Bildbesprechung (pdf) - Jochem Roman Schneider

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Von der Poesie der Präzision „Menschenbilder, Portraits & Clowns“ Wie stark hängt das Image eines Künstlers von seinem Werk ab? Daß seine Kunst, sein Oeuvre, von seiner Persönlichkeit geprägt ist, von seinem Blick auf die Welt, das will uns wohl einsichtig sein. Aber bestimmt das Werk auch das Bild, das wir von einem bestimmten Künstler haben? Picasso der Satyr? Magritte der tagträumende Bürgerliche? Immendorff der Tänzer auf jedem erreichbaren Vulkan? Im wesentlichen scheinen es drei, vier Typen zu sein, nach denen die Öffentlichkeit Künstler einteilt, etwa in die mit dem Universum ringenden Titanen (Michelangelo zum Beispiel), die Malerfürsten (Stuck, Lüpertz), die Pioniere an der ästhetischen Front (Kandinsky, Malewitsch) und die „armen Poeten“ à la van Gogh. Oft hat’s hier ein „sowohl als auch“, und es scheint sich immer Biografisches – einschließlich der Legenden – mit vom Werk, von bestimmten Hauptwerken Beeinflusstem, zu mischen. Und wie passen da die hinein, die sich hauptsächlich mit der eher stillen Kunst der Grafik befassen? Schwierig zu sehen und zu sagen. Die Grafik eine stille Kunst? Gibt es da nicht auch die lauten Schreie aus existentieller Not heraus, aus dem Leiden, aus den Ängsten der Epoche geboren? Sicherlich – aber dennoch: Im Vergleich zu monumentalen Gemälden, die einer großen Symphonie gleichen, haben wir es bei der Grafik eher mit Kammermusik zu tun. Auch die kann expressiv sein, laute Rufe in das Dunkel der Welt senden – und hoffen, auf ein hörendes Ohr zu treffen, so wie der expressive Grafiker auf ein sehendes Auge treffen will. Kammermusik ist eine sehr präzise Gattung. Ihre Stücke kommen nicht mit großem Aplomb daher. Auch die Grafik liebt die klare, begrenzte, aber dafür auch genaue Form. Der Grafiker hat in der Regel wenig Platz, seine ästhetische, formale wie inhaltliche Botschaft vor dem Betrachter zu entfalten. Das zwingt dazu, formale und ästhetische Spezifika zu entwickeln, auf den Rössern zu reiten, die hier und nur hier ihre Weide haben. Daran ändern auch zeitgeistige „crossover"-Strukturierungen und Mischtechniken grundsätzlich nichts. Nicht nur, daß so etwas auch gar nicht so neu ist – und von Jochem Roman Schneider ebenfalls, von Fall zu Fall, virtuos gehandhabt wird –, sondern es verweist immer wieder auf die zentrale Frage aus „Alice im Wunderland": “The question is, which is to be master.“ – Die Frage ist, was ist bestimmend? Und in der Grafik sind es die grafischen Mittel, nicht die malerischen. Selbst wenn es, wie in der zeitgenössischen Kunst, auch grafische Werke im monumentalen Maßstab gibt. Der lange, tiefe Sinn der Abwägungen: Das Grafische, Präzise ist das Bestimmende im grafischen Werk von Jochem Roman Schneider, das Ästhetische, die grafische Form. Nicht der Inhalt, der zwar auch transportiert wird, aber eben mit jenem meisterlich gehandhabten Vokabular visueller Dichtung, welche die grafischen Techniken dem bieten, der sie beherrscht. Natürlich berührt sich Grafik hier mit Kunst überhaupt.Wie könnte es auch anders sein. Aber viel zu oft wird viel zu wenig beachtet, daß ohne den „ästhetischen Mehrwert“ gar keine Kunst möglich ist. Wenn jemand in alltäglichen 217

Von der Poesie der Präzision<br />

„Menschenbilder, Portraits & Clowns“<br />

Wie stark hängt das Image eines Künstlers von seinem Werk ab? Daß seine Kunst,<br />

sein Oeuvre, von seiner Persönlichkeit geprägt ist, von seinem Blick auf die Welt, das<br />

will uns wohl einsichtig sein. Aber bestimmt das Werk auch das Bild, das wir von<br />

einem bestimmten Künstler haben? Picasso der Satyr? Magritte der tagträumende<br />

Bürgerliche? Immendorff der Tänzer auf jedem erreichbaren Vulkan? Im wesentlichen<br />

scheinen es drei, vier Typen zu sein, nach denen die Öffentlichkeit Künstler<br />

einteilt, etwa in die mit dem Universum ringenden Titanen (Michelangelo zum<br />

