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Behavioristische Lerntheorien

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<strong>Behavioristische</strong> <strong>Lerntheorien</strong>Holzkamps Referat zu den behavioristischen <strong>Lerntheorien</strong>, die seit den fünfziger Jahren dieTheorien vom Lernen überhaupt bestimmten, ist auf zweifache Weise kritisch. Er geht vonvornherein der Frage nach impliziten begründungstheoretischen Annahmen nach, und er beleuchtetdie vorhandenen Theorien unter ihrem eigenen Entwicklungsaspekt. So macht er denBericht über die inneren Brüche und Korrekturen zum Darstellungsprinzip. Das macht dasReferat zum Argument und die Lektüre zu einer Art Diskussion. Man erfährt die Grundannahme,»die Gesetze des Lernens seien universell-organismischer Natur« (41) - eine Annahme,die es erlaubte, die Entwicklung lerntheoretischer Konzepte auf der Basis von Tierexperimentenim Labor mit kontrollierten Bedingungen durchzuführen, um sie im Anschluss alsfür alle Lebewesen gültig zu behaupten -‚ zugleich als eine Annahme, welche die von Holzkampvorgesehene Suche nach impliziten Begründungsmustern von vornherein als aussichtsloszurückweisen könnte. Da diese universelle Gültigkeit von Lerngesetzen als für alle Lebewesengleiche aber ohnehin »brüchig« geworden sei, insbesondere durch ethologische Untersuchungendie Schlußfolgerung einer Artspezifik des Lernens gezogen werden musste, kannauch Holzkamp im Folgenden sich auf die (etwa seit 1984) allgemein anerkannten modifiziertenKonzepte beziehen, die unter die Hegemonie der kognitiven Psychologie gerieten undBegriffe wie den des Gedächtnisses ins Zentrum rückten. „Solche Zweifel entstanden undverstärkten sich zunächst aufgrund von »anomalen« Befunden innerhalb der Konditionierungsexperimentemit Tieren. So stellte man bei einschlägigen Forschungen zum KlassischenKonditionieren ziemlich bald fest, daß sich nicht alle »Reflexe« gleich gut konditionierenlassen, und daß manche Tierarten bestimmte Verknüpfungen einfach nicht lernen konnten (ineiner Untersuchung von D‘Amato & Schiff 1964, ergab sich etwa, daß vier von acht untersuchtenRatten auch nach 7330 Durchgängen noch nicht gelernt hatten, einen Hebel loszulassen,um einen Schock zu vermeiden). Ähnliche Anomalien ergaben sich auch bei Experimentenzum Instrumentellen Konditionieren, so in Untersuchungen von Garcia & Kölling bzw.Garcia, Ervin & Kölling (beide. 1966) über »Geschmacksaversionen« von Ratten, weiterhinin Forschungen zum »spezifischen Hunger« (Sammelreferat bei Rozin & Kalat 1972), über>unverstärktes< Pickverhalten von Tauben (Williams & Williams 1969), u.v.a: Hier erwiessich durchgehend, daß die Tiere im Experiment Verhaltensweisen zeigten, die sie gemäß denunterstellten Konditionierungsgesetzen eigentlich nicht hätten zeigen dürfen, was auf »angeborene«Verhaltensdispositionen zurückgeführt wurde (neuere Konzepte und Resultate dazusind in LoLordo & Droungas, 1989, referiert).“


2Er stützt sich auf die zusammenfassende Kritik von Brewer (1974), nach der die allgemeinenKonditionierungsgesetze bei Menschen nur dann funktionieren, wenn sie sich ihrer »bewusst«sind, ihrer »gewahr« werden. Holzkamp schließt daraus, dass u.U. die Gleichheit von tierischemund menschlichem Lernen eher als eine Ähnlichkeit »oberflächlicher« Art auf zufassensei, und dreht die Frage kurzerhand um: »Dass menschliches Lernen unter bestimmten experimentellenBedingungen als >Konditionierung< erscheint, wäre umgekehrt selber erklärungsbedürftig«(45). Diese Fragestellung erlaubt es ohne weiteres, das vorgesehene Prüfverfahreneinleuchtend einzutragen. Die Kritik an der universellen