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wird die Zivilgesellschaft in Stellung gebracht gegen den Staat. 12 Wenn aber die<br />
Zivilgesellschaft eine Gesellschaft freier, selbstbewußter und aktiver Bürger ist,<br />
die sich in einer relativ staatsfreien Sphäre selbst organisieren, dann gehören die<br />
Parteien als gesellschaftliche Organisationen, in denen politische Meinungen und<br />
Optionen aggregiert und artikuliert werden, zur Zivilgesellschaft. Sie sind nicht<br />
Teil des Staates. Für die politische Willensbildung und für die Rekrutierung der<br />
Mandatsträger in einer Demokratie sind sie unverzichtbar. Mit seinem defizitären<br />
Begriff der Zivilgesellschaft leistet der Hirtenbrief weder der Entwicklung des<br />
politischen Bewußtseins in der Demokratie noch der Friedensarbeit, die auf die<br />
Politik und damit auch die Parteien angewiesen bleibt, einen Dienst.<br />
Genug der kritischen Anmerkungen. Vielleicht war der Hirtenbrief mit seinen<br />
115 Seiten den meisten Bischöfen zu lang, um ihn einer vollständigen und genauen<br />
Lektüre zu unterziehen. Aber wenigstens von der zuständigen Kommission<br />
VI für gesellschaftliche und soziale Fragen hätte man diese Lektüre erwarten<br />
können. Ob bewußt oder im Gang der Geschäfte en passant, er wurde verabschiedet<br />
und der Öffentlichkeit übergeben. Seine Stolpersteine markieren eine<br />
deutliche Kursänderung der Deutschen Bischofskonferenz in gesellschaftlichen<br />
und politischen Fragen. Von einer Annäherung der Bischöfe an die rot-grüne<br />
Bundesregierung läßt sich dabei kaum noch sprechen, stehen Schröder und Schily,<br />
Fischer und Wieczorek-Zeul in den Themen, die stolpern lassen, dem früheren<br />
Kurs der Bischöfe doch viel näher als der neue Hirtenbrief. Die Stolpersteine<br />
erschweren die Rezeption der wichtigen Orientierungen, die der Hirtenbrief im<br />
Licht der Friedensethik der katholischen Soziallehre auch anbietet und die eingangs<br />
skizziert wurden.<br />
Anmerkungen<br />
1) Charta für ein neues Europa. Erklärung des KSZE-Treffens der Staats- und Regierungschefs<br />
in Paris vom 21.11.1990, in: Manfred Spieker, Hrsg., Friedenssicherung Bd. 4,<br />
Die Neuordnung Europas, Münster 1991, S. 133ff. „Das Zeitalter der Konfrontation und<br />
der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, daß sich unsere Beziehungen<br />
künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden. Europa befreit sich vom Erbe<br />
der Vergangenheit. Durch den Mut von Männern und Frauen, die Willensstärke der Völker<br />
und die Kraft der Ideen der Schlußakte von Helsinki bricht in Europa ein neues Zeitalter<br />
der Demokratie, des Friedens und der Einheit an. Nun ist die Zeit gekommen, in der<br />
sich die jahrzehntelang gehegten Hoffnungen und Erwartungen unserer Völker erfüllen:<br />
Unerschütterliches Bekenntnis zu einer auf Menschenrechten und Grundfreiheiten beruhenden<br />
Demokratie, Wohlstand durch wirtschaftliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit<br />
und gleiche Sicherheit für alle unsere Länder.“<br />
2) Gerechter Friede, Ziffer 118; die im Folgenden im Text in Klammern genannten Ziffern<br />
beziehen sich auf den Hirtenbrief „Gerechter Friede“.<br />
3) Vgl. dazu auch Werner Wertgen, Vergangenheitsbewältigung: Interpretation und Verantwortung.<br />
Ein ethischer Beitrag zu ihrer theoretischen Grundlegung, Paderborn 2001.<br />
4) Vgl. dazu auch M. Spieker, Zur Aktualität der Lehre vom „gerechten Krieg“. Von<br />
nuklearer Abschreckung zur humanitären Intervention, in: Die Neue Ordnung, 54. Jg.<br />
(2000), S. 4-18.<br />
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