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Detlef Grieswelle<br />
Generationengerechtigkeit<br />
und Generationenpolitik<br />
I. Leitbegriff der Generationengerechtigkeit<br />
Eine zentrale Vokabel unserer Zeit, ein Leitbegriff zum Selbstverständnis der<br />
Gesellschaft, ist die Generationengerechtigkeit. Dieser Begriff hat andere Termini<br />
in den Hintergrund treten lassen. Das gilt für Philosophie und Ethik, Kirchen,<br />
Gewerkschaften und Arbeitgeber, vor allem auch für die Politik. Viele Handlungsbereiche<br />
werden unter dem Begriff der Generationengerechtigkeit durchdekliniert,<br />
beispielsweise die sozialen Sicherungssysteme, die Arbeitslosigkeit, die<br />
Vermögensbildung, Randständigkeit und Armut, das Steuersystem, die Staatsverschuldung.<br />
Die Norm der Generationengerechtigkeit bezieht sich auf Orientierungen<br />
für das eigene Handeln von Personen, auf den institutionellen Rahmen<br />
der Gesellschaft und die kulturellen Werte, auch auf unterschiedliche räumliche<br />
Perspektiven, seien diese regional, national, supranational oder global, auch auf<br />
verschiedene Ebenen der Abstraktion. Die Generationengerechtigkeit gehört<br />
sicherlich ganz allgemein zu den Leitbildern einer guten Ordnung, wie sie jede<br />
Gesellschaft entwirft; heute ist aber in besonderem Maße ein Kampf darüber<br />
entbrannt, was als generationengerecht zu gelten hat.<br />
Generationengerechtigkeit: Um kaum einen Begriff wird derzeit so hart gerungen<br />
wie um das schillernde Wortpaar, das viele gesellschaftliche Gruppen für<br />
sich reklamieren. Nur wer die Deutungshoheit erobert, was als generationengerecht<br />
zu gelten hat, hat Aussicht auf Politik- und Gestaltungsfähigkeit. Spätestens<br />
seit der Diskurs-Theorie Foucaults wissen wir ja, daß Diskurse nicht nur<br />
beschreiben und analysieren, sondern auch vorschreiben, bestimmen, festlegen<br />
und so Einfluß und Macht ausüben wollen. Wer sich in Diskursen durchsetzt,<br />
verfügt über die Definitionsmacht der Sicht der Dinge und dominiert mit seinem<br />
Zeichensystem jenes des politischen Gegners.<br />
Generationengerechtigkeit wird das Schlüsselwort der Gesellschaft in den nächsten<br />
Jahren, meinte der bekannte Freizeitforscher Opaschowski zu Beginn des<br />
neuen Jahrtausends. Aber bereits in den letzten Jahren wurden wirtschaftspolitische<br />
und sozialpolitische Themen in öffentlichen Diskursen zunehmend in der<br />
Perspektive der Generationen erörtert. Die Frage der Gerechtigkeit zwischen den<br />
Generationen und der Verantwortung für künftige Generationen gehörte zu jenen<br />
Themen, die vor allem in der Sozialpolitik „Karriere machten“ und andere Formen,<br />
über den Sozialstaat zu sprechen, etwas in den Hintergrund drängten.<br />
Christoph Conrad hat in einem größeren Aufsatz dargelegt, wie nach der Sprache<br />
der Klassen und des Klassenkampfes, der Sprache von Staat und Untertan,<br />
der Geschlechter, Geschlechterdifferenzen und -beziehungen, der Abstammung<br />
und Ethnien (Einwanderer!) als letzte Version die Rhetorik der Generationen an