Gleichheit tierischen undmenschlichen Lernens erbringt so zugleich die Möglichkeit, die Frage nach der Begründbarkeitzu legitimieren und ihre Anwendbarkeit auf SR- (stimulus-response) theoretische Ansätze,die anscheinend ohne Annahmen von Vernunft und Bewusstsein auskommen, vorzuführen.Die Reformulierung der Frage lautet jetzt: „Unter welchen Prämissen (lernen) Individuenmit »guten Gründen«, also »vernünftigerweise« in einer Weise (...) die von außen, also vomDrittstandpunkt, als Konditionierung erscheint“. (46)Diese Frage kommt unmittelbar aufklärerisch daher. Sie bezieht ihre Plausibilität aus demangenommenen Subjektstandpunkt ebenso wie aus dem gesunden Menschenverstand. Sieverhilft gleichzeitig dazu, noch einmal zurück in die Grundannahmen klassischer SR-Theoriezu gehen, um selbst diese mit der impliziten Annahme eines menschlichen Bewusstseins zukonfrontieren. Der Nachvollziehbarkeit halber seien hier ebenso die einfachen Grundlagenwiedergegeben. „Grundannahme ist, dass kleinste Einheiten des Verhaltens als Reize (stimuli)und Reaktionen (responses) angenommen werden; wichtig wird die Art der Verknüpfung zwischendiesen beiden Elementen, die als Konditionieren (klassisches und instrumentelles) gefasstist. „Das Konzept des klassischen Konditionierens geht bekanntlich auf Watsons Adaptationvon Pawlows Konzept des »bedingten Reflexes« zurück, wie er in der Standard-Anordnung des berühmten Hundeexperiments demonstriert wurde: Unbedingter Stimulus(US): Futterpulver; unbedingte Reaktion (UR): Speichelabsonderung des Hundes auf Futterpulverhin; bedingter (»conditioned«) Stimulus (CS): Glockenton; bedingte Reaktion (CR):Speichelabsonderung nur auf Glockenton hin. Der Lernprozeß, wie er in dieser Anordnunggefaßt wird, besteht in der Ersetzung des Futterreizes durch den (ursprünglich »neutralen«)Glockenton aufgrund von dessen mehrfacher Darbietung in zeitlicher »Kontiguität« (Nachbarschaft)mit dem Futterreiz, nämlich jeweils kurz davor (Reizsubstitution). Das Konzept der»Verstärkung« bezieht sich in diesem Kontext auf die bedingte Reaktion (CR): Diese wirdverstärkt mit der Häufigkeit der erwähnten Zusammendarbietung von US und CS (je häufigerder Glockenton kurz vor dem Futterpulver dargeboten wird, um so stärker, dauernder, ist die2


3Speichelsekretion nur auf den Glockenton hin, also die CR). Als Gegenbegriff zur Verstärkungfungiert da bei das Konzept der Löschung oder Extinktion: Wenn der Glockenton mehrereMale ohne den US (Futtergeruch) dargeboten worden ist, wird die CR (Speichelsekretionauf Glockenton) gelöscht (vgl. Pawlow 1903, in 1953, S.122).“ Man ersetzt also einen Reiz,auf den ein unbedingter Reflex folgt, durch einen anderen, den man so mit dem ursprünglichenverknüpft, dass er, wiewohl er eigentlich mit der Reaktion nichts zu tun hat, diese ebenfallsauslöst. Es werden Begriffe der Verstärkung (abhängig von der Häufigkeit der gleichzeitigenDarbietung etwa von Futter und Glockenton),der Löschung, wenn die gleichzeitige Darbietungmehrfach wegbleibt, und des Signallernens gebildet. Anlage, Experiment und Ergebnissind so plausibel, dass man sich ohne weiteres eine Menge von solchen Konditionierungen,etwa als Dressurnummern im Zirkus, vorstellen kann, wie auch der Phantasie, solches imStrafvollzug und in Pädagogik und Therapie einzusetzen, kaum Grenzen gesetzt sind. Alseine gelungene Veranschaulichung sei der Film Clockwork Orange (Buch: Anthony Burgess;Regie: Stanley Kubrick) empfohlen, in dem ein krimineller Jugendlicher vorgeführt wird, demvermittels SR-Lernen der Geschmack an Frauen, an Musik, an Alkohol abdressiert wird.Holzkamp reformuliert das SR-Muster zunächst in eine