Die Raumanmutung sei, so eine Studentin, in derTat scheußlich, aber man sei diesen Bautyp gewohntund rege sich nicht mehr auf – unsere heutigegebaute Umwelt sei doch zu einem überwiegendenTeil in diesem antihumanen Stil gestaltet.Und was sagten die verantwortlichen Planer ausder Stadtverwaltung dazu? Aus heutiger Sicht, soder seinerzeit zuständige Baurat Mitte der 1990erJahre, könne man diese Bauformen freilich kaumertragen. Damals indessen, Anfang der 1970erJahre, habe die strenge kubische Form und die asketischeInnenraum-Gestaltung als Inbegriff einerwissenschafts- und rationalitätsadäquaten Architekturgelten können. Man sollte sich, so die Erwartung,ganz auf das wissenschaftliche Denkenkonzentrieren können, ohne Ablenkung durch„ästhetischen Firlefanz“. – Man weiß jedoch ausgleich noch zu nennenden Forschungen jener Zeit,Abb. 4 | Seminarräume im geisteswissenschaftlichenZentrum der Universität Göttingensozialwissenschaftliche und im dritten die theologischeFakultät („Theologicum“) untergebracht.Abbildung 4 zeigt typische Seminarräume dieserBauten. Mir ist eine Lehrveranstaltung in Erinnerung,die ich aus Gründen des Raummangels imTheologicum abhalten musste, in einem Raumder gezeigten Art. An dieser Veranstaltung nahmenauch Theologiestudenten teil. Ich eröffnetedie Lehrveranstaltung mit der Bemerkung, dassSeminare in einem derartigen Ambiente kaum zumutbarseien. Man könne, so setzte ich die Einleitungfort, zwar nicht von einer Inkarnation desTeufels in diesem Raumgebilde sprechen, wohlaber von dessen Inlithinisierung (d.h. von seinerVerfestigung und Sichtbarwerdung im „Stein“,im Baumaterial). Niemand widersprach. Im Anschlussan die Seminarveranstaltung sprachenmich einige Studierende auf diese Bemerkung an.Abb. 5 | Polaritätenprofil: Bewertung von Universitätsgebäudenin Göttingen6
dass eine derartige Wahrnehmung des Bau-Ambientesschon damals für Schüler und Studierendenicht typisch war.Abb. 6 | Waldorfschule KölnAbb. 7 | Entwurf Hans Scharouns für eine Volksschulein Darmstadt, 1951Im Rahmen eines umfangreichen Forschungsprojekteszur Wirkung von Schulbauten auf Schülerhaben wir auch die Anmutungsqualitäten derartigerUniversitätsräume untersucht. 6 So wurdenz. B. Räume bzw. Fassaden der auf Abbildung 3und 4 gezeigten Art auf so genannten SemantischenDifferentialen eingestuft (vgl. Abb. 5). DieStudierenden kreuzten beispielsweise an, ob sieeinen Raum eher als erdrückend (Skala 1: „1“ oder„2“) oder eher als befreiend („4“ oder „5“) erlebten.Aus allen Urteilen wurden die Mittelwerteberechnet und in das Differential eingetragen (aufder ersten Skala liegt dieser Mittelwert im vorliegendenFall bei 2,5). Die Punkte wurden durchLinien verbunden, so dass ein so genanntes Polaritätenprofilentstand, das wichtige Trends des studentischenRaumerlebens erkennen lässt. Fassadeund Räume (Abbildungen 3 und 4) des genanntenBeispiels erhielten fast identische Beurteilungs-Profile; exemplarisch zeigt Abbildung 5 eine Seminarraum-Einstufung.Man sieht, dass der Raumvon besonders vielen Personen (= Extremwerte)als geordnet, hart, monoton, unbelebt, starr, kalt,langweilig, abstoßend, übersichtlich, hässlich, einheitlichund abweisend eingestuft wurde. Eigentlichein Bild des Todes, der Feindschaft, der abweisendenKälte – d. h. „steingewordenes“ Symboldes Antihumanen und im Hinblick auf das Theologicumdes Antireligiösen. Es gibt also eine Rhetorikdes Baumilieus, die wissenschaftlichen Inhaltenoder pädagogischen Bestrebungen widerspricht –und eine andere, die das widerspiegelt, was ideellin einer pädagogischen Programmatik lebt undzur Wirklichkeit strebt. Bauten und Räume dieserletztgenannten Art provozieren dann gegenläufigeAnmutungs-Profile: sie wirken belebt, schön,warm, anziehend, abwechslungsreich, ausgeglichen,freilassend, schwingend usw. Ein Beispiel fürdiesen Bautypus ist die auf Abbildung 6 gezeigteGestaltung eine Schulfassade. 7Im Rahmen der erwähnten Darmstädter Tagunghat Hans Scharoun seinen ersten und zu den zuvorgezeigten Negativbeispielen deutlich konträrenSchulbauentwurf vorgestellt. Auf die besondereSignatur seiner Entwürfe und Bauten wurdean anderer Stelle bereits genauer eingegangen. 8Mir scheinen drei Aspekte jedoch besonders erwähnenswertzu sein, weil sie deutlich machen,in welcher Hinsicht Scharoun als Pionier einerpädagogisch durchdachten Schulbau-Architekturbezeichnet werden kann. Erstens: Der in Darmstadtgezeigte Entwurf (Abb. 7) zeigt nach meinerKenntnis für den staatlichen Schulbau erstmalseine dezidierte Rücksichtnahme auf Entwicklungs-7