Was Sie immer wollten. Nur besser. - Heimat.de
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gott, was ist passiert?« – »na ja«, sagte er, »dann organisiere<br />
ich in Berlin mit <strong>de</strong>r Staatskapelle eine Probe von diesem<br />
Stück und <strong>Sie</strong> dürfen die ersten geigen anleiten, und alle<br />
ihre Kollegen und Konzertmeister müssen zu <strong>de</strong>r Probe<br />
kommen. nach zehn minuten wird <strong>Sie</strong> jemand umbringen.«<br />
Das wer<strong>de</strong> ich nie vergessen.<br />
Daniel BarenBoim: er ist viel zu beschei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn er und<br />
einige Kollegen, die all diese Jahre dabei waren, haben<br />
einen Teil ihres lebens für das Divan-Projekt gegeben.<br />
axel Wilczok fährt je<strong>de</strong>s Jahr nach Beirut und Damaskus<br />
und Tel aviv und Kairo, um Probespiele zu hören. er ist so<br />
involviert und es ist wun<strong>de</strong>rbar für mich, dass jemand, <strong>de</strong>r<br />
eigentlich nichts mit <strong>de</strong>r region zu tun hat, sich so engagiert.<br />
Und davon es gibt einige musiker in <strong>de</strong>r Staatskapelle!<br />
Und dann gibt es da noch <strong>de</strong>n Musikkin<strong>de</strong>rgarten ...<br />
Daniel BarenBoim: mich hat es schon <strong>immer</strong> gestört und stört<br />
es täglich mehr, dass die musik <strong>immer</strong> mehr in einem elfenbeinturm<br />
gelan<strong>de</strong>t ist – sowohl für die musiker, als auch<br />
für das Publikum. man lernt in <strong>de</strong>r Schule mathematik und<br />
Biologie und man lernt zu lesen und zu schreiben, aber<br />
musik gar nicht o<strong>de</strong>r <strong>immer</strong> weniger. ich fand, das muss<br />
man än<strong>de</strong>rn. also habe ich mein erstes erziehungsprojekt<br />
in ramallah in Palästina initiiert. eines Tages war <strong>de</strong>r palästinensische<br />
Politiker, <strong>de</strong>r mit mir <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rgarten in<br />
Palästina aufgebaut hat, zu Besuch in Berlin. Wir saßen in<br />
<strong>de</strong>r nähe <strong>de</strong>r Staatsoper und haben Kaffee getrunken, und<br />
er hat mir erzählt, wie toll es funktioniert, wieviele Kin<strong>de</strong>r<br />
da sind, aus Flüchtlingslagern, aus reichen Familien,<br />
Christen, muslime … Und während er sprach, wur<strong>de</strong> mir<br />
klar, dass ich das auch in Berlin machen wollte. Wenn das<br />
dort in einer gesellschaft, in <strong>de</strong>r die musik überhaupt nicht<br />
existiert, funktioniert, dann ist es hier noch wichtiger. So<br />
hat es hier vor sieben Jahren begonnen. Dann habe ich die<br />
orchestermusiker gefragt, wer von ihnen lust hätte mitzumachen,<br />
und Claudia war von anfang an dabei.<br />
clauDia Stein: Der Kin<strong>de</strong>rgarten wur<strong>de</strong> gera<strong>de</strong> aufgebaut<br />
und ich wur<strong>de</strong> gebeten, dort etwas mit <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn zu<br />
machen. Und obwohl ich schon ein eigenes Kind hatte,<br />
hatte ich zunächst Berührungsängste. es ist ja auch nicht<br />
so einfach mit gleich 15 Kin<strong>de</strong>rn … aber das Tolle ist, dass<br />
es so selbstverständlich war: ich habe <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn etwas<br />