Wenn-Dann- Hypothese: Wenn aufeinen bestimmten Reiz ein unspezifischer folgt, dann erfolgt Reaktion x; die in der Versuchsanordnungenthaltene Annahme einer Versuchsperson, die auf die Ankündigung, das Signalreagiert, lässt ihn ein unvermeidliches, wenngleich minimales Zugeständnis an den Subjektstandpunktdes »konditionierten« Individuums annehmen. Die sich daraus ergebende Fragenach den »guten Gründen«, die das Individuum hat, in solcher Weise zu reagieren, zeigtihm, dass die Hinweise nicht ausreichend sind, nicht alle Bestimmungen expliziert bzw. nichtalle theoretisch abgebildet sind. Es wird also notwendig, eine solche »Geschichte« aus einerKonditionierung nachzuzeichnen, um die entsprechenden Leerstellen aufzuspüren. Die Wiedergabean dieser Stelle verdeutlicht sein methodisches Vorgehen. Er erzählt die Geschichteeiner »Angst vor weißen Schürzen« als eine Abwandlung einer watsonschen Konditionierung,in der ein eineinhalbjähriges Kind bei einem Arztbesuch, auf dem Schoß seiner Mutter festgehalten,vom behandelnden Arzt eine schmerzhafte Injektion bekommt und von da an beimAnblick einer weißen Schürze in einem Arztzimmer auch dann zu schreien und zu strampelnbeginnt, wenn gar keine Spritze ansteht.»Eine junge Mutter sitzt mit ihrem knapp anderthalbjährigen Kind im Wartezimmer des Augenarztes.Nachdem das letzte Mal die verstopften Tränenkanäle gespült werden mußten,steht heute lediglich die Nachkontrolle an. Das Kind ist viel unruhiger als sonst, aber die Mutterlenkt es mit Geschichtenerzählen geschickt hab. Wie nun die Arztgehilfin eintritt, beginntdas Kind wie am Messer zu schreien und zu strampeln. Das ist eine Reaktion auf die neueReizsituation, die mit dem Eintreten der Arztgehilfin, die das Kind zuvor nicht kannte, einge-3


4treten ist. Die Reaktion ist völlig eindeutig; sie ist der Ausdruck für eine starke Emotion, fürAngst, für Furcht vor etwas, vielleicht auch für einen Widerwillen gegen etwas. Eine charakteristischeReizsituation löst eine ebenso charakteristische Reaktion aus.« (S.14)In Verfolgung der »Lerngeschichte« dieser Reaktion verweist Steiner zunächst darauf, daßallgemeine Erregungszustände wie die »Angst« des benannten Kleinkindes eine »elementarenatürliche Verhaltensweise» und deswegen für die Klassische Konditionierung von großerBedeutung seien. Sodann fragt er nach der Art der »Reizsituation«, die das Weinen undSchreien des Kindes ausgelöst habe, wobei er als »Reizkonfiguration« etwa eine Figur imweißen Kittel innerhalb des Kontextes der gesamten Arztpraxis heraushebt (S.16f). Weiterhincharakterisiert er die »ursprüngliche Konditionierung des Kindes« in folgender Weise:»Mit Sicherheit hat das Kind beim vorausgegangenen Spülen der Tränenkanäle einen bedeutendenSchmerz verspürt. Dieser war ein Reiz für das Kind, auf den es mit natürlichen Verhaltensweisenreagiert hat, vor allem mit denen, die ihm damals zu Gebote standen: mit einerabwehrenden Körperbewegung (Zusammenzucken, Strampeln) und vor allem mit Schreien.So zu reagieren, mußte das Kind nicht lernen; diese Reaktionen gehören wohl zu den elementaren,in gewissem Sinne das Überleben sichernden Verhaltensweisen. Viele weitere Reaktionen,jedenfalls von außen beobachtbare, waren in dieser Situation nicht möglich, weil derArzt nämlich die Mutter gebeten hatte, das Kind auf dem Arm zu halten und seinen Kopf zufixieren. Die Tatsache, daß sich das Kind nicht bewegen konnte, stellte nun ihrerseits eineReizkonfiguration in Form von visuellen, taktilen, aber auch inneren Reizen dar. Das Faktumferner, daß es sich nicht wehren konnte, also keine Verhaltensalter nativen hatte, führte zweifelloszu einer erhöhten Erregung des gesamten Organismus. Beim ersten Mal erfolgte eineAngstreaktion unmittelbar auf den Schmerz, der das Spülen verursachte. Im Wiederholungsfalle,d.h. heute beim erneuten Arztbesuch, antizipiert das Kind - aufgrund der oben beschriebenenReizsituation - den Schmerz und löst damit die Angstreaktion aus.