Beispiel), die Malerfürsten (Stuck, Lüpertz), die Pioniere an der ästhetischen Front<br />

(Kandinsky, Malewitsch) und die „armen Poeten“ à la van Gogh.<br />

Oft hat’s hier ein „sowohl als auch“, und es scheint sich immer Biografisches<br />

– einschließlich der Legenden – mit vom Werk, von bestimmten Hauptwerken Beeinflusstem, zu mischen. Und wie passen<br />

da die hinein, die sich hauptsächlich mit der eher stillen Kunst der Grafik befassen? Schwierig zu sehen und zu<br />

sagen.<br />

Die Grafik eine stille Kunst? Gibt es da nicht auch die lauten Schreie aus existentieller Not heraus, aus dem Leiden,<br />

aus den Ängsten der Epoche geboren? Sicherlich – aber dennoch: Im Vergleich zu monumentalen Gemälden, die<br />

einer großen Symphonie gleichen, haben wir es bei der Grafik eher mit Kammermusik zu tun. Auch die kann expressiv<br />

sein, laute Rufe in das Dunkel der Welt senden – und hoffen, auf ein hörendes Ohr zu treffen, so wie der expressive<br />

Grafiker auf ein sehendes Auge treffen will. Kammermusik ist eine sehr präzise Gattung. Ihre Stücke kommen nicht mit<br />

großem Aplomb daher. Auch die Grafik liebt die klare, begrenzte, aber dafür auch genaue Form. Der Grafiker hat in<br />

der Regel wenig Platz, seine ästhetische, formale wie inhaltliche Botschaft vor dem Betrachter zu entfalten.<br />

Das zwingt dazu, formale und ästhetische Spezifika zu entwickeln, auf den Rössern zu reiten, die hier und nur<br />

hier ihre Weide haben. Daran ändern auch zeitgeistige „crossover"-Strukturierungen und Mischtechniken grundsätzlich<br />

nichts. Nicht nur, daß so etwas auch gar nicht so neu ist – und von <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong> ebenfalls, von Fall zu<br />

Fall, virtuos gehandhabt wird –, sondern es verweist immer wieder auf die zentrale Frage aus „Alice im Wunderland":<br />

“The question is, which is to be master.“ – Die Frage ist, was ist bestimmend? Und in der Grafik sind es die grafischen<br />

Mittel, nicht die malerischen. Selbst wenn es, wie in der zeitgenössischen Kunst, auch grafische Werke im monumentalen<br />

Maßstab gibt.<br />

Der lange, tiefe Sinn der Abwägungen: Das Grafische, Präzise ist das Bestimmende im grafischen Werk von<br />

<strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong>, das Ästhetische, die grafische Form. Nicht der Inhalt, der zwar auch transportiert wird, aber<br />

eben mit jenem meisterlich gehandhabten Vokabular visueller Dichtung, welche die grafischen Techniken dem bieten,<br />

der sie beherrscht.<br />

Natürlich berührt sich Grafik hier mit Kunst überhaupt.Wie könnte es auch anders sein. Aber viel zu oft wird viel<br />

zu wenig beachtet, daß ohne den „ästhetischen Mehrwert“ gar keine Kunst möglich ist. Wenn jemand in alltäglichen<br />

217


Worten von einem Waldspaziergang erzählt, von dem er eine Blume mitgebracht hat, die er in seinen Garten pflanzte<br />

– wen mag das wohl bewegen! Kommt dieser Inhalt (inklusive der symbolischen Dimensionen) aber in ästhetischer<br />

Form daher, wandelt sich das Bild: „Ich ging im Walde so vor mich hin …“. Aha. Ästhetik organisiert die Bedeutung,<br />

verleiht der Aussage (hier gern auch: der Bildsprache) Besonderheit, bringt alles erst auf jenen Punkt, der uns zu tieferer<br />

Einsicht führt – vorausgesetzt, wir sind überhaupt dazu bereit. Daß wir das in aller Regel sind, zeigen allerdings<br />

tagtäglich besondere Formen der Sprache, etwa im Rap, wo ganz grundlegende ästhetische Zurüstungen, die die<br />

Avantgarde längst beerdigt glaubte, fröhliche Urständ feiern, nämlich Reim und Rhythmus.<br />

Es ist an der Zeit, von den luftigen Höhen der Theorie in die Anschauung zu wandern, um zu prüfen, wie sich in<br />

den Werken eines zum anderen findet. Es gibt von <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong> das Blatt (Radierung) „Stillebender Dandy<br />

