarität und Anerkennung.Der Umgang mit KrisenDie Fürsorge für einen alten Menschenist schwer erträglich, wenndieser zur Schamquelle wird. Aufdie Frage, ob es Situationen gab, indenen Frau A. die Pflege ihrer Mutterabgeben wollte, bestätigt sie dies:„Das habe ich schon oft gedacht. (…) Ja,ich hab’ den Gedanken gehabt, wenn ichwieder angerufen wurde und sie so haltnackig da durch die Gegend lief. Dannhabe ich gedacht: ‘Nein!’ Irgendwo hab’ich mich dann auch geschämt, letztendlich,weil jeder schon Bescheid wusste.“Die Krisen, die Frau A. beschreibt,werden vor allem durch diebeschämenden Verhaltensweisender Mutter hervorgerufen und dadurch,dass „jeder Bescheid wusste“. DieScham von Frau A. wird noch einmaldurch das Erleben im Altenheimgesteigert und verändert sichin eine grundsätzliche Angst vordem Alter, wohl auch, weil Frau A.sich mit den verwirrten, alten Men-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200527


Katharina Gröning und Anne-Christin Kunstmannschen, die sie so wenig verstehenwill, gegen ihren Willen identifiziert.Frau A. belegt ihre Erfahrungendrastisch. Im Altenheim fühlt siesich wie im „Panoptikum“, als wäresie eine „Außerirdische“. Aus derPeinlichkeit werden Ekel und Angst– Frau A. regrediert und begibt sichin die Vorstellung, dass künftig nochmehr Menschen demenzkrank würden.Lediglich die Hoffnung derMedizin, bis dahin hätte man einMedikament, beruhigt sie.„Sie kommen sich da vor wie in einemPanoptikum, da im Altenheim. Die laufenda alle verwirrt über den Flur. (...)Und dann werden Sie von den Leuten soangeguckt. (…) Als wenn Sie so eine Außerirdischewären. Dann werden Sie angefasst,wie ich schon sagte, egal ob Haare,Pullover – alles. Und da gucken dienur und sagen nichts.“Schlimm! Alzheimer, (…) ich habe gelesen,dass im Jahre 2030 -ich glaub’ jetzthaben wir 20% oder 22% Alzheimerundim Jahr 2030 schon 38%. Und dannhab’ ich noch gar nicht so weiter überlegt,und da sagte einer der Ärzte und dass wirgar nicht so weit kommen. Bis dahin hatman irgendetwas an Medikamenten dagegen.Und als ich damals nur die Zahlsah, fand ich das ganz erschreckend. (…)Nun hoffe ich auch, dass man bis dahinernsthaft ein Medikament hat.“Auch in diesem Abschnitt <strong>des</strong> Interviewswird die rationale Seite derMedizin der lebensweltlichen Erfahrung<strong>des</strong> „Angefasstwerdens“, <strong>des</strong>„Berührtwerdens“, <strong>des</strong> „Zulassensvon Berührungen“ gegenübergestellt.Der von Frau A. befragte Arzthofft auf ein Medikament, also aufeinen Durchbruch in der Forschung.Er sagt damit letztlich, dassdie Gesellschaft mit den Demenzkrankennicht leben muss, keineFormen entwickeln muss, mit derVerrücktheit umzugehen. Die Verrücktheitmuss mit modernen Mittelnkontrolliert werden. Für FrauA. ist dieses Versprechen Hoffnungund Beruhigung.Anders als Frau A. generalisiertFrau B. das Thema der Krisen nicht.Krise ist vor allem Verstrickung mitder Mutter, die zur Aushandlungnicht mehr fähig ist. Frau B. verzweifeltdarüber, dass sie rational undauf der Ebene der Ordnung zurMutter keinen Kontakt bekommt.Auch wird deutlich, dass Frau B. fürdie aufwühlenden und verletzendenSituationen, die sie mit ihrer Muttererlebt, kaum Wiedergutmachungerfährt. Wiedergutmachungen inForm von Reinterpretationen <strong>des</strong>Verhaltens, in Form von helfendenGesprächen oder auch in praktischerForm während der Pflege fehlenin der Familie von Frau B. weitgehend.Anders als Frau A., die sozusagendas Grauen projiziert, bleibt Frau B.bei der Verzweiflung, die weitgehendihre Schilderungen dominiert.„Es war bei ihr nachher sogar so extrem,dass sie auch bei Dunkelheit nicht erkannte,dass es Nacht war. Und dann lief sieuns zu der Zeit abends weg, es war draußenSchnee. Da hat ein Mann sie aufgegriffenin der Nacht und hat sie nach Hausegebracht. Und das war gut, sie hätte jaauch irgendwo hinfallen und erfrieren können.“„Aber diese Demenz ist ja so weitreichend.(…) Sie wollte ihren Alltag nochso verrichten, wie sie es immer gemachthat (…). Bloß, sie wollte nicht verstehen,sah es nicht ein, dass sie das nicht mehrkann. Sie sah nicht ein, dass sie krankist.“„Das ging aber dann so, dass sie morgensum sieben Uhr – sie hatte kein Zeitgefühlmehr – zur Friseuse ging und klopftean die Jalousien, damit sie ‘raus kommtund sie frisiert. Also, es waren Dinge, dievorgefallen sind (…).“„Sie war sehr eigenwillig, sie wollte niemandenin ihrem Haus haben.“„Einmal meinte sie – sie bekam früherimmer viel Besuch – sie meinte, ihreSöhne kommen. (…) Und so hat sie, wiesie es früher gemacht hat, groß eingekauft.(...) Also, sie bestellt beim Bäcker dreiTorten, ging denn los und wollte Kotelettskaufen und hatte die Reisetasche mitgenommen.“Frau B. beschreibt, dass die Demenzihrer Mutter sie selbst in eineverzweifelte Lage bringt: Das, wassie von der Mutter fordert, kann dieMutter nicht mehr geben, das, wasdie Mutter gibt, kann Frau B. nichtals Beziehungsangebot auffassen,wird peinlich. Längst hat sich dieMutter ihre Welt geschaffen, längstlässt sich die traditionelle Ordnungder Familie nicht mehr aufrechterhalten.Die Mutter blamiert Frau B.,sie fordert, sie ist agil. Sie gibt ihreTochter der Lächerlichkeit und derOhnmacht preis. Indem Frau B. dasVerhalten der Mutter ständig korrigiertund entwertet, bringt sie dieMutter in eine ihrerseits verzweifelteLage.Für Frau B. ist eine Demenzschlimmer als eine körperliche Pflegebedürftigkeit.Sie begründet diesdamit, dass ihre Mutter „nicht verstehenwill“, dass sie mit rationalerKommunikation nicht mehr erreichbarist. Aus der rationalen Perspektive,die Frau B. anlegt, erscheinendie Verhaltensweisen ihrer Mutter„schlimm“. Ohne es zu bemerken,berichtet Frau B. davon, dass ihreBeziehung zu ihrer Mutter immeraggressiver und gewalttätiger wird:„Ich hab’ ihr dann nachher Schlösser indie Fenster einsetzen lassen und überlegtedann, ob ich Gitter an die Treppe machenlasse. Das wird dann auch wieder einKampf für sie. (…) Sie fiel auch drübenöfter, dann schloss sie sich im Schlafzimmerein, dann musste ich über den Balkonklettern. (…) Das sind Dinge, diekönnen Sie sich gar nicht vorstellen.“„Daraus sehen Sie, ich musste rundum die Uhr im Einsatz sein. (…) Beieinem Demenzkranken, da heißt es nichtnur, dass man sich um die alten Leutchenkümmern muss, sondern man ist selber28


Verhaftung in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung am Beispiel der familialen Altenfürsorgegenauso eingespannt und eingesperrt. Ichbin monatelang nicht in B. (in der Innenstadt)gewesen. Man ist rund um dieUhr eingesperrt – mit ihr zusammen.“Frau B. kann in den Verhaltensweisenihrer Mutter keine Logik erkennen.Sie beschreibt Zirkelschlüsseund verdeutlicht, dass nicht nurdas Verhalten der Mutter „verrückt“ist, sondern auch ihr eigenes. FrauB. hat sich die Beziehung zur Muttervor allem harmonisch vorgestellt,an „Kämpfe“ scheint sie nichtgedacht zu haben. Frau B. ist sichoffensichtlich nicht darüber im Klaren,dass ihre Familienbilder undihre Phantasien über die Pflege alsetwas „Selbstverständliches“ undüber einen „schönen Lebensabend fürdie Mutter“ dieser einen festen Platzin einem bestehenden „Rollenspiel“zuweisen. Der Wunsch, die Mutterzu beschützen, kann anscheinendnur um den Preis der Kontrolle aufrechterhaltenwerden, einer Kontrolle,der sich die Mutter aber mitviel List und Eigensinn entzieht.Die Kultur der HerkunftsfamilieDie Demenz der alten Mutter hatin der Herkunftsfamilie von Frau A.zu einer ausgeprägten filialen Krisegeführt, die nicht zur Entwicklungvon mehr Generativität führt, sondernin eine Stagnation mündet. DieFrage, was denn mit der Mutter werdensoll, wenn sie nicht mehr in derLage ist, allein zu leben, hat offensichtlichdie Kinder dazu veranlasst,der Mutter zu drohen, sie ins Heimzu bringen: „Als mein Vater so starbund das mit dem Wohnungswechsel kam,da war es oft schon so weit, dass sie, (dieMutter) aggressiv und frech war, ausfallendfrech war, dass wir da schon geäußerthaben: ‘Wenn das nicht anders geht, dannmusst du ins Heim.’ Bis dahin hat siedas schon bewusst alles wahrgenommen.Aber das war dann nur so aus der Situationentstanden. Nie, dass wir uns so zusammengesetzthaben, darüber, wer das machenwill in dem Fall.“Die Familie hat auf die Demenzder Mutter mit Einschüchterung reagiert,mit starker Verleugnung derKrankheit und mit Verweigerungder Verantwortung. „Zu der Zeit hattenwir uns ständig zu Hause getroffen,wenn irgendwelche Anlässe waren usw..Aber nein, es ist nie darüber gesprochenworden.“„ Man sah es ja auch auf uns zukommen.Aber nein, nein, wir haben unskeine Gedanken darum gemacht – oderes ist auch nie gefragt worden. Wie gesagt,diese Äußerung, diese Äußerung, ‘dasssie nicht ins Heim gehen wollte’, warklar).“„Aber damals, zu der Zeit, haben wirKinder uns überhaupt keine Gedankendarüber gemacht. Wäre sicherlich sinnvollgewesen. (…) Ich glaub’, das passiert inden dümmsten Familien.“Nachdem Frau A. sich über dieseHaltung ihrer Geschwister undihre eigene Haltung mehrfach wundert,führt sie komplizierte materielleGründe an, die die Familiendynamikteilweise erhellen. Ganz offensichtlichspielt nicht verarbeiteterÄrger um das Erbe eine wichtigeRolle dafür, warum das Themader Verantwortung für die zunehmenddemente Mutter vermiedenwird. Gleichzeitig muss das „Beschweigen“der Situation der altenMutter auch im Sinne einer „Politikder Familie“ verstanden werden. Mitder Tabuisierung <strong>des</strong> Themas wirddie „Klärung <strong>des</strong> Generationenkontos“vermieden. Gerechtigkeit zwischenGenerationen und Geschlechternist nicht der Maßstabfür Aushandlungen innerhalb derHerkunftsfamilie von Frau A.. Aufdiese Weise können sich die Brüderder Verantwortung entledigen. Indemgleichzeitig der Eindruck erwecktwird, als sei es unter den Geschwisternklar, dass die Mutter insHeim geht, wenn ihre Demenz stärkerwird, begibt sich Frau A. in einBündnis mit ihren Geschwistern bezüglichder Zukunft der Mutter. DieTatsache, dass sich niemand vonden Geschwistern wirklich um dieMutter kümmern möchte, macht dieGeschwister scheinbar zu Verbündeten.Das Schweigen über das Themaverstärkt das Bündnis und institutionalisiertein Aushandlungsdefizit.Als Frau A.’s Mutter nicht mehrzu Hause leben kann, findet derenUmzug in ein Heim statt: „Dannkommt auch immer noch dazu, die finanzielleSache ist immer sehr ausschlaggebend,wenn es um die Verhandlung geht,wenn es mit dem Heim losgeht: Wer verkauftdies, wer verkauft das (…).“Die Kinder müssen nun zahlen,worauf die Brüder von Frau A. mitZorn reagieren und den Kontakt zurMutter abbrechen. Auf die Fragenach erbrechtlichen Regelungenschildert Frau A.: „Das war jetzt (beiuns) in keinster Weise geregelt! Und beiuns kam noch der Ärger dazu (…). MeinVater war selbstständig. (…) Das habendann meine beiden Brüder übernommenund die haben das in den Konkurs gewirtschaftet.Und da kommt natürlich auchnoch dazu, dass der Ärger so auf unsereBrüder ist. Ich meine, die Firma war schonziemlich groß und normalerweise hättenwir Töchter nun auch noch was kriegenmüssen. Nein. Das war natürlich jetzt allesnichts, gar nichts mehr. (…) Und wirmüssen jetzt noch trotzdem alles für meineMutter übernehmen. Deshalb ist auchnicht mehr so der Kontakt zu den Brüdern,weil die von vornherein nachher gesagthaben, sie hätten ja nichts – so ungefähr.Und wir haben nie irgendetwas vomErbe gesehen. Nur, da haben wir uns früherkeine Gedanken drum gemacht, alsalles noch normal lief.“Der Kontakt der Brüder sowohlzu den Schwestern als auch zur Mutterist abgebrochen: „Ich bin dabei undüberlege: Wenn es zum To<strong>des</strong>fall kommenwürde… Find’ ich ganz schrecklich! Tja,das müssen wir ja irgendwie regeln. Undmit meiner Schwester und mir wäre das<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200529


Katharina Gröning und Anne-Christin Kunstmannkein Problem. Aber da müssen wir ja auchmeine Brüder einbeziehen.“„Da gibt es keine Wege mehr zu finden.(…) Die finanzielle Sache ist fürmeine Schwester und mich abgeschlossen.Darüber reden wir mit den Brüdern nichtmehr. Es wird also jetzt nur noch der Tagder Beerdigung irgendwann mal kommen.Das wird schon etwas komisch, wenn mansich da plötzlich wiedersieht. Weil, da istauch schon gewisser Groll und Hass. Wirwaren früher eine intakte Familie. Ichkann mir das nicht vorstellen. Das fingmit dem Punkt an, als eben bezahlt werdenmusste. Das finden Sie in allen Büchern.“Auch in der Herkunftsfamilievon Frau B. spielt das Erbe eine entscheidendeRolle. Als diejenige, diein der Nähe der Eltern wohnenbleibt, ist Frau B. gleichzeitig diejenige,die bereit ist, das elterliche Erbeweiterzuführen. Diese Bereitschaftführt zu einem Zerwürfnismit den beiden Brüdern: „Daskommt auch noch dazu. In dem Testamenthabe ich mich verpflichtet, meineMutter zu pflegen. Aber das hat jetztnichts damit zu tun, dass ich es wollte, ichwollte es sowieso. Das war jetzt nur nocheine Formsache.“ Frau B. betont nocheinmal ihre Verbundenheit zur Mutter.Insofern bilden das materielleErbe und die Verbundenheit, ausder die Pflegebereitschaft sich begründet,eine Einheit. Die Verbundenheitist für Frau B. jedoch deutlichwichtiger als das materielle Erbe.Die Kombination aus beidem erscheintals vollkommene Übereinstimmungmit der Abstammungslinieund strukturiert die Lebensentscheidungenund den Lebensstilvon Frau B..Aus dem, was Frau B. erläutert,wird ersichtlich, dass ihre Muttereine andere Vorstellung vom Generationenvertraghat. Frau B.’s Mutterhandelt aus Selbstsorge. DasHaus ist ihr Pfand, welches sie indie Wagschale wirft, um ihre Interessen,nämlich nicht ins Heim zu gehen,sondern von ihren Kindern gepflegtzu werden, durchzusetzen.Ganz offensichtlich benutzt dieMutter von Frau B. das Erbe, umdaran bestimmte Bedingungen fürihr Alter, für ihre Pflege zu knüpfen.Sie sorgt für sich selbst. FrauB. beschreibt dies so: „Ja, ja, ihr wares ja auch wichtig, dass das Haus in derFamilie bleibt. Das war für meine Brüderunwichtig. Und da ich ja da direktnebenan wohne, bietet es sich ja an. So,dass das Haus in der Familie bleibenkann. Und meine Brüder wollten es verkaufenund viel Geld bekommen. Das hörtsich alles schrecklich an, aber so war es.Das war die Realität. Sie (die Mutter)wollte es nicht verkaufen. Sie wollte es halten,sie hatte viel Mühe und Arbeit ‘reingestecktund wollte <strong>des</strong>halb gerne, dass eshier erhalten bleibt.“Über die Idee der Generationenbeziehungen,die die Mutter hat,sagt Frau B. demnach, dass hier dasHaus eine besondere Bedeutung fürdie Mitglieder der Familie hat. Essoll <strong>des</strong>halb nicht verkauft werden.Das Haus der Eltern fungiert vielmehrals ein Band zwischen den Generationen.Sichtbar wird eine Politik<strong>des</strong> Erbes: Das Erbe begründeteine Ordnung, welche die Machtund die Kompetenz bei den altenEltern verortet. Die Eltern verpflichtenihre Kinder auf das Erbeund damit auch auf ihre Autorität.Im Alltag der Familie B. wird dieseVerpflichtung als Dominanz derMutter erlebbar.Betrachtet man den Generationenvertragvon Frau B. und ihrerMutter, so wird stärker eine Ungleichheitsichtbar denn eine Reziprozität:Frau B. wird zu Lebzeitender Mutter zur Trägerin von Pflichtenund ihre Mutter zur Trägerinvon Rechten. Die filiale Verbundenheit,die Frau B. empfindet, machtsie diesen Dimensionen gegenüberweitgehend blind. Ihre Sorge um dieMutter steht im Vordergrund – gerade<strong>des</strong>halb versteht sie das Verhaltender Mutter später auch immerweniger. Für Frau B. ist das Erbenicht das bedeutende Medium, keinMachtmittel, um das sich für dieanderen Familienmitglieder allesdreht. Deshalb zeigt sie sich im Interviewüberrascht, welche Bedeutungdas Erbe für ihre Brüder hat.Verhaftet in einem patriarchalischenAbstammungsdenken fühlensich die Brüder von der Mutter zurückgesetztund „rächen“ sich dafürauf ihre Weise an der Schwester. DieFamilie spaltet sich entlang der Geschlechtergrenze:Auf der einen Seitestehen die Brüder, die auf der anderenSeite eine Koalition derSchwester mit der Mutter vermutenund die eigene Benachteiligung annehmen:„(…) Meine Mutter hatte mirdas Haus überschrieben. Und sie (dieBrüder) bekamen eine bestimmte Summe,sie wollten aber gern noch mehr haben.Und sie blockten total ab. Ich solltejetzt also dafür, dass ich das Haus überschriebenbekommen habe, auch Einsatzmachen bis zum geht nicht mehr. (…) Ichhab’ schon immer alles gemacht hier. Also,sie kamen nur zu Besuch und holten meineMutter in den letzten Jahren auch nichtmehr zu sich. Immer schön Ruhe habenund immer schön in Urlaub fahren können.(…) Das war also abgesprochen, dassich hier bis zum Umfallen meine Mutterpflegen soll. Tja, das ist so ein sehr hässlicherUmgang, darauf will ich gar nichtmehr weiter eingehen. Ein sehr hässlichesKapitel.“Frau B. möchte sich vor den Gefühlenschützen, die die sie meintunweigerlich durchleben zu müssen,wenn sie weitererzählen würde. Siebeschreibt, dass sich die Brüder einerfilialen Verantwortung für diedemente Mutter unter dem Hinweisauf das Erbe vollkommen entziehen.Es ist so, als müsse sich FrauB. in den Augen der Brüder dasHaus erarbeiten. Die Pflege von30


Verhaftung in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung am Beispiel der familialen AltenfürsorgeFrau B. wird als Ausgleich für dieangenommene Bevorzugung erachtet,allerdings ohne genau aufzurechnen,wie groß Frau B.’s materiellerVorteil durch das Erbe wirklichist und welche Gegenleistungen siedafür erbringt.Interessant ist aber, dass Frau B.eben nicht alles erbt, wie die Brüderanscheinend denken, sonderndass sie trotz der anstrengendenPflege ‘nur’ das Haus erhält. DieBrüder bekommen, bezogen aufden Wert <strong>des</strong> Hauses, ihren Pflichtanteilund zusätzlich jeweils ein Drittel<strong>des</strong> gesamten Barvermögens.Auf die Frage, ob Frau B. nochKontakt zu den Brüdern habe, schildertsie die Situation der Beerdigungder Mutter:„Also, (ein Kontakt besteht) erst,nachdem sie viel Geld bekommen haben.Die Beerdigung musste ich auch alleine machen,von vorn bis hinten, da waren meineBrüder nicht da. Nicht mal in den Tagenvor der Beerdigung sind sie auf die Ideegekommen, herzukommen. (…) Undnachdem die Beerdigung vorbei war, warensie aktiv drüben im Haus – um auszuräumen.Also, wie im Bilderbuch – es warunwahrscheinlich. (…) Dann, als ich dabeiwar, die Konten aufzulösen – das gingdann schön durch drei und dann warensie ganz überrascht, wie viel Geld sie dochbekommen. Und das mit dem Haus, dassich ihnen alles ausgezahlt hatte und dassalles so blieb, dass sie sich noch genug hierholen konnten. Das war ganz schlimm,ganz schlimm! Also, das ging an meineGrenzen. Aber dann: Nachdem sie allesbekommen haben, sprechen wir wieder miteinander.Ich hab’ auch noch ein schönesEssen gemacht, so wie es meine Muttergemacht hätte, als sie kamen, um das Geldabzuholen. Und hab’ sie auch nach derBeerdigung hier hereingebeten – meineSchwägerin blieb draußen die ganze Zeitim Auto sitzen. Sind unmögliche Dinge,die da gelaufen sind, weil meine Muttereben mir das Haus überschrieben hat. Ichmeine, es ist nicht ungewöhnlich, dass der,der pflegt, den größeren Teil erhält unddas war nicht akzeptiert worden.“Ganz offensichtlich inszenieren dieBrüder von Frau B. die Geschichteso, als seien sie zurückgesetzt worden,als müssten sie etwas kompensieren,als sei der Tausch der Mutter:„Haus gegen Pflege“, eine unangemesseneBevorzugung der Tochterund als müsse man die Hinterlassenschaftder Mutter gegen möglicheÜbergriffe der Schwester verteidigenund das Haus ausräumen, bevordies von der Schwester getanwürde. Damit wird Frau B.’s Thema– die Pflege ihrer Mutter, ihreAlleinverantwortung, ihre Verlassenheit– als Familienthema ausgelöscht.Das Thema der Familie istdas Erbe, die Frage, was jeder bekommt.Das, was Frau B. mit derPflege der Mutter geleistet hat, wirddem Schweigen überantwortet.Frau B. versöhnt trotz ihrer geschildertenVerbitterung die Familie,indem sie ein Essen zubereitet,wie es die Mutter gemacht hätte. Sieerklärt sich durch dieses Zeichenungewollt mit der Tabuisierung derPflege einverstanden. Die Familieexistiert durch diesen Verzicht aufGerechtigkeit weiter und zerbrichtnicht.Aspekte der innerfamilialenEntwicklungsdynamikFrau A. steht zum Zeitpunkt <strong>des</strong> Interviewsan einem biografischenWendepunkt. Nach langjährigerEhe lässt sie sich von ihrem Mannscheiden. Sie nennt diese Entscheidung„komisch“ und spricht davon,dass auch hier alles anders gekommenist, als sie geplant hat. Frau A.hat, wie sie sagt, eine selbstständigeErfahrung gemacht, die sie als bedeutenddafür angibt, dass sie sichmit ihrem Mann, „auseinander gelebt“hat. Selbständigkeit wird als hoherWert betont; gleichzeitig macht FrauA. die Polarisierung ihres Lebenszusammenhanges,vor allem Berufund Pflege, für das Scheitern ihrerEhe mitverantwortlich.„Ich denke, was bei mir anstehen würde,komischerweise, das ist also nach 33Jahren Ehe die Scheidung. Dass das wirklichganz anders alles gekommen ist beiuns, als ich es mir vorgestellt habe. Undvielleicht wäre das auch schon in der Zeitgekommen, als ich da diese selbstständigeLebenserfahrung gemacht habe. Jetzt istdas noch, man ist eben so lange verheiratet,aber irgendwo haben wir uns auseinandergelebt. Das ist im Moment so beimir.“Auf die Frage, welche Bedeutungdie Pflegebedürftigkeit der Mutterin diesem Zusammenhang hat,meint Frau A.: „Doch schon, dass dasdadurch forciert worden ist. Glaube schon.Ich glaube schon, das wäre ja nicht so gekommen.Als ich da gearbeitet habe unddas da noch nicht so extrem mit meinerMutter war, da war ja alles ganz gut. Nun,da hatte ich die Arbeit und hatte meineMutter und hatte überhaupt keine Zeitfür was anderes. Fand aber auch die Arbeitganz toll. (…) Ich war froh und mitallem zufrieden. Ich fand, es war schlimm,diese Wochenenden da zu sitzen. Vielleichthätte ich mich ja auch mehr bemühen könnenum meine Familie und die Kinder.Aber die waren ja nun alle aus dem Haus.Dass ich da sicherlich auch einen Fehlergemacht habe, denke ich mir. Aber ichhätte so für meinen Beruf alles aufgebenkönnen zu der Zeit. Ich denke, dass dannalles so zum Scheitern kam, dass sich dasso lange hingezogen hat (....). Das war dielange Zeit, (…) wo dann jeder so getrennteWege ging. Zu der Zeit ging das auchlos mit getrenntem Urlaub.“In diesem Erzählabschnitt benenntFrau A. eine Reihe von Faktoren.Zuerst verdeutlicht sie, dass diePflege der Mutter durchaus einenFaktor darstellt, der zur Scheidungvon ihrem Mann führt. Es gab offensichtlicheine Zeit, die Frau A.als „ganz gut“ bezeichnet, eine Zeit,in der die Vereinbarkeit zwischen<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200531


Katharina Gröning und Anne-Christin Kunstmanndem gewünschten modernen Lebenszusammenhangund der Pflegeder Mutter noch möglich war.Die Fürsorge für die Mutter beschleunigtanscheinend die Ablösungder Kinder. Frau A. spricht zunächstdavon, dass sie sich vielleichthätte mehr bemühen müssen um dieFamilie und die Kinder. Sie sagtdann aber deutlich, dass sie für ihrenBeruf zu dieser Zeit alles aufgegebenhätte. Der Beruf und dasStudium werden zur leitenden biografischenOrientierung: „Jetzt mitdem Studium und dann (…), ich arbeitetesehr viel(…). Und dass ich ja da jadoch schon meine eigenen Wege gehe. Ichmöchte halt unabhängig sein, ganz merkwürdig.Als die Kinder weggingen und seitmeine Mutter weg ist, sind da im Prinzipgar nicht mehr so viele. Dass ich nur fürmich zu leben bestimme.“Frau A. zeigt weiterhin auf, dasswährend der Fürsorge der altenMutter und obwohl diese in einemHeim versorgt worden ist, die Familie„ihre eigenen Wege geht“. Frau A. erlebtdas Zerbrechen ihrer Ehe alsZuwachs von Selbstbestimmung.Sie macht auch im letzten Abschnittihrer Erzählung deutlich, dass sie ineiner Ehe gelebt hat, die aus ihrerPerspektive patriarchalisch war.Während die Fürsorge für die Mutterdie Ablösung der Kinder anscheinendbeschleunigt, hat sie dieScheidung hinausgezögert. Allerdingsdeutet Frau A. an, dass ihreEhe nur noch formal bestanden hat.Frau A. zeigt keine Trauerreaktionen,kein Bedauern über die familialeEntwicklung. Sie übernimmtaber auch nicht die Verantwortungfür das Scheitern, sondern sprichtvon ihrer Scheidung als Konsequenzihrer eigenen Selbständigkeit.„Ich glaube, dass war schon ein Punktmit, als ich gemerkt habe, dadurch dassich nicht mehr bei meinem Mann beschäftigtwar, dass ich auch etwas selbstständigauf die Beine stellen konnte. Das kamdann halt dazu. Ja, durch die Pflege meinerMutter bin ich so ein paar Jahre zurückgeworfen,sonst wäre das vielleichtauch viel eher passiert mit meinem Mann.“An vielen Stellen <strong>des</strong> Interviewsbetont Frau B., wie viele andere pflegendeTöchter, Schwiegertöchterund Ehefrauen, die positive Bedeutungund die enorme Unterstützung,die sie in der eigenen Familieerfahren habe. Es ist sinnvoll, dieseAussage als Chiffre – ähnlich wie dieAussage: „Pflege ist für mich selbstverständlich“–, zu behandeln, weilsich hinter dieser Aussage völlig unterschiedlichefamiliale Wirklichkeitenund familiale Kulturen verbergenkönnen. Im Fall von Frau B. differenzierensich die Unterstützungsformenihrer Familie sehr stark nachdem Geschlecht. Während dieTochter von Frau B. zur Co-Pflegerinwird und ihrer Mutter praktischeHilfe und emotionale Unterstützunggewährt, bleibt der Sohn „Besucher“.Die Unterstützung durchden Ehemann zeigt sich währendverschiedener Passagen als durchausambivalent. Bei der Aufrechterhaltung<strong>des</strong> häuslichen Pflegearrangementswird die wichtige Rolle derTochter von Frau B. sehr deutlich.Die Tochter hilft auch in denschwierigsten und belastensten Pflegesituationen,ist während der urlaubsbedingtenAbwesenheit der ElternAnsprechpartnerin der Kurzzeitpflegeund hört ihrer Mutterkontinuierlich zu, wenn diese zurGefühlsverarbeitung jemanden benötigt,der Container- und Haltefunktionenübernimmt: „Meine Tochterist 20 Jahre alt. Sie studiert in B. Lehramt.Und – na ja, so in ihrer Pubertätsphasehat sie Oma sehr stark erlebt, auchso mit dem Einkoten in den Betten undauf den Boden. Also, wir mussten ihr vielerklären (…).“Frau B. berichtet, dass sie ihreTochter in ihre Überlegungen miteinbezieht. Sie übersetzt das Verhaltender demenzkranken Mutter bzw.Oma, was die Rolle der eigenenTochter als Co-Pflegerin aufbaut.Dass diese Rolle für die Tochterüberfordernd ist, erhöht den Druck,den Frau B. empfindet: „Meine Tochterhat psychisch darunter zu leiden. Eswaren ja Ekelsituationen: Meine Mutterzu finden, auf den Fußboden gekotet, denTeppich voll Kot und alles. Sie selbst mitKot eingeschmiert. Sie musste mir trotzdemhelfen, sie aufzuheben und zum Waschenzu bringen. Für so ein junges Mädchenist das nicht einfach, das zu verkraften,was sie da erlebt hat. Und auch dieSituationen, in denen ich aufgeregt vor demSchlafzimmer stand, während sie (dieMutter) mal wieder den Schlüssel nichtfand. Wir sagten, sie solle aufmachen. Undsie sagte: ‘Nein, hier sind so viele Sträucherund hier ist so viel Wald, ich muss daerst mal durch, ich komme gleich. (…)Das sind dann so Situationen, wo ich dannsehr aufgeregt war, wo sie mich eben indieser aufgeregten Situation erlebt hat.Auch, als die mich da das erste Mal bedrohthat und aggressiv war, das kriegtesie alles mit.“Die besondere Rolle der Tochterals Co-Pflegerin erstreckt sich nichtnur auf die praktische Ebene, auchwenn die Tochter hier aus Frau B.’sSicht unverzichtbar ist. Darüber hinauserzählt Frau B. ihrer Tochteraber auch sehr viel über sich, waseinerseits – positiv gewendet – einebesondere Nähe bewirkt. Andererseitsist nicht unproblematisch, dassdiese Nähe darüber geschaffen wird,dass die Tochter von Frau B. zur Zuhörerinoder, psychologisch ausgedrückt,zum psychischen Containerder Mutter wird: „Sie hat mich in jederSituation kennen gelernt. Ob ich nun geheulthabe oder ob ich mit den Nervenfertig war und nicht mehr konnte. Ob ichausgepowert war. (…) Einmal ist es (dieBeziehung zueinander) intensiver geworden.Aber die war eigentlich schon immergut. (…) Aber ich hab’ ja auch immermit ihr gesprochen, viel gesprochen. Manch-32


Verhaftung in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung am Beispiel der familialen Altenfürsorgemal sagte sie schon: ‘Mama, ich kann esnicht mehr hören.’“Nach dem Tod der Oma setzt dieTochter von Frau B. eine deutlicheGrenze und erklärt, dass dieser Teilihrer Biographie jetzt abgeschlossensei. Damit schützt sich die jungeFrau auch vor der Fortsetzung der„Rolle <strong>des</strong> Elternkin<strong>des</strong>“. Schütztsich vor der überfordernden Situation,weiterhin für die Gefühlsverarbeitungder Mutter zur Verfügungzu stehen, die starke Trauer empfindet.Sie schützt sich gleichzeitig auchvor eigenen Affekten – wahrscheinlichnicht nur der demenzkrankenGroßmutter gegenüber, sondern gegenüberihrer gesamten Familie:„Das war interessant (...). Sie hat zwarhinterher immer noch wieder geträumt.Aber nach der Beerdigung sagte sie zu mir:‘So, für mich ist das jetzt abgeschlossen.’Also, sie konnte das dann doch besser verarbeitenals ich. Ich hab’ noch immer wiedermal geheult und dann vor den Kinderngeweint. Und sie hat das Bedürfnisnicht mehr so gehabt. Ich habe gelesen, dassjunge Menschen so schwere Eingriffe dochanders verarbeiten können als ältere Menschen.(…) Ich weiß nicht, ob sie das verlagern,wegdrängen oder ob sie das verarbeiten.Aber sie sagte also, mit der Beerdigungwäre für sie Schluss, so im Bewusstsein.Aber im Unterbewusstsein hat sie jaimmer wieder geträumt.“Betrachtet man das Rollenarrangementin der Familie B. genauer,dann zeigt sich innerhalb der traditionellenFamilienkultur eine besondereGeschlechterkultur. ZwischenFrau B. und ihrer Tochter entstehteine besondere Nähe. Frau B. dürftediese Kultur der Frauen bereitsaus ihrer eigenen Lebensgeschichtekennen, denn sie berichtet, dass siezwei Jahre zusammen mit ihrer Mutterden Vater gepflegt hat. Die Traditionder „lebensstarken Frauen“ist also in ihrer Familienmatrix verankert.In der Familienkultur der FamilieB. scheint die „Kategorie Geschlecht“leitend für Erwartungenin Bezug auf die innerfamiliale Solidaritätund Kameradschaft zu sein.Der Sohn von Frau B. wie auch ihrEhemann sind durch die demenzkrankeGroßmutter weniger berührt.Allerdings stellt sich die Rolle vonHerrn B. widersprüchlich dar. FrauB. betont einerseits seine Solidaritätund Unterstützung, um späteräußerst ambivalente Verhaltensweisenzu schildern. Gefragt, wie dieUnterstützung seitens <strong>des</strong> Ehemannesaussah, beschreibt sie: „Ja, zuerstin vielen Gesprächen. Also, das kommtja auch dazu, dass man so belastet vonsolchen Situationen ist, dass man sich überandere Dinge gar nicht mehr unterhält.Man unterhält sich den ganzen Tag nurnoch über die Probleme (…). Es bröckeltalles weg. Und dann hat er mich in jederBeziehung unterstützt, bei irgendwelchenWegen. Das war schon gut. Ich weiß garnicht, wenn ich alleine gewesen wäre, wasgeschehen wäre. Dann wäre sie doch wohlins Heim gekommen. Und dann hättenmeine Brüder auch nicht so viel Geld gesehen.Aber das wird nicht anerkannt.“Frau B. schildert hier zunächstvor allem die Unterstützung seitens<strong>des</strong> Ehemannes. Sie stellt dann aberfest: „Ich hätte es noch geschafft, wennich alleine gelebt hätte. Aber mein Mannkonnte bald nicht mehr. Der sagte: ‘Ichkann das nicht, mit Beruf und hier je<strong>des</strong>Wochenende das Theater.’ (…) Der fandkeinen Ausgleich. Und das ist so… Siemüssen sich vorstellen, Sie stehen zwischenmehreren Problemfeldern. (…) Sie versuchenda auszugleichen und versuchen daauszugleichen. Sie stehen immer dazwischen.Und dann sind da noch die Kinderund da versuchen Sie auch noch zu vermitteln.Sie sind ja so ein Punkt, der nachallen Seiten versucht, das Beste zu machen,damit es irgendwie geschafft wird,damit der Tag geschafft wird. So müssenSie sich das vorstellen. Das war traurig,aber wir waren auch nicht mehr dieselben.“Frau B. schildert hier, dass sie indie Rolle der Vermittlerin, <strong>des</strong> Verbindungsglie<strong>des</strong>der Familie kommt.Sie ist nicht nur diejenige, die diePflege meistert, sondern muss siezusätzlich auch legitimieren. Siesteckt einerseits in der Regressionmit ihrer Mutter und soll andererseits– ihrer Mutterrolle entsprechend– die anderen Familienmitgliederhalten. Insofern ist Frau B.die Rolle einer Empfängerin vonFürsorge weitgehend verwehrt. Un<strong>des</strong> gibt einen Mann, dem es „bisoben“ steht. Dies wird deutlich, alsFrau B. von Situationen erzählt, indenen sie überlegt hat, die Pflege abzugeben:„Ganz zum Schluss war einPunkt erreicht, wo ich nicht mehr umhingekommen wäre, sie abgeben zu müssen.Ich wollte es eigentlich immer noch durchhalten,aber ich hätte es nicht mehr geschafftund mein Mann hatte auch langsamgenug. Denn durch so einen Pflegefalltreten Situationen, Differenzen, Problemeim Partnerschaftsverhältnis auf. Dashat jetzt nichts damit zu tun, dass er michnicht unterstützt hätte, aber er hat gesagt…Ihm stand es hier (zeigt zumHals). Denn er ist beruflich sehr eingespanntund wenn er nach Hause kommtund will sich mal entspannen, war dasnicht möglich. (…) Also, meine eigeneWelt, meine Person habe ich ganz zurückgeschraubt.Die existierte gar nicht mehr.Die ganze Zeit war ich nur für sie da undfür die Familie noch.“Fazit: Wertschätzung derFürsorgeDer demografische Wandel wirdeine neue Auseinandersetzung mitweiblicher Fürsorge nötig machen.Aufgezeigt werden konnte, dass dieEntwertung der Fürsorge, ihre Definitionals Natur und damit Unsichtbarkeitin ähnliche Dilemmata führtwie die aktive Geringschätzung derFürsorge und die Ausrichtung aufdie vermeintlich bessere Alternative– Beruf, Karriere und Selbständigkeit.Die vollständige Entwer-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200533


Katharina Gröning und Anne-Christin Kunstmanntung der Fürsorge stellt ein ähnlichesProblem dar, wie die traditionelleDefinition der Fürsorge undPflege als „Frauensache“. Der demografischeWandel fordert vonden Generationen die Bewältigungvon Entwicklungsaufgaben im Sinneder Generativität Eriksons (1981,1988), er erfordert aber auch, dassdie Gesellschaft lernen muss, mitdem fremden und dem anderen Alter,mit den Lasten umzugehen,wenn sie sich nicht dehumansierenwill. Moderne Alternstheorien der„souveräneren Seniorität“ taugenfür den Strukturwandel <strong>des</strong> Altersebenso wenig wie das klassische Bildder Geborgenheit in der Familie.Schließlich zeigen beide Geschichten,dass es „ohne Männer“, im Sinnevon Anerkennung und Partnerschaftlichkeitangesichts der Generationenverantwortung,nicht geht.Der demografische Wandel ist eineHerausforderung für die Geschlechterdemokratie.Wenn ein alterMensch in der Familie oder imeigenen Haushalt versorgt wird, sindklassische, der Frauenrolle zugewiesenefürsorgliche Funktionen neuzu verteilen.Literatur:Blenkner, M.: Social work und familyrelations in later life with somethoughts of filial maturity, in: Shanas,E./Streib, G. F. (Eds.): Social Structureand the family: Generationalrelations, Englewood Cliffs 1965.Erikson, E.H.: Der vollständige Lebenszyklus,Frankfurt a.M. 1988.Erikson, E.H.: Identität und Lebenszyklus,Frankfurt a.M. 1981.Gröning, K./Kunstmann, A.-C./Rensing,E.: Handbuch: Häusliche Pflegeim Blick, 2005. (Erscheint in Kürze)Gröning, K./Kunstmann, A.-C./Rensing,E.: In guten wie in schlechtenTagen. Konfliktfelder in der häuslichenPflege, Frankfurt a.M. 2004.Schultheis, F.: Genealogie und Moral:Familie und Staat als Faktoren derGenerationsbeziehungen, in: Lüscher,K./Schultheis, F. (Hrsg.):Generationsbeziehungen in „postmodernen“Gesellschaften, Konstanz1993.Prof. Dr. Katharina GröningDipl. Päd. Anne-Christin KunstmannUniversität Bielefeld, Fakultät fürPädagogik, AG 7: PädagogischeDiagnose und BeratungPostfach 10 01 31, 33501 BielefeldEmail: katharina.groening@unibielefeld.deEmail: anne-christine.kunstmann@unibielefeld.de34


Männerbündisches Management – Verbündete ManagerDoris DopplerMännerbündisches Management – VerbündeteManagerDer Männerbund als komplexer Schließungsmechanismus im organisationalenManagementDas Management – ein Männerbund? Auf den ersten Blick ist diese verkürzende Charakterisierung durchaus zutreffend.Denn männliche Netzwerke und Seilschaften erschweren weiblichen Führungskräften den Zugang zu (Top)Managementpositionen.Doch was bedeutet eigentlich „männerbündisch“? Dieser Frage kann man sich nur interdisziplinärannähern. Deshalb beschäftigt sich dieser Artikel zunächst mit soziobiologischen, psychologischen, soziologischen undethnologischen Erkenntnissen zum Männerbund-Phänomen. Ergänzend wird der Männerbund als deutsches Kulturphänomendargestellt. Aus dieser fächerübergreifenden Annäherung ergeben sich bündische Charakteristika wie Hierarchie,Initiation oder die Inszenierung von männlicher Autonomie. Anhand dieser Indikatoren wird untersucht, inwieweitIst das Management ein Männerbund?Anscheinend ja. Denn vielesdeutet darauf hin, dass sich Managerbündisch verhalten. Es gibt genügendBerichte über Seilschaftenund Netzwerke, über geheime Absprachenund geschlossene Zirkel,die sich hinter verschlossenen Türengegenseitig Vorteile zuspielenund Frauen ausschließen.Aber ist es wirklich so einfach?Genügen schon ein paar Hinweise,um die Gleichung „Management =Männerbund“ zu bestätigen? Ichdenke, nein. Dennoch ist der Männerbundzu einem medienwirksamenBegriff geworden, mit demsich scheinbar fundiert die „Bündelei“und „Klüngelei“ von männlichenFührungskräften beschreibenund analysieren lässt. Dabei ist derTerminus „Männerbund“ zu einemSchlagwort verkommen, das meistenthistorisierend und unreflektiertverwendet wird. Das gilt besonders,wenn von den „Frauen im Männerbund“die Rede ist. Sie werden alsOpfer von bündischen Strukturenbeschrieben, gegen die sie nichtsausrichten können. Hier wird derMännerbund-Begriff schnell zu einerfeministischen Worthülse, zueinem bloßen Symbol für männlicheDiskriminierungsstrategien.Deshalb müssen zunächst eineReihe von Fragen geklärt werden,bevor das organisationale Management– jenseits von schlagwortartigenCharakterisierungen – als männerbündischeStruktur bezeichnetwerden kann: Was bewegt Männerdazu, sich in Bünden zusammen zuschließen? Was verbindet sie miteinander?Welche Ziele verfolgensie? Warum exkludieren sie Frauenund nicht-hegemoniale Männlichkeiten?Wie gehen sie dabei vor?Wie weit ist den Bund-Mitgliedernihr diskriminieren<strong>des</strong> Verhalten bewusst?Wie sieht ihr Selbstbild aus?Welche Rolle spielen Männlichkeits-Konstruktionen? Und weiter: Lassensich im organisationalen Führungsbereichbündische Strukturenidentifizieren? Welche Muster undMechanismen zeigen sich? WelcheFunktionen kommen diesen männerbündischenStrukturen zu?Berücksichtigt man diese Fragestellungen,erweist sich das Männerbund-Konzeptals ein wirksames Instrument,um zu einem umfassenderenVerständnis von geschlechtshierarchischeninformellen Führungsstrukturenzu gelangen. Außerdembietet es die Möglichkeit,„Männlichkeit und Männer zumGegenstand der Forschung zu machen,um nicht aufs Neue Männlichkeitzum unhinterfragten Ausgangspunktund Frauen zum ‚Problemfall’zu machen“ (Rastetter 1994, S.236). Das analytische Potenzial <strong>des</strong>Männerbund-Konzepts fassen StephanHöyng und Ralf Puchert(1998) wie folgt zusammen: „DerErklärungsansatz, in Verwaltungenund Organisationen dominiertenpatriarchale, männerbündische Kulturen,ermöglicht es, Zusammenhängevon Emotionen und Strukturen,formellen und informellenStrukturen, Motiven und Formenvon Geschlechterhierarchien zu verdeutlichen“(ebd., S. 176).1. Der Männerbund – interdisziplinärbetrachtetEva Kreisky (2004) stellt in Bezugauf das Männerbündische fest:„Der Begriff suggeriert Klarheit,schafft Vertrauen, wo wir eigentlichnoch sehr im Dunkeln tappen.“(ebd., S. 43) Deshalb ist zunächsteine interdisziplinäre Aufarbeitung<strong>des</strong> Männerbund-Phänomens not-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200535


Doris Dopplerwendig. Ethnologische, soziologische,psychologische und soziobiologischeErkenntnisse müssen zusammengeführtund durch eine kulturhistorischeVerortung ergänztwerden. Nur dadurch erhält man jenegrundlegenden Hinweise aufmännerbündische Strukturen, Wirkungenund Funktionen, die zurIdentifizierung von bündischenMustern in verschiedenen Kontexten– beispielsweise in der Politikoder Wirtschaft – verwendet werdenkönnen.1.1 Kulturhistorische HintergründeIn kulturhistorischer Hinsicht zeigtsich der Männerbund als Phänomen,das vor allem im deutschenRaum ab Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhundertsgesellschaftlich bestimmendwar. „Germany was covered by awhole network of mostly middleclassor lower-middle-class maleassociations.“ (Mosse 1996, S. 143)Diese männerbündische Ideologieging einher mit einem ausgeprägtenAntifeminismus, der unter anderemvon wissenschaftlicher Seite untermauertwurde. So sprach etwa derEthnologe Heinrich Schurtz (1902),der das Männerbund-Konzept entwickeltund in den wissenschaftlichöffentlichenDiskurs eingeführt hatte,den Frauen die „Bundfähigkeit“ab und erklärte die Männerverbändezu den „eigentlichen Trägern fast allerhöheren gesellschaftlichen Entwicklung“(ebd., S. V). Hans Blüherwiederum, ein einflussreicher Laienanalytiker,betonte den mannmännlichenEros im Männerbundund rief damit sowohl begeistertenZuspruch als auch heftigen Widerstandhervor (vgl. dazu exemplarischBlüher 1918). Und schließlicherhoben auch Wissenschaftler <strong>des</strong>nationalsozialistischen Regimes denMännerbund zu einer superiorenGemeinschaftsform. So forderte etwader Philosoph und NS-IdeologeAlfred Baeumler, sich auf denMännerbund der Frühzeit zu besinnenund so den Weg vom Bund zumStaat zu finden (vgl. Baeumler 1934,S. 33). Die Bund-Idee wurde damitbewusst eingesetzt, instrumentalisiertund als strukturbildende Kategoriegenutzt.Bei dieser historischen Verortungzeigt sich, dass die verunsicherndenPhänomene der beginnenden Modernewie etwa neue Arbeitsformen,neue Familienmuster oder die Frauenemanzipationdie traditionellepatriarchale Männlichkeit erschütterthaben. Dementsprechend attraktivwaren bündische Formationen.Vor allem das aufbrechendeGeschlechterverhältnis dürfte dazubeigetragen haben, dass Männerbündeals neue subtile Ausschließungsstrategieneingesetzt wurden.Sie waren die Antwort sowohl aufdie zunehmende rechtlich-wirtschaftlicheGleichstellung der Frauals auch auf die damit verbundenenaufbrechenden Ängste und psychosozialenVerunsicherungen aufMännerseite.1.2 Der Bund in dersoziobiologischen PerspektiveDie Soziobiologie geht davon aus,dass sich Männerbünde <strong>des</strong>halb entwickelthaben und immer noch fortbestehen,weil sie zum Reproduktionserfolgder menschlichen Genebeitragen (vgl. z.B. Tiger 1972 sowieFukuyama 1998). Männerbündebringen also evolutionäre Vorteilemit sich, sie fördern die Genverbreitungihrer Mitglieder undsind <strong>des</strong>halb universell verbreitet.Aus Sicht der Soziobiologen hatsich für die Frühmenschen das„Bündische“ als effiziente Anpassungsstrategiean ökologische Gegebenheitenerwiesen und ist <strong>des</strong>halbin das menschliche Erbgut eingegangen.Man vermutet sogar, dassdie männerbündische Dispositionbereits in unseren prähumanen Vorfahrenangelegt war und sich mitdem Einsetzen der jagdlichen Tätigkeitintensiviert hat. Die mannmännlicheBindung ermöglichte eineeffiziente Versorgung mit Fleischund erleichterte die Ressourcenkontrolle.Es entstand ein männerbündisch-patriarchalerKreislauf, dervon den Frauen unterstützt wurdeund – in der soziobiologischen Auffassung– die bestmögliche Basis füreine erfolgreiche Gen-Reproduktionbildete.1.3 Psychologische ÜberlegungenNach ethnopsychoanalytischer Auffassungkompensieren Männerbündeden männlichen Gebärneid (vgl.z.B. Erdheim/Hug 1990. Sie verdrängen,dass Mann und Fraugleichwertig sind, und zielen auf einemännliche Herrschaft und Autonomieab. Letztere beweist der Bundmit ritualisierter Homosexualitätund nachgeahmten Geburtsvorgängen.Diese Praktiken hält man vorden Frauen geheim. Damit soll derGesellschaft vermittelt werden, dasssich Männer auch ohne weiblicheBeteiligung fortpflanzen können.Auf der Ebene der mann-männlichenBindung erfüllt der Männerbundeinige emotionale Bedürfnisse,die sich durchaus widersprechenkönnen. Kameradschaft, Homoerotikund Homophobie formen einfunktionales Geflecht, das sowohlmann-männliche Nähe als auchidentitätsschützende Abgrenzungenbeinhaltet. Im Bund finden dieMänner den gewünschten kameradschaftlichenUmgang, der distanzierterals eine intime, selbstoffenbareFreundschaft verläuft und dadurchnicht identitätsbedrohend ist.Außerdem schützt diese „distanzierteNähe“ vor einem Abgleiten in eineunerwünschte Homosexualität.36


Männerbündisches Management – Verbündete ManagerDiese wird gleichzeitig durch eineoft überdurchschnittliche Homophobieebenso kompensiert wiedurch Sexualrestriktionen oder ritualisierteHomosexualität. Dennochsind Männerbünde für gleichgeschlechtlichorientierte Männer anziehend,ebenso wird der mannmännlicheEros in manchen Bündenals „bündische Essenz“ verklärt.1.4 Soziologische ZugängeBetrachtet man den Männerbundaus dem Blickwinkel der sozialenSchließung, dann erscheint er alsstrategische Einrichtung mit klarenAußengrenzen, die sich Ressourcenaneignet, sichert und konkurrierendeGruppen abwehrt (vgl. zumSchließungskonzept z.B. Cyba1995). Damit dienen homosozialeBünde der Ressourcen- und Herrschaftssicherung.Der Männerbundsetzt fest, wer aufgenommen undwer ausgeschlossen wird. Er bemühtsich um eine gewissenhafteMitgliederauswahl und gewährleistetdamit die exklusive Ausrichtungder Gemeinschaft. Gleichzeitig istder Bund daran interessiert, dassausgeschlossene Gruppen unorganisiertbleiben und damit eine solidarischeGegenwehr unwahrscheinlichbleibt.Darüber hinaus erweisen sichMännerbünde als veränderungsresistenteZufluchtsorte. Diese Funktionist vor allem in Zeiten von sozialen,wirtschaftlichen oder politischenUmbrüchen bedeutend. HomosozialeGemeinschaften werdenbeispielsweise immer dann interessant,wenn traditionelle Männlichkeitsmusterin Frage gestellt werden,wenn neue Arbeitsanforderungenzu beruflicher Unsicherheit führenoder wenn neue familiäre Rollenübernommen werden müssen.Dann suchen und finden die Männerunter ihresgleichen Bestätigung,sie fühlen sich von Veränderungszwängenbefreit und können ihrenpatriarchalen Habitus ausleben. DerMännerbund wird so zum diskursfreienHabitat (vgl. dazu Meuser1998).1.5 Die ethnologische PerspektiveDas Phänomen <strong>des</strong> Männerbun<strong>des</strong>ist in den verschiedensten Kulturenanzutreffen (vgl. Völger/Welck1990). Auch wenn der Bund in seinenjeweiligen Ausprägungen variiert,gibt es einige kulturübergreifendeMerkmale: Die Mitglieder sondernsich von den Frauen ab, sie verteidigengeheimes Wissen, führenteils dramatische Aufnahmeritualedurch und eignen sich politischeund ökonomische Schlüsselfunktionenan. Dadurch wird der homosozialeZusammenhalt gefestigt, dieStabilität der männerbündischenInstitution wird gesichert.Der Männerbund kann die gesamtestammesgesellschaftlicheStruktur bestimmen, indem er zentralesoziale Funktionen übernimmt.Eine davon ist die Initiation,bei der sich alle Knaben einesbestimmten Alters den oft schmerzhaftenReifeweihen unterziehenmüssen. Sie werden von der mütterlichenUmgebung getrennt undwechseln in die männliche Sphäre.Erst mit der Initiation werden siezu „echten Männern“. Ab nun tragensie dazu bei, dass patriarchaleStrukturen reproduziert werden. AlsBund-Mitglieder betonen sie zudemdie männliche Autonomie, indemsie weibliche physiologische Fähigkeitennachahmen, etwa durch Blutflussrituale.1.6 Bündische IndikatorenAus diesen interdisziplinären Betrachtungenergeben sich spezifischeElemente und Charakteristika,die den Männerbund ausmachen.Es handelt sich dabei um bestimmteMerkmale (Ambivalenz von Näheund Distanz, Initiation, Abgrenzunggegenüber Alltagswelt), Strukturenund Strategien (Hierarchie, Gegensatzvon Männerbund und Familie,Abwehr und Abwertung <strong>des</strong> Weiblichen,Ausschluss von Frauen undmarginalisierten Männlichkeiten)und Funktionen (Stabilisierung, Inszenierungvon männlicher Autonomie,Herrschaftsausübung, Reproduktionserfolg).Sie erschließen dasPhänomen Männerbund auf verschiedenenDimensionen und dienenals Indikatoren.2. Männerbündische Charakteristikaim ManagementInwieweit lässt sich nun das organisationaleManagement als männerbündischeStruktur interpretieren?Finden sich bündische Muster, dieerklären, warum sich das (Top)Managementderart gleichstellungsresistentzeigt? Welche gegenwärtigengesellschaftlichen Strömungen begünstigenbeziehungsweise verhinderneine zunehmende Öffnung gegenüberweiblichen Führungskräften?Diese Fragen lassen sich beantworten,wenn man die allgemeinenmännerbündischen Indikatoren als„interdisziplinäres Destillat“ mitden aktuellen Erkenntnissen zur geschlechtsabhängigenStrukturierung<strong>des</strong> Managements verknüpft. Bereitsbekannte Konzepte wie etwader interne Ausschluss von Managerinnenerscheinen dabei in einemneuen Licht, neue Zusammenhängeund Wechselwirkungen entstehen.2.1 Ambivalenz von Nähe undDistanzIn Männerbünden lassen sich sowohlAnziehung als auch Abstoßungzwischen den Mitgliedern beobachten.Dabei herrscht grundsätz-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200537


Doris Dopplerlich eine nicht-intime Nähe vor. Enge,selbstenthüllende Freundschaftenwerden innerhalb <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>nicht angestrebt, es geht eher umdie kameradschaftliche Verbundenheitzum „generalisierten Anderen“.Unterstützt wird diese unspezifischeKameradschaft von einem regelbetontenZusammenleben, von hierarchischenStrukturen und einer absorbierendenideologischen Zielsetzung.Diese Konstellation erleichtert esden Bund-Mitgliedern, ihre Ich-Grenzen zu schützen. Außerdemwirkt dieser bündische Zusammenhaltmanifesten homoerotischenBestrebungen entgegen, die „aufweichend“und „zersetzend“, alsogemeinschaftsgefährdend wirkenkönnten. Gleichgeschlechtliches Begehrenund homophobe Ablehnungmüssen ausbalanciert werden, gemäßdem Motto: Männerliebe ja,Homosexualität nein. Dafür bedientsich der Männerbund bestimmtenRegelungen, die die stets vorhandeneHomoerotik kanalisieren. Eshandelt sich dabei beispielsweise umrituelle homosexuelle Praktikenoder zölibatäre Restriktionen. DasselbeZiel wird auch mit einer homophobenAusrichtung erreicht. Sieunterbindet interne Homoerotikund verstärkt die bündische Kohäsion,indem sie das „verweiblichte“Homosexuelle im Außen bekämpft.Auch im Management befindensich die Männer in einem verwirrendenNebeneinander von widersprüchlichenemotionalen Anziehungs-und Abstoßungskräften.„Organisation sexuality is for mencharacteristically a mixture of homosociability,latent homosexuality,homophobia and heterosexual phallocentrism,given structured form.“(Hearn/Parkin 1987, S. 158)Grundsätzlich wird von Managerngefordert, dass sie sich entsprechendder heterosexuellen Matrixverhalten. Das heißt, männlicheFührungskräfte haben (im Optimalfall)eine Familie vorzuweisen; eswird von ihnen implizit erwartet,dass sie sich an Frauen abwertendenund sexualisierenden Gesprächenbeteiligen und dass sie Homosexuellengegenüber eine distanziertebis diskriminierende Einstellungzeigen.Allerdings gibt es in Organisationendurchaus Subtexte, die dieseZwangsheterosexualität konterkarieren.Dazu gehört jene mannmännlicheAnziehung, die sich wederals rein sozial noch als homosexuell,sondern als eine Art „erotischerEnergie“ charakterisierenlässt. Diese gegenseitige Attraktionwird jedoch in der OrganisationsundFührungsforschung kaum thematisiert.Laut Michael Roper(1996) dominiert hier immer nochdie Auffassung, „that sexual <strong>des</strong>ireis ubiquitous between women andmen, but not between formally heterosexualmen“ (ebd., S. 222). Dererotische Gehalt <strong>des</strong> „men’s club“wird ausgeklammert.Dabei gibt es einige Aspekte, dieeine homoerotische Affektivität imFührungsbereich fördern: EnergetisierendeAufgaben verbinden dieMitglieder; emotionale Gemeinschaftserlebnisseschaffen eineForm von „erotischer Aura“; zwischenÄlteren und Jüngeren, zwischenMentoren und Mentees findetein intensiver Austausch statt.Die emotionale Intensität lässt sichzudem gegenüber Außenstehendenleicht mit Sachzwängen begründen,wird dadurch sozial akzeptiert undlässt zugleich die affektive Anziehungskraftvon Privatleben und Familieverblassen.Als ein Indikator für latent vorhandenehomoerotische Strömungenlässt sich eine organisationaleHomophobie werten. Doch vor allemdient diese – wie im Männerbund– dazu, den heterosexuellenRahmen abzustecken, innerhalb<strong>des</strong>sen homosexuelle Anspielungenbis hin zu (ritueller) körperlicherNähe erlaubt sind. Sie verhindert Irritationen,indem sie heterosexuelleNormen bestätigt und festschreibt.Jene, die die strikten organisationalenhierarchischen und diskriminatorischenEinteilungen mitabweichenden sexuellen Orientierungenbedrohen und durchbrechenwürden, werden abgewehrt.Außerdem darf die bündische Gemeinschaftnicht zulassen, dass dieGrenze zwischen ihrem hegemonialenMännlichkeitsbild und anderenMännlichkeiten verwischt wird.2.2 InitiationInitiationsrituale spielen eine großeRolle bei Männerbünden. Sie erleichterndie Statuspassage sowohlbeim neuen Mitglied als auch bei deraufnehmenden Gruppe. DieseÜbergangsriten erfüllen eine „individuelleund kollektive Vergewisserungs-und Vergemeinschaftungsfunktion“(Rüegg-Stürm/Gritsch2001, S. 13; Hervorhebung im Original).Und sie übernehmen auch eineintegrierende Funktion, indemsie beispielsweise geheimes Wissenübermitteln. Dadurch gleichen siedie kognitiven Ressourcen <strong>des</strong> Aufgenommenenund der Aufnehmendenan und stellen zugleich einMachtgefälle zwischen Bundmitgliedernund Außenstehenden her.Auch die Organisation wendetEinführungsriten für neue Mitgliederan. In teils schikanösen Praktikenwird der Neue geprüft undgleichzeitig diszipliniert, es werdenihm die unternehmenskulturellenWerte eingeschrieben. Für Aufnahmeritenin das organisationale Managementgilt: Je exklusiver die aufnehmendeGemeinschaft ist, umsohärter und langwieriger ist die Initiationsprozedur.Dadurch wird die38