« - »Sehen wir unsnoch einmal die ursprüngliche Situation an, so erkennen wir etwas Wichtiges: Das Kindnimmt zwar zweifellos den Schmerz wahr (zu erst taktil, dann innerlich, organisch), erkenntaber höchst wahrscheinlich die eigentliche Ursache, nämlich die Spülflüssigkeit bzw. dieSpülnadel als auslösenden Reiz nicht. Selbst wenn es die Nadel rein optisch wahrnehmenwürde, wüßte es nicht, was dies für ein Instrument ist und daß dieses eigentlich die schmerzhaftenKonsequenzen nach sich zieht. Hingegen sieht und spürt es die umgebende Situation:Es sieht und hört den behandelnden Arzt, dessen Gesicht und Teile seiner weißen Schürze.Durch eben diese besondere, hoch geschlossene Schürze unterscheidet sich der Arzt von vielenanderen Menschen, denen das Kind schon begegnet ist und die es kennt. Der Schmerz alsReiz wird nun mit dem für das Kind offensichtlichen Verursacher, d.h. mit dem Arzt und dessenauffallenden Merkmalen gepaart. Innerhalb der gesamten Reizsituation verbindet sich dieweiße Schürze als gleich zeitig und am gleichen Ort auftretender Teilstimulus mit demSchmerz und löst von jetzt an, auch ohne daß dieser Schmerz unmittelbar eintritt, die entsprechendenReaktionen aus.« »UCS UCR - CS CR« »Halten wir folgendes fest: Am Anfangsteht ein körperlicher Reiz, ein Schmerz. Dieser Schmerz ist der unbedingte oder unkonditionierteReiz ... UCS ... Dieser löst eine ebenso unbedingte oder unkonditionierte Reaktion aus... UCR ...‚ eben die Angst des Kleinkindes ... Später löst ein anderer, ursprünglich neutralerReiz die Angstreaktion des Kindes aus. Dieser Reiz, der dann als Auslöser fungiert (wir habenangenommen, es sei die weiße Schürze), wird als bedingter oder konditionierter Reiz bezeichnet... CS ... und die Angstreaktion des Kindes als die bedingte oder konditionierte Reaktion... CR ...« (S.16f).Das Experiment gilt als Fallbeispiel klassischen Konditionierens, eben weil ja die Schürze>neutral< ist und zudem, da eine Wiederholung der Behandlung nicht ansteht, die Angst unddie dazugehörige Reaktion irrational scheint. Holzkamp expliziert, dass selbst bei einem so4


5kleinen Kind die Suche nach Begründungen eher einfach sei und es erlaube, die Bedingungenzu kennzeichnen, unter denen Menschen sich anscheinend wie konditioniert verhalten. DasKind hatte nämlich keine Handlungsalternative, war nicht sprachmächtig, wurde bewegungsunfähigauf dem Schoß und in Unwissenheit gehalten. Folglich treten als letzte Handlung unter»extrem eingeschränktem Realitätszugang« (51) Konditionierungserscheinungen auf. Statteiner Erfolgsmeldung in Sachen Konditionierung hätte man vernünftigerweise Kritik an derarteinschnürenden Bedingungen erwartet. Geglückte Verhaltenskonditionierung ist mithin alsAlarmzustand zu betrachten.Die Suche nach der Leerstelle, wo von Begründungen hätte gesprochen werden müssen, erweistsich als heuristisches Kritikmittel; freilich, so könnte man auch hier einwenden, liegendiese Entdeckungen noch auf der Ebene des gesunden Menschenverstands, dem selbst in quasiautomatischen Handlungen, etwa wenn jemand ein Kind ohrfeigt, damit es nicht ein zweitesMal das Essen herunterschmeißt, klar ist, dass von diesem Zeitpunkt an die erhobene Handausreicht, das Kind in Schrecken zu versetzen, und dass dieser Schrecken begründet ist. Verwunderlichbleibt eher umgekehrt, wie so genanntes klassisches