aus Peter und <strong>de</strong>r Wolf vorgespielt, und die fingen an zu tanzen.<br />
Die interaktion mit <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn ist viel einfacher, als<br />
man sich das vorstellt. Wir haben solche aktionen auch in<br />
an<strong>de</strong>ren Kin<strong>de</strong>rgärten gemacht. Wenn man ein bisschen<br />
erfahrung hat, merkt man <strong>de</strong>n Unterschied: Die Kin<strong>de</strong>r, die<br />
es gewöhnt sind, mit musik umzugehen, sind viel offener<br />
und kreativer. ich habe bei meiner eigenen Tochter erlebt,<br />
dass sie ganz an<strong>de</strong>rs zuhören kann, weil die aufmerksamkeit<br />
an<strong>de</strong>rs geschult wird, wenn man mit musik lebt. Das<br />
überträgt sich auf alle lebensbereiche. man merkt, dass die<br />
Kin<strong>de</strong>r aufgeschlossener und aufmerksamer sind. Und ich<br />
fin<strong>de</strong>, dass die i<strong>de</strong>e von Daniel Barenboim ganz wun<strong>de</strong>rbar<br />
in <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>rgarten umgesetzt wird: erziehung nicht<br />
durch musik, son<strong>de</strong>rn mit musik.<br />
2012 gibt es ein weiteres »Jubiläum«: Vor 10 Jahren nämlich hat<br />
die erste geteilte Abonnement-Reihe <strong>de</strong>r Staatskapelle begonnen.<br />
Die Abonnementkonzerte fan<strong>de</strong>n bis Sommer 2002 <strong>immer</strong> zweimal<br />
hintereinan<strong>de</strong>r im Konzerthaus statt, und mit <strong>de</strong>r Spielzeit 2002/03<br />
gab es dann jeweils ein Konzert im Konzerthaus und eines in <strong>de</strong>r<br />
Philharmonie. Wie kam es dazu?<br />
Daniel BarenBoim: ich habe festgestellt, dass ein münchner<br />
auf die Frage hin, was typisch für münchen sei, je nach niveau<br />
sagt, die »Pinakothek« o<strong>de</strong>r das »oktoberfest«. Wenn<br />
man einen Pariser fragt, sagt er »eiffelturm« o<strong>de</strong>r »louvre«.<br />
Wenn man aber einen Berliner fragt, was typisch für Berlin<br />
ist, kommt die antwort: »im ehemaligen osten das und das<br />
und im ehemaligen Westen so und so.« Wir müssen alles<br />
tun, um die Stadt nicht nur politisch, son<strong>de</strong>rn gesellschaftlich<br />
und menschlich wie<strong>de</strong>r zu vereinigen. ich dachte, es<br />
ist ein Beitrag, wenn wir ein Konzert im Westen und ein<br />
Konzert im osten spielen.<br />
clauDia Stein: ich wohne in einem westlichen Bezirk und<br />
fahre mit <strong>de</strong>m Fahrrad durch das Bran<strong>de</strong>nburger Tor zur<br />
arbeit. Das ist für mich <strong>immer</strong> noch etwas Beson<strong>de</strong>res.<br />
axel Wilczok: mir ist irgendwann mal klar gewor<strong>de</strong>n, was<br />
für einen luxus die Kollegen in <strong>de</strong>r Philharmonie haben,<br />
weil sie <strong>immer</strong> in <strong>de</strong>m raum proben, in <strong>de</strong>m sie spielen,<br />
sie müssen sich nur etwas an<strong>de</strong>res anziehen.<br />
SuSanne Schergaut: Die Philharmonie ist einfach einer <strong>de</strong>r<br />
besten Konzertsäle, die es gibt. es ist toll, dass wir da spielen<br />
– unabhängig vom Publikum und allem an<strong>de</strong>ren.<br />
Daniel BarenBoim: Wann waren <strong>Sie</strong> <strong>de</strong>nn zum ersten mal in<br />