Männerbündisches Management – Verbündete ManagerGruppenmitgliedschaft erstrebenswert.Als solche erschwerten Zugängezum Management lassen sichTraineeships deuten, während denensich die Nachwuchskräfte ineinem Übergangszustand zwischenUniversitätsabsolvent und Führungskraftbefinden. In dieser Zeitsind sie erheblichen Statusunsicherheitenund -widersprüchen ausgesetzt,sie fühlen sich „betwixt andbetween“. Auch Assessment Centerlassen sich als unternehmerischerPrüfungsritus betrachten. Der „Novize“weiß nicht, was ihm währenddieser „Initiationsprüfung“ bevorsteht.Er wird von den älteren Unternehmensmitgliedernbegutachtetund beurteilt, er fühlt sich unsicherund ausgeliefert.Dass die Organisation für ihrenManagementnachwuchs eigene Einführungsritualewie Traineeshipsund Assessment Center einrichtet,zeigt, dass der Führungskader überdurchschnittlichwichtig für das Unternehmenist. Diese Rituale solleneine unerschütterliche Vergemeinschaftung<strong>des</strong> Managements im Sinneder Organisation sicherstellen.Die Aufnahmeregelungen geltenallerdings für Männer wie Frauen –es ist also irreführend, wenn mandie Eintrittsrituale für Management-Kandidaten als eindeutiges Merkmalvon männerbündischen Führungsstrukturenklassifiziert. Erst wennman den Geschlechteraspekt hinzunimmtund ihn mit dem bündischenCharakter <strong>des</strong> Managements verbindet,lässt sich von männerbündischenEinführungsprozeduren sprechen.Natasha Josefowitz und HermanGadon (1998) konnten in ihren Studienzu Initiationsritualen am Arbeitsplatzfeststellen: „The more theperson differs from the majority, thegreater the need to test for compatibilityand reliability.“ (ebd., o. S.).Demnach werden Frauen und marginalisierteMännlichkeiten andersinitiiert als jene Männer, die den hegemonialenGruppennormen entsprechen.Ein farbiger Nachwuchsmanagerkann <strong>des</strong>halb länger undpeinigender geprüft werden als seineweißen Mitbewerber. Oftmalsfehlen aber auch passende Riten fürabweichende Neulinge. So kann espassieren, dass eine Frau nicht initiiertwird, weil man die entsprechendenRiten als zu harsch oder demütigendbetrachtet. Damit kann sichaber der weibliche Neuling nicht beweisenund bleibt innerhalb derGruppe ausgeschlossen. 1Man kann davon ausgehen, dasssolche geschlechtsabhängigen Faktorenin der Führungsebene verstärktanzutreffen sind. Denn sie istnach wie vor eine Männerdomäne,verfügt über organisationalen undgesellschaftlichen Status, ist ausbildungstechnischrelativ homogenund vertritt überwiegend eine hegemonialeMännlichkeit. Deshalb reagiertdas Management als männerbündischeGruppe sensibel auf„Abweichler“ wie etwa weiblicheAufnahmekandidaten und initiiertsie unterschiedlich beziehungsweisegar nicht.2.3 Abgrenzung gegenüberAlltagsweltMännerbünde versuchen, sich gegenübereiner profanen Alltagsweltabzugrenzen. Sie sorgen für ein geschlossenesAuftreten und eine beeindruckendeAußendarstellung.Genährt wird das elitäre bündischeBewusstsein durch symbolträchtigeRituale, exklusives Wissen und einemachtvoll-esoterische Aura. Darausergibt sich jene „starke, glänzendeAusstrahlung […], die Mitgliederebenso wie Außenstehende blendet“(Höyng/Puchert 1998, S. 156).Damit sich das Top-Managementals unverwundbare Gemeinschaftdarstellen kann, die über den operationalenNiederungen der Werkshallensteht, braucht es ein klugesEindrucksmanagement. Dazu gehörtzunächst eine sorgfältig ausgewählteKleidung. Sie hat nicht nurfunktionellen Charakter, sonderninformiert über hierarchische Position,Status und Selbstbild. Im Fallder – meist männlichen Führungskräfte– wird sowohl das Mann-Seinals auch das Manager-Sein symbolisiert.Diese doppelte Zugehörigkeitzu Machtgruppen verlangt dasstrikte Einhalten eines dressco<strong>des</strong>.Nur so kann der Manager vermitteln,dass er nüchtern, diszipliniertund verantwortungsvoll ist und zur„modernen Priesterschaft <strong>des</strong> Kapitalsgehört.Nicht nur die Umhüllung <strong>des</strong>Körpers, auch der Körper selbstwird zum Gegenstand <strong>des</strong> „impressionmanagement“. Auch er musshergerichtet werden, muss sichtbargesund und trainiert sein. Wenn nötig,wird er mit chirurgischer Hilfegeformt. Dass sich Manager ständigals leistungsstarke Helden verkaufenmüssen, verlangt allerdingsden Raubbau am eigenen Körperund der eigenen Psyche. Dennochwollen sich Führungskräfte mit diesenProblemen nicht beschäftigen,sie sind „begnadete Verdränger“(Thierfelder 2002, S. 439).Zu den männerbündischenÜberlegenheitsstrategien gehörtauch, dass (vermeintliches) Geheimwissengeschaffen und kultiviertwird. Auf welcher (informellen)Stufe <strong>des</strong> Führungsbereiches einManager angesiedelt ist, erkenntman daran, welche Zugangsco<strong>des</strong>,vertrauliche Akten oder Schlüsselihm ausgehändigt werden. Dass dieMachtelite über geheime <strong>Info</strong>rmationenverfügt, die sie nur unter ihresgleichenweitergibt, demonstriert sieauch mittels konspirativer Treffenin teuren, abgeschiedenen Tagungshotels.Thomas Sheppard geht allerdingsdavon aus, dass bei diesen<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200539


Doris Dopplerorganisationalen Geheimnissen eintypisch männerbündisches Eindrucksmanagementüberwiegt:„Their only real purpose is to legitimizethe subjective social and organizationaldistance that membersof the inner circle demand from thenonmembers.“ (Sheppard 1989, zit.nach Rastetter 1994, S. 261f.).2.4 HierarchieMännerbünde verfügen oft über eineausgesprochen hierarchischeBinnenstruktur. Der Aufstieg in diehöhere Altersklasse oder zum nächstenFreimaurergrad ist genau geregelt.Wer aufsteigt, erlangt einen besserenStatus und mehr Ressourcen.Davor muss er sich jedoch loyal zeigenund sich immer wieder prüfenlassen.Dasselbe hierarchische Systemfindet sich in Organisationen. Esverbindet die kapitalistische Effizienzforderungmit der patriarchalenGehorsamsforderung (vgl. Neuberger2002, S. 811). Und es gehtmit einem immer noch gültigen Anciennitätsprinzipeinher. „Deshalbfinden wir auch in den heutigen modernenGroßorganisationen […]fast ausnahmslos Patriarchen, alteMänner an der Spitze“ (Höyng/Puchert1998, S. 166).In Hierarchien muss um die bestenPositionen gekämpft werden. Esherrschen also Rivalität und Auseinandersetzungenvor – das sindSpannungen, die kanalisiert werdenmüssen. Andernfalls riskiert manden Zerfall der bündischen Gemeinschaft.Wie in Männerbündenwird <strong>des</strong>halb auch in unternehmerischenStrukturen die interne Konkurrenzkodifiziert und ritualisiert.Man einigt sich auf gewisse Spielregelnund eine bestimmte Streitkultur.Auch wie Kämpfe ablaufen undwie sie beendet werden, ist normiert.Damit wird der bündischeWettbewerb so gestaltet, dass ernach außen kaum wahrnehmbar istund der Organisation nicht übermäßigschadet (vgl. dazu Höyng/Puchert 1998).Oft werden auch äußere Feindekonstruiert und bekämpft, um voninternen Zwistigkeiten abzulenken.Solche externen Bedrohungen könnenin konkurrierenden Unternehmenaber auch beispielsweise inweiblichen Kollegen gesucht undgefunden werden. Und schließlichlässt sich bündische Konkurrenz<strong>des</strong>halb relativ leicht handhaben,weil die Mitglieder eher kameradschaftlichals freundschaftlich miteinanderverbunden sind. So kannder Bund auch feindliche Rivalitätenintegrieren, ohne seinen Zusammenbruchherbeizuführen.2.5 Gegensatz von Männerbundund FamilieMännerbünde grenzen sich von derfamiliären Sphäre ab – emotional,zeitlich, örtlich. In Männerhäusernund Logen treffen sich die Mitgliederfernab von „Haus und Herd“.Hier bauen sie mann-männlicheBindungen auf, hier tauschen siesich über jene Themen aus, die inihrer Wertigkeit über familiären Inhaltenstehen: Politik, Krieg, Wissenschaft,Kunst, Religion. DerMännerbund wird als Gegenpol zurFamilie konstruiert und höher bewertet.Damit ist der „ewige Zwiespaltzwischen Stammtisch und Familienleben“(Schurtz 1902, S. 21)bereits entschieden. Das Familiäreund das Private werden der Frauüberlassen; der Bund, das Öffentlicheist Sache der Männer.„You won’t believe this, but uppermanagement expected you tocome in on Sundays too – not towork, but just to be seen on the premises– supposed to show howmuch you loved the damn place. …Well, I have a family. What are yousupposed to do, live at the plant?“(Kanter 1993, S. 65). Der zitierteManager drückt hier jene Zerrissenheitzwischen Beruf und Familieaus, wie sie vor allem für Top-Führungskräftetypisch ist. BetrieblicheLoyalitäts- und Gehorsamsforderungenverlangen, dass Familie,Freunde und Hobbies untergeordnetwerden. Das Unternehmen willsich nicht nur die Arbeitskraft, sonderndie gesamte Persönlichkeit der(hochbezahlten) Führungskraft einverleiben.2Die Manager selbst geben zwaran, dass ihnen Familie und Partnerschaftwichtiger sind als der Beruf(vgl. dazu die angeführten Studienbei Höyng/Puchert 1998). Allerdingsstellen sie das gemeinsameAben<strong>des</strong>sen oder das Spiel mit denKindern hintan, wenn ihr Vorgesetzternoch eine dringende Ausarbeitungoder ein Konzept verlangt.Helmut Kasper u. a. (2002) stellenfest: „Die Zeit für den Betrieb wirdals konstant und stabil, ja geradezuals sakrosankt angesehen.“ (ebd., S.171)Noch ein Aspekt drängt die Familieins Abseits: die Arbeit alsQuelle von Anerkennung und Prestige,von starken Gefühls- und Gemeinschaftserlebnissen.Erfolgeund Misserfolge lassen die Mitarbeitermiteinander triumphieren undtrauern – das schweißt sie zusammen.Das tägliche Einerlei <strong>des</strong> Familienlebensnimmt sich dagegen alssachlich und funktional aus.Die Erotisierung der Führungsarbeitdrängt somit die konkurrierendefamiliäre Gefühlsbindung zurück.Die männerbündische Ideologie,die vom Manager allzeitige Verfügbarkeitund Loyalität verlangt,bietet im Gegenzug „höhere Ziele“,unternehmerische Visionen, transzendenteHingabe. Die Arbeit <strong>des</strong>Leitenden wird affektiv verbrämt,glorifiziert und emotionalisiert – dieBindung an die Familie wird als se-40


Männerbündisches Management – Verbündete Managerkundär und vernachlässigbar betrachtet.Die Familie ist zwar notwendigfür die Reproduktion, ihrfehlt aber jene charismatisch-erotischeAnziehungskraft, die demmännerbündischen Management alseinflussreiche mystifiziert-öffentlicheInstitution eigen ist.2.6 Abwehr und Abwertung<strong>des</strong> WeiblichenDer Männerbund spricht sich Geistigkeit,Schöpferkraft und Politikfähigkeitzu. Er greift dazu auf die„natürlichen“ Bestimmungen derGeschlechter zurück und konstruiertdas Weibliche als komplementärenFaktor, der für das Familiäre,Nährende und Pflegende zuständigist.Das Weibliche wird nicht nur abgewehrt,sondern auch abgewertet.Die Frauen werden als „ungeistige“und verführerische Wesen dargestellt,die triebgesteuert und unkontrollierbaragieren. Sie sind aus derSicht <strong>des</strong> Männerbun<strong>des</strong> nicht fähig,rational und strategisch zu handelnund haben daher in männlichkonnotierten Bereichen wie der Politikoder dem Militär keinen Platz.Diese bündische Abwehr undAbwertung <strong>des</strong> Weiblichen erfülltverschieden Aufgaben: Sie legitimiertdie bündische Herrschaftsfunktion;sie erleichtert die ideologischePositionierung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>; sieerhöht den Gruppenzusammenhalt;sie ermöglicht die angestrebte bündischeAutonomie und Selbstaufwertung;sie verstärkt die Geschlechterhierarchie,dient derAngstabwehr und stabilisiert dadurchdie männliche Identität.Auch organisationale männerdominierteSubkulturen wie das Managementmüssen die Geschlechterhierarchiepraktizieren, um ihreidentitätsstiftende und ressourcensicherndeMachtstruktur zu bewahren.Sie müssen das „Weibliche“ausschließen und degradieren.Es existieren zahlreiche Berichtedarüber, wie weibliche Führungskräfteinferiorisiert werden. Mittelsherablassenden und gönnerhaftenVerhaltens wird ebenso Differenzhergestellt wie durch Imponiergehabe,Aggression oder Anzüglichkeiten.Auch durch Ignorieren wird derManagerin ihr Stellenwert vor Augengeführt. Sie wird zur Nicht-Person,zur Statistin, die man nichternst nehmen geschweige denn inEntscheidungsprozesse einbeziehenmuss.Auch die Sexualität eignet sichgut zur Grenzziehung und Positionszuweisung.Sexualisiertes Verhaltenund Kommunikation tragendazu bei, die Frau „auf Distanz zuhalten, abzuwerten und gleichzeitigKameraderie im Männerbund zupflegen“ (Rastetter 1998, S. 178).Mittels sexueller Diskurse kann einMann eine Frau erniedrigen und darausdie Anerkennung seiner Bezugsgruppegewinnen. Gleichzeitigmuss er sich dadurch nicht mit ihrin einer gleichberechtigten, dasheißt, potenziell rivalisierendenForm auseinandersetzen. „Damitwerden Frauen auch als gleichwertigeKonkurrentinnen ausgeschaltet,weil sie in geradezu ritueller Weiseals ausgeliefert, unterlegen und defensivvorgeführt werden.“ (Neuberger2002, S. 821).2.7 Ausschluss von Frauenund marginalisierten MännlichkeitenDer Männerbund definiert sich überden Ausschluss von Frauen. DieseExklusion dient zum einen zur Ressourcensicherung,wird aber auchnoch anders begründet: Frauenwürden die Gruppenharmonie störenund durch ihr sexualisiertes Wesendie mann-männlichen Beziehungenbeeinträchtigen. Danebendient das exkludierte Weibliche als„negative Folie“, gegen die sich diebündische Männlichkeit abhebt.Der Bund braucht also das Weibliche,um sich zu konturieren undmuss es <strong>des</strong>halb von sich fernhalten.Wenn er jedoch gezwungen wird,sich – etwa aufgrund gesetzlicherBeschlüsse – gegenüber Frauen zuöffnen, muss damit gerechnet werden,dass er eine neue Exklusionsstrategieentwickelt, zum Beispiel,indem er informelle, „unsichtbare“Ausgrenzungsmechanismen einsetzt.Ausgeschlossen werden auch solcheMänner, die nicht der bundeigenenhegemonialen Männlichkeitentsprechen. Dazu zählen Homosexuelle,Angehörige bestimmter Rassenoder minderbemittelte Anwärter.Auch jene Männer, die die Initiationsprüfungennicht bestandenhaben, bleiben exkludiert. Sie alledienen dem Männerbund als Projektionsflächefür abgespaltene undnicht-ideologiekonforme Ängsteund Schwächen.2.7.1 Exklusion von FrauenZunächst ist es evident, dass die organisationaleFührungslandschafttrotz gegenteiliger Beteuerungenden Frauen immer noch nicht ingleicher Weise offen steht wie Vertreternvon hegemonialen Männlichkeiten.Das ist besonders in denoberen Führungsebenen zu beobachten.Hier stagniert der Anteilvon Managerinnen, während sie inden unteren und mittleren Bereichenmehr und mehr aufschließen.Judy Wajcman (1998) schreibt dazu:„Only when they are present at thetop are they perceived as a directthreat and challenge to male power.“(ebd., S. 2).Der Frauenanteil im Topmanagementder US-Fortune-500-Unternehmenlag im Jahr 1998 bei 3,8%.In den fünf höchsten Rängen(CEO, chairman, vice chairman,<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200541


Doris Dopplerpresident, COO) fanden sich lediglich1% Frauen (vgl. Catalyst 1998,zit. nach Powell 1999b, S. 328). Eineim Jahr 2002 von IMD InternationalSearch and Consulting durchgeführteStudie ergab für Deutschlandeinen Frauenanteil von 5% in derobersten Hierarchiestufe, 14% inder mittleren und 19 % in der unterenManagementebene (vgl. IMD2002).Betrachtet man bündisches Verhaltenals einen Mechanismus dersozialen Schließung, dann zeigt sichdas Management als ein Bereich, derseine Privilegien vor dem Zugriff„negativ privilegierter Gruppen“(vgl. Neuwirth 1969, zit. nach Parkin1974b, S. 4) abschirmen muss.Denn die Führungsebene weist „innerhalbder Organisation und nachaußen eine hohe Ressourcen- undMachtakkumulation auf, die durchbündisches Verhalten gesichert werdenkann“ (Rastetter 1998, S.174).Die Abwehr von konkurrierendenGruppen wie weiblichen Führungskräftengelingt beispielsweisedadurch, dass das Management seineDefinitionsmacht nutzt und entlangder Geschlechterachse subtileAusschlussmechanismen konstruiert.Diese werden oft durch vermeintlicheorganisationale Sachzwängebegründet. Ein Beispiel: Die„long hours culture“, die das Managerdaseincharakterisiert, erscheintzunächst geschlechtsneutral.Doch diese Kultur <strong>des</strong> ausgedehntenzeitlichen Arbeitseinsatzes benachteiligtweibliche Führungskräfteindirekt, da Frauen nach wie vorals hauptverantwortlich für die Familienarbeitbetrachtet werden (undsie diese Sichtweise auch selbst verinnerlichthaben). Damit profitiertdie „long hours culture“ vom konventionell-patriarchalenModell dergeschlechtsspezifischen Arbeitsteilungund kann – als Konkurrentenempfundene – Frauen ausschließen.Eine weitere Möglichkeit der Exkludierungvon Frauen ist der interneAusschluss. Diese Form wird an jenenFrauen praktiziert, die in dieFührungsmannschaft aufgenommenworden sind. Trotz dieser Mitgliedschaftverhindern jedoch homosozialeNetzwerke die volle Integration.Die Frauen fühlen sich vonihren männlichen Kollegen distanziert,sie haben ein unbestimmtesGefühl der Fremdheit und findenkeinen Zugang zum männerbündischenKern der Managementebene.Diese Mechanismen wurden vorallem in der „Frauen im Management“-Literaturvielfach geschildertund ähneln sich auffallend. Hier nurzwei typische Beispiele: „I felt as ifI was a guest. Just as a guest is placedat the head of the table, treated politely,and never allowed to wash thedishes, so I was surrounded by aweb of polite but invisible restraints.“(Gherardi 1995, S. 110) –„When entertainment of businesscustomers took place I was neverinvited. Looking back, I can see howmany things I was excluded from –the golf days, the dinner parties, theafter-work socialising, clay pigeonshooting.“ (Rutherford 2001, S.373).Diese Schließungsprozesse weisendarauf hin, dass trotz einer zunehmendenÖffnung <strong>des</strong> Managementsgegenüber weiblichen Führungskräftendie bündischen Strukturenimmer noch wirksam sind.Die Manager ziehen sich in „männliche“Aktivitäten wir Sport oderTrinken zurück und praktizieren damiteinen Ausschluss, der von dereinzelnen Managerin nur schwer lokalisiertund festgemacht werdenkann, der dadurch aber umso effizienterwirkt. Eine prinzipielle Öffnungbedeutet also nicht gleichzeitigeine tatsächliche Offenheit. GudrunSander verweist hier auf diemännliche Dominanzkultur, dieFrauen in Führungspositionen nichtvorsieht. Managerinnen sind einWiderspruch in sich, „weil es in demtraditionellen führungsbezogenenund gesellschaftlichen Kontext-Verständniskeinen Sinn macht, dassMitglieder einer marginalisiertenund gesellschaftlich untergeordnetenGruppe Führungsaufgabenwahrnehmen.“ (Sander 1998, S.242f.)2.7.2 Exklusion von MännernNicht nur Frauen, auch bestimmteMännlichkeiten können für denBund gefährlich sein. Auch siekönnten um organisationale Ressourcenkonkurrieren oder zuvielUnsicherheit in die bündische Gemeinschafttragen. Zu solchen marginalisiertenund bekämpftenMännlichkeiten gehören vor allemHomosexuelle, aber auch Farbigeoder Männer, die nicht über den gefordertenHabitus verfügen.Ebenso wie für weibliche Führungskräftegilt für sie: Das Managementverwehrt ihnen den Eintrittnicht grundsätzlich – schon aus gesellschafts-und unternehmenspolitischenGründen. Aber sie werden– wie ihre weiblichen Kollegen – internausgeschlossen und von bestimmtenPositionen ferngehalten.Homosexuelle Manager verletzendie bündische Männlichkeitsnormbesonders stark. Das führt dazu,„dass der Ausschluss aus demManagement in dem Moment erfolgt,wo das Kriterium der Heterosexualität,was ein fester Bestandteil<strong>des</strong> Bil<strong>des</strong> hegemonialer Männlichkeitist, nicht erfüllt werdenkann“ (Maas 1999, S. 247). Dasheißt auch: Je höher die angestrebteManagementposition, umsozwingender muss der Bewerber eineheterosexuelle Partnerschaft vorweisenkönnen. Denn sie gilt als Garantfür Verlässlichkeit, Stabilitätund Berechenbarkeit. Auch in Bran-42


Männerbündisches Management – Verbündete Managerchen wie der Modeindustrie, die wiealle kreativen Wirtschaftszweige alsrelativ offen für gleichgeschlechtlichorientierte Männer gilt, werden Homosexuellenur ungern im Managementgesehen. In Führungspositionenwill man bodenständige Männermit einem ruhigen Lebenswandel(vgl. ebda).Ein weiteres Ausschlusskriteriumist die soziale Herkunft. Wie MichaelHartmann zeigt, wird im deutschenTopmanagement nach demsozialen Hintergrund selektiert. Sostammen etwa die Vorstandsvorsitzendender hundert größten deutschenUnternehmen zu über vierFünftel aus dem gehobenen Bürgertum(vgl. Hartmann 1997, S. 296).Weitere Untersuchungen bei promoviertenFührungskräften zeigen:Stammte der Promovierte aus demgehobenen Bürgertum, hatte er eineum 50 % höhere Chance auf eineManagerkarriere als promovierteAngehörige der Arbeiter- oder Mittelschicht.Bei einer großbürgerlichenHerkunft war die Chance mehrals doppelt so hoch (vgl. Hartmann/Kopp2001, S. 448).Ein geöffnetes Bildungswesenmuss sich also nicht auf die Besetzungvon Top-Führungspositionenauswirken. Nach wie vor zählen diesoziale Herkunft und der mit ihrverbundene „klassenspezifische Habitus“(Bourdieu 1982). Dieser Habitusbesteht aus den Merkmalenund Verhaltensweisen, die die „feinenUnterschiede“ zwischen densozialen Schichtungen ausmachen.Wer zu den „besseren Kreisen“ gehört,weiß Bescheid über KleidungsundBenimmvorschriften, er ist gebildetund tritt souverän und gelassenauf. Das natürliche, selbstbewussteVerhalten wird bereits in derKindheit vermittelt und kann späternicht mehr erlernt werden. Dahereignet sich der Habitus als eindeutigesSchließungskriterium, erwirkt zuverlässiger als ein akademischerAbschluss oder fachliche Qualitäten.Der klassenspezifische Habitusgarantiert bündische Exklusivität.Die gehobenen gesellschaftlichenSchichten bleiben im männerbündischenKern <strong>des</strong> organisationalenTop-Managements unter sich,die bündische Elite kann sich unbemerktvon der Öffentlichkeit fortlaufendreproduzieren.2.8 StabilisierungDer Männerbund wirkt auf verschiedenenEbenen stabilisierend.Er erleichtert beispielsweise denUmgang mit der eigenen Geschlechtsidentität,da sich seine Mitgliederin klarer Abgrenzung zurweiblichen Sphäre erfahren und damitihr männliches Selbstbild konturierenund festigen können. DerMännerbund wird so zum verlässlichenMaßstab und zur Orientierungsmarkefür das männlicheSelbst. Der Bund fängt aber auchjene Verunsicherungen auf, diedurch gesellschaftliche Umbrücheoder durch wirtschaftlich und politischunsichere Zeiten entstehenkönnen. Eine homosoziale Gemeinschaftwirkt hier als verlässlicherFixpunkt in einer turbulenten Umwelt.Dadurch tendiert sie aber auchzum Konservatismus. Denn indemsich die Bundmitglieder fortlaufendihres traditionellen Habitus versichern,schreiben sie hegemonialeMännlichkeit fort und verfestigeneine patriarchale Geschlechterordnung.Die spezifischen Arbeitsbedingungenin der organisationalen Führungsebeneunterstützen den Rückzugin geschlossene Männerzirkel.Die Manager müssen heute mit zunehmendkomplexen und chaotischenUmweltbedingungen zurechtkommenund erkennen: „Die Zeitder einfachen Antworten auf einfacheProbleme ist vorbei.“ (Jetter2004, S. 4). Managen bedeutet, mitUnsicherheit und Kontingenz umgehenkönnen. Die Frage, wie sicheine Führungskraft nun tatsächlichverhalten soll, wird von Managementphilosophenunterschiedlichbeantwortet. So fordert etwa HermannSimon eine Reorientierungder Unternehmensführung in RichtungFührungsstärke. Es seien wiederWillensstärke, Entscheidungskraftund Durchsetzungsvermögengefragt (vgl. Simon 2004). Diesemmaskulinistischen Managerbild stehendie „new wave“-Managementpraktikengegenüber. Hier soll sichdie Führungskraft weiblich konnotierteEigenschaften aneignen, ihreSchwächen zeigen und als Katalysator,Impulsgeber und Teamleiterfungieren (vgl. Boltanski/Chiapello2003, S. 118).Der einzelne Manager sieht sichhier mit unterschiedlichen Empfehlungenkonfrontiert, die ihn auf seinerSuche nach Orientierung nochmehr verunsichern. Daneben musser sich mit zahlreichen Alltagsbelastungenauseinandersetzen. Er mussständig um-, dazu- und verlernen,muss mobil sein hinsichtlich seinerPartnerschaften, Wohnorte undProjekte. Gleichzeitig ist er demKarriereimperativ unterworfen,muss mikropolitisch handeln undsich den unternehmerischen Forderungenunterwerfen. Diese „Mühsal<strong>des</strong> Managens“ wird mit demEintritt von Frauen in die Führungsebenennoch einmal verstärkt.Denn: „Was als äußere Bedrohungabsorbiert war, erscheint nun als innereBedrohung.“ (Luhmann 1964,zit. nach Veit 1988, S. 99).Was den Führungskräften fehlt– Eindeutigkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit–, finden sie in homosozialenFormationen. „It is the uncertaintyquotient in managerialwork […], that causes managementto […] develop tight inner circles<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200543


Doris Dopplerexcluding social strangers“, schreibtKanter (1993, S. 49). Die Unsicherheitsreduktionvon bündischenGruppen geht einher mit sozialerWärme und gegenseitigem Verständnis,Hilfestellung und Unterstützung.Diese Werte werden auch<strong>des</strong>halb immer wichtiger, weil auchdie Männlichkeitskonstruktion vonFührungskräften angegriffen wird.Der Manager als Mann sieht sichmit feministischen Gleichstellungs-Forderungen konfrontiert, mit krisenähnlichenTendenzen vonMännlichkeit, mit der Verwischungvon geschlechtsspezifischen Rollen.All diese Faktoren tragen dazubei, dass männliche Solidarität inFührungskreisen nach wie vor einThema ist. Die momentanen Unsicherheitenlassen Führungskräftewieder näher zusammenrücken; dieStabilisierungsfunktion <strong>des</strong> Männerbun<strong>des</strong>ist nach wie vor aktuell.Gefragt ist also Homogenität imFührungskader – auch wenn der unternehmerischeWettbewerb eigentlichTeamdiversität verlangen würde(vgl. dazu Boon u. a. 2002).2.9 Inszenierung von männlicherAutonomieMännerbünde zeigen sich als autonomesoziale Gebilde. Sie demonstrieren,dass sie in deutlicher Abgrenzungvon der weiblichen Sphäreein sinnvolles und zielgerichtetesGemeinschaftsleben führen können.Dabei kultivieren sie einenmann-männlichen Eros und übernehmensogar die „Geburt“ <strong>des</strong>Nachwuchses; der Bund initiiert seinekünftigen Mitglieder ohne weiblicheBeteiligung.In diesem Sinne wird auch dasorganisationale Management alsmännliche Lebenswelt dargestellt,die erfüllt ist von eigenständigemHandeln, sozialem Status und transzendentenFührungsmissionen. DieManager werden zu zukunftsorientiertenStrategen, die für dasWohl eines Unternehmens, einesKonzerns oder einer ganzen Regionverantwortlich sind. Die Möglichkeiten,etwas bewegen und Visionenumsetzen zu können, werdenbetont; die Spitzenleistungen einzelnerTop-Führungskräfte werdenmedial verbreitet.Doch diese Autonomie trifft nurteilweise zu. Denn Manager bewegensich in Wirklichkeit in einemengmaschigen Raster aus Konformitätsdruck,unternehmenskulturellenErwartungen und Karrierezwängen.Außerdem sind sie auf dieZuarbeit von Experten, Assistent-(inn)en und Sekretär(inn)en angewiesen.Die privaten Aufgaben werdenmeist von den (Ehe)Partnernübernommen und machen klar: DerManager funktioniert nur im Netzwerk.Er ist weder unabhängig vonFrauen noch von untergeordnetenMännlichkeiten.Die vorgebliche gestalterischeAutonomie wird ergänzt durch dieAutonomie der Reproduktion. DasManagement pflanzt sich symbolischund unabhängig von weiblicherBeteiligung fort. Es nimmt jeneBeitrittswilligen auf, die den bereitsEtablierten am meisten ähneln. Diese„männliche Klonanstalt“ (Rastetter1998, S. 174) muss dabei ohneFrauen auskommen, denn „[d]ieAufnahme von Frauen würde bedeuten,doch wieder vom weiblichenGeschlecht bei der Hervorbringungvon Neuem abhängig zusein“ (ebd.).Diese kontrollierte Vervielfältigunggewährleistet, dass keine unnötigeUnsicherheit in die Führungsmannschafthineingetragen wirdund dass die Konformität gesichertbleibt. Allerdings erweist sich diesesVorgehen dann als dysfunktional,wenn Widerspruch, Kritik undInnovation so weit unterdrückt werden,dass sich die Organisation nichtmehr an turbulente Umwelten anpassenkann.2.10 HerrschaftsausübungDer Männerbund akkumuliert Ressourcen,die ihm zur Machtausübungdienen: materielle Mittel, (geheimes)Wissen und soziales Kapital.Mit zunehmender Ressourcenausstattungwird auch der politischeund wirtschaftliche Einfluss <strong>des</strong>Bun<strong>des</strong> größer und erleichtert dieHerrschaftsausübung gegenüberden Ausgeschlossenen.Herrschaft und Unterdrückung,Dominanz und Unterordnung spielenauch in Organisationen einewichtige Rolle. In einem politikorientiertenAnsatz erscheint dieOrganisation als soziales Gebilde, indem Einzelne oder Gruppen versuchen,ihre Interessen zu verwirklichen.Dafür gehen sie Koalitionenein, schließen Bündnisse und kämpfenum knappe Ressourcen wie informelleKontakte oder Entscheidungskompetenzen.Vor diesem Hintergrund könnenOrganisationen als „Bünde“ beschriebenwerden, die „Chancenhortung“betreiben (vgl. Türk u. a.2002). Mittels Vergemeinschaftungwerden Mitgliedschaften hergestelltund personelle Ausgrenzungen festgelegt.Es wird unterschieden zwischenjenen, die definierten Zugangskriterienentsprechen und jenen,die außen gehalten werden. Esentstehen Kollektividentitäten, „dieeine Unterwertigkeit anderer konnotierenund auf diese Weise derenAusschluss, Gegnerschaft, Ausbeutungoder Marginalisierung zu legitimierentrachten“ (ebd., S. 35).Es werden „soziale Körper“ produziert,die soziale Ungleichheitenfortschreiben. Diese sozialen Körperkönnen auch Subkulturen wiedas organisationale Managementumfassen. Hier wird auf bündischeWeise Herrschaft ausgeübt, die mit-44


Männerbündisches Management – Verbündete Managertels Ausgrenzung hergestellt wird.Das Management definiert Aufnahmekriterienund schließt unpassendePersonen und Gruppen aus. Die(Herrschafts)Interessen der Leitendenbleiben gewahrt und könnenideologisch abgesichert werden. Sokönnen etwa Frauen von Führungspositionenferngehalten werden, indemman naturalisiert und biologisiertoder auf die soziale Zuschreibungvon weiblichen und männlichenZuständigkeiten zurückgreift.Damit gehen beim Management– ähnlich wie beim Männerbund –Trennung, Vergemeinschaftung undHerrschaftsausübung Hand inHand. Sie sichern die fortdauerndeInteressenwahrung ihrer Mitglieder,schließen konkurrierende Gruppenaus und minimieren deren Solidarisierungs-und Artikulierungsmöglichkeiten.32.11 ReproduktionserfolgSoziobiologisch betrachtet, betreibenhomosoziale Bünde ihre Ressourcenakkumulationund ihre Exklusionsbemühungennicht alsSelbstzweck, sondern zielen letztlichauf eine erfolgreiche Fortpflanzungab. Die männliche Allianzbildungermöglicht somit ihren Mitgliederneine bessere Reproduktionsbasis imVergleich zu jenen Männern, dievon der Ressourcenverteilung ausgeschlossenwerden.Auch im Management lässt sichbeobachten, dass die Führungsmannschaftdarauf bedacht ist, sichRessourcen anzueignen, untereinanderzu verteilen und andere Männervon dieser Allokation auszuschließen.Soziobiologisch lässt sich dieseVorgangsweise dadurch erklären,dass die Manager ihre Fortpflanzungsmöglichkeitenverbessern, indemsie einander durch bündischesVerhalten zu einem höheren Statusverhelfen.Mit diesem Verhalten entsprechendie männlichen Führungskräfteden biologischen Grundlagen derPartnerwahl, nach denen der sozialeStatus für Frauen ein signifikantesKriterium bei der Partnersucheist (vgl. Grammer 1995). Demnachsind vor allem jene Männer begehrt,die unternehmungsfreudig sind und(zukünftigen) Ressourcenbesitz erwartenlassen. Um sich diesen vorteilhaftenStatus zu sichern, ist männerbündischesVerhalten eine effizienteStrategie. Es schafft jenemateriellen und immateriellen Voraussetzungen,die wichtig für denStatuserwerb sind und hält konkurrierendeMänner fern. BündischesVerhalten im Führungsbereich wirdsomit durch Partnerwahl-Mechanismenunterstützt.3. FazitDie organisationale Führungsebeneweist männerbündische Muster undStrukturen auf, die den Zugang vonFrauen und marginalisierten Männlichkeitenwesentlich beeinflussen.Das Management gehört daher zujenen „loseren“ Männerbundformen,die zwar nicht explizit als bündischbezeichnet werden, aber dennochentsprechende Mechanismenerkennen lassen.Betrachtet man das Managementaus einer männerbündischen Perspektive,dann treten bislang unbekannteZusammenhänge und Wechselwirkungenhervor. So erscheintbeispielsweise der Ausschluss vonweiblichen Führungskräften nichtmehr einseitig machtgetrieben, sondernlässt sich auch als teilweise unbewussterAusdruck funktionalerNotwendigkeiten verstehen. Dasmacht verständlich, warum die Führungslandschaftein so resistentesWiderstandsnest in Gleichstellungsfragenist.Andere Verhaltensweisen vonmännlichen Managern, die bisherisoliert betrachtet und analysiertwurden, erscheinen in einem neuenLicht. So bedingen etwa verschiedenebündische Erfordernisse, dassmarginalisierte Männlichkeiten wieHomosexuelle ausgeschlossen werden:die Aufrechterhaltung von vertrauensbildenderHomogenität; dieBildung von Out-groups, die diebündischen Grenzen konturieren,als bedrohliche „Andere“ bekämpfbarsind und dadurch den bündischenZusammenhalt stärken undinterne Konkurrenz abfedern; derAusschluss von Gruppen, die die eigenenRessourcen streitig machenkönnten; die Stabilisierung von heterosexuellenNormen durch homophobeAbwehrhaltungen; dieglänzende Selbstinszenierung <strong>des</strong>Managements unter Verwendungvon hegemonialer Männlichkeit.Fazit: Der Männerbund erweistsich als brauchbares Analysewerkzeug,wenn es darum geht, ein sinnvollesMuster in den vielen Widersprüchlichkeiten,Ambivalenzen,Bindungen, Allianzen und Zwängenzu erkennen, die das Managementals männerdominierte Struktur ausmachen.Anmerkungen1Weitere Untersuchungsergebnisse zeigen,dass den Männern die organisationalenEinführungspraktiken viel vertrautersind als den Frauen, denn männlicheAufnahmewillige machen bereitsbei Sportteams oder Studentenverbindungeneinschlägige Erfahrungen. Außerdemkönnen sie besser nachvollziehen,dass der Neuling die bestehendenMachtstrukturen gefährdet und ihm aufritualisierte Weise sein Platz in der Hierarchiezugewiesen wird. Und schließlichgeben Josefowitz und Gadon an, dassMänner gewöhnlich von ihresgleicheninitiiert werden, Frauen von Männernund nur manchmal von anderen Frauen.Somit initiieren nur wenige Frauenmännliche Neulinge (vgl. Josefowitz/Gadon 1989, o. S.).<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200545


Doris Doppler2Zeitstudien ergeben, dass die meistenFührungskräfte mehr als 70% ihrerWachzeit für den Beruf verwenden.Viele arbeiten regelmäßig abends undam Wochenende (vgl. dazu Streich1994).3Vgl. zum Vergemeinschaftungs-Konzeptin der Geschlechterperspektiveauch Rastetter (1994).LiteraturBaeumler, Alfred: Männerbund undWissenschaft, Berlin 1934.Blüher, Hans: Familie und Männerbund,Leipzig 1918.Boltanski, Luc/Chiapello, Ève: Derneue Geist <strong>des</strong> Kapitalismus, Konstanz2003.Boon, Christophe u. a.: The Genesis ofTop Management Team Diversity:Selective Turnover Among Teams inthe Dutch Newspaper PublisherMarket (1970-1994). Paper für dieEURAM Conference in Stockholm2002.Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede.Kritik der gesellschaftlichenUrteilskraft, Frankfurt a. M. 1982.Catalyst: Census of Women CorporateOfficers and Top Earners, New York1998.Collinson, David L./Hearn, Jeff (Hg.):Men as Managers, Managers as Men.Critical Perspectives on Men, Masculinitiesand Managements, London1996.Cyba, Eva: Grenzen der Theorie sozialerSchließung? Die Erklärung vonUngleichheiten zwischen den Geschlechtern,in: Wetterer, Angelika(Hg.): Die soziale Konstruktion vonGeschlecht in Professionalisierungsprozessen,Frankfurt a. M./NewYork 1995, S. 51-70.Erdheim, Mario/Hug, Brigitta: Männerbündeaus ethnopsychoanalytischerSicht, in: Völger, Gisela/Welck,Karin v. (Hgg.): Männerbande, Männerbünde.Zur Rolle <strong>des</strong> Mannes imKulturvergleich, Band 1, Köln 1990,S. 49–58.Fukuyama, Francis: Women and theEvolution of World Politics, in:Foreign Affairs, 77. Jg., Nr. 5, 1998,S. 17–24.Gherardi, Silvia: Gender, Symbolismand Organizational Cultures, London1995.Grammer, Karl: Signale der Liebe. Diebiologischen Gesetze der Partnerschaft,Hamburg 1995.Hartmann, Michael: Soziale Öffnungoder soziale Schließung. Die deutscheund die französische Wirtschaftselitezwischen 1970 und 1995,in: <strong>Zeitschrift</strong> für Soziologie, 26. Jg.,1997, S. 296-311.Hartmann, Michael/Kopp, Johannes:Elitenselektion durch Bildung oderdurch Herkunft? Promotion, sozialeHerkunft und der Zugang zuFührungspositionen in der deutschenWirtschaft, in: Kölner <strong>Zeitschrift</strong>für Soziologie und Sozialpsychologie,53. Jg., 2001, S. 436-466.Hearn, Jeff/Parkin, Wendy: „Sex“ at„Work“. The Power and Paradox ofOrganisation Sexuality, Brighton1987.Hearn, Jeff u. a. (Hgg.): The Sexualityof Organization, London u. a. 1989.Höyng, Stephan/Puchert, Ralf: DieVerhinderung der beruflichenGleichstellung. Männliche Verhaltensweisenund männerbündischeKultur, Bielefeld 1998.IMD International Search and Consulting:International Survey Project„Women in Management“, 2002, in:http://ww.wdf.at.Kreisky, Eva: Politische Institutionalisierungvon Männlichkeit. Skript einerGastvorlesung an der UniversitätKlagenfurt 2004.Jetter, Wolfgang: Performance Management.Strategien umsetzen, Ziele realisieren,Mitarbeiter fördern, Stuttgart2004.Josefowitz, Natasha/Gadon, Herman:Hazing: Uncovering One of theBest-kept Secrets of the Workplace,in: Business Horizons, Nr. 3, 1989,o. S.Kanter, Rosabeth Moss: Men and Womenof the Corporation, New York1993.Kasper, Helmut u. a.: Managen und lieben.Führungskräfte im Spannungsfeldzwischen Beruf und Privatleben,Frankfurt a. M./New York 2002.Luhmann, Niklas: Funktionen und Folgenformaler Organisation, Berlin1964.Maas, Jörg: Identität und Stigma-Managementvon homosexuellen Führungskräften,Wiesbaden 1999.Meuser, Michael: Geschlecht undMännlichkeit. Soziologische Theorieund kulturelle Deutungsmuster,Opladen 1998.Mosse, George L.: The Image of Man.The Creation of Modern Masculinity,New York/Oxford 1996.Neuberger, Oswald: Führen und führenlassen. Ansätze, Ergebnisse undKritik der Führungsforschung,Stuttgart 2002.Neuwirth, Gertrud: A Weberian Outlineof a Theory of Community: ItsApplication to the „Dark Ghetto“,in: British Journal of Sociology, 20.Jg., Nr. 2, 1969, S. 148–163.Parkin, Frank (Hg.): The Social Analysisof Class Structure, London1974a.Parkin, Frank: Strategies of SocialClosure in Class Formation, in: Parkin,Frank (Hg.): The Social Analysisof Class Structure, London1974b, S. 1-18.Powell, Gary N. (Hg.): Handbook ofGender & Work, Thousand Oaks1999a.Powell, Gary N.: Reflections on theGlass Ceiling, in: Powell, Gary N.(Hg.): Handbook of Gender &Work, Thousand Oaks 1999b, S. 325-346.Rastetter, Daniela: Sexualität und Herrschaftin Organisationen. Einegeschlechtervergleichende Analyse,Opladen 1994.Rastetter, Daniela: Männerbund Ma-46


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Felizitas SagebielFelizitas SagebielOrganisationskultur und Geschlecht in denIngenieurwissenschaften EuropasDer Beitrag baut auf dem Europäischen Projekt WomEng 1 „Creating Cultures of Success for Women Engineers“ auf,das von Universitäten und Berufsorganisationen für Ingenieurinnen aus sieben Ländern (Deutschland, Finnland, Frankreich,Griechenland, Großbritannien, Österreich, Slowakei) durchgeführt wird. „Organisationskultur und Geschlecht inden Ingenieurwissenschaften Europas“ bezieht sich auf die Situation von Ingenieurinnen im Beruf, wobei der Schwerpunktder Analyse auf institutionellen Strukturen und Kulturen in ausgewählten Industrieunternehmen liegt. Zummethodischen Ansatz gehören Homepageanalysen, Fokusgruppendiskussionen mit Ingenieurinnen und Expertinneninterviewsmit Managerinnen. Forschungsergebnisse zu Technik und Männlichkeit und ihre Widerspiegelung in derindustriellen Organisationskultur sowie Chancen und Barrieren für die Karriere von Ingenieurinnen bieten die Grundlagefür die Hypothesen und die Ergebnisdarstellung zu folgenden Aspekten: Homepages der Unternehmen, Männlichkeitskulturund Minderheitensituation der Ingenieurinnen, Copingstrategien in einer Männerdomäne, männliche Überstundenkultur,Frauenkultur von Teilzeitarbeit, work-life-balance, Karriere von Ingenieurinnen, Bedeutung von Männer- undFrauennetzwerken für die Karriere. Gendertheorien dienen als Folie der theoretischen Reflexion. 21. EinführungDer niedrige Frauenanteil in technischenund ingenieurwissenschaftlichenStudiengängen Westeuropas(ETAN Bericht 2000) und der darausresultierende geringe Anteil derIngenieurinnen im Berufsleben sowieErfahrungen aus dem EU-ProjektINDECS 3 waren Anstoß fürdas EU-Projekt WomEng „CreatingCulutures of Success for WomenEngineers“, in dem geschlechtsspezifischekulturelle, strukturelle, organisatorischeund individuelle Barrierensowie unterstützende Maßnahmenuntersucht wurden, die währendder ingenieurwissenschaftlichenAusbildung und im Berufwirksam sind.Drei inhaltliche Forschungsschwerpunkte,sog. work packages(wp), betrafen Schlüsselentscheidungenvon Studienwahl, Berufswahlund Karriere (wp 2), Studienerfolg,-abbruch, Zufriedenheit mitStudium, Beruf und Karriere (wp3)und institutionelle Kulturen undStrukturen in Ausbildung und Beruf,die die Wahl, den Erfolg unddas Verbleiben beeinflussen (wp 4).Ein weiteres Ziel war es, Instrumentefür interkulturell vergleichendeGenderstudien (wp 1) und Empfehlungenzur Schaffung eines Erfolgsklimasfür Ingenieurinnen (wp5) zuentwickeln.„Schlüsselstationen der Studienwahlfür oder gegen ein ingenieurwissenschaftlichesStudium“, „Studienerfolgund Studienabbruch“und „Organisationskultur und Veränderungsmöglichkeiten“warenForschungsschwerpunkte der erstenPhase. In allen europäischen Partnerländernwurden ca. 1.400 Studierendebefragt, 700 aus den Ingenieurwissenschaften(die HälfteFrauen und die Hälfte Männer) undgenauso viele Studierende andererStudiengänge. In Deutschland wurdeninsgesamt 200 Studierende in 6Hochschulen schriftlich befragt, ander RWTH Aachen, der TU Berlin,der TFH Berlin, der Fachhochschulefür Technik Berlin (Ost), der FHStralsund und der Bergischen UniversitätWuppertal. Homepages derausgewählten Studiengänge der Ingenieurwissenschaftenwurden analysiert,Fokusdiskussionsgruppenmit Studentinnen und Studenten sowieExpertInneninterviews mit Studentinnenund Lehrenden durchgeführtund durch Beobachtungenvon Lehrveranstaltungen ergänzt.Die Ergebnisse der Erhebungenzum ingenieurwissenschaftlichenStudium zeigen, dass sich alle Studentinnender männlichen Studiendomäneund der männlich dominiertenStudieninhalte bewusst sind.Insgesamt herrscht in allen untersuchtenLändern immer noch einmännliches Image der Ingenieurwissenschaftenvor. In der Sicht derStudentinnen steht dieses in Konfliktmit dem femininen Image, aufdas Studentinnen Wert legen, diesich <strong>des</strong>halb auch davon abhaltenließen, ein ingenieurwissenschaftlichesStudium aufzunehmen.Während einerseits Länder wieDeutschland und Österreich selbstverständlichWerbung speziell fürFrauen machen, werden solche Extramaßnahmenvon anderen Ländern,wie Großbritannien, Frank-48


Organisationskultur und Geschlecht in den Ingenieurwissenschaften Europasreich und der Slowakei kategorischabgelehnt. Ähnlich verhält es sichmit dem Ansatz, durch das zusätzlicheAngebot von monoedukativeningenieurwissenschaftlichen Studiengängenfür Frauen neue Zielgruppenanzusprechen. Obgleich einigeweibliche Lehrende potenzielleMöglichkeiten sehen und in demeinbezogenen deutschen Modell inStralsund gute Erfahrungen gemachtwurden, wird das Konzept„Monoedukation“ von weiblichenStudierenden und v. a. von männlichenLehrkräften mehrheitlich abgelehnt.Klar wird in den Interviewsallerdings auch, dass die meistennoch nie grundlegend darübernachgedacht hatten.Die unterschiedlich deutlicheDiskriminierung in den einzelnenPartnerländern mit entsprechenderMarginalisierung und Isolierungvon Studentinnen bringt differenzierteAnpassungs- oder Copingstrategienhervor. Während sichStudentinnen aus Österreich, Slowakei,Großbritannien und Griechenlandmit einer eher konservativ-traditionellenIngenieurkulturund teilweise offener Diskriminierungdurch mehr Frauen im Studiumeine Verbesserung ihrer Situationversprechen, sind sich Studentinnenin Deutschland und Frankreich,die subtiler diskriminiert werden,zwar ihres Exotinnenstatus aufgrundvon ihrer Minderheitssituationbewusst, finden ihn aber überwiegendnicht als unangenehm. Sieschätzen die offene Atmosphäre mitihren männlichen Kommilitonenund wünschen sich definitiv nichtmehr Studentinnen. Ihr „Geschlechtunsichtbar machen“scheint eine Strategie von Frauen inden traditionelleren Studienkulturenzu sein (z.B. in Österreich). DasSpielen mit erlebten geschlechtsspezifischenVorurteilen scheint eineAlternative zu sein. Befragte Studentinnenaus Frankreich undDeutschland berichteten, dass siez.B. extra „dumme“ Fragen mit Bezugauf ihr Frausein stellen. WährendSpäße über geschlechtersensibleSprache in Österreich und derSlowakei als Ausdruck traditionellerStudienkultur angesehen werdenkönnen, machen die Studentinnenüberall bei den dummen Witzen imStudienalltag mit (vgl. Sagebiel2005b, Sagebiel/Dahmen 2005a, Sagebiel/Dahmen2005b).Im zweiten Projektabschnitt lagder Fokus auf der Berufswelt vonIngenieurinnen. Maßgebliche Forschungsschwerpunktewaren derÜbergang von der Studien- in dieBerufswelt, Karriereverläufe undKarrieremöglichkeiten von Ingenieurinnenund die Organisationskulturenvon Unternehmen, die dieBerufstätigkeit und Karriere unterstützenoder behindern. In zwei ausgewähltenUnternehmen wurde injedem Partnerland durch Befragungenvon Ingenieurinnen, Personalverantwortlichenund Betriebsrätendas Wissen über den Karriereverlaufvon Frauen, die als Ingenieurinnenin Unternehmen beschäftigtsind, vertieft. Dabei wurde untersucht,welche Faktoren unterstützendwirken und welche Barrierenim Karriereverlauf auftreten.Der Beitrag konzentriert sich aufdie zweite Projektphase. Betrachtetwird vor allem die Organisationskulturder Unternehmen und die Frage,inwiefern diese für Ingenieurinnenim Beruf und ihrer Karriereförderlich ist. Für diesen Forschungsschwerpunktist die UniversitätWuppertal unter Leitung derAutorin verantwortlich. 42. Methodischer Ansatz zurUntersuchung der Situationvon Ingenieurinnen im BerufDer methodische Ansatz in Wom-Eng umfasste quantitative und qualitativeMethoden (vgl. Sagebiel2005a, Genin/Pinault 2005). DasBesondere in diesem EU-Projektwar, dass die angewandten Einzelmethodengemeinsam mit den PartnerInnenkonstruiert und gleichzeitigdie Fragen für alle Arbeitspaketein die jeweiligen Instrumente integriertwurden. Eine solche enge interkulturelleKooperation führteauch immer wieder zu Problemen,von denen einige nur genannt werdensollen: unterschiedliche Disziplinender MitarbeiterInnen und damitunterschiedliche Fachkulturen,national unterschiedliche Arbeitsstile,unterschiedliche Ausprägungender „political correctness“ undder sozialen Erwünschtheit. Dazukamen Auseinandersetzungen imZusammenhang mit Geschlechterforschungin gemischt geschlechtlichenPartnerteams mit teilweise nurgeringen Kenntnissen feministischerTheorie und Forschung. 5Tabelle 1: Forschungsmethoden zur Erfassung der Berufssituation von Ingenieurinnen in WomEng<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200549


Felizitas SagebielTabelle 1 gibt einen Überblick überdie in der zweiten Projektphase angewandtenErhebungsmethoden.In den Firmen wurden Fokusgruppendiskussionenmit Ingenieurinnenund teilstrukturierte Einzelinterviewsmit Managerinnendurchgeführt, ergänzt durch Befragungenvon PersonalmanagerInnenund BetriebsrätInnen. Interviewsmit Ingenieurinnen, die ihren Job(Firma) verlassen haben, solltenweitere Hinweise für Barrieren imBeruf geben. In einer sog. „Konfrontationsfokusgruppe“diskutiertenIngenieurinnen aus unterschiedlichenFeldern über ein vorherfestgelegtes Thema.Nach dem Samplingplan wurdenin jedem Partnerland zwei Unternehmenausgewählt: eines aus demEnergiesektor und eines aus demProduktionssektor. Eines der Unternehmensollte ein Beispiel für„gute Praxis“ sein. Kriterien für dieAuswahl waren frauen- und familienfreundlichePolitik und Maßnahmen(z.B. Möglichkeiten zur Teilzeit,Elternurlaub, Kleinkinderbetreuung),ein vergleichsweise hoherFrauenanteil und gute Aufstiegsmöglichkeiten.Fast alle der ausgewähltenUnternehmen agieren international.Von den Erhebungsmethodenwerden im Folgenden ausführlicherdie Homepageanalyse, die Fokusgruppendiskussionund das ExpertInneninterviewmit Managerinnenvorgestellt.Homepages aller einbezogenenUnternehmen (jeweils 2 von 6 Partnerländern,ohne Slowakei) wurdenauf ihre Frauenfreundlichkeit hinanalysiert, wobei die Selbstdarstellungund das Image der Firma Gegenstandder Analyse war. Einerseitswar der <strong>Info</strong>rmationsgehalt von Interesse,zum anderen die Attraktivitätder Darstellung insbesondere fürIngenieurinnen, außerdem interessierten<strong>Info</strong>rmationen über dieNachfragestruktur. Der Kriterienkatalogbeinhaltete im Einzelnen:Umfang und Art der Kooperationmit Schulen und Universität, z.B.Mentoring, Karriereplanung undNetzwerken für Studentinnen, Angebotvon Praktika und Diplomarbeiten,Maßnahmen zum Übergangvom Studium in den Beruf, spezielleAngebote für Frauen, Diversity-,Gender Mainstreaming Programme,spezielle Links für Frauen, <strong>Info</strong>rmationüber berufliche Voraussetzungenund Karriere, <strong>Info</strong>rmationüber Kinderbetreuungsinstitutionen,firmeneigene Unterbringungsmöglichkeiten,Möglichkeitenflexibler Arbeit, Weiterbildungsmöglichkeiten,Stellungnahme zur„work-life-balance“, Art und Qualitätder Bilder auf der Homepage,Geschlechterunterschiede, Altersunterschiede,Positionsunterschiede.Die Fokusgruppen fanden jeweilsmit 5-6 Ingenieurinnen einerFirma statt, die keine Personalverantwortunghatten, und wurden jeweilsdurch zwei ProjektmitarbeiterInnenmoderiert. Als biographischeDaten wurden Alter, ingenieurwissenschaftlicheAusbildung, Kinderund Arbeitszeit erfasst und obnoch weitere Ingenieurinnen in derAbteilung arbeiten. In der Diskussionwurde danach gefragt, ob undwie sich ihre Minoritätssituation imUnternehmen auf ihre Arbeit als Ingenieurinauswirkt und ob die Befragtendadurch besondere Problemeund Herausforderungen bewältigenmüssen. Diskussionsthemenwaren außerdem work-life-balance,Kultur <strong>des</strong> Unternehmens, Atmosphärean den Arbeitsplätzen, Politikder Karriereentwicklung und Bewertungdieser am Beispiel von eigenenWeiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten.Darüber hinaus solltendie frauenspezifischen Programmeder Firmen eingeschätzt werden,z.B. Diversity- und Rekrutierungsprogramme,um mittel- und langfristigmehr Ingenieurinnen zu gewinnen.Um etwas über die Interdependenzzwischen Beruf und Privatlebeneinerseits und den eventuellenweiblichen Führungsstil zu erfahren,wurden individuelle teilstrukturierteInterviews mit Ingenieurinnendurchgeführt, die eine interneUnternehmensmanagementebeneerreicht hatten. Karriere unterstützendeund -hindernde Faktoren undMöglichkeiten zu ihrer Veränderungwurden nachgefragt. Im Einzelnenwurden biographische beruflicheEntscheidungen in der Verquickungmit privaten Ereignissen und die jeweiligeZufriedenheit mit den Situationenals auch die Reaktionen vonBezugspersonen angesprochen. Erfahrungenmit und Einstellungen zuspezifischen Programmen für Frauenwaren ein weiterer Themenbereich.Zur Organisationskultur wurdenErfahrungen im Umgang mitder Minderheitensituation in einerMännerdomäne erfragt. Hierzu warenz.B. die Arbeitsatmosphäre undVorstellungen, was ein freundlichesund effizientes Arbeitsklima ausmachtund wie man es selber schaffenkann, Gesprächsgegenstand.Und die Managerinnen wurdenauch gefragt, ob die von Männerndominierte ArbeitsatmosphäreFrauen davon abhalte, eine Karriereanzustreben. Sie wurden nach derAkzeptanz im Männernetzwerk gefragt,warum es so wenige Topmanagerinnengibt und wie man dassog. „glass ceiling“ durchbrechenkann. Die Rolle der Weiterbildungfür die Karriere und Zugangsmöglichkeitenbzw. Barrieren warenein weiteres Thema. Schließlichwurde gefragt, warum Ingenieurinnenihren Beruf verlassen.Die Fokusgruppendiskussionen50


Organisationskultur und Geschlecht in den Ingenieurwissenschaften Europasmit Ingenieurinnen und die Einzelinterviewsmit Ingenieurinnen inManagementpositionen sollten derenaktuelle Situation in einer immernoch maskulinen Domäne mitmännlich geprägter Organisationskulturerfassen. PersonalmanagerInnenund BetriebsrätInnen wurdenüber die interne Unternehmungspolitikbezüglich allgemeiner Gleichstellungsmaßnahmenund speziellerKarriereförderungsprogramme befragt.Die Günde für das Ausscheidenvon Ingenieurinnen aus ihrem Berufund das Abbrechen einer Karrieresollten aus Interviews mit vierunterschiedlichen Typen von Frauenerschlossen werden. Befragt wurdeneine Ingenieurin, die später eineigenes Unternehmen gründete, eine,die Lehrerin wurde, eine, die ausprivaten familiären Gründen kündigteund eine, die arbeitslos wurdeund keinen adäquaten Job mehrfand.3. Hypothesen zum ingenieurwissenschaftlichenBeruf vonFrauenDie gesellschaftlich konstruierteZweigeschlechtlichkeit mit ihrerAuswirkung auf geschlechtliche Sozialisationund Geschlechterstereotypenbehindert entscheidend dieAufhebung der Geschlechtersegregationin Studium und Beruf. Diegeschlechtliche Konnotation <strong>des</strong>dualistischen Denkens mit der Abwertung<strong>des</strong> weiblichen Pols fundiertund legitimiert die androzentrischeneuropäischen Gesellschaften.Die Verknüpfung der Ingenieurwissenschaftenmit Männlichkeitbedeutet einerseits für vieleFrauen, die sich für den Beruf entscheiden,eine potentielle Aufwertungihrer gesellschaftlichen Position,auf der anderen Seite einenKonflikt mit ihrer erlernten Vorstellungvon Weiblichkeit. Die männlichenIngenieurwissenschaften spiegelnsich in maskulinen Organisationskulturenwider, die eine negativeAuswirkung auf Frauen haben,welche sich dadurch unzufriedenund marginalisiert fühlen (vgl. u.a.ETAN 2000). Immer wenn eine(junge) Frau eine Männerdomänebetritt, erlebt sie durch ihren Minderheitenstatusähnliche Mechanismendurch die Praxis <strong>des</strong> „doinggender“ (West/Zimmerman 1991,S. 13-37), die mit der Erfahrung <strong>des</strong>Anderssein verknüpft ist.Faulkner (2000) und andere (vgl.z.B. Cockburn 1988, Wacjman1996) haben die enge Beziehungzwischen Ingenieurwissenschaften,„Masculinity“ und Technologie aufgezeigt.Technische Kompetenzwird allgemein mit Männern assoziiertund das vorherrschende Imagevon Technik stimmt mit dem vonMännlichkeit und Macht überein.Schema 1: Hypothesen zu Ingenieurinnen im BerufDie enge Verknüpfung von traditionellerhegemonialer Männlichkeit(Connell 1999) mit dem, was das Ingenieurwesenausmacht, gilt alsHaupthindernis für die Einführungfrauenfreundlicher Arbeitsstrukturen.Dabei spielt die Polarisierungvon Weiblich-Männlich in Verbindungmit Technik eine große Rolle(vgl. McLean et al. 1996, Wajcman1996). Männlichen Ingenieurenwird eher technische Kompetenzzugeschrieben. Das bedingt, dasssich Ingenieurinnen im Beruf, obbewusst oder unbewusst, ständigmit Tendenzen zur Abwertung ihrerKompetenz – nach denen sieemotionaler, weniger analytisch undweicher als Männer seien – ausgesetztsehen und im Vergleich zu ihrenmännlichen Kollegen besondereLeistungen erbringen müssen,um dies Manko wettzumachen.Die dominante oder hegemonialeMännlichkeit (Connell 1999) bestimmtauch die Organisationskulturvon Unternehmen, die ein Arbeitsfeldfür IngenieurInnen bieten.Ausdruck findet diese Männlichkeitin der sog. „Machokultur“, die definiertist durch lange Arbeitsstunden,starken Wettbewerb, verbunden mitMangel an gegenseitiger Unterstützungund Teamarbeit.Schon der bloße Minderheitenstatuskann ein Gefühl der Margi-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200551