– Für David Hockney“. In einem Ambiente im englischen Stil sitzt ein Mann mit College-Krawatte im Holzstuhl,<br />

rechts eine Yucca. Links rankt sich Botanik herunter, auf dem Kaminsims Flasche, Glas und Zigarettenschachtel. Der<br />

Mann sitzt locker und entspannt, aber nicht unaufmerksam: mit einer Mischung aus vorsichtigem Mißtrauen und<br />

Selbstsicherheit blickt er, wie leicht von oben, auf den Betrachter.<br />

Das ist nicht schwer zu sehen und einzuordnen, und der Kunstkundige kommt auch durchaus auf die gewollten<br />

Anklänge an David Hockney, den großen Apologeten der besseren Lebensart und Schamanen des modernen Arkadien.<br />

Aber es gibt auch andere Anklänge – wobei es unerheblich ist, wie bewusst oder unbewusst diese ins Bild (Grafiken<br />

sind ja auch Bilder – was sonst?) eingespeist wurden, denn jedes „musée imaginaire“ hat seine eigenen Blickachsen.<br />

Und hier ist es das berühmte Frühwerk von Lucian Freud,„Interior, Paddington, 1951“, das sich mit ins Spiel bringt.<br />

So entsteht ein historischer Halo, der vom Freudschen „angry young man“ der englischen Nachkriegsgeneration bis<br />

zur Kalifornien-Fraktion der hedonistischen Jeunesse dorée der Sechziger bis Achtziger sein mildes Licht verströmt. Es<br />

ist in der Tat nicht der „Mond von Wanne-Eickel“, hier gibt es Champagner statt Pils, hier regiert die lockere Selbstsicherheit<br />

einer Generation, über Bildformeln vermittelt, die sich die Sonnenseite des Lebens erobert hat und bereit ist,<br />

diese mit Hoffart und Härte zu verteidigen. Sie hat das erreicht, wovon der junge Mann mit „Thruppence Haypenny"*<br />

in der Geldkatze in Paddington geträumt hat.<br />

Im Titel – sicher, Titel sind nur Namen von Bildern, die die Katalogisierung erleichtern, aber es gibt auch Künstler,<br />

wie etwa Paul Klee, bei denen Titel integraler Bestandteil des Kunstwerkes werden – im Titel also kommen noch<br />

zwei Begriffe vor die wichtig sind: „Stilleben“ und „Dandy“. Der eine ein kunsthistorischer Gattungsbegriff, der andere<br />

ein Begriff aus der Kulturgeschichte des, nota bene, 19. Jahrhunderts. Die Szene ist nicht die eines Stillebens, aber<br />

dadurch, daß die Person im Bilde „stillebend“ ist, also von stillebenhaften Arrangements umgeben ist und sich wenigstens<br />

teilweise auch durch sie und mit ihnen definiert, kommt eine gewisse Gewolltheit und Künstlichkeit ins Spiel.<br />

Das wird durch die Klassifikation als Dandy vervollkommnet. Ein Dandy ist eine Figur im Gesellschaftsspiel um das<br />

Gentleman-Ideal herum.<br />

William Makepeace Thackeray (1811-1863) hat sich darüber geäußert, wie man statt zum Gentleman zum Snob<br />

wird. Dabei scheint wichtig zu sein, welche Oppositionen es überhaupt zum Gentleman gibt: Da ist einmal eben der<br />

* 3 1 / 2 Pence nach alter britischer Währung, entspricht etwa heutigen 175 Euro-Cent (Quelle: House of Commons; Index: 1:13), also nicht gerade ein berauschender<br />

Betrag. Allein die Krawatte des "Dandy" sieht danach aus, daß sie für unter 60 Euro nicht zu haben sein dürfte…<br />

218


Dandy, also jemand, der das ästhetische Moment überbetont, und dann der Snob, der in seiner Grunddefinition das<br />

Formale zum Exzess bringt. Diese Troika ist aber entschieden Teil einer Klassenbegrifflichkeit. Der „Cad“, der ungehobelte<br />

Klotz, ist die fundamentale, auch klassenmäßig anders verwurzelte Opposition zum Gentleman. Der Klassenaspekt<br />

verwischt sich erst mit der späteren Demokratisierung des Gentleman-Ideals, aber auch dann erscheinen Dandy<br />

und Snob als Minusvarianten des Gentleman, der „Cad“ bleibt der entscheidende Widerpart.*<br />

Um einen „Cad“ (heute würde man vielleicht „Proll“ sagen) handelt es sich hier nicht, wir bewegen uns in der<br />