Konditionieren so lange Zeit(über dreißig Jahre) als eine Art gelungene Programmierung theoretisch begründet und praktischangewandt werden konnte, ohne nennenswert Empörung hervorzurufen, während ebendie Alltagshandlungen, aus denen sie Plausibilität bezieht, lange schon in Verruf geraten waren(etwa die Prügelstrafe, die Folter). (...) In einem zweiten Schritt überprüft Holzkamp die inPädagogik und Therapie häufiger eingesetzten erfolgreichen Formen des »operanten bzw.instrumentellen Konditionierens«. Diese Formen, die wir alltäglich etwa in der Erteilung vonNoten für schulische Leistungen 1 kennen oder selbst einsetzen und die zusammenfassend alsLernen am Erfolg gekennzeichnet werden, sind ebenso in umfangreichen Tierversuchen ausprobiertworden und geeignet zu zeigen, wie alle möglichen Tiere auf allen möglichen Erfolgoder auf Belohnung hin ihr Verhalten korrigieren.Holzkamps Kritik an den behavioristischen <strong>Lerntheorien</strong> geht den Weg, gewissermaßen vonunten die vergessenen Begründungsmuster nachzutragen. Er reformuliert die unterlegteWenn-Dann-Hypothese mit den vorher angekündigten Worten »vernünftigerweise« und formuliert:»Wenn jemand für eine bestimmte Handlung mehrfach eine Belohnung erhalten hat, (...) dannführt er vernünftigerweise diese Handlung« wegen der neuerlichen Belohnungen wieder aus.1 Zwar gab es vor dem Behaviorismus Schulnoten usw., gleichwohl gehören diese Praxen zu den Grundlagenbehavioristischer Theorie und verhaltensmodifizierender Praxis, sodass sie hier erwähnt werden sollen.5


6Die Gegenprobe als einfache Negation — wenn jemand eine Belohnung erhält, dann unterlässter in der Folge diese Handlung (55) - soll zeigen, dass die behavioristischen Sätze injedem Fall Annahmen zur Begründetheit von Handlungen enthalten, weil etwa in diesem negativenFall »Gründe für das abwegige Verhalten« (55) gesucht werden. Allerdings wird aufdiese Weise der Begründungsbegriff auf eine so kleine Größe heruntergebracht, dass dieMöglichkeit, eine Lerntheorie zu kritisieren, weil sie mit so einfachen Begründungen als existenziellenAussagen über >den< Menschen arbeitet, auf diese Weise verschenkt, wenn nichtgar unterlaufen wird.Holzkamp wendet sich den komplizierteren Formen der »intermittierenden Verstärkung« undden entsprechenden Verstärkerplänen zu, die aus der wiederholten Beobachtung, dass die unregelmäßigverabreichte Belohnung das Verhalten nachhaltiger verändert und befestigt als diestete, eine eigene Theorie und entsprechende Anleitung für die pädagogische Praxis macht.„Beispiel 1: »Ein Angler geht 22 Jahre lang zum selben Fluß angeln. Jedesmal, wenn er hingeht,fängt er mindestens 4 Fische (kontinuierliche Verstärkung). Nun, zu Beginn diesesverschmutzungsbewußten Jahrzehnts, fängt er plötzlich keinen Fisch mehr (Entfernung derVerstärkung). Nach vier erfolglosen Versuchen hängt er das Angeln an den Nagel (schnelleAbschwächung nach kontinuierlicher Verstärkung)«. - »Beispiel 2«: - «Ein anderer Mann hatim selben Fluß auch 22 Jahre lang gefischt. Manchmal hat er dabei etwas gefangen, manchmalauch nicht. Es gab Jahre, da fing er in der ganzen Saison keinen einzigen Fisch. Aber eskam auch vor, daß er an einem einzigen Tag bis zu 18 Forellen fing (intermittierende Verstärkung).Zu Beginn unseres verschmutzungsbewußten Jahrzehnts nun fing auch er keine Fischemehr (Entfernung der Verstärkung). Am Ende dieses Jahr zehnts wird dieser Angler wahrscheinlichimmer noch zum Fluß gehen (langsame Abschwächung, d.h. erhöhte Löschungsresistenz/K.H.,nach intermittierender Verstärkung)«“ (S.40f).Holzkamp zeigt, dass dieses Beispiel keineswegs als Schulexempel für den Erfolg