<strong>de</strong>r Philharmonie?<br />
axel Wilczok: ich war das erste mal zu einem geburtstag<br />
meines Vaters dort. ich habe einen Passierschein bekommen<br />
das war zur eröffnung <strong>de</strong>s Kammermusiksaals mit<br />
Vivaldis Jahreszeiten und anne-Sophie mutter. mein Vater<br />
hat natürlich keine Karte bekommen, das war viel zu teuer,<br />
aber wir waren in <strong>de</strong>r Philharmonie. meine erste Begegnung<br />
war am Künstlereingang mit Holm Birkholz [mitglied<br />
<strong>de</strong>r Berliner Philharmoniker, anm. d. red.], einem Studienkollegen.<br />
Der kannte meinen Vater – er hatte seine ersten<br />
geigenschritte im Jugendorchester bei meinem Vater gemacht<br />
– und sagte: »mensch axel, bist du auch abgehauen?«<br />
Das war die erste Frage, die er stellte.<br />
Zum Abschluss möchten wir noch zwei Fragen in die Run<strong>de</strong> geben:<br />
nach einem persönlichen »Highlight« <strong>de</strong>r letzten 20 Jahre und nach<br />
Wünschen, Erwartungen o<strong>de</strong>r Vorstellungen für die vielen gemeinsamen<br />
Jahre, die hoffentlich noch kommen.<br />
SuSanne Schergaut: mein absolutes Highlight war die Wagner-Serie<br />
2002. Wir alle haben gespielt bis zum Umfallen,<br />
es war einfach eine phantastische atmosphäre. Und nach<br />
<strong>de</strong>r letzten Vorstellung – das war für mich mit das größte,<br />
was ich erlebt habe!<br />
Zur zweiten Frage: ich freue mich eigentlich <strong>immer</strong> wie<strong>de</strong>r<br />
über neue Sachen, zum Beispiel slawisches und russisches<br />
repertoire. ich hoffe, dass es da noch einiges zu ent<strong>de</strong>cken<br />
gibt, so schön es auch ist, vertraute Werke <strong>immer</strong> wie<strong>de</strong>r<br />
zu spielen. Von Bartók zum Beispiel habe ich Vieles noch<br />
nicht gespielt und wenn da noch was kommt, wäre das für<br />
mich persönlich sehr schön.<br />
clauDia Stein: ich habe gleich mehrere Highlights: Das sind<br />
für mich zuallererst die mahler-Sinfonien nr. 1 und nr. 9.<br />
Und dann natürlich <strong>immer</strong> wie<strong>de</strong>r, wenn <strong>Sie</strong> die mozart-<br />
Klavierkonzerte spielen. Da sitzen wir wirklich da und fragen<br />
uns: »gibt es dazu noch irgendwas zu sagen?« mein<br />
Wunsch für die Zukunft ist einfach, dass wir noch viele<br />
Jahre gemeinsam so schöne Konzerte und opern spielen.<br />
Und ich wünsche mir einmal die 7. Sinfonie von Schostakowitsch<br />
mit ihnen – aber ich weiß, dass <strong>Sie</strong> mir diesen<br />
Wunsch wohl nicht erfüllen wer<strong>de</strong>n …<br />
Julia Deyneka: mein persönliches Highlight ist natürlich<br />
mein erstes Konzert, Beethovens 5. Sinfonie in Spanien. ich<br />
war im siebten Himmel, nach<strong>de</strong>m ich das gespielt hatte,<br />
weil ich ein Teil dieses Klanges war. So einen Beethoven<br />
habe ich niemals vorher gehört, dabei ist es ja ein Werk,<br />
mit <strong>de</strong>m man eigentlich aufwächst. aber dass es so gespielt<br />
wur<strong>de</strong>, als wenn es gera<strong>de</strong> geschrieben wor<strong>de</strong>n wäre, fand<br />
ich enorm. ich hatte auch noch nie Wagner gespielt, das<br />
habe ich hier gelernt. Tristan zu spielen, das ist je<strong>de</strong>s mal ein<br />
erlebnis. Und die mahler-Sinfonien mit Pierre Boulez. Der<br />