„upper class“, aber um einen Dandy, und das explizit. Jedoch um einen modernen Nachfahren, denn die letzten echten<br />

Dandys sind in den Schützengräben des 1. Weltkrieges untergegangen.<br />

Das mag man alles so unterschreiben oder nicht – das Entscheidende ist die ästhetische Form, das grafische<br />

Vokabular, was noch gar nicht angesprochen wurde. Ein solches Thema verlangt nach einer gewissen Exquisitheit und<br />

Finesse, nach sauberer, eben präziser Technik in jedem Sinne.<br />

Nur der Boden ist hier kräftiger gegeben (und dient so auch symbolischer Erweiterung), alle Striche sind von<br />

reduzierter Feinheit, Masse wird nur durch Wiederholung und Ordnung von Dünne wiedergegeben. So versetzt der<br />

Künstler uns in ein distinguiertes Ambiente – auf diese Weise eine Fabrikhalle wiederzugeben, erscheint nur unter ganz<br />

besonderen Umständen (Ästhetisierung der Arbeitswelt) denkbar.<br />

Oder man schaue auf die feine, Moiré-ähnliche Musterung der Kleidung: auch hier eine meisterlich inszenierte<br />

Harmonie von Bezeichnetem und Bezeichnendem, ein Höchstmaß an Adäquatheit. Wie sagte doch Karl Valentin:<br />

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Wie wahr, denn auch der Betrachter wird zur „Arbeit des Sehens“ angehalten.<br />

Nicht alle Werke von <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong> sind so räumlich kohärent. Immer wieder greift er auf eine additive<br />

und fragmentarische Kompositionsweise zurück, vor allem dann, wenn es sich um moderne Vorstellungswelten<br />

und Alltagsmythen handelt – ein passender Rückgriff auf die vielfache Unverbundenheit und Bruchstückhaftigkeit unseres<br />

modernen Weltbildes, denn spätestens seit Goethe ist das Ganzheitliche vorüber, schon die <strong>Roman</strong>tik (die der<br />

alte Geheimrat bekanntlich nicht mochte) hat damit aufgeräumt. Und seit Relativitätstheorie und Quantenphysik gibt<br />

es keine Berechtigung mehr, von festgefügten Ordnungssystemen auszugehen, und wenn uns tausendmal noch der<br />

Apfel vom Baum auf den Kopf fällt, wie es dem guten Isaac Newton passierte…<br />

<strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong>s Blatt „Roma Amore“ (Zeichnung) ist eine solche additive – jedoch auch integrierende<br />

–, auf fragmentarische und momenthafte Impressionen hin angelegte Komposition. Sie ist Ausdruck der künstlerischen<br />

Phantasie, die eine Balance sucht zwischen der stets vorhandenen dinghaften Umwelt des Künstlers und des<br />

Betrachters. Hier werden Eindrücke mitgenommen und in neuen, überraschenden bildlichen Zusammenhängen präsentiert:<br />

Der Außenraum Roms wird zur Wand, an die Rom-Ansichten (Kolosseum, Wölfin, Engelsburg) „gepinnt“ sind,<br />

die Spanische Treppe verschwindet im Wald, und wie bei einigen „Fêtes champêtres“ von Watteau sitzt ein Melancholiker<br />

(man mag, wie bei Watteau auch, den Künstler selbst darin erblicken) im Trubel, allein und abgerückt, während<br />

vorn ein Liebespaar turtelt und ganz vorn rechts eine archetypische „bella <strong>Roman</strong>a“ vorbeihuscht – ein flüchtiges Bild<br />

* Vgl. Wolfgang Metzger, The Gentleman and his Fair Play of Tennis, Phil. Diss., Wien 2000<br />

219


möglicher Begierde, festgehalten für die Ewigkeit, Sinnbild vielen menschlichen (männlichen) Strebens, und formal der<br />

Gegenpart zum sitzenden Freund der vita contemplativa. Eine melancholische Poesie des Alltags, aber nicht Weltschmerz,<br />

und eine hoch raffinierte Kontrastierung des Individuellen und des Allgemeinen. Und eine sehr präzise Analyse,<br />

die, bei aller „Alltagspoesie“, mit der entsprechenden Präzision in der Wiedergabe und in der Wahl der grafischen<br />

Mittel gekoppelt ist.<br />

Alles im Bilde – die Dinge, ihre Repräsentationen und die Imaginationen sind einem Prozeß künstlerischer Verwandlung<br />

unterzogen worden. Und die ästhetischen Entscheidungen in der Komposition und der Wiedergabe der einzelnen<br />