Felizitas Sagebielnalisierung hervorrufen. AbweichendeVorstellungen von einer gutenArbeitsatmosphäre und direkteArbeits- und Karrierebarrieren (z.B.familienunfreundliche Arbeitszeiten,mangelnder Zugang zu <strong>Info</strong>rmationenund Netzwerken) könnenzu Unzufriedenheit führen und Anlasszum Verlassen <strong>des</strong> Arbeitsplatzesoder <strong>des</strong> Berufs geben. Das Problemvon Maßnahmen, die speziellzur Frauenförderung eingesetztwerden, ist, dass sie durch das Betonen<strong>des</strong> Anderssein von Ingenieurinnenals stigmatisierend empfundenund abgelehnt werden können.Die dargestellten hypothetischenZusammenhänge werden in Schema1 zusammenfassend anschaulichgemacht.4. Ergebnisse zu Organisationskulturund Geschlecht inden IngenieurwissenschaftenDie Darstellung der Ergebnissefolgt der Reihenfolge der Untersuchungsphasen.Die thematischeGliederung impliziert, dass Ergebnissein der Regel qualitative undquantitative Daten verknüpfen.Für die Beschreibung und Analyseder Situation der Ingenieurinnenim Beruf werden zunächst dieHomepages der ausgewählten Unternehmenherangezogen. Auch imBeruf müssen sich Ingenieurinnenmit ihrer Minderheitssituation in einermännlich geprägten Organisationskulturauseinandersetzen undStrategien für einen Umgang damitentwickeln. Geschlechtlich konnotierteÜberstunden- und Teilzeitarbeitwerden in Verbindung mit derwork-life-balance dargestellt unddiskutiert. Stellenwert und Möglichkeitder Karriere von Ingenieurinnensowie die Bedeutung von Männer-und Frauennetzwerken in diesemZusammenhang schließen dieErgebnisdarstellung ab.4.1 Homepages: der ersteEindruck von UnternehmenIn diesem Arbeitsschritt werdenHomepages von 12 europäischenUnternehmen analysiert und imHinblick auf die obigen Hypothesenausgewertet. Sind sie einem neueneher frauenfreundlichen Imageverpflichtet oder folgen sie einemalten männlichen Image von Industrieund Technik und sprechenFrauen eher weniger an? Von denuntersuchten Unternehmen sind diefinnischen und deutschen Unternehmendie einzigen, die Bilder vonFrauen und spezielle <strong>Info</strong>rmationenfür Frauen enthalten. Sie bieten außerdemProgramme, Konzepte, Initiativenund <strong>Info</strong>rmationen für Studierendeund Arbeitnehmer. Aufder finnischen Internetseite <strong>des</strong>„good practice“ Beispiels werdenFrauen sogar in gehobenen Positionendargestellt. Keine angemesseneGeschlechterbalance auf Photosund Bildern ist aus den beiden untersuchtengriechischen und einerösterreichischen Internetseiten ersichtlich.Abgebildete Männer aufden Webseiten der betrachteten britischenFirmen scheinen höhere Positioneninne zu haben; das gilt auchfür die Seiten von einem deutschenund einem österreichischen Unternehmen.Die untersuchten griechischenund österreichischen Unternehmenpräsentieren keine speziellenInitiativen und ihre Internetseitenscheinen sich mehr an Männerals an Frauen zu richten.Die meisten Unternehmen derPartnerländer haben Kontakte zuUniversitäten, außer den beidengriechischen und einem österreichischenUnternehmen. Deutsche, britischeund finnische Internetseiteninformieren über Kooperationenmit Schulen, die deutschen Unternehmenbieten besondere Aktivitätenfür Studentinnen und Schülerinnen.Alle untersuchten Unternehmen ausDeutschland, Finnland und Großbritannienhaben ein spezielles DiversityProgramm, aber nur dasfranzösische „good practice“ Unternehmenhat auch noch ein GendermainstreamingKonzept. Die beidengriechischen und österreichischensowie ein französisches Unternehmenhaben weder ein DiversityProgramm noch ein GendermainstreamingKonzept.Spezielle <strong>Info</strong>rmationen überKarrierebedingungen für Frauen,Hinweise auf Job-Sharing, flexibleArbeitszeitmodelle und Möglichkeitender Kinderbetreuung bieten nurdie Webseiten der deutschen Unternehmenund <strong>des</strong> finnischen „goodpractice“ Beispiels.4.2 Männlichkeitskultur undMinderheitssituation derFrauenDie Arbeitsorganisation und die Artder Arbeit entsprechen einemmännlichen Modell, Männer bauenes seit Generationen nach ihren Bedürfnissenauf, lange in Abwesenheitvon Frauen. Die österreichischenFrauen, die befragt wurden,formulieren klar, dass sie sich immernoch als Minderheit fühlen, dominiertvon einer männlichen Kultur,die sexistische Witze einschließt.Überall in Europa erzählen Frauenüber die Dominanz männlicherOrganisationskultur und betontenjedoch gleichzeitig, dass sie keineProbleme damit hätten. Dafür kannes zwei Erklärungen geben: man istsich dieser Männlichkeit bewusst,aber sie stellt tatsächlich kein Problemdar oder die Ingenieurinnenverbieten sich, damit Probleme zuhaben wegen ihres zugeschriebenen„toughen“ Images.Andererseits ist es für einigeFrauen eine große Herausforderung,überhaupt in einer männlichenDomäne zu arbeiten; die be-52


Organisationskultur und Geschlecht in den Ingenieurwissenschaften Europasfragten Frauen sind sich darin einig,dass sie ihre Kompetenz ständig beweisenund viel arbeiten müssen sowiegenau wissen müssen, was siewollen, um ernst genommen zuwerden. „Ich musste kämpfen, umdas Unternehmen zu überzeugen,dass ich als Frau es schaffen könnte!“sagt beispielsweise eine interviewtefranzösische Ingenieurin, dieihren Beruf verlassen/gewechselthat.Die befragten Frauen stimmendarin überein, dass es nicht leichtist, sich als Frau zu behaupten undakzeptiert zu werden. „Es ist eineMännerwelt und Frauen haben daszu akzeptieren“, so eine österreichischeIngenieurin. Viele der in derFokusgruppe befragten österreichischenFrauen meinen, dass Männermit einer konservativen Weltsichtmit kompetenten selbstsicherenFrauen nicht umgehen können. VieleMänner sind sich ihrer altmodischenGeschlechterstereotype nichtbewusst. Sie wollen fortschrittlichdenken und sich zeitgemäß verhalten,aber in ihrem Macho-Verhaltenzeigt sich ihre traditionelle Erziehung.Einige der Frauen in einem slowakischenUnternehmen sprechenoffen über ihre Probleme, die sichvon den Problemen der Männerdeutlich unterscheiden. Ihrer Meinungnach liegt eine Erklärung inden traditionell unterschiedlichenPositionen in der Familie und Gesellschaft.Auch wird generell mitProblemen oder Versagen vonFrauen und Männern unterschiedlichumgegangen: macht eine Frauetwas falsch, ist die Reaktion: „Naja, sie ist nur eine Frau, was konntenwir von ihr sonst erwarten“. Verursachtdagegen ein Mann ein Problem,ist die Reaktion: „Das hättejedem passieren können.“Einige der griechischen InterviewpartnerInnenbetonen, dass diemaskuline Atmosphäre in den IngenieurwissenschaftenFrauen voneiner Karriere in diesem Gebiet abschreckt.Und in Frankreich undDeutschland benennen einige derbefragten Ingenieurinnen, die dominanteMännlichkeit in den Unternehmenund ihre Minderheitensituationals Frau als Hauptgründe fürihren Entschluss, aus ihrem Berufauszuscheiden.4.3 Copingstrategien in einerMännerdomäneDie meisten der befragten Managerinnenmeinen, es würde von ihnennicht erwartet, besonders „tough“zu sein, aber alle zeigen ein großesSelbstbewusstsein. Dennoch meinensie, dass Männer in vergleichbarenPositionen normalerweise erheblichgrößere Selbstsicherheit demonstrieren.Eine der befragtenösterreichische Ingenieurin drücktdies sehr treffend folgendermaßenaus: „Männer haben eine gigantischeSelbstsicherheit. Sie redenselbst, wenn sie nichts wissen. Frauenmachen den Mund nur auf, wennsie wirklich etwas zu sagen haben.Das ist ein Punkt, wo wir nicht zusammenpassen.“Auf dumme und sexistische Witzereagieren die befragten österreichischenIngenieurinnen, wie sie ineiner Fokusgruppe versichern, ambesten in einer Art, mit der sie sichdie Männer nicht zu Feinden machen.Frauen benötigen im Umgangmit Männern Sensitivität und Vorsicht,die Männer offenbar nicht zubenötigen scheinen, wenn sie mitFrauen reden. Eine jüngere deutscheIngenieurin aus dem Managementder „good practise“ Firmaschlägt mit gleichen Waffen zurückund übertrumpft die Männer noch,wie sie meint. Finnische und französischeIngenieurinnen erzählen, dasssie versuchen wie die Männer zu arbeiten;die österreichischen Frauenaus der Fokusgruppe meinen dagegen,es sei nicht notwendig, es denMännern gleich zu tun. Eine von ihnenmeint: „Du solltest eine Fraubleiben. Das ist in Ordnung. Aberwenn du übersensibel bist, dann gibtes Probleme.“Auffallend ist, dass trotz Allemkeine der Ingenieurinnen von Problemenbei der Arbeit spricht, obgleichsich alle der Geschlechterunterschiede,der Männlichkeitskulturund ihrer Minoritätssituation bewusstsind.4.4 Männliche „Überstundenkultur“Überstunden gegenüber Teilzeitsind zentrale Elemente der männlichenim Vergleich zur weiblichenOrganisationskultur. Die meistenManagerinnen praktizieren ihr eigenesFührungskonzept mit dem Fokusauf eine gute Arbeitsatmosphäreund es ist ihnen bewusst, dass dieReduzierung von Überstunden aufdringende und notwendige Fällesehr wichtig ist.Was Arbeitszeiten und Überstundenangeht, bestehen offensichtlichgroße kulturelle Unterschiede in Europa.In Deutschland, Frankreich,Slowakei, Österreich und Großbritannienist es ziemlich normal,Überstunden zu leisten und eine„Immerverfügbarkeit“ zu zeigen;Diese Arbeitszeitenkultur ist männlichdominiert. In Finnland ist esganz anders, Überstunden und„Arbeitssüchtige“ sind sozial unerwünscht.Trotzdem scheinen die Überstundenkein großes Problem fürIngenieurinnen zu sein, ausgenommenfür die befragten österreichischenFrauen. Hier führt in einemUnternehmen die Überstundenkulturund Nachtarbeit zu der seltsamenTradition, wie eine Teilnehmerinaus der österreichischen Fokusgruppeübereinstimmend mit ihren<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200553


Felizitas SagebielKolleginnen berichtet, dass nämlich„einige Männer für stundenlangeKaffeepausen ihren Arbeitsplatzverlassen, dann abends arbeiten undsehr spät Emails abschicken, um ihreKollegInnen zu beeindrucken.Oder einige betrügen, in dem sie dieComputeruhr vorstellen. All das istShow. Die meisten Vorgesetztenaber können das nicht überprüfen,weil sie die Arbeit der Angestelltennicht richtig einschätzen können.“Die Angst vor der Notwendigkeitvon Überstunden für Frauen inManagementpositionen hält Ingenieurinnenaus den Fokusgruppendiskussionenin den ausgewähltendeutschen Unternehmen davon ab,eine Karriere überhaupt anzustreben.4.5 Frauenkultur von Teilzeitarbeit?Teilzeitarbeit hat nicht überall dasgleiche Ansehen in Europa. In einigenLändern wie Deutschland, Österreich,Frankreich und Finnlandist Teilzeitarbeit ganz normal undakzeptiert und wird besonders fürFrauen mit Kindern in allen Unternehmenangeboten. In anderenLändern wie Großbritannien undder Slowakei wird Teilzeitarbeit offensichtlichselten angeboten. FehlendeMöglichkeiten der flexiblenArbeitszeitgestaltung führen zu unterschiedlichenEntscheidungen bezüglichFamilie und Karriere und,das wird in den Interviews und denDiskussionsrunden immer wiederdeutlich, sie können Frauen auchzum Ausscheiden aus dem Unternehmenbzw. ihrem Job bewegen.Teilzeitarbeit ist besonders fürArbeitnehmerinnen mit Kindern einegute Möglichkeit, ein Gleichgewichtzwischen Arbeit und Privatlebenherzustellen. Die Reduzierungvon Arbeitszeit kann sich jedochauch negativ auswirken, da Karriereeng mit Anwesenheit und Bekanntheitverbunden ist. Die Sichtbarkeitund die Intensität der sozialenKontakte sinkt durch die Verringerungder Arbeitszeit und für denAustausch von <strong>Info</strong>rmationen. Fürdas für die Karriere notwendigeNetworking bleibt zudem kaumZeit.Eine französische Ingenieurin,die ausgestiegen ist, erzählt über ihreErlebnisse, nachdem sie ihre wöchentlicheArbeitszeit reduziert hat:„Zu Beginn, ja, versuchten einigemich als Sekretärin zu missbrauchen,da verweigerte ich mich, weiles der Job einer Assistentin war. Solangemich Leute nicht kannten,fanden aber aufgrund meiner technischenSprache schnell heraus, dassich keine Sekretärin war, weil die sichnicht so technisch hätte ausdrückenkönnen.“ Teilzeitarbeit arbeitendeFrauen, dies verdeutlicht dieses Beispiel,werden also möglicherweisenicht ihrer Position entsprechend„eingestuft“, sondern, wie z.B. indem berichteten Fall, für Sekretärinnengehalten.Einige der Ingenieurinnen, die inder Fokusgruppe in Großbritanniendiskutierten, lehnen die Konzentrationauf Kinderbetreuung oderdie Balance zwischen Arbeit undLeben ab, mit der Begründung, dassnicht alle Frauen Kinder haben wollen.Vorgesetzte in allen Ländernnehmen immer noch an, dass alleFrauen Kinder haben werden. Aberdie Realität zeigt, dass einige Frauenkeine Kinder haben und auch keinehaben möchten. Diese Frauenspüren das Vorurteil und werdenimmer wieder mit dem längst nichtmehr zeitgemäßen Bild konfrontiert,dass alle Frauen Kinder habenwerden. Dieses Vorurteil, das aufeiner falschen Annahme beruht,verursacht, dass Frauen wenigerund Männer mehr unterstützt werden.4.6 Balance zwischen Arbeitund Leben mit KindernDie befragten Managerinnen in Europazeigen und leben die Möglichkeit,ihre Familie und Karriere zukombinieren und so eine Balancezwischen Arbeits- und Privatlebenherzustellen. Sie sind jedoch unbekannteVorbilder, weil „normale“Ingenieurinnen in der Regel denManagerinnen wegen ihrer geringenAnzahl nicht begegnen. Besondersjüngere Ingenieurinnen fürchten, sodie Ingenieurinnen aus deutschenund der griechischen Fokusgruppe,einen Karriereknick, wenn sie Kinderbekommen und dann eine Balancezwischen Arbeit und Lebensuchen. Die Managerinnen, die Kinderhaben, kennen die Schwierigkeitender Vereinbarkeit, haben aberfür sich eine Lösungsmöglichkeitgefunden. Mit Erreichen einer bestimmtenManagementebene bietetder höhere Verdienst auch neueMöglichkeiten der Organisation individuellerKinderbetreuung.Über konkrete Erfahrungen miteiner veränderten Karriereförderungnach dem ersten Kind berichtendeutsche Ingenieurinnen. Vorder Schwangerschaft waren diemeisten Frauen Anwärterinnen fürdie nächste Karrierestufe, die Förderungdurch Vorgesetzte hörte jedochabrupt mit Bekanntgabe derSchwangerschaft auf und wurdenach dem Mutterschaftsurlaub auchnicht wieder aufgenommen. MöglicheErklärungen dafür können inder altmodischen Meinung der Vorgesetztenliegen, dass eine Kombinationvon Karriere und Familie unmöglichsei, oder an ihrer Vermutung,dass die Frauen nicht wünschen,weiter gefördert zu werden,weil sie sich auf ihr Kind konzentrierenwollen.Eine der befragten finnischenFrauen hebt hervor, dass sie keineSchwierigkeiten bezüglich der Ver-54


Organisationskultur und Geschlecht in den Ingenieurwissenschaften Europaseinbarkeit von Arbeit und Familiehabe: „Ich habe bereits 4 Jahre alteZwillinge und werde jetzt wieder inMutterschaftsurlaub gehen. Ich habeimmer den normalen Mutterschaftsurlaubwahrgenommen undbin auch zuhause geblieben, wenndie Kinder krank waren. Die Kinderversorgungin Finnland ist gutund das Unternehmen muss sichnicht darum kümmern. Wegen derKinder mache ich wenige Überstunden.Wenn sie krank sind, erledigteich die wichtigste Arbeit zuhauseund dies hat ebenso viel Zeit in Anspruchgenommen als wenn ichnach einer anderen Betreuungspersonhätte suchen müssen.“Auf jeden Fall verlassen die befragtenIngenieurinnen in Deutschland,Österreich, Slowakei, Frankreichund Finnland ihren Job in derRegel nicht, wenn sie Kinder bekommen.Die nationalen Rahmenbedingungenfür diese Praxis jedochdifferieren. In Frankreich gibt es einendrastischen Unterschied zwischendem „good practice“ Unternehmenund dem zweiten Unternehmen.Während das erstere imRahmen von Diversity nach Lösungenzur Unterstützung von Mütternsucht, sieht das andere UnternehmenSchwangerschaft und Mutterschaftals lästiges Problem an. UnternehmensinterneKinderbetreuungwird nicht überall angeboten;das muss nach Ansicht der Befragtenverbessert werden, um besondersvon jungen Ingenieurinnen dieBelastung zu nehmen, einen Karrierebruchoder Probleme als Elternbefürchten zu müssen.4.7 Ingenieurinnen undKarriereIngenieurinnen haben ihre eigenenKarrierevorstellungen und definierensie über Arbeitsinhalte, einschließlichhorizontaler Karriereschritte,bei denen sie ihren Arbeitsbereichund Horizont erweitern.Das scheint ihnen wichtiger als dervertikale Aufstieg. Wichtiges Kriteriumfür die Frauen ist ein interessanterJob. Die deutschen und österreichischenIngenieurinnen aus denFokusgruppen gehen davon aus,dass „Karriere einen bestimmtenPreis kostet“. Eine Teilnehmerinmeinte: „Eine Karriere kannst dunur haben, wenn du dich selbst vollkommenaufgibst. Es sind diejenigen,die sich darauf vorbereitet haben,kein privates Leben zu haben,keine Hobbys, nichts als nur die Firmavom frühen Morgen bis zumAbend! Das sind diejenigen, diewirklich eine Karriere machen.Wenn jemand sich gleichzeitig demFamilienleben widmet, wird das Arbeitsengagementnicht mehr unbegrenztsein.“Für die Frauen ist es wichtiger,einen angenehmen, interessantenJob zu haben und die Balance zwischenBeruf und Privatleben nichtzu verlieren als Karriere zu machen.Das wurde auch kürzlich in einemArtikel der FAZ wieder für deutscheberufstätige Frauen bestätigt und alsGrund für ihren geringen Anteil imManagement angesehen (vgl. Richter5.9.2005, S. B7). Die entsprechendenErwartungen der Gesellschaftan die Frauen sind zweifach,eine gute Mutter zu sein und einenguten Job zu haben, während vonMännern diese Doppelbelastungnicht erwartet wird.Über die Planbarkeit der Karrieregibt es in einzelnen Ländern unterschiedlicheAnsichten. Währendfür Ingenieurinnen, die in Großbritannienund Finnland befragtwurden, Karriere wichtig ist und geplantwird, meinen die interviewtenÖsterreicherinnen und Griechinnen,dass sich der nächste Karriereschritt„zufällig ereignet“ habe. Diebefragten slowakischen Ingenieurinnenzeigen kein besonderes Interessean Leitungspositionen.Die Managerinnen nennen danachbefragt historisch-gesellschaftlicheund unternehmensinterneGründe für den mangelnden Aufstieg.Geschlechterstereotype, traditionelleVorstellungen über die gesellschaftlicheArbeitsteilung undtraditionelle Rollenvorstellungen gehörenzu den ersten Statements.Überlange Arbeitsstunden, gutfunktionierende Männernetze undbegrenzter Zugang der Frauen zudiesen werden als Barrieren für denAufstieg von Ingenieurinnen in denUnternehmen genannt.Eine interviewte französischeManagerin hat dafür ihre eigene Erklärung:„Warum es so wenige Topmanagerinnengibt? Nun wollen siedas wirklich wissen? Es erfordert soviele Opfer auf der persönlichenund familiären Ebene, wozu dasTopmanagement dazu zwingt ihrLeben als Arbeit zu verbringen. Ichglaube Frauen sind nicht bereit dazudiesen Preis zu bezahlen.“ Eine Entscheidungfür die Karriere werde einunausgeglichenes Arbeits- und Privatlebennach sich ziehen, was Frauennicht wollen. Eine deutsche Ingenieurinformuliert das ähnlich: „Esist nicht wünschenswert für Frauen,weil das weibliche Lebenskonzeptden menschlichen Beziehungeneinen hohen Stellenwert einräumtund nicht mit Managementpositionenzusammenpasst. Deshalbkönnen Frauen sich nicht mitFührungspositionen identifizieren.Es brauchte große Anstrengungen,einen weiblichen Arbeitszusammenhangzu schaffen.“4.8 Zur Bedeutung von Männer-und FrauennetzwerkenDie befragten Ingenieurinnen sindsich der immer noch gut funktionierenden„old boys’ networks“ in allenPartnerländern bewusst und unterschätzenauch deren Bedeutung<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200555


Felizitas Sagebielfür die Karriere nicht; nur für diebefragten Ingenieurinnen in Finnlandscheint diese Machtstrukturnicht so erkennbar zu sein. GroßeGeschlechterunterschiede bestehennach den Erfahrungen der Befragtenallerdings hinsichtlich <strong>des</strong> Zugangszu Männernetzwerken, derFrauen nur partiell gelingt. ExistierendeFrauennetzwerke hätten eineandere eher private Funktion, z.B.würde sie zur <strong>Info</strong>rmation überTheaterkarten genutzt, so eine deutscheIngenieurin in Managementfunktion.Frauennetzwerke im Berufhaben einen eher formellenCharakter (funktionieren z.B. E-mail-Listen) und sind normalerweisenicht so informell wie Männernetzwerke,die z.B. über Kaffee-,Biertrinken funktionieren. Ihren begrenztenZugang zu den Männernetzwerkenim Blick sehen die Ingenieurinnendies als wichtigstenEinflussfaktor für die Karriere an.Sie sind sich allerdings oft nicht klardarüber, wie richtiges Netzwerkengemacht wird.Managerinnen sind sich derGrenzen von Frauennetzwerken fürihre Karriere bewusst „man brauchtjemanden zum Ziehen und jemanden,der gezogen wird“, so einedeutsche Managerin. Die Anzahlder Frauen in Führungspositionenist noch zu gering als dass die Frauennetzefür die gegenseitige Karriereunterstützungausreichen. ExterneFrauennetze wie Berufsorganisationenoder Zentren für NaturundIngenieurwissenschaftlerinnengibt es, aber karrierewirksame Frauennetzwerkein den Unternehmenexistieren nicht, weil Frauen nichtzahlreich genug sind und/oder zuwenig Macht haben. Einig warensich die Teilnehmerinnen, dass esfür eine Karriere nicht genügt, gutund kompetent zu sein, man mussauch Beziehungen haben und wichtigenPersonen bekannt sein.4.9 Zusammenfassung und Reflexionder Ergebnisse überOrganisationskultur und Geschlechtim ingenieurwissenschaftlichenBeruf in EuropaDas WomEng Projekt hat die Gelegenheitgegeben, Studium und Berufder Ingenieurwissenschaften imzeitlichen, institutionellen und personellenZusammenhang, zu untersuchen.Für Ingenieurinnen im Berufstellen diese beiden Untersuchungsphasenaufeinander folgendeLebensphasen dar, die bei allerUnterschiedlichkeit gemeinsameElemente beinhalten. So fallen Parallelender Organisationskulturaber auch der Anpassungsprozessevon Frauen an diese auf. Die Männerdomänenscheinen in den Institutionender Ausbildung als auch<strong>des</strong> Berufs aufgebrochen zu sein,wenn auch unterschiedlich stark inden einzelnen Partnerländern. FrauenspezifischeMaßnahmen zur Verbesserungder beruflichen Situationvon Ingenieurinnen sind im unterschiedlichenMaße in den untersuchtenUnternehmen integriertund stoßen, abhängig von nationalenKulturen, auf Zustimmung oderAblehnung, unabhängig vom Nachweisihrer Wirksamkeit. Bei einigender befragten Ingenieurinnenscheint partiell ein öffentliches Tabuvon Geschlechterdifferenz im Berufdurchzublicken.4.9.1 Zusammenfassung derErgebnisseIngenieurinnen im Beruf sind sichihrer Situation als Minderheit in einermännlichen Domäne durchausbewusst und die meisten Befragtenbetonen, dass sie damit umgehenkönnen. Fast alle sind mit ihrem Jobsehr zufrieden. Die österreichischenund slowakischen Ingenieurinnen,die an der Befragung teilnahmen,empfinden das Gefühl, zu einer Minoritätzu gehören, als unangenehm.Entgegen der hohen Zufriedenheitder aktuell im Beruf stehendenIngenieurinnen nennen viele vondenjenigen, die ihren Job verlassenhaben, die Minderheitenpositionund die Männlichkeitskultur im ingenieurwissenschaftlichenBeruf alswichtige Gründe für ihre Entscheidung.Arbeitsinhalt, Arbeitsatmosphäreund die Balance zwischen Arbeitund Leben sind für alle befragtenIngenieurinnen besonders wichtig.Einer Karriere wird demgegenübereine geringere Priorität eingeräumt.Ingenieurinnen mit Kindern nehmenTeilzeitarbeit wahr, wenn siedie Möglichkeit dazu haben und vermeidenÜberstunden.Die Frage zu Geschlechterdifferenzenim Beruf, insbesondere bezüglichder Führung, wird von denManagerinnen länderspezifisch unterschiedlicheingeschätzt. BefragteIngenieurinnen in Deutschland,Österreich, Griechenland, Finnlandund der Slowakei sehen Geschlechtsunterschiedezum großenTeil. Demgegenüber werden vonden Befragten in Frankreich undGroßbritannien wahrgenommeneVerhaltensunterschiede eher an derPersönlichkeit und nicht am Geschlechtfestgemacht. Insgesamtscheint es so, dass sich die meistenManagerinnen nicht an männlichnormierte Führungskonzepte anpassenund in Abgrenzung zu ihrenmännlichen Kollegen in gleicherPosition z.B. auf Teamarbeit, Arbeitsatmosphäreund Vermeidungvon Überstunden großen Wert legen.Die Kriterien der Karriereförderungscheinen überwiegend transparentzu sein. Nur die Definition dersog. „high potentials“ bleibt imDunkeln. Als Karriere hinderndeFaktoren sehen die meisten der befragtenIngenieurinnen in Deutschland,Österreich, Griechenland und56


Organisationskultur und Geschlecht in den Ingenieurwissenschaften EuropasFrankreich die Priorität von worklife-balancean und den begrenztenZugang von Ingenieurinnen zuMännernetzwerken, zugeschriebeneGeschlechterdifferenzen im Berufwerden als zusätzlich karrierehinderlicheingeschätzt.Viele der befragten Ingenieurinnensind gegenüber speziellen Frauen-Fördermaßnahmenskeptisch.Werbung speziell für Ingenieurinnengibt es nur in Finnland. Gleichberechtigungsprogrammein denuntersuchten deutschen, französischenund griechischen Firmen werdenvon den Frauen unterschiedlichstark akzeptiert. Förderprogrammegab es in den in die Untersuchungeinbezogenen Firmen aus Großbritannien,Österreich und Finnlandnicht.4.9.2 Zur Reflexion der ErgebnisseWird die geringe Anzahl von Studentinnenin den Ingenieurwissenschaftenzum Teil mit der immernoch vorhandenen weiblichen Sozialisationund Peergroup Einflüssenerklärt, so ist ein Teil <strong>des</strong> geringenAnteils von Ingenieurinnen, dieKarriere machen, in ihrem partiellenRückzug auf die weibliche Domäneder Kindererziehung unterVerzicht auf Geld und Macht zu erklären.„Good practice“ Unternehmenhaben gezeigt, dass es möglich ist,formelle Organisationskulturenfrauenfreundlich zu gestalten, z.B.durch die Konzeption ihrer Homepages,die Einführung oder das Vorhandenseinvon Diversity Konzeptenoder GendermainstreamingProgramme sowie die Durchführungzahlreicher Einzelmaßnahmen.Eine nach wie vor nicht einnehmbarerscheinende Männerbastion,die aber von zentraler Bedeutungfür die Karriere ist, sind die Männernetzwerke,in denen wichtige <strong>Info</strong>rmationenund Entscheidungenausgetauscht werden.Dennoch gibt es sie, die Ingenieurinnenin Managementpositionen,die aufgestiegen sind, Karrieregemacht haben und das sogar nochmit Kindern und Familie vereinbaren.Aber sie sind als Modelle fürandere Ingenieurinnen nicht sichtbar,unter anderem <strong>des</strong>halb, weil Ingenieurinnenaufgrund ihrer geringenZahl nur selten die Gelegenheithaben, mit anderen Ingenieurinnenzusammen zu arbeiten. Der Führungsstilvon Ingenieurinnen imManagement scheint sich deutlichvon dem der Männer in vergleichbarenPositionen zu unterscheiden.Mit seiner Personen- und Teamorientierungentspricht er modernenFührungskonzepten. Aber ihn <strong>des</strong>halbals „weiblich“ zu konnotieren,kann in eine Falle führen, die sichimmer auftut, wenn mit Dichotomienargumentiert wird, die außerdemim Zusammenhang mit Technikund Geschlecht traditionell mitder Abwertung <strong>des</strong> weiblichen Polsverbunden sind.5. Theoretische Reflexionen zuGender und Ingenieurwissenschaften/Technik–Barrieren für Ingenieurinnenund GeschlechtertheorienDie soziale Konstruktion von Geschlechtbestimmt Weiblichkeit undMännlichkeit in einer Gesellschaft.Der sog. weibliche Sozialisationsprozess6 gilt als eine traditionelleBarriere für Frauen auf dem Wegzur Technik. In Kindheit und Jugendherrschen teilweise immernoch einseitige Geschlechterstereotype(Eckes 2004) vor. Danachspielen Mädchen nicht mit Spielzeug,das eine Nähe zu Maschinenund Werkzeugen aufweist. Späterdürfen sie nicht zeigen, dass sie Mathematik,Technik und Naturwissenschaftenmögen, weil diese Fächereine männliche Domäne sind.Nur sehr interessierte und kompetenteMädchen zeigen nachhaltigesInteresse an den für ein Technikstudiumgrundlegenden Fächern. Diemeisten Mädchen aber übernehmendas traditionelle weibliche Image,das durch den Gegensatz zummännlichen konstruiert ist. Die Stereotypenvon der männlichen Technikkompetenzund der weiblichenDistanz zur Technik werden reproduziert.Im nächsten Schritt wirdder Glaube an die mangelnde Kompetenzin das Selbstbild hinein genommenund somit zu einem Teilder weiblichen Identität. Die Konstruktionder Geschlechterdifferenzensetzt sich fort: „Males are portrayedas fascinated with the machineitself, ‘being‘ hard masters’….Females are <strong>des</strong>cribed as only interestedin computers as tools…“(Wajcman 1996, S. 156).Die soziale Konstruktion der Ingenieurwissenschaftenals männlichist begründet zusätzlich die geringeAnzahl von Studentinnen einerseitsund den Marginalisierungsprozessvon Frauen in der Technik andererseits.Durch die Polarisierung vonweiblich und männlich und dieKonstruktion von Ingenieurwissenschaftenals männlich wird die Verbindungzwischen hegemonialerMännlichkeit und Technik hergestellt.In der industrialisierten Welt,in der wissenschaftliche und technischeRationalität hoch bewertet werden,spielen die Assoziationen, dassFrauen emotionaler, weniger analytischund schwächer als Männer seien,eine große Rolle bei der ideologischenKonstruktion von Frauen alsminderwertig (Wajcman 1996, S.145).Das männliche Image ist, wie dieErgebnisse von WomEng gezeigthaben, noch nicht aufgelöst. „Incontemporary Western society, he-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200557


Felizitas Sagebielgemonic masculinity is strongly associatedwith aggressiveness and thecapacity for violence … The cult ofmasculinity is based on physicaltoughness and mechanical skills isparticularly strong in the shop-floorculture of working-class men.“(Wajcman 1996, S. 143).Das dualistische Denken in Gegensatzpaaren,wie z.B. Körper –Geist, konkrete – abstrakte Ansätze,Menschen – Technik, weiche –harte Technik, bestimmt und verstärktdie Polarisierung von weiblichund männlich, häufig mit einerAbwertung <strong>des</strong> Weiblichen verbunden(vgl. Sagebiel 2005, Wajcman1996, S. 145). Technische Symboleund Bilder demonstrieren die kulturellstrukturierte Verbindung zwischenMännlichkeit und Technik.Nach Faukner (2000) und Harding(1986) sind die Ingenieurwissenschaftenin drei Hinsichten geschlechtlichkonnotiert: durch diegeschlechtliche Arbeitsteilung, diesich in unterschiedlichen Arbeitsstilenvon Männern und Frauen ausdrückt,durch die symbolischen,bildlichen und kulturellen Verknüpfungenvon Männlichkeit undTechnik, und dadurch, dass IngenieurInnenals Personen geschlechtlichkonnotierte professionelleIdentitäten entwickeln und Erfahrungenmachen. Alle drei Phänomenesind miteinander verbunden,weshalb Veränderungsansätze dieseVerknüpfungen auflösen müssen,um so die Gleichung zwischen Ingenieurwissenschaftenund Männlichkeitzu schwächen.Es herrscht eine Atmosphäre dominanterMännlichkeit (vgl. Sagebiel/Dahmen2005a, Connell 1999),die formell und informell konstruiertund aufrechterhalten wird. SozialeKonstruktion von Männlichkeitund Ingenieurwesen funktioniertüber männliche Verbrüderungdurch Geschichtenerzählen, Späße,Freizeitsport und ähnliche informelleStrategien, die explizit oderimplizit dem Ausschluss von Frauendienen (vgl. Sagebiel/Dahmen2005b, Faulkner 2000, McLean1996). Auch Männernetzwerkescheinen diese Funktion zu haben.Die Gruppe von Frauen, die Zugangin die Technik gefunden hat,muss neben äußeren strukturellenmit inneren eigenen Barrieren rechnen.Erb (1996) hat durch ihre Untersuchungüber <strong>Info</strong>rmatikerinnenherausgefunden, wie Stereotype vonder „Technikdistanz von Frauen“und der „Technikkompetenz vonMännern“ von den Frauen in diesemBerufsfeld reproduziert werden(vgl. Sagebiel 2005). Eine zentraleRolle spielt dabei eine enge Technikdefinition,die z. B. Software-Implementierungals weiblich, Hardware-Arbeitals männlich sowie dieeigene Gebrauchswertorientierungals weiblich und die Technikorientierungals männlich begreift mitentsprechender Geringerbewertung<strong>des</strong> (sozial konstruierten) weiblichenHabitus.Schema 2 7 zeigt einen Überblicküber die theoretischen Zusammenhänge.Schema 2: Theoretische Zusammenhänge von Geschlecht und IngenieurwissenschaftenDie in WomEng befragten Ingenieurinnenund auch die Managerinnenunter ihnen scheinen dieseKonstruktionen zu durchbrechen,indem sie ihren jeweiligen Arbeitsstil,ihre Führung als die überlegeneschildern. Sie verweisen damitjenseits der Diskussion von Führung/Machtund Geschlecht auf diegeschlechtshierarchische Arbeitsteilungund damit auf gesellschaftsstrukturelleErklärungen ihrer Positionenin der Arbeitswelt. Die Gefahrder expliziten Diskussion von„work-life-balance“ und Vereinbarkeitsfragenmit Verweis auf Familieliegt damit implizit in der Aufrechterhaltung<strong>des</strong> Status quo.58


Organisationskultur und Geschlecht in den Ingenieurwissenschaften Europas6. Das Tabu der Ungleichbehandlung.Geben Ingenieurinnendurch Verschweigen ihrerDiskriminierung Vorschub oderdekonstruieren sie aktiv Geschlecht?In einigen der untersuchten Länderbesteht nach wie vor eine ungebrocheneVerknüpfung der sozialenKonstruktion von Männlichkeitund Ingenieurwissenschaften. Dennochwerden von den Frauen Marginalisierungin Verbindung mit Isolationsgefühlenselten direkt genannt.Das gilt für befragte Studentinnender Ingenieurwissenschaftenwie auch für Ingenieurinnen in derPraxis. Besonders die befragtenfranzösischen Ingenieurinnen vermeidenes explizit anzusprechen,dass sie aufgrund ihres Geschlechtsbenachteiligt seien und äußern sichgleichzeitig sehr ablehnend gegenüberder erfolgreichen Quotenpolitikihrer Firma. Gleichzeitig erscheintes im Gesprächsverlauf derInterviews offensichtlich, dass Ingenieurinnenin unterschiedlichenFormen diskriminiert werden, z.B.indem sie weniger Zugang zu <strong>Info</strong>rmationenund Karrieremöglichkeitenhaben. Nützt ihre quasi Tabuisierungder Ungleichbehandlungsymbolisch gesehen dem Abbauvon Geschlechterdifferenzen oderlegitimiert sie die Nichtbewusstmachungvon gesellschaftstrukturellenBarrieren? Mit Bourdieu könnteman annehmen, dass die Ingenieurinnendemonstrieren, dass ihrenKörpern Männlichkeit als Habituseingeschrieben ist, was dazu führt,dass sie als Frauen die „Geschlechterherrschaftvom Standpunkt derHerrschenden interpretieren“ unddamit „über die Komplizenschaftihres sozialisierten Körpers an ihremeigenen Beherrschtsein mitwirken“(Bourdieu 1996, S. 199, nachWedgwood/Connell 2004, S. 114).Letztlich geht es um die Frage, obauf der symbolischen oder sozialstrukturellenBasis Veränderung dermännlichen Organisationskultur inden Ingenieurwissenschaften erreichtwerden kann.Das neue von der EU-Kommissiongeförderte Projekt PROME-TEA (Start Oktober 2005) mit seinemSchwerpunkt auf Forschungund Karriere von Ingenieurinnenkönnte diesen Fragen weiter nachgehen.Anmerkungen1PartnerInnen sind Felizitas Sagebiel(Bergische Universität Wuppertal),Christine Waechter (<strong>IFF</strong>/IFZ Graz,Österreich), Maureen Cooper (Universityof Stirling, Großbritannien), AndréBeraud and Jean Soubrier (INSA, Lyon,Frankreich), Anne-Sophie Genin (EN-SAM, Paris, Frankreich), Päivi Siltanen(Witec, Finnland), Dora Kokla (EDEM,Athens, Griechenland), Oto Hudec(Technische Universität Kosice, Slowakei),koordiniert durch Yvonne Pourrat(CDEFI, Paris, Frankreich). WomEng(website: www.womeng.net), Dauer:2002 bis 2005, Finanzvolumen: ca. 1Million Euro, wovon auf Deutschlandca. 175.000 € entfallen) gliedert sich indie zwei Projektphasen Studium undBeruf in den Ingenieurwissenschaftenund kombiniert methodisch einenquantitativen mit einem komplexenqualitativen Ansatz. Die Projektinhaltesind aufgeteilt in sog. Work packages(wp).2Ich danke an dieser Stelle für hilfreicheAnmerkungen von Jennifer Dahmen(Diplom-Sozialwissenschaftlerin).Shirin Reinhard und Monika Schmidtke(Cand. Soz.-Wiss.) halfen bei der redaktionellenDurchsicht der Literatur.3Das EU-Projekt INDECS, Abkürzungfür „Interdisciplinary Degree Coursesin Engineering, <strong>Info</strong>rmation, Technology,Natural and Socio-EconomicSciences in a Changing Society“ wurdevon August 2001 bis 31. Juli 2002 imRahmen <strong>des</strong> 5. Rahmenprogramms derEuropäischen Kommission als sog.Begleitmaßnahme durchgeführt.Acht europäische Länder waren amProjekt beteiligt: Deutschland, Frankreich,Finnland, Griechenland, Großbritannien,Österreich, Schweiz, Slowakei.Der Abschlussbericht findet sichunter www.INDECS.uni-wuppertal.de.Bei INDECS lag der Untersuchungsschwerpunktvor allem auf dem Einfluss<strong>des</strong> Faktors „Interdisziplinarität“auf die Frauenquote in den technischenFächern beim Eintritt in das Studium,dem Verbleib und dem Erfolg. Dazuwurde auch die Akzeptanz bei RepräsentantInnender Studiengänge und Arbeitgebererfragt. Innovative Lehrmethodenund monoedukative Studienelementewaren ein weiterer Fokus.4Mitarbeiterinnen waren Jennifer Dahmenals Sozialwissenschaftlerin und dieIngenieurin Dr. Gabriele Hoeborn, dieals Subcontractor beteiligt war. Mitgearbeitethaben auch die StudentInnen derSozialwissenschaften Tim Ebel, ShirinReinhard und Monika Schmidtke.5Eine eingehende Auseinandersetzungmit den Problemen interkultureller Forschungskooperationwurde an andererStelle am Beispiel der ersten Projektphasevon WomEng vorgenommen(vgl. Sagebiel 2005a).7Das Schema wurde zunächst für denProjektantrag von WomEng 2001 entwickeltund bezieht sich auf die beidenProjektphasen Studium und Beruf inden Ingenieurwissenschaften. Es wirdhier leicht überarbeitet wiedergegeben.LiteraturBilden, Helga: GeschlechtsspezifischeSozialisation, in: Hurrelmann, Klaus/Ulich, Dieter (Hgg.): Neues Handbuchder Sozialisationsforschung,Weinheim, Basel 1991, S. 279-301Connell, Robert W.: Der gemachteMann: Konstruktion und Krise vonMännlichkeiten, Opladen 1999.Cockburn, Cynthia: Die Herrschaftsmaschine.Geschlechterverhältnisseund technisches Know-how, Berlin<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200559


Felizitas Sagebiel1988.Eckes, Thomas: Geschlechterstereotype:Von Rollen, Identitäten undVorurteilen, in: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hgg.): HandbuchFrauen- und Geschlechterforschung,Wiesbaden 2004, S. 165-176.Erb, Ulrike: Frauenperspektiven auf die<strong>Info</strong>rmatik. <strong>Info</strong>rmatikerinnen imSpannungsfeld zwischen Distanzund Nähe zur Technik, Münster1996.ETAN Report: European Commission,Research Directorate-General:Science policies in the European Union:Promoting excellence throughmainstreaming gender equality. AReport from the ETAN ExpertWorking Group on Women andScience, Luxembourg 2000.Faulkner, Wendy: The Power and thePleasure: How does Gender ‘stick’to Engineers?, in: Science, Technology,& Human Values, Nr. 5 (1), 2000,S. 87-119.Genin, Anne-Sophie/Pinault, Cloé: TheBenefits of Comparing Grapefruitsand Tangerines: Toolbox for EuropeanCross-Cultural Comparisons inEngineering Education Using thisToolbox to study Gendered Imagesof Engineering among Students, in:European Journal of EngineeringEducation. Special Issue: GenderStudies in Engineering Education,2005 printing.Harding, Sandra: The science questionin feminism, Ithaca, NY 1986.McLean, Christopher/Lewis, Sue/Copeland, Jane/O’Neill, Brian/Lintern,Sue: Masculinity and the Cultureof Engineering, in: Universityof Technology Sydney (Hg.): ThirdAustralasian Women in EngineeringForum, Sydney 1996, S. 32-41.Richter, Sigrun: Lieber Freude stattStress. Bei der Karriereplanung stellenviele Frauen ihr Licht unter denScheffel, in: FAZ, 5.9.2005, S. B7.Sagebiel, Felizitas: Attracting women forEngineering. Interdisciplinary ofengineering degree courses in monoeducationalversus co-educationalsettings in Germany, in: Maione,Valeria (Hg.): Gender Equality inHigher Education. MiscellaneaThird European Conference Genoa,13-16 April 2003, Milano 2005, S.294-318.Sagebiel, Felizitas: Using a mixed internationalcomparable methodologicalapproach in a European project ongender and engineering, in: Proceedingsof the RC 32 (ISA) conferencein Amsterdam, 2005a printing.Sagebiel, Felizitas: Barrieren vonIngenieurinnen in Europa mit Hilfevon Geschlechtertheorien verstehen,in: FINUT KONGRESS Gezeitenwechsel,Bremen 5.-8.5.2005, 2005bim Druck.Sagebiel, Felizitas/Dahmen Jennifer:Männlichkeiten in der europäischenIngenieurkultur. Barrieren oder Aufforderungzur Anpassung für Frauen,in: Soziale Technik, Nr. 1(15),2005a, S. 19-21.Sagebiel, Felizitas/Dahmen Jennifer:Masculinities in organisationalcultures in engineering education inEurope. Results of European projectWomEng, in: European Journal ofEngineering Education. SpecialIssue: Gender Studies in Engineering,2005b printing.Wajcman, Judy: Feminism confrontstechnology, 2. Aufl., Cambridge1996.Wedgwood, Nikki/Connell, Robert W.:Männlichkeitsforschung: Männerund Männlichkeiten im internationalenForschungskontext, in: Becker,Ruth/Kortendiek, Beate (Hgg.):Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung,Wiesbaden 2004, S.112-121.West, Candace/Zimmermann, Don:Doing Gender, in: Judith Lorber/Susan A. Farrell (Hgg.), The socialconstruction of gender, London1991, S. 13-37.Dr. Felizitas SagebielBergische Universität Wuppertal,Fachbereich BildungswissenschaftenGaußstraße 20, 42097 WuppertalEmail: sagebiel@uni-wuppertal.de60


„Wie eine trockene Bohnenhülse“Martina Kessel„Wie eine trockene Bohnenhülse“Überlegungen zur Konstruktion von bürgerlicher Männlichkeitim 19. Jahrhundert 1„... außer den Thurnschen Damen betritt kein Frauenzimmer dies Haus, nur Männervon einem Schlage, Altertümler, die in meines Schwagers muffigen Manuskripten wühlenmöchten, sehr gelehrte, sehr geachtete, ja sogar berühmte Leute in ihrem Fach;aber langweilig wie der bittre Tod, schimmlig, rostig, prosaisch wie eine alte Pferdebürste;verhärtete Verächter aller neueren Kunst und Literatur. Mir ist zuweilen, als wandleich zwischen trockenen Bohnenhülsen und höre nichts als das dürre Rappeln undKnistern um mich her, und solche Patrone können nicht enden; vier Stunden mußman mit ihnen zu Tisch sitzen, und unaufhörlich wird das leere Stroh gedroschen.Nein, Schlüter, ich bin gewiß nicht unbillig und verachte keine Wissenschaft, nur weilsie mir fremd ist; aber dieses Feld ist zu beschränkt und abgegrast; das Distelfressenkann nicht ausbleiben. Was zum Henker ist daran gelegen, ob vor dreihundert Jahrender unbedeutende Prior eines Klosters, was nie in der Geschichte vorkommt, nunOttwin oder Godwin geheißen, und doch sehe ich, daß dergleichen Dinge viel graueHaare und bittre Herzen machen.“ (Böttger 1977, S. 93, kursiv i.O.)So empörte sich Annette von Droste-Hülshoff in einem ob seiner Länge berühmtgewordenen Brief an den Freund Christoph Bernhard Schlüter im November 1835über die langweiligen Akademiker, die ihren Schwager besuchten. Sie hielt sich aufSchloß Eppishausen in der Schweiz auf, das im Winter von der Außenwelt weitgehendabgeschnitten war. Die wenigen Bewohner gierten nach Unterhaltung, Droste-Hülshoffzumin<strong>des</strong>t wurde jedoch bitter enttäuscht. Sie entschuldigte sich am nächsten Tag, alssie den Brief fortführte, auf nicht weniger treffende Weise für diesen Ausbruch:„Hören Sie, bestes Herz, ich habe gestern recht ungeduldig und ungezogen geschrieben,über brave kenntnißreiche Leute, deren Beschäftigungen nie schädlich, und gewißoft nützlich sind – ..... wer sich scheut, die Spreu zu durchsuchen, der wird das darinverschüttete Korn nicht finden – Mein Münzen-Sammeln ist für Andere eben so langweilig,und kann nie nützlich in die Gegenwart eingreifen.“ (Droste-Hülshoff 1987, S.189)Briefliche Beschreibungen machten im ersten Drittel <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts schnell dieRunde. Briefe waren kein rein privates, sondern ein halböffentliches Medium, <strong>des</strong>sen<strong>Info</strong>rmationen meist in Familien- und Freun<strong>des</strong>kreisen zirkulierten. Schlüter zelebrierteDrostes Briefe geradezu, und aus diesem Brief las ihm ein Freund auf einem Spaziergangin eisiger Kälte eine Stunde vor. Die Entschuldigung mochte daher durchaus gutplaziert gewesen sein, da Droste-Hülshoff mit diesen Bemerkungen eine wesentlicheKluft zwischen Anspruch und tatsächlichem Geselligkeitsverhalten markierte. Dennes gehörte zum Idealbild eines bürgerlichen Mannes, sich in geselligen Kreisen gewandtzu bewegen, und gewandt bedeutete, wie Johann Traugott Schuster 1838 inseinen Vorschriften für den Galanthomme oder Gesellschafter, wie er sein sollte, schrieb, dassein Mann unter keinen Umständen nur seinen Beruf erörtern solle, da dies ein „üblesLicht“ auf Männer werfe (Schuster 1838, S. 45). Schuster unterschrieb damit die Maxime,die John Trusler in einem Anstandsbuch, das der Berliner Aufklärer Karl PhilippMoritz 1784 aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt hatte, so formulierte: „Wis-1Dieser Text fasst Argumentezusammen, die ich inanderen Arbeiten entwickelthabe. Vgl. daher für dieseund weitere Überlegungensowie weitere Literatur:Kessel (2001, 2003, 2004).<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200561


Berichte/ Beiträge aus der Universitätsenschaft und Gelehrsamkeit ohne feine Lebensart ist langweilig und pedantisch.“(Kessel 2001, S. 161) Hier klang noch die Akademikerschelte der Frühen Neuzeit mit,aber entscheidend ist, dass der Anspruch an alle Männer, ungeachtet der sozialenHerkunft, sich in einem Beruf zu plazieren, in der ersten Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhundertskeineswegs die Anforderung verdrängte, auch in der bürgerlichen Geselligkeit ein angenehmerund nicht einseitiger Gesprächspartner zu bleiben.Droste-Hülshoff war keineswegs die einzige Kritikerin, welche die mangelnde Einlösung<strong>des</strong> Ideals beklagte. Auch die Schriftstellerin Ida Hahn-Hahn, im literarischenFeld <strong>des</strong> Vormärz die größte Konkurrentin von Fanny Lewald, nahm in ihrem RomanFaustine von 1840 die männliche Schulbildung und deren Auswirkungen auf die männlichePersönlichkeit aufs Korn. Die Heldin <strong>des</strong> Romans weigerte sich, ihren kleinenSohn in Deutschland aufwachsen zu lassen, weil sie ihn nicht zu einem typisch deutschenMann werden lassen wollte: pedantisch, langweilig, unbeholfen, dürr an Leibund Seele, unerquicklich wie die personifizierte Vernünftigkeit, aber höchst eitel aufseine negative Entwicklung (Hahn-Hahn 1986, S. 232).Dass Droste-Hülshoff und Hahn-Hahn damit einen Nerv trafen, verraten wiederumautobiographische Zeugnisse bürgerlicher Männer aus dem 19. Jahrhundert. Der SpitzenbeamteRudolf Delbrück, lange die rechte Hand Bismarcks, insistierte in seinenErinnerungen nicht nur darauf, dass er bei aller Konzentration auf seine zukünftigeKarriere stets fähig gewesen sei, die Gegenwart zu genießen. Er betonte außerdem,dass er sich immer mit der gerade gängigen Literatur beschäftigt habe, um bei geselligenVeranstaltungen die für sein Fortkommen richtige und wichtige Konversationmachen zu können. Dazu gehörten auch die Romane Hahn-Hahns, auch wenn sieihm nicht sonderlich gefielen (Delbrück 1905, S. 191f.). Ihn trieb natürlich der Wunschnach einer guten Karriere an, aber zumin<strong>des</strong>t führte dieser Ehrgeiz wenigstens inseinen eigenen Augen dazu, dass er einen perfekten Gesellschafter abgab. Der berühmteJurist Rudolf von Ihering zeigte noch deutlicher, in welchen Kommunikationssituationenwelche Facette seiner Persönlichkeit am besten zur Geltung gekommen sei.Bei weiblichen Briefpartnern entwarf er sich durch den typischen Gegensatz eines„gelehrten Herrn“ gegenüber einer „plaudernden Dame“. Gegenüber Männern seinereigenen sozialen Gruppe dagegen markierte er seine Persönlichkeit, indem er sichals Künstler in seiner Arbeit bezeichnete, den die Form ebenso bewege wie der Inhalt,im Gegensatz zu seinen Kollegen, die er als „Stockjuristen“ oder als an Kunst völliguninteressierte „Eisberge“ abwertete. Ein Kollege erschien als „guter, braver Philister“,der nie über das Gewöhnlichste hinausschaue (Kessel 2001, S. 173-177, Zitate S.174). Der Landrat Felix Busch wiederum bestätigte seine eigene Vielseitigkeit undUnabhängigkeit, indem er im Vergleich einen Hamburger Kaufmann als „einseitig“bezeichnete, da dieser außer seinem Geschäft alle anderen Berufe und vor allem auchästhetische Genüsse für überflüssig gehalten habe (Kessel 2001, S. 201).Hier wurde mehr verhandelt als der Unterschied zwischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgern.Gerade wenn man die Problematik von Selbstzeugnissen einrechnet, dass sieLeben nicht nur beschreiben, sondern auch schreiben, d.h. Texte auch als eine Praxiswahrgenommen werden, mit der das eigene Leben entworfen wurde, dann präsentiertensich diese Männer so, dass sie über den Vorwurf der Einseitigkeit erhaben waren.Ihren Darstellungen zufolge bewegten sie sich gekonnt in allen Lebenswelten, undkeiner verkam zum Berufsmenschen, im Gegensatz zu denen, von denen sie sichabsetzten. Sie waren ganze Männer. Diese Distinktion funktionierte zum einen gegenüberFrauen, häufig mit dem polaren Entwurf <strong>des</strong> zweckrationalen Berufsmannes.Sie funktionierte aber gerade auch gegenüber anderen Männern, wobei in diesem Kontextin der Regel das Bild <strong>des</strong> umfassend interessierten, zwischen Welten wechselndenMannes betont wurde.62


Die sarkastischen Kommentare ebenso wie die Selbstbeschreibungen trugen dazu bei,bürgerliche Männlichkeit zu konstruieren, z.T. über das Beschwören eines Ideals, z.T.durch die Beschreibung eines Defizits. Sie kreisten um ein Problem, das im 19. Jahrhundertoffenkundig systematischen Charakter hatte, um die Frage nämlich, was einen„ganzen Mann“ ausmache. Dieser Topos geistert durch das ganze Jahrhundert (fürEngland vgl. Broughton 1999), und es ist noch keineswegs ausgemacht, was er zuwelchem Zeitpunkt bedeutete. Neuere Studien haben deutlich gemacht, wie wenig daspolare Geschlechtermodell um 1800 bereits verankert war bzw. wie intensiv Männlichkeitund Weiblichkeit z.B. in Familien verhandelt wurde (Erhart/Herrmann 1997; Habermas2002; Trepp 1996). Die hier zitierten Beispiele implizieren, dass bürgerlicheMännlichkeit verschiedene Facetten integrierte, das „polare“ Modell eines zweckrationalen,berufs- und öffentlichkeitsorientierten Mannes ebenso wie die Konstruktioneines Mannes, der Zweckrationalität, Emotionalität und Empathie verband. Diese Beobachtungenkönnen systematisch auf Geschlechterkonstruktionen im 19. Jahrhundertangewandt werden.Die folgenden Überlegungen knüpfen an die Debatte über den diskursiven Entwurfder civil society an. Carol Pateman hat darauf hingewiesen, dass das Reden überdie moderne Gesellschaft immer auf zwei verschiedenen Ebenen stattfand (Pateman1988; Lan<strong>des</strong> 1988). Auf der einen Seite basierte der Entwurf der Moderne auf derOpposition zwischen öffentlicher Sphäre und privater Familie, mit den hinlänglichbekannten dichotomischen Vorstellungen von Männlichkeit als öffentlich, politischund zweckrational und Weiblichkeit als privat, nicht-politisch und emotional. Auf deranderen Seite verschob sich jedoch in dem Moment, in dem dieser „sexuelle Vertrag“(Carol Pateman) in den Gesellschaftsvertrag eingelassen war, die Art der Argumentation.Die männlichen Eliten sprachen dann nur noch über die ausschließlich männlicheSphäre und versuchten vergessen zu machen, dass es ein exkludiertes Anderesgab, das durch genau diese Exklusion das Politische als politisch und die bürgerlicheGesellschaft als öffentlich-männliche Sphäre definierte. In diesem Kontext nun meinte„öffentlich“ die „hohe“ Politik, während „privat“ nicht länger die Familie oder diesogenannte weibliche Sphäre meinte, sondern Männer im (privaten) Geschäft oderdie männlichen Privatmenschen, die Gesellschaften oder Vereine gründeten oder ihnenbeitraten.Diese doppelte Argumentationsweise, so kann man im Anschluß formulieren, bedeutetfür die Konstruktion von Männlichkeit, dass sie gleichzeitig relational und universalangelegt war, während Weiblichkeit nur relational, also nur im Verhältnis zu Männlichkeit,gefasst wurde. Für die Dichotomie öffentlich-privat ergibt sich daraus wiederum,dass nicht einfach weiblich-privat und öffentlich-männlich einander entgegengesetztwurden, sondern dass Männer die öffentliche Sphäre für sich reklamieren, aber auchim privaten Bereich zu Hause sein konnten. „Privatheit“ stand zumin<strong>des</strong>t männlichenAngehörigen der Oberschichten gleichsam in unterschiedlicher Form zur Verfügung:als „privaten“ Berufsmännern oder Vereinsangehörigen in der Öffentlichkeit und alsEhemann, Vater oder Geliebter in dem Privatraum, der als Gegensatz zur „öffentlichen“Welt konstruiert war. Männer konnten zwischen den Welten wechseln, währenddie Grenzüberschreitung für Frauen als Verstoß wider die Natur galt. Diese doppelteVerfügbarkeit bzw. auch der Anspruch, in der „öffentlichen“ Welt privat und öffentlichin verschobener Definition miteinander verbinden zu können, beruhte aber injedem Fall auf der vorhandenen, nur meist nicht thematisierten Differenz zu dem alsprivat Definierten, das nicht im öffentlichen Raum vorhanden sein sollte. Der ab demspäten 19. Jahrhundert bei hohen Beamten feststellbare Pensionsschock (Kessel 2001,S. 227-238) aufgrund der sukzessiven Einführung von beruflichen Altersgrenzen resultierteaus der oft panikartig realisierten Erfahrung, außerhalb <strong>des</strong> familiären Privat-„Wie eine trockene Bohnenhülse“<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200563


Berichte/ Beiträge aus der Universitätraums keine andere (Re)Präsentationsebene mehr zur Verfügung zu haben. Der Anspruch,all diese Ebenen kombinieren zu können, war allerdings immer gefährdet,nicht zuletzt weil Frauen im 19. und 20. Jahrhundert mit Verweis auf sogenannteweibliche Aufgaben und mitunter geradezu durch die Inszenierung „privater“ Eigenschaftendie als öffentlich charakterisierten Räume mitprägten, nicht nur in Geselligkeitund Religion, sondern auch in Vereinen (vgl. Heinsohn 1997) und in der Mädchenbildung(Kleinau/Opitz 1996).Einerseits schrieb das Modell der polarisierten Geschlechtscharaktere die Konstruktionvon Weiblichkeit als emotional und passiv und Männlichkeit als zweckrationalund aktiv fest und entsprach damit der Projektion und der Wirklichkeit der Ausdifferenzierungder Lebenssphären (wobei es seit dem späten 18. Jahrhundert die Aufgabevon Weiblichkeit war, Männlichkeit zur Ganzheit zu ergänzen). Andererseits aber bedeutetedie zugleich relationale und universale Bestimmung von Männlichkeit, dass derAnspruch, dem polaren „Geschlechtscharakter“ zu entsprechen, sich mit der ganzheitlichenVorstellung verknüpfte, dass Männer in der Lage sein sollten, Herz, Kopf undKörper harmonisch miteinander zu verbinden. Diese Konstruktion von Männlichkeit,oder besser: der schwierige Anspruch an Männer, diesem Verständnis zu entsprechen,ist bisher vornehmlich für die Zeit um 1800 herausgearbeitet worden (Herrmann1997; Epple 2003), dürfte aber auch für viele Vereine im 19. und erst recht fürmännerbündische Zusammenschlüsse im frühen 20. Jahrhundert wichtig gewesen sein.Man könnte zugespitzt formulieren, dass diese anvisierte Ganzheitlichkeit die Möglichkeitbegründete, die Moderne als männliche Welt zu denken ohne die Notwendigkeiteiner Ergänzung durch Weiblichkeit, die das Komplementärmodell immer auch barg.So lässt sich möglicherweise auch die Diskrepanz zwischen den Selbstbeschreibungender modernen Gesellschaft, welche die Ausdifferenzierung der Lebenswelten betonen,und der gleichzeitigen Obsession mit der Einheit <strong>des</strong> männlichen Subjekts erklären.Die ersehnte Einheit <strong>des</strong> männlichen Subjektes, die <strong>des</strong>sen Herrschaftsanspruchuntermauerte, war allerdings ein hoher Anspruch; die konfligierenden Anforderungenkonnten verunsichern und belasten, die Nichteinlösung <strong>des</strong> Modells – wie eingangsgezeigt – Kritik provozieren und den Herrschaftsanspruch weniger überzeugendaussehen lassen. Die Kritik bzw. die Problematik, wie ein solcher Ansprucheingelöst werden konnte, war die ganze Zeit präsent. Denn auch im späten 18. Jahrhundertkritisierten schreibende Frauen die Männer, die weder eine gelungene bürgerlicheExistenz aufbauten noch der Hoffnung ihrer Frauen auf Empfindsamkeit entsprachen(Epple 2003). Und die Kritik von Frauen mochte um so mehr treffen, wenn siedas polare Geschlechtermodell nicht grundsätzlich kritisierten, sondern das Nichteinlösenvon Männlichkeitsidealen hervorhoben, auf denen die reklamierte Autorität undHierarchie im Geschlechterverhältnis beruhte.Ein „ganzer Mann“ zu sein, konnte im Laufe <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts Unterschiedlichesbedeuten. Isabel Hull hat darauf hingewiesen, wie unauflöslich die Dimensionen<strong>des</strong> Politischen, <strong>des</strong> Gesellschaftlichen und <strong>des</strong> Sexuellen im Entwurf von Oberschichtenmännlichkeitim 18. Jahrhundert miteinander verknüpft waren (Hull 1996). DieFähigkeit zur fröhlich-korrekten Geselligkeit wiederum gehörte zum bürgerlichen Lebensethosim 18. und im frühen 19. Jahrhundert noch selbstverständlich dazu (Schüsseler1990; Weckel u.a. 1998). Diese Wahrnehmung blieb auch erhalten, als sich diemoderne Leistungsorientierung deutlicher durchzusetzen begann. Briefe von bürgerlichenund adligen Vätern an ihre Söhne reflektierten, wie sehr ihnen bewusst war,dass die Zeit um 1800 gleichermaßen eine Phase der Umorientierung auf Ausbildungund Leistung statt Herkunft war wie eine Zeit kultureller Heroen.. Sie sorgten sichentsprechend, dass ihre Söhne in dieser Spannung eine ausgewogene Persönlichkeit64