ganze Zyklus war einfach eine Bereicherung, künstlerisch,<br />
musikalisch. man hat so viel auch für sich selber gelernt,<br />
von dieser musik, von <strong>de</strong>n Dirigenten. Und Bruckner – auch<br />
das war für mich völlig neu, die Herangehensweise an diese<br />
musik. ich hätte nie gedacht, dass Bruckner so spannend<br />
ist und man gar nicht merkt, wie lang die Sinfonien sind.<br />
außer wenn man am nächsten morgen aufwacht und einen<br />
masseur braucht. Und ich hoffe, dass wir auch mal einen<br />
Tschaikowsky-Zyklus machen.<br />
Daniel BarenBoim: Die Sinfonien 4 bis 6 haben wir ja schon<br />
gespielt …<br />
axel Wilczok: ich möchte mich eigentlich nicht auf bestimmte<br />
Stücke festlegen, son<strong>de</strong>rn hoffe, dass uns Herr<br />
Barenboim ganz lange erhalten bleibt – er wird dann schon<br />
für je<strong>de</strong> menge überraschungen sorgen. Wenn ich irgen<strong>de</strong>twas<br />
herausgreifen sollte: Für mich ist Tristan das, was<br />
irgendwo ganz oben schwebt. Und dann ein Parsifal, bei<br />
<strong>de</strong>m ich das große Vergnügen hatte, ganz vorne spielen<br />
zu dürfen.<br />
Daniel BarenBoim: ich kann nicht direkt von »Highlights«<br />
sprechen. Vieles war wirklich außergewöhnlich: mit welcher<br />
Frische das orchester die bekannten Stücke gespielt<br />
hat und mit welcher neugier die neuen Sachen. Die einstellung<br />
<strong>de</strong>s orchesters ist bemerkenswert. ich erinnere<br />
mich an eine Japan-Tournee: Wir spielten in <strong>de</strong>r oper in<br />
Tokio Schönbergs Moses und Aron und brauchten dafür Zeit<br />
zum Proben. außer<strong>de</strong>m kam im Konzert die 9. Sinfonie<br />
von mahler, die wir erst kürzlich gespielt hatten. ich habe<br />
gesagt: »Den mahler habt ihr so wun<strong>de</strong>rbar gespielt, <strong>de</strong>n<br />
müssen wir jetzt nicht proben.« Da kam die Claudia zu mir<br />
und sagte »Wie bitte? <strong>Sie</strong> möchten, dass wir die 9. mahler<br />
einfach so spielen? Das wollen wir nicht!« Und sie hat mich<br />
»gezwungen«, die ganze Sinfonie zu proben. ich glaube, es<br />
gibt wenige Dirigenten, die ihnen so etwas erzählen können.<br />
normalerweise hört man eher: »müssen wir das noch<br />
proben? Das geht doch auch so.« Das ist eine einmalige<br />
einstellung.<br />
mein Wunsch für die Zukunft: meine eltern haben mir<br />
viele geschenke mitgegeben, unter an<strong>de</strong>rem gene, die mir<br />
viel energie bescheren. ich wünsche mir, dass mir diese<br />
energie physisch und mental weiterhin erhalten bleibt. ich<br />
habe viele Pläne und habe auch zugehört, was die Kollegen<br />
für Wünsche haben. Wir wer<strong>de</strong>n viele neue Stücke spielen,<br />
aus <strong>de</strong>r Vergangenheit und <strong>de</strong>r gegenwart. Und ich hoffe<br />
auch, dass Pierre Boulez’ gesundheit es ihm erlaubt, die Notations<br />
weiterzuschreiben. er hat mir neulich erzählt, dass<br />
er mit <strong>de</strong>r nummer Viii schon weitergekommen ist. Und zu<br />
guterletzt wünsche ich mir, dass alle Kollegen noch lange<br />
im orchester bleiben!<br />
Die Fragen stellten Frie<strong>de</strong>rike Hofmeister und Detlef Giese.<br />
12 GESPRäCH<br />
GESPRäCH<br />
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