Figuren bauen die Brücke zum tieferen Verständnis dieses menschlichen Kosmos in nuce.<br />

Roma eterna – die ewige Stadt kommt nur in schon medial vermittelter Form vor (Stiche von Rom-Ansichten),<br />

oder fragmentarisch; die Figuren, wie imaginiert sie auch sein mögen, werden von der Mitte bis vorn immer deutlicher:<br />

Der Melancholiker ist wenig mehr als ein Schattenriß, das Liebespaar wird schon stärker durchgezeichnet. Die Römerin<br />

bekommt beinahe Überpräsenz.<br />

Drei Zonen kennt das Blatt: Unten Figuren im Raum, einzeln oder zu zweit gruppiert, dahinter/darüber die Masse<br />

als Kontrastfolie zu den Einzelfiguren und oben die Repräsentation von Rom. Wir nehmen fast alles nur medial vermittelt<br />

wahr, und für viele Touristen haben die Fotos und die Ansichtskarten mehr Realität als die wirkliche Engelsburg.<br />

Und die ach, so Schöne, sie wendet sich ab, geht weiter. In der Tat: Was <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong> uns bietet, ist<br />

ein präzises, ein poetisches, aber auch hintergründiges Panoptikum der Welt. Glücklicherweise ist es ästhetisch hoch<br />

gesättigt. Wie sollten wir es sonst ertragen?<br />

Wie aber sehen wir <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong> nun durch sein Werk? Dies möge jeder für sich entscheiden.<br />

220<br />

Dr. Gerhard Charles Rump (57) ist Privatdozent<br />

für Kunstwissenschaft an der Technischen Universität Berlin<br />

und Kunstmarkt-Redakteur der Zeitung „Die Welt“.


„Stillebender Dandy“<br />

221


222<br />

„Die Ehre Gottes“


„Und die Bewohner feiern“<br />

223


224


„Hab Sonne im Herzen“<br />

225


226<br />

„Lebenstanz à go-go“


NUR NICHT ERSTARREN –<br />

NUR NICHT VEREISEN<br />

„Für <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong>“<br />

Blast, Ihr Großen,<br />

die Kinder-Windmühlenrädchen an,<br />

laßt die Wolken von Seifenblasen zerplatzen,<br />

Kreisel tanzen<br />

und ruhig wieder umfallen –,<br />

versucht es immer noch einmal,<br />

sie springen zu lassen.<br />

Hebt Eure Hand<br />

immer wieder dem Andern entgegen,<br />

rollt den Stein den Berg nochmals<br />

und nochmals hinauf<br />

und laßt die Blicke schweifen.<br />

Das Gras spricht manchmal,<br />

wenn Ihr zuhört –,<br />

nicht nur die Vögel<br />

oder ein Hundeblick.<br />

In den heiseren, undifferenzierten Worten<br />

eines lächerlich Unwichtigen –<br />

einer der gängigen Meinung nach<br />

ziemlich unwesentlichen Menschen –<br />

fand ich neulich eine einfache Mitteilung<br />

von kostbarem Glanz.<br />

Die hätte ich nun nicht verstanden,<br />

wär ich der Vereisung schon lange erlegen.<br />

227


228<br />

Nicht erstarren,<br />

nur nicht erstarren.<br />

Warum auch erstarren,<br />

gibt es doch Gegengewichte,<br />

weben sich doch<br />

Gedanken, Worte, Sätze<br />

Gebilde aus Menschenhand<br />

– aus Menschentun –<br />

durch unsere Tage wie<br />

Wurzelwerk auch zur Winterszeit unterm Reif<br />

und gefrorener Erde,<br />

das auf die Sonne wartet, um wieder zu leben<br />

zu seiner Zeit.<br />

Weben sich doch Gedanken von Menschen<br />

durch die alltäglichen Tage,<br />

wollen nur in die Wärme unseres Verstehens genommen,<br />

wollen belebt sein,<br />

beginnen dann wieder zu leben.<br />

Ein Satz, ein Lächeln, ein Federstrich,<br />

oder die tänzerische Geste –;<br />

alles ein Strom.<br />

Lebenskanäle, wie in der Pflanzen schlafendem Wurzelwerk.<br />

Nicht erstarren.<br />

Nicht vereisen.<br />

Blast in die Windmühl-Rädchen,<br />

laßt Kinder-Kreisel tanzen.<br />

Und es fängt dann<br />

alles wieder an. Elisabeth von Ulmann


Clowns<br />

„Selbstportraits“


230<br />

„Protagonisten des Wave – Zeitgeist“


„Abschied eines Clowns – Oh mein Papa“<br />

231


232<br />

„Harlekin – der Weissclown“


Bajazzo triste 233


234<br />

„Ein Paar Träume“ – für Max Kaspar


„Die schöne Gruss“ – für Fritz Silvan Wagner 1986<br />

235


236<br />

„King Kong Junior“


„Mann mit Herz am rechten Fleck“ – für Theodor Albert Friedrich <strong>Schneider</strong><br />