Droste-Hülshoff gestand sie ihm zu, zwar gelehrt zu sein. Sie vermisste jedoch eineausgewogene Persönlichkeit, die mit sich und der Welt im Gleichgewicht sei, und sieformulierte explizit, dass sie <strong>des</strong>halb die normative Erwartungshaltung nur schwererfüllen könne, der zufolge Frauen zu Männern aufschauen und sich ihnen unterordnensollten: „Er ist der Rest von einem Menschen, und ich brauch was Ganzes.“ (Böttger1977, S. 185f.; Kessel 2004, S. 379)Rechnet man die Bedeutungsdimension der Konstruktion von Männlichkeit unddie steten Kontroversen um die Geschlechterverhältnisse ein, gewinnt auch diese klassischeVormärzkritik noch eine zusätzliche Schärfe. Denn politisch aktive und interessierteFrauen warfen den Männern ihrer Zeit vor, in der staubigen Schwerkraft ihrer Bücherdie Vision für gesellschaftliche und politische Gesamtentwürfe verloren zu haben.Und der Anspruch, Politik und Gesellschaft gleichsam überblicken zu können, legitimierteihren Anspruch auf Kontrolle.Selbstzeugnisse ebenso wie normative Quellen implizieren für die Zeit nach derJahrhundertmitte, dass der „Soldat der Arbeit“ das Ideal <strong>des</strong> gesellschaftlich und politischversierten Mannes ablöste. Zumin<strong>des</strong>t erhielten in autobiographischen Textenvon bürgerlichen, aber auch von adligen Männern in der zweiten JahrhunderthälfteGeselligkeit oder auch Väterlichkeit einen anderen narrativen Status. Die Arbeitsorientierungrückte deutlich stärker in den Vordergrund als das Familienleben, Frauen wurdenhäufig nicht mehr namentlich genannt, sondern auf ihren Familienstatus als Tochter,Ehefrau oder Mutter reduziert, Geselligkeit allerdings durfte nach wie vor nichtfehlen, wurde jedoch auch in den Beschreibungen meist deutlicher von der Erwerbsarbeitgetrennt als vorher. Das bedeutet zwar nicht automatisch, dass Aspekte wie Väterlichkeitoder gesellschaftliche Fähigkeiten tatsächlich weniger wichtig wurden für einganzheitliches Männlichkeitsideal, aber sie wurden dennoch anders und an anderenStellen beschrieben oder erwähnt. Viele Männer, auch das ist geläufig, betonten hauptsächlichden Beruf und damit das polare Modell, aber für das Weiterwirken einesganzheitlichen Ideals ist gleichzeitig aufschlussreich, wie scharf etliche Männer, die ihrLeben in Briefen beobachteten und kommentierten, dabei genau die Angst thematisierten,diesem Ideal nicht mehr entsprechen zu können (Kessel 2001, S. 181ff.). Allerdingssetzte diese Reflektion ein den gesellschaftlichen Maßstäben genügen<strong>des</strong> Lebenbereits voraus, also beruflichen Erfolg, Anerkennung, öffentliche Sichtbarkeit.Interessant ist, wie Familienmitglieder diese Aufwertung von Arbeitsorientierungim Männlichkeitskonstrukt diskutierten, d.h. wie im Zuge der Aufwertung <strong>des</strong> polarenModells die Diskussion um ein ganzheitliches Männlichkeitsideal in der zweitenHälfte <strong>des</strong> 19. und zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts geführt wurde. So warnten z.B.Mütter ihre Söhne davor, dass das polare Männlichkeitskonstrukt bei einer zu ausschließlichenKonzentration auf den Beruf ihre Persönlichkeit negativ beeinflussenkönne, und zwar zu genau dem Zeitpunkt, an dem diese das Elternhaus verließen undsich der mütterliche Einfluss noch einmal deutlich reduzierte. Als der 16jährige Sohnder Schriftstellerin Ottilie Wildermuth seiner Mutter mitteilte, dass sie im theologischenSeminar, das er in den 1860er Jahren besuchte, auch schöne Literatur lasen,schrieb sie ihm zurück: „Freut mich, daß meine Besorgnis, daß ihr Langweiler seid,irrig war. Darfst ja nicht glauben, daß ich die gering schätze, denen ihre Berufsarbeitdie Hauptsache ist. Eine ästhetische Richtung kann sogar sehr gefährlich werden, wennsie den Sinn für ernste Arbeit lähmt, nur hätte mir´s leid getan, wenn so viel jungeLeute im schönsten Alter nicht verstanden hätten, ein eingeschränktes Zusammenlebenmit ein bißchen Humor und Poesie zu würzen.“ (Wildermuth 1979, S. 127) CarlLinde, der spätere Erfinder der Gefriertechnik, wehrte sich im späten 19. Jahrhundertentschieden gegen die Befürchtung seiner Mutter, er werde im „dürren Berufsalltag“den Sinn für alles Ästhetische oder Außerberufliche verlieren (Kessel 2001, S. 313).„Wie eine trockene Bohnenhülse“<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200567


Berichte/ Beiträge aus der UniversitätDaran ist weniger das Selbstbewusstsein überraschend, mit dem Linde die Trennungder familialen Lebenswelten verteidigte, wobei er unterstrich, dass es im Gegensatz zuihrem offenkundig einförmiger werdenden Leben „für uns Männer“ nichts Interessantesgäbe, als sich mit allen gerade in der Öffentlichkeit diskutierten Themen zu beschäftigen,und so noch einmal seinen breiten Horizont betonte. Aufschlussreich ist,dass sie sich überhaupt verteidigen mussten und beide Seiten unterschiedliche Aspekteder Geschlechterdiskurse gegeneinander ins Feld führten.Auch in den Praktiken der Beschreibung von beruflich bereits etablierten Bildungsbürgernzeigte sich der Versuch, verschiedene Lebensdimensionen auf sichtbare Weisezu verknüpfen bzw. das eigene Leben auf diese Weise darzustellen. Johann-HeinrichGraf Bernstorff, während <strong>des</strong> Ersten Weltkrieges Botschafter in London, wurdewährend seiner vorherigen Gesandtentätigkeit in München mitunter von seinem Vorgesetztengegen Mittag mit den Worten aus dem Zimmer geholt, er habe doch nichts zutun. Beim zweistündigen Bummel durch München hätten sie, so Bernstorff in seinenErinnerungen, dann nicht nur die gesamte Politik, sondern auch die Kunst der Zeitdiskutiert. Sie demonstrierten damit vielerlei gleichzeitig. Bereits gut in eine aussichtsreicheKarriere gestartet, zeigten sie zunächst, wie porös der Tagesablauf in höherenBeamtenpositionen sein konnte (eingerechnet, dass die Arbeitsstunden in diesem Berufselten ganz fixiert waren und bei diplomatischen Anlässen Geselligkeit und Arbeitineinander verflochten war). Beide erwiesen sich <strong>des</strong> Weiteren als Kunstkenner, dienicht von ihrer Arbeit aufgesogen wurden. Schließlich zeigten sie sich im öffentlichenRaum von Straße und Museum, wodurch zum einen klar wurde, dass nicht die Arbeitihnen die Struktur aufdrückte, sondern sie über Zeit und Raum verfügen konnten.Zum anderen demonstrierten sie damit ihr Wissen, dass sie nicht wie Mitglieder derUnterschichten Gefahr liefen, dass ihre Präsenz in der Straße als bedrohliche Aneignungdieses öffentlichen Raumes und als verpöntes Bummeln gewertet werden würde,oder gar wie Frauen, deren „öffentliche“ Präsenz auf der Straße sie schnell zurProstituierten abstempelte. Diese Männer konnten im Gegenteil auf das selbstgewählteFlanieren derer verweisen, die dem Männlichkeitsideal <strong>des</strong> leistungsbewussten, erfolgreichenMannes bereits entsprochen hatten (vgl. Kessel 2004, S. 380). Der Nestor derkonservativen Familientheorie, Wilhelm Heinrich Riehl, lieferte ein entsprechen<strong>des</strong>literarisches Modell in seinem Roman Der ganze Mann von 1897. Darin zeichnete ersehnsuchtsvoll einen wissenschaftlich und künstlerisch interessierten und kundigenGebildeten der Jahrhundertmitte, ein perfektes Mitglied der kleinstädtischen Gesellschaft,dem nur leider zunächst Beruf und Familie fehlen (Riehl 1897). Als er vonseinem plötzlich verstorbenen Bruder sowohl <strong>des</strong>sen Geschäft als auch seine zweikleinen Neffen erbte, wandelte er sich zum intensiv arbeitenden Berufsmenschen,blieb aber immer Gefühlsmensch mit genügend Phantasie, um den nüchternen Alltagüberhöhen zu können.Ungeachtet solcher Präsentationen ist für die Zeit um 1900 das Stichwort der „Kriseder Männlichkeit“ mittlerweile fast unumgänglich. Grundsätzlich taugt der Krisenbegriffwenig als historiographisches Analyseinstrument, wenn man ihn als essentialistischeZustandsbeschreibung versteht. Nützlich wird er ausschließlich dann, wenn genaugefragt wird, warum welche Zeitgenossen Prozesse <strong>des</strong> Wandels als Krise erfuhrenoder beschrieben, in welcher Form Veränderungen als Problem beschrieben wurdenund was verschiedene Akteure damit erreichen wollten. Für die Moderne, also die Zeitseit der Aufklärung, macht der Krisendiskurs in Bezug auf Geschlecht generell immerwieder deutlich, dass ein naturhafter Entwurf dieser Kategorie den Selbstbeschreibungender Moderne schlicht widerspricht und dass auch Zeitgenossen diesen Widerspruchimmer wieder betonten. Für die Zeit um 1900 wird deutlich, dass nicht mehrnur Briefe und andere Selbstzeugnisse, sondern die öffentliche Diskussion und literari-68


sche Produkte keineswegs nur um die sogenannte Frauenfrage oder um die Partizipationvon Frauen an Bildung, Erwerbsarbeit oder Politik kreisten. Vielmehr ging es sichdie Gefahr, die Angst und den Vorwurf an Männer, einseitig zu werden (Kessel 2001,S. 314-317). Auch und gerade in diesem Zeitraum versuchten gebildete Männer, denAnspruch der „Allgemeinheit“ <strong>des</strong> männliches Subjektes durch die Integration weiblicherAnteile in ein dominant gedachtes Männlichkeitskonstrukt aufrechtzuerhalten(vgl. Bublitz 1998; Bublitz 2000). Das vermittelten nicht nur Erinnerungen, sondernes plazierten sich z.B. auch die Teilnehmer der männerbündischen Zirkel nach derJahrhundertwende performativ über die Fähigkeit, Gefühl, Pathos und Intellektualitätgleichermaßen und gleichzeitig zu leben (zu Männerbünden vgl. Reulecke 2001; Widdig1992; Völger/Welck 1990). Dieses Muster hatte allerdings zu diesem Zeitpunkt bereitseine lange Tradition; entscheidend ist, dass es möglicherweise immer schwerer wurde,in der Aufwertung <strong>des</strong> polaren Modells ein solches Männlichkeitsideal einzulösen.Vielleicht verschärfte sich auch <strong>des</strong>halb der Unsicherheitsdiskurs so radikal. Systematischwäre zu überlegen, ob nicht in der Aufwertung von Arbeit diese Lebensdimensionzunehmend all die anderen Elemente eines „Lebenskünstlers“ inkorporierte. So setztesich im Kaiserreich eine nationalisierte Vorstellung von „deutscher“ Arbeit durch,während Oberschichtmänner ihre jeweilige Arbeit häufig in Kampfmetaphern fasstenund in ihrem Ehrgeiz zugleich ihre Leidenschaft bewiesen. So hat Bonnie Smith geradefür den Bereich der Wissenschaften bzw. der Historiographie gezeigt, wie derenmännliche Praktiker Wissenschaft über polarisierte Gendervorstellungen immer wiederals Raum von und für Männer etablierten und sich dann über einen mit Liebes- wiemit Kampfmetaphern aufgeladenen Diskurs als einerseits kampfbereite, andererseitsaber auch emotionale und leidenschaftliche Persönlichkeiten darstellten (Smith 1995).Das Fragen nach anderen Entwürfen von Männlichkeit als dem polaren Konstruktsowie diese diachrone Perspektive, die das Entwerfen von paradoxen, gleichzeitigenund miteinander verzahnten Entwürfen seit dem 18. Jahrhundert einrechnet und nichterst in der Zeit um 1900, bedeutet nicht, das sei ausdrücklich noch einmal gesagt, dassdie grundsätzliche Relationalität von Männlichkeit zu Weiblichkeit keine Rolle mehrspielte. Diese konnte nur erfolgreicher ausgeblendet und die Fiktion der „Unabhängigkeit“von Männlichkeit, die zentral war für die sozio-politische Verortung der Geschlechter,besser aufrechterhalten werden. Deshalb sollen solche Überlegungen ausdrücklichnicht zu einer Reifizierung der Autarkie von Männlichkeitskonstruktionenführen oder den Eindruck erwecken, dass Weiblichkeit immer nur als das „Andere“oder als das immer nur Reagierend-Relationale zu verstehen sei. Im Gegenteil wäreder polare Entwurf auch in Bezug auf Weiblichkeit zu hinterfragen, wobei hier derklassische Ansatz der Frauengeschichte, Frauen überhaupt erst sichtbar zu machen,weiterhin seine Notwendigkeit beweist, wenn er denn auf der Basis <strong>des</strong> seitdem gewonnenentheoretischen Wissens angewandt wird. Denn Frauen trugen nicht nur dazubei, Weiblichkeit und Männlichkeit mit zu konstituieren, indem sie spezifische Formenvon Männlichkeit einforderten oder kritisierten, sondern auch, indem sie völligunterschiedliche und eben auch vom klassisch-polaren Modell von Weiblichkeit abweichendeLebensentwürfe lebten (Kuhn 2000, S. 101-165). Solche Überlegungen schärfenden Blick sowohl für die Präsenz paradoxer, gleichzeitiger Entwürfe als auch fürden dynamischen und widersprüchlichen Charakter der Kategorie Geschlecht, alsofür die variable Interpretation und Bewertung von Verhaltensweisen oder Eigenschaften,je nachdem, ob sie Männlichkeit oder Weiblichkeit zugeschrieben wurden. Gleichzeitigmachen solche Kontroversen sichtbar, dass die Kategorie Geschlecht als einesder zahlreichen Elemente, mit denen Menschen sich eine soziale Ordnung geben, inder Moderne als einer Gesellschaftsform, die konstitutiv auf Inklusion wie auf Exklusionaufbaut, einen anderen Stellenwert hat als andere Kategorien. Denn wenige Aspekte„Wie eine trockene Bohnenhülse“<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200569


Berichte/ Beiträge aus der Universitätsozialer Ordnung gewannen einen derart hohen symbolischen Wert wie diese angeblichnaturhafte Dimension, eine Bedeutung, die gerade von denjenigen untermauertwurde, die im Krisendiskurs um 1900 behaupteten, dass die von ihnen wahrgenommeneund lautstark beklagte Unordnung der Geschlechterordnung eine grundlegende Kriseder Gesellschaft abbilde.LiteraturBöttger, Fritz (Hg.): Frauen im Aufbruch. Frauenbriefe aus dem Vormärz und der Revolutionvon 1848, Berlin 1977.Briefe von Liselotte von der Pfalz bis Rosa Luxemburg, hg. v. Claudia Schmölders, Frankfurta.M. 1988.Broughton, Trev Lynn: Men of Letters, Writing Lives. Masculinity and Literary Auto/Biographyin the late Victorian Period, London/New York 1999.Bublitz, Hannelore: Das Geschlecht der Moderne. Genealogie und Archäologie derGeschlechterdifferenz, in: Dies.: Das Geschlecht der Moderne, Genealogie und Archäologieder Geschlechterdifferenz, Frankfurt a. M. 1998, S. 26-48.Bublitz, Hannelore: Zur Konstitution von „Kultur“ und Geschlecht um 1900, in: Dies. (Hg.):Der Gesellschaftskörper. Zur Neuordnung von Kultur und Geschlecht um 1900, Frankfurta. M. 2000, S. 19-96.Claudius, Georg Karl: Kurze Anweisung zur wahren feinen Lebensart nebst den nöthigstenRegeln der Etikette und <strong>des</strong> Wohlverhaltens in Gesellschaften für Jünglinge, die mit Glückin die Welt treten wollen, Leipzig 1800.Delbrück, Rudolf: Lebenserinnerungen, 1817-17867, 2 Bde., 2. Aufl., Leipzig 1905.Droste-Hülshoff, Annette von, Historisch-Kritische Ausgabe. Werke – Briefwechsel, hg. v.Winfried Woesler, Bd. VIII, 1, Briefe 1805-1838, Text, bearb. v. Walter Gödden, Tübingen1987.Erhart, Walter, Britta Herrmann: Der erforschte Mann?, in: Dies. (Hg.): Wann ist der Mann einMann? Zur Geschichte der Männlichkeit, Stuttgart, Weimar 1997.Epple, Angelika: Empfindsame Geschichtsschreibung. Eine Geschlechtergeschichte der Historiographiezwischen Aufklärung und Historismus, Köln u.a. 2003.Habermas, Rebekka: Frauen und Männer <strong>des</strong> Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750-1850),2. Aufl., Göttingen 2002.Hahn-Hahn, Ida: Gräfin Faustine, Bonn 1986 (1840).Hauch, Gabriela: Madame Biedermeier auf den Barrikaden. Frauenleben in der Wiener Revolutionvon 1848, Wien 1990.Herrmann, Britta: Auf der Suche nach dem sicheren Geschlecht: Die Briefe Heinrich vonKleists und Männlichkeit um 1800, in: Erhart, Herrmann: Wann ist der Mann ein Mann?Zur Geschichte der Männlichkeit, Stuttgart/Weimar 1997, S. 212-234.Heinsohn, Kirsten: Politik und Geschlecht. Zur politischen Kultur bürgerlicher Frauenvereinein Hamburg, Hamburg 1997.Hopf, Angela u. Andreas (Hg.): Geliebtes Kind! Elternbriefe aus zwölf Jahrhunderten, Frankfurta.M./Berlin 1992.Hull, Isabel V.: Sexuality, state, and civil society in Germany, 1700-1815, Ithaca 1996.Kaiser, Eduard: Aus alten Tagen. Lebenserinnerungen eines Markgräflers 1815-1875, Weil a.Rh. 1981 (ND d. Ausg. V. 1910).Kessel, Martina: Langeweile. Zum Umgang mit Zeit und Gefühlen in Deutschland vom späten18. bis zum frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2001.Kessel, Martina: The whole man. The longing for a masculine world in 19 th century Germany,in: Gender & History, Jg. 15, 2003, S. 1-31.Kessel, Martina: Heterogene Männlichkeit. Skizzen zur gegenwärtigen Geschlechterforschung,in: Friedrich Jäger u.a. (Hg.): Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 3: Themen und Ten-70


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Berichte/ Beiträge aus der UniversitätRegina HarzerMächtige Karikaturen! – OhnmächtigeGender-Bewegung?Vom 09. bis 23. Mai 2005 konnte im Ausstellungsbereich der Bibliothek der UniversitätBielefeld die Ausstellung „FrauenWelten – Internationale Karikaturen“ besucht werden.Der vorliegende Text entspricht der erweiterten Fassung eines Vortrags, der am 9.Mai 2005 in der Universität Bielefeld anlässlich der Ausstellungseröffnung gehaltenwurde. Der Vortragsstil wurde im Wesentlichen beibehalten.Zur Eröffnung der Ausstellung „FrauenWelten – Internationale Karikaturen“ an derBielefelder Universität darf ich Sie recht herzlich begrüßen. Die Ausstellung ist aufgrundeiner Initiative der „Kommission für die Gleichstellung von Frauen und Männern“(FGK) unserer Universität ermöglicht worden. Die Ausstellung kann in den kommendenzwei Wochen besucht werden.Zunächst – bevor ich einige Überlegungen zur Ausstellung selbst anstelle – möchteich denen, die diese Ausstellung ermöglicht haben, herzlich danken. Das „ÄsthetischeZentrum“ und die „Westfälisch-Lippische Universitätsgesellschaft“ haben durch großzügigefinanzielle Unterstützung dazu beigetragen, dass wir die „FrauenWelten-Ausstellung“an die Bielefelder Universität haben holen können. Zu besonderem Dank sindwir insofern Frau Dr. Heike Piehler (vom „Ästhetischen Zentrum“) und Herrn Prof.Dr. Helmut Steiner (von der „Westfälisch-Lippischen Universitätsgesellschaft“) verpflichtet.Ohne die zahlreichen Bemühungen der Frauen <strong>des</strong> „Frauenbüros“ wäre dieseAusstellung auch nicht möglich geworden; insofern ebenfalls herzlichen Dank.A. Einleitung: Drei Fragen zur AusstellungLassen Sie mich mit einigen Fragen beginnen:1. „FrauenWelten“ – so der Titel der Ausstellung. Warum „FrauenWelten“? Warumdie „Welt“ im Plural und mitten im Wort groß geschrieben? Antwort: Weil es nicht nurum eine einfache Abgrenzung gegenüber der „MännerWelt“ geht, sondern weil esdarüber hinaus um die Bewältigung allerAufgaben geht, mit denen Frauenunmittelbar konfrontiert sind. Das sindnicht wenige Aufgaben. Zum ganzüberwiegenden Teil handelt es sich umeinander überschneidende Aufgaben.Nicht nur die Berufswelt, auch der alltäglicheUmgang mit unseren Kindernund die alltägliche Sorge um unsere Kinderwie auch die alltägliche Haushaltsorganisationmüssen als „Welten“jeweils bewältigt werden. Der Plural„FrauenWelten“ steht <strong>des</strong>halb für dieseZusammenhänge und für die darausresultierenden Schwierigkeiten, die Frauenauf sich nehmen müssen.Würde man die Formulierung „MännerWelten“benutzen, würde man – so72


Mächtige Karikaturen – Ohnmächtige Gender-Bewegung?ist zu vermuten – wohl eher stutzen und möglicherweise ganz andere Assoziationenbilden.2. Weiterhin ist zu fragen, weshalb die Ausstellung den Zusatz oder den Untertitel„Internationale Karikaturen“ trägt. Eine spannende und hochaktuelle Frage, und sie vermitteltdie Karikaturen-Sammlung offensichtlich als eine multikulturelle Ausstellung. Siehat eine insofern nicht unbedeutsameVorgeschichte: Die Sammlung ist dasErgebnis eines internationalenKarikaturenwettbewerbs, zu demOrganisationen wie die UNESCO,das Goethe-Institut und der InternationaleKarikaturistInnen-Verbandaufgerufen hatten. 875 Arbeitenwurden von insgesamt 375 KünstlerInnenaus immerhin 70 verschiedenenNationen eingesendet.Die 100 besten Karikaturen wurdenfür diese Ausstellung ausgewählt. Die„Top Ten“ dieser Arbeiten wurdenprämiert.Auch aufgrund dieses organisatorischenZusammenhangs passt folglichder Plural „FrauenWelten“. Diebereits geschilderten Schwierigkeiten hinsichtlich der Benachteiligungen von Frauenaus ganz unterschiedlichen Ländern, Schwierigkeiten, mit denen Frauen ganz selbstverständlichumzugehen haben, sind ein globales, und nicht nur ein jeweils nationalesPhänomen. Sie werden Bilder aus der ganzen Welt finden. Sie werden freilich auchUnterschiede in Darstellungsform und Darstellungsinhalt finden. Sie werden auch unterschiedlicheSchwerpunktsetzungen hinsichtlich der Lebens- und Perspektivenbedingungenfeststellen, unter denen die Lebensgestaltung von Frauen im Verhältniszu der von Männern präsentiert wird. Aber vom Grundsatz her geht es einheitlich umdie Darstellung, um die Karikatur der jeweils aktuellen gesellschaftlichen Stellung derFrauen in dieser Welt.3. Dritte einleitende Frage: Warum Karikatur? Warum die Kunstform der Karikatur,wenn es darum geht, diese aktuelle gesellschaftliche Position der Frauen festzuhalten?Man könnte sagen, wenn gar nichts mehr geht, bleibt nur die Flucht nach vorne undwir vermitteln gesellschaftliche Zustände über Ironie, über Satire, über Komik. Wirüberzeichnen, wir übertreiben ein konkretes Problem oder stellen einen Entwicklungszustanddar, mit dem wir nicht zufrieden, nicht einverstanden sind. Die Karikatur gilt alsbildnerische Kunst der Satire. Was will sie erreichen? Die Karikatur will sich mit dem„Es geht nichts mehr!“ nicht abfinden, sie will Druckmittel in einer gesellschaftlichenAuseinandersetzung sein, sie will aufmerksam machen auf bestehende Verhältnisse.Die Karikatur will aber auch erreichen, dass Betrachterinnen und Betrachter der Bilderdurch eigene Reflexion den Kern <strong>des</strong> Problems erfassen. Hier zeigt es sich, ob diegleichsam hinter der Komik liegende Situation erkannt wird und ob eine eigene Bereitschaftaufgebaut werden kann, sich mit der zugrunde liegenden Situation auseinanderzu setzen und gegebenenfalls an Lösungsmöglichkeiten der unbefriedigenden Gesamtsituationmitzuwirken. Im Ausstellungskatalog heißt es: „Eine bessere Welt schaffenoder die Katastrophe überzeichnen.“ (Jerman 2003, S. 9)<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200573


Berichte/ Beiträge aus der Universität1Herta Nagl-Docekal:Feministische Philosophie,Frankfurt a.M. 2000,S. 13.B. Geschlechtergerechtigkeit: Veränderungen und PerspektivenWir müssen uns nunmehr die Frage stellen, welche „unbefriedigende Gesamtsituation“ inder Ausstellung „FrauenWelten – Internationale Karikaturen“ eigentlich angesprochenwird.Ich möchte das einmal so umschreiben: Auf der einen Seite präsentiert sich die„mächtige“ Ausdrucksform der Karikatur, die „Macht“, die Waffe karikierender Kunst.Auf der anderen Seite finden wir eine geradezu „ohnmächtige“ Aktualität gleichstellungspolitischerund gleichstellungsrechtlicher Zustände. Ist das so? Ist die Frauenbewegungohnmächtig? Auch heute noch ohnmächtig? Wenn wir durch die Ausstellung schauen,wird dieses Signal durchaus gesetzt. Längst aber geht es nicht mehr nur um „die“Frauenbewegung. Der Entwicklungstand ist weiter fortgeschritten. Frauenbewegt zusein heißt heute, konkrete gleichstellungsrelevante Situationen erfassen zu können; heißtheute, gleichstellungspolitisch auf dem neuesten Stand zu sein; Frauenbewegung heißtheute ganz konkrete Frauenförderungund „Gender-Bewegung“. Wir müssten alsogenauer fragen: Befinden wir uns in einemgesellschaftlichen Zustand, in demdiese „Gender-Bewegung“ ohnmächtigist?Ein Beispiel, das ich – freilich ganzsubjektiv – ausgesucht habe und ich fügehinzu, dass es sich um mein Lieblingsbildder Ausstellung handelt:Die Situation spielt in einem Büro. Vordem Schreibtisch sitzt eine Frau, sie heißtKleinschmidt; hinter dem Schreibtisch einMann, <strong>des</strong>sen Namen wir nicht mitgeteiltbekommen. Wir wissen nicht genau,worum es geht. Vielleicht ein Bewerbungsgespräch, vielleicht ein Gespräch zwischeneiner Angestellten und dem Chef; vielleicht ein Gespräch zwischen einer Gleichstellungsbeauftragtenund einem Behördenleiter. Jedenfalls scheint die Frau Kleinschmidt offensichtlichzuvor auf frauenfördernde Gesichtspunkte für sich oder für andere stellvertretendhingewiesen zu haben. Der Chef oder Behördenleiter sagt daraufhin Folgen<strong>des</strong>:„Frauenförderung?! … Frau Kleinschmidt! … In China lässt man sie erst gar nichtauf die Welt!!“Ich wage einmal eine Interpretation: Zwischen der politischen Forderung nach Frauenförderungund der praktischen Umsetzung von Frauenförderung liegt ein nichtunwesentlicher Unterschied. Die Karikatur überzeichnet diesen Unterschied als Dilemma,indem sogar die Existenzberechtigung <strong>des</strong> einzelnen Individuums zur Dispositiongestellt wird. Reduziert man diese Überzeichnung wieder, bleibt eine wesentlicheGrundaussage der Karikatur bestehen: Der gegenwärtige Stand praktischerFrauenfördermaßnahmen, der gegenwärtige Stand politischer und rechtlicher Gleichstellungvon Männern und Frauen wird für „ausreichend“ erachtet. „Frau“ soll frohdarüber sein, dass Frauen- und Genderbewegung sich überhaupt so weit haben entwickelnkönnen.Dies stellt in der Tat momentan eine große Schwierigkeit dar, mit der die Gleichstellungspolitikimmer wieder zu kämpfen hat. Die Erfahrung zeigt, dass weitergehendeGleichstellungsfragen nicht oder nur zögerlich beantwortet werden. Fast könntenwir meinen, es sei von außen eine Art Stagnation in die Gender-Bewegung hineingetragen worden. Insgesamt könnten wir also völlig berechtigt von der „Ohnmachtder Gleichstellungspraxis“ sprechen. Und wir könnten diese „Ohnmacht“ durchaus74


Mächtige Karikaturen – Ohnmächtige Gender-Bewegung?als ein Gerechtigkeitsproblem begreifen.Erlauben Sie mir einige Überlegungen dazu, nämlich zum prinzipiellen Ansatz, dassGleichstellung ein problemorientiertes Gerechtigkeitsphänomen darstellt:Geschlechtergerechtigkeit, Chancengleichheit, Frauen-Autonomie: das sind nur dreiStichworte, die bereits die Notwendigkeit andeuten, über richtiges Gleichstellungsrechtnachzudenken. „Warum sollten sich etwa rechtsphilosophische Überlegungenmit allen möglichen Formen von Ungerechtigkeit auseinandersetzen, nur nicht mitBenachteiligung auf Grund der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht?“ 1 Benachteiligungvon Frauen also als Gerechtigkeitsproblem? „Selbstverständlich!“ lautet dieAntwort. Das Gerechtigkeitsproblem stellt sich insbesondere dann, wenn weder historischeEntwicklungen zur „Gleichberechtigung“ der Frauen noch scheinbare Errungenschaften<strong>des</strong> positiven Rechts zur „Gleichstellung“ von Frauen und Männern angemessenund vor allem anhaltend zur Lösung haben beitragen können. Wenn alles also– wie erwähnt – nichts mehr zu helfen scheint, gibt es nur zwei Handlungsmöglichkeiten:Entweder sucht man nach Lösungen in der Politik (in der Rechtspolitik) oder manbemüht Gerechtigkeitskonzepte und überträgt sie auf aktuelle Situationen (oder –dritte Möglichkeit – man zeichnet und malt Karikaturen). Mit diesen beiden Möglichkeitenwerden wir zurzeit massiv konfrontiert; sie zu vereinen stellt ein kaum lösbaresProblem dar. Während die einen sagen, man möge sich doch an die Vorteile gesetzlicherRegelungen halten und auf dieser Grundlage Gleichstellungspolitik betreiben,betonen andere eine nicht unbeachtliche Mangelhaftigkeit der gesetzlichen Situation ansich, Disqualität ihrer Umsetzungskonzepte und weiterhin fehlen<strong>des</strong> oder verlorengegangenes Bewusstsein auf nahezu allen gleichstellungsrechtlich relevanten Ebenen.Die einen neigen also zur Anpassung, die anderen zur Kritik. Die Ausstellung, dieKarikaturen gehören zum kritischen Lager. An der „Gender-Bewegung“ lässt sicheine hoffentlich nicht dauerhafte Spaltung in diese beiden Lager kennzeichnen: Demangepassten Rhythmus <strong>des</strong> Gesetzes zufolge verfährt man eher strategisch, sucht nachallerhand gleichstellungspolitischen Umsetzungserfindungen für jeden konkret gleichstellungsrechtlichrelevanten Fall. Das andere Lager bleibt verhalten; erkannt wird durchausdie Notwendigkeit aktueller politischer Handlungsspielräume, die Frauen nutzenkönnten; andererseits ist man sich fast sicher und vermutet <strong>des</strong>halb (auch ohne empirischesMaterial), dass selbst langfristig und beharrlich angelegte Strategien eben immernur politische Strategien und Kalküle bleiben werden. Man begibt sich mit Strategienin Situationen, die jederzeit auch wieder umschlagen können und dann gegebenenfallsdeutlichere Nachteile für Frauen mit sich bringen als je zuvor. Die Vermutung ist nichtganz von der Hand zu weisen: Angesichts leeren Kassen und sozialer Zustände, dieschlimmer sind als Marx sie spätkapitalistisch je beschrieben hatte, wird die bereitseingeleitete, bislang noch harmlos anmutende Widerständigkeit der Männer gegen„tatsächliche Gleichstellung“ bald subtiler und vehementer werden. Aufgrund dieserVoraussicht lässt sich das „kritische Lager“ eher besorgt ein über aktuelle gleichstellungspolitischeZwischenbilanzen, als dies etwa seitens der eigentlichen „Gender-Bewegung“der Fall ist.C. Fazit: Es gibt noch viel zu tun!Noch einmal: Die Vorstellung, Frauen könnten sich mit dem historischen Erreichenvon Gleichstellungsgesetzen in Verfassung 2 , Bun<strong>des</strong>- und Lan<strong>des</strong>gesetzen und derenUmsetzungsversuchen in sogenannten „Gleichstellungsplänen“ 3 zumin<strong>des</strong>t vorübergehendbegnügen, ist verbreitet, aber so auf Dauer nicht haltbar. Denn Kritik an bestehendenVerhältnissen verbunden mit der Forderung, diese bestehenden Verhältnisse zuverbessern, wird man nicht aufgrund etwaiger Teilerfolge entkräften, zumal wir überdie erfolgreiche Struktur und Tendenz nicht einmal sicher sein können.2Art.3 Abs.2 Grundgesetzlautet: „Männer und Frauensind gleichberechtigt. DerStaat fördert die tatsächlicheDurchsetzung der Gleichberechtigungvon Frauen undMännern und wirkt auf dieBeseitigung bestehenderNachteile hin.“ Vgl. zurInterpretation: UteSacksofski: Das Grundrechtauf Gleichberechtigung,2.Aufl., Baden-Baden1996, S. 381ff.3Die „Rechtsqualität“ von„Plänen“ (Rahmenplan ,Gleichstellungsplan u.ä) istäußerst fraglich. „TatsächlicheDurchsetzung“ (Art.3Abs.2 Satz 2 GG) wirdaufgrund <strong>des</strong> im Verfassungstextfestgelegten„Förderungscharakters“zum bloßen „Umsetzungs-Problem“ und zur „politischenUmsetzungsmöglichkeit“abqualifiziert.Diese verfassungsrechtlicheSchwäche setzt sich auf denunteren Rechtsebenen fort.Auch die „Gleichstellungsgesetze“der Bun<strong>des</strong>länderenthalten weder Durchsetzungsvorschriftennochrechtsstaatliche Garantien.Um diese Schwächenausgleichen zu können,müssen Gleichstellungsordnungengeschaffen werden,in denen Anreizsysteme(etwa in Form von strukturiertenMittelvergaben) undgegebenenfalls entsprechendeSanktionen mit gesetzlichklar umschriebenenSanktionsmechanismenfestgelegt werden.<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200575


Berichte/ Beiträge aus der Universität4Susanne Baer: Radikalität,Fortschritt und GenderMainstreaming, zum Standfeministischer Rechtspolitikheute, in: STREIT –Feministische Rechtszeitschrift2003, Nr. 2, S.66ff. (S. 68).5„Gender mainstreaming“meint sinngemäß alltäglicheund konsequente Verwirklichungvon „Geschlechtergerechtigkeit“durchStrategien entwickelterGleichstellungspolitik, indenen die Wirklichkeit vonFrauen und Männern beiPlanung, Umsetzung undKontrolle gleichstellungsrelevanterMaßnahmen undEntscheidungen reflektiertwird und tatsächlich zuberücksichtigen ist. Vgl.dazu auch: Barbara Stiegler:Wie Gender in denMainstream kommt:Konzepte, Argumente undPraxisbeispiele zur EU-Strategie <strong>des</strong> GenderMainstreaming, Bonn 2000;Beispiele konkreter„Frauenfördermaßnahmen“bei: Uschi Baaken/LydiaPlöger: Gender Mainstreamingim Kontext derHochschule am BeispielUniversität Bielefeld, in:Uschi Baaken/Lydia Plöger(Hgg.), Gender Mainstreaming,Bielefeld2002, S. 113ff.(insbes. S. 11ff.).Die Kollegin Susanne Baer hat das ganz treffend einmal wie folgt formuliert: „Im Feld<strong>des</strong> Gleichstellungsrechts bedeutet mehr Recht nicht unbedingt mehr Gleichstellung,denn zahlreiche Regelungen werden nicht nur nicht umgesetzt, sondern dienen auchdazu, weitere Forderungen abzuwehren.“ 4Und doch: Ohnmacht der Frauen- und Gender-Bewegung bedeutet nicht Hoffnungslosigkeit.Ganz im Gegenteil: Wir sind uns bewusst über die praktischen Schwierigkeitenund über unsere in zum Teil „ohnmächtigen Strukturen“ vorgetragenen Bemühungen.Dies entspricht jenem Bewusstsein, von dem ich anfangs gesprochen hatte:Das Nachdenken <strong>des</strong> Betrachters/der Betrachterin über die Aussage einer Karikatur.Bei der „Gender-Bewegung“ kommt nun noch folgen<strong>des</strong> Bewusstsein hinzu: Sie wirdsich nicht auf einfache politische Veränderungen einlassen dürfen, sondern sie wirdpolitische Forderungen als grundlegen<strong>des</strong> Gerechtigkeitsproblem begreifen müssen.Nur dann kann die Problematik der „Gleichbedeutsamkeit“ von Frauen und Männernauch als eine Vermittlung im „mainstream“ 5 erfolgen und nur so kann diese Vermittlungals beachtlich wahrgenommen werden.Die Bilder dieser Ausstellung (und damit auch <strong>des</strong> Ausstellungskatalogs) sind historischeZeitdokumente zu diesem Gerechtigkeitsproblem. Die Bilder dokumentieren,wie es – momentan jedenfalls noch – um die Gleichstellung von Frauen undMännern in unserer Gesellschaft steht.LiteraturJerman, Tina (Hg.): FrauenWelten. Internationale Karikaturen, Essen 2003.Regina HarzerUniversität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität BielefeldPostfach 10 01 3133501 BielefeldEmail: regina.harzer@uni-bielefeld.deDie im Beitrag abgedruckten Karikaturen entstammen der internationalen Karikaturenausstellung„FrauenWelten“. Wir danken für die freundliche Genehmigung <strong>des</strong> Abdrucks.Die Ausstellung kann ausgeliehen werden bei: EXILE Kulturkoordinatione.V. (www.exile-ev.de), Friederikenstr. 41, 45130 Essen, Tel: 0201-747988-0, Email:info@exile-ev.de. Der Ausstellungskatalog kann ebenfalls dort bestellt werden, er liegtauch im „Frauenbüro“ der Universität Bielefeld zur Einsicht aus.76


Prozesse indirekter sozialer SchließungJasmin Lehmann und Sonja NeußProzesse indirekter sozialer Schließungin Natur- und Technikwissenschaften anHochschulen1. EinleitungDas Geschlechterverhältnis im deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystem istnach wie vor durch eine horizontale und vertikale Ungleichheit charakterisiert, wobeisich asymmetrische Geschlechterverhältnisse offensichtlich in mathematisch-naturwissenschaftlichenund technischen Disziplinen bis heute hartnäckiger halten als in anderenDisziplinen. Das am <strong>Interdisziplinären</strong> Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung(<strong>IFF</strong>) angesiedelte Forschungsprojekt „Von der direkten zur indirekten sozialenSchließung? Zur Reproduktion asymmetrischer Geschlechterverhältnisse in mathematisch-naturwissenschaftlichenund technischen Fächern an Hochschulen“ hat imNovember 2004 begonnen und wird vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen aus Mitteln <strong>des</strong> HWP-Programms gefördert.In der Studie wird - ausgehend von der Habitus-Feld-Konzeption von PierreBourdieu (Bourdieu 1983, 1992) – durch eine quantitative und eine qualitative Untersuchungden Fragen nachgegangen, welche Faktoren zur Reproduktion asymmetrischerGeschlechterverhältnisse in den Natur- und Technikwissenschaften beitragen und inwieweitdiese Reproduktion als ein bis heute anhaltender Prozess der sozialen Schließungbeschrieben werden kann, der vor allem auf den mittleren Status- bzw. Qualifikationsebenenan deutschen Hochschulen wirksam wird (zu Grundformen sozialer Schließungvgl. Kreckel, 1992, S. 190ff.). Dieser Beitrag gibt einen ersten Einblick in das bisvoraussichtlich Oktober 2006 laufende Forschungsprojekt.2. Ausgangspunkt und AusgangstheseIm Vergleich zu anderen sind Frauen in den beiden Fächergruppen „Mathematik-Naturwissenschaften“ und „Ingenieurwissenschaften“ noch immer unterrepräsentiert.Innerhalb der diesen beiden Fächergruppen zuzuordnenden Lehr- und Studienbereicheund der unterschiedlichen Statusebenen gestalten sich die Geschlechterverhältnissejedoch weitaus differenzierter. Auch in den mathematisch-naturwissenschaftlichen undingenieurwissenschaftlichen Fächergruppen gibt es einzelne Studien- und Lehrbereiche,in denen z.B. der Studentinnenanteil bereits seit einigen Jahren über dem durchschnittlichenFrauenanteil an den Studierenden insgesamt liegt oder diesen fast erreicht. Hierkann nicht mehr von einer Unterrepräsentanz der Frauen gesprochen werden (z.B.Biologie, Pharmazie, Mathematik, Architektur).Für andere Studien- und Lehrbereiche zeigt sich, dass der Frauenanteil insgesamtzwar unter dem Anteil der Frauen an Studierenden oder Professorinnen liegt, aberüber dem durchschnittlichen Frauenanteil der entsprechenden Statusebene dieser Fächergruppen.Hier kann gleichzeitig von einer Unter- und Überrepräsentanz gesprochenwerden, je nachdem, welche Bezugsgröße gewählt wird. Beispiele für Überrepräsentanzin Bezug auf die entsprechende Fächergruppe sind Chemie auf der Ebeneder Studierenden und <strong>Info</strong>rmatik auf der Ebene der Professorinnen. In einigen Studien-und Lehrbereichen der mathematisch-naturwissenschaftlichen bzw. ingenieurwissenschaftlichenFächergruppen sind Frauen jedoch auf allen Statusebenen noch nahezuabwesend, so dass hier, unabhängig von der gewählten Bezugsgröße, von einer drastischenUnterrepräsentanz gesprochen werden muss. Dies ist z.B. in der Elektrotechnikder Fall, ebenso wie in der Physik.Bericht aus einem laufenden Forschungsprojekt<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200577


Berichte/ Beiträge aus dem <strong>IFF</strong>Die Ausgangsthese der Studie ist, dass die Reproduktion asymmetrischer Geschlechterverhältnissedurch das Wechselspiel zwischen den institutionellen Rahmenbedingungenan Hochschulen und der männlichen Kultur der mathematisch-naturwissenschaftlichenund technischen Disziplinen einerseits und den Wahrnehmungs-, Deutungs- undHandlungsmustern der Akteure (Männer und Frauen) andererseits erklärbar wird. ImVordergrund stehen daher nicht allein objektive strukturelle Momente von sozialerSchließung, sondern auch die auf der subjektiven Ebene wahrgenommenen Schließungsmechanismenbzw. -prozesse. Darüber hinaus scheinen Schließungsprozesse,die zur Reproduktion asymmetrischer Geschlechterverhältnisse führen (können), inden einzelnen Disziplinen unterschiedlich wirksam zu sein, so dass es notwendig erscheint,diese in unterschiedlichen Disziplinen zu betrachten.3. Auswahl der zu untersuchenden DisziplinenAls Bezugsgröße für die Auswahl der in die Untersuchung einzubeziehenden mathematisch-naturwissenschaftlichenund technischen Disziplinen bzw. Studien- und Lehrbereichewurde der Frauenanteil in den Fächergruppen Mathematik/Naturwissenschaftenund Ingenieurwissenschaften an Hochschulen ausgewählt, genauer das „Input-Output-Verhältnis“ zwischen der „untersten Statusebene“ der Studentinnen und derhöchsten Statusebene der Professorinnen. Ausgewählt wurden Lehr- und Studienbereichedieser Fächergruppen, die im Vergleich zu dem der Fächergruppe insgesamtdurch folgende Input-Output Verhältnisse zu charakterisieren sind (zu den Zahlenvgl. Statistisches Bun<strong>des</strong>amt 2004):• 1. Fall: Der Studentinnenanteil ist geringer als der Studentinnenanteil der Fächergruppeund der Professorinnenanteil liegt ebenfalls unter dem Professorinnenanteil derFächergruppe insgesamt. Das ist z.B. in Physik und E-Technik der Fall.• 2. Fall: Der Studentinnenanteil ist geringer als der Studentinnenanteil der Fächergruppe,der Professorinnenanteil entspricht dem Durchschnitt der entsprechenden Fächergruppeannähernd oder liegt sogar darüber. Beispiele sind <strong>Info</strong>rmatik und Maschinenbau.• 3. Fall: Der Anteil der Studentinnen entspricht annähernd dem Studentinnenanteilder dazugehörigen Fächergruppe oder ist sogar höher und der Anteil der Professorinnenliegt unter dem Professorinnenanteil der dazugehörigen Fächergruppe. Dies ist inMathematik und Chemie der Fall.4. ForschungsfragenDie Forschungsfragen der Studie lauten wie folgt:Inwieweit sind die von Bourdieu beschriebenen Kapitalformen, insbesondere das fürden Hochschulbereich relevante kulturelle und soziale Kapital, sowie deren von Bourdieufür das universitäre Feld spezifizierte Unterformen, d.h. das akademische/universitäreund das intellektuelle/wissenschaftliche Kapital (Bourdieu 1992), geschlechtlichkonnotiert (vgl. auch Schaeper 1997) und zwar sowohl hinsichtlich <strong>des</strong> Kapitalvolumens,der Kapitalstruktur als auch der wissenschaftlichen Laufbahn (als zeitlicheEntwicklung von Kapitalvolumen und -struktur)?Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen einer möglichen geschlechtlichen Konnotationund einer möglichen fachkulturellen Konnotation der von Bourdieu beschriebenenKapitalformen, insbesondere bei deren Transformation in das symbolischeKapital?Inwieweit ist der mathematisch-naturwissenschaftliche und/oder der technische„Habitus“ vergeschlechtlicht und bringt damit auch vergeschlechtlichende alltagskulturellebzw. soziale Praktiken im sozialen Feld Hochschule, genauer in den ausgewähltenmathematisch-naturwissenschaftlichen und technischen Fächern, hervor, welche78


die Reproduktion asymmetrischer Geschlechterverhältnisse „gewährleisten“ und damitFrauen den „Qualifikations- und Karriereweg“ innerhalb der Hochschulen (unddamit in der Folge zumeist auch außerhalb der Hochschulen) zumin<strong>des</strong>t erschweren,wenn nicht sogar „verschließen“?Als konkrete Fragen ergeben sich daraus z.B.: Welche Rolle spielen „objektive“Faktoren (z.B. der zeitliche Ablauf der Qualifikation, Art und Ausstattung der Stellen),kulturelle Faktoren (z.B. Wahrnehmung der Disziplin, Geschlechterverhältnis),Handlungs- und Interaktionsmustermuster der AkteurInnen, Erfahrungen (z.B. erfahreneDiskriminierung oder Anerkennung) und mentale Faktoren, die u.U. dazu führen,dass Gründe für Diskriminierung oder fehlende Anerkennung auf individuellerEbene gesucht werden, bei der Reproduktion asymmetrischer Geschlechterverhältnisse?Und: Warum verläuft die Reproduktion bzw. Überwindung asymmetrischer Geschlechterverhältnissein den einzelnen Disziplinen so unterschiedlich?5. Untersuchungs<strong>des</strong>ign und UntersuchungsmethodenAls Forschungsmethode wird ein Methodenmix verwendet, wobei die qualitative Teilstudieauf der quantitativen aufbaut. Im quantitativen Teil wird eine Online-Befragungdurchgeführt, zu der insgesamt über 6.500 WissenschaftlerInnen, die im Mittelbau andeutschen Hochschulen tätig sind, eingeladen wurden. Die Zielgruppe der Befragungsetzt sich zusammen aus promovierten (noch nicht habilitierten) und nicht promoviertenFrauen und Männern der Disziplinen: Mathematik, Chemie, Physik, <strong>Info</strong>rmatik,Elektrotechnik und Maschinenbau.Für die Zusammenstellung der Stichprobe wurden die Webseiten der Hochschulenals Quelle benutzt und entsprechende Adressdaten in eine Datenbank extrahiert. Diepromovierten Frauen wurden soweit möglich vollständig erhoben. Bei den noch nichtpromovierten Frauen wurde die Anzahl auf zehn Frauen pro Disziplin und Uni beschränkt.Zu den gefundenen Frauen wurde jeweils ca. die doppelte Anzahl Männer inden Datensatz aufgenommen, da einerseits davon auszugehen war, dass die Rücklaufquotebei den Männern geringersein würde, und um andererseitsdas vorhandene asymmetrischeGeschlechterverhältnis zu berücksichtigen.Den größten Anteil imDatensatz stellen (entsprechendder Anzahl der gefundenen Frauen)die ChemikerInnen, gefolgtvon PhysikerInnen, <strong>Info</strong>rmatikerInnen,MathematikerInnen, MaschinenbauerInnenund ElektrotechnikerInnen.Anzumerken ist,dass die Zuordnung zu einzelnenDisziplinen nicht immer eindeutigmöglich war, da viele Lehrstühlenund universitäre Institute interdisziplinärzusammengesetzt sind.In einigen Fällen ließ sich die Geschlechtszugehörigkeitaufgrundvon abgekürzten oder unbekanntenVornamen nicht feststellen.Abb. 1: StichprobeProzesse indirekter sozialer Schließung<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200579


Berichte/ Beiträge aus dem <strong>IFF</strong>Der qualitative Teil besteht aus 96 teilstrukturierten Leitfadeninterviews, ebenfalls mitvorgeschaltetem Online-Fragebogen. Es wurden jeweils vier promovierte Frauen undMänner aus den sechs Disziplinen interviewt, die an einer deutschen Universität tätigsind. Als Vergleichsgruppe wurden je acht Frauen aus den sechs Disziplinen befragt,die nach der Promotion die Hochschule verlassen haben. Die Vergleichsgruppe vonFrauen außerhalb der Hochschule wurde in die Untersuchung integriert, um der Fragenachgehen zu können, ob und welche Schließungsmechanismen dazu führten, dassdiese Zielgruppe aus dem System Hochschule „ausgestiegen“ ist. Der Kontakt zu denaußeruniversitär tätigen Frauen wurde über Mailinglisten (Frauenarbeitskreise der Fachgesellschaftenetc.) und durch direkte Anfragen bei Unternehmen hergestellt. ZurVorbereitung der einzelnen Interviews wurde der Online-Fragebogen der/<strong>des</strong> jeweiligenInterviewpartners ausgewertet.6. Themengebiete der StudieSowohl in der Online-Befragung als auch in den Interviews wird eine große Bandbreitean Themen angeschnitten, wobei in den Interviews die Themen der Online-Befragungaufgegriffen, vertieft und auf die jeweilige Biographie zugeschnitten wurden.Die Untersuchung umfasst sechs Themenschwerpunkte, die im Folgenden mit einigenStichworten skizziert werden.Themenbereich Affinität zur Disziplin und bisheriger Qualifikationsweg• Bildungs- und Qualifikationsniveau der Befragten mit zeitlicher Erfassung der Qualifikationsschritteund persönlichem beruflichen Werdegang• Fach Studium, Fach Promotion (ggf. Habilitation) sowie konkreter die Teildisziplinen• Motivation für Promotion (ggf. Habilitation)• Woher das Interesse an dem Fach rührt• Vorlieben für welche Anwendungsgebiete der DisziplinThemenbereich Beschäftigungsverhältnis und Arbeitssituation• Umfang Stelle – tatsächliche Arbeitszeit• Einstufung, Befristung, Laufzeit, Drittmittel oder nicht• Es wird gefragt, wie sie an die jetzige Stelle gekommen sind• Einschätzung entscheidender Faktoren für die Einstellung• Mit der Stelle verbundene Erwartungen• Erfüllung oder Nichterfüllung der ErwartungenThemenbereich Einstieg/Einbindung in die wissenschaftliche Community• Mitgliedschaften in Fachgruppen• Einschätzung der Wichtigkeit von Kontakten und Vernetzung• Art und Anzahl von Publikationen, Vorträge• Wissenschaftliche Auszeichnungen und Preise• Auslandsaufenthalte• Einschätzung der Förderlichkeit von wissenschaftlichen Tätigkeiten und Forschungsartenfür KarriereThemenbereich Förderung/Unterstützung auf dem Berufs- bzw. Qualifikationsweg• Fachliche Unterstützung• Emotionale Unterstützung• Welche Form der Unterstützung/Förderung• Bewertung von Anerkennung80


Themenbereich Chancengleichheit• Einschätzung Fördermaßnahmen für Frauen• Einschätzung geschlechtsspezifischer Stellenbesetzungen• Mögliche Gründe für die Unterrepräsentanz in höheren Statusebenen• Geschlechterverhältnis im aktuellen Arbeitszusammenhang• DiskriminierungserfahrungenThemenbereich Demographie• Geburtsjahr• Kinder/Kinderwunsch• Bildungsstand und beruflicher Status der Eltern• Haben die Eltern eine der sechs Disziplinen studiert?In den teilstrukturierten Leitfadeninterviews wurden vor allem Themenbereiche aufgegriffenund vertieft, die über eine quantitative Befragung nur schwer oder unzureichendabzufragen sind, z.B. wie das Interesse an der Disziplin entstanden ist undwelche Motivation zu einer Promotion (ggf. Habilitation) geführt hat. Des Weiterenwurde gefragt, ob klassische Bilder und Stereotype der jeweiligen Disziplin wahrgenommenwerden, wie diese konkret aussehen und welche Auswirkungen sie haben und obdiese Stereotype durch die zunehmende Partizipation von Frauen aufbrechen. EinThema der Interviews war darüber hinaus, ob es Situationen gibt, in denen FrauenVorbehalte entgegengebracht werden oder ihnen mangelnde Fachkompetenz zugeschriebenwird. Außerdem wurden die Frauen gefragt, ob sie sich selbst als Exotin inihrer Disziplin wahrnehmen oder von anderen als solche wahrgenommen werden.Prozesse indirekter sozialer Schließung7. Aktueller StandDie Online-Befragung ist seit kurzem abgeschlossen. Insgesamt haben 2.544 Personenan der Online-Befragung teilgenommen. Davon haben 1.545 den Fragebogenvollständig ausgefüllt (638 Frauen und 907 Männer); diese Fragebögen werden in dieAuswertung eingehen. 488 Personen wurden zu Beginn <strong>des</strong> Fragebogen ausgescreent,da sie entweder keine der sechs Disziplinenstudiert hatten, ihre akademischeAusbildung zum größten Teilnicht in Deutschland absolviert hattenoder in der Zwischenzeit bereitshabilitiert waren und somit nicht derZielgruppe entsprachen. 520 TeilnehmerInnenhaben die Befragung abgebrochenund insgesamt 392 Personenwaren per Email nicht mehr erreichbarund konnten folglich nicht an derBefragung teilnehmen. Die Rücklaufquoteliegt bei etwas über 26 Prozent.Der Rücklauf nach Disziplinen entsprichtdem Ausgangsdatensatz mitden ChemikerInnen als größter undden ElektrotechnikerInnen als kleinsterGruppe. Im Gegensatz zum Ausgangsdatensatzbilden die MathematikerInnendie drittgrößte Gruppe.Auffallend ist, dass der Rücklauf beiAbb. 2: Rücklauf nach Disziplin und Geschlecht<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200581


Berichte/ Beiträge aus dem <strong>IFF</strong>Jasmin Lehmann,Sonja NeußInterdisziplinäresZentrum für Frauen undGeschlechterforschung(<strong>IFF</strong>),Universität Bielefeld,Postfach 10 01 31,33501 BielefeldEmail:jasmin.lehmann@unibielefeld.de,sonne.neuss@unibielefeld.deWebseite <strong>des</strong> Projekts:http://www.unibielefeld.de/<strong>IFF</strong>/for/projekte/BefragungNWden Frauen aus der Physik geringer ausfällt, als es die Ausgangsstichprobe erwartenließ. Von den 1.545 TeilnehmerInnen, die den Fragebogen vollständig ausgefüllt haben,sind 661 promoviert. Die jüngste TeilnehmerIn ist 23 Jahre alt, der/die Älteste69.Die quantitativ erhobenen Daten werden derzeit einer Datenprüfung und Datenkorrekturunterzogen. In Kürze kann mit der Analyse begonnen werden, wobei die Datenmit gängigen quantitativen Datenanalysemethoden ausgewertet werden. Hierzusind zwei Auswertungs­schritte vorge­sehen. Zunächst sollen die gewonnenen Dateninsgesamt ausgewertet und dabei vor allem auf geschlechtsspezifische Unterschiedehin analysiert werden. In einem zweiten Schritt sollen in Detailanalysen darüber hinauseventuelle Unterschiede zwischen Subgruppen näher betrachtet werden. Vorstellbarist eine Subgruppenbildung nach den für die Untersuchung ausgewählten Disziplinenoder den unterschiedlichen wissenschaftlichen Statusebenen. Erste Er­gebnissewerden zeigen, ob sich unterhalb oder quer zu diesen Gruppierungen weitere interessante,zunächst nicht ostentative Gruppen anhand der Daten nachweisen lassen, diefür Detailanalysen geeignet sind.Auch die Durchführung der 96 Interviews zum qualitativen Teil der Studie, diezwischen 1-2 Stunden gedauert haben und auf Tonband aufgenommen wurden, wurdekürzlich abgeschlossen. Der größte Teil der Interviews ist bereits vollständig transkribiert.Da die qualitativen Untersuchungsfragen durch explorative, inhaltsanalytischeVerfahren beantwortet werden sollen, wurde für die dazu erforderlichen Gesprächsanalysenin der Zwischenzeit ein Klassifikationsschema zur Erfassung thematisch relevanterArgumente induktiv in Anlehnung an Vorschläge aus der einschlägigen Literatur entwickelt(u.a. Mayring 1983 u. 1988, Lampert/Ervin-Tripp 1993). Dieses Schema wirdalso ausgehend vom vorliegenden Gesprächsmaterial entworfen und iterativ im Verlaufder Anwendung auf dieses Material ausgebaut, geprüft und modifiziert. Um denformulierten Fragestellungen nachgehen zu können, müssen dabei alle Redebeiträgeidentifiziert und klassifiziert werden, in denen zu den einzelnen Fragestellungen oderThemenschwerpunkten Stellung genommen wurde. Die Zuordnung und Klassifikationder Äußerungssegmente bilden sodann die Grundlage für die zu beschreibendenErgebnisse. In Kürze kann damit begonnen werden, das aus den Interviews gewonneneDatenmaterial im Hinblick auf die entwickelten Kategorien zu sichten.Erste Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt werden im Frühjahr 2006 zur Verfügungstehen.LiteraturBourdieu, Pierre: „Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital“, in: Kreckel,Reinhard (Hg.): Soziale Ungleichheiten, Soziale Welt, Sonderband 2, Göttingen 1983, S. 183-198.Bourdieu, Pierre: Homo academicus, Frankfurt a. M. 1992Kreckel, Reinhard: Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit, Frankfurt a.M./New York1992.Lampert, M. D./Ervin-Tripp, S. M.: Structured coding for the study of language and socialinteraction, in: Edwards, J. A./Lampert, M. D. (eds.): Talking data. Transcription and codingin discourse research, Hillsdale, New Jersey 1993, S. 169-206.Mayring, Philipp: Grundlagen und Techniken qualitativer Inhaltsanalyse, München 1983.Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, Weinheim 1988.Schaeper, Hildegard: Lehrkulturen, Lehrhabitus und die Struktur der Universität. Eine empirischeUntersuchung fach- und geschlechtsspezifischer Lehrkulturen, Weinheim 1997.Statistisches Bun<strong>des</strong>amt (Hrsg): Bildung im Zahlenspiegel, Wiesbaden 2004.82


Das Mentoring-Programm momentmal – erste ErfahrungenSylke KännerDas Mentoring-Programm – ersteErfahrungenmomentmal ist das erste Mentoring-Programm an der Universität Bielefeld. Es wurdevon der Zentralen Gleichstellungsbeauftragten initiiert und wird seit Oktober 2004 imRahmen <strong>des</strong> <strong>Interdisziplinären</strong> Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschungdurchgeführt.Das Mentoring-Programm richtet sich an Studentinnen und Doktorandinnen derUniversität Bielefeld und bietet Unterstützung beim Übergang Hochschule – Beruf.Studentinnen und Doktorandinnen – die „Mentees“im Programm – werden für 10 Monate in Kontaktmit weiblichen Fach- und Führungskräften – den„Mentorinnen“ – aus Wissenschaft oder Wirtschaftgebracht. Die Mentee trifft sich mit ihrer Mentorinca. einmal im Monat, um über selbst gewählte Themenzusprechen, die die berufliche Weiterentwicklungder Mentee sowie Erfahrungen, die beruflicheBiografie und Bedingungen am Arbeitsplatz derMentorin betreffen.Das Programm spricht insbesondere Studentinnenund Doktorandinnen aus Naturwissenschaften,Technik und Wirtschaft an, da in diesen Fächernder Frauenanteil sowohl an Hochschulen als auchim Beruf z.T. sehr gering ist. Aber auch Studentinnenund Doktorandinnen anderer Fachbereichekönnen sich für das Programm bewerben. Wer amProgramm teilnimmt, erhält die Gelegenheit, anregelmäßigen Netzwerktreffen teil zu nehmen sowiesich in Schlüsselkompetenzen weiter zu bilden. Zu Beginn <strong>des</strong> Programms nehmendie Mentees an einem Workshop zur Potentialanalyse und Berufszielfindung teil.Wer nimmt am Programm teil?Bisher sind zwei Mentoring-Gruppen gestartet: Im April eine Gruppe von 12 Studentinnen,im Juli eine Gruppe von 9 Doktorandinnen und 2 Studentinnen. Von den Studentinnenstudieren zwei im Rahmen eines Bachelor-Studienganges, die restlichen studierenauf Diplom. Eine Studentin studiert an der Fachhochschule Bielefeld Wirtschaft.Es gibt sowohl Studentinnen am Anfang <strong>des</strong> Studiums als auch solche, die sich in derEndphase befinden, sowie Doktorandinnen. Den beruflichen Einstieg vorzubereitenbzw. sich beruflich zu orientieren, macht zu jedem Zeitpunkt <strong>des</strong> Studiums Sinn: dieeinen, die sich bereits frühzeitig mit diesen Fragen auseinandersetzen profitieren vonder Möglichkeit einer langfristigen, gereiften Planung mit frühzeitigen Weichenstellungen– die anderen, die das Mentoring gegen Ende <strong>des</strong> Studiums nutzen könnenstärker von selbst gemachten Erfahrungen mit Praktika und Nebenjobs profitierenund möglicherweise die bereits entstandenen Kontakte für den beruflichen Einstiegnutzen.Die Mentorinnen im Programm kommen größtenteils direkt aus Bielefeld oder derRegion OWL. Einige, insbesondere einige Mentorinnen der Doktorandinnen, kommenvon weiter her, so z.B. Köln, Paris, Düsseldorf. Beim sog. „Matching“ – dem<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200583