intermittierenderVerstärker genutzt werden kann, sondern im Gegenteil Veranschaulichung >vernünftigenvernünftig< gehandelt und für beide gilt, dass der Experimentator ihnennicht einmal einräumt, beim Fischereiamt nachzufragen, kurz, die Unzulänglichkeit des»Weltaufschlusses« zum theoretischen System macht. Als allgemeine These kann Holzkampformulieren, dass Menschen immer dann ein Verhalten zeigen, welches konditioniert scheint,wenn sie über eingeschränkte Denk- und Handlungsmöglichkeiten verfügen. In den Experimentender behavioristischen Lerntheorie sind diese zudem ein Produkt der Forschungsanordnungselbst. Diese Beobachtung führt Holzkamp zu der abschließenden Einsicht: dass dieReduzierung des Bedeutungszusammenhanges der Welt in den Experimenten des Behaviorismusdazu dient, Bedeutungen als zufällige Gegebenheiten und willkürliche Verknüpfungenkünstlich herzustellen. Sie scheinen zwar aus dem Alltag gewonnen, stellen aber für diesenselbst höchstens Grenzfälle dar und wurden sogar zumeist in dieser Reduziertheit eigens konstruiert.So etwa die Vorstellung, dass das Bremslicht eines vor einem fahrenden Autos durchhäufiges unregelmäßiges Aufleuchten die Bremshandlung konditioniere: „US = schnelle Abstandsverringerungzum vorfahrenden Auto; UR = Bremsen auf Abstandsverringerung hin;CS = Bremslicht des vorfahrenden Autos; SR = Bremsen allein bei Wahrnehmung des Bremslichtes.Die Konditionierung käme demnach zustande durch das häufige Auftauchen des6


7Bremslichtes voranfahrender Wagen kurz vor der wahrnehmbaren Abstandsverringerung, alsodie Kontiguität zwischen US und CS. Dadurch wird der CS (Bremslicht) zum »Signal« fürden US. Betrachtet man jetzt noch die UR, das Bremsen auf die Abstandsverringerung (US)hin, als relativ festgelegte, »automatische« Notfallreaktion, die per Reizsubstitution nun aufden CS hin erfolgt und damit zur CR wird, so scheinen hier die Bestimmungen des KlassischenKonditionierens (i.w.S.) halbwegs erfüllt. Auch die BGM-Fassung und Konzeptualisierungdieser Bestimmungen als Merkmale »induktiven Lernens« macht weiter keine Schwierigkeiten:Die induktive Verallgemeinerung des Faktums der häufigen Aufeinanderfolge derisolierten Ereignisse »Bremslicht« und »Abstandsverringerung« als Prämisse für den Handlungsvorsatz,das nächste Mal schon auf das Licht hin zu bremsen, scheint ohne weiteres alsFall von »vernünftigem« Handeln bei spezifisch reduziertem Umweltaufschluß einzuordnen.Wenn man nun aber den Blick auf dieses Beispiel nicht durch die vorgefaßte Absicht, darandas Klassische Konditionieren zu demonstrieren, fixiert, sondern die hier angeführte Situationunvoreingenommen betrachtet, so wird schlagartig deutlich, daß bestenfalls ein total ahnungsloserMitfahrer (am besten: von einem anderen Stern) die benannten »induktiven« Lernprozessevollziehen mag, daß aber kein Autofahrer auf diesem Wege die Bedeutung des Bremslichteslernt - schon deswegen nicht, weil er und sein Auto die Phase, in der sich die Verknüpfungzwischen Bremslicht und Abstandsverringerung in mehrfachen »Durchgängen« erst herstellt,wohl kaum unbeschadet überstehen würden. Tatsächlich lernt der Autofahrer (wenn eres nicht schon vorher wußte) in der Fahrschule, daß das Leuchten des Bremslichtes kausaldurch den Bremsvorgang des vorfahrenden Autos hervorgerufen wird, weil das Auto vomHersteller im Einklang mit der Straßenverkehrsordnung (oder so) zum Zwecke der Verhütungvon Auffahrunfällen so gebaut worden ist. »Lernen« bedeutet hier also nicht Verknüpfungzufälliger Einzelereignisse, sondern Erfassen eines bestimmten, in die Welt hineingebautenund deswegen real vorfindlichen sachlichen Bedeutungszusammenhangs. Das