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tig, daß die Menschen auf absolute Ansprüche verzichten und – wieder – endlichkeitsfähig<br />
werden.“ 17 Diese vorgängige Entlastung von Medizin und Ökonomie<br />
von falschen Erwartungen ist auch eine Frage der Gerechtigkeit und ist<br />
nicht zuletzt eine Aufgabe kirchlich-theologischer Ethik.<br />
Weit davon entfernt, einem unseligen Dolorismus im Namen des Kreuzes das<br />
Wort reden zu wollen, gilt es doch daran zu erinnern, daß Gesundheit vom lateinischen<br />
Begriff „salus“ hergeleitet ist, und somit zu verstehen „nicht als das<br />
Fehlen von Krankheiten, sondern vielmehr als die Kraft und Fähigkeit, mit<br />
Krankheiten und Behinderungen zu leben.“ 18 Erst infolge solcher Lebensfähigkeit<br />
gewinnt ein Leben seine innere unverwechselbare Qualität, die weit mehr<br />
umgreift als eine bloße Quantität des Überlebens. 19 Es ist eine zentrale Aufgabe<br />
der theologischen Ethik, auf der Grundlage des christlichen Gottesbegriffs auf<br />
diese umfassende Sicht menschlichen Lebens aufmerksam zu machen und damit<br />
einer schleichenden Immanentisierung von Bedürfnisansprüchen zu wehren. Auf<br />
Dauer wird kein Finanzierungssystem ein prinzipiell unbegrenztes Bedürfnis<br />
nach umfassender Gesundheit befriedigen können. In dieser Sicht fordert die<br />
Ethik eine Rationierung um des Menschenbildes willen: kompensatorisches<br />
Glück und kompensatorische Gesundheit gehen mit einer rationierten Krankenversicherung<br />
einher. Nicht jeder Anspruch des Individuums ist solidarsystemisch<br />
abzusichern. Wo dieses Bewußtsein dauerhaft schwindet, zerfällt ein wesentlicher<br />
Grundkonsens der Gesellschaft – lange bevor eine wesentliche Grundfinanzierung<br />
zerfällt.<br />
Literatur<br />
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S. 308–318.<br />
Arntz, K. (1996): Unbegrenzte Lebensqualität?, Münster.<br />
Bischofberger, E. (1995), Prioritätensetzung im schwedischen Gesundheitssystem, in:<br />
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Charlesworth, M. (1997): Leben und Sterben lassen. Bioethik in der liberalen Gesellschaft,<br />
Hamburg.<br />
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in der medizinischen Versorgung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
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Ewald, F. (1998): Die Rückkehr des genius malignus: Entwurf zu einer Philosophie der<br />
Vorbeugung, in: Soziale Welt 49, 5–24.<br />
Giertler, R. (1998): Medizin im Umbruch der Sozialstruktur, in: Renovatio 1–2, S. 30–31<br />
Halbfas, M. (2000): Die Zukunft der Medizin – Anlaß zu Hoffnung?, in: Orientierung 64,<br />
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Hradil, S. (1995): Die „Single-Gesellschaft“, München.<br />
Jonas, H. (1985): Technik, Medizin und Ethik, Frankfurt/M.<br />
Kliemt, H. (1996): Pränataldiagnostik und genetisches Screening im freiheitlichdemokratischen<br />
Rechtsstaat, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 4, S. 99–111.<br />
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