von Arbeiten, Wohnen, Einkaufen, Freizeit mit ihrenirrwitzigen Konsequenzen für den Individual-Verkehr entschieden entgegenwirken müssen. DieStadt als Lebensraum für Kinder und Jugendlichemuss selbstverständlich kinder- und jugendspezifischeBereiche ausweisen, von den Kinderkrippenüber die Kindergärten bis zu den Jugendhäusernund <strong>Schule</strong>n. Sie muss aber vor allem dafür sorgen,daß die Stadtteile selbst wieder lebendig – undd.h. funktionsgemischt – werden. Hier entscheidetsich die alltägliche Lebensqualität. Das wirdin den Stadtrand-Quartieren anders aussehen alsin den zentrumsnahen innerstädtischen Mischgebietenund noch einmal anders im Zentrum selbst.Eindeutig ist aber, dass Kinder wohnungsnahenSpielraum brauchen, den sie dann im Heranwachsenzu Fuß, mit dem Fahrrad oder auch mit denSkatern (und nur im Ausnahmefall mit dem Autooder dem Bus) zum Streifraum erweitern können.Sie brauchen Zonen und Orte, wo sie sich mit denGleichaltrigen treffen und ihr eigenständiges Kinderlebenleben können. Sie brauchen alltäglicheBegegnungsmöglichkeiten mit bekannten und mitfremden Erwachsenen; sie brauchen also nicht nurprivates, sie brauchen vor allem auch dezentralesöffentliches Leben. Vielleicht bieten, zumal für dieStadtplanung, Mittelalter, Renaissance und die altenStadtviertel hier interessantere Modelle als dieModerne.5. Die Stadt als Modell der <strong>Schule</strong> und die<strong>Schule</strong> als Modell der StadtZur Frage der Teilhabe allerdings, die zugleich dieFrage nach der sozialen Gestalt einer kindertauglichenStadt aufwirft, dürften die historischenModelle nicht so viel zu bietenhaben. Hier müssen wir uns in derjüngsten Vergangenheit und in der Gegenwartumsehen; und manches wirdauch neu zu erfinden sein. Wir müssenpädagogisch und politisch also nach dentatsächlichen und den möglichen aktivenTeilhabeformen von Kindern und Jugendlichenfragen: am familiären und gesellschaftlichen, aucham geselligen Alltag, an er gesellschaftlichen Arbeitin ihren nicht bezahlten und auch in ihren bezahltenFormen, an lokaler Politik und Öffentlichkeit,an institutionalisierter Erziehung und Bildung,an Kunst und Kultur, an Religion und auch an Wissenschaft.Damit werden nicht nur politische undinstitutionelle Fragen aufgeworfen, sondern auchim engeren Sinne pädagogische. Z.B. erhält hierdas Verständnis der <strong>Schule</strong> als „Bildungsagentur“einen durchaus neuen Sinn; eine ihrer neuen Aufgabenist es, den Schülern außerschulische Teilhabe-und Mitwirkungsgelegenheiten als Lerngelegenheitenzu vermitteln, ihnen aber zugleich dennotwendigen Rückzugs- und Reflexionsraum zubieten.<strong>Schule</strong>n sind, wie Hartmut von Hentig einmal formulierthat, ein „Mittleres“, eine „Brücke“ zwischenden intimen Räumen der Familie und Privatheitund den öffentlichen Räumen von Gesellschaftund Politik. 6 Sie müssen also zu beiden Seiten offensein; die Bildung des Bürgers der großen Polis wirdin der kleinen Polis grundgelegt. Nicht die in derNeo-Reformpädagogik so verbreiteten Vorstellungenvon Intimität und Gemeinschaft können hierdas Leitbild bieten; es geht vielmehr um Zivilitätund Öffentlichkeit. Die Begegnung und den Umgangmit dem Fremden, dem fremden Wissen, derfremden Alltags- und Hochkultur, aber auch denfremden Menschen können Kinder und Jugendlichehier im noch geschützten Rahmen lernen.Darin besteht eine entscheidende Bildungsaufgabe.Denn am Umgang mit dem Fremden entscheidetsich nicht nur die Qualität der <strong>Schule</strong>,nicht nur die Qualität der Öffentlichkeit, sonderndie Qualität der Kultur und des Zusammenlebens„Vernünftige <strong>Schule</strong> also ist nicht nur‚pädagogische Provinz’, sie ist auch einTeil der Stadt“überhaupt. Vernünftige <strong>Schule</strong> also ist nicht nur„pädagogische Provinz“, sie ist auch ein Teil derStadt, dieses zentralen Ortes der Fremdheit und38
des Fremden: „Die Stadt“, schreibt Richard Sennett,„ist das Instrument nichtpersonalen Lebens,die Gussform, in der Menschen, Interessen, Geschmacksrichtungenin ihrer ganzen Komplexitätund Vielfalt zusammenfließen und gesellschaftlicherfahrbar werden… In dem Maße, wie die Menschenlernen können, ihre Interessen in der Gesellschaftentschlossen und offensiv zu verfolgen,lernen sie auch, öffentlich zu handeln. Die Stadtsollte eine <strong>Schule</strong> solchen Handelns sein.“ 7 Polis,città educativa, Lebens- und Erfahrungsraum füralle ihre Bürgerinnen und Bürger, auch die kleinen:„Um angenehm zu leben, muß man fast immerein Fremder unter den Leuten bleiben.“ (Frhr. v.Knigge 1790): Was das architektonisch bedeutenkönnte, das zeigt sich hier, im Schulbau HansScharouns, der sich am Modell der Übergänge zurStadt orientiert.1 Der Vortrag bildet eine stark gekürzte Fassungvon: Liebau, Eckart: Erfahrungswelt und Welterfahrung:die postmoderne Stadt und ihreKinder. In: Lehmann, Jürgen/Liebau, Eckart(Hg.): Stadt-Ansichten. Würzburg 2000,S. 293– 312.2 Feldtkeller, Andreas: Die zweckentfremdeteStadt. Frankfurt/M., New York 1994, S. 112.3 Ebda., S. 114.4 Sennett, Richard: Verfall und Ende des öffentlichenLebens. Frankfurt/M. 1983.5 Jacobs, Jane: Tod und Leben großer amerikanischerStädte. Frankfurt/M., Berlin 1953, S. 44 f.6 v. Hentig, Hartmut: Die <strong>Schule</strong> neu denken.München 1993.7 Vgl. Anm. 4, Sennett 1983, S. 382.39