237


238<br />

„Lilli und Marleen auf Bühne 10“


Alcazar – Paris<br />

„Eine Fellinische Nacht in der Kunst-Hochschule“<br />

1976 fand eine Studienreise nach Paris statt, zu der alle Kunststudenten sämtlicher<br />

Ableger des Fachbereichs Freie Kunst eingeladen waren. So trafen bärtige Bildhauer<br />

auf Maler und Malerinnen sowie Studenten der Grafikklasse, in Begleitung ihrer<br />

Dozenten, per Bus nachts in Paris ein.<br />

Als erstes bekamen wir für das sehr enge, aber hohe und kleine Hotel die Instruktionen für den Notfall bei<br />

Feuerausbruch. Trotzdem wurde auf den Zimmern, alle mit abgewetzten Teppichen ausgestattet, gepafft, was das<br />

Zeugs (Hasch) in der Zigarettenpapier-Tüte hielt, und die Zimmerparties gingen querbeet bis zum Tagesanbruch.<br />

Schließlich waren wir in der Stadt von Toulouse-Lautrec und Gauguin. Am ersten Tag fand unter fachkundiger Führung<br />

unseres Grafik-Dozenten, die jedem Stadtführer alle Ehre gemacht hätte, ein Stadtrundgang zu Fuß statt. Neben den<br />

üblichen Sehenswürdigkeiten waren die Höhepunkte das Centre Pompidou und ein Besuch der Mona im Louvre. Natürlich<br />

versäumten wir auch nicht, bei Charbonelle vorbeizuschauen, dem berühmten Geschäft für Kupfertiefdruck-<br />

Farben sowie anderes edles Werkzeug zur Erstellung von Radierungen.<br />

Abends ging es dann in geschlossener Gruppe wieder unter Leitung unserer Dozenten durch das nächtliche Paris.<br />

Während ich mich tagsüber kaum daran stieß, waren doch überall solche Gruppen unterwegs, hielt ich nachts weniger<br />

davon, zumal die Interessen und Neigungen zu diesem Zeitpunkt stark auseinanderdrifteten. Endlich zogen sich die<br />

älteren Dozenten mit einigen Verehrerinnen in ein Promenadenbistro auf ein paar Flaschen Gewürztraminer zurück,<br />

so daß ich mit einem Inder, der in Hamburg zugestiegen war, und in Begleitung meines von mir favorisierten Dozenten<br />

in ein kleines Kult-Theater in Familienbesitz ging, wo wir uns das Ionesco-Stück „Die kahle Sängerin“ anschauten.<br />

Das kleine Zimmertheater war ein echtes Erlebnis. Danach dürstete ich jedoch – ohne Aufsicht und Vorschriften – nach<br />

Praxis statt Theorie, das hieß vor allem nach Körperkultur. Der Inder begleitete mich bei dieser Suche. Nach etlichen<br />

Negativ-Tests in diversen Bistros landeten wir durch den Tip eines CHARLIE CHAPLIN II, den wir am Montmartre kennengelernt<br />

hatten, im berüchtigten Club „Alcazar“ von Jean-Marie Rivière.<br />

In der Hoffnung auf eine Art „Crazy Horse Striptease-Show“ erlebten wir, was wir erst beim Schlußakt merkten,<br />

eine Travestieshow vom Feinsten. In der farbenkräftigen, flackernden Lichtshow war nicht auszumachen, daß es sich<br />

bei den Darstellern ausschließlich um keine richtigen Frauen handelte. Später sollte sich erweisen, daß wir dort doch<br />

zur rechten Zeit am rechten Ort waren, denn diese Shows im Stile Rivières überzogen bald ganz Europa und kamen drei<br />

Jahre später (!) sogar nach Kiel in Form eines Travestieshowclubs in der Flämischen Straße. Als ich am nächsten Tag<br />

meinem Dozenten, mit dem ich das Zimmer teilte bzw. zeitweise drittelte, erklären mußte, wo ich die Nacht gesteckt<br />

hätte, da er schließlich die Verantwortung trüge, konnte ich ihm die Show dermaßen schmackhaft schildern, daß er<br />

ebenfalls mit einigen aus der Gruppe ins Alcazar ging und begeistert davon berichtete.<br />

