Wie schon erwähnt, haben Untersuchungen inDeutschland gezeigt, dass positiv erlebte Schulbauten(Architektur, Farbgebung, Schulhofgestaltung,Dekor usw.) mit geringeren schulvandalistischenAktivitäten der Schüler assoziiert sind. 28Abb. 13 | „Lehrstraße“ einer Grundschulein Almere (Niederlande), 1992Abb. 14 | „Lernstraße“ der EvangelischenGesamtschule Gelsenkirchen, 2004Einige Studien zeigen, dass positiv erlebte Schulbau-Umgebungen(z. B. mit Fenstern versehenestatt fensterlose Klassenzimmer oder „warme“Beleuchtung statt Neonlicht) die Krankheitsrateder Schüler senken; analoge Untersuchungen ausKrankenhäusern zeigen ähnliche Effekte. 29Meine eigenen Untersuchungen haben gezeigt,dass die Schularchitektur ausgeprägte körperlicheAuswirkungen hat: Je nach Formen und Farbenwerden Spannungs- und Entspannungsgefühle,Gefäßdurchblutung, Blickbewegungen und anderephysiologische Parameter in einer jeweils besonderenWeise provoziert; diese leibliche Komponenteder Architekturwirkung macht erst verständlich,warum z. B. Schulvandalismus, Krankheitsanfälligkeitoder Antipathien durch bestimmte Schulbauformenhervorgerufen bzw. vermindert werden. 30Untersuchungen in den USA von Glenn Earthmanund anderen haben gezeigt, dass die Schulleistungenin fast allen Fächern verbessert werden könnendurch ein architektonisches Umfeld, das Kindernund Jugendlichen sympathisch ist; werdenSchulgebäude antipathisch erlebt, verschlechternsich im statistischen Schnitt auch die Schulleistungen.31Abb. 15 | Eingangshalle der EvangelischenGesamtschule Gelsenkirchen, 2004Mitte der 90er Jahre rief die amerikanische IndustriedesignerinRuth Lande Shuman in New York dasSchulgestaltungs-Programm „Publicolor“ ins Leben.„Gefängnisartige“ Schulgebäude mit „industriellem,feindseligem Aussehen“ wurden (unterSchülerbeteiligung) mit lichteren Farbqualitäten„aufgehellt“ und abwechslungsreicher gestaltet:Die Folgen waren, wie das Schulpersonal berichtete,eine niedrigere Dropout-Rate der Schüler,geringere Disziplin-Probleme und eine deutlichgesteigerte Aufmerksamkeit im Unterricht. 32 Zwargeht es hier nicht um wissenschaftliche Unter-14
suchungen, sondern um freie Berichte des Lehrpersonals,die jedoch Bestätigung erfahren durchweitere, nunmehr wissenschaftliche Studien zurWirkung von Farben in Schulgebäuden. 33Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dassdie Gestaltung von Schulgebäuden von erheblicherBedeutung für die Leistungsfähigkeit, fürdas Wohlbefinden und für die Gesundheit Heranwachsenderist. Den Bauformen und Farben derSchulanlagen, dem Dekor und der Schulhofgestaltungmuss daher die gleiche Aufmerksamkeitgeschenkt werden wie der Qualität der Lehre undLehrpläne. Es ist ebenso eindeutig, dass dieserAspekt von Bildungspolitikern wie von der Erziehungswissenschaftin der jüngeren Vergangenheitsystematisch übersehen wurde; erst seit einigenJahren wächst das Interesse im Hinblick auf dieFunktion verschiedener Raumgestaltungen für denBildungsprozess Heranwachsender. 34Wie Kongresse beispielsweise des „Programmeon Educational Building“ (PEB) der OECD zeigten,gehören jedoch Klagen über menschenfeindlicheSchulbauten immer noch zum Standardrepertoireinternationaler Tagungen und Publikationen zudiesem Thema. Nach wie vor wird deutlich, dasszahlreiche <strong>Architekten</strong> pädagogische Bauten untergrundlegend anderen Gesichtspunkten planenund betrachten, als sie Schülern und Lehrern wichtigerscheinen. Da werden Flure als ‚Lehrstraßen’bezeichnet, die aus Lehrer- und Schülersicht wie„Blechkästen“ oder ‚kahl und monoton’, ‚kaltund abweisend’ erscheinen. 35 Man vergleiche indieser Hinsicht die als „Lehrstraße“ bezeichneteHallenansicht auf Abbildung 13 mit der positivbewerteten „Lernstrasse“ auf Abbildung 14. Dasletztgenannte Beispiel aus der Evangelischen GesamtschuleGelsenkirchen, realisiert durch das ArchitekturbüroHübner/Forster/Hübner, zeigt einenneueren und noch seltenen Trend im Schulbau, dersich in einer Art Urbanisierung und Ästhetisierungdes schulischen Ambientes artikuliert: Marktplätzemit Grünbewuchs (Abb. 15), Cafés, plätscherndeBäche, Theaterräume, „Gaststätten“, vielfältignutzbare Gruppenräume, schöne Bibliotheken,Rückzugsecken und Schul-Wege, die vielfältigeEin- und Ausblicke bieten, die warmtönig und imarchitektonischen Milieu dialogisch gestaltet sind,bieten „Lernlandschaften“, wie sie in der neuerendidaktischen Diskussion betont und gefordertwerden. 36 Ästhetische Gestaltung, dynamischeund kindgemäße Bauformen, also die erwähntenImpulse Hans Scharouns, sind hier in einer völligneuen, zeitgemäßen und pädagogisch reflektiertenWeise aufgegriffen worden, mögen auch imDetail noch diese und jene Probleme (meist technischerArt) von den „Bewohnern“ berichtet werden.Aber solche Bauten sind, wie erwähnt, noch selten.„An ein Gefängnis oder einen Bunker fühltensich entsetzte Eltern und Kinder erinnert, alssie die Realschule Kamper Weg das erste Mal voninnen sahen“, berichteten Tageszeitungen. 37 Dieöden Sichtbetonwände in „Knast-Optik“ wurdenindessen von der Architektin mit dem Hinweis gerechtfertigt,dass Beton, wenn er alt werde, „eineinteressante Patina“ bekomme, auch hätten ja berühmte<strong>Architekten</strong> wie Le Corbusier mit diesemstrapazierfähigen Baustoff gearbeitet. Ein voluminösesDach, das wie eine Landschaft übereinandergeschobenerEisblöcke und daher erdrückendim Hinblick auf den Unterbau erscheint, wird als„Verbindung von behütender Geste über demSchulleben und der umgebenden Allgäuer Landschaft“deklariert. Giebelbauten, die Lehrern alsmonotone Aufreihung vergrößerter Hundehüttenerscheinen, gelten dem Architekturbüro als„Ensemble voll räumlicher Überraschungen“; eineschwarz gestaltete Pausenhalle, die auf Schüler wiedas von Peters kritisierte „Loch im Raumgewebe“wirkt, ist aus <strong>Architekten</strong>sicht kinderfreundlich,denn „Schwarz ist die geeignete Hintergrundfarbefür das bunte Spiel der Kinder“. Auf die kritischeFrage eines Reporters, warum man in Berlin Schulbauentwürfevom Typ der Mietskaserne (Abb. 2)mit einem Preis auszeichne, antwortete der Leiterdes Wettbewerbsreferats beim Bausenat: „UnsereTypologie ist streng, kubisch und rationalistisch.Sie knüpft an die Tradition der Jahrhundertwendeund der 20er Jahre an.15