Problem fürden Autofahrer ist hier demnach nicht der »induktive« Erwerb der Verknüpfung von Bremslichtund Abstandsverringerung, sondern höchstens - bei Einsicht in deren sachlichen Zusammenhang- die Umsetzung des darin begründeten Handlungsvorsatzes, also etwa die hinreichendeBeachtung der Bremslichter und ggf. das rechtzeitige Treten der Bremse des eigenenAutos, etc. Darauf bezogene Lernprozesse sind aber mit dem Schema des KlassischenKonditionierens (und des Konditionierungslernens überhaupt) nicht abzubilden.An dieser Stelle kommt Holzkamp zu der Kritik, dass die Reduzierung der Bedeutungen inder Welt auf Gegebenheitszufälle durch die behavioristischen <strong>Lerntheorien</strong> auch bedeutet,Handlungen als determiniert statt als möglich und vielfältig zu fassen. Wofern die Versuchspersoneneinwilligen, entsprechend der Versuchsanordnung zu lernen, sei dies zudem unterder Rubrik »Lernen unter äußerem Zwang« (62) abzuhandeln und könne keinen wirklichenAufschluss über menschliches Lernen bringen und vor allem nicht über die emotionalen Wertungen,die beim Lernen im Spiel sind. Die Anweisung an die Praktiker im Sinne der Behavioristenwürde lauten, solche Zwangslagen herzustellen, in denen entsprechendes Verhaltengelernt wird. Er nennt verarmte Umgebungen, Schulräume, in denen nichts Befriedigendes»ablenkt«, sodass alles und jedes zur Verstärkung genutzt werden kann. Implizit werde voneinem Widerspruch zwischen Lehrer und Schüler, Experimentator und Versuchsperson ausgegangen,in dem der eine »Strategien«, »Taktiken« anwendet, um den anderen zu überlistenund seinen Zielen zu unterwerfen. Demnach, so schlussfolgert Holzkamp, ist im Begriff der7


8Verstärkung enthalten, dass das Individuum gegen seine Interessen und gemäß den Pläneneines Gegners handelt. Für die Einsetzung von allerlei Süßigkeiten bis hin zu den später umtauschbaren»Tokens« (Gummibärchen, Spielmarken etc.) sieht er jetzt den Begriff der Bestechungvor (66).Sein methodisches Vorgehen brachte Holzkamp zu der Erkenntnis, dass Verhaltensänderungen,die wie Konditionierungen aussehen, auf ihre subjektiv >vernünftige< Begründung untersuchtwerden müssen und sich dabei als Ausnahme, als Lernen unter Zwang, als Lernenunter residualen Weltaufschlüssen, u.U. als manipulative Maßnahme des Experimentatorsaufschlüsseln lassen. Das Vorfahren brachte die Einsicht, dass Selbstmissverständnisse inBezug auf die verschwiegenen Begründungen allgemein vorhanden sind. Es verhalf also zurKritik der behavioristischen Theorien, verschloss sich aber dem Verdacht, dass u.U. dieseAnlage, die der Experimentator nachbaut, ihren Grund in der Welt selbst hat, mithin real ist,und dass sich also Menschen tatsächlich auch im wirklichen Leben nach den unterstelltenMaßgaben verhalten. Anders gesprochen: Dass ihr Verhalten für sie selbst begründet ist, sollhier nicht bezweifelt werden, vielmehr gilt der Zweifel dem »Weltaufschluss«, den uns dieseAnnahme erlaubt. Schließlich können wir davon ausgehen, dass die über Konsumreize funktionierendeWarengesellschaft ein Verhalten verstärkt, wie es im Behaviorismus als allgemeinmenschlich vorausgesetzt ist. Das Problem scheint mir dabei nicht, dass Menschen sich entsprechendwie dressiert oder besser programmiert verhalten können, sondern dass der realitätsverdoppelndebehavioristische Ansatz den Blick versperrt auf die kritische Alternative,unter welchen Umständen nämlich Menschen nicht funktionieren wie dressierte Tiere. DieseFrage wird nach meinem Dafürhalten im holzkampschen Entzifferungsverfahren durch Überallgemeinheitdes Begründungsmuster-Ansatzes zugedeckt.8

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