Zurück in Kiel inspirierte dieses Showerlebnis einige Studenten zur Umsetzung in Bilder. So entstand zum<br />

Beispiel auch meine Farbradierung „Lilli und Marleen auf Bühne 10“ (S. 238) unter diesen Eindrücken von unserem Paristrip.<br />

Diese Stimmung aufgreifend, beschloß ich mit zwei Kolleginnen meiner Grafikklasse und meinem Freund Boy<br />

239


eine Show dieser Art auf Amateurbasis zu realisieren. Bald waren 12 Jünger gefunden, die, aus allen Fachbereichen<br />

stammend, gerne mitspielen wollten, zumal sie erfahren hatten, daß kein Text gelernt werden mußte und auch nicht<br />

wirklich gesungen werden sollte; denn auch im Alcazar in Paris hatte es sich nur um eine verblüffend gelungene, synchrone<br />

Playbackshow gehandelt. Unser Spektakel,„Alka Salsa“ genannt, war auf einen Freitagabend angesetzt und per<br />

Mundpropaganda, wodurch sich sogar einige neue Paarungen an der Kunsthochschule ergaben, bekanntgemacht<br />

worden.<br />

Zu meiner Überraschung war um 19.00 Uhr der große Zeichensaal proppevoll, so daß bei mir schlagartig Lampenfieber<br />

einsetzte. Als mir dann noch alle Protagonisten absagten, da es ihnen wahrscheinlich genauso erging, war<br />

ich kurz vor dem Ausflippen. Sie baten mich um Verständnis, da sie doch nicht einmal geübt bzw. geprobt hätten. In<br />

der Tat hatte ich daran im Eifer des Planens und Organisierens nicht gedacht. Für jeden hatte ich seinen Part auf Zetteln<br />

niedergeschrieben, wie ich es noch heute zu tun pflege. Nur dem übermäßigen Druck, der durch diese Absagen entstand,<br />

ist es wohl zu verdanken gewesen, daß ich, obwohl völlig im Stress, nicht in Panik verfiel, sondern entschied, daß<br />

es keinen Weg zurück gab. Ich zog mich hinter den selbst gebastelten Vorhang aus Makulaturpapierbögen, der an<br />

einem Bindfaden hängend den Zuschauerteil auf gleicher Ebene von der Bühne und der Garderobe trennte, zurück und<br />

trank erst einmal ein Bier, derweil die Menge allmählich unruhig wurde.<br />

Ich rief Hanco, einem Architekten, zu, er möge den von mir aufgebauten Projektor anwerfen und das Licht<br />

löschen, um das Vorprogramm zu starten. Wir hatten einige Kurzfilme auf Super Acht vorbereitet, die auf den Papiervorhang<br />

geworfen wurden. Währenddessen gewann ich Zeit, um mich umzuziehen und neue Ordnung in mein Programm<br />

zu bringen. Als ich nach dem Ende der Filme, die ich mit Boy zu Lale Andersens „Wo die Nordseewellen...“ u.a.<br />

an der Außenförde aufgenommen hatte, zaghaften Applaus vernahm, legten sich meine Überforderungssymptome,<br />

und ich warf die mobile Stereoanlage an und startete das Playbackprogramm, das ich auf einer Musikkassette<br />

zusammengestellt hatte.<br />

Das Intro mit Frank Zappa’s „Help, I’m a rock“ begann, als eine Grafik-Studentin, „unsere Lütte“, hinter dem Vorhang<br />

zu mir kam und anbot, nun doch mitzumachen. Ein Glück! So konnte ich nach dem Intro nahtlos weitermachen,<br />

da die Nummer nur auf zwei Darsteller ausgelegt war. Also Papiervorhang zur Seite geschoben und raus!<br />

Es gab spontanen Szenenapplaus, hatten wir uns doch ruckzuck jeder zwei Tischtennisbälle in die Backen<br />

geschoben und Pantoffel vor die Knie geschnallt und watschelten nun auf Knien, Liliputaner darstellend, auf die<br />

Zuschauer zu und pusteten aus der Breitmaulöffnung Seifenblasen in die Menge, bis wir die Bälle herausspuckten. Vor<br />

