27.11.2012 Aufrufe

DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi

DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi

DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

densethik. Sie scheint eine Reverenz an jene Kräfte der Friedensbewegung zu<br />

sein, die gegen die bellum iustum-Lehre opponierten.<br />

Ein zweiter Stolperstein des Hirtenbriefes „Gerechter Friede“ ist sein Begriff der<br />

Gewalt. Die Welt stecke „auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt.<br />

Verhältnisse fortdauernder schwerer Ungerechtigkeit sind in sich gewaltgeladen<br />

und gewaltträchtig“ (59). Kein Zweifel, es gibt viel Ungerechtigkeit, auch große,<br />

himmelschreiende Ungerechtigkeit in der Welt. Aber alle Verhältnisse schwerer<br />

Ungerechtigkeit unter den Begriff der Gewalt zu subsummieren und damit die<br />

Legitimität jeder „Gegengewalt“ zu suggerieren, bedeutet eine Entgrenzung des<br />

Gewaltbegriffs, die – wie Johan Galtungs Begriff der „strukturellen Gewalt“<br />

Ende der 60er Jahre – fatale Folgen für eine Gesellschaft und ihre Fähigkeit,<br />

Konflikte gewaltlos auszutragen, haben kann. Die Identifizierung von Unrecht<br />

und Gewalt erlaubt darüber hinaus keine Unterscheidung mehr zwischen legitimer<br />

Gewalt zur Durchsetzung des Rechts und illegitimer Gewalt, die das Recht<br />

mißachtet. 10<br />

Daß das Recht und seine Durchsetzung eine wesentliche Voraussetzung eines<br />

gerechten Friedens ist, diese Erkenntnis hat seit Platon nichts von ihrer Gültigkeit<br />

verloren. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist die jüngste<br />

institutionelle Frucht dieser Erkenntnis. Nicht daß der Hirtenbrief sich von dieser<br />

Erkenntnis distanziert. Aber er verrät an einer Stelle einen Rechtsbegriff, der den<br />

Leser nicht nur stolpern, sondern straucheln läßt. Nachdem er die Solidarität ein<br />

Leitprinzip auf der Suche nach einem gerechten Frieden genannt hat, behauptet<br />

er, Solidarität beginne, „wo die Gewalt der Waffen und die Macht des Rechts<br />

enden und das eigene Interesse, so berechtigt es auch sein mag, freiwillig zugunsten<br />

anderer zurückgestellt wird“ (65). Diese Gleichsetzung der Macht des<br />

Rechts mit der Gewalt der Waffen verschlägt einem den Atem. Man liest die<br />

Stelle zweimal, dreimal, fragt nach ausgelassenen Zeilen, Druckfehlern, es bleibt<br />

dabei: Der Macht des Rechts scheint der Hirtenbrief nichts Gutes abgewinnen zu<br />

können. Dabei ist, es sei wiederholt, die Durchsetzung des Rechts, insbesondere<br />

der Menschenrechte, doch der Anfang der Solidarität. Gewiß geht Solidarität<br />

dann über die Regelung von Rechtsverhältnissen hinaus, aber sie wird die Macht<br />

des Rechts niemals mißachten.<br />

Ein weiteres Mal ins Stolpern gerät der Leser bei der Erwähnung der Ursachen<br />

der Wende von 1989/90 und bei der Erörterung der Instrumente kollektiver Friedenssicherung.<br />

Allein das Konzept der Entspannung habe, so der Hirtenbrief,<br />

„subversive Energie“ entwickelt, „die dazu beitrug den Eisernen Vorhang zu<br />

sprengen“ (60). Das ist – zurückhaltend formuliert – doch eine sehr verkürzte<br />

Darstellung der Geschichte der 70er und 80er Jahre. Nach der Konferenz für<br />

Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1975 in Helsinki, mit der das<br />

Entspannungskonzept zum Leitmotiv der Ost-West-Politik hätte werden sollen,<br />

hatte sich über mehr als zehn Jahre nichts geändert: Der Kalte Krieg ging weiter,<br />

die Rüstung expandierte, die Sowjetunion erstarrte und an der Mauer wurden<br />

weiter Flüchtlinge von den Grenzpatrouillen der DDR erschossen. Ohne den<br />

Nachrüstungsbeschluß der NATO von 1979, die Entschlossenheit der Regierungen<br />

Reagans und Kohls, diesen Beschluß 1983 umzusetzen, ohne die Flexibilität<br />

470

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!