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Kulturelles StattBlatt 05.<strong>2010</strong><br />
Die Pflicht zur Freiheit, die Schuld eine Farce<br />
Jean-Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“ im Rheinischen Landestheater<br />
<strong>Der</strong> Ort: Illyrien, ein fiktives Land<br />
in Osteuropa. Die Zeit: Zweiter<br />
Weltkrieg, deutsche Besatzer<br />
sind an der Macht. <strong>Der</strong> Konflikt:<br />
Die kommunistische Partei<br />
wirkt im Untergrund. Doch<br />
der Widerstand ist zerstritten.<br />
Parteifunktionär Hoederer verhandelt<br />
mit dem faschistischen<br />
Regenten und den bürgerlichnationalistischen<br />
„Pentagon“-<br />
Leuten, um nach Kriegsende<br />
an der Regierung beteiligt zu<br />
sein. Doch die Genossen sind dagegen. Hoederer<br />
soll weg. Und die Brisanz: Ausgerechnet Hugo, ein<br />
unbedeutender, eigensinniger Anarchist aus großbürgerlichem<br />
Elternhaus, soll die prekäre Aufgabe<br />
erledigen. Einer, der so gar nicht in die proletarische<br />
Vereinigung zu passen scheint. Ein Bourgeois,<br />
der der Gruppe als Redakteur der Parteizeitung<br />
gute Dienste erweist, aber als Intellektueller für<br />
richtige Taten kaum zu gebrauchen ist. Einer, der<br />
denkt. Wie soll so einer sich ein- und unterordnen?<br />
Kann der dazugehören, gehorsam sein? Kann der<br />
töten? Doch Hugo will und kann. Will einer von ihnen<br />
sein, will sich und seiner Frau beweisen, dass<br />
er nützlich ist.<br />
Was in Sartres Stück „Die schmutzigen Hände“ als<br />
politischer Stoff daherkommt, ist ein Werk über<br />
Existenzberechtigung und menschlichen Antrieb.<br />
Inhalte, die sich quer durch sein Schaffen ziehen,<br />
die ewige Suche und die ebensolche Verpflichtung<br />
des Menschen nach Freiheit. Freiheit, zu erfahren,<br />
zu entscheiden und zu handeln. <strong>Der</strong> politische<br />
Mord ist hier nur das Beispiel, an dem sich die existenzialistische<br />
Problematik der Entscheidungsfreiheit<br />
manifestiert. Reale Bezüge dienen der Kulisse,<br />
die politische Handlung nur konstruierter Inhalt<br />
einer Theaterwelt. Was ist wirklich, was gespielt?<br />
Das Treiben gleicht einer Posse, die jeder eindeutigen<br />
Ausrichtung den Fahrtwind nimmt und die<br />
Protagonisten hin und her wirft.<br />
Zu oft ist dieses Stück als antikommunistisches<br />
Werk missdeutet worden. Drum hat Jean-Paul<br />
Sartre, zu Nachkriegszeiten, als er Mitglied in der<br />
kommunistischen Partei war, selbst Aufführungen<br />
untersagt. Ein Stück, das ihn in einen Interessenskonflikt<br />
warf: Sartre contra Sartre, der philosophierende<br />
Freigeist gegen den handelnden Menschenrechtler.<br />
Die Inszenierung des Rheinischen Landestheaters<br />
greift in dieses menschliche Dilemma. Hugo<br />
sucht nach dem Sinn seines Lebens, nach Orientierung.<br />
Die Partei und ihre Ziele sollen ihm dabei<br />
behilflich sein. Doch sein Anspruch ist hoch,<br />
seine ideologische Moral praxisfremd. Während<br />
sich das Gedankengut der Genossen den verändernden<br />
politischen Strömungen anpasst, bleibt<br />
er beharrlich an seinen Idealen. Er philosophiert,<br />
debattiert und zögert. Er will die Revolution nicht<br />
verraten und wird dadurch zum Verräter der Partei.<br />
Durch die Treue, mit der er an sich hält, verliert<br />
er an Wert, ist nicht zu gebrauchen. Nicht<br />
für die Partei, nicht für die Menschheit und auch<br />
nicht für sich selbst. „Irgendwann lassen dich die<br />
Befehle allein.“ Hugo ist realpolitisch nicht verwendbar.<br />
Allgemein nicht verwertbar. Wie Abfall<br />
– eine Art Sondermüll.<br />
Und so plagt er sich in seiner Existenz, beeindruckend<br />
dargestellt von Henning Strübbe, den wir<br />
schon als Törleß in schauspielerischer Hochleistung<br />
einer innerlich gequälten Kreatur bestaunen<br />
konnten, verquer und auslotend. Wunderbar daneben<br />
ein Pendant menschlicher Leichtigkeit, seine<br />
Frau Jessica, gespielt von Emilia Haag, die kokett<br />
über die Bühne tänzelt. Ihr, genauso wie Stefan<br />
Diekmann als glattem Politfunktionär Hoederer,<br />
wird durch teils groteske Gesten Ernsthaftigkeit<br />
abgeschrieben. Philosophische Schwere wird mit<br />
komödiantischen Elementen kontrastiert. So wird<br />
mit dem Spiel gespielt, überzieht ein süßer Zuckerguss<br />
die Tragik menschlicher Verantwortung. Alles<br />
nur Farce? Sartres komplexe Gedanken in einem<br />
lebhaften, flotten zweieinhalbstündigen Inszenierungs-Cocktail<br />
aufgelöst. Gut gemacht. Hingehen!<br />
(Weitere Infos unter www.rlt-neuss.de)<br />
Marion Stuckstätte