Berichte/ Beiträge aus dem <strong>IFF</strong>Zusammenführen von Mentee und Mentorin – an dem die Mentees selbst aktiv beteiligtsind, stellte sich heraus, dass es in der Gruppe der Doktorandinnen etwas schwierigerwar, „passende“ Mentorinnen zu finden. Die meisten Doktorandinnen wünschtensich eine Mentorin, die ebenfalls promoviert ist und dementsprechend in einerFührungsposition in der Wirtschaft arbeitet. In naturwissenschaftlich-technischen Arbeits-und Berufsfeldern finden sich solche Frauen aber nur sehr selten. So war esoftmals nicht so leicht, gleichzeitig dem Bedürfnis nach einer wohnortnahen Mentorinsowie den anderen Anforderungen gerecht zu werden. In einem Fall gestaltete sichdas Matching dann auch unerwartet lang – am Ende waren aber alle Mentees rechtzufrieden mit „ihrer“ Mentorin.Die Gruppe der Mentorinnen ist bunt gemischt. Alle arbeiten in verantwortlichenPositionen, viele in hohen Führungspositionen, manche sind selbständig. Hier einekleine Auswahl der Berufe: eine Museumsleiterin, eine Produkt-Risikomanagerin, eineCity-Management-Leiterin, eine Physiotherapeutin, die Prokuristin eines mittelständischenIT-Unternehmens, ein Director Product Development, eine selbständige Trainerin/Coach,eine Event-Agentur-Leiterin, die Personalchefin eines internationalenKonzerns. Namhafte Firmen der Region wie z.B. Gildemeister, Girindus, Schüco,Storck gehören zu den Arbeitgebern der Mentorinnen, aber auch überregionale Unternehmen,wie Siemens und Johnson & Johnson.Warum nehmen Mentees und Mentorinnen am Programm teil?Studentinnen und Doktorandinnen erwarten vor allem, mit dem Programm ihre beruflichenZiele zu konkretisieren, Einblicke in die Berufspraxis zu erhalten sowie Strategienzum Berufseinstieg zu entwickeln. Viele möchten durch das persönliche Gesprächmit ihrer Mentorin vor allem auch informelle Spielregeln in den Unternehmenkennen lernen – eine Chance, die wohl sonst in kaum einem anderen berufsorientierendenAngebot so gut genutzt werden kann wie im Mentoring. Mentorinnen für dasProgramm zu gewinnen war überraschend leicht. Nachdem die Mentees ein „Wunschprofil“für ihre Mentorin erstellt und dann aktiv recherchiert haben – über das Internet,über Gelbe Seiten, vor allem aber über bereits vorhandene Kontakte und den Austauschvon Kontakten innerhalb der Gruppe der Mentees – wurden konkrete Namenals „Wunschmentorinnen“ bei der Projektleitung abgegeben. Klappte dies nicht inallen Fällen, hat die Projektleitung die Recherche unterstützt bzw. auch selbst eigeneKontakte genutzt. Die Erstansprache, also die Frage, ob die Wunschkandidatin Interessehat, sich als Mentorin für die interessierte Mentee zur Verfügung zu stellen,erfolgte in den meisten Fällen durch die Projektleitung. Einzelne der Mentees wolltenaber auch diesen Schritt eigenständig tun. Die Resonanz auf die Anfrage war durchwegpositiv. Auch wenn es manchmal recht langwierig war, insbesondere Frauen inhohen Führungspositionen zu erreichen, reagierten die angefragten Frauen sehr interessiertund aufgeschlossen. Von dem Nutzen <strong>des</strong> Programms waren die meisten sofortüberzeugt. Viele sagten, so ein Programm hätten sie bei ihrem Berufseinstieg auchgerne gehabt. Wiederum viele meinten, sie würden gerne ihre Erfahrungen an jungeNachwuchskräfte weiter geben und kennen den oftmals steinigen und harten „Wegnach oben“ – insbesondere in männerdominierten Branchen. Die Mentorinnen erwartenvon der Teilnahme am Programm für sich selbst insbesondere Kontakt zu anderenberufstätigen Frauen: interdisziplinäre Vernetzung und Kontakte, die über daseigene berufliche Umfeld hinaus gehen.Was sagen die Beteiligten nach ein paar Monaten <strong>des</strong> Mentorings?Nun ist ja der zweite Durchlauf, also die Gruppe der Doktorandinnen, im Juli geradeerst frisch an den Start gegangen. Durch die Sommer- und Urlaubszeit lässt sich von84


Das Mentoring-Programm momentmal – erste Erfahrungendieser Gruppe noch nicht viel berichten. Die Studentinnen, die schon im April gestartetsind, konnten aber schon erste Erfahrungen mitteilen. Die Inhalte und der Rahmender Gespräche sind bei jedem Mentoring-Tandem verschieden. Manche treffensich gleich zu Hause und sind sofort „per du“, andere treffen sich am Arbeitsplatz derMentorin oder in einem Cafe. In den ersten Gesprächen geht es erst einmal darum,sich besser kennen zu lernen: die Mentorin erzählt von ihrem beruflichen Werdegang– die Mentee von ihrem bisherigen Bildungs- und Berufsweg sowie von ihrem Interesseam Mentoring-Programm. Persönliche Themen wie z.B. die Vereinbarkeit von Familieund Beruf werden nicht selten ebenfalls zum Thema gemacht. Einige Menteeshaben sich ganz gezielt eine Mentorin mit eigenen Kindern ausgesucht, um mit ihrFragen <strong>des</strong> beruflichen Ein- und Aufstiegs für Frauen mit Kindern zu besprechen.Welche Hindernisse würden sie erwarten – auf welche Unterstützung können sie (nicht)rechnen? Wie hat sich die Mentorin organisiert?Manch ein Tandem wird auch selbst aktiv: Es werden eigene Projekte geplant –Aufgaben, die die Mentee im Rahmen der Tätigkeiten der Mentorin gemeinsam mitanderen Akteuren übernimmt, oder aber die Mentorin empfiehlt die Mentee im Rahmeneiner Stellenausschreibung, weil sie den Arbeitgeber aus einer beruflichen Zusammenarbeitgut kennt. Das sind Effekte, die die Mentees zu Beginn <strong>des</strong> Programmsnicht erwarten, schon gar nicht einfordern dürfen, die aber im Rahmen von Mentoringentstehen können, wenn die Voraussetzungen, die Gelegenheiten und das Vertrauenauf beiden Seiten vorhanden ist.Aber gibt es nicht manchmal auch Probleme oder Schwierigkeiten?Wie in jeder sozialen Beziehung ist natürlich auch die Mentoring-Beziehung nicht freivon möglichen Störungen, Missverständnissen oder Einflüssen von außen. So hatsich z.B. bei einer Mentee in relativ kurzer Zeit nach Beginn <strong>des</strong> Programms aufgrundeines Aufbaustudiengangs ein neuer Studienort ergeben. Die Mentee fragte sich, obdenn dann das Mentoring noch sinnvoll für sie sei, da es ja nun verstärkt darum ginge,sich in ihrem neuen Umfeld Kontakte und Perspektiven zu eröffnen. Gemeinsam mitder Projektleitung wurde überlegt, wie sich das angefangene Mentoring dennoch Gewinnbringend nutzen lassen kann. So überlegt die Mentee nun, inwieweit ihr dieMentorin genau in dieser Frage weiter helfen kann. Womöglich hat die Mentorin bereitsselbst Ortswechsel hinter sich – vielleicht hat sie aufgrund ihrer beruflichen Kontakteund Vernetzung ja auch in dem neuen Ort bzw. in der Region Kontakte, die sie derMentee vermitteln kann. … Vieles ist im Mentoring denkbar und machbar. Es kommtauf die Idee, Möglichkeiten und Interessen der Beteiligten an, was aus diesem Kontaktgemacht wird. Entstehen Probleme, auch gravierender Art, steht die Projektleitungjederzeit als Begleitung, Moderation und Beratung zur Verfügung. Beide, Menteeund Mentorin, können sich bei Fragen oder Schwierigkeiten an die Projektleitungwenden.Wie geht es weiter?Das Projekt momentmal wird bis Ende 2006 vom Ministerium für Wissenschaft undWirtschaft NRW gefördert. Ab 2007 ist eine Weiterführung innerhalb der Strukturender Universität Bielefeld geplant. Bis dahin wird noch eine neue Gruppe von Menteesund Mentorinnen einen Durchlauf starten. Im Januar beginnt dieser letzte Durchlauf,der sich dieses Mal wieder an Studentinnen richtet. Wer sich dafür bewerben möchte,kann dies noch bis zum 28. November 2005 tun. Für die Bewerbung ist das Ausfülleneines Profilbogens notwendig sowie ein persönliches <strong>Info</strong>gespräch mit der Projektleitung.<strong>Info</strong>s dazu gibt es auf der Homepage <strong>des</strong> Projekts www.mo-ment-mal.de oderbei Sylke Känner, T7-226, Tel.: 0521 /106-44 11Sylke KännerInterdisziplinäresZentrum für Frauen undGeschlechterforschung(<strong>IFF</strong>),Universität Bielefeld,Postfach 10 01 31,33501 BielefeldEmail: info@mo-mentmal.de<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200585


Sonstige Berichte/ BeiträgeEmilie DanelFrauen im internationalen KontextGeschlechtsspezifische Strukturen und Interaktionen in internationalenOrganisationenDieser Beitrag betrachtet geschlechtsspezifische Strukturen und Interaktionen in internationalenOrganisationen am Beispiel <strong>des</strong> Europäischen Parlaments. Erfahrungen und Einstellungenvon fünf weiblichen Abgeordneten werden mit dem Ansatz von Joan Acker konfrontiert,die Organisationen als geschlechtsstrukturierte Gebilde beschreibt. Von Interesse istdabei vor allem, inwieweit nationale Ungleichheitserfahrungen die Wahrnehmung derinternationalen Ebene beeinflussen. Die Frage, inwiefern internationale Organisationenoffener und moderner sind als nationale Organisationen und damit ein geringeres Maßan geschlechtsspezifischen Ungleichheiten aufweisen, wird aus unterschiedlichen Perspektivenbeleuchtet. 11Die Langfassung diesesBeitrags wurde im Januar2005 als Diplomarbeit ander Universität Stuttgartund an der UniversitätBordeaux eingereicht. ImRahmen eines Praktikumsbei der EuropäischenFrauenlobby, einerDachorganisation, die mehrals 4.000 Frauenorganisationenauf der europäischenEbene vertritt, war es mirmöglich, mit Abgeordneten<strong>des</strong> Frauenausschusses <strong>des</strong>Europäischen Parlamentszusammen zu arbeiten undfünf von Ihnen für dieseAbschlussarbeit zuinterviewen. Die Arbeitwurde von Professorin Dr.Birgit Blättel Minkbetreut. Ich danke ihr fürihre konstante Unterstützung,ihre wertvollenRatschläge und Inspiration.1. EinleitungIm Europäischen Parlament sind Frauen immer noch eine Minderheit: 2004 warenlediglich 32% der Abgeordneten <strong>des</strong> Europäischen Parlaments Frauen. In Organisationenwerden wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen und Institutionen auch geschlechtsspezifischeDiskriminierungen praktiziert, so die These, besonders wenn diesevon einem maskulinen Arbeitsmodell geprägt sind: Arbeitssegregation, Dominanzvon maskulinen Arbeitsmethoden und Werten, Sexismus, usw. Eine relativ neue Formder Organisation ist die der internationalen Organisation. Ein wesentliches Merkmaldieser Organisationsform ist, dass ihre MitarbeiterInnen aus verschiedenen Ländernkommen und dass die Organisation gleichzeitig in mehreren Ländern vertreten ist.Internationale Organisationen gelten daher eher als offen, modern und dynamisch.Aber bedeutet diese Modernität auch mehr Gleichheit zwischen Frauen und Männernam Arbeitsplatz? Wie gestaltet sich der Prozess <strong>des</strong> „Gendering“ in einer internationalenOrganisation und unterscheidet er sich von dem nationaler Organisationen? MitarbeiterInneneiner internationalen Organisation haben aufgrund ihrer Herkunft aus verschiedenenGesellschaften unterschiedliche gesellschaftliche und kulturelle Muster <strong>des</strong>„Gendering“ internalisiert. Finden auf der Ebene der internationalen OrganisationVermischungen nationaler Kulturen statt oder dominiert eine bestimmte Kultur oderentsteht eine ganz eigene internationale Kultur der Arbeitsbeziehungen, der Diskriminierungenqua Ethnie und Geschlecht? Um diese Fragen zu beantworten, wird im Folgendender kulturtheoretische Ansatz von Joan Acker (1992) herangezogen, die Organisationenals geschlechtsstrukturierte soziale Gebilde beschreibt. Dieser Ansatz liefert dieAnalysekategorien für eine Expertinnenbefragung von fünf weiblichen Abgeordneten<strong>des</strong> Europäischen Parlaments aus Dänemark, Belgien, Spanien und Österreichüber ihre Einstellungen zu den Arbeitsbedingungen in einer internationalen Organisation.Die Zuordnung einzelner Länder basiert auf dem kulturvergleichenden Ansatzvon Geert Hofstede (1997). Nach der theoretischen Fundierung werden die Vertreterinnender einzelnen Länder in Hinblick auf die vier von Acker vorgeschlagenen Ebenen<strong>des</strong> „gendering“ vorgestellt. Schließlich wird in einer Zusammenfassung die Ausgangsfragekritisch reflektiert.2. Die Theorie der geschlechtsspezifischen Organisationen„This makes a considerable difference for same-sex and cross-sex relationships at the workplace.“(Maccoby 1998, S. 227)86


Acker (1992) geht davon aus, dass keine Organisation geschlechtsneutral ist und dassgeschlechtsspezifische Ungleichheiten auf der organisationalen Ebene gesellschaftlicheingebettet sind. Iiris Aaltio und Albert J. Mills (2002) definieren dies folgendermaßen:„Sex is a biological classification of humans between women and men, whereas genderis a cultured knowledge that differentiates them“ (ebd., S. 4). Das zentrale Argumentvon Acker ist, dass Männer und Frauen im innerbetrieblichen Aushandlungsprozessnicht auf gleiche Ressourcen zurückgreifen können und damit ungleiche Macht- undVerhandlungspositionen haben. Organisationen sind also keine geschlechtsneutralenGebilde, sondern geschlechtsspezifisch konnotiert und segregiert (vgl. Wilz 2002). Eslässt sich eine „masculine substructure of organisation“ (Acker 1992, S. 255) ausmachen,die Mark Maier (2000) „corporate masculinity“ nennt. Laut Maier wurden Organisationenursprünglich von Männern entwickelt und werden mehrheitlich immer nochvon Männern geführt, spiegeln also ein maskulines Arbeitsmodell wider. Acker (1992)beschreibt in ihrem Aufsatz „Gendering Organizational Theory“ vier Ebenen, aufdenen Prozesse <strong>des</strong> „gendering“ von Organisationen geschehen (können): die Ebenegeschlechtsspezifischer Strukturen, die Ebene der Symbole, auf denen die geschlechtsspezifischenUnterschieden und Ungleichheiten beruhen, die Ebene der Interaktionenund zuletzt das Verständnis je<strong>des</strong> Individuums von der Organisation. Auf jeder dieservier Ebenen spielt Sexualität eine wichtige Rolle.2.1 Die strukturelle Ebene der Organisation (Segmentation und Segregation)Viele Berufe werden immer noch als typische Männerberufe (Handwerker, Managerusw.) gekennzeichnet und andere als typische Frauenberufe (Krankenschwester, Sekretärin,usw.). Silvia M. Wilz (2002) argumentiert, dass auch die horizontale Segregationvon den Faktoren Macht, Einfluss, Gehalt, Prestige, usw. determiniert wird. Frauennehmen Berufe und Tätigkeiten an, die weniger Prestige bzw. Einfluss haben als diejenigen,die Männer wählen. Diese Segregation ist auch das Ergebnis hierarchischer Strukturen,die seit Jahrhunderten bestehen und die postulieren, dass Männer Frauen überlegensind. Es ist der bekannte „Glass Ceiling“, der Frauen daran hindert, Führungspositionenzu übernehmen. Auch die vertikale Segregation ist geschlechtsspezifisch strukturiert.In vielen Organisationen sind auch heute noch Führungspositionen (nahezuausschließlich) von Männern besetzt; Sekretärinnen und/oder Assistentinnen hingegensind (überwiegend) Frauen (vgl. Maccoby 1998). Viele Männer sind immer noch davonüberzeugt, dass Frauen für die Führung einer Gruppe oder einer Organisation nichtgeeignet sind, und andere haben immer noch ein Problem damit, eine Frau als Chefinbzw. Vorsitzende anzuerkennen. Immer noch ist Macht sehr stark mit Maskulinitätverbunden.Es gibt viele Erklärungen für diese Segregation (vgl. Maccoby 1998): eine geschlechtsspezifischeSozialisation in der Kindheit und Jugend, die zur „Ausprägung“ unterschiedlicherInteressen und in der Folge zu unterschiedlichen Beschäftigungen, Jobs, usw.führt; institutionelle Beschränkungen und Hindernisse, die bewirken, dass Frauen mehrSchwierigkeiten haben, eine bestimmte Arbeit zu bekommen als Männer (männerdominierteGewerkschaften, Mund zu Mund Rekrutierung, Mangel an externer Kinderbetreuungusw.).2.2 Die Symbole und Werte der OrganisationDie zweite Ebene ist die Ebene der Symbole und Bilder, auf der geschlechtsspezifischeUnterschiede und Ungleichheiten beruhen. Alle Organisationen produzieren und reproduzierenbestimmte Symbole, die zum Beispiel auch Aspekte der Sexualität einschließen.Gemäß dieses Prinzips sind Chefs und Manager als stark und zielorientiert gekennzeichnet;die Organisationen und Organisationskulturen selbst tragen meist männlicheFrauen im intenationalen Kontext<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200587


Sonstige Berichte/ BeiträgeEigenschaften wie gemein, aggressiv, zielorientiert, effizient und konkurrenzfähig (vgl.Blättel Mink 2003). Adjektive, die als typisch weiblich gekennzeichnet sind, wie empathisch,unterstützend, freundlich und sorgend, werden in der Organisationskultur meistensabgelehnt. Dies trägt dazu bei, ein stark maskulines Arbeitsmodell und maskulineArbeitsmethoden zu bilden, in denen viele Frauen nur schwer ihren Platz finden.2.3 Die Interaktionen innerhalb der OrganisationInteraktionen, d.h. die Art und Weise, wie die Menschen in Organisationen miteinanderkommunizieren, bilden die dritte Ebene. Alltägliche Interaktionen zwischen Frauenund Männern am Arbeitsplatz tragen dazu bei, Ungleichheiten und Benachteiligungenzu reproduzieren (vgl. Cyba 2002) Denn Interaktionen bestimmen das Selbstbild <strong>des</strong>Individuums. Das Individuum wird von den anderen bestimmt und positiv odernegativ definiert. Die Abwertung von Frauen durch andere, und insbesondere durchMänner, trägt also dazu bei, dass Frauen ein schlechtes Selbstbild haben. Im Gegensatzdazu werden Männer in diesem Prozess ihr eigenes Selbstbild verbessern können.In ihrem Kapitel über männliche und weibliche Interaktionen stellt Eleanor E. Maccoby(1998) fest, dass Frauen und Männer nicht nur verschiedene Diskursformenaufweisen, sondern auch, dass sie diese Diskursformen nur mit KollegInnen gleichenGeschlechts teilen können. Die Tatsache, dass Frauen sich oft immer noch nach derArbeit um die Kinder kümmern müssen, spielt auch eine Rolle für ihre Isolierung, dasie an den mehr freundschaftlichen und erholenden Aktivitäten nach der Arbeit nichtteilnehmen können. Außerdem gibt es in Männerdiskursen zahlreiche Referenzen anFrauen als Sexobjekte. Beth Milwid (1990) beobachtet, dass das sexistische Benehmenvon Männern gegenüber Frauen in ihren Interaktionen am Arbeitsplatz besonders beiälteren Männern (älter als 50 Jahre) ausgeprägt ist. Dieser Punkt ist für unsere Untersuchungin internationalen Organisationen besonders interessant, da im Allgemeinen Mitgliederinternationaler Organisationen jünger sind als Mitglieder nationaler Organisationen.Auch wenn in Interaktionen zwischen Frauen und Männern oftmals die MännerUngleichheiten schaffen, darf aber nicht vergessen werden, dass das Verhalten derFrauen und ihre Redeweisen in dieser Situation auch eine Rolle spielen. Durch ihrVerhalten verstärken sie oft, wenn auch unbewusst, die Überlegenheit der Männerund ihre eigene Unterlegenheit. Die Stereotypen wirken als „self-fulfilling prophecies“,so Cyba (2002). Dieser letzte Punkt führt uns zu der vierten Ebene von Acker: dieAnpassung individuellen Verhaltens an die Organisation.2.4 Verständnis der Organisation – „Rollenspiele“Die vierte Dimension ist das Verständnis je<strong>des</strong> Individuums von der Organisation.Mit diesem Verständnis der geschlechtsspezifischen Struktur einer Organisation wirdjeder versuchen, sein Verhalten an diese Struktur anzupassen. Jeder bleibt in seinemgeschlechtstypischen Schema, das heißt, dass Frauen weibliche Eigenschaften unterstreichen,während Männer ihre männlichen Eigenschaften in den Vordergrund stellen.Es muss betont werden, dass Sexualität eine wesentliche Rolle in der geschlechtsspezifischenStruktur und Konstruktion der Organisation spielt. Sexualität wird wiederals ein Machtinstrument in der Organisation benutzt: da sie oft als Störungsfaktor fürRationalität betrachtet wird und Frauen mit Sexualität assoziiert werden, sind sie diejenigen,die als Störungsfaktoren gelten. Außerdem wird die Sexualität der Frauen gleichgesetztmit Reproduktion und somit zu einem Grund für den Ausschluss von Frauenaus der Organisation. Männern hingegen gibt Sexualität ein zusätzliches Kontrollmittel,da ihre Sexualität als dominant und mächtig gilt.88


Die besondere Rolle der Sexualität in den Arbeitsbeziehungen zwischen Frauenund MännernEine erste Erklärung dafür, dass Sexualität am Arbeitsplatz so präsent ist, liegt in derNeigung mancher MitarbeiterInnen, den Arbeitsplatz als einen Ort zu verstehen, andem man einen Partner bzw. eine Partnerin finden kann (vgl. Maccoby 1998). In ihrerUntersuchung findet Milwid (1990) auch heraus, dass Arbeitsbeziehungen für verheirateteFrauen viel bequemer sind als für unverheiratete Frauen (unverheiratet = „frei“für Männer) sind. Wenn die Frau verheiratet oder liiert ist, tritt der sexuelle Aspekt inden Arbeitsbeziehungen zurück, was die Arbeitsbeziehungen zumeist einfacher gestaltet.Auch sexuelle Belästigung ist eine Form der Sexualität am Arbeitsplatz: Entwederwird Sex angeboten, um bessere Positionen zu erreichen, oder Sex wird verlangt (gegenPromotion, Arbeitssicherheit usw.).Auf ganz andere Weise und dabei eher indirekt spielt Sexualität eine wichtige Rollebei der Konstruktion sozialer Ungleichheit. Die Problematik der Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf führt nahezu immer noch ausschließlich bei Frauen dazu, die Erwerbstätigkeitwegen der Kinder unterbrechen oder reduzieren zu müssen. Sie könnensich infolge<strong>des</strong>sen nicht vollständig ihrer Arbeit in der Organisation widmen: einehistorisch gewachsene „Legitimation“ für den Ausschluss von Frauen, zumin<strong>des</strong>t vonstatusträchtigen Positionen in den Organisationen. Zusätzlich verbreiten Organisationendie Idee, dass sie geschlechtsneutral seien: der Arbeiter steht für seine Arbeit, er hatkeinen Körper und keine Gefühle, <strong>des</strong>halb ist kein Platz für andere Bereiche <strong>des</strong> Lebenswie Familie oder Reproduktion. Die Gesetze der Organisation und ihrer Kulturwerden <strong>des</strong>wegen besser von Männern integriert und assimiliert. Einfacher gesagt, einguter Arbeiter ist ein Mann (Illusion <strong>des</strong> „universellen Arbeiters“ (Acker 1992)).Gender in den internationalen OrganisationenWenn die geschlechtsspezifische Struktur einer Organisation in einem internationalenKontext analysiert wird, kommt ein weiterer wesentlicher Faktor ins Spiel: dieMultikulturalität. Dieser Faktor ist von hoher Wichtigkeit und verbietet, „Gender“und „Sex“ zu verwechseln. Gender ist sozial konstruiert und variiert dementsprechendvon einer Gesellschaft zur anderen.In einer internationalen Organisation arbeiten nicht nur Frauen und Männer zusammen,sondern auch Menschen aus verschiedenen Kulturen, was die Arbeitsverhältnisseumso komplexer macht. Die Organisationskultur entwickelt sich <strong>des</strong>halb aus der Mischungunterschiedlichster Kulturen, um etwas Neues zu schaffen. Schwierig wird esdann, wenn verschiedene Konzeptionen von Gender-Modellen in Konflikt treten.3. Methode der UntersuchungDie Wahl einer geeigneten Erhebungsmethode orientiert sich an der Annahme, dassgeschlechtsspezifische Diskriminierungen in vielen Bereichen <strong>des</strong> Arbeitslebens verankertsind. Außerdem werden sie sogar manchmal als Teil der Organisationsstrukturbzw. -kultur akzeptiert, so dass nicht viel darüber gesprochen wird. Wird das Themajedoch behandelt, dann kann beobachtet werden, dass Frauen darüber viel zu sagenhaben und sich <strong>des</strong>halb frei darüber äußern, unter welchen Diskriminierungen sieleiden. Deshalb wurde das so genannte „Problemzentrierte Interview“ gewählt. DieseMethode ermöglicht zwei Ziele gleichzeitig (vgl. Mayring 1999): Erstens kann der/dieBefragte frei sprechen, seine/ihre Meinungen kann er/sie wie er/sie will äußern. DasInterview soll möglichst wie ein normales Gespräch aussehen. Andererseits ist dasInterview auf ein bestimmtes Problem zentriert, in diesem Fall die Arbeitsbedingungender Frauen im Europäischen Parlament. Der Interviewleitfaden wird auf die Typologieder geschlechtsspezifischen Struktur von Organisationen nach Acker gestützt. NachFrauen im intenationalen Kontext<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200589


Sonstige Berichte/ Beiträgeden üblichen Vorstellungs- und Sondierungsfragen werden spezifische Fragen überdie Strukturen (Segregation und Segmentierung), die Symbole der Organisation, derInteraktionen mit männlichen Kollegen, der Rolle der Sexualität und über die eigeneAnpassung an die Organisation gestellt.2Ein Teil seiner Untersuchungin unterschiedlichenNiederlassungen von IBMbestand darin, verschiedeneWerte als feminin odermaskulin zu klassifizierenund zu analysieren, welchedieser Werte die ArbeiterInnender IBM-Firmen alswichtigste Werte auswählen(Frage: „Versuchen Sie, dieFaktoren zu nennen, die fürSie bei einer ideellen Arbeitwichtig wären“; Hofstede1997, S. 113. Die Wertebzw. Faktoren, die in dervorgeschlagenen Liste als„maskulin“ gelten, sind:Einkommen (viel zuverdienen), Anerkennung(wenn man gute Arbeitleistet), Beförderung(Möglichkeit, in höherePositionen aufzusteigen),Herausforderung (bei derArbeit gefordert zu werden).Die „femininen“ Faktorensind Vorgesetzter (gutesArbeitsverhältnis mit demdirekten Vorgesetzten),Zusammenarbeit (guteArbeitsverhältnisse mitKollegen), Umgebung (angenehmeUmgebung für sichselbst und die Familie), Sicherheit<strong>des</strong> Arbeitsplatzes.LändergruppenAuf der Basis das Modells von Geert Hofstede (1997), der nationale Kultur entlangvon vier polarisierten Dimensionen analysiert (u.a. Maskulinität und Feminität), konntenLändergruppen gebildet werden: Länder, in denen ein maskulines Wertesystemam Arbeitsplatz herrscht, und Länder, die feminine Werte hervorheben. 2 Im Ergebnistrennen sich fast überall sehr klar die Werte von Männern und von Frauen, das heißt,dass in fast allen Ländern die femininen Werte mehrheitlich von Frauen genannt undmaskuline Werte von Männern gewählt werden. Nur in Schweden und Norwegenweisen die Antworten von Frauen und Männern keine klaren Unterschiede auf.Die Analyse von Hofstede enthält Länder aus aller Welt. Für unsere Untersuchungwerden aber lediglich die europäischen Länder berücksichtigt. Die drei gebildetenGruppen sind die folgenden:• „Feminin“: skandinavische Länder wie Schweden, Dänemark und Finnland, aberauch die Niederlande.• „Maskulin/Feminin“: romanische Länder und südeuropäische Länder wie Portugal,Spanien, Frankreich, Belgien und Griechenland.• „Maskulin“: mitteleuropäische Länder und angelsächsische Länder Westdeutschland,Großbritannien, Irland, Italien und Österreich.4. Ergebnisse aus den Interviews4.1 Frau A, DänemarkFrau A (64) ist ein dänisches Mitglied <strong>des</strong> Europäischen Parlaments und Mitglied <strong>des</strong>Frauenausschusses. Sie ist auch Mitglied der Liberalen. In Dänemark hat sie als Chemieingenieurinund Politikerin gearbeitet. Sie hat zwei Kinder.Frau A´s Antworten sind im Allgemeinen sehr „typisch“ für eine skandinavischeFrau. Sie erkennt die geschlechtsspezifischen Merkmale der Organisationen kaum undfindet sie sehr schwach. Ihre Meinung ist sehr individualistisch und ihre Ideen gehen inRichtung <strong>des</strong> Mottos: „Man kann, wenn man will!“.StrukturenObwohl Frau A erkennt, dass die Situation für Frauen im Bereich der Erwerbsarbeitin Dänemark nicht so gut ist wie in anderen skandinavischen Ländern, nimmt Frau Asowohl auf der nationalen als auch auf der europäischen Ebene kaum geschlechtsspezifischeStrukturen wahr. Dies betrifft sowohl die Segmentierung als auch die Segregierung(z.B. „Glass Ceiling“). Das einzige Problem, das von Frau A erwähnt wird, istdie schwierige Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Familie: „I would say today, I think theproblem for women, and some men, but women generally, is that today they cannot secure family lifeand working life, and that’s a problem for all families, young families. If the women also want acareer, you have a problem.“ Dieser Aspekt der ungleichen Arbeitsbedingungen zwischenFrauen und Männern scheint auch in skandinavischen Ländern noch nicht gelöst zusein. Was die Segmentierung betrifft, so behauptet Frau A, dass Frauen sich mehrheitlichfür soziale Themen interessieren; <strong>des</strong>halb seien sie immer für soziale Bereiche wiedie Familie, die Senioren usw. zuständig. Es kann daraus geschlossen werden, dassFrau A der Ansicht ist, Frauen seien implizit an ihrer eigenen „Diskriminierung“ oder„Beschränkung“ schuld, auch wenn sie dies nicht explizit in diesem Sinne äußert.90


Für Frau A sind geschlechtsspezifische Strukturen von Organisationen, unabhängigdavon, ob es sich um nationale oder europäische Organisation handelt, offensichtlichweder wichtig noch für die alltägliche Arbeit entscheidend.Frauen im intenationalen KontextSymbole – WerteAus dem Interview wird deutlich, dass für Frau A Werte nicht feminin oder maskulinsind, sondern von den jeweiligen Personen abhängen. Über maskuline und feminineWerte sagt sie: „I have seen both, it depends of the person: I have seen extremely competitive types ofwomen, and the opposite for men. It depends totally of the person.“Dies entspricht den Ergebnissen der Analyse Hofste<strong>des</strong>, der bemerkt, dass maskulineund feminine Werte in skandinavischen Ländern zwischen Frauen und Männern ehergemischt sind. 3 Frau A lehnt auch die Annahme von Maccoby und Acker ab, der zuFolge in der Organisation, in der sie arbeitet, ein maskulines Modell dominiert. Sie hatauch nicht das Gefühl, dass sie sich irgendwie „anpassen“ muss. Jedoch nennt sie alswichtigsten Wert in der Politik das Vertrauen. Vertrauen, als Wert, der gute Arbeitsverhältnissemit anderen impliziert, kann ohne Zweifel als „femininer“ Wert betrachtetwerden. Außerdem denkt sie, dass Politik erfordert, dass man frei ist, was für eineFrau mit einer Familie kaum möglich sei. Diese zwei Bemerkungen verdeutlichen,dass Frau A die politische Organisation dennoch als ein männerdominiertes Arbeitsmodellbetrachtet, wenn auch unbewusst, und dass sie trotzdem erkennt, dass es fürmanche Frauen besonders schwierig sein kann, sich an die Werte der Organisationanzupassen.3Hofstede (1997) nennt vorallem Schweden undFinnland. Aber dieBemerkungen von Frau Alassen vermuten, dassDänemark sich diesenLändern sehr annähert.InteraktionenAuch in diesem Bereich bleibt Frau A nuanciert. Sie hat zum Beispiel immer lieber mitMännern gearbeitet und Ihr Mann scheint keine Schwierigkeiten zu haben, mit Frauenzu arbeiten. Sie ist sich trotzdem bewusst, dass viele Männer lieber mit anderen Männernarbeiten. Sie ist mit Ackers Verständnis der Rolle der Sexualität in Arbeitsbeziehungeneinverstanden, jedoch nicht in Bezug auf jüngere Generationen. Starke nationale oderkulturelle Unterschiede erkennt sie im Bereich der Interaktion mit ihren KollegInnennicht.Verständnis der Organisation /„Rollenspiele“Frau A betont, dass Frauen auf keinen Fall ihre „weiblichen Eigenschaften“ unterstreichensollten, denn sonst werden sie abqualifiziert und „verlieren“: „I think when womenstress social qualifications and all that, they loose“. Sie denkt, dass das aktuelle männerdominierteModell diese Eigenschaften oder Fähigkeiten ablehnt und widerspricht damit ihrerfrüheren Behauptung, dass ein maskulines Arbeitsmodell nicht existiere. Offensichtlichgibt es dieses Modell nun doch, denn die Frauen müssen sich ihrer Meinung nachbemühen, sich daran anzupassen („die Kommunikationsmittel der Männer benutzen“).Im Interview mit Frau A war besonders interessant zu bemerken, wie die geschlechtsspezifischenStrukturen von Organisation und Gesellschaft – selbst in einem„modernen“ Land wie Dänemark – immer noch prägend sind, auch wenn man sienicht sofort erkennt. Diese Beobachtung scheint die Annahme Ackers zu stärken, derzu Folge die maskuline Struktur einer Organisation oft mit einer geschlechtsneutralenStruktur verwechselt wird.4.2 Frau B, SpanienFrau B ist eine Abgeordnete <strong>des</strong> Europäischen Parlaments und gehört der sozialistischenPartei Europas an. Sie ist ebenfalls Mitglied <strong>des</strong> Frauenausschusses im Europäi-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200591


Sonstige Berichte/ Beiträgeschen Parlament. In Spanien ist sie in der spanischen sozialistischen Partei engagiertund hat in Nichtregierungsorganisationen gearbeitet. Sie ist 38 Jahre alt und hat zweiKinderDas Interview mit Frau B unterscheidet sich grundlegend von dem Interview mitFrau A. Frau B scheint in hohem Masse von einer geschlechtsspezifischen Struktur derOrganisation und der Gesellschaft auszugehen. Sie spricht spontan von einer „maskulinenWelt“ der Politik und von einer maskulinen „Arbeitskultur“.4„Es sind Sektoren, wo vieleFrauen arbeiten, aber miteiner offensichtlichenSchwierigkeit für Frauen,Zugang zu Führungspositionenzu haben.“StrukturenIm Interview mit Frau B wird deutlich, dass die Arbeitssegregation gegenüber Frauenin Spanien immer noch sehr ausgeprägt ist. Die drei von ihr genannten Beispiele (Bildung,Journalismus und öffentliche Verwaltung) umfassen verschiedene Arbeitssektorenund zeigen, dass diese Segregation sehr verbreitet ist: „Ce sont <strong>des</strong> secteurs fortement féminisés,mais avec une difficulté évidente d’accès pour les femmes aux postes de décision.“ 4 Auch persönlichgibt sie an, dass sie diese Segregation und verschiedene Hindernisse für ihre Karriereerlebt hat. Ihre Annahme, dass es auf der europäischen Ebene einfacher für Frauensei, da „die Rechte schon da sind“, nähert sich unserer früheren Vermutung an, dassinternationale Organisationen als relativ moderne Organisationen weniger Merkmaleder traditionellen (nationalen) geschlechtsspezifischen Organisationen tragen. Es ist, alsgebe es in internationalen Organisationen wie dem europäischen Parlament eine minimaleGarantie im Bereich der Arbeitsbedingungen der Frauen, die höher ist als innationalen Organisationen.Die Segmentierung ist laut Frau B auch in politischen Organisationen sehr ausgeprägt.Frauen seien immer noch für bestimmte Bereiche zuständig, zu diesen zählenvor allem die so genannten „sozialen“ Bereiche. Interessant ist auch ihre Bemerkung,dass diese Segmentierung zu mehr Segregation führt, indem Frauen aus den wichtigstenBereichen (in denen zentrale Entscheidungen getroffen werden) ausgeschlossenwerden. Es sei wie ein Teufelkreis, was die Verbesserung der Situation schwierig macht.Symbole – WerteDie zwei wichtigsten Werte, die Frau B für die Politik benennt (Wettbewerb undZielerreichung), sind laut der Theorie von Acker und <strong>des</strong> Modells von Hofstede typischmaskuline Werte. Frau B unterstreicht auch, dass das Arbeitsmodell in Spaniensehr männerdominiert sei, und sie legt Wert auf die Feststellung, dass Frauen manchmalwegen ihrer Familie auf eine Betätigung in der Politik verzichten müssen.Frau B erwähnt mit der Zeitorganisation ein wesentliches Problem der Organisationen.Dieses Argument findet man in den theoretischen Analysen, wie etwa der Theorievon Acker, über geschlechtsspezifischen Organisationen kaum. Es ist aber ein sehrinteressanter Punkt, der im Fall von Frau B ihren eigenen Erfahrungen in der Politikentspricht. Die zeitliche Organisation von Männern und Frauen ist sehr unterschiedlich,besonders wenn Frauen sich um die Familie kümmern sollen. Aus Gründen einerbesseren Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie sei die Teilzeitarbeit unter Frauenso verbreitet. Frau B unterstreicht jedoch, dass die Arbeit in einer politischen Organisationeine Vollzeitbeschäftigung sei und die Zeitplanung absolut nicht an die Bedürfnisseder Frauen angepasst ist.Das Beispiel der neuen spanischen Regierung ist hier typisch. Männer und Frauenhaben gegensätzliche Familiensituationen, wobei Frauen entweder ledig oder geschiedensind und Männer meistens eine Familie haben. Dies stellt eine andere Form derDiskriminierung dar, in der Frauen sich zwischen Familie und Arbeit entscheiden müssen,während Männer bei<strong>des</strong> gleichzeitig haben können. Auf der europäischen Ebenescheint die Situation für Frau B viel besser zu sein. Die Arbeit endet zu einer Uhrzeit,92


Frauen im intenationalen Kontextdie ihr erlaubt, sich ihrer Familie zu widmen.Interessant ist auch ihre Bemerkung, dass der Wettbewerb nur als maskulin betrachtetwird, weil die Basis dieses Wettbewerbs in einer Ungleichheit besteht: Wie schon gesagtund erklärt, verfügen Frauen nicht über die gleichen (Zeit-)Ressourcen wie Männer,weswegen es für sie schwieriger ist, an diesem Wettbewerb überhaupt teilzunehmenoder gar zu gewinnen. „En ce moment, on dit, en Espagne, c’est une compétitivité pas loyale. […]Parce que si finalement moi, à 19h, il faut que je parte pour m’occuper <strong>des</strong> enfants, et que c’est à 19hqu’on va prendre <strong>des</strong> décisions importantes, en dehors de l’espace formel […] donc c’est ça qu’il fautchanger.“ 5InteraktionenFrau B hat in ihrer bisherigen politischen Tätigkeit häufig sexistische Bemerkungenseitens ihrer männlichen Kollegen erlebt. Ihre Erfahrungen stimmen mit Arbeiten andererAutorinnen überein (vgl. z.B. Müller 1993), z.B. wenn sie behauptet, dass sie oft zuerstals Frau betrachtet und analysiert und erst danach ernst genommen wird: „Les hommesvoient toujours les femmes d’abord comme <strong>des</strong> femmes. Ça n’a pas changé dans ma carrière.“ 6Auch die Rolle der Sexualität in Interaktionen unterstreicht Frau B aufgrund eigenerErfahrungen und Beobachtungen. Ihrer Ansicht nach wird eine schöne Frau, für dieMänner eine sexuelle Anziehung empfinden, im Allgemeinen bessere Beziehungen zudiesen Männern haben als eine Frau, die sie körperlich nicht interessant finden. Diesersexuelle Aspekt in den Beziehungen macht es nahezu unmöglich, Freundschaften mitMännern zu entwickeln.Die Tatsache, dass sie die Situation auf der europäischen Ebene viel einfacher findet,liegt weniger an der geringeren Wirkung von Stereotypen bzw. an der geringernAusbreitung geschlechtsspezifischer Aspekte im Arbeitsverhältnis, sondern an derOberflächlichkeit der Beziehungen in europäischen Organisationen. Im Allgemeinenarbeiten die Mitglieder <strong>des</strong> Parlaments nicht lange bzw. nicht regelmäßig zusammen:Geschlechtsspezifische Zuschreibungen oder Interaktionsmuster werden somit wenigerbedeutend. Frau B unterstreicht insgesamt, dass es einfacher ist, mit KollegInnenzusammen zu arbeiten, die ihre Kultur teilen. Es kann daraus geschlossen werden, dassauch wenn die südeuropäische Kultur noch viele geschlechtsspezifische Stereotypen insich trägt, die Zusammenarbeit besser funktioniert, wenn die Ansichten oder Annahmendiesbezüglich geteilt werden.5„Es handelt sich hier umeinen unfairen Wettbewerb.Weil ich um 19 Uhr dieArbeit verlassen muss ummich um die Kinder zukümmern und um 19 Uhrwerden die wichtigenEntscheidungen getroffen,nicht in den formellen[Zeit]grenzen [...]. Dasmuss man ändern.“6„Männer betrachtenFrauen immer zuerst alsFrauen. In meiner Karriereist es immer so gewesen.“Verständnis der Organisation/„Rollenspiele“Frau B findet es sehr wichtig, dass man sich selbst nicht in dem Bemühen um Anpassungan die Organisation verliert. Besonders Frauen haben es in diesem Fall schwer,doch idealerweise sollten Männer und Frauen gegenseitig voneinander lernen. Diesmacht die Organisation interessant, so Frau B.4.3 Frau C, Belgien (Flandern)Frau C (61) ist eine Abgeordnete <strong>des</strong> Europäischen Parlaments. Sie gehört zu derkonservativen Partei Europas namens PPE. Sie ist schon immer sehr aktiv in dernationalen Politik gewesen und hat keine Kinder.Frau C findet die Situation auf der europäischen Ebene im Allgemeinen viel besser alsauf der nationalen Ebene, auch wenn sie auch hier noch einige Diskriminierungenwahrnimmt. Obwohl sie zu derselben Ländergruppe wie Frau B gehört, sind ihreAntworten sehr unterschiedlich.StrukturenFrau C ist sich der diskriminierenden Strukturen der Organisationen sehr bewusst, be-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200593


Sonstige Berichte/ Beiträgesonders was die Arbeitssegregation angeht. Wie Frau B nennt sie als bedeutsamstesBeispiel den öffentlichen Dienst, wo das Phänomen <strong>des</strong> „Glass Ceiling“ sehr prägnantist. In Belgien ist es ebenso wie in Spanien für Frauen sehr schwierig, Zugang zuFührungspositionen zu bekommen. Frau C betont jedoch auch, dass ihrer Ansichtnach Frauen für ihre Diskriminierung selbst verantwortlich seien. Als Beispiel nennt siedie „Wahl“ vieler Frauen, in Teilzeit zu arbeiten. Sie scheint nicht zu bedenken, dassFrauen oft quasi gezwungen sind, diese Arbeitsform zu wählen, um Erwerbsarbeitund Familie vereinbaren zu können.Interessant ist, dass Frau C hervorhebt, dass die relative Verbesserung der Situationfür Frauen in der Politik von außen in Form der Quotenregelung gekommen ist, diesie in Belgien durchgesetzt hat. Dies lässt vermuten, dass geschlechtsspezifische Strukturensehr fest verankert sind und nur Gesetze diese Diskriminierungen vermindernkönnen. Dies hat aber auch den Vorteil, dass viele Frauen jetzt eine solche Karriere fürmöglich halten; sie haben dabei mehr Selbstvertrauen.Was die Segmentierung angeht, ist Frau C hingegen viel nuancierter. Sie lehnt dieTheorie von Acker ab, dass Frauen aus bestimmten Bereichen ausgeschlossen sind.Männer und Frauen seien jetzt in allen Bereichen der Politik gleichermaßen vertreten.7„Wettbewerb ist mit derPolitik verbunden. Und erist nicht nur in derpolitischen Welt, er istüberall. Es ist eine Sache,die in der Arbeitsweltverankert ist.“Symbole – WerteDie Behauptung, dass Werte zwischen maskulinen und femininen Werten unterschiedenwerden können, lehnt Frau C grundsätzlich ab. Politische Organisationen entsprechenfür sie auch keinem maskulinen Arbeitsmodell. Das Zeitproblem, das von FrauB erwähnt wurde, findet sie normal. Solche Zwänge sind notwendige Arbeitsbedingungenin der Politik, so dass sie es nicht als maskulin definieren würde. Auch Wertewie Zielerreichung und Wettbewerb seien nicht maskulin, sondern seien unvermeidbar,wenn man in der Politik eine gute Arbeit leisten wolle: „La compétitivité, c’est lié aumonde politique. Et ce n’est pas seulement dans le monde politique, c’est un peu partout. C’est une chosequi anime le monde du travail.“ 7Darüber hinaus ist Frau C der Meinung, dass es in der Verantwortung der Frauenliegt, sich an diese Werte anzupassen, auch wenn es für sie schwieriger sein kann undnicht etwa umgekehrt, dass die Strukturen an die Bedürfnisse der Frauen angepasstwerden sollten.InteraktionenFrau C denkt sehr positiv über die Entwicklungen der Interaktionen zwischen Frauenund Männern am Arbeitsplatz. Es gibt für sie ein wachsen<strong>des</strong> Verständnis zwischenden Geschlechtern; sie haben gemeinsame Gesprächsthemen und teilen dieselben Sorgen.Dies lässt vermuten, dass sie Freundschaften zwischen Frauen und Männern möglichund problemlos findet. Sie betont aber ein anderes und interessantes Problem,was internationale Organisationen angeht: Internationale Organisationen zwingen ihreArbeitnehmer oft, weit von ihrer Familie weg zu sein. Es entsteht ein gewisses „Freiheitsgefühl“,Affären zu haben, besonders bei Männern (sagt Frau C). Die Sexualität scheintalso eine wichtigere Rolle zu spielen als in nationalen Organisationen, wo die Mitarbeiterihren familiären Verpflichtungen räumlich näher sind.Verständnis der Organisation/„Rollenspiele“Frau C sieht absolut nicht das Bedürfnis von Frauen, ihre femininen Eigenschaften zuunterstreichen. Sie lehnt damit die Theorie von Acker ab, dass Frauen ihre Weiblichkeitbetonen müssen, um die Unterschiede zu Männern klar zu machen. Ihrer Meinungnach sollen alle, die in der Politik arbeiten, sich – unabhängig von ihrem Geschlecht –anpassen.94


4.4 Frau D, Belgien (Wallonien)Frau D (49) ist eine europäische Abgeordnete der sozialistischen Partei Europas (SPE).Sie hat Anglistik und Germanistik studiert und begann ihre Karriere als Lehrerin. Danachwar sie unter anderem für Ausbildungsprogramme für Erwachsene zuständig. Sie istWitwe und hat einen 18-jährigen Sohn.Wie Frau B ist sich Frau D der geschlechtsspezifischen Merkmale der Organisationensehr bewusst, sei es von nationalen oder internationalen Organisationen. Jedochunterstreicht sie sehr oft, dass sie die Situation auf der europäischen Ebene viel einfacherfindet als auf der belgischen Ebene. Selektionsprozesse werden viel stärker kontrolliertund die Europäische Union legt viel Wert auf Qualifikationen und Expertise, wasdie Diskriminierung nach Geschlecht stark vermindere. Außerdem ist das Konzept<strong>des</strong> „Gender Mainstreaming“ sehr stark in den Strukturen der europäischen Organisationenverankert, <strong>des</strong>halb gebe es einen sicheren Rahmen für Frauenrechte am Arbeitsplatz.Frauen im intenationalen KontextStrukturenInteressant am Interview mit Frau D ist ihre eigene Erfahrung als Lehrerin für Erwachsene:sie hat während ihrer Tätigkeit viele Verhaltensweisen bemerkt, die den geschlechtsspezifischenStrukturen in Organisationen entsprechen. Das größte Problem für Frauenist ihrer Meinung nach die Unmöglichkeit der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit.Die Situation sei für Alleinerziehende noch schwieriger, da sie eine bezahlteArbeit besonders benötigen. Die einzige Lösung für viele dieser Mütter sei die Teilzeitarbeit;sie würden oft gezwungen, eine solche Arbeitsform zu wählen. Frau D betontden Mangel an Bemühungen von Seiten der Institutionen der Europäischen Union,die Situation der Frauen zu verbessern.Interessant ist auch ihre Bemerkung, dass Frauen, auch in Führungspositionen, wenigerVerantwortungen haben (oder bekommen), als Männer. Möglicherweise bestehenselbst in den Organisationen, die Frauen den Zugang zu hohen Positionen scheinbar„erlauben“ und damit den berühmten „Glass Ceiling“ durchbrechen, immer nochverdeckte Formen von Diskriminierung.Frau D hat in ihrem Leben mehrmals Prozesse geschlechtsspezifischer Segmentierungerlebt: in nationalen Organisationen (Gewerkschaften) und im europäischen Parlament(Industrieausschuss). Wie Frau B, und im Gegensatz zu Frau C und Frau A, ist sieder Meinung, dass Frauen immer noch von wichtigen politischen Bereichen wie Wirtschaftund Recht ausgeschlossen werden: „Tout ce qui tourne autour <strong>des</strong> matières économiques,<strong>des</strong> matières commerciales de haut niveau, tout ce qui est le juridique, l’économique et le monétaire, enfintoutes ces choses qui ont l’air très sérieuses et qui ne peuvent pas être confiées, bien entendu, à <strong>des</strong>femmes.“ 8 Für sie ist die Unterrepräsentanz von Frauen in diesen zentralen politischenBereichen nicht etwa aus einem mangelnden Interesse der Frauen heraus zu erklären,sondern beruhe vielmehr auf der Dominanz der Männer und deren Abneigung, diesewichtigen Bereiche Frauen zu überlassen.Symbole – WerteUnter den Werten, die Frau D für Belgien nennt, sind drei in Hofste<strong>des</strong> Modell alsfeminin gekennzeichnet: Solidarität, Austausch und Arbeitssicherheit. Wichtig ist zubemerken, dass Frau D die erste Befragte ist, die überhaupt feminine Werte nennt.Andere Werte, die sie nennt, werden als maskulin klassifiziert: die Zielorientierung,aber auch die Art der Entscheidungsfindung (kurzfristig und stark auf sofortige Effekteorientiert). Dies lässt schließen, dass das Organisationsmodell in Belgien eher gemischtist, was der Annahme von Hofstede entsprechen würde. Jedoch betont Frau D diestarken maskulinen Aspekte <strong>des</strong> Wertesystems in Belgien. Bemerkenswerterweise ist8„Alles, was mit Wirtschaft,Gesetzgebung,Finanzen und Währungenverbunden ist, eigentlich allediese Angelegenheiten, diesehr ernst scheinen und mitdenen Frauen „natürlich“nicht beauftragt werden.“<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200595


Sonstige Berichte/ Beiträgedie Darstellung der Situation, was die späten Sitzungen und die „inoffiziellen“ Treffenunter Männern betrifft, vergleichbar mit der Beschreibung von Frau B. Auch in Belgiengibt es eine geschlechtsspezifische zeitliche Organisation der Arbeit, die für Frauenund besonders Mütter sehr diskriminierend sein kann.Auf der europäischen Ebene kommt ein anderer Faktor ins Spiel und zwar dieerzwungene räumliche Flexibilität in der Arbeit, was die Möglichkeit eines stabilenFamilienlebens erschwert. Frau D würde dies aber nicht als typisch männlich bezeichnen,sondern eher als typisch für internationale Organisationen.9„So ist es, sobald manbeginnt, starke Positionenzu haben, hat man immerdas Gefühl, dass einsexistischer Witz auftauchenwird, um einem zuschaden.“InteraktionenSexistische Bemerkungen und Witze sind im Umfeld von Frau D ziemlich verbreitet.Interessant ist, dass diese Bemerkungen meistens auftauchen, wenn ein Konflikt oderein Missverständnis mit einem männlichen Kollegen entsteht. Frauen werden also eherals gleichwertige Kolleginnen betrachtet, solange sie mit ihren männlichen Kollegeneinverstanden sind und diese unterstützen. Sie werden aber auf ihr Geschlecht reduziert,wenn sie ihre eigene Meinungen und Ideen entwickeln: „Voilà, systématiquement,quand on commence à avoir <strong>des</strong> positions fortes, on a toujours le sentiment qu’il y a une blague sexistequi circule, pour nous miner.“ 9Sexualität und „Verführung“ ist zwar prägend für Arbeitsbeziehungen in Belgien,jedoch nicht „zum Schaden“ der Frauen. Hier nähert sich Frau D der Meinung vonFrau B, wonach Frauen dies auch für ihre eigenen Interessen nutzen können. DieTatsache, dass Frau D lieber mit Frauen arbeitet, erklärt sie nicht durch die Neigung,mit Menschen gleichen Geschlechts zu arbeiten; Frau D sieht starke Unterschiede zwischenmaskulinen und femininen Arbeitsmethoden: Frauen arbeiten stärker zusammen,während Männer viel individualistischer sind. Dies erinnert an die Klassifikationvon Hofstede zwischen maskulinen Werten (Werte, die sich am Individuum orientieren)und femininen Werten (Werte, die eher soziale Aspekte der Arbeit beinhalten).In internationalen Organisationen wie dem europäische Parlament ist es für Frau Dwie für Frau B einfacher, mit KollegInnen aus ihrer eigenen Kultur bzw. aus ähnlichenKulturen (für sie Frankreich und die südeuropäischen Länder – Frau D ist marokkanischerHerkunft) zu arbeiten. Dies zeigt, dass ein gemeinsamer kultureller Hintergrund,wie soziale Gewohnheiten oder Sprache, die Zusammenarbeit erleichtern, auch wennin multikultureller Zusammenarbeit geschlechtsspezifische Diskriminierung eher reduziertwerden kann.Verständnis der Organisation/„Rollenspiele“Auch von Frau D wird das Bedürfnis der Frauen, ihre femininen Eigenschaften zubetonen, nicht wahrgenommen. Dieser Aspekt der geschlechtsspezifischen Diskriminierungscheint wenig Relevanz in politischen Organisationen zu haben. Ein Beweis fürFrau D sind Frauen, die sich genauso wie Männer verhalten und trotzdem Erfolghaben. Hier sind aber sowohl die Werte als auch das Benehmen und das Aussehengemeint, so dass die Frage nicht klar beantwortet wurde.4.5 Frau E, ÖsterreichFrau E (57) ist seit 1999 eine Abgeordnete der Europäischen Sozialistischen Partei.Früher hat sie in der tierärztlichen Praxis ihres Mannes gearbeitet, aber auch in verschiedenenSportvereinen. Sie war bereits auf nationaler Ebene in politischen Ämtern tätigals Bürgermeisterin und als Ministerin. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.StrukturenFrau E steht den geschlechtsspezifischen Strukturen auf dem Arbeitsmarkt in Öster-96


eich sehr kritisch gegenüber und hebt hervor, dass diese Strukturen Frauen diskriminieren.Sie bedauert aber auch einen Mangel an richtiger Organisation bzw. an Netzwerkenvon Frauen, um sich gegenseitig zu helfen. Schuldig sind daher nicht nur die starrenStrukturen, sondern auch die Frauen selbst, die zu individualistisch seien.Interessant ist Frau E´s persönliche Erfahrung. Als sie noch keine Karriere plante,kannte sie das Problem der Segregation bzw. Diskriminierung kaum. Erst als sie angefangenhatte, in der Regierung zu arbeiten, spürte sie die „Feindseligkeit“ der Männer.Viele der Befragten haben betont, dass die Hindernisse umso größer werden, je höherdie Position ist. Dies beschreibt die typische Situation <strong>des</strong> „Glass Ceiling“, der Frauenden Zugang zu Führungspositionen erschwert. Für Frau E ist diese Situation auch imEuropäischen Parlament zu finden; sie behauptet sogar, dass es nicht viele Unterschiedezur nationalen Ebene gebe.Frau E ist die einzige Befragte, die sofort bestätigt, dass sie den Stereotyp „Frauensollten nicht an der Politik teilnehmen“ gehört und erlebt hat: „[...] das ist so, dass wennman viel unterwegs ist, in Veranstaltungen oder so, das passiert mir oft, dass man fragt: „Wie machenSie das, dass Sie soviel unterwegs sind, was sagt Ihr armer Mann dazu?“ das ist einfach ein Stereotyp.“Auch wenn ihre Antworten das Gegenteil aussagten, haben die anderen Befragtenimmer dieses Stereotyp als veraltet oder falsch betrachtet.Wie Frau D und Frau B denkt sie, dass die typischen Männerbereiche Wirtschaftund Finanzen seien, während Frauen für soziale Bereiche wie Frauenpolitik oder Kinderpolitikzuständig sind. Diese Rollenverteilung ist für Frau E die Widerspiegelung derGesellschaft. Hier entspricht ihre Bemerkung der These von Acker, dass die geschlechtsspezifischenOrganisationen immer Produkte geschlechtsspezifischen gesellschaftlicherUmstände sind.Symbole – WerteFrau E erkennt an, dass das Arbeitsmodell in ihrem Land maskulin ist. Sie selbst willsich auf keinen Fall an diese maskulinen Werte anpassen und bedauert, dass mancheFrauen dies tun. Dennoch kann sie nachvollziehen, dass die Anpassung an maskulineWerte immer noch für manche Frauen als der „richtige“ und „einzigste“ Weg betrachtetwird, um Karriere zu machen.InteraktionenFrau E äußert sich klar gegen typische Frauen-/Männerinteraktionen und argumentiert,dass Frauen nicht anders betrachtet werden sollten, nur weil sie Frauen sind. FürFrau E ist es außerdem wichtig, dass Frauen sich bemühen, nicht ihre femininen Eigenschaftenin ihrer Beziehungen mit männlichen Kollegen zu unterstreichen, sondern siemüssten eher als „Kumpel“ erscheinen. Für sie ist Sexualität sehr präsent in den Arbeitsbeziehungen,sollte aber vermieden werden, um gute Arbeitsbeziehungen entwickelnzu können: „Man ist Kollege, Kollegin, wenn zwei Geschlechter zusammenkommen, wo immer, esgibt Spannungen, aber ich glaube, dass es muss eine klare Linie sein, dass man den Beruf und dasPrivate trennt, sonst ist man schon sehr geschwächt.“Verständnis der Organisation/„Rollenspiele“Ihrer Meinung nach ist die totale Anpassung der Frauen an die Organisation ein Fehler,im Gegenteil: Frauen sollen nicht ihre eigene Identität dabei verlieren. Frau E argumentiert,dass die politischen Organisationen in ihrem Land nicht schlimmer oderschlechter für Frauen seien als das Europäische Parlament. Anders als Frau B oderFrau D scheint sie das europäische Parlament keineswegs als „gleichberechtigter“ zubetrachten.Frauen im intenationalen Kontext<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200597


Sonstige Berichte/ Beiträge5. Vergleichender Rückblick auf die InterviewsIn den Interviews wurden sehr unterschiedliche Frauen interviewt, die sich trotz allemin einigen Punkten sehr ähneln. Im Folgenden sollen einige so genannte „Störfaktoren“in den Interviews identifiziert werden, um durch sie Ähnlichkeiten und Unterschiedein den Erfahrungen, Einstellungen und Bewertungen der Frauen zu erklären.AlterEs gibt zahlreiche Ähnlichkeiten in den Einstellungen von Frau A (64) und Frau C(61), vor allem hinsichtlich geschlechtsspezifischer Strukturen und Werte. Beide scheinennicht sehr davon überzeugt, dass diese Strukturen Frauen diskriminieren. Diesegilt besonders für die geschlechtsspezifische Segmentierung. Es gibt auch viele Ähnlichkeitenin ihren Antworten über die Werte (was als „maskuline“ Werte betrachtet wurde,haben sie als „politische“ Werte definiert) und die Interaktion mit männlichenKollegen. Die drei anderen Befragten gehören der nächsten Generation an (zwischen38 und 57 Jahre alt). Es kann vermutet werden, dass die größeren Erfahrungen vonFrau A und Frau C und die Tatsache, dass beide am Ende ihrer Karriere sind, einenEinfluss auf ihre Einstellungen haben. Es kann z.B. sein, dass sie die jetzigen aktuellenDiskriminierungen gegenüber Frauen als geringer erachten, wenn sie an Diskriminierungenzurückdenken, die sie früher selbst erlebt haben. Möglicherweise nehmen sie denKampf für mehr Geschlechtergleichheit nicht mehr so „persönlich“, da sie am EndeIhrer persönlichen Laufbahn angelangt sind.Interessant ist sicherlich, dass die zwei jüngeren Abgeordneten (Frau B und Frau D)die Wichtigkeit dieses Kampfes am meisten unterstreichen. Diese Frauen sind in derMitte ihrer Karriere und sind sich <strong>des</strong>wegen sehr bewusst, unter welchen Diskriminierungensie leiden.FamilienstandFrau C ist die einzige Befragte, die die Schwierigkeiten, Familie und Arbeit zu vereinbaren,nicht betont hat. Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass nur Frau C kinderlos ist,während die vier anderen Befragten Kinder haben. Die Erfahrung, Kinder und Arbeitvereinbaren zu müssen, hat Frau C also nicht persönlich erlebt, was ihr mangeln<strong>des</strong>Bewusstsein darüber erklären könnte. Die Wahrnehmung der Diskriminierung istalso auch sehr von persönlichen Erfahrungen abhängig. Dies gilt auch für die Bemerkungenvon Frau B und Frau D über die Zeitorganisation in der Organisation.Politische ZugehörigkeitDie Befragten gehören verschiedenen politischen Parteien an. Die eigene politische„Herkunft“ kann durchaus einen Einfluss auf die jeweiligen Sichtweisen und Antwortenhaben, da die verschiedenen Parteien auch unterschiedliche Werte und Ideale vertreten.Im Allgemeinen orientieren sich linksorientierte Parteien eher an Werten wie Solidarität,Austausch und Zusammenarbeit. Konservative oder liberale Parteien setzendemgegenüber verstärkt auf Werte wie Individualismus und Wettbewerb. Hier kanneine Verbindung zwischen maskulinen und liberalen Werten einerseits und femininenund linksorientierten Werten andererseits gezogen werden. Die sozialistischen Abgeordneten(Frau B, Frau D und Frau E) sind die drei, die am meisten feminine Wertebevorzugt und betont haben: Sie kritisierten auch am deutlichsten maskuline Werte.Hingegen haben Frau C (konservativ) und Frau A (liberal) darauf bestanden, dass diemaskulinen Werte in der Natur der Politik verankert seien und dass sie dem zu Folgeeinfach akzeptiert werden müssten. Sie scheinen viel „lockerer“ der Ansicht gegenüberzu stehen, dass es sich in den politischen Organisationen um ein maskulines Arbeitsmodellhandelt.98