Begeisterung johlend, überschüttete man uns mit Sekt, und als das Stück zuende war und wir in der Kassettenpause<br />

zwischen den Stücken den Vorhang wieder zuschoben, trafen alle Protagonisten dahinter ein und baten um Klamotten<br />

zum Verkleiden. Sie wollten jetzt alle mitwirken. Wieder überfordert, zeigte ich ihnen nur den Berg an Utensilien<br />

und Kleidungsstücken, die ich aus meinem Hippiezeitenfundus und der Garderobe von Inge, meiner Lebensgefährtin,<br />

einem Wellamodell und Mannequin, zusammengetragen hatte.<br />

Da auch Schminke vorhanden war, malten sich einige an, andere wieder zogen sich nicht um, sondern aus, selbst<br />

mein favorisierter Dozent sprang mit bloßem Oberkörper umher, einen „Bullworker“, eine Art Bodybuilding-Expander-<br />

Trainingsgerät, drückend, umher und zerriß den Papiervorhang, so daß wir ihn abschneiden mußten. Ich drückte die<br />

Starttaste, und ab ging die Post. Das Chaos war eh’ nicht mehr aufzuhalten, welchen Sinn sollte da ein Programm<br />

240


machen. Es lebe die spontane Improvisation! Schließlich waren wir an einer Kunsthochschule und nicht in einem<br />

Priesterseminar. Das Publikum hielt das jedoch für einen beabsichtigten Gag, was sich ihm hinter dem Vorhang bot.<br />

Vorne agierte ich mit Klampfe,„Kaspar“ von Reinhard Mey synchronisierend, ohne Laut zu geben, während hinter<br />

mir, da der Papiervorhang zerrissen war, eine andere Aufführung zur gleichen Zeit erblickt werden konnte. Grotesk,<br />

da die Musik teilweise zu beiden Szenen zu passen schien. Als „Erdbeermund, ich bin so wild nach deinem...“ von<br />

François Villon gesprochen von Klaus Kinski abgespielt wurde, kippte eine schwangere Elfe in die Szene, um dann in<br />

der Garderobe zu landen. Ein Dozent der Malerei kam als Heidi mit Zöpfen aus der provisorischen Garderobe dazu<br />

und spielte eine kleine Ukulele, während der andere, unser einarmiger Bandit, die ganze Zeit reglos, mit riesigem,<br />

schwarzen Hut und „Bobbycape“ aus London hinten an der Wand stand, um nur zu rufen:„Hier spricht Edgar Wallace“<br />

und „Uuuaaah!“. Es ging hoch her, und bald mischten sich die Programmstücke mit den Aktionen der Zuschauer, die<br />

immer mehr einbezogen wurden, so daß schließlich alle tanzten und eine tolle Party stattfand, zu der immer mehr<br />

Dozenten, sogar der Dekan, und Studenten aus anderen Klassen dazustießen, bis der Hausmeister uns hinauswarf,<br />

indem er den Strom abdrehte.<br />

Danach zog die Party-Truppe in die benachbarte Milchküche, wo Boy wohnte, gegenüber dem „Besan Schot“,<br />

unserer Künstler-Kneipe. Dort feierten dann über 100 Leute, auch Gäste aus dem „Besan“, weiter bis um 5 Uhr früh<br />

und tanzten zu meinen neuen Scheiben, die ich sonst als Discjockey im „Milli Vanilli“ an der Ostseehalle und im<br />

„Revolution“ in Gaarden auflegte. Da der Architekt und andere mit meiner alten Super-Acht-Kamera das Chaos gefilmt<br />

hatten, konnte diese Kult-ur-gie festgehalten werden. Nach fast 30 Jahren wurde nun das Filmmaterial wiederentdeckt<br />

als ein Kult- und Kunsthochschuldokument.<br />

Welcome to the Cabaret – Welcome to Alka-Salsa!<br />

Auf DVD erhältlich!<br />

Nicht im Handel.<br />

241


242<br />

„Nur eine normale Nervenkrise“


„Wachwandler“<br />

243


244<br />

„Holiday im Krisengebiet“


„Blicke“<br />

245


246<br />

„Kreative Pause“ – Hommage á David Hockney


„Jugendfrei“<br />

247


248<br />

„Happy Family“ Walkerling


„Toleranz“ – für den Jubiläumskalender der Investitionsbank<br />

249


250<br />

„Gießereialltag“


„Souveränität“<br />

251


252<br />

„Gießer bei der Arbeit“


„Uwe Petersen“<br />

253


254<br />

„Angel y Gema“


„Padres de Angel“<br />

255


256<br />

„Zeitgenosse Landwirt“


„Der Segler Horst Mann“<br />

257


258<br />

„Bildnis einer feinen Dame“


„If Paradise was half as nice“<br />

259


260

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