Diese Störungsfaktoren zeigen, dass die verschiedenen Einstellungen bezüglich dergeschlechtsspezifischen Merkmale von Organisationen unter den Befragten nicht nurmit ihrer Nationalität erklärt werden können. Viele andere Faktoren erweisen sich hierals relevant, besonders die persönlichen Erfahrungen jeder Befragten.Relevanz <strong>des</strong> Faktors NationalitätEs wurde angenommen, dass die Nationalität der Mitglieder von internationalen Organisationeneinen Einfluss auf ihre Einstellungen bezüglich der geschlechtsspezifischenStrukturen und Arbeitsbeziehungen in der Organisation hat oder zumin<strong>des</strong>t habenkann. In den Interviews wurde tatsächlich deutlich, dass Befragte verschiedener Nationalitätenunterschiedlich denken.Die dänische Abgeordnete unterscheidet sich in ihren Einstellungen sehr von anderenBefragten. Dies entspricht unserer Vermutung, dass die skandinavischen Ländereine sehr „weiche“ Form der geschlechtsspezifischen Organisationsstruktur aufweisenund dass Befragte aus diesen Ländern <strong>des</strong>wegen das Europäische Parlament (undvermutlich viele andere internationale Organisationen) als vergleichsweise stark geschlechtsspezifischstrukturiert wahrnehmen. Außerdem entspricht die Meinung vonFrau A, dass viele Einstellungen und Verhalten in diesem Bereich von den Persönlichkeitenabhängen und nicht notwendigerweise vom Geschlecht, der These von Hofstede,nach der die maskulinen und femininen Werte unter Frauen und Männern in skandinavischenLändern sehr gemischt sind.Unsere „mittlere“ Gruppe enthält die romanischen und südeuropäischen LänderBelgien und Spanien. Hier kann beobachtet werden, dass die Antworten von Frau Bund Frau D sehr ähnlich sind. Sie haben beide eine sehr klare Wahrnehmung dergeschlechtsspezifischen Struktur der Organisationen in ihren Ländern und sie findendie Situation auf der europäischen Ebene im Allgemeinen besser für Frauen. DieEinstellungen von Frau C (Flandern) sind hingegen viel nuancierter und ihre Meinungenliegen manchmal der von Frau A näher. Außer der Erklärung, die wir gerade mitder Hypothese <strong>des</strong> Generationseffektes und der politischen Zugehörigkeit gelieferthaben, kann auch vermutet werden, dass die Arbeitskultur in Flandern sich eher derniederländischen Arbeitskultur annähert, die als eher „feminin“ eingestuft wird.Unsere letzte Gruppe, nämlich die „maskuline“ (angelsächsische und mitteleuropäischeLänder), ist mit dem Interview von Frau E nicht sehr stark repräsentiert. Indiesem Fall können auch nicht besonders starke Unterschiede zum Beispiel mit Frau Bund Frau D identifiziert werden. Außerdem findet Frau E die Situation auf der europäischenEbene nicht bedeutend besser als in ihrem eigenen Land, was unserer Vermutungwiderspricht.Unsere Annahme, dass die Einstellungen gegenüber geschlechtsspezifischen Strukturenvon den Nationalitäten abhängen, wird dennoch mehrheitlich bestätigt.Ein Gesamtbild der internationalen Organisationen als geschlechtsspezifischeGebildeUnsere ursprüngliche These, dass internationale Organisationen als relativ moderneOrganisationen weniger geschlechtsspezifisch geprägt sind als nationale Organisationen,wird durch diese Untersuchung bestätigt. Im Allgemeinen finden die befragtenAbgeordneten die Situation entweder besser oder gleich auf der europäischen Ebene(mit der Ausnahme von Frau A). Besonders die Strukturen finden die Befragten wenigergeschlechtsspezifisch geprägt; Die Erklärung ist, dass Arbeitsrechte wie Gleichheitmit Männern usw. bereits auf der nationalen Ebene durchgesetzt wurden; Eine andereErklärung ist, dass das Europäische Parlament als relativ neue und zukunftsorientierteOrganisation, sich sehr auf die Expertise seiner MitarbeiterInnen stützt. Die Unter-Frauen im intenationalen Kontext<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/200599


Sonstige Berichte/ Beiträgescheidung zwischen Frauen und Männern und die üblichen Diskriminierungen gegenüberFrauen werden daher abgeschwächt.Dennoch ist noch immer ein gewisser „Glass Ceiling“-Effekt zu bemerken: Vieleder befragten Abgeordneten unterstreichen, dass Frauen in Führungspositionen (Ausschusspräsidentinnen,Parteienleader usw.) sehr selten sind.Der beherrschende Wert in internationalen Organisationen scheint die Flexibilität zusein. Die zahlreichen Reisen, die verschiedenen Sprachen und Kulturen, die Zeitorganisation(auch wenn dieser Punkt auf der europäischen Ebene weniger ausgeprägt ist)sind Arbeitsbedingungen, die Abgeordnete zwingen sehr flexibel zu sein. Für Frauenwird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit dem Anspruch der zeitlichen undräumlichen Flexibilität sehr problematisch; dieser Aspekt kann die geschlechtsspezifischeStruktur der Organisation auf eine andere Weise verstärken. Auch wenn sie einenrelativ leichten Zugang zu politischen Berufen haben, sind Frauen immer noch mehrheitlichfür die Kindererziehung zuständig, ein Problem das Männer nicht haben. Umdiese Schlussfolgerung zu relativieren kann aber argumentiert werden, dass die Arbeitsbedingungenauf der europäischen Ebene (besonders die Löhne, aber auch einige Vorteile,die Abgeordnete nutzen können, wie zum Beispiel Wohnungen für die ganze Familieneben dem Parlament) Möglichkeiten für Frauen bieten, die Vereinbarkeit von Familieund Beruf zu erleichtern.Was die Interaktion angeht, können mehrere Faktoren unterschieden werden. Erstenssind die Arbeitsbeziehungen mit männlichen Kollegen einfacher, da sie im Allgemeinenoberflächlicher sind. Jedoch spielt Sexualität offensichtlich auch auf der europäischenEbene eine gewisse Rolle. Als Grund wird genannt, dass Abgeordnete meistenssehr weit von ihrer Familie entfernt sind und sich <strong>des</strong>halb freier fühlen, mit der „Verführungam Arbeitsplatz“ zu spielen.Das besondere Element der internationalen Organisationen sind kulturelle Unterschiedezwischen den KollegInnen. Fünfzehn Nationalitäten waren im Parlament vertretenals diese Untersuchung durchgeführt wurde. Obwohl alle europäisch sind, haben dieseNationalitäten unterschiedliche Kulturen und daher auch unterschiedliche Einstellungengegenüber Frauen, ihrer Rolle in einer Organisation, aber auch gegenüber dengeschlechtsspezifischen Strukturen einer Organisation. Interessant ist in diesem Fallezu beobachten, dass Frauen es offensichtlich vorziehen, mit Männern der gleichenKultur zusammenzuarbeiten, auch wenn ihre eigene nationale Arbeitskultur Frauenstark diskriminiert (s. Frau B aus Spanien zum Beispiel). Eine mögliche Erklärungkönnte darin liegen, dass sie in ihrer nationalen Arbeitskultur gelernt haben, wie sie mitDiskriminierungen umgehen bzw. diese bekämpfen können. Sie sind <strong>des</strong>halb eherdarauf vorbereitet, mit Männern ihrer eigenen Kultur umzugehen. Dieses Momentwird zwar von Acker nicht behandelt, ist aber sehr spezifisch für eine internationaleOrganisation und zeigt, dass solche Organisationen auch noch andere Probleme fürdarin tätige Frauen darstellen können.Internationale Organisationen tragen also, wenn auch in geringerem Masse als aufder nationalen Ebene, die traditionellen geschlechtsspezifischen Merkmale, die vonAcker analysiert wurden, jedoch gibt es auch andere Aspekte z.B. in Symbolen undWerten oder den Arbeitsbeziehungen, die für Frauen problematisch sein können.6. FazitWir haben gesehen, dass auch internationale Organisationen keineswegs frei von Diskriminierungensind. Auch wenn die Politikerinnen, die interviewt wurden, genug Mut,Erfahrung und Bildung haben, um diese Diskriminierungen effektiv zu bekämpfen,stellen sie fest, dass es immer noch Unterschiede zwischen den Arbeitsbedingungender Frauen und denjenigen der Männer innerhalb der europäischen Organisationen100


gibt. Eine große Herausforderung für die europäischen Organisationen, was die geschlechtsspezifischeDiskriminierung betrifft, stellt die Osterweiterung dar. Denn inden zehn neuen osteuropäischen Mitgliedsländern ist die Situation von Frauen amArbeitsplatz im Hinblick auf Gleichstellung problematischer als in Westeuropa. „ImZusammenhang mit der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, und was Gewaltgegen Frauen angeht, gibt es viele Probleme, die gelöst werden müssen. Das größte Hindernis fürGleichberechtigung ist jedoch immer noch das geringe Bewusstsein gegenüber Gleichstellungsfragen undMenschenrechten von Frauen in der Gesellschaft“ sagt Karina Janova, lettisches Mitglied derEuropäischen Frauenlobby über die Situation der Frauen in ihrem Land (vgl. EuropäischeFrauenlobby 2003, S. 7).Was in diesem Zitat für die Gesellschaft behauptet wird gilt auch für Organisationen,wie mit der Theorie von Acker herausgestellt wurde. So kann vermutet werden,dass ein Hindernis für weibliche osteuropäische Abgeordnete darin liegen wird, dassOrganisationen als „geschlechtsneutral“ betrachtet werden und die geschlechtsspezifischenStrukturen nicht als solche erkannt werden.Zur Lösung dieses Problems wurde in der Europäischen Union das Prinzip <strong>des</strong>„Gender Mainstreaming“ eingesetzt. „Gender Mainstreaming“ bedeutet, dass der Anspruchauf gleiche Rechte für beide Geschlechter in allen politischen Bereichen undProgrammen auf allen Ebenen der Verwaltung durchgesetzt werden muss. Eine doppelteAnalyse aller Entscheidungen muss <strong>des</strong>wegen geführt werden, um sicherzustellen,dass Gleichheit zwischen Frauen und Männern gewahrt wird (vgl. Woodward2001). Dies erlaubt erstens die geschlechtsspezifischen Strukturen der europäischenOrganisationen wahrzunehmen, und zweitens Lösungen zu finden, um die Diskriminierungengegenüber Frauen zu bekämpfen. Die Strategie hat auch den Vorteil, die Mentalitätenzu verändern, damit Gleichheit zwischen Frauen und Männern ein alltäglichesThema wird (vgl. Blättel Mink 2003).Wenn diese Strategie erfolgreich umgesetzt wird, wird es in Zukunft vielleicht möglichwerden, in einer tatsächlich „geschlechtsneutralen“ Organisation zu arbeiten.LiteraturAaltio, Iiris/Mills, Albert J.: Organisational Culture and gendered identities in context, in: Aaltio,Iiris, Mills, Albert J. (Hgg.): Gender, Identity and the Culture of Organisations, London 2002,S. 3-18.Acker, Joan: Gendering Organisational Theory, in: Mills, Albert J./Tancred, Peta (Hgg.): GenderingOrganisational Analysis, London 1992, S. 248-260.Alvesson, Mats/Billing, Yvonne Due: Beyond Body-Counting, A discussion of the socialconstruction of gender at work, in: Aaltio, Iiris/Mills, Albert J.(Hgg.): Gender, Identity andthe Culture of Organisations, London: Routlege 2002, S. 72-91.Blättel-Mink, Birgit: Zwischen schöpferischer Zerstörung und organisationalem Lernen –Dienstleistungsorganisation und die Gleichheit der Geschlechter, in: Kuhlmann, Ellen/ Betzelt,Sigrid (Hgg.): Geschlechterverhältnisse im Dienstleistungssektor, Baden-Baden 2003, S. 203-216.Cyba, Eva: Geschlecht und soziale Ungleichheit. Konstellationen der Frauenbenachteiligung,Opladen 2000.Europäische Frauenlobby, Jahresbericht 2003.Hofstede, Geert: Lokales Denken, Globales Handeln, Interkulturelle Zusammenarbeit und globalesManagement, 2. durchgesehene Auflage, München 1997.Maccoby, Eleanor E.: The Two Sexes in the Workplace, in: Maccoby, Eleanor E.: The Two Sexes:Growing up Apart, Coming Together, Cambridge 1998, S. 227-254.Maier, Mark: On the Gendered Substructure of Organisation, in: Powell, Gary N.: Handbook ofGender and Work, Thousand Oaks, CA 1999, S. 69-93.Frauen im intenationalen Kontext<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005101


Sonstige Berichte/ BeiträgeMayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung, Eine Einleitung zu qualitativenDenken, 3. überarbeitete Auflage, Weinheim u.a. 1999.Milwid, Beth: Working With Men, Professional Women Talk About Power, Sexuality, and Ethics.Revised edition. Hillsboro, OR 1990.Müller, Ursula: Sexualität, Organisation und Kontrolle, in: Aulenbacher, Brigitte/Goldmann,Monika (Hgg.): Transformationen im Geschlechterverhältnis. Frankfurt am Main 1993, S. 97-115.Wilz, Sylvia Marlene: Organisation und Geschlecht, Strukturelle Bindungen und KontingenteKopplungen, Opladen 2002.Woodward, Alison E.: Gender Mainstreaming in European Policy: Innovation or Deception?,Berlin 2001.Emilie Danel36, rue Servan, 75011 Paris, FrankreichEmail: emiliedanel@web.de102


Chancengleichheit durch Mentoring?Carmen Leicht-ScholtenChancengleichheit durch Mentoring?Chancen und Grenzen von Mentoringprogrammen für Frauen inder Wissenschaft im disziplinären Vergleich„Erstens: die Frauen sind eindeutig in der Minorität. Zweitens aber: ihr ohnehin niedrigerProzentsatz nimmt rapide ab mit aufsteigender Hierarchie!“ Diese Aussage ausdem Jahre 1963 von Margarete von Brentano hat auch heute noch ihre Berechtigung.Zwar lässt sich die erste Feststellung in dieser Absolutheit heute so nicht mehr halten;der Frauenanteil ist in allen Studienfächern kontinuierlich gestiegen und beträgt teilweiseschon über 50%, doch was den zweiten Teil der These betrifft, so hat sich bis heutenichts Grundlegen<strong>des</strong> geändert. Denn trotz stetig steigender Studentinnenzahlen wirktsich dieser Anstieg auf die nachfolgenden Qualifikationsstufen im Wissenschaftsbetriebnur marginal aus. Die Zahl der Frauen nimmt immer noch mit steigender Qualifikationsstufeüberproportional ab. Die Frauen gehen in der „leaky pipeline“ verloren.Im Rahmen der Studie soll den Fragen nachgegangen werden, worin Chancen undGrenzen von Mentoringprogrammen für Frauen in der Wissenschaft vor dem Hintergrundunterschiedlicher Disziplinen liegen. Welche Faktoren und Bedingungen befördernin den verschiedenen Disziplinen die vertikale Ungleichheit der Geschlechter inder Wissenschaft und wo können und sollten Mentoringprogramme demzufolge ansetzen.Die Ausgangsthese ist, dass sich ausgehend von neuesten wissenschaftstheoretischenErkenntnissen zur Bedeutung von Wissenschaft als sozialem Feld – im Anschluss andie Theorie Bourdieus – in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen auchspezifische Bedingungen und Faktoren identifizieren lassen, die geschlechterdifferenteBedingungen und Verhaltensweisen erzeugen und damit die Geschlechtszugehörigkeitsozial relevant werden lassen. Wenn sich aber keine eindeutigen Muster von Geschlechtsunterschiedenüber die Disziplinen hinweg festmachen lassen (vgl. Heintz2004) und es vielmehr eine große Bandbreite von Zuschreibungen und Deutungsprozessengibt, dann ist anzunehmen, dass sich diese Heterogenität auch in der Umsetzungund Wirksamkeit von Mentoringprogrammen für Wissenschaftlerinnen widerspiegelt.Im Rahmen <strong>des</strong> Projektes werden zwei unterschiedliche Forschungsstränge derGeschlechterforschung thematisch zusammengeführt. Im Anschluss an organisationssoziologischeAnsätze, in denen vor allem außeruniversitäre Forschungsinstitute aufBarrieren für Wissenschaftlerinnen untersucht wurden (Allmendinger u.a. 2000,Matthies u.a. 2001, Wimbauer 1999), wird das Instrument <strong>des</strong> Mentoring vor demHintergrund neuester wissenschaftstheoretischer Erkenntnissen zur Bedeutung vonWissenschaft als sozialem Feld im Anschluss an die Theorie Bourdieus untersucht(vgl. z.B. Krais 2000, Zimmermann 2000, Beaufays 2003).Auf der Grundlage einer komparatistisch angelegten quantitativen Untersuchungvon drei Mentoringprogrammen für Nachwuchswissenschaftlerinnen in Natur- undIngenieurwissenschaften, den Geisteswissenschaften und Medizin/Life Science wirdder Frage nachgegangen, ob sich unterschiedliche geschlechterdifferente Bedingungenund Verhaltensweisen in den Disziplinen feststellen lassen und welche Erfordernissevon Seiten der beteiligten Wissenschaftlerinnen demzufolge an das Programm gestelltwerden. Die quantitativen Daten werden durch eine qualitative Studie ergänzt.So verspricht das Forschungsvorhaben neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnauch Aufschlüsse über die Bedeutung von Mentoring als gleichstellungspolitischemInstrument innerhalb der unterschiedlichen Disziplinen.Eine Projektvorstellung<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005103


Sonstige Berichte/ BeiträgeDie vergleichende Studie mit der Befragung der beteiligten Wissenschaftlerinnen zumMentoringprogramm liefert einerseits Erkenntnisse darüber, ob einzelne Elemente<strong>des</strong> Programms (Training, Networking, One-to-One Mentoring) in den jeweiligenDisziplinen als unterstützend und hilfreich erlebt werden. Anzunehmen ist, dass sichgeschlechtsspezifische Zuschreibungen auch auf die Anforderungen von Wissenschaftlerinnenan Mentoringprogramme niederschlagen. Damit bietet sie auch Erkenntnisseüber die Identifizierung von Faktoren, die in den einzelnen Disziplinen zueiner geschlechtsspezifischen Zuschreibung führen, und kann andererseits Aufschlüssedarüber geben, welche Mechanismen dann als ausschließende wirksam werden.Theoretische EinbettungDie Bedeutung von Mentoring und informellen Förderbeziehungen für eine Karrierein der Wissenschaft wird seit langem diskutiert (vgl. z.B. Höppel 2000, Page/Leemann2000) und in vielen Studien belegt. So kommen Schliesselberger/Strasser/Leemann/Heintzin ihrer 1998 durchgeführten Studie – auf der Grundlage von 30 qualitativenInterviews mit Professorinnen und Professoren – zu dem Schluss, dass erheblicheUnterschiede zwischen Männern und Frauen bezüglich <strong>des</strong> erfahrenen Mentoringsund der eigenen Förderpraxis bestehen. Während für den akademischen Aufstieg derProfessoren eine „die zentralen Karriereschritte begleitende, kontinuierliche Lehrer-Schüler Bindung“ konstatiert wurde, ließen sich bei den Professorinnen keine derartigenFörderstrukturen festmachen.Auch die Untersuchung von Allmendinger/Fuchs/von Stebut aus dem Jahre 2000beschreibt Mentoring als wesentlich für erfolgreiche berufliche Werdegänge. Danachberuhen wissenschaftliche Karrieren wesentlich auf informellen Strukturen, an derenBereitstellung und Vermittlung die „akademisch und wissenschaftlich Verantwortlichenals Mentoren und Mentorinnen wesentlich Anteil haben!“ (ebd., S. 37). Am Beispielder Max Planck Gesellschaft untersuchen die Forscherinnen, ob und wie dieDirektorinnen der Institute die Rolle als MentorInnen ausfüllen und wie sich eineVerankerung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft geschlechtspezifisch unterscheidet.Zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Laufbahn lassen sich für weibliche und männlicheNachwuchswissenschaftler sowohl in der internen als auch der externen Verankerungsowie in der Bewertung der Mentorenrolle durch die NachwuchswissenschaftlerInnennur kleine Unterschiede feststellen. Frauen akkumulieren jedoch Nachteile imLaufe ihrer Karriere. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, „dass sie im direktenVergleich zu Männern an karriererelevanten Punkten weniger Unterstützung undBetreuung erfahren, weniger Zugänge zu professionellen Netzwerken bekommen undkaum weibliche Rollenvorbilder in der Wissenschaft finden“ (ebd., S. 45).Zimmer (2003) stellt in ihrer quantitativen Vollerhebung unter deutschen Professorinnenund Professoren geschlechtsspezifische Unterschiede in der Karriereentwicklungfest. Auch sehen sich Frauen schlechter eingebunden in informelle Netzwerkeals ihre männlichen Kollegen.Alle genannten Studien betonen die Bedeutung von Mentoringbeziehungen füreine wissenschaftliche Karriere. Untersuchungen darüber, inwieweit Mentoringprogrammediese fehlenden „natürlichen Mentoringbeziehungen“ ersetzen können, liegenbisher kaum vor (vgl. Löther 2003). Auch ein differenzierter Blick auf die Chancenund Grenzen von Mentoringprogrammen in unterschiedlichen Disziplinen fehltbisher. Hier will das Forschungsvorhaben ansetzen.Wissenschaftstheoretisch lässt sich diese Fragestellung vor dem Hintergrund diverserStudien betrachten, die sich mit der Frage beschäftigen, wie Wissenschaft als sozialesFeld funktioniert und wie Frauen sich in diesem Spiel positionieren können (vgl. Krais2000, Zimmermann 2000, Engler 2002). Theoretischer Bezugsrahmen dieser Arbei-104


ten ist der reflexive Ansatz Bourdieus. Damit gehen die Untersuchungen über organisationssoziologischeAnsätze aber insofern hinaus, als Wissenschaft nicht ausschließlichin seiner spezifischen Funktionslogik als Organisation mit ihren besonderen Strukturenuntersucht wird, sondern als soziales Feld mit einer durch die Akteure verkörpertenspezifischen sozialen Praxis im Sinne Bourdieus.Im Anschluss an die Arbeiten von Beaufays und Heintz soll ein Beitrag zur Sichtbarmachungder wechselseitigen Konstitutionen von Geschlecht und Wissenschaftim disziplinären Vergleich vor der Matrix der Mentoringprogramme geleistet werden,um damit Aufschluss über Chancen und Grenzen von Mentoringprogrammen derWissenschaft geben zu können.Empirische GrundlagenAls Grundlage der komparatistisch angelegten quantitativen Untersuchung dienen dreiMentoring-Programme für Nachwuchswissenschaftlerinnen in Natur- und Ingenieur-Wissenschaften, den Geisteswissenschaften und Medizin/Life Science. Die Programmerichten sich an hochqualifizierte promovierte Wissenschaftlerinnen, die eine Hochschulkarriereanstreben. Die Programmkonzeptionen wurden in gegenseitiger Abspracheerarbeitet und anhand äquivalenter Rahmenbedingungen entwickelt, sowohl wasdie Gruppenzahl der aufgenommen Mentees, Art und Umfang der begleitenden Trainingsals auch die Auswahl und Ansprache der Mentorinnen und Mentoren betrifft.Auch die Dauer <strong>des</strong> Mentoringprozesses und die prinzipiellen strukturellen und zeitlichenAblaufpläne stimmen überein, womit eine grundsätzliche Vergleichbarkeit möglichist.Die Zielgruppe der Befragung bestimmt sich über die Teilnahme der Wissenschaftlerinnender drei Mentoringprogrammen. Ihre Befragung erfolgt im Laufe <strong>des</strong> Mentoringprozessesanhand dreier teilstandardisierter Fragebögen, die zu Beginn, im Prozessverlaufund nach Ende der offiziellen Mentoringbeziehung an die Wissenschaftlerinnenausgegeben werden.Anhand <strong>des</strong> ersten Fragebogens soll im Vorfeld <strong>des</strong> Mentoring Prozesses abgeklärtwerden, mit welcher Motivation die Mentees teilnehmen, welche Erwartungen sie imEinzelnen an den Mentoringprozess, ihr Gegenüber oder die individuelle Unterstützunghaben, aber auch, wie sie sich selbst in den Prozess einbringen wollen. Der Fragebogenzur Zwischenbilanz zielt insbesondere auf eine detaillierte Abbildung und Bewertungder bisherigen Mentoring Kontakte der einzelnen Tandems ab und bietet derWissenschaftlerin die Möglichkeit einer kritischen Reflektion, sowohl was ihreMentoringbeziehung als auch was die Programmkonzeption betrifft.Im Abschlussfragebogen steht zum einen eine retrospektive/summative Bewertungder individuellen Tandembeziehungen sowie der Projektkonzeption und der einzelnenElemente <strong>des</strong> Mentoring. Zum anderen soll auch evaluiert werden, ob die Menteesdurch die Teilnahme am Programm eine veränderte Einschätzung ihrer Karrierechancenhaben, sei es subjektiv oder objektiv begründet. Die Fragebögen werden durch leitfadengestützteInterviews ergänzt.Das Forschungsvorhaben will an der Schnittstelle zwischen Wissenschaftsforschungund Organisationssoziologie die bestehenden Erkenntnisse beider Stränge verbinden(vgl. Heintz 2004) und damit nicht nur zur Klärung geschlechterdifferenter Faktorenin den unterschiedlichen Fachbereichen beitragen, sondern darüber hinaus Impulsefür die Konzeption von Mentoringprogrammen in den verschiedenen Disziplinen alsgleichstellungspolitische Maßnahmen liefern.Das im April 2004 gestartete Forschungsprojekt wird vom Ministerium für Wissenschaftund Forschung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein Westfalen aus Mitteln <strong>des</strong> HWP-Programmsgefördert.Chancengleichheit durch Mentoring?<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005105


Sonstige Berichte/ BeiträgeLiteraturAllmendinger, Jutta/Fuchs, Stefan/von Stebut, Janina: Should I stay or should I go? Mentoring,Verankerung und Verbleib in der Wissenschaft. Empirischer Ergebnisse einer Studie zuKarriereverläufen von Frauen und Männern in Instituten der MPG, in: Karriere von Akademikerinnen.Bedeutung <strong>des</strong> Mentoring als Instrument der Nachwuchsförderung, in: Page/Leemann 2000, S. 33-48.Brentano, von Margherita: Die Situation der Frauen und das Bild „der Frau“ an der Universität.Freie Universität Berlin (Hg.): Universitätstage 1963, Berlin 1963, S. 73-94Beaufays, Sandra: Wie werden Wissenschaftler gemacht. Beobachtungen zur wechselseitigenKonstitution von Geschlecht und Wissenschaft, Bielefeld 2003.Engler, Steffani: Von klugen Köpfen und Genies. Zum Selbstverständnis von Professoren, in:Ebrecht, Jörg, Frank Hillbrandt (Hgg.): Bourdieus Theorie der Praxis, Wiesbaden 2002,S.153-169.Engler, Steffani: Habitus und sozialer Raum: Zur Nutzung der Konzepte Pierre Bourdieus inder Frauen- und Geschlechterforschung, in: Becker, Ruth/Beate Kortendiek (Hgg.): HandbuchFrauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden Empirie, Wiesbaden 2004, S.222-233.Heintz, Bettina (Hg.): Geschlechtersoziologie, Wiesbaden 2001.Heintz, Bettina/Merz Martina/Christina Schumacher: Wissenschaft die Grenzen schafft.Geschlechterkonstellationen im disziplinären Vergleich, Bielefeld 2004.Höppel, Dagmar: Mentoring – eine Strategie zur Nachwuchsförderung, in: Mischau, Anina/Kramer, Caroline/Blättel-Mink, Birgit (Hgg.): Frauen in Hochschule und Wissenschaft –Strategien der Förderung zwischen Integration und Autonomie, Baden-Baden 2000, S. 81-90.Krais, Beate (Hg.): Wissenschaftskultur und Geschlechterordnung. Über die verborgenen Mechanismenmännlicher Dominanz in der akademischen Welt, Frankfurt am Main 2000.Krais, Beate: Das soziale Feld Wissenschaft und die Geschlechterverhältnisse. TheoretischeSondierungen, in: Krais, Beate (Hg.): Wissenschaftskultur und Geschlechterordnung. Überdie verborgenen Mechanismen männlicher Dominanz in der akademischen Welt, Frankfurtam Main 2000, S.31-54.Löther, Andrea (Hg.): Mentoring-Programme für Frauen in der Wissenschaft, Bielefeld 2003.Matthies, Hildegard/Kulmann Ellen/Oppen Maria, Simon Dagmar: Barrieren und Karrierenim Wissenschaftsbetreib- Geschlechterdifferente Teilhabechancen in außeruniversitären Forschungseinrichtungen,Berlin 2001.Page, Julie/Leemann, Regula Julia (Hgg.): Karriere von Akademikerinnen. Bedeutung <strong>des</strong>Mentoring als Instrument der Nachwuchsförderung, BBW- Schriftenreihe, Bern 2000Schliesselberger, Eva/Strasser, Sabine: In den Fußstapfen der Pallas Athene? Möglichkeitenund Grenzen <strong>des</strong> Mentoring von unterrepräsentierten Gruppen im universitären Feld, Materialienzur Förderung von Frauen in der Wissenschaft Band 7, Wien 1998.Wimbauer, Christine: Organisation, Geschlecht, Karriere. Fallstudien aus einem Forschungsinstitut,Opladen 1999.Zimmer, Anette: Karrierewege von Professorinnen an Hochschulen in Deutschland 2003.Zimmermann, Karin: Spiele mit der Macht in der Wissenschaft. Paßfähigkeit und Geschlechtals Kriterium für Berufungen, Berlin 2000.Dr. Carmen Leicht-ScholtenInstitut für Soziologie, RWTH AachenEilfschornsteinstr.7, 52062 AachenEmail: cleicht@soziologie.rwth-aachen.de106


Kompetenzzentrum TeDiCDas Kompetenzzentrum TeDiC (Technik, Diversity undChancengleichheit) e.V. setzt die Arbeit von „Frauen gebenTechnik neue Impulse e.V.“ und dem „KompetenzzentrumFrauen in <strong>Info</strong>rmationsgesellschaft und Technologie“ fort.Die verstärkte Nutzung der Potenziale von Frauen zur Gestaltung der <strong>Info</strong>rmationsgesellschaftund der Technik sind weiterhin die Ziele <strong>des</strong> Kompetenzzentrums TeDice.V.. Mitglieder aus Politik, Industrie, Gewerkschaften, technischen (Berufs-)Verbänden,Frauen-Technik-Netzen sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen machendas neue Kompetenzzentrum zu einem handlungsfähigen Netzwerk. Es setzt die Arbeit<strong>des</strong> Vereins ‚Frauen geben Technik neue Impulse’ und seines größten Projekts„Kompetenzzentrum Frauen in <strong>Info</strong>rmationsgesellschaft und Technologie“ mit einembreiteren Themenspektrum fort. Gezielt bringt es den Aspekt Chancengleichheitin die Diskussion ein und initiiert innovative Projekte und bun<strong>des</strong>weit wirksame Konzepte,um seine Ziele durchzusetzen. Damit unterstützt das neue KompetenzzentrumTeDiC die Einwerbung von Frauen in naturwissenschaftlich-technische Ausbildungen,Studiengänge und Berufe. www.kompetenzz.de bleibt die Website <strong>des</strong> Kompetenzzentrums.Aktuelle Berichte und Publikationen:• Girls’Day – Mädchen-Zukunftstag. Ein Tag zur Erweiterung <strong>des</strong> Berufswahlspektrumsvon Mädchen in Deutschland und in vier weiteren europäischen Staaten.Evaluationsergebnisse 2004. Frauen geben Technik neue Impulse e.V. (Hrsg.)• Aktuelles von den Einsteinjahr-Aktivitäten: Kurzdokumentation „Wissenschaftssommer2005“: Am Anfang war die Neugier – Physikexperimente zum Anfassen beimWissenschaftssommer 2005 in Potsdam. Frauen geben Technik neue Impulse e.V.(Hrsg.)• Bericht zum Jahr der Technik 2004. Frauen geben Technik neue Impulse e.V. (Hrsg.)• Geschlechterperspektive bei der Vermittlung von Computer- und Internetkompetenz.Eine Bestandsaufnahme von Forschungsergebnissen, Susanne Thoma, 2004.• Gender Mainstreaming im Bun<strong>des</strong>portal BundOnline 2005. Gutachten im Auftrag<strong>des</strong> Vereins Frauen geben Technik neue Impulse. Autorinnen: Prof. Dr. Gabriele Winker;Ricarda Drüeke M.A., 2004.• Gender Qualifizierungsmaßnahmen in den neuen IT Berufen und die Einsatzmöglichkeitenfür die Technische Zusammenarbeit, 2004. Verein Frauen geben Technikneue Impulse e.V. (Hrsg.).• Bericht zur Erhebungsphase November 2003 - Januar 2004 „Frauen und Männer inIT-Ausbildung und -Beruf“, 2004. Verein Frauen geben Technik neue Impulse e.V.(Hrsg.).Aktuelles aus den Projekten:1) Hochschulwettbewerb GET THE BEST - Mehr Frauen in die Forschung!Die Initiative D21 schreibt zum zweiten Mal ihren bun<strong>des</strong>weiten HochschulwettbewerbGet the Best aus. Initiiert hat den Wettbewerb das Kompetenzzentrum TeDiC. DerHochschulwettbewerb unterstützt die Idee <strong>des</strong> „Einsteinjahrs“, mehr Menschen fürdie Forschung zu begeistern, und stellt in diesem Jahr die Gewinnung von Frauen fürdie Forschung in den Mittelpunkt. Noch immer ist ihr Anteil hier erschreckend gering:So stieg laut der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung beispielsweiseder Frauenanteil an Führungspositionen in außeruniversitären Forschungseinrichtungen<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005107


Sonstige Berichte/ Beiträge1BLK Heft 122, Frauen inFührungspositionen anHochschulen und außerhochschulischenForschungseinrichtungen.AchteFortschreibung <strong>des</strong> Datenmaterials,Bonn 2005,S. 12.in Deutschland insgesamt von 2,0% im Jahr 1992 auf 6,6% im Jahr 2003, er liegt aberdamit immer noch deutlich unter dem Anteil der Frauen an Führungspositionen derHochschulen. 1Die Ausschreibungsunterlagen finden interessierte Hochschulen auf der Websiteder Initiative D21.GET THE BEST 2004Der erste Wettbewerb Get the Best – Frauen als Erfolgsfaktor für Hochschulen war einLeuchtturmprojekt der Initiative D21, das aus einer Untersuchung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>bildungsministeriums„Studiengänge im Wettbewerb – Hochschulranking nach Studienanfängerinnenin Naturwissenschaft und Technik“ hervorgegangen ist. Darin wurden die Erfolgevon Hochschulen bei der Gewinnung von Frauen für ingenieur- und naturwissenschaftlicheDiplomstudiengänge untersucht – mit dem Ergebnis, dass es gravierendeUnterschiede zwischen den Hochschulen gibt. So schwanken die Anteile derStudienanfängerinnen im Bereich der Elektrotechnik zwischen 23% und 2%, in der<strong>Info</strong>rmatik zwischen 30% und 5%.Derartige Unterschiede müssen ihre Gründe haben. Die Initiative D21 hat <strong>des</strong>halbdie Frage gestellt, was diese Hochschulen tun, um den Anteil der Studienanfängerinnenzu steigern. Denn Deutschlands Hochschulen befinden sich im internationalen,aber ebenso im nationalen Wettbewerb um die besten Köpfe – auch um die weiblichen!In einem kreativen Wettbewerb werden best practice Beispiele ermittelt.Teilnehmen konnten die Studiengänge Elektrotechnik, <strong>Info</strong>rmatik, Maschinenbau,Physik und Wirtschaftsingenieurwesen. Die Schirmherrschaft für den Wettbewerb2004 übernahm Edelgard Bulmahn, Bun<strong>des</strong>ministerin für Bildung und Forschung.Es beteiligten sich insgesamt 25 Hochschulen. Aus diesen wurden in einem erstenBewertungsgang dreizehn ausgewählt, die den Kriterien der Jury am nächsten kamen.Bei der Bewertung der dreizehn Beiträge spielten die folgenden Fragen eine Rolle:Hat die Hochschule Konzepte und Durchführungsstrategien entwickelt, um den Anteilder Studentinnen in den wettbewerbsrelevanten Studiengängen deutlich zu steigern?Wird die Studienqualität (Lehre, Studienumfeld und Praxis) für Frauen in diesenStudiengängen erheblich gesteigert? Hat die Hochschule Konzepte entwickelt, diedurch interne und/oder externe Kooperationen Synergien erzielen sowie kreative Praxisbezügeaufweisen?Besonders positiv bewertet wurden schlüssige Gesamtkonzepte von Hochschulenebenso wie neue, innovative Ideen und Visionen. Ein weiterer Aspekt war die Verankerungder Maßnahmen innerhalb der Hochschulen selbst. Es wurde keine Unterscheidungzwischen Universitäten und Fachhochschulen vorgenommen.Die prämierten HochschulenDie Universität Hannover überzeugte mit dem mit Abstand umfassendsten Gesamtkonzept.Die aufeinander aufbauenden Maßnahmen an der Universität Hannover reichenvon der Gewinnung neuer Studentinnen in diesen Fachgebieten über die Unterstützungbei der Bewältigung struktureller Barrieren (Kinderbetreuung, Netzwerkkontakte)bis zur verbesserten Vorbereitung auf den Einstieg in die Berufspraxis.Abgerundet wird das erfolgreiche hannoversche Stufenkonzept durch die enge Kooperationmit der Wirtschaft und die kontinuierliche Überprüfung der Maßnahmenhinsichtlich ihres Erfolgs und ihrer Nachhaltigkeit.Nachhaltigkeit und ein hohes Maß an einer engagierten Verstetigung der Maßnahmenzeichnet auch den zweiten Platz aus, die Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven. Hier ist zu sehen, dass ein hoher Prozentsatz der interessierten jungenSchülerinnen <strong>des</strong> Schnupperangebots „Studentinnen für einen Tag“ sich auch für108


das Studium an der Fachhochschule einschreibt. Des Weiteren spricht das langjährigeEngagement zur Gewinnung von jungen Frauen für technisch-naturwissenschaftlicheStudiengänge und ein besonders interessantes Konzept für das Zusammenwirken vonSchulen und Hochschule für Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven.Die Jury vergab zwei dritte Plätze an die Universität Stuttgart und an die TechnischeFachhochschule Berlin.Der WettbewerbspreisMit diesem Wettbewerb belohnte die Initiative D21 die Hochschulen, die sich aktivbei der Förderung <strong>des</strong> weiblichen Nachwuchses engagieren. Die Preise stammten vonMitgliedsunternehmen der Initiative D21 wie der Siemens AG, Cisco Systems, Intel,Microsoft Deutschland und Vodafone, die insgesamt 50.000 Euro, vier Ausstattungenzur IT-Academy und zahlreiche Praktika- und Werkstudentinnenplätze zur Verfügunggestellt haben.Die Jury setzte sich aus hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft,Politik und Bildung zusammen: Thomas Ganswindt (Vorsitzender der Initiative D21und Mitglied <strong>des</strong> Gesamtvorstan<strong>des</strong> der Siemens AG), Jürgen Gallmann (stellvertretenderVorsitzender der Initiative D21 und Vorsitzender der GeschäftsführungMicrosoft Deutschland GmbH), Veronika Altmeyer (Mitglied <strong>des</strong> Vorstan<strong>des</strong> T-Online), Ulrike Flach (Vorsitzende <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>tagsausschusses für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung), Jörn Hüsgen (Chefredakteur der Jungen Karriere)und Prof. Marion Schick (Präsidentin der Fachhochschule München).Mehr <strong>Info</strong>rmationen unter:http://www.initiatived21.dehttp://www.kompetenzz.de/themen/hochschulwettbewerb_get_the_bestKontakt bei der Initiative D21:Anja Katthöfer Koordinatorin Bildung, Qualifikation und Chancengleichheit Tel. 030/386 300 90 anja.katthoefer@initiatived21.deDie Initiative D21 ist Deutschlands größte Partnerschaft zwischen Politik und Wirtschaft(Public Private Partnership). In diesem „Netzwerk für die Zukunft“ initiierenund begleiten mehr als 400 Vertreterinnen und Vertreter von Parteien, Unternehmen,Vereinen und anderen Einrichtungen gemeinnützige Projekte wie den Girls’Day oderden (N)ONLINER Atlas.Kompetenzzentrum TeDiC2) Broschüre „Einsteins Kolleginnen – Physikerinnen gestern und heute“erscheint im Herbst 2005Heute gibt es an vielen Hochschulen <strong>Info</strong>rmationstage oder Aktionswochen, die dasgemeinsame Ziel haben, Mädchen und Jungen für Naturwissenschaften und Technik,insbesondere für die Physik zu begeistern. Das Interesse an diesen Veranstaltungen istbei Schulen, Eltern, Schülerinnen und Schülern enorm gestiegen. Einige dieser Projektesprechen gezielt Mädchen an, da aus verschiedenen Untersuchungen bekanntist, dass viele naturwissenschaftlich begabte und interessierte Mädchen zu einem Physikstudiumbesonders ermutigt werden müssen: So wählten im Jahr 2003 bun<strong>des</strong>weit nur5.994 Mädchen das Fach Physik als Leistungskurs, im Vergleich dazu entschieden sich28.506 Jungen für dieses Fach. Bei den Studienanfängerinnen und -anfängern liegt derAnteil der Frauen seit 1997 bei knapp über 20 Prozent, also bei etwa 2.000 Studienanfängerinnen.Im Einsteinjahr 2005 steht zum ersten Mal nicht ein Wissenschaftsgebiet, sonderneine berühmte Persönlichkeit im Mittelpunkt eines Wissenschaftsjahres. In einem in-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005109


Sonstige Berichte/ Beiträgeterdisziplinären Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik kannsich eine breite Öffentlichkeit über Leben, Werk, die facettenreiche Persönlichkeitund die bedeutenden Erfindungen Einsteins informieren. Einsteins überlieferte Zitateund Sprüche, die im Einsteinjahr eine wesentliche Rolle spielen, zeigen, wie vielHumor in der Wissenschaft und in Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern steckenkann und vermitteln eine ganz wichtige „Message“ an Jugendliche: Wissenschaftler,auch Genies, können Menschen sein wie du und ich. Bei aller Begeisterung um diePerson Einstein sollte aber auch die „weibliche Seite“ der Physik betont und sichtbargemacht werden: Sowohl zu Einsteins Lebzeiten als auch in der Gegenwart gab undgibt es begeisterte, engagierte und erfolgreiche Forscherinnen in der Physik.Ziel der Dokumentation „Einsteins Kolleginnen – Physikerinnen gestern und heute“ist es, die gegenwärtige sowie die historische Rolle von Frauen in der Physik herauszuarbeitenund zu dokumentieren, da viele Physikerinnen und ihre wissenschaftlichenBeiträge weder der breiten Öffentlichkeit noch (in vielen Fällen) der Fachöffentlichkeitin Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen bekannt sind.Dabei wird ein Blitzlicht auf die Situation jüdischer Wissenschaftlerinnen – Physikerinnen– im letzten Jahrhundert geworfen und ihre Leistungen herausgearbeitet. Immernoch sind weite Teile der Wissenschaftsgeschichte in bezug auf Forscherinnen ungeschrieben.Parallel gilt es, zu dokumentieren, dass es in den gleichen Fachgebietendieser Wissenschaftlerinnen aktuell junge Forscherinnen gibt, die zeigen, dass Frauenheute aktiv Innovationen in der Forschung mitgestalten.In der Broschüre werden acht Portraits historischer Wissenschaftlerinnen(beispielsweise von Hertha Sponer, Liese Meitner oder Hedwig Kohn), die alle einenpersönlichen Bezug zu Einstein hatten, 16 Portraits zeitgenössischer Physikerinnengegenüber gestellt. Die Verbindung zwischen historisch und gegenwärtig liegt hier inmanchen Fällen im gleichen Forschungsschwerpunkt (z. B „Radioaktivität und Atomphysik“bei Liese Meitner damals und „Einzelatomkontakte“ bei Prof. Dr. Elke Scheerheute) – in allen Fällen ist aber den historischen Persönlichkeiten mit den Wissenschaftlerinnender Gegenwart die Begeisterung für Physik und die Hingabe an ihrewissenschaftliche Arbeit gemein.Im Anschluss daran kommt der weibliche Nachwuchs in der Physik zu Wort: Inlockerer Gesprächsform stellen sich junge Physikerinnen vor: Woher kam ihr Interessean den Naturwissenschaften und wie verfestigte sich dieses Interesse zu einemkonkreten Berufswunsch? Wie haben sie ihr Studium der Physik erlebt? Wie sehenihre Pläne für die Zukunft aus? Und welches Lebensmotto möchten sie anderen jungenFrauen und Mädchen mit auf den Weg geben?Für eine weitere Recherche zum Thema „Gender in Naturwissenschaften, <strong>Info</strong>rmatikund Technik“ steht den Leserinnen und Lesern dieser Broschüre eine kommentierteLinksammlung mit Web-Adressen ausgesuchter Frauen-Technik Portale zurVerfügung; im Anschluss bietet das Literaturverzeichnis viele Anregungen zum Weiterlesen.So können naturwissenschaftlich interessierte Männer und Frauen der Broschüreeine Vielzahl von Anregungen entnehmen, die über das aktuelle Wissenschaftsjahr– das Einsteinjahr – hinaus Bestand haben werden.Die Broschüre wird im Rahmen <strong>des</strong> Projektes „Gender im Einsteinjahr – Chancenfür Frauen in naturwissenschaftlichen Berufen“ erarbeitet und im Herbst 2005 erscheinen– zunächst als PDF-Dokument zum Download unter: www.kompetenzz.de/einsteinjahr„Gender im Einsteinjahr“ ist eine Initiative <strong>des</strong> Vereins „Kompetenzzentrum Technik– Diversity – Chancengleichheit“ (TeDiC) und wird gefördert vom Bun<strong>des</strong>ministeriumfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).“110


<strong>Info</strong>rmationen zum Projekt „Gender im Einsteinjahr“ unter www.kompetenzz.de/einsteinjahrKontakt: Dipl.-Soz. Dörte Jödicke / Tel. 0521/106-7362 | joedicke@kompetenzz.de3) Girls’Day – Mädchen-Zukunftstag europaweitStudie zeigt Erfolg <strong>des</strong> Berufsorientierungstags für Mädchen – Rekordbeteiligungam Girls’Day 2005 – Mit dem Girls’Day zum AusbildungsplatzMit dem Projekt Girls’Day haben Mädchen der Schuljahre 5 bis 10 die Möglichkeit,Berufe für einen Tag einmal hautnah zu erleben. Ziel <strong>des</strong> Projektes ist es, zum einendas Interesse der Mädchen an technischen Berufen zu wecken, zum anderen sollenÖffentlichkeit und Wirtschaft auf die Stärken der Mädchen aufmerksam gemachtwerden.Im Jahr 2004 fand der Mädchen-Zukunftstag in fünf europäischen Ländern statt:Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande und Luxemburg. Damit wird derGirls’Day immer mehr zu einem Projekt zur Schaffung von Zukunftsperspektiven fürMädchen in ganz Europa.Die Ergebnisse der Evaluationsstudie 2004, herausgegeben vom Verein „Frauengeben Technik neue Impulse“, sind bemerkenswert: 114.000 Mädchen nahmen 2004am Girls’Day teil. 90 Prozent der Mädchen und 80 Prozent der Unternehmen warenzufrieden oder sehr zufrieden mit dem Projekttag. Etwa die Hälfte der Mädchen würdegerne in dem besuchten Unternehmen ein Praktikum oder eine Ausbildung absolvieren.Die Mehrheit der Mädchen zeichnete am Ende <strong>des</strong> Projekttags ein positivesBild von technischen Berufen; negative Vorurteile wurden abgebaut.Die Studie beruht auf der Untersuchung von 14.500 Mädchen-Fragebögen, 1.850Organisationen-Fragebögen und 870 Schulfragebögen.Erneute Rekordbeteiligung am fünften Girls’Day - Mädchen-ZukunftstagIn Deutschland fand der Girls’Day – Mädchen-Zukunftstag am 28. April 2005 zumfünften Mal statt. Mit fast 7.000 Veranstaltungen und Plätzen für rund 127.000 Mädchenerreichte der Aktionstag eine neue Rekordbeteiligung. Mehr als 260 regionaleArbeitkreise koordinierten die Umsetzung <strong>des</strong> Aktionstags vor Ort. In ganz Deutschlanderhielten Mädchen in Unternehmen, Behörden, Forschungsinstituten, Hochschulenund Betrieben Einblick in vor allem technische und naturwissenschaftliche Berufe.Seit 2002 hat sich die Zahl der Veranstaltungen mehr als verfünffacht, besonderskleine und mittelständische Unternehmen und Organisationen sind immer stärkervertreten. Die Teilnehmerinnenzahl verdreifachte sich in diesem Zeitraum. Ein starkwachsen<strong>des</strong> Netzwerk regionaler Arbeitskreise engagiert sich für den Girls’Day –Mädchen-Zukunftstag. Dazu zählen seit Anfang 2005 auch elf Lan<strong>des</strong>koordinierungsstellen.Mit dem Girls’Day zum AusbildungsplatzFür Unternehmen und Organisationen, die am Mädchen-Zukunftstag ihre Türen fürden Nachwuchs öffnen, ist die Chance, Mädchen für Technik-Berufe zu gewinnen,groß. Immer mehr Mädchen und junge Frauen lernen am Girls’Day ihren zukünftigenAusbildungsplatz kennen. Einige Interviews sind unter www.girls-day.de nun nachzulesen:„Der Girls’Day hat mir einfach Mut gegeben, weil ich dadurch einen Einblick in den Betrieberlangen konnte.“ Ina Bredehorn lernt Industriemechanikerin bei Airbus im niedersächsischenVarel. Sie ist 18 Jahre alt und hat am ersten Girls’Day bei Airbus 2001teilgenommen.Kompetenzzentrum TeDiC<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005111


Sonstige Berichte/ Beiträge„Besonders erinnern kann ich mich an eine Frau, die erfolgreich in ihrem Beruf stand, und unseiniges über ihren Werdegang erzählt hat. ... Der Betreuer unserer Girls’ Day Gruppe hat mir meineBegeisterung für diese Ausbildung sofort angemerkt und ermutigte mich, mich doch für diese Ausbildungzu bewerben.“ Astrid Nilson war beim Girls’Day 2002 bei Siemens in Erlangen. Siebegann dort daraufhin eine Ausbildung als Industrietechnologin.mehr unter: http://www.girls-day.de/girls_day/berufsorientierung/portraitsDer Girls’Day – Mädchen-Zukunftstag findet an jedem vierten Donnerstag im Aprilstatt, das nächste Mal am 27. April 2006.Der Girls’Day – Mädchen-Zukunftstag wird gefördert vom Bun<strong>des</strong>ministerium fürBildung und Forschung, vom Bun<strong>des</strong>ministerium für Familie, Senioren, Frauen undJugend sowie aus Mitteln <strong>des</strong> Europäischen Sozialfonds. Girls’Day – Mädchen-Zukunftstag ist ein Projekt von „Frauen geben Technik neue Impulse e.V.“ und eineGemeinschaftsaktion <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministeriums für Bildung und Forschung, <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministeriumsfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Initiative D21, der Bun<strong>des</strong>agenturfür Arbeit, <strong>des</strong> Deutschen Gewerkschaftsbun<strong>des</strong>, der Bun<strong>des</strong>vereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände, <strong>des</strong> Deutschen Industrie- und Handelskammertages,<strong>des</strong> Zentralverbands <strong>des</strong> Deutschen Handwerks und <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> der DeutschenIndustrie.Weitere <strong>Info</strong>rmationen unter: www.girls-day.deEvaluation 2004Girls’Day - Mädchen-ZukunftstagErweiterung <strong>des</strong> Berufswahlspektrums von Mädchen in Deutschland und vier weitereneuropäischen Staaten. Evaluationsergebnisse 2004Frauen geben Technik neue Impulse e.V. (Hrsg.)W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld 2005ISBN 3-7639-3390-5 | Best.-Nr. 60.01.680 | 228 Seiten | 14,90 €Kurzfassung im Downloadcenter unter:http://www.girls-day.de/girls_day/service/downloadcenterPressekontaktDipl. Psych. Carmen RufferBun<strong>des</strong>weite Koordinierungsstelle Girls’Day – Mädchen-ZukunftstagFrauen geben Technik neue Impulse e.V.Wilhelm-Bertelsmann-Str. 1033602 BielefeldTelefon: 0521/106 7378, Telefax: 0521/106 7377EMail: ruffer@girls-day.de112


TagungsberichteGenus oeconomicum –Zur Ökonomie der GeschlechterverhältnisseWie ist zu erklären, dass es nie zuvor so viele beruflichhoch qualifizierte Frauen gegeben hat wie gegenwärtig,dies sich aber nicht positiv auf dem Arbeitsmarktwiderspiegelt? Welche konkreten Auswirkungen hat dieGlobalisierung insbesondere auf den Dienstleistungssektor,in dem weltweit bis zu 70 Prozent Frauen beschäftigtsind? Wird sich das so genannte „Aschenputtel-Syndrom“,also die traditionelle Bevorzugung vonSöhnen oder Schwiegersöhnen, bei den zu Tausendenanstehenden Unternehmensübergaben an die kommendenGenerationen fortsetzen?Mit solchen und ähnlich spannenden Fragen habensich WissenschaftlerInnen auf der internationalen Tagung„Genus oeconomicum – Zur Ökonomie der Geschlechterverhältnisse“am 24./25. Februar 2005 an derUniversität Zürich beschäftigt, die vom KompetenzzentrumGender Studies der Universität Zürich und demFrauenrat der Universität Konstanz veranstaltet wurde.Die Themensetzung war unter der doppelten Perspektivesinnvoll, denn obwohl ökonomische Ungleichheitenund Abhängigkeiten oftmals mit Geschlechterverhältnissenin engem Zusammenhang stehen, konstituiertsich hier ein Wissenschaftsfeld, das sich langeeiner genderbezogenen Bearbeitung versperrt hat. Zumanderen haben im Zusammenhang mit der Ökonomisierungder Gesellschaft und den Globalisierungsprozessendie Geschlechterverhältnisse Verschiebungen erfahren.Unter anderem wurde klar, dass die ökonomischeTheorie bislang noch kaum tragfähige Konzepteentwickelt hat, mit denen die Diskriminierung (vonFrauen) theoretisch sinnvoll zu fassen wäre. Aber essind in unterschiedlichsten Disziplinen Ansätze erarbeitetworden, die Geschlecht als soziale und politischeKategorie zur Analyse ökonomischer Fragestellungennutzen. Ein breites Spektrum wurde auf der Tagungthematisiert. Zu vier thematischen Blöcken haben zahlreicheWissenschaftlerinnen die Ergebnisse ihrer Arbeiteinem großen internationalen TeilnehmerInnenkreisaus fünf europäischen Ländern präsentiert. Hierein Überblick:1. Rationalitätskonzepte jenseits <strong>des</strong> HomooeconomicusDer Hauptvortrag zu diesem Themenblock „ÖkonomischeRationalität und Handeln aus ‚Commitment’“ vonFabienne Peter (Warwick) diskutierte die Möglichkeiten,die sich im Zusammenhang mit der zunehmendenempirischen Forschung in den Wirtschaftswissenschaftenfür alternative Interpretationen von Befunden ergeben.Diese könnten in der bisherigen Theorie als „irrational“taxiertes, das heißt nicht eigener Optimierungverpflichtetes, Verhalten theoretisch gefasst werden.Solche Auslegungen würden auch den Zugang zur Interpretationsozialer Diversität öffnen und damit dietheoretische Verbindung von Ökonomie und Sozialwissenschaftenangehen.Des Weiteren wurden folgende Themen erörtert:Unternehmerisches Handeln als Projektionsfeld modernerMännlichkeit. Eine Analyse <strong>des</strong> Schrifttums zumUnternehmer seit dem 18. Jhd. (Irene Bandhauer-Schöffmann, Wien); Geld/ Sex/Macht: Männlichkeitund Ökonomie im U.S.-amerikanischen Roman (EvaBoesenberg, Berlin); „Männerpower!“ Legitimierungsstrategienmännlicher Herrschaft (Jürgen Budde, Hamburg);Die Theorie <strong>des</strong> Homo Oeconomicus als Mediumimaginärer Identitätsbildung (Andreas Weber,Wien); Privatisiert. Geschlechterimplikationen neoliberalerTransformation und Gouvernementalität (GabrieleMichalitsch, Wien); „Management <strong>des</strong> Selbst“ und„Psychopolitik“ – Überlegungen zu Subjektivierungvon Arbeit und Geschlecht (Alexandra Rau, Frankfurt).2. Legitimationen der MachtUnter dem Titel „Alles nur eine Frage der Zeit? ZurEntwicklung der Machtbalance zwischen den Geschlechtern“widmete sich Reinhard Kreckel (Halle)dem „glass ceiling“-Phänomen: Dass Frauen immer nurbis zu einem bestimmten Niveau aufsteigen und dannan eine „gläserne Decke“ stoßen, erklärte er damit, dassWissenschaftlerinnen erheblich stärker als Wissenschaftlervon Überlegungen und Maßnahmen der Familienplanungbeeinflusst sind. Die Reproduktion beziehungsweisedie Familienarbeit sei für die Ungleichheitin den Hierarchien verantwortlich – zugegebenerweiseein nicht gerade neuer Gedanke.Die Bandbreite der weiteren Themen: Geschlechtim Wissenschaftsfeld. Eine Studie zur Förderung vonFrauen durch den Schweizerischen Nationalfonds SNF(Yvonne Jänchen, Genf); Stillstand beim Einkommensunterschiedzwischen den Geschlechtern – Kritik am<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005113


Tagungsberichteund Erweiterung <strong>des</strong> ökonomischen Diskriminierungsansatzesanhand einer qualitativen Fallstudie zum GenderPay Gap in Österreich (Margareta Kreimer, Graz);Rankings und Evaluationen im Bildungsbereich – neueChancen und Risiken zum Abbau geschlechtsspezifischerDiskriminierung oder Segregation? (Sonja Lück/Manfred Kraft, Paderborn); Das General Agreementon Trade in Services (GATS) und seine geschlechterpolitischenFolgen (Susanne Schunter-Kleemann, Bremen);ErbInnen – gleiche Aussichten auf Vermögendurch Erbschaften? (Andrea Schäfer, Berlin); MonetäreGeschlechterstereotype? Zum Verhältnis von Frauenund Geld (Birgitta Wrede, Bielefeld); Risiken undChancen postnationalen Demokratie aus geschlechtersensiblerSicht (Sibylle Hardmeier, Zürich)3. Geschlecht gestaltet WirtschaftDer dritte Block diskutierte die wenig privilegierte Situationvon Frauen im formellen Arbeitsmarkt bzw. imökonomischen Geschehen. In ihrem Referat „Frauenauf dem Arbeitsmarkt“ wies Doris Weichselbaumer(Barcelona) darauf hin, dass die Ökonomie häufig„nicht-rationales“ Verhalten als Erklärung für Zeichender Diskriminierung von Frauen heranziehe. Die Ökonominhat in ihrer empirischen Forschung den Blickunter anderem auf die Rhetorik der „Top Mainstream“-Journale aus dem Bereich der Wirtschaft gerichtet. Siehat eine Art anhalten<strong>des</strong> Vermeidungsverhalten registriert,was speziell den Begriff der „Diskriminierung“angeht: Während qualitativ gute Studien die Formulierungder „Diskriminierung“ durchaus verwenden, istdiese in der übrigen Literatur über die Jahre zunehmendunpopulärer geworden, da mit dem Begriff negativeund vor allem auch politische Konnotationen verbundenseien.Weitere Aspekte, die hier thematisiert wurden: Wettbewerb:ein prekärer Gleichstellungskontext (SandraDa Rin, Zürich); Gender und Diversitätsmanagementin Organisationen. Nur eine Frage von Kosten undNutzen? (Roswitha Hofmann, Wien); Unternehmensnachfolgedurch Frauen (Ilona Ebbers, Hil<strong>des</strong>heim);Geschlechtergrenzen in Beschäftigungsgruppen: Konsequenzender Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisseauf die Positionierung von Frauen in Organisationen(Angelika Schmidt, Wien); Gestaltung weiblicherKarrierewege ins Management (Susanne Günther,München); Karrierenmuster als geschlechterkonstituierendeMechanismen in Organisationen (Anett Hermann,Wien); Gesellschaftlicher Wandel und Arbeitsmarktintegrationvon jungen Frauen und Männern.Historische Entwicklungen beim Übergang vom Bildungs-ins Berufssystem seit 1980 (Regula Julia Leemann/AndreaKeck/Judith Hollenweger, Zürich); Arbeitenim Abseits? – Erwerbschancen in geschlechtstypischenBerufen im europäischen Vergleich (StephanieSteinmetz, Mannheim).4. Geschlecht beeinflusst Globalisierung beeinflusstGeschlechtDer vierte Block war dem Zusammenhang von Globalisierungund Geschlecht gewidmet. Themen warenu.a.: Authoritarismus und Geschlechtsvorurteile in einerposttotalitären Gesellschaft: Bulgarien (Petia Genkova,Passau/Johann Schneider, Saarbrücken); Unternehmerinnentrotzdem „Frauen“. Frauen trotzdem„Unternehmerinnen“? – Beispiel Tschechien (KaterinaMazancova, Berlin); Gender-Budgeting. Erfahrungenaus Deutschland (Viola Schubert-Lehnhardt, Halle);Gender Budget – ein Konzept der Mikro- oder derMakroökonomie? (Margrit Zauner, Berlin)Gudrun Lachenmann (Bielefeld) beschloss mit ihremVortrag „Geschlechtsspezifische Strukturierung,ökonomische Handlungsfelder, soziale Räume und Öffentlichkeitzwischen Globalisierung und Lokalisierung“die Tagung mit der Forderung, dass die Stellungvon Frauen nicht sektoral gesehen und analysiert werdendürfe. Es müssten die Handlungs-, Institutionenunddie gesamtwirtschaftliche Ebene in einem relationalen,dynamischen Verhältnis gesehen werden. Geradedie Neuanordnung von formalem Wirtschaftssektorund Reproduktionsbereich sowie die Zunahme <strong>des</strong> informellenSektors, in dem Frauen und ihre Arbeit, ihreNetzwerktätigkeit und Infrastrukturleistungen eine großeBedeutung haben, verweisen darauf, dass die Erklärungskraftvon Theorien, die sich ausschließlich imformellen Sektor bewegen oder auf individueller Ebene„Bargaining“-Prozesse analysieren, nur von begrenzterReichweite sind.Eine Veröffentlichung ausgewählter Beiträge der Tagungbefindet sich in Vorbereitung. VoraussichtlicherErscheinungstermin: Frühjahr 2006.Dr. Birgitta WredeInterdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung(<strong>IFF</strong>), Universität BielefeldEmail: birgitta.wrede@uni-bielefeld.de114


TagungsberichteInstitutionalisierung der Frauen- und Geschlechterforschungin Frankreich und Deutschland: ÜberkreuztePerspektiven/L’institutionnalisation <strong>des</strong> étu<strong>des</strong> genreen France et en Allemagne: Perspectives coiseesDas Centre Interdisciplinaire d’Etu<strong>des</strong> et de Recherchessur l’Allemagne (CIERA), das Laboratoire Culture etSociétés en Europe, das Maison Interuniversitaire <strong>des</strong>Sciences de l’Homme d’Alsace (MISHA) und die vonRebecca Rogers koordinierte interdisziplinäre GenderStudies Gruppe der Universität Straßburg haben vom20. bis 21. Mai diesen Jahres zu binationalen Studientagenan der Université Marc Bloch in Strasbourg eingeladen.Thema war die Institutionalisierung der GenderStudies in Frankreich und Deutschland.Deutlich wurde bei diesem Länder vergleichendenAustausch, dass die Entwicklung der Gender StudiesResultat eines komplexen Wechselspiels zwischen derpolitischen Agenda feministischer Bewegungen, denStrukturen universitärer Einrichtungen, der Rezeptiontheoretischer Diskurse sowie der Einflussmöglichkeitender Akteurinnen und Akteure ist. Wie diese verschiedenenDimensionen auf die Institutionalisierung derGender Studies, ihre Etablierung aber auch Transformationeneinwirken, wurden in Vorträgen und Workshopsgenauer erläutert. Hier wurden die großen Entwicklungsliniender Gender Studies in drei sehr verschiedenennationalen Universitätsstrukturen aufgezeigt:in Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Eswurden verschiedene Forschungs- und Studieneinrichtungensowie unterschiedliche Netzwerke der FrauenundGeschlechterforschung vorgestellt und deren Unterschiedebzw. Gemeinsamkeiten analysiert und diskutiert.Ein eigener Workshop widmete sich den Erfahrungenvon Doktorandinnen, die sich mit Fragen derFrauen- und Geschlechterforschung befassen. Diskutiertwurden die Perspektiven für eine wissenschaftlicheKarriere an den Universitäten oder anderen Forschungseinrichtungenund der Zusammenhang zwischender wissenschaftlichen Arbeit und politischemfeministischen Engagement.Eine Podiumsdiskussion beschäftigte sich mit derFrage nach dem „Kanon“ in den Gender Studies. ImZentrum standen die Fragen, nach welchen Kriterienbestimmte „Kanons“ in den Gender Studies festgelegtwerden, welche nationalen und disziplinäre Traditionenes dabei zu berücksichtigen bzw. zu überwindegilt und wie die relativ neuen Forschungsgebiete der„Gay and Lesbian Studies“, der „Ethnic Studies“ undder „Postcolonial Studies“ dabei berücksichtigt werden.Das <strong>IFF</strong> war als eine der traditionsreichsten Einrichtungender Frauen- und Geschlechterforschung inDeutschland zu dieser Tagung eingeladen worden. Dr.Birgitta Wrede hat das Zentrum vorgestellt. BesonderesInteresse bestand an der Institutionalisierungsgeschichte,den aktuellen Forschungsschwerpunkte sowiean dem in Vorbereitung befindlichen MA „Gender-Wissen“. Insgesamt bot die Tagung ein Forum für internationaleKontakte, die Anknüpfungspunkte für weitergehendeKooperationen bieten. Eine Fortsetzung diesesAustausches befindet sich bereits in Planung.Nähere <strong>Info</strong>rmationen werden in Kürze bereitgestelltauf der Homepage von MISHA unter:http://misha1.u-strasbg.fr/Dr. Birgitta WredeInterdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung(<strong>IFF</strong>), Universität BielefeldEmail: birgitta.wrede@uni-bielefeld.de<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005115


TagungsberichteGender Affairs – 3. Arbeitstagung Frauen- undGeschlechterstudien im deutschsprachigen Raumin der Universität HamburgZur dritten Arbeitstagung Frauen- und Geschlechterstudienim deutschsprachigen Raum trafen sich vom8.-9. Juli 2005 in der Universität Hamburg Zentren undKoordinationsstellen der Frauen- und Geschlechterforschung/GenderStudies, um sich über Curricula, Forschungsschwerpunkteund Hochschulpolitiken auszutauschen.Schwerpunkte <strong>des</strong> mit rund 150 Teilnehmerinnenund Teilnehmern aus der Bun<strong>des</strong>republikDeutschland, der Schweiz, Österreich und Luxemburggut besuchten zweitätigen Arbeitstreffens waren dieweitere Institutionalisierung der Arbeitstreffen, derStand der Studienreform und die Auswirkungen <strong>des</strong>Bologna Prozesses auf Frauen- und Geschlechterstudien,TechnoSciences, die Vernetzung der Gender StudiesKollegiatInnen sowie Fragen der Profilierung undVermittlung von Frauen- und Geschlechterstudien/Gender Studies.Die Konferenz startete mit Grußworten <strong>des</strong> Unipräsidiumsund der gemeinsamen Kommission für Frauenstudien,Frauen- und Geschlechterforschung, Genderund Queer Studies. Im Anschluss setzten sich vier Arbeitsgruppenzusammen: Institutionalisierung, „Kerninhalte“,TechnoSciences und das KollegiatInnentreffen,die zum Teil Debatten fortführten, die währendder ersten beiden Konferenzen in Berlin und Bremeninitiiert worden waren. Zum Teil setzten sie neueSchwerpunkte. Abgeschlossen wurde der erste Arbeitstagmit einer Podiumsdiskussion zu Chancen und Risiken<strong>des</strong> Bolognaprozesses. Ob eher die Chancen fürdie Weiterentwicklung von Frauen- und Geschlechterstudien/GenderStudies in den Vordergrund gerücktwurden (Andrea Maihofer, Basel) oder die Risiken (MartinaSpirgatis, Hamburg), hing eng mit spezifischen lokalenBedingungen zusammen. Eine Umfrage unterden Zentren und Einrichtungen für Frauen- und Geschlechterforschungim Vorfeld der Tagung stärkte denEindruck, dass eine skeptische Einschätzung überwiegt.(Marion Mangelsdorf, Freiburg: http://www.zag.unifreiburg.de/gender/grundseiten/start.html,12.09.05).Am zweiten Tag wurde die Arbeit in den Arbeitsgruppenfortgeführt. Bevor die Arbeitsgruppen nachmittagsihre Ergebnisse vorstellten, wurden im Plenumdie aktuellsten <strong>Info</strong>rmationen zum Stand der Studienreformin den verschiedenen Hochschulen ausgetauscht.Institutionelle Bedingungen und Möglichkeiten, Konzepte,Stand der Diskussion und die Einschätzung derweiteren Entwicklung, so eine generelle Zusammenfassung,sind sehr vielfältig. Es gab optimistisch stimmendeBerichte über günstige Gelegenheitsstrukturen undSchilderungen mühsamer oder vergeblicher Arbeit,bspw. die überraschende Ablehnung <strong>des</strong> interdisziplinärenMaster Studiengangs durch den Senat der UniversitätWien. Die vorgestellten Vorhaben und Projekte zielteni.d.R. auf Bachelor und Master Studiengänge. Frauen-und Geschlechterstudien/Gender Studies Programmewurden als Haupt-, Neben-, Beifächer oder Moduleim Umfang von 120 bis 12 Kreditpunkten konzipiert.Die Präsentation der Arbeitsgruppenergebnisse eröffnetedie KollegiatInnengruppe, die über einen interessantenund informativen Austausch zu Arbeitsvorhabenund Arbeitsbedingungen berichtete. Eine neu konstituiertePlanungsgruppe soll die Vernetzung zum ThemaGender auf KollegiatInnenebene weiter vorantreiben.Für die Zukunft sind überregionale PromovendInnentreffenin jährlichem Abstand geplant. Kontakt:Katrin Macha (gobi-macha@gmx.net).Die Arbeitsgruppe „Kerninhalte“ hatte vor allemüber folgende Themen diskutiert: 1. Eine Problematisierung<strong>des</strong> Begriffs „Kerninhalte“ und kritische Einwändegegen eine Kanonisierung von Frauen- und Geschlechterstudien.Ziel, so der Konsens, ist eine selbstreflexiveAuseinandersetzung mit gelehrten Curricula, ihrenZielen, Inhalten und Vermittlungsformen. 2. Dieverschiedenen Ebenen einer Vermittlung von FrauenundGeschlechterstudien/Gender Studies (in die Disziplinen,in die berufliche Praxis, Darstellung in der Öffentlichkeit).3. Die Frage der Strategien auf den verschiedenenEbenen (Nutzung von „Diversity“ und„Soft skills“ als trojanische Pferde?; Praxiselemente inCurricula; Forschungs<strong>des</strong>iderate). 4. Die Frage nachdem „Kern“ von Frauen- und Geschlechterstudien/Gender Studies. 5. Das Thema Gender Studies undExzellenz. Kontakt: Michaela Kuhnhenne (mikuhn@uni-bremen.de).Die Arbeitsgruppe TechnoSciences hatte sich mitFragen der Institutionalisierung, mit ihrer Namensfindungund mit einer Tagungsplanung auseinanderge-116


Tagungsberichtesetzt. Die Gründung eines Dachverban<strong>des</strong> wurde ausdrücklichbegrüßt, wobei der Wunsch bestand, die Arbeitsgruppein diesem Rahmen als Sektion/AG zu verstetigen.Gewünscht ist eine offene Struktur, die Einzelmitgliedschaftenvon Personen aller Statusgruppenund Institutionen aus allen interessierten Ländern (insb.Deutschland, Österreich und Schweiz) zulässt. Die Namensfindungder Gruppe wurde nicht abgeschlossen.Vorschläge waren: Gender in TechnoSciences – Geschlechterforschung:Naturwissenschaft: Mathematik:Medizin: Technikwissenschaften oder TechnoSciences– gender in Medizin: Natur: Technik. Schließlich wurdedie Planung einer Kick-Off-Tagung mit dem Arbeitstitel„Frauen- und Geschlechterforschung in den Natur-und Technikwissenschaften sowie Medizin“ fortgesetzt.Die Tagung wird voraussichtlich im April 2006in der TU Berlin stattfinden. Kontakt: Helene Götschel(goetschel@erzwiss.uni-hamburg.de)Die Arbeitsgruppe „Verstetigung der ArbeitstreffenFrauen- und Geschlechterstudien“ hatte in denbeiden Arbeitstagen für die Plenumssitzung ein Papierzu Zielsetzungen, Instrumenten, zur Mitgliederstruktur,Finanzierung und Organisationsform einer Dachorganisationerarbeitet. Die Zielsetzung der Organisation i.Gr. wird in einer stärkeren Positionierung nach innenund außen, z.B. durch die Verstetigung und Weiterentwicklungder Frauen- und Geschlechterstudien, durchwissenschaftspolitische Einmischung, durch den Einsatzfür Forschungsmittel und die Anerkennung vonStudiengängen, durch die Auseinandersetzung mit inhaltlichenDiskursen, Forschungsfeldern und Methodender Gender Studies sowie durch die transversaleStärkung politischer AkteurInnen gesehen. Instrumentesind z.B. regelmäßige zentrale Konferenzen, politischeStellungnahmen, Lobbyarbeit sowie internationale Kooperationen.Mitglieder wären Einzelpersonen, Zentren/Einrichtungen,Arbeitskreise und Verbände. Organisationsformkönnte ein gemeinnütziger Verein sein.Im Plenum entzündete sich an dem Arbeitstitel „BuKo“(Bun<strong>des</strong>konferenz) eine erregte Debatte zu Fragen derZusammenarbeit der an den Arbeitstreffen bisher beteiligtenLänder, die deutlich machte, dass es unterschiedlicheInteressen zu berücksichtigen gilt, die möglicherweiseam besten durch einen offen strukturierten Dachverbandmit Untersektionen repräsentiert werden können.In Anschluss an die Aussprache beschloss das Plenumder Hamburger Tagung, die Gründung einerDachorganisation vorzubereiten. Eine Koordinationsgruppewurde eingesetzt, um diesen Tagesordnungspunktfür die nächste Arbeitstagung vorzubereiten undunter Berücksichtigung der Zielsetzungen bereits bestehenderGruppierungen und Organisationen eine Beschlussvorlageauszuarbeiten. Kontakt: Katja Reichel(KatjaReichel@gmx.de). Darüber hinaus wurde dieGründung einer „Initiative Akkreditierungsverfahren“angeregt, mit dem Ziel, Erfahrungen in Akkreditierungsverfahrenauszutauschen und Studienprogrammeauf ihrem Weg zur Akkreditierung zu beraten und zuunterstützen. Kontakt: Ilona Pache (ilona.pache@gender.hu-berlin.de)Die offene Struktur der Hamburger Arbeitstagungerforderte ein hohes, vielleicht zu hohes Maß an Fähigkeitenzur Selbstorganisation. Im Kontrast hierzu wardie erste Konferenz in Berlin (2003) durch die konzentrierteInput Struktur einer Fachtagung gekennzeichnetgewesen. 1 In Bremen (2004) hatte sich das Pendelin Richtung auf Networking und Selbstorganisationbewegt. Die Veranstalterinnen der Bremer Tagung(2004), das Zentrum für feministische Studien in Bremenund das Zentrum für interdisziplinäre Frauen- undGeschlechterstudien Oldenburg hatten die 2. Arbeitstagungals moderierte open space Konferenz konzipiert.Zur Vorbereitung der nächsten Arbeitstagung ist dieKonferenz der hessischen Zentren und Einrichtungenfür Frauen- und Geschlechterforschung angetreten.Datum und Ort stehen bereits fest: 30. Juni - 1. Juli2006 in Frankfurt am Main. Nun beginnt die konzeptionellePlanung. Anregungen und Vorschläge für Arbeitsformenund die inhaltliche Gestaltung dieser 4. Konferenzsind gerne Willkommen. Kontakt: Margit Göttert(frauen@fb4.fh-frankfurt.de ), Gabriele Herbert( info@ffz-darmstadt.de), Vera Lasch (lasch@unikassel.de),Karola Maltry (maltry@mailer.unimarburg.de),Sabine Mehlmann (Sabine.Mehlmann@sowi.uni-giessen.de), Marianne Schmidbaur(schmidbaur@soz.uni-frankfurt.de).Anmerkung1Die Tagungsbeiträge wurden in dem Sammelband: Zentrumfür transdisziplinäre Geschlechterstudien an derHumboldt Universität zu Berlin (Hg.) (2004): Geschlechterstudienim deutschsprachigen Raum. Studiengänge, Erfahrungen,Herausforderungen. Berlin: trafo, veröffentlicht.Dr. Marianne Schmidbaur,Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, CorneliaGoethe CentrumEmail: schmidbaur@soz.uni-frankfurt.de<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005117


RezensionenAnina Mischau, Mechthild Oechsle (Hgg.):Arbeitszeit – Familienzeit – Lebenszeit: Verlierenwir die Balance? <strong>Zeitschrift</strong> für Familienforschung,Sonderheft 5, VS Verlag für Sozialwissenschaften,Wiesbaden 2005, 221 Seiten,29.90 €, ISBN 3-8100-4167-XSeit Beginn der 1980erJahre wird in den Sozialwissenschaftender Versuchunternommen, Pluralisierungs-und Individualisierungstendenzender sog. postmodernenGesellschaft zu erklären. 1Diese werden einerseitsals Freisetzung aus tradiertenVerpflichtungenund als Erweiterung vonHandlungs- und Optionsmöglichkeitenangesehen; andererseits sind sie Zwang,ständig Selektionen tätigen zu müssen, um das eigeneLeben selbst zu gestalten bzw. die eigene Biografie zubasteln 2 . Individualisierung führt aber nicht notwendigerweisezu Anomie und Regellosigkeit, sondern voneiner eher fremdbestimmten zu einer eher selbstbestimmten,aber hochgradig fragilen, risikobehaftetenOrdnung. Die damit verbundene Debatte um die Stellung<strong>des</strong> Menschen in einer individualisierten Gesellschaftwird in der gegenwärtigen Familienforschunghauptsächlich unter dem Blick geführt, welchen Verlustund welche Unsicherheiten sie für den Einzelnenbirgt. Es finden sich weniger Untersuchungen, die dieneuen Formen von Privatheit, Wandlungsprozessen privaterBeziehungen 3 , neuartigen Bindungen von ArbeitsundFamilienzeit zum Gegenstand erheben. Der vorliegendeBand will mit den darin enthaltenen Beiträgendiese Lücke schließen. Ein Bogen wird gespanntvon Chancen und Risiken neuer Konstellationen zwischenFamilien- und Erwerbstätigkeit (K. Jurczyk etal) über veränderte Anforderungen an abhängig Beschäftigteund die daraus erwachsenen Konsequenzenfür den Familienalltag (K. Jürgens), Veränderungenpartnerschaftlicher Geschlechterarrangements am Beispielvon Alleinselbstständigen in IT- und Medienberufen(A. Henninger), Auswirkungen <strong>des</strong> Wandels inden Zeitstrukturen für das Alltagsleben von Kindern(H. Zeiher), Analyse von Zeitbudgetdaten von 1991/1992 und 2001/2002 im Zusammenhang von Familienzeitals Versorgungszeit (U. Meier-Gräwe, U. Zander),Wandel der Erwerbsarbeit im Hinblick auf Flexibilisierungder Arbeitszeiten und beruflicher Mobilität undderen Auswirkungen auf Partnerschaft und Familie(N.F. Schneider), die Verteilung von Aufgaben <strong>des</strong> Alltags,Zeitverwendung, Wege und Wegezeiten zwischenden Geschlechtern (C. Kramer, A. Mischau), von„Work-Life-Balance“ über „Diversity“ zu Inklusion alsneue Paradigmen in der betrieblichen Personalpolitik(G. A. Erler), über Probleme, die unter den Bedingungender neuen Selbständigkeit in der Arbeit entstehen,der Eigeninterpretation von Selbständigkeit und <strong>des</strong>Umgangs mit der neuen Autonomie in der Arbeit (W.Glissmann) bis hin zu Thesen über die Ursachen undWirkungen in der aktuellen Diskussion zu Arbeitszeitverlängerungenund deren Folgen für die Organisation<strong>des</strong> Familienalltags (J. P. Rinderspacher) und einemLeitbild der zeitbewussten Stadt, lokale Zeitpolitik, Anwendungsfeldernurbaner Zeitpolitik (U. Mückenberger).Alle Beiträge gefallen durch ihren problemorientiertenAnsatz und eignen sich, einmal mehr und einmalweniger, als „Schnupperkurs“ für eine Beschäftigungmit Problematiken und Inhalten der einzelnen Themenbereiche.Sie machen insgesamt deutlich, dass sowohlFamilienleben als auch Familienpolitik nicht auf einerInsel statt finden, sondern immer mit vielen anderenGesellschafts- und Politikbereichen verknüpft sind.Getreu dem Titel <strong>des</strong> Ban<strong>des</strong> ist es unter den heutigenBedingungen <strong>des</strong> sozialen Wandels der Gesellschaft undder damit verbundenen Folgen für das alltägliche Lebenschwierig, eine ausgeglichene Balance in der Wechselbeziehungvon Erwerb und Privatheit herzustellen.Den Autorinnen/Autoren gelingt es, die uneinheitlichen,oft schwer fassbaren Einflüsse und Wirkungeneiner zunehmend entgrenzten Erwerbsarbeit aufzuzeigen.Dies wird facettenreich <strong>des</strong>kriptiv wie auch analytischformuliert. Das Buch wird seinem Anspruch gerecht,deutlich werden zu lassen, dass mit der Entgrenzungvon Arbeit die Neugestaltung <strong>des</strong> Verhältnissesvon Erwerbsarbeit und privatem Lebensbereich ein gesellschaftlichesProblem (ist) wird, das nicht mehr nurauf Frauen beschränkt ist und einer gesellschaftlichenwie politischen Gestaltung bedarf.So wie es in der vorindustriellen Gesellschaft keineTrennung zwischen Familie und Haushalt gab durchdie Hausgemeinschaft <strong>des</strong> Ganzen Hauses als wirtschaftlicherEinheit, so war die Arbeit nach der Industrialisierungein Begriff, der alle Tätigkeiten zur Daseinsvorsorgeim Lebenszusammenhang von Frau undMann beschrieb, obgleich immer Zuschreibungen vonbestimmten Arbeiten zu bestimmten Personen existierten,die an Geschlecht und sozialen Rang gebunden118


Rezensionenwaren. 4 Arbeit als konstitutives Prinzip moderner Gesellschaftenenthält eine Reihe von Wertimplikationen,die sich fast ausschließlich an der Erwerbsarbeit orientiertenund damit an der Familienarbeit vorbei. „Dievielfältigen Leistungen von Familie werden als selbstverständlicheGegebenheit von einer Reihe gesellschaftlicherAkteure abgerufen. Öffentliches Thema werdensie allerdings nur dann, wenn sie – vermeintlich odertatsächlich – nicht mehr erbracht werden oder Problemeauftauchen. Dann tritt eine vielstimmige Familienrhetorik5 auf den Plan, die oftmals in moralisierenderArt und Weise die Familien selbst oder einzelne Familienmitgliederfür die mangelnde Erfüllung von Aufgabenin Haftung nimmt“ (K. Jurczyk et al., S. 14). InIndustriegesellschaften besteht eine Arbeitsorganisation,deren zentrales Merkmal regelmäßige wirtschaftlicheArbeit ist auf der Grundlage eines hochgradig ausdifferenziertenSystems von Arbeitsteilung und Verantwortung.Die Erwerbsarbeit ist bis heute durch Arbeitszeitregelungen,Leistungs- und Lohnsysteme und Arbeitsplatzbewertungenimmer wieder deutlich und umfassendnach normativen Kriterien ausgestaltet undqualifiziert worden anders als die Familienarbeit, diesich als normierungsresistent erweist. Damit ist die Erwerbsarbeitin einer gesellschaftlichen Perspektive allumfassenderArbeitsbegriff und auch die individuellesoziale Sicherung wird beinahe ausschließlich mit demPhänomen der Erwerbsarbeit verknüpft; Familienarbeitbleibt auch heute noch in der gesellschaftlichenWahrnehmung außen vor – „Familiales Handeln (ist)(..) dabei mehr oder weniger eine black box“ (K. Jurczyket al, S. 23) „Im öffentlichen Diskurs wird der Zusammenhangvon Arbeitszeit und Familienleben vor allemals Problem familialer Arbeitsteilung, Kinderbetreuungsangeboteund steuerpolitischer Zielsetzungen behandelt.Veränderungen der Arbeitszeiten im Erwerbslebenwerden als organisatorisches Problem bzw. als Verteilungsfragegedeutet. In der Soziologie gilt die Familie(immer noch – R. St.) als eine Institution, die zentralegesellschaftliche Funktionen erfüllt, wie zum Beispieldie Sozialisation der heranwachsenden Generation unddie Wiederherstellung von Arbeitskraft. Sie wird in bezugauf ihren Wandel analysiert, begrifflich reflektiertund auf ihre Krisenerscheinungen wie z.B. Scheidungenhin geprüft. Demgegenüber erscheint insgesamteher unterbelichtet, was Individuen konkret leisten müssen,um Familienleben tatsächlich herzustellen, umnicht nur strukturellen Anforderungen gerecht zu werden,sondern auch den eigenen und gegenseitigen Wünschenan die Beziehungen“ (K. Jürgens, S. 37). Die Vereinbarkeitvon Erwerbsarbeit und Familientätigkeit istbesonders in Zeiten vorausgesetzter Mobilität vonhöchster Bedeutung, da Mobilitätsforderungen insbesonderedie persönliche Lebensführung und die sozialenBezüge, in denen sich ein Individuum bewegt, mitbestimmen.„Die neuen sich ausbreitenden Formen derArbeitsorganisation beeinflussen unmittelbar das Verhältnisvon Arbeit und Privatleben, von Beruf und Familiein einer ambivalenten und vielfach unbestimmtenForm. So ist die Flexibilisierung von Arbeitszeiteneinerseits ein wichtiger Mechanismus zur besseren Vereinbarungvon Familie und Beruf, sie kann andererseitsauch dazu führen, dass Dauer, Lage und Rhythmus individuellerArbeitszeiten unter den Familienmitgliedernkaum noch zu harmonisieren sind und dadurch dasFamilienleben beeinträchtigen“ (N. F. Schneider, S. 111).An dieser Stelle ist die Ungleichheit zwischen den Geschlechternim Hinblick auf die Art <strong>des</strong> Zeitmanagements,die unterschiedlichen Zeitmuster und der Gradder Selbstbestimmung hinsichtlich der Nutzung derZeit hervorzuheben. „Vor allem die ‚doppelte Vergesellschaftung’(...), d.h. die gleichzeitige Verantwortlichkeitder Frauen für den Bereich der Reproduktion und dieEinbindung in den Arbeitsmarkt, führt zu der bekannten„Doppelbelastung“ von Frauen und damit auch zuUngleichheiten in (den freien Möglichkeiten) der Zeitverwendungder Geschlechter“ (C. Kramer, A. Mischau,S. 127). Der Zeitaufwand für Wege zur Arbeit bzw. fürHaushalt und Kinder zeigt die klassische Rollenverteilungzwischen den Geschlechtern auf. „Das ‚GewichtArbeitsweg’ (schlägt) bei den Männern auf Grund ihrerVollzeit Erwerbstätigkeit wesentlich stärker zu Buche(...) und umgekehrt (zeigt) auf der Seite der Frauen‚das Gewicht Haushalts- und Kinderwege’ unveränderteWirkung (...)“ (C. Kramer, A. Mischau, S. 148). „HauswirtschaftlicheTätigkeiten nehmen in der Diskussionum geschlechtsspezifische Arbeitsteilung einen besonderenStellenwert ein“ (U. Meier-Gräwe, U. Zander, S.98). Bei der Betrachtung der Familienzeit als Versorgungszeitentsteht folgen<strong>des</strong> Bild, dass sich „vom Umfangder zeitlichen Gesamtarbeitsbelastung her betrachteteine tendenziell stärker ausgewogene Arbeitsteilungzwischen den Geschlechtern in der Hauswirtschaft abzeichnet.Innerhalb der Gruppe der Männer jedoch treffenwir auf eine zunehmende Polarisierung: immer wenigerMänner legen Hand im Haushalt an, wobei dieWenigen (bspw. männliche Singles aller Altergruppen,Väter bzw. Partner Vollzeit erwerbstätiger Mütter) mehrHausarbeit leisten (...) Obgleich sich die Arbeitszeitvolumenbeider Geschlechter (...) angenähert haben, leistenFrauen täglich allerdings noch immer fast doppeltsoviel Hausarbeit wie die Männer“ (U. Meier-Gräwe,<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005119


RezensionenU. Zander, S. 108). „In den Debatten zum Verhältnisvon Arbeitszeiten und Familienzeiten erscheinen Kindergewöhnlich nur als Auslöser von Zeitproblemenihrer Eltern“ (H. Zeiher, S. 74). Die Akzeptanz <strong>des</strong>Kin<strong>des</strong> als eigenständiges Subjekt hat seit den 1980erJahren zu einer Soziologie der Kindheit geführt, diedie Teilhabe am Sozialstaat und die Wahrnehmung derKinder im gesamtgesellschaftlichen Raum reflektiert(siehe H. Zeiher, S. 80). „(...) Kinder (leben) nicht jenseitsder Zeitverhältnisse (...), die in der Alltagswelt derErwachsenen vorherrschen, und das bedeutet in unsererGesellschaft vor allem nicht jenseits der Zeitverhältnisseder Arbeitswelt. Die gesellschaftlichen Strukturender Kindheit befinden sich gegenwärtig im Umbruch:Die Kindheitsstrukturen der Moderne habendie Haufrauenfamilie vorausgesetzt, jetzt erodiert diesesFamilienmodell. Die Veränderungen in der Arbeitsteilungzwischen den Geschlechtern treffen zusammenmit den aktuellen Veränderungen der Zeitverhältnissein Wirtschaft und privatem Alltag. (..) Gegenwärtig entstehendie zeitlichen Alltagsbedingungen für Kinderaus dem Aufeinanderprallen der jeweils eigenen Funktionslogikvon zwei Instanzen: einerseits der Wirtschaft,die die Arbeitszeiten der Erwachsenen an ökonomischerEffizienz orientiert, und andererseits der Kinderinstitutionen,die ihre Zeiten an ihren eigenen Prinzipiender Behandlung von Kindergruppen sowie an den Bedürfnissen<strong>des</strong> Personals ausrichten“ (H. Zeiher, S. 86).„Die Gesellschaft der Zukunft wird nicht umhin kommen,die Erwerbstätigkeit beider Eltern endlich als denNormalfall anzuerkennen und abzustützen, der er zunehmendist, im Betrieb und außerhalb“ (G. A. Erler,S. 163f.). Denn in einer „postmodernen Wissens- undKreativgesellschaft wächst der Anteil der Arbeitsvorgänge,die nicht an einem festen Zeitschema, an festenOrten und zu festen Zeiten durchgeführt werden müssenoder können. Es wächst auch der Anteil anNacht-, Wochenend- und Schichtarbeit, an zeitweiserund längerfristiger Mobilität, an Paaren mit unterschiedlichenLebensorten. Dies alles führt zu neuen Spannungen,zu Konflikten im privaten Umfeld. Aber es istunsinnig, darauf nur mit Fantasien einer straff geordnetenArbeitswelt mit klaren zeitlichen und örtlichen Konturenzu reagieren. Wir haben es vielmehr mit einemlernenden System von Arbeit und Privatleben zu tun –die beide durch die technische Evolution neu miteinanderverzahnt werden und sich wechselseitig beeinflussen“(G. A. Erler, S. 160).Diese Aussage von Erler kann als Gesamtcredo <strong>des</strong>vorliegenden Ban<strong>des</strong> gelten. Ein empfehlenswertesBuch, das viele Fragen unserer schnelllebigen Zeit aufgreift,Antworten zu geben versucht, aber gleichzeitigauf neue Probleme aufmerksam macht. Für die Herstellungeiner ausgewogenen Balance von Arbeitszeit – Familienzeit– Lebenszeit bedarf es vieler Gewichte, großerwie kleiner, und neuer Arrangements in Ort undZeit.Weiterführend sei es gestattet darauf hinzuweisen,dass ein stärkerer Bezug auf den Zusammenhang vonGesellschaft, Familie und Recht in diesem Diskurs (unddamit auch im vorliegenden Sammelband) wünschenswert(gewesen) wäre, insbesondere auf institutionelleRahmenbedingungen, die quasi das Korsett, den Ordnungsrahmenbilden. Dieser Einwand soll darauf aufmerksammachen, dass gerade die rechtliche Ausgestaltungmoderner Gesellschaften, insbesondere durch dasTarifrecht, eine differenzierte Auseinandersetzung mitfamilienpolitischer Einflussnahme und ihre Verortungin einem umfassenden gesellschaftlichen ordnungspolitischenDiskurs fordert. Erst dann eröffnen sich Möglichkeiten,das gesellschaftliche Dilemma und die sichtbarenund unsichtbaren Widersprüche aller familienpolitischenund letztlich zeitbezogenen politischen Einflussnahmen(Diskussionen um Arbeitszeitverlängerungoder -verkürzung, Verlängerung der Lebensarbeitszeit,kollektives und individuelles Handeln bei derAusbalancierung von Zeit im Erwerbs- und Alltagsleben)zu erklären und Lösungsansätze zu finden. Dennes existiert, so K. Jurcyk et al. (S. 27) „kein direkterkausaler Pfad von äußerlichen Bedingungen – Arbeitszeitregelungen,sozialstrukturelle Milieu – hin zuden Mustern der Lebensführung und den Deutungen(...). Allerdings zeigen sie bei allen Hinweisen auf Autonomiespielräumegleichzeitig deutliche Grenzen individuellerund familialer Bewältigung der schleichenden,gleichwohl wirksamen Entgrenzung auf. Werden alsoFamilienhaushalte in ihren Bemühungen, mit dem sozialenWandel aktiv umzugehen, nicht systematisch sozial-wie gesellschaftspolitisch unterstützt, steht zu befürchten,dass die Bilanz für die Familien selbst langfristiggesehen negativ ausfallen wird.“Anmerkungen1Siehe dazu ausführlich u.a. Beck, U.: Risikogesellschaft. Aufdem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main 1986.2Vgl. Hitzler, R./Honer, A.: Bastelexistenz. Über subjektiveKonsequenzen der Individualisierung, in: Beck, U./ Beck-Gernsheim, E.: Riskante Freiheiten, Frankfurt am Main 1994,S. 307-315.3Vgl. Bertram, H.: Individuen in einer individualisiertenGesellschaft; in: Bertram, H. (Hg.): Das Individuum und seineFamilie. Lebensformen, Familienbeziehungen und Le-120


Rezensionenbensereignisse im Erwachsenenalter, Opladen 1995, S. 9-34.4Vgl. Weber-Kellermann, I.: Die deutsche Familie. Versucheiner Sozialgeschichte, Frankfurt am Main 1974.5Zum Begriff der Familienrhetorik siehe Lüscher, K.:Familienrhetorik, Familienwirklichkeit und Familienforschung;in: Vaskovics, L. A. (Hg.): Familienleitbilder undFamilienrealitäten, Opladen 1997, S. 50-69.Rita Stein-RedentInterdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung(<strong>IFF</strong>), Universität Bielefeld,Email: rita.stein-r@uni-bielefeld.deKatharina Fleischmann und Ulrike Meyer-Hanschen: Stadt Land Gender. Einführung inFeministische Geographien, Königstein/Taunus2005, Ulrike Helmer Verlag, 197 Seiten, 22.- €,ISBN 3-89741-179-2In dem 2005 erschienenen Buch haben sich die beidenGeographinnen Katharina Fleischmann und UlrikeMeyer-Hanschen zurAufgabe gemacht, diein der Geographievernachlässigte AnalysedimensionGeschlechtstärker in denVordergrund zu rücken.In ihrem Buchumschlagtextkündigendie beiden Autorinnenan: „Umräumliches Handelnund Wirken allgemeinerzu erfassen, schließenfeministische Ansätzejetzt <strong>Info</strong>rmationslücken“.Dazu stellen sie in ihrer Einführung in feministischeGeographien sowohl grundlegende Theorienund Ansätze als auch zahlreiche empirische Arbeitenzu diesem Thema vor. Als Zielgruppe <strong>des</strong> Bucheswerden vor allem Geographinnen und Geographen genannt,aber es ist auch für interessierte Wissenschaftlerinnenanderer Disziplinen gedacht. Die Ideezu diesem Buchprojekt wurde bereits vor knapp zehnJahren geboren, aus wohl unterschiedlichen Gründenhaben die Autorinnen mehrere Jahre nicht daran arbeitenkönnen.Das Buch ist in sechs Kapitel gegliedert, die mit ansprechendenÜberschriften zum Lesen einladen. Soheißt das erste Kapitel „Das feministische Starter-Kitfür Entdeckerinnen“, in dem eine Einführung in feministischeTheorien und Praxis erfolgt. Es beginnt miteinem historischen Abriss von Frauenbewegungen undfeministischer Politik (vor allem im deutschsprachigenRaum), wobei der zentrale Begriff <strong>des</strong> Feminismus definiertwird und die wichtigsten Strömungen <strong>des</strong> Feminismus(z.B. Gleichheitsansatz, Differenzansatz, poststrukturalistischerFeminismus) knapp und dennoch gutverständlich dargestellt werden. Nach einem kurzen Abschnittüber Frauenbewegungen und Wissenschaftschließt die Einführung mit einer Erklärung der Begriffe„Frauen-, Geschlechter- und feministische Forschung“,so dass die Leserin oder der Leser begrifflichgut „gerüstet“ weiter in vielleicht „unbekannten Räume“reisen können.In Kapitel zwei über „Feministische Geographi(nn)en:Berichte aus einem ‘anderen’ Land“ werdenAnsätze der Frauenforschung in der Geographieund feministische Geographien vorgestellt. Zum Einstiegin das Thema wird die – zugegebenermaßenschwierige – Frage „Was ist Geographie“ aufgeworfenund mit einer Definition, die zwischen physischer Geographie(Forschungsobjekt: Naturlandschaft) und Anthropogeographie(Forschungsobjekt: Kulturlandschaft)unterscheidet, beantwortet. An dieser Stelle erscheintmir die sicherlich notwendige Vereinfachungein wenig zu kurz geraten. Auch wenn in einem Satzauf die Diskussion der „Neuen Kulturgeographie“ verwiesenwird, so hat doch die im vergangenen Jahrzehntintensiv geführte fachinterne Diskussion um einengrundsätzlichen Perspektivenwechsel von der Geographieals handlungsorientierter Raumwissenschaft zurGeographie als „raumorientierter Handlungswissenschaft“(nach Werlen 2000, S. 354) zur Folge, dass inder Geographie durch diese neue Ausrichtung mehrRaum für feministische Ansätze in der Sozialgeographieentsteht. Dieser Aspekt wäre m.E. erwähnenswert gewesen,nicht zuletzt auch, um Interessentinnen und Interessentenaus den benachbarten Sozialwissenschaftenan dieser wichtigen Entwicklung teilhaben zu lassen.Dennoch bietet das Kapitel insgesamt einen gutenÜberblick über feministische Geographien und dieinstitutionellen Geschichten, die ganz entscheidend fürdie Entstehung bestimmter „Frauen-Räume“ in derGeographie sind.<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005121


RezensionenKapitel drei mit der Überschrift „Eine Wolke ist eineWolke und ein Gletscher ist ein Gletscher, doch dazwischenist alles im Fluss“ beschäftigt sich mit feministischenAnsätzen in der Physischen Geographie undleitet dazu mit einem Abschnitt über die feministischeNaturwissenschaft(skritik) ein. Die Ausführungen zusolch zentralen Themen wie dem Objektivitätspostulatoder dem Einsatz der Sprache in den Naturwissenschaftensowie die daran anschließende Darstellung der (nuransatzweise vorhandenen) feministischen physischenGeographie stellen einen gelungenen Ansatz dar.In Kapitel vier folgen unter der Überschrift „ZwischenA(blation) und Z(wergstadt) ist viel Raum fürFrauen- und feministische Forschung“ zahlreiche Themenbeispielefür die – im Vergleich zur physischen Geographie– deutlich stärker ausgeprägte und vielseitigerefeministische Forschung in der Anthropogeographie.Die Autorinnen stellen die ihnen bekannten Qualifikationsarbeitensowohl im Überblick als auch in zwanzigvon den Autorinnen selbst erstellten Kurzfassungenvor. Die Vielfalt dieser Arbeiten ist beeindruckend, jedochmuss angemerkt werden, dass es zum einen durchdie Beschränkung auf Qualifikationsarbeiten (viele früheArbeiten entstanden in kleineren Projekten und Arbeitsgruppen)und zum anderen durch das – verständlicherweise– subjektiv bestimmte Sichtfeld der Autorinnenzu einer Auswahl der Arbeiten gekommen ist, dienicht alle bearbeiteten Bereiche der feministischen Geographiegleichermaßen gut abdeckt. So wird z.B. dieEntwicklungsländerforschung zu Recht hervorgehoben,jedoch die zahlreichen wichtigen Arbeiten derGeographinnen in der Stadt- und Regionalplanung oderim Rahmen der FOPA (Feministische Organisation derPlanerinnen und Architektinnen) hätten hier auch einenPlatz finden können, ebenso wie ein Verweis aufwichtige Arbeiten zu Raum&Gender-Themen in denNachbardisziplinen (z.B. von Ruth Becker (Volkswirtinund Planerin) oder Marianne Rodenstein (Soziologin)).Die vorgestellten Beispiele sind unter die ThemenStadt- und Verkehrsforschung, Arbeitsmarktforschung,Ältere Frauen, Entwicklungsländer- und Orientforschung,Migrationsforschung, Frauen im ländlichenRaum und Landwirtschaft-Naturschutz-Ökologie sowieWissenschaftstheorie und Raumkonzeptionen geordnetund zeigen die beeindruckende Bandbreite derAnwendungsmöglichkeiten feministischer Ansätze inder Anthropo- oder Humangeographie.Die „Berg- und Talfahrten durchs feministisch-geographischeFeld“ sind Thema in Kapitel fünf, in demzwei Geographinnen den Forschungsablauf ihrer beidenQualifikationsarbeiten darstellen, wobei besonderesAugenmerk auf das „Wie“ ihrer Arbeiten gelegtwird. Die beiden Interviews wurden 1996 durchgeführt;ihre biographischen Angaben wurden allerdings aktualisiert.Im besten Sinne feministischer Praxis kommenhier die „Betroffenen“ selbst zu Wort, so dass ein unmittelbaresBild ihrer Art <strong>des</strong> feministischen Denkensund Forschens entstehen kann. Die Tatsache, dass dieseInterviews beinahe zehn Jahre alt sind, ist zwar fürdie dort vorgestellten Arbeiten nicht von Bedeutung,allerdings hat sich insgesamt das Arbeiten als feministischeGeographin in diesem Zeitraum m.E. verändert.So wäre entweder ein „Update“ mit den beiden Wissenschaftlerinnenoder Gespräch mit einer Geographinaus der derzeitigen Forschungslandschaft wünschenswertgewesen (Frau Meier Kruker erlangte schließlichbald nach dem Interview eine Professur und verließsechs Jahre später von sich aus die Hochschule).Im letzten Kapitel „Drei Dinge braucht die Frau:Feminismus, Geographie und Praxis“ über feministisch-geographischePraxis im außeruniversitären Bereichkommen erneut zwei „Betroffene“ zu Wort, dieals Diplom-Geographinnen in der Praxis zum einenim Frauenreferat der Stadt Frankfurt a.M. und als Frauenbeauftragtein Rodgau 1996 tätig waren. Dieser Blickauf die Praxis ist wichtig, auch wenn er – was die Umsetzbarkeitfeministischer Ansätze angeht – ab und anwohl recht ernüchternd ist. Im Ausblick fassen die beidenAutorinnen zusammen: „Feministische Geographienbewegen sich nach wie vor zwischen Institutionalisierungan einigen wenigen deutschsprachigen Geographie-Institutenund Marginalisierung bzw. völligerIgnorierung“ (S. 184). Diese Einschätzung kann ichdurchaus teilen, wobei ich bei aller „Feminismus-Müdigkeit“(vor allem unter Studierenden) durchaus hoffnungsvolleAnsätze hinsichtlich einer weiteren Institutionalisierungfeministischer Ansätze in der Geographiesehe.In einer zusammenfassenden Beurteilung würde ichvor allem die beiden ersten Kapitel als sehr gut gelungenbezeichnen. Sie sind klar und knapp formuliert undbieten einen guten Einstieg. In Kapitel zwei hätte einkurzer Ausflug in die wichtigsten englischsprachigenArbeiten (Massey, Monk, Momsen usw.) das Bild vervollständigt.Grundsätzlich ist die Idee, die Autorinnender vorgestellten Werke und die Wissenschaftlerinnenfür ihren Arbeitskontext selbst sprechen zu lassen, gutumgesetzt; somit bietet das Buch ein buntes Spektruman Inhalten. Dennoch hätte ich mir am Ende der Kapitelab und an eine zusammenfassende „Klammer“ gewünscht.Dass aufgrund der Unterbrechung der Bearbeitungvon fast sechs Jahren die ausführlich besproche-122


Rezensionenne Literatur 1997 endet, wird durch aktuelle Literaturzusammenstellungenzwar korrigiert, ist aber insgesamtbedauerlich.Die angesprochene Breite feministischer Geographienvon ihren theoretischen „Wurzeln“ über die unterschiedlichenwissenschaftlichen „Zweige“ bis hin zuden verschiedenen „Blüten“ und den planerischen„Früchten“ ist den Autorinnen dennoch gut gelungen.Insgesamt füllt das Buch als Einführung in feministischeGeographien eine Lücke und ist somit sowohl Einsteigerinnenals auch Fortgeschrittenen zu empfehlen.LiteraturWerlen, Benno: Sozialgeographie, Bern/Stuttgart/Wien 2000.Caroline KramerLudwig-Maximilians-Universität München, Department fürGeo- und Umweltwissenschaften – Sektion GeographieEmail: kramer@zuma-mannheim.deValeska Lübke: CyberGender. Geschlecht undKörper im Internet, Ulrike Helmer Verlag,Königstein/Taunus 2005, 269 Seiten, 26.95 €,ISBN 389741175XVirtuelle Welten werdennicht nur von Science-Fiction-Autorenerschaffen,sie existieren bereits inForschungslaboren, inSchulungssimulatoren fürPiloten und in militärischenEinrichtungen, woSoldaten sich im Häuserkampfmit virtuellen Feindenmessen. Auch das Internetgestaltet sich als virtuellerRaum. In der Netzweltkönnen sich Menschen treffen, miteinander spielen,kommunizieren und sich dabei eine Gestalt unabhängigvon ihrem real existierenden Körper und Geschlechtgeben.Werden im Internet traditionelle Grenzziehungen vonMann-Frau, Mensch-Maschine und Realität-Virtualitätbeibehalten? Kann das subversive Potential <strong>des</strong>Internets die Kategorie Geschlecht und damit verbundeneGrenzziehungen grundlegend verändern? Unterscheidensich Frauen und Männer beim Zugang undder Nutzung der Netzwelt? Dies sind Fragen, die ValeskaLübke in ihrer Dissertation „CyberGender. Geschlechtund Körper im Internet“ erörtert. Mit einertheoretischen und einer empirischen Ebene verknüpftsie in ihrer Arbeit Geschlechter-, Körper- und Raumsoziologiemit dem „Phänomen Internet“.Der theoretische Teil <strong>des</strong> Buches beginnt mit einerErläuterung der konstruktivistischen Perspektiven derpostmodernen Genderforschung auf die „KategorieGeschlecht“. Hier stellt Lübke unter anderem sehr anschaulichden Ansatz von Judith Butler dar. Auch derBlickwinkel der Technoscience, die von einem Konstruktivismusausgehen, der die biologische „Sex-Kategorie“sowie nicht-humane Dinge, wie technische Geräte,oder auch Tiere mit einschließt, wird im erstenKapitel dargelegt. Zusammenfassend stellt Lübke fest,dass neben Gender- auch Sex-Konzepte als Diskurseffektezu betrachten sind. Die physische Abwesenheitin bestimmten Formen computervermittelter Kommunikationlädt ihrer Ansicht nach dazu ein, solche konstruktivistischenPerspektiven zu erfahren.Im zweiten Kapitel „Reale und virtuelle Körper“werden Formen anonymer, computergestützter Kommunikation(CMC) und die Möglichkeiten virtuellerKörperdarstellungen und -sprache vorgestellt. Lübkehebt hier hervor, dass die Interaktion im virtuellenRaum aufgrund der Anonymität der Beteiligten demGeschlecht vorausgeht: „Gender muss in CMC nichtals pre-formed sonder per-formed betrachtet werden“(S. 49).Am Beispiel von Lara Croft – für Lübke eine Neukopplungvon Sex und Gender in Form eines stereotypenmännlichen Charakters mit einem überzogen dargestelltenweiblichen Körper – macht sie deutlich, wievirtuelle Figuren Wahrnehmung beeinflussen und dieUnterscheidbarkeit von Virtualität und Realität verschwimmenkann. Das „Phänomen Lara Croft“ warzunächst ein Phantasieprodukt von Spiel<strong>des</strong>ignerInnen,hat durch mehrere Verfilmungen eine reale Gestaltdurch die Verkörperung der Schauspielerin AngelinaJolie angenommen und wird von zahlreichen Fans, bishin zur chirurgischen Brustvergrößerung, nachgelebt.Aus einer virtuellen Figur sind viele „real existierende“Lara Crofts entstanden. Lübke konstatiert, dass virtuelle(Körper-)Inszenierung sich auf reale Körperlichkeitund alltagsweltliche Wahrnehmung auswirken, virtuelleErfahrungen somit Einfluss auf soziale Wirklichkeitennehmen. Dies belegt sie auch durch das Verhaltenvon virtuellen RollenspielerInnen, die bekennen, dass<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005123


RezensionenSie ihre reale Körperinszenierung dem virtuellen Körperaus dem Spiel angleichen.Das dritte theoretische Kapitel befasst sich mit Konzeptenvon Raum. Lübke vermutet hier zu Recht, dassErfahrungen in und mit virtuellem Raum Wahrnehmungvon Raumkonzeption verändert. Sie verweist darauf,dass vor dem Hintergrund der Virtualität ein relativistischesRaumverständnis zunehmend an Bedeutunggewinnen wird.Im empirischen Teil der Dissertation werden in denKapiteln „Bun<strong>des</strong>deutsche Internetpopulation“ und„Netz als Gender-Werkstatt“ Ergebnisse empirischerUntersuchungen anderer Forscherinnen vorgestellt.Lübke arbeitet hier heraus, dass das Internet augrundseines kommunikativen Charakters die „männliche“ Besetzung<strong>des</strong> Computers aufhebt, da es traditionelleweiblich konnotierte Bereiche bedient und es sich alsRaum mit weiblichen Strategien sehr gut aneignen lässt.Diese These wird untermauert durch steigende Nutzerinnenzahlen,sowie durch die zunehmende Anzahl undEtablierung „weiblicher Netz-Inhalte“. Die Möglichkeit<strong>des</strong> virtuellen Genderswappings, z. B. im Chat, eröffnetnach Ansicht Lübkes ein interessantes Forschungsfeld:„Macht man sich die Anonymität der Teilnehmer/innenmethodisch zu Nutze und betrachtetdie Individuen im Chat als performative Inszenierungim Sinne Butlers, ließen sich neue Kategorien entwickeln“(S. 163)Im letzten Teil der Arbeit „Wie Chatterbots Menschenwerden“ stellt sie die Ergebnisse einer von ihrselbst durchgeführten explorativen Studie vor. In derUntersuchung werden drei anthropomorph konzipierte,konversationsfähige Softwareagenten (auch Chatterbotsgenannt) hinsichtlich der im theoretischen Teilerörterten Kategorien Geschlecht, Körper und Raumbetrachtet. Anhand von sehr unterhaltsamen Beispieldialogenmit „Leo, dem Barkeeper“, „Pia, der persönlichenInternet-Assistentin“ und „Quincy, dem Portier“,drei Chatterbots, die auf kommerziellen Webseiten zumKauf animieren sollen, zeigt Lübke, dass die Verwischungder Grenze zwischen Mensch und Maschineoffenbar als weniger beunruhigend empfunden wird,als die Auflösung der Geschlechtergrenze, zumin<strong>des</strong>tvon den Konstrukteuren und Konstrukteurinnen dieserSoftwareagenten.Diese Schlussfolgerung Lübkes ist nahe liegend, abernicht weiter verwunderlich. Für EntwicklerInnen kommerziellerChatterbots ist die Überschreitung derMensch-Maschine Grenze – im Gegensatz zur Auflösungder Geschlechtergrenze – ein alltägliches Geschäft,versuchen sie doch möglichst menschlich wirkende Gesprächspartnerzu erschaffen. Virtuelle Rollenspiele undChats, in denen man sich eine Identität unabhängig vonder Alltagswelt schaffen kann, sind als „Gender-Forschungsfeld“,wie von Lübke selbst angeregt, sicherlichbesser geeignet.Als Konsequenz fordert Lübke für die weitere Erforschung<strong>des</strong> Cyberspace eine stärkere interdisziplinäreZusammenarbeit von Naturwissenschaft und Technik,die Öffnung der Soziologie in Bezug auf Themen der<strong>Info</strong>rmatik und Softwareentwicklung und die Berücksichtigungder Genderperspektive in der Sozionik. AlsHerausforderung sieht sie die Entwicklung von Methoden,„die unbewusste Selbstverständnisse sowie unreflektierteAnnahmen und Leitbilder, auch und geradehinsichtlich der Geschlechterkategorie, aufdecken unddas Potential <strong>des</strong> CyberGender nutzen“ (S. 224).Die Arbeit von Valeska Lübke gibt interessanteDenkanstöße, vor allem die theoretische Ebene <strong>des</strong>Buches ist gelungen, für Nicht-SoziologInnen abernicht leicht zu lesen. Der empirische Teil fällt etwas ab,vor allem der Teil über die Internet-Population ist aufgrundder zahlreichen Statistikangaben etwas ermüdendzu lesen. Die von ihr durchgeführte Studie ist laut Lübke„ein Versuch, die Soziologie für die Chatterbots undihre sozialen Implikationen zu interessieren“ (S. 180).Vor diesem Hintergrund ist die Wahl der Betrachtungkommerzieller Softwareagenten nachzuvollziehen, dadurch ihre leichte Zugänglichkeit auch technisch wenigerBeschlagene einen Zugang zu der Thematik durchpures Ausprobieren finden können. Es bleibt zu hoffen,dass dieses Unterfangen gelingt und weitere Studienfolgen.Sonja NeußInterdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung(<strong>IFF</strong>), Universität Bielefeld,Email: sonne.neuss@uni-bielefeld.de124


RezensionenRuth Becker und Beate Kortendiek (Hgg.):Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung.Theorie, Methoden, Empirie, Reihe „Geschlechtund Gesellschaft“ Band 35, VS Verlag für Sozialwissenschaften,Wiesbaden 2004, 736 Seiten,34.90 €, ISBN 3-8100-3926-8Einleitende BemerkungenDie Frauen- und Geschlechterforschung widmet sichseit nunmehr gut 30 Jahren der Transformation <strong>des</strong>hegemonialen Wissenschaftsdiskursesund <strong>des</strong>senDeutungsmonopols.In Deutschland aberauch international hat siedabei wesentlich zu einerkritischen Wissenschaftsreflexion,demAufdecken androzentrischerGrundlagen dereinzelnen Disziplinen,der Reformulierung <strong>des</strong>wissenschaftlichen Begründungszusammenhangesund der Neuformulierung<strong>des</strong> wissenschaftlichen Entdeckungszusammenhangesbeigetragen. Durch die Frauen- und Geschlechterforschunghat die Erkenntnis, dass Geschlechterverhältnissegrundlegende gesellschaftliche StrukturierungsundOrganisationsformen darstellen, zunehmend Eingangin die unterschiedlichsten Einzelwissenschaftengefunden und deren Diskurse, Forschungsfragen undLehrinhalte beeinflusst. Im Prozess ihrer Etablierung,Professionalisierung und Institutionalisierung, hat siesich selbst mehr und mehr theoretisch, methodisch undinhaltlich ausdifferenziert und dabei auch immer wiederkritischen Selbstreflexionsprozessen unterworfen. 30Jahre sind eine lange Zeit und es war längst überfällig,die Entwicklung, den aktuellen Stand und offene Fragender Frauen- und Geschlechterforschung in einemKompendium zu dokumentieren.Das nunmehr vorliegende mehr als 700 Seiten umfassendeHandbuch ist im Kontext <strong>des</strong> 1986 gegründetenNetzwerks Frauenforschung NRW entstanden undwurde von Ruth Becker und Beate Kortendiek, denbeiden Koordinatorinnen dieses Netzwerks, herausgegeben.Finanziell wurde die Herausgabe <strong>des</strong> Handbuchsvom Ministerium für Wissenschaft und Forschung <strong>des</strong>Lan<strong>des</strong> Nordrhein Westfalen unterstützt. Mit demHandbuch verbinden die beiden Herausgeberinnen dasAnliegen, „einen Überblick über die theoretischenAnsätze, die methodischen Verfahren und die empirischenErkenntnisse der Frauen- und Geschlechterforschungzu geben, da ein solcher Überblick trotz einerinzwischen sehr regen Publikationstätigkeit der Frauen-und Geschlechterforschung bisher im deutschsprachigenRaum noch fehlt.“ (S. 11) Die Herausgeberinnenhaben hierfür insgesamt 91 Wissenschaftlerinnen undvier Wissenschaftler, vorrangig aus Deutschland, abervereinzelt auch aus Österreich, Schweden, Australien,den Niederlanden und den USA gewinnen können. DerenEinzelbeiträge, die jeweils sechs bis acht Seiten umfassen,bieten insgesamt betrachtet einen beeindruckendenÜberblick in die Breite, Tiefe und Dichte der Entwicklungund <strong>des</strong> Stan<strong>des</strong> der Frauen- und Geschlechterforschung,genauer gesagt in die sozialwissenschaftlicheFrauen- und Geschlechterforschung.Und damit ist bereits ein wesentlicher Kritikpunkt andiesem Handbuch benannt. Zwar konstatieren auch diebeiden Herausgeberinnen in ihrer Einleitung, „dass dasHandbuch trotz seines Umfangs den Forschungszusammenhangder Frauen- und Geschlechterforschungnicht vollständig erfasst“ (S. 12), dies wäre m. E. nichtnur ein überhöhter Anspruch, sondern auch ein kaumumzusetzen<strong>des</strong> Vorhaben gewesen. Dennoch: Die angestrebteInterdisziplinarität oder der Blick über dieSozial- und Gesellschaftswissenschaften hinaus ist nichtwirklich eingelöst. Damit wurde zum Teil die Chancevertan, die Entwicklung, den aktuellen Stand und offeneFragen der Frauen- und Geschlechterforschung inihrer disziplinären Breite und in ihrem interdisziplinärenZusammenhang und Wirken zu dokumentieren.Diskussionen, Fragestellungen und Erkenntnisse ausgeistes- oder kulturwissenschaftlichen Disziplinen sindz. B. deutlich unterrepräsentiert. Besonders zu bedauernist dies z.B. im Hinblick auf die Philosophie, in derdie Frauen- und Geschlechterforschung viele entscheidendewissenschaftstheoretische Diskurse geführt hat;Diskurse, die weit in andere Disziplinen hineingewirkthaben und bis heute wirken und hier viel zu kurz kommen.Auch die Natur- und Technikwissenschaften fehlenin diesem Handbuch nahezu gänzlich. Dies ist ein großesVersäumnis und dokumentiert zum wiederholtenMale, dass die Frauen- und Geschlechterforschung, diees in diesen Disziplinen ebenfalls seit gut 30 Jahrengibt und die dabei viele innovative interdisziplinäre Brückengeschlagen hat, (zumin<strong>des</strong>t im deutschsprachigenRaum) nicht wirklich wahrgenommen wird. Die Aufnahmeeinzelner Beiträge zur kritischen Auseinandersetzungmit den Geschlechterkonstruktionen innerhalbdieser Disziplinen (Science and Technology of Gender)und die methodisch-epistemologischen Vorgehenswei-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005125


Rezensionensen dieser Fächer (Gender in Science and Technology)hätte das Handbuch nicht nur abgerundet, sondernauch einen innovativen Beitrag hin zu einem interdisziplinärenDiskurs geleistet.Dass solche Arbeiten auch in diesem Handbuch, wieim Diskurs der deutschsprachigen Frauen- und Geschlechterforschunginsgesamt, nur eine untergeordneteRolle spielen, liegt m.E. vor allem an folgendenPunkten: 1. an der Dominanz der Sozial- und Geisteswissenschaftlerinnenin der deutschsprachigen Geschlechterforschungund ihrer z.T. vorhandenen Berührungsängstebzw. ihrer bewussten oder unbewusstenVorbehalte gegenüber den Natur- und Technikwissenschaftenund deren Wissenschaftsverständnis und-praxis und 2. an einem fehlenden Austausch zwischenVertreterinnen einer Geschlechterforschung in den Natur-und Technikwissenschaften mit jenen der SozialundGeisteswissenschaften – einem Austausch, der sowohlder Unterschiedlichkeit dieser Denktraditionenvorurteilslos Rechnung tragen kann und auch die gemeinsamenErkenntnisinteressen hervorzuheben vermag.Deshalb wäre es wirklich wünschenswert, wennbei der geplanten Neuauflage <strong>des</strong> Handbuchs eine Erweiterungauf Beiträge aus der Geschlechterforschungnaturwissenschaftlicher oder technischer Disziplinenbeinhalten würde.Bezogen auf die sozial- und gesellschaftswissenschaftlicheFrauen- und Geschlechterforschung ist dasHandbuch jedoch in vielfacher Hinsicht eine wahre„Fundgrube“ und hat gute Chancen, zu einem Standardwerkfür VertreterInnen dieser Disziplinen, unddabei gleichermaßen für Lehrende, Forschende wie Studierende,zu werden. Das Handbuch gliedert sich indrei große Abschnitte, die im Folgenden grob umrissenwerden sollen.Zentrale Fragestellungen und TheoriekonzepteDer erste Teil <strong>des</strong> Buches widmet sich zentralen Fragestellungenund Theoriekonzepten der Frauen- und Geschlechterforschung.18 Beiträge beleuchten zunächstunterschiedliche „Konzepte zum Geschlecht“, wobeidie Einzelbeiträge soweit als möglich chronologisch geordnetwurden, um Entwicklungsstränge der Theoriediskussionund der Theoriebildung nachvollziehbar zumachen. Die Bandbreite der Einzelbeiträge, viele vonihnen verfasst von (zumeist) Autorinnen 1 , die (zumin<strong>des</strong>tfür den deutschsprachigen Raum) als Mitbegründerinnenoder Hauptvertreterinnen oder Rezipientinnender jeweiligen Theoriediskurse und -strömungengelten, geht dabei z.B. von Beiträgen über das Patriarchat(Eva Cyba) und Matriarchat (Heide Göttner-Abendroth),den Französischen und Sozialistischen Feminismus(Ingrid Galster, Frigga Haug), den Sekundärpatriarchalismus(Ursula Beer), die doppelte Vergesellschaftungvon Frauen (Regina Becker-Schmidt), den Subsistenzansatz(Andrea Baier) über Beiträge zur Weiblichen Moral(Gertrud Nummer-Winkler), zur Mittäterschaft von Frauen(Christina Thürmer-Rohr), zur Lesbenforschung undQueer Theorie (Sabine Hark) bis hin zu Beiträgen überdie Männlichkeitsforschung (Nikki Wedgwood und RobertW. Conell), die Konstruktion von Geschlecht (AngelikaWetterer) und die soziale Praxis <strong>des</strong> Doing Gender (RegineGildemeister). Die Beiträge sind gut ausgewählt und vermittelnin der Tat einen sehr umfassenden Einstieg inDenk- und Theorieansätze der Frauen- und Geschlechterforschung,von ihrem „ersten Erwachen“ bis hin zuihrer „theoretischen Ausdifferenzierung“. 15 weitereBeiträge in diesem ersten Teil <strong>des</strong> Buches reflektierendie Auseinandersetzung mit und die Weiterentwicklungenvon Mainstream Theorien oder besser „Malestream“-Theoriensowie deren Rezeption durch dieFrauen- und Geschlechterforschung. Auch hierbeizeichnet sich das Handbuch durch seine große Bandbreiteaus. Betrachtet werden u.a. Sozialisationstheorien(Renate Nestvogel), die Kritische Theorie (Gudrun-AxeliKnapp), Theorien der sozialen Ungleichheit (Karin Gottschall),Modernisierungstheorien (Mechtild Oechsle undBirgit Geissler), die Systemtheorie (Ursula Pasero) und dieHabitustheorie (Steffani Engler), aber z.B. auch der Postsstrukturalismus(Paula-Irene Villa) oder die feministischeWissenschaftskritik selbst (Mona Singer).Methoden und MethodologieDer zweite Teil <strong>des</strong> Buches, der 10 Beiträge umfasst,ist überschrieben mit „Methoden und Methodologie“.Neben grundsätzlichen methodologischen Fragen undDebatten z.B. zur Frage der Parteilichkeit und Betroffenheit(Christa Müller) oder einer feministischen Forschungsmethodologie(Gabriele Sturm) werden in derFrauen- und Geschlechterforschung häufig angewandtemethodische Verfahren vorgestellt und diskutiert, wiez.B. die Netzwerkforschung (Verena Mayr-Kleffel), dieBiographieforschung (Bettina Dausien), Expertinneninterviews(Michael Meuser und Ulrike Nagel), die TeilnehmendeBeobachtung (Agnes Senganata Münst) oder dieDiskursanalyse (Margarete Jäger). Leider muss dieser Teil<strong>des</strong> Buches als der schwächste bezeichnet werden. Damitsind nicht die Inhalte der einzelnen Beiträge gemeint,sondern die den Blick einschränkende Konzeptiondieses Abschnittes, womit ich beim zweiten großenKritikpunkt wäre. Die vorgestellten Methoden beziehensich nur auf die Anwendungsmöglichkeiten und die126


RezensionenAnwendungspraxis qualitativer Methoden in der Frauen-und Geschlechterforschung. Es ist sicherlich richtig,dass qualitative Forschungsmethoden in diesem Forschungsfeldeine dominante Rolle spielen, ihre (ausschließliche)Anwendung in den frühen Jahren der (zumin<strong>des</strong>tdeutschsprachigen) Frauenforschung sogargleich einer Ideologie quasi zum Dogma erhoben wurde.Dennoch darf nicht übersehen werden, dass geradein den letzten Jahren Methoden der quantitativenempirischen Sozialforschung zunehmend in Studien derFrauen- und Geschlechterforschung, oder Studien, diedieser zugeordnet werden könnten, verwendet und dortkritisch diskutiert und zum Teil auch innovativ weiterentwickeltwurden. Es ist sehr bedauerlich und darüberhinaus ein deutliches Manko dieses Handbuchs, dassdiese Methodenanwendungen und -diskussionen überhauptkeine Berücksichtigung finden. Auch hierzumöchte ich zwei (zugegebenermaßen provokante) Anmerkungenoder Erklärungsmöglichkeiten formulieren:1. Die Ablehnung oder Vorbehalte und damit auch diefehlende Wahrnehmung, Anwendung und Auseinandersetzungvon bzw. mit quantitativen Forschungsmethodenresultiert bei vielen (deutschen) Vertreterinnender Frauen- und Geschlechterforschung nicht selten(einzig und allein) daraus, dass diese Methoden nichtbeherrscht werden. 2. Die (selbstverständliche) Anwendungquantitativer Methoden der empirischen Sozialforschung,deren Diskussion und Weiterentwicklung,findet sehr häufig nicht in „offensichtlichen“ und bekanntenZusammenhängen der Frauen- und Geschlechterforschungstatt, auch wenn sie Fragestellungenoder Themen aus dieser betreffen und bearbeiten.Deren Erkenntnisse wahrzunehmen und in den Kanonder Frauen- und Geschlechterforschung aufzunehmen,wäre jedoch ein großer Gewinn für innovativeDiskurse in diesem Forschungsfeld. Auch hierbei wärees wirklich wünschenswert, wenn eine Neuauflage <strong>des</strong>Handbuchs eine Erweiterung auf Beiträge über die Anwendungund Weiterentwicklung quantitativer Methodenin und für die Geschlechterforschung beinhaltenwürde.Darüber hinaus wäre es auch spannend gewesen, zumin<strong>des</strong>teinen Beitrag hier aufzunehmen, der sich mitder sicherlich ebenfalls provokanten Frage nach Anwendungsmöglichkeiten„klassischer“ experimentellerMethoden in der Frauen- und Geschlechterforschunghätte auseinandersetzen und deren Erkenntnisgewinnhätte aufzeigen können. Eine Chance, die nicht zuletztdurch den bereits erwähnten und kritisierten Ausschlussder Frauen- und Geschlechterforschung in den NaturundTechnikwissenschaften vertan wurde. Auch ein Beitragaus Forschungsfeldern der psychologischen, dermedizinischen oder der gesundheitswissenschaftlichenGeschlechterforschung hätte hier eine gute Ergänzungsein können.Arbeitsfelder und ForschungsergebnisseDer dritte und dabei umfangreichste Teil <strong>des</strong> Buchesstellt zentrale „Arbeitsfelder und Forschungsergebnisse“der Frauen- und Geschlechterforschung vor. Er istin fünf Abschnitte untergliedert. Dieser Teil <strong>des</strong> Buchesist hervorragend gelungen. Er zeigt sehr eindrücklich,wie wichtig und fruchtbar eine themenzentrierteHerangehensweise aus unterschiedlichen disziplinärenBlickwinkeln heraus sein kann und bestätigt so das innovativePotential der Frauen- und Geschlechterforschungals Querschnittsaufgabe. Acht Beiträge beschäftigensich unter dem Stichwort „Lebensphasen und Lebenslagen“mit Fragen der Jungen- oder Mädchenforschung(Richard Winter, Helga Kelle), Lebensentwürfen jungerMänner und junger Frauen (Michael Meuser, BarbaraKeddi), der Familie (Beate Kortendiek), dem Alter (GertrudM. Backes), mit Lebens- und Wohnformen (Ruth Becker)und mit Armut (Birgitte Sellach). 10 Beiträge beleuchtenunter der Überschrift „Arbeit, Politik und Ökonomie“zentrale Begrifflichkeiten wie z.B. Arbeit und Beruf(Gisela Notz, Ulrike Teubner), Organisation (Sylvia M.Wilz), Wohlfahrtsstaat (Regina-Maria Dackweiler), Migrationund Globalisierung (Helma Lutz, Brigitte Young undHella Hoppe) und Demokratie (Barbara Holland-Cunz).Der mit „Körper und Gesundheit“ überschriebene,neun Beiträge umfassende Abschnitt dokumentiert z.B.Forschungsstränge zu den Bereichen Gesundheit (AnjaBargfrede/Andrea Pauli/Claudia Hornberg), Behinderung(Ulrike Schildmann), Gen- und Reproduktionstechnologien(Ellen Kuhlmann), Gewalt gegen Frauen (UrsulaMüller, Carol Hagemann-White und Sabine Bohne), Sportoder Mode (Ilse Hartmann-Tews und Bettina Rulofs, GabrieleMentges). 13 Beiträge beschäftigen sich unter dem Stichwort„Bildung und Kultur“ mit Fragen der Koedukation(Maria Anna Kreienbaum), der Vergeschlechtlichungvon Bildung (Anne Schlüter), Karrierechancen von Frauenin Hochschulen und der Wissenschaft (AgnieszkaMajcher und Annette Zimmer) oder reflektieren unter einergeschlechterkritischen Perspektive zentrale kulturkonstituierendeInstitutionen oder Ausdrucksformenwie z.B. Elite (Sigrid Metz-Göckel), Religion und Kirche(Birgit Heller, Ute Gause), Medien und Sprache (Jutte Röserund Ulla Wischermann, Senta Troemel-Ploetz), Recht undRaum (Susanne Baer, Ruth Becker). Der letzte Abschnittschließlich widmet sich in sieben Beiträgen dem Aspekt„Frauenbewegungen und Gleichstellungspoliti-<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005127


Rezensionenken“. Frauenbewegungen als soziale Bewegungen (IlseLenz) werden hier genauso betrachtet wie z.B. Frauennetzwerke(Stephanie Bock), Frauenprojekte (Yvonne P.Doderer und Beate Kortendiek), die Lesbenbewegung (AgnesSenganata Münst) oder Migrantinnenorganisationen(Helen Schwenken) und (internationale) Frauenrechte undGleichstellungspolitiken (Uta Ruppert, Mechtild Cor<strong>des</strong>).Abschließende BemerkungenAlle Beiträge <strong>des</strong> Handbuchs sind einheitlich gegliedert.„Sie geben eine Übersicht über die jeweiligen zentralenDefinitionen, grundlegenden Studien und Debatten,aktuellen (Forschungs-)Ergebnisse sowie einenAusblick auf Forschungsfragen und Zukunftsvisionen.“(S. 12) Das Schlagwortregister im Anhang enthältüber 450 Lemmata, die es ermöglichen, leicht undschnell entsprechende inhaltliche Ausführungen zu einzelnenStichworten zu finden.Alles in allem ist den beiden Herausgeberinnen, trotzder angemerkten Kritikpunkte, mit diesem Handbucheine beachtenswerte Dokumentation zur Frauen- undGeschlechterforschung gelungen; vor der geleistetenArbeit kann man nur „den Hut ziehen“. Das Buch regtzum Nach-, aber auch zum Weiterlesen an und ist nichtnur für EinsteigerInnen, sondern auch für bereits inder Frauen- und Geschlechterforschung tätige WissenschaftlerInnen,ein interessantes Nachschlagewerk. Sozial-und GesellschaftswissenschaftlerInnen (oder solche,die es werden wollen), innerhalb wie außerhalbder Frauen- und Geschlechterforschung, sei das Handbuchbesonders ans Herz gelegt.Anmerkung1Ich verwende durchgängig die weibliche Form, da Autorendeutlich in der Minderzahl sind, selbstverständlich sind siejedoch durch dieser Schreibweise mitgenannt.Anina Mischau, Interdisziplinäres Zentrum für Frauen- undGeschlechterforschung (<strong>IFF</strong>), Universität Bielefeld,Email: anina.mischau@uni-bielefeld.deChristina von Braun und Inge Stephan (Hgg.):Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien, Böhlau 2005, UTB-Verlag, 370 Seiten,22.90 €, ISBN 3-8252-2584-4Der von den Herausgeberinnenausführlicheingeleitete Sammelbandbeschäftigtsich mit der Frage„nach dem Verhältnisvon Wissen/Wissenschaftund Geschlecht“(S. 7). DasBuch steht teilweiseim Zusammenhangmit dem aktuellenGraduiertenkolleg„Geschlecht als Wissenskategorie“an derHumboldt-Universität Berlin; das erklärt den durchausungewöhnlichen Titel, der neugierig macht und sichdeutlich abhebt von den inzwischen unübersichtlich gewordenenVeröffentlichungen mit Gender-Bezug. DerBand vermittelt kritische Standpunkte gegenüber eherpolitisch orientierten Gender-Abhandlungen. In „Themenfeldern“(S. 47-260) und in „Abgrenzungen/Überschneidungen“(S. 261-366) erfolgt eine begrifflich systematisierteBearbeitung; Beispiele: Identität, Körper,Sexualität, Globalisierung, Lebenswissenschaften. DieVerfasserInnen der einzelnen Beiträge kommen aus unterschiedlichenWissenschaftsgebieten: Philosophie, Literatur,Kultur, Medien, Kommunikation, Soziologie,aber auch darüber hinaus spezialisierte Gender-Wissenschaften.Gender-Theorien werden den LeserInnen somitaus ganz unterschiedlichen, und doch historischwahlverwandten, wissenschaftlichen Ansätzen herauspräsentiert. Die Beiträge gehen von der grundlegendenThese aus, dass zwischen historischen Veränderungender Wissensordnung und dem Wandel der Geschlechterordnunginhaltliche Verbindungslinien bestehen.Diese These wird jeweils konkretisiert, wenn nachder „geschlechtlichen Zuordnung der Wissensfelder“(S. 9) gefragt wird. Insofern ist das Buch eine spannendeReise durch die Geschichte der Wissenschaften aufder Suche nach dem Grund, weshalb – nachdem denFrauen der Zugang zur Universität eröffnet wordenwar – die „Ordnung“ einzelner Wissenschaften in bestimmtenhistorischen Phasen geschlechtlich unterschiedlichaufgeteilt wurde. Der Sammelband widmetsich insofern dem gewagten Projekt, einerseits empiri-128


Rezensionensches Material zur Wissen(schaft)s-Ordnung aufzuarbeitenund bereit zu stellen sowie andererseits theoretisieren<strong>des</strong>Genderwissen in dieses Material zu integrieren;das Handbuch konzentriert sich dabei vor allemauf die „kritische Darstellung der Bedeutung, welcheGeschlecht als Analysekategorie in den aktuellen Theoriedebattenspielt, die ihrerseits einen langen historischenVorlauf haben, aber gerade in der Gegenwartdas Selbstverständnis der Wissenschaften in radikalerWeise zu verändern beginnen.“ (S. 29). Den AutorInnenist dieses Projekt in besonderer Weise gelungen.Der Beitrag von Claudia Breger beschäftigt sich mitdem komplexen Feld moderner „Identität“ für die neueFrauenbewegung und der aus ihr hervorgegangenenGeschlechterforschung; Ich-Identität und kollektiveIdentität werden kritisch rekonstruiert und von radikalemGleichheits- und Differenzdenken historisch abgegrenzt,wobei die Verfasserin einen eindrucksvollenÜberblick von Beauvoir und Hegel bis Butler und Benhabibvermittelt. Irmela Marei Krüger-Fürhoff stellt in demArtikel „Körper“ die „physische und psychosexuelleKonstruktion <strong>des</strong> Menschen“ (S. 66) vor und verweistauf die wissenschaftspolitische Bedeutung unterschiedlicherhistorischer Körperkonzepte für Gender Studies.In der darauf folgenden Untersuchung über „Reproduktion“fragt Bettina Mathes, ob „Medien ein Geschlecht“(S. 81) haben; sie schildert die Geschichtevon Medien und von der „Reproduktion <strong>des</strong> Geschlechtskörpers“(S. 88 ff.). Der Beitrag von Heike Jensenbeschreibt „Sexualität“ als einen nicht unwesentlichenSchwerpunkt der Geschlechterforschung, diegleichzeitig aber auch als wesentliche Problematik unterschiedlicherwissenschaftlicher und kultureller Reflexionenvorzustellen ist; und diese reflexive Problematikkönnen Gender Studies allein nicht unvermittelt vermitteln:Sexualität und Gender müssen historisch jeweilseigenständigen Entwicklungen zugeordnet werden, umden wechselseitigen Zusammenhang zueinander verstehenzu können. „Gewalt und Macht“ bilden das nächsteThemenfeld, das Christine Künzel behandelt hat; die Autorinweist historisch nach, dass bereits etymologischweder Gewalt noch Macht „geschlechtsneutral“ waren;weitere Ausführungen vertiefen diesen Nachweis anhandhistorischer Wissenschafts-Perspektiven im jeweilskritischen Umgang mit Gewalt und entsprechendenAuswirkungen auf gender-relevante Diskurse, wobeidie Rüge gegenüber der gesamten Strafrechtswissenschaft,insbesondere gegenüber der Kriminologiezwar hart trifft, bislang jedenfalls aber völlig berechtigtist. Der Beitrag „Globalisierung“ von Heike Jensen beschäftigtsich mit dem komplexen Zusammenhang vonSozialsystemen, Gender und wirtschaftlicher Realität;schwierig daran ist vor allem, dass Wissenschaft undNichtwissenschaftlichkeit aufeinander treffen;„Glokalität“ wird begrifflich ebenso eingeführt wie diepolitische Entwicklung zum „Empowerment“ und zurStrategie <strong>des</strong> „Gender Mainstreaming“. Im nachfolgendenArtikel geht es um „Performanz und Repräsentation“von Dagmar von Hoff, also um zwei zentrale Begriffein der Genderforschung; die Autorin beschreibtdie Entwicklung, wie der Term der Performanz denRepräsentationsbegriff zu ersetzen scheint, und kennzeichnetdie dafür wesentlichen Gründe, vor allem dieneueren Denkansätze in den feministischen Theorien(etwa dekonstruktiver Feminismus, Queer-Theory); indemaber darüber hinaus weitere Entwicklungslinienzu anderen Theoriebereichen (Kunst und Kultur) gezogenwerden, gelingt der Verfasserin am Ende ihres Beitragseine Art fordernde Synthese neuer und differenterRepräsentation. Kerstin Palm behandelt in „Lebenswissenschaften“(life sciences) das heterogene Gebietlebender Systeme in den Naturwissenschaften; gesuchtwird der Zusammenhang zum Genderbegriff; Ansatzpunktbilden für die Autorin u.a. insbesondere Biologieund Gesundheitswissenschaften. „Natur und Kultur“werden von Astrid Deuber-Mankowsky vorgestellt;mit einer historischen Auswahl einschlägiger thematischerLiteratur wird die Entwicklung von kulturellerund sexualisierter Natur hin zu Gleichheits- und Differenzierungstheoremendargelegt. Der Beitrag „Spracheund Semiotik“ von Antje Hornscheidt vermittelt diesprachwissenschaftliche Debatte innerhalb der Genderforschung,indem klassische und differenzierte Lehrenvon und über Sprache dargelegt werden, um „Gender“zu präzisieren: Gender als sprachlicher Ausdruck, alssprachliche Herstellung und als Kombination aus beidenAnsätzen jeweils unter epistemologischen Aspekten.Schließlich folgt als letztes Stichwort „Gedächtnis“,das den Kreis <strong>des</strong> Themenfel<strong>des</strong> schließt unterAnknüpfung und Bezugnahme zum ersten Begriff der„Identität“; die Verfasserin Claudia Öhlschläger kann denKreis <strong>des</strong>halb schließen, weil es hier um die Frage <strong>des</strong>„sozialen und kollektiven Gedächtnisses“ im Zusammenhangmit Gender geht.Im Rahmen der „Abgrenzungen/Überschneidungen“werden verschiedene Theorieschulen präsentiert,die für Gender-Diskurse wesentliche Bedeutung haben:„Postmoderne“ (von Dorothea Dornhof), „QueerStudies“ (von Sabine Hark), „Postcolonial Theory“ (vonGaby Dietze), „Media Studies“ (von Katrin Peters) sowie„Cultural Studies“ (von Claudia Benthien und Hans RudolfVelten). Alle fünf Lehren wurden in den vorigen<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005129


Rezensionen„Themenfeldern“ angesprochen, in einzelnen Beiträgengleichsam vorausgesetzt; hier erfolgt nun die systematischeund historische Auseinandersetzung mit derjüngsten Entwicklung wissenschaftlicher Theoriebildungenim Verhältnis zur Kategorie „Geschlecht“.Das Handbuch ist ein gelungenes Nachschlagewerkfür an Genderfragen ohnehin interessierte LeserInnenund bietet AnfängerInnen eine inhaltsreiche und umfassendeGrundlage für beginnen<strong>des</strong> und dann vertiefen<strong>des</strong>Gender-Studium. Der Sammelband vermitteltden aktuellsten Stand interdisziplinärer Frauenforschung.Er unterstreicht die Notwendigkeit wissenschaftlicherGenderdiskurse unter weitestgehenderAuslassung einfacher politischer Strategie-Konzeptionen.Uneingeschränkt empfehlenswert!Regina HarzerUniversität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft,Email: regina.harzer@uni-bielefeld.de130


NeuerscheinungenSchier, Michaela: Münchner Modefrauen. Einearbeitsgeographische Studie über biographischeErwerbsentscheidungen in der Bekleidungsbranche.Arbeit und Leben im Umbruch.Schriftenreihe zur subjektorientierten Soziologieder Arbeit und der Arbeitsgesellschaft Bd. 8,331 S., 29.80 €,Rainer Hampp Verlag, München/Mering 2005, ISBN 3879889406Wie treffen Menschenangesichts <strong>des</strong> Wandelsvon Branchen, Arbeitsmärktenund der Gesellschaftihre Erwerbsentscheidungen?WelcheRolle spielen dabeiräumliche Faktorenund das Geschlecht?Diesen Fragen geht dieAutorin <strong>des</strong> Buches aufder Grundlage von umfangreichenbiographischenInterviews mitFrauen nach, die in der Münchner Bekleidungsbranchetätig sind.Die Studie befasst sich aus biographietheoretischerSicht insbesondere mit den Motiven, der Bedeutungvon individuellen Ressourcen und räumlichen Aspektenbei Erwerbsentscheidungen sowie mit der Vielfaltvon individuellen Umgangsstrategien mit strukturellenRahmenbedingungen. Deutlich zeigt sie u.a., wieMünchner Modefrauen den Strukturwandel der Modebranchewahrnehmen, wie sie ihn für sich interpretierenund mit den Veränderungen umgehen. ZentralesErgebnis der Studie ist, dass der individuelle Umgangmit dem Wandel der Branche vor allem aufgrund unterschiedlicherhandlungsleitender Berufs-, Arbeits-,Familien- und anderer Lebensorientierungen differiert.Konzeptionell leistet die Untersuchung eine subjektorientierteErweiterung der geographischen Arbeitsforschung,die sich bisher weitgehend auf makroperspektivischeAnalysen beschränkt.Das Buch wendet sich sowohl an Leser und Leserinnen,die sich für Arbeitsforschung und das Thema Geschlecht,Arbeit und Geographie interessieren, als auchan solche, die sich mit Entwicklungen und Arbeitsbedingungenin der Modebranche auseinandersetzenwollen.Beate Kortendiek / A. Senganata Münst (Hgg.):Lebenswerke. Porträts der Frauen- und Geschlechterforschung,261 S., 24.90 €, VerlagBarbara Budrich, Opladen 2005,ISBN 3938094567Im Buch werden zehnFrauen- und Geschlechterforscherinnenund ein Männerforscher,ihre wissenschaftlichenDenkbewegungenund gesellschaftspolitischenHandlungsfelder sowiedie damit verbundenenLebenswege vorstellt.Die Autorinnen derPorträts, selbst Geschlechterforscherinnen,setzen in der Auseinandersetzung mit den porträtiertenWissenschaftlerInnen ihre eigenen Akzente undPrioritäten und bringen ihre Auseinandersetzung mitdem Lebenswerk in die Darstellung ein, eine bewusstgewünschte Variation, die das Lesevergnügen erhöhenkann.Da ist Simone de Beauvoir, die als Erste sagt, „mankommt nicht als Frau zur Welt“, der MännerforscherRobert W. Connell, der als Feminist vorgestellt wird, undHelge Pross, die den Mut hat, die „Hausfrau“ zum Gegenstandwissenschaftlicher Forschung zu machen. Daist Sigrid Metz-Göckel, die mit dem Wissen um die Potenzialevon Frauen eine Frauenuniversität analytisch begründetund einfordert und die HochschulforscherinAylâ Neusel, die das Fremde und Andere neugierig offendefiniert. Da ist Anna Titkow, deren Studie „Wasbedeutet es, eine Frau in Polen zu sein?“ mit der Abbildungeiner Frau provoziert, die Kartoffeln statt Lockenauf dem Haupte trägt. Da ist Myra Marx Ferree,die auf die Macht der Frauennetzwerke setzt und JudithLorber, deren feministisches Bewusstsein in der Auseinandersetzungmit ihrem Bruder im Alter von 14 Jahrenerwachte. Da ist Alice Salomon, die an ein spezifischesVerantwortungsgefühl von Frauen appelliert, AlvaMyrdal, die in ihrer Person als Politikerin, Wissenschaftlerinund Mutter die Frage <strong>des</strong> Geburtenrückgangesstellt und die Emigrantin Gerda Lerner, die von sich als„flowering survivor“ spricht<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005131


NeuerscheinungenIngrid Kurz-Scherf / Anja Lieb / Imke Dzewas,Marie Reusch (Hgg.): Reader FeministischePolitik & Wissenschaft. Positionen, Perspektiven,Anregungen aus Geschichte und Gegenwart,250 S., 20 €, Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus2005, ISBN 3897411881Im Zentrum stehen Texteder alten und neuen Frauenbewegung,die für feministische(Politik)Wissenschafttraditionsbildend waren.Außerdem werden akademischeKlassikerinnentextedokumentiert, die bis heutevon Relevanz sind, indem siesich auf Schwerpunktthemenwie Differenz undGleichheit, Gleichstellungund Gleichberechtigung, Macht, Herrschaft und Gewaltsowie auf die Dichotomie von Öffentlichkeit undPrivatheit beziehen. Die Auswahl spannt einen Bogenvon Vordenkerinnen der Frauenbewegung wie Olympede Gouges oder Flora Tristan, über Anita Augspurg,Elisabeth Selbert, Simone de Beauvoir u.a. bis hin zuaktuellen politikwissenschaftlichen Beiträgen.Anja Schulz (Hg.): Spitzenfrauen. Porträts vonFrauen in Führungspositionen, 190 S., 19.95 €,Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus 2005,ISBN 3897411865In der freien Wirtschaft undin der Wissenschaft sind Frauenin Führungspositionen alsoweiterhin unterrepräsentiert.Zwar sind über 50 Prozent derStudierenden betriebswirtschaftlicherStudiengängeFrauen, doch im späteren Berufslebenbekleiden sie wenigerals ein Drittel der Spitzenpositionen.In diesem – im Rahmenvon Vorträgen an der Universität Dortmund entstandenen– Band erzählen „Spitzenfrauen“ ihren Werdegang.Angefangen mit der Entscheidung für eine Ausbildungbzw. ein Studienfach werden bedeutende Augenblickebeim Erklimmen der Karriereleiter herausgestellt.Abgerundet werden die Porträts mit Tipps undHinweisen für alle Frauen, die ebenfalls beruflich vorankommenmöchten.Milena Verlag (Hg.): as long as. queer stories,192 S., 17.90 €, Milena Verlag, Wien 2005,ISBN 3852861322Wie werden Begehren und Miteinanderseinlesbischer Frauen gelebt?Welche Formen von Beziehungenoder eben gerade Nicht-Beziehungen werden erprobt?Gewünscht? Erwartet? Wie gehtes weiter? Diese Fragen dientenals Aufhänger für diesen Sammelband,der sich in gewisser Weiseals Fortsetzung der „c/o comingout.storys“ versteht. In diesenGeschichten geht es weniger um den Blick durch dierosarote Brille, auch nicht um das Aussparen vonProblematiken, sondern vielmehr um Realitäten, dielesbische Beziehungen ausmachen: Sie erzählen von denTücken <strong>des</strong> Alltags, Brüchen und Schwierigkeiten, Langeweileund Eifersucht, Verwicklungen und Trennungen,über Rollenbilder und Rollenaufteilungen, Monogamieund Mehrfachbeziehungen. Sie erzählen vonHöhen und Tiefen. Vom Glück und vom ScheiternHelga Ostendorf: Steuerung <strong>des</strong> Geschlechterverhältnissesdurch eine politische Institution.Die Mädchenpolitik der Berufsberatung, 506 S.,58 €, Verlag Barbara Budrich, Opladen 2005,ISBN 3938094370Durch eine VerknüpfungpolitikwissenschaftlichinstitutionalistischerTheorienmit feministischenStaatstheorien und demTheorem der sozialenKonstruktion von Geschlechtentwickelt dieAutorin einen Ansatz, mitdem das „doing gender“politischer Institutionenentschlüsselt werden kann.Zugleich wird mit diesem Buch eine umfassende Analyseder Funktionsweise der Berufsberatung derBun<strong>des</strong>agentur für Arbeit vorgelegt. Deren Struktu-132


Neuerscheinungenren, Verfahrensweisen und <strong>Info</strong>rmationsmaterialienbedürfen – so die Quintessenz – einer grundlegendenRevision, wenn Mädchen und Frauen in Zukunft gleicheChancen am Arbeitsmarkt haben sollen.Christina Schachtner / Gabriele Winker (Hgg.):Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten. Frauennetzeim Internet, Politik der GeschlechterverhältnisseBand 27, 205 S., 24.90 €, CampusVerlag, Frankfurt a. M. 2005, ISBN 3593377268In der Vernetzung durch dasInternet werden häufig demokratischeund partizipatorischePotenziale gesehen. Auch innerhalbder Frauenbewegungbefördert das Internet dieHoffnung auf Stärkung dereigenen Anliegen. Die Autorinnendieses Ban<strong>des</strong> prüfen,inwiefern über die Internetauftrittefrauenpolitischer Organisationenund webbasierter Frauen-Netzwerke neueFormen der Gemeinschaftsbildung und der politischenPartizipation entstehen. Sie zeigen, dass virtuelle Netzwerkeneue Räume und Öffentlichkeiten konstituierenund damit Empowermentprozesse unterstützen. DasBuch vereinigt unterschiedliche theoretische und empirischePerspektiven auf das Thema Frauenvernetzungund Gemeinschaftsbildung im Internet und eröffnetein vielfältiges Bild über Zugangsmotive, Kommunikationsstrategien,Vernetzung und den individuellenund gesellschaftlichen Gewinn virtueller Mädchen- undFrauennetze. Für die Untersuchung der Netzkommunikation,der Community-Bildung, der Suchstrategienim Netz wurden verschiedene Methoden der empirischenSozialforschung miteinander kombiniert; darüberhinaus wurden neue Methoden für die Online-Forschungentwickelt.Henninger, Annette / Ostendorf, Helga: Diepolitische Steuerung <strong>des</strong> Geschlechterregimes.Beiträge zur Theorie politischer Institutionen,Politik und Geschlecht Bd. 13, 263 S., 34.90 €,VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden2005, ISBN 3810039144im Bereich der Gleichstellungspolitikund unterziehtvorliegende Ansätze undTheorien einer kritischenRevision. Es zeigt neue Wegeinstitutionalistischer Forschungauf und gibt gleichzeitigfrauenpolitischenPraktikerInnen Hinweise,wo Barrieren bestehen undwie diese abgebaut werdenkönnenKirsten Plötz: Als fehle die bessere Hälfte.„Alleinstehende“ Frauen in der frühen BRD1949–1969, 257 S., 34.90 €, Ulrike Helmer Verlag,Königstein/Taunus 2005, ISBN 3897410532„Unvollständige“ Familieninmitten von Trümmern –das sollte in der frühen Bun<strong>des</strong>republikmöglichst baldüberwunden sein. Die so genannte„Normalfamilie“galt als Basis <strong>des</strong> bun<strong>des</strong>deutschenAufbaus. Millionenlediger, geschiedenerund verwitweter Frauen,üblicherweise als „alleinstehend“bezeichnet, wurdenso an den Rand der Gesellschaft gedrängt und systematischbenachteiligt, einst anerkannte Alternativen zurEhe ignoriert und abgewertet. Unverheiratete Frauengalten als „überschüssig“, als Konkurrenz, kurz: als ein„Problem“.Die Historikerin Kirsten Plötz rekonstruiert einspannen<strong>des</strong> Stück Alltags- und Geschlechtergeschichtezwischen 1949 und 1969. Sie fragt, wie sich „alleinstehende“Frauen mit der rigorosen Familienpolitikarrangierten,zeigt aber auch, dass Unverheiratete kein„trauriges Los“ ziehen mussten. Im Spiegel zeitgenössischer<strong>Zeitschrift</strong>en, Filme, politischer Debatten undBeschlüsse, sozialer Praxen sowie eigener qualitativerInterviews werden weibliche Biografien der Nachkriegszeitlebendig. Nicht zuletzt schärft sich der Blickfür aktuelle Debatten rund um soziale Sicherung unddie Alterspyramide.Das Buch versammelt Beiträge zum Erklärungsgehalt<strong>des</strong> politikwissenschaftlichen Neuen Institutionalismus<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005133


NeuerscheinungenMonika Mattes: „Gastarbeiterinnen“ in derBun<strong>des</strong>republik. Anwerbepolitik, Migration undGeschlecht in den 50er bis 70er Jahren, 343 S.,37.90 €, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2005,ISBN 3593378663Nicht nur männliche »Gastarbeiter«,auch viele Frauenkamen seit 1955 als Lohnarbeiterinnenin die Bun<strong>des</strong>republik.Monika Mattesuntersucht erstmals umfassenddie auf Frauen zielendeAnwerbepolitik, die bestimmtwar durch die Nachfragefrauentypischer Branchennach jungen, körperlich-psychischstabilen Arbeiterinnen.Zugleich zeigt sie, dass die Migrantinnenmit Protesten und Streiks durchaus ihre Interessenwahrnahmen und dass andererseits die staatlichen Regelungenvöllig außer Acht ließen, dass Arbeitsmigrationvon Anfang an Familienmigration war.Migrantinnen, auch das wird deutlich, wurden auf demwestdeutschen Arbeitsmarkt weniger <strong>des</strong>halb benachteiligt,weil sie nicht deutsch waren, als vielmehr <strong>des</strong>halb,weil sie Frauen waren.Ursula Boos-Nünning, Yasemin, Karakasoglu:Viele Welten. Zur Lebenssituation von Mädchenund jungen Frauen mit Migrationshintergrund,580 S., 29.90 €, Waxmann-Verlag, Münster 2005,ISBN 3830914962Die Lebensweise von Migrantinnenwird in der aktuellenDebatte meist als Integrationshemmnisdiskutiert.So werden z.B. ihre religiösenBindungen oder einestarke Familienorientierungals Ausdruck mangelndenInteresses an Integration,Bildung oder an ihrem Lebensumfeldgedeutet. Dassdies der Realität und auch derSelbstwahrnehmung junger Migrantinnen keinesfallsentspricht, zeigt diese neue Studie. Erstmalig wurdenjunge Migrantinnen im Alter von 15 bis 21 Jahren türkischer,griechischer, italienischer und jugoslawischerHerkunft sowie Aussiedlerinnen in Deutschland imRahmen einer quantitativen Studie umfassend zu einerFülle von Themen befragt. Die Studie gibt Auskunftüber die Pluralität der Lebensweisen und Lebensorientierungenin den unterschiedlichsten Bereichen,beispielsweise die Bedingungen <strong>des</strong> Aufwachsens jungerMigrantinnen, die Bedeutung der Familie, Schuleund Ausbildung, Partnerschaft und Religiosität. Dabeiwird differenziert nach der Zugehörigkeit zu verschiedenenHerkunfts- und Religionsgruppen und Schlussfolgerungenfür Voraussetzungen erfolgreicherIntegrationspolitik können gezogen werden.Sandra Gruner-Domic: Latinas in Deutschland,Internationale Hochschulschriften Bd.439, 268S., 29,90 €, Waxmann-Verlag, Münster 2005,ISBN 383091458XDie Einwanderung aus Lateinamerikaist jüngeren Datumsund zahlenmäßig nochklein. Sie weist allerdings einenstarken und noch wachsendenAnteil von Immigrantinnenauf. Die Studiegibt anhand biographischerErzählungen von LateinamerikanerinnenAufschlüsseüber die geschlechtsspezifischenVerhältnisse, dieUrsachen und den Verlauf ihrer Migration sowie überdie Probleme, die sie in der neuen Gesellschaft vorfinden.Das Buch analysiert ihre persönliche Auseinandersetzungmit den in Deutschland dominierenden Diskursenüber Integration und Identität. Anders als inmanchen aktuellen Forschungen, die hybride, also zusammengesetzteIdentitäten vereinfacht als Globalisierungseffektverstehen, wird hier gezeigt, wie die Lateinamerikanerinnenimstande sind, parallel existierendeIdentitätsdiskurse für ihre Integrationsstrategie zu nutzen.Diese Flexibilität erlaubt ihnen, auch an von „Deutschen“benutzten Identitäten teilzuhaben. Die Untersuchungergibt, dass die Suche der Frauen nach hybridenIdentitäten aus dem Versuch resultiert, Ausgrenzung,Vorurteilen und kultureller Differenzierung zuentkommen. Die Erzählungen der Latinas werfen daherein ambivalentes Licht auf die „Einwanderungsgesellschaft“Deutschland.134


NeuerscheinungenLydia Schambach-Hardtke: Gender und Gewerkschaften.Der Kampf von Frauen um politischePartizipation im organisationalen Wandel,304 S., 39 €, Verlag Barbara Budrich, Opladen2005, ISBN 393809494XNach einem mehrjährigen Diskussions- und Verhandlungsprozesshatten sich auf dem Gründungskongressim Frühjahr 2001 fünf Einzelgewerkschaften zu einerDienstleistungsgewerkschaft ver.di verschmolzen. OrganisationaleUmbruchsituationen bieten den Akteurinnenund Akteuren grundsätzlich die Möglichkeit neuerGestaltungsspielräume. Das Buch untersucht, wiedie politische Partizipation von Frauen im Wandel politischerOrganisationen berücksichtigt wurde und welcheEinflussfaktoren ihre Integration gefördert bzw.behindert haben.Ulrike Vogel (Hg.): Was ist weiblich - was istmännlich? Aktuelles zur Geschlechterforschungin den Sozialwissenschaften, 200 S.,19.90 €, Kleine Verlag, Bielefeld 2005,ISBN 3893704027Trotz der Erkenntnisse derFrauen- und Geschlechterforschungsind im Alltagsbewusstseinbis in die Wissenschafthinein immerwieder Unterscheidungenvon Eigenschaften fürFrauen und Männer zu finden,die letztlich gängigeGeschlechterklischees bestätigen.Um Studierenden, aberauch allen übrigen Interessierten den aktuellen Standsozialwissenschaftlicher Erkenntnisse zur Unterscheidung„was ist weiblich, was ist männlich“ zu vermitteln,kommen in diesem Band acht Repräsentantinnender deutschsprachigen Frauen- und Geschlechterforschungin den Sozialwissenschaften zu Wort.Die Expertinnen eröffnen zugleich wesentliche theoretischeZugänge der Diskussion um die Definitionvon Gleichheiten und Ungleichheiten unter den Geschlechtern:So sind die interaktionistischen Ansätzeauf den Mikro- und Meso-Bereich, die gesellschaftskritischenAnsätze auf den Makro-Bereich soziologischerAnalyse bezogen und der Ansatz Bourdieus aufallen drei Ebenen wichtig.Das Buch ist zum unkomplizierten Einstieg in ein hochaktuellesThema gedacht und bietet mit seiner jeweilsweiterführenden Literatur auch Möglichkeiten zur Vertiefung.Silvia Stoller / Veronica Vasterling / Linda Fisher(Hgg.): Feministische Phänomenologie undHermeneutik, Series: Orbis Phaenomenologicus,Perspektiven, Neue Folge 9, 303 S., 44 €,Königshausen & Neumann, Würzburg 2005,ISBN 382603032XIn dem Band sind unterschiedliche Beiträge zu einerder jüngsten Entwicklungen innerhalb der Phänomenologiebzw. Hermeneutik und der feministischen Philosophievereint. Feministische Kritik an der phänomenologischenund hermeneutischen Philosophie stehtebenso auf dem Programm wie die Auffassung, wonachPhänomenologie und Hermeneutik einefruchtbareQuelle für die feministische Philosophie darstellen.Während es in der Zwischenzeit schon einige Sammelbändezur feministischen Phänomenologie gibt,zeichnet sich dieser Band dadurch aus, dass hier erstmalsauch die feministische Hermeneutik Berücksichtigungfindet. Eine Bibliographie bildet eine hilfreicheErgänzung für zukünftige Forschungen.Corinna Onnen-Isemann / Gertrud Maria Rösch(Hgg.): Schwestern. Zur Dynamik einer lebenslangenBeziehung, 232 S., 24.90 €, CampusVerlag, Frankfurt a. M. 2005, ISBN 3593378469Schwestern, ob zänkisch undmiteinander konkurrierendoder harmonisch einanderzugetan – es handelt sich umeine spannungsreiche, lebenslangeBeziehung. Ihrgehen die Autorinnen undAutoren hier auf den Grund– den Realitäten wie den Bildernund Mythen, die in Literatur,Film und Kunst vermitteltwerden. Sichtbar wirdeine Vielzahl kulturell vermittelter Beziehungsmuster,die das Zusammenleben von Frauen wie auch Männernlebenslang prägen.<strong>Info</strong> 22.Jg./Nr.30/2005135


<strong>Info</strong>sVeranstaltungsreihe der AG Feministische Politikzum Thema:Gewalt im Geschlechterverhältnis –Aktuelle Forschungs- und InterventionsperspektivenBeginn jeweils um 18.00 Uhr in Raum C2-144 Uni Bielefeld22.11.05 Gewalt gegen Frauen vor dem Hintergrund traditioneller heterosexuellerPaarbeziehungen und Geschlechterkonstruktionen(Sandra Glammeier, Forschungsgruppe „Lebenssituation, Sicherheit undGesundheit von Frauen in Deutschland“, <strong>IFF</strong>, Universität Bielefeld)13.12.05 Zentrale Ergebnisse der aktuellen bun<strong>des</strong>deutschenRepräsentativuntersuchung zu Gewalt gegen Frauen(Dr. Monika Schröttle, Forschungsgruppe „Lebenssituation, Sicherheit undGesundheit von Frauen in Deutschland“, <strong>IFF</strong>, Universität Bielefeld)24.01.06 Neue Interventionspraxis bei häuslicher Gewalt(Katja Grieger, Forschungsgruppe Wissenschaftliche BegleitungInterventionsprojekte gegen häusliche Gewalt, WiBIG)31.1.06 Männer als Täter und Opfer von Gewalt(Stefan Beckmann, Forschungsgruppe Wissenschaftliche BegleitungInterventionsprojekte gegen häusliche Gewalt, WiBIG)Veranstalterin: AG Feministische Politik, ASTA Uni Bielefeld, C 02-206, T. 1063451VeranstaltungshinweiseInternationales Symposium„Frauen am Ball – Analysen und Perspektivender Genderforschung am Beispiel Fußball“27. – 29.10.2005, Universität ErlangenFrauen- und Mädchenfußball hat in den letzten Jahrenstark an Bedeutung und Popularität gewonnen.Auch am Institut für Sportwissenschaft und Sportder Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnbergbeschäftigt sich die Forschungsgruppe Mädchenfußballunter der Leitung von Frau Prof. Dr. Kugelmannmit gender-bezogenen Themen vor dem Hintergrunddieser Thematik. Das interdisziplinär ausgerichteteund international angelegte Symposium findet imRahmen der beiden Forschungsprojekte „Mädchenfußball-Programm“,gefördert vom Deutschen Fußballbund(DFB), und „Mädchenfußball unter der Lupe“,gefördert vom Bun<strong>des</strong>ministerium für Familie, Frauenund Jugend (BMFSFJ) statt. Das Symposium solldurch Beiträge aus verschiedenen Gebieten der Sportwissenschaftbereichert werden. Außerdem werden internationalanerkannte ExpertInnen aus den angrenzendenForschungsbreichen erwartet, die aus dem ThemengebietMädchen- und Frauenfußball ihre Erfahrun-136


<strong>Info</strong>sgen und Forschungen präsentieren werden. Des Weiterenwerden die bis dahin erarbeiteten Ergebnisse ausden beiden Forschungsprojekten der interessierten Öffentlichkeitvorgestellt. Angesprochen werden vor allemim Bereich der Genderforschung tätige KollegInnen,aber auch leistungsorientierte TrainerInnen undFunktionäreInnen vom Deutschen Fußball Bund miteinem wissenschaftlichen Anspruch an ihr Arbeiten..Die für das Symposium grundlegenden Forschungsprojektesollen einen originären und bisher einzigartigenBeitrag der Sportpädagogik zur Frauen-/ Genderforschungleisten. Sie umfassen sowohl den Bereich<strong>des</strong> Breitensports (DFB) als auch <strong>des</strong> Leistungssports(BMFSFJ) und zielen darauf ab, Strukturen und Vermittlungskonzepteim Sportspiel „Fußball“ zu analysierenund mit dem Ziel zu verändern, mehr Mädchenfür den Fußballsport gewinnen zu können. Aus sportpädagogischerSicht könnte dies langfristig zur Identitätsentwicklungund Stärkung von Mädchen und Frauenim Sport beitragen.Ansprechpartner:Yvonne Weigelt oder Wolfgang FischerTel.: +49179/1253977, info@sbc-fischer.dewww.frauen-fussball.org9. Deutsche Physikerinnentagung (DPT 2005)27. – 29.10.2005, DarmstadtDie DPT 2005 wird organisiert von Mitarbeiterinnender Technischen Universität Darmstadt, TUD und derGesellschaft für Schwerionenforschung, GSI im Namen<strong>des</strong> Hedwig Kohn Vereins zur Förderung vonFrauen und Mädchen in der Physik. Die Tagung wirdunterstützt von der TUD, der GSI und dem ArbeitskreisChancengleichheit der Deutschen PhysikalischenGesellschaft. Im Rahmen der Konferenz werden aktuelleThemen erörtert. Dazu gehören Fachvortrage ausallen Bereichen der Physik sowie Gesellschaftsvorträgerund um das Thema Frauen in der Physik. Auf derKonferenz wird es ebenfalls ein Programm für interessierteSchülerinnen geben. Neben dem umfassendenProgramm steht genügend Raum für Diskussionen undGedankenaustausch zur Verfügung.Weitere <strong>Info</strong>rmationen und Anmeldung unter:http://www.physikerinnentagung.deJahrestagung der Sektionsrates Frauen- undGeschlechterforschungFrauenMännerGeschlechterforschung4./5.11.2005, HannoverDer Titel der Veranstaltung „FrauenMännerGeschlechterForschung“steht für ein breites Spektrum theoretischerAnsätze und empirischer Arbeiten. Die Ausdifferenzierungder Forschungslandschaft und theoretischenEntwürfe zeigt, wie sehr feministische Diskursedie Sozialwissenschaften angeregt und geprägt haben.Die Veranstaltung soll einen vielstimmigen Verständigungsprozessüber den gegenwärtigen Stand der „FrauenMännerGeschlechterforschung“ermöglichen. DieTagung bietet ein Forum für einen Dialog der Gegensätzeund eine Kontroverse über vermeintlichen Konsens:Wo hat die Kategorie Geschlecht ihren systematischenOrt in soziologischen Theorien? (Wie) Kann undsoll Geschlechterforschung in gesellschaftspolitischeEntwicklungen eingreifen? Diese Leitfragen zur Bedeutungder Kategorie Geschlecht und zur Beziehung zwischenWissenschaft und Politik sollen in verschiedenerWeise und aus unterschiedlichen Theorieperspektivenheraus bearbeitet werden.Kontakt und weitere <strong>Info</strong>rmationen:Prof. Dr. Martina Löw, TU Darmstadt, Institut fürSoziologie, Residenzschloß, 64283 Darmstadt,Fax: 06151-166035,Email: loew@ifs.tu-darmstadt.deSymposium„Mannsbilder“ Kritische Männerforschung undTheologische Frauenforschung im Gespräch11. – 13.11.2005, MünsterSeit Mitte der 1990er Jahre finden sich im deutschsprachigenBereich zunehmend wissenschaftliche Forschungenund Publikationen zu Themen einer eigenständigenMännerforschung, auch in der Theologie.Verschiedene Ansätze und Ergebnisse Kritischer Männerforschungaus unterschiedlichen theologischen Bereichensollen vorgestellt, diskutiert und miteinanderins Gespräch gebracht werden. Dabei werden auch Ansätzeaus anderen wissenschaftlichen Disziplinen einbezogen.Männerforschung leistet einen Beitrag innerhalb<strong>des</strong> Gesamtbil<strong>des</strong> der Geschlechterverhältnisse,das im Blickpunkt aktueller Forschungen von genderstudies steht. Einen konstruktiven Dialog zwischen Kri-<strong>Info</strong> 21.Jg./Nr.28/2004137


<strong>Info</strong>stischer Männerforschung und Theologischer Frauenforschungzu ermöglichen, ist Ziel <strong>des</strong> Symposiuns, dasvom Seminar für Theologische Frauenforschung an derKatholisch-Theologischen Fakultät der UniversitätMünster veranstaltet und vom Wissenschaftsministerium<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen gefördert wird.Den Eröffnungsvortrag wird PD Dr. M. Meuser halten.Zugesagt haben VertreterInnen der biblischen,praktischen und religionspädagogischen Fächer derTheologie sowie MitarbeiterInnen aus kirchlichen Gremien,Verbänden und Praxisprojekten.Anmeldungen zum Symposion sind auf folgendemWeg möglich: Formlos per mail (femtheo@unimuenster.de)oder per Brief an das Seminar für TheologischeFrauenforschung (Hüfferstraße 27, 48149Münster)FrauenKonferenzNetzwerken für mehr Gleichstellung in Europa14.11.2005, HannoverWie leben und arbeiten Frauen in den neuen EU-Mitgliedstaaten?Was bewegt sie und wie vernetzen sie sich?Auch 15 Jahre nach dem Fall <strong>des</strong> Eisernen Vorhangssind Länder wie Polen, Tschechien und Ungarn für vieleim Westen noch unbeschriebene Blätter. Dabei entwickelnsich die Länder sehr dynamisch, haben kulturellund touristisch viel zu bieten, verfügen über gut ausgebildeteund hochqualifizierte Menschen und vor allem- beeindruckende Frauen. Einige davon präsentierensich am 14. November 2005 in Hannover mit ihrenNetzwerken im Rahmen der FrauenKonferenz <strong>des</strong>EIZ Niedersachsen.Weitere <strong>Info</strong>rmationen unter:http://www.event.eiz-niedersachsen.de/„Einsteins Kolleginnen – Physikerinnen gesternund heute“17.11.2005, Deutsches Museum MünchenEine Veranstaltung im Rahmen der Projektaktivitätenvon „Gender im Einsteinjahr – Chancen für Frauenin naturwissenschaftlichen Berufen“Die Veranstaltung richtet sich an alle interessiertenWissenschaftlerInnen, NachwuchsforscherInnen ausHochschulen, Forschungseinrichtungen und Verbänden(DPG, GCDh, GI, VDI, dib, VDE etc.). Nebender Vorstellung der Broschüre über zeitgenössische wiehistorische Physikerinnen geben Vortragende aus Politik,Wissenschaft und Forschung interessante Impulse– ein spannen<strong>des</strong> Rahmenprogramm rundet dieseVeranstaltung ab.Weitere <strong>Info</strong>rmationen unter:http://www.kompetenzz.de/content/view/full/7704Jahrestagung <strong>des</strong> deutschen ingenieurinnenbun<strong>des</strong> (dib)Karriere in der Technik: Spielregeln kennen, deneigenen Weg gestalten18. – 20.11.2005, GöttingenThema dieser Tagung soll die Auseinandersetzung mitden Erwartungen und Bildern der Gesellschaft sein,die auftauchen, wenn frau als „technische Fachfrau“wahrgenommen wird oder werden möchte. Wir werdenuntersuchen, welche Auswirkungen diese Vorstellungenauf unseren beruflichen und privaten Werdeganghaben und wie wir sie für uns nutzen können.Außerdem werden wir Tipps zum stilgerechten Auftrittbekommen.Spielregeln kennen:• Mit welchen Bildern und Rollen werden wir im Laufe<strong>des</strong> (Berufs-) lebens konfrontiert?• Wie wirken sich diese auf unser berufliches und privatesLeben aus?• Welche Regeln gelten für das Auftreten und Verhaltenin Beruf und Gesellschaft?• Gibt es verschiedene Regeln für Frauen und Männer?Den eigenen Weg gestalten:• Welche besonderen Stärken und Schwächen habenwir?• Wie können wir sie zu unserem Vorteil nutzen?• Wie können wir die ausgetretenen Pfade verlassenund so individuell neue Lösungen finden?Weitere <strong>Info</strong>rmationen unter:http://www.dibev.de/verein/mv_them.shtml138


<strong>Info</strong>sInternational Conference: A CANON OF OUROWN?28./29.11.2005,University of ViennaOrganised by the Centre for Gender Studies, Universityof Vienna.This conference will bring together experts in thefield of Feminist, Women’s, and Gender Studies fromvarious countries to discuss differentiations that shapepower relations within that very field - and beyond.Relations and tensions between theoretical andempirical research as well as potentials and constraintsof local contexts of knowledge production shall beaddressed.The conference focuses on the notion of canonalong the following lines:• Is there a canon of Feminist, Women’s, and GenderStudies that is valid all over the world? Which theoriesand approaches does one have to know and apply?• If such a canon exists, how do theories, concepts ortexts become canonical in Feminist, Women’s andGender Studies? Are there any differences to main/malestream canons?• Are there implicit or explicit leading disciplines withinan assumedly interdisciplinary context?• Are Women’s and Gender Studies in need of a canonat all? Can they help developing one?• How about countries in which - for whatever historicalor political reasons - Women’s and Gender Studiesevolved later than elsewhere? Can they ever catch up?Do they have to catch up?• How important is the local context/situatedness ofknowledge production?• How important are different languages? What aboutEnglish as an academic lingua franca on the one handand as a hegemonic language on the other?If you intend to attend the conference, please mail yourregistration to uni-fem@univie.ac.at not later than Nov14, 2005. For the detailed conference programme andfirther informations please see:http://www.univie.ac.at/gender/canonTagung: Mentoring als Wettbewerbsfaktor fürHochschulen – strukturelle Ansätze der Implementierung2./3.12.2005, Stiftung Universität Hil<strong>des</strong>heimDie Tagung wird von der Lan<strong>des</strong>konferenz NiedersächsischerHochschulfrauenbeauftragter in Kooperationmit dem Zentrum für Interdisziplinäre FrauenundGeschlechterforschung der Hochschule für AngewandteWissenschaft und Kunst /FH Hil<strong>des</strong>heim/Holzminden/Göttingen und der Stiftung UniversitätHil<strong>des</strong>heim veranstaltet und vom NiedersächsischenMinisterium für Wissenschaft und Kultur gefördert.Seit 2001 werden an niedersächsischen HochschulenMentoringprojekte für Schülerinnen, Studentinnenund Postgraduierte im Rahmen <strong>des</strong> Hochschul- undWissenschaftsprogramms, angeboten. Diese Projektewurden extern evaluiert und erste Ergebnisse in 2002auf einem Mentoringworkshop im Kontext andererErfahrungen aus dem deutschsprachigen Raum präsentiert.Mit diesem Tagungsvorhaben „Mentoring für Frauenals Wettbewerbsfaktor für Hochschulen – strukturelleAnsätze der Implementierung“ wird einerseits dieFokussierung auf die organisationale Dimension vonMentoring beibehalten und vertieft. Andererseits werdenMentoringerfahrungen unmittelbar eingebettet undbezogen auf die aktuellen Umstrukturierungsprozessean den Hochschulen und mit Blick auf die perspektivischenHochschulstrukturen thematisiert. Zur Qualitäts-und Standortsicherung ist die Nutzung aller personellenund sächlichen Ressourcen sowie die Erprobungund Implementierung innovativer Lehr-, Studien-und Forschungsangebote an den Hochschulen erforderlich.Mentoring soll dabei als innovatives Instrumentzur Förderung <strong>des</strong> studentischen und wissenschaftlichenNachwuchses sichtbar gemacht und derenPotenziale zur Organisationsentwicklung ausgelotetwerden.In zwei einführenden Vorträgen sollen die Chancenfür Mentoring im Rahmen der Neustrukturierung vonHochschulen erörtert werden und Anregungen aus derPrivatwirtschaft für Mentoring als Wettbewerbsfaktorfür Hochschulen fruchtbar gemacht werden.In zwei parallel laufenden Workshops werden:• Best-Practise-Beispiele zur Implementierung vonMentoring an Hochschulen vorgestellt, insbesonderein BA und MA-Studiengänge• Perspektiven der Organisationsentwicklung undPersonalwirtschaft zur Implementierung von Mentoringaufgezeigt<strong>Info</strong> 21.Jg./Nr.28/2004139


<strong>Info</strong>s• Erfahrungen aus dem Projektmangement (vom Projektin die Struktur) nutzbar gemacht und• Potenziale zur Bündelung und Vernetzung von Ressourceninnerhalb der Organisation aufgezeigt.Posterpräsentationen von Mentoringprojekten sollendie Vielfalt der Mentoringansätze, deren Ergebnisse,Erfahrungen und Perspektiven sichtbar machen.Die Tagung richtet sich an Verantwortliche undMultiplikatorinnen/Multiplikatoren der Hochschulen(insbesondere: Hochschul- und Institutsleitungen,Studiendekane und Studiendekaninnen, Gleichstellungsbeauftragte,Projektkoordinatorinnen) Teilnehmendeund Interessierte am Mentoring sowie an Verantwortlicheaus externen Kooperationen.Ansprechpartnerin:Stiftung Universität Hil<strong>des</strong>heimDr. Astrid FranzkeMarienburger Platz 2231141 Hil<strong>des</strong>heimTel.: 05121/883191E-Mail: franzke@rz.uni-hil<strong>des</strong>heim.deFachtagung: „Behinderung und Geschlecht –Perspektiven in Theorie und Praxis“12.12.2005, Carl von Ossietzky UniversitätOldenburgEine Veranstaltung <strong>des</strong> Zentrums für interdisziplinäreFrauen- und Geschlechterforschung (ZFG) an der CvOUniversität Oldenburg veranstaltet in Kooperation mitder Frauengleichstellungsstelle der Universität und demFrauenbüro der Stadt Oldenburg.In der Genderforschung sind die Lebensrealitätenvon Frauen und Männern mit Behinderungen bislangnicht umfassend thematisiert worden. Mit dem Fachtagist beabsichtigt, dazu beizutragen, diese Lücke zufüllen. Auf der Grundlage sowohl theoretischer Aspektevon Behinderung unter der Genderperspektiveund dem aktuellen Forschungsstand als auch praxisbezogener Fragestellungen soll die Veranstaltung Raumzur öffentlichen Auseinandersetzung um Behinderungund Geschlecht bieten und einen Fachdiskurs anregen.Neben der Fokussierung auf den Schwerpunkt einerfeministisch orientierten Behindertenforschung ist esebenso Ziel <strong>des</strong> Fachtags, Maskulinitätsforschung alsBezugsrahmen für behinderte Männer und Jungen zuthematisieren.Folgende Zielgruppen sollen angesprochen werden:PraktikerInnen und WissenschaftlerInnen aus dem Feldder Frauen- und Geschlechterforschung, der Behinderten-und Sonderpädagogik, der Gesundheits- undPflegewissenschaften und alle sonstigen mit Behinderungbefassten Fachdisziplinen und Einrichtungen sowiedie interessierte (Fach-)Öffentlichkeit und alle Studierendenunterschiedlicher Fächer.Kontakt: Karola Gebauer,zfg@uni-oldenburg.de,Tel.: 0441/7984316,FAX: 0441/798 5869International Interdisciplinary Conference:Equality and Diversity in Europe: ComparativePerspectives on Equality Law and Politics12./13.01.2006, Helsinki, FinlandOrganizers: Association for Social and Legal Studies(OYY) and the Minna Project ‘Egalitarian Contentions’(Academy of Finland and the Faculty of Law,University of Helsinki).Equality and diversity, anti-discrimination andmainstreaming, law and politics are contested dualismsin the European Union today. The current developmentsraise the question of the uses of concepts, boundariesand disciplinary varied contributions in definingwhat equality and justice require in regard to gender,religion, ethnicity and sexual identity.The Nordic Women´s Law has for deca<strong>des</strong> assessedthe effects of gendered law and politics on women,and as such, the tradition should be helpful in mainstreaminglegal politics. Up to the most recent times,issues of diversity have been less openly in the agendaof Scandinavian gender studies in law. It is one of thegoals of the conference to raise discussion on how theNordic tradition relates to the European equality politicsand law.Equality is both a legal principle and a political goal.The participants of the conference are invited to discussthe contested meanings of concepts such as equality,multiculturalism, authenticity, identity, pluralism,intersectionality, diversity and difference. A wide rangeof disciplinary approaches, both theoretical and applied,are welcome. The conference focuses on issues relatedto political framing and legal interpretation of Europeanequality agendas.Further information:http://www.stakes.fi/naisnet/Conference12-130106.htm140


<strong>Info</strong>sCall for PapersLesbian Lives XIII: ‘Historicising the Lesbian’Friday 10 – Sunday 12 February 2006International, Interdisciplinary Conference to be heldat the Women’s Education, Research and ResourceCentre (WERRC), University College Dublin, IrelandProposals are welcomed on (though are by no meanslimited to) the following:Lesbian histories, Historiography, Biographies, HistoricalLiterature, Lesbian and Gay Liberation Movements,Oral Histories, Community and Social Activisms,Histories of Sexualities, Queer Readings of History.The conference organisers welcome proposals for(A) individual papers, (B) sessions, (C) round table discussions,and (D) workshops.E-mail proposals to lesbian.lives@ucd.ieLesbian Lives XIII:Women’s Education, Research and Resource Centre(WERRC)Hannah Sheehy-Skeffington Building,University College Dublin, Dublin 4, IrelandThe closing date for the submission of proposals isFriday 18 th November 2005http://www.ucd.ie/werrc/events for conferenceupdatesArbeitskreis Politik und Geschlecht in derDVPW/ Politics and Gender Section of theGerman Association for Political Science:Call for Papers für die DVPW Tagung „Staat undGesellschaft – fähig zur Reform?“, 25. – 29.September 2006, Münster, GermanyFeministische Perspektiven auf den Wandel von Staatlichkeitund Gesellschaft: zwischen globalen Exklusionsprozessenund TransnationalisierungThe transformation of state and society: Feministperspectives on processes of global exclusion andtransnationalisationIn the view of commentators, politicians and probablyof a majority of the public, Germany as well asother countries of the Global North go through a severeand multi-level „crisis“. Its most visible componentsare high – and rising – unemployment rates, increasingpublic budget deficits, and political reformsthat have profoundly transformed and even dismantledwelfare state structures. More generally speaking, socioeconomicand political transformations have resultedin processes of exclusion and have produced precariousliving conditions for a growing segment of thepopulation. „Precariousness“ („Prekarisierung“) in thiscontext means not only precarious forms of employment,but a general state of insecurity and vulnerabilityin all dimensions of life. The need to individual flexibility,mobility, and self-exploitation under conditionsof economic pressure and competitiveness has createda „non-class of the marginalized“ (Candeias) as well asthe figure of the „entreployee“ („Arbeitskraftunternehmer“),who bears individual responsibility for his/ hersocial status and personal development (Pongratz andVoß; Bröckling).These processes are embedded in and connected tointernational and global developments: the logic of globalfinancial markets and economic competition shapesthe conditions for employment and wage levels withinnation states. At the same time, the neoliberal notionof economics dominating politics has become a globalhegemonic scheme of interpreting society. ManyOECD states have intensified their security policies inresponse to a wi<strong>des</strong>pread feeling of insecurity amongthe population that predominantly results from politicaland economic de-regulation. This renaissance of nationalsecurity not only undermines an international orderbased on multilateralism, but also fosters the polarisationbetween „cultures“ and thus creates hostility onthe global scale. In particular, the construction of „Islam“as a potential threat to freedom and democracyhas created new mechanisms of exclusion for thosewho „look like terrorists“, and it has helped to legitimisethe subordination of individual rights under measures<strong>des</strong>igned to enhance national security.These processes of capitalist and nationalist exclusion,however, have also created international and transnationalreactions. International organizations – andthe United Nations in particular – provide a forum forthe debate on universal standards of human dignityand develop mechanisms for their implementation.Transnational activists often refer to these standardsto protest against inequalities and thus connect universalstandards with contextualised struggles for socialjustice.In our panels at the DVPW congress, we would liketo bring together gender-sensitive perspectives on thetransformation of state and society as well as reflections<strong>Info</strong> 21.Jg./Nr.28/2004141


<strong>Info</strong>son governmental capabilities and transnational strategiesto correct processes of exclusion. We would liketo discuss:a) which kinds of masculinities and femininities /gender constructions are used in the <strong>des</strong>ign of exclusionarypolitics (e.g. in legitimising the depreciation ofhuman rights),b) what consequences global and national processesof exclusion have on women and men, particularly incombination with other hierarchical dimensions suchas nationality, class, and race, andc) if and how feminist projects and strategies can contributeto resist exclusion and promote social justicewithin and beyond national borders.Contributions may be dedicated (but not limited) tothe following sets of questions:a) Gender constructionsHow are the diverse interests of women representedin debates on crisis and political reform? Is a „women’sperspective“ strengthened at all, or is it subordinatedto „more pressing“, economic or security issues? Inhow far does the crisis produce new images of menand women (e.g. male Opel-workers fighting for theirrights; migrant female cleaners „<strong>des</strong>troying“ wages; lazyunemployed men; victimised single mothers on welfareetc.)? How do international politics and national policies,for example security policies, contribute to theconstruction of men and women, especially in combinationwith „own“ and „alien“ cultures? How do notionsof male foreign fundamentalists or foreign subordinatedand submissive women influence the selfconstructionof male and female identity in postindustrialisedsocieties?b) Gendered consequences of global and national processesof exclusionHow can the new processes of exclusion be characterised,and how do they affect men and women indifferent contexts? What impact does the globaldivision of labour have on gender relations within differentnation states? To which degree do men andwomen living in OECD states benefit or suffer from it(e.g. as textile and steel workers losing their jobs due tohigh domestic wage levels, or as illegal immigrants beingde-qualified and forced to perform cheap domesticwork)? How are gender relations affected in the homecountries of migrants (e.g. „care drain“ based on globalcare chain)?How do the political reforms in Germany and otherOECD states affect gender relations? Does thetransformation mean an unequivocal backlash forgender equality or does it provide some potential fornew and emancipatory gender roles? What canfeminists contribute to a gender-sensitive reform ofthe welfare state?How can a critical perspective on national processesof exclusion consider more severe forms of deprivationin other parts of the world? How can these be seen asanalytically and politically connected phenomena?c) Transnational visions and strategies for feministpoliticsWhich ideas of global justice have transnationalfeminist activists developed? How have they related toglobal standards, how do they estimate their usefulness(e.g. CEDAW, the BPFA and human rights standardsin general)? Were they successful in linking global standardswith specific contexts, and what are the obstaclesin such strategies?What is the potential/ organisational strength oftransnational feminist movements? How strong are, onthe other side, transnational movements that promotegender differences and –hierarchies?How can processes of exclusion that are not easily attributedto either the national or the international levelbe analysed and confronted?Abstracts are welcomed in English and German andshould not exceed two pages. Please send your proposaluntil November 30, 2005 to:Institut für Europ. EthnologieGraduiertenkolleg, Dr. Bettina RoßBiegenstr. 9, D – 35037 Marburg / Germanyross@staff.uni-marburg.deSubmissions